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Interdisciplinary cooperation in the outpatient practice: results from a focus group interview with occupational therapists, speech and language therapists and physiotherapists / Gestaltung der interdisziplinären Zusammenarbeit in der ambulanten Therapie: Resultate eines Fokusgruppeninterviews mit Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen und Physiotherapeut*innen


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EINLEITUNG

Durch die soziodemografischen und epidemiologischen Veränderungen sind die Anforderungen an das Gesundheitssystem und die Therapieberufe Ergo-, Physiotherapie und Logopädie in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen (Robert-Bosch-Stiftung (RBS), 2011; Revees, Macmillan & van Soeren, 2010; Robert-Koch-Institut (RKI), 2015). Es bedarf einer qualitativ hochwertigen und zielgerichteten Gesundheitsversorgung, in der die unterschiedlichen Fachbereiche kooperativ zusammenarbeiten (World Health Organization (WHO), 2010; Wissenschaftsrat (WR), 2012). Bereits im Jahr 2010 geht aus der Publikation der Weltgesundheitsorganisation hervor, dass eine Zusammenarbeit der Gesundheitsfachbereiche notwendig ist, um die aktuellen medizinischtherapeutischen sowie ökonomischen Herausforderungen zu bewältigen und das internationale Gesundheitssystem positiv zu beeinflussen (WHO, 2010). Die Forderung nach einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit richtet sich jedoch nicht nur an das Gesundheitssystem im Allgemeinen, sondern spielt insbesondere im Kontext der Neurorehabilitation eine essenzielle Rolle (Körner & Becker, 2017; Schmitz, Atzeni & Berchtold, 2020). Aufgrund der Diversität an neurologischen Störungsbildern sind die Berufsgruppen im Alleingang nicht in der Lage, den komplexen Anforderungen gerecht zu werden und die Rehabilitationsziele der Patient*innen zu erreichen (Mokrusch, 2021).

Trotz der allgemeinen Zustimmung sowie der unbestrittenen Bedarfslage stimmt die praktische Umsetzung in Deutschland nicht mit den theoretischen Forderungen und Empfehlungen überein (Sachverständigenrat (SVR), 2018). Obgleich sich die interdisziplinäre Kooperation zwischen der Ergo-, Physiotherapie und Logopädie dank der bestehenden Rahmenbedingungen im stationären Therapiealltag etablieren konnte, findet diese im ambulanten Setting nicht mit solch einer Selbstverständlichkeit statt (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), 2021; SVR, 2018). Es mangelt an Erkenntnissen, wie Ergo-, Physiotherapeut*innen und Logopäd*innen aus der ambulanten Neurorehabilitation die Interdisziplinarität in ihrem Berufsalltag erleben und welchen Rahmenbedingungen, Förderfaktoren und Barrieren sie an ihrem Arbeitsplatz begegnen. Zudem besteht Bedarf nach konkreten Lösungsansätzen und „Best-Practice-Beispielen“, die die Umsetzung der interdisziplinären Zusammenarbeit in der außerklinischen Praxis veranschaulichen (Kraus & Koch, 2018; Schmitz, Azteni & Berchtold, 2020).

Ziel der Forschungsarbeit ist es, Gestaltungsmöglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen den Therapieberufen Ergo-, Physiotherapie und Logopädie im ambulanten Setting der Neurorehabilitation anhand von Praxisbeispielen darzustellen. Dabei handelt es sich um ambulante Therapiezentren in Deutschland, die interdisziplinäre Maßnahmen bereits in ihrem Therapiealltag anwenden. Basierend auf dieser Zielformulierung leitet sich die folgende Fragestellung ab: Wie wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen Ergo-, Physiotherapie und Logopädie aktuell in ambulanten Therapiezentren der Neurorehabilitation in Deutschland gestaltet?

Zudem soll die Arbeit einen Einblick in die notwendigen Rahmenbedingungen und bestehenden Barrieren gewähren, die in den Augen der Therapeut*innen aktuell für die Umsetzung der interdisziplinären Zusammenarbeit in der ambulanten Therapie notwendig bzw. hinderlich sind und mögliche Lösungsansätze aufzeigen. Entsprechend sollen die folgenden Nebenfragestellungen untersucht werden: 1. „Welche Vorteile bietet die interdisziplinäre Zusammenarbeit gegenüber der multiprofessionellen Zusammenarbeit?“, 2. „Welche Faktoren ermöglichen bzw. fördern die interdisziplinäre Zusammenarbeit im ambulanten Therapiesetting?“, 3. „Welche Faktoren erschweren die interdisziplinäre Zusammenarbeit und 4. „Wie kann diesen Faktoren entgegengewirkt werden?“. Da die Begrifflichkeiten „interprofessionell“ und „interdisziplinär“ in deutschen medizinischen Fachzeitschriften meist uneinheitlich bzw. als Synonyme verwendet werden, werden in der Arbeit einheitlich die Begriffe „Interdisziplinarität“ und „interdisziplinär“ zur Bezeichnung der Zusammenarbeit von verschiedenen therapeutischen, pflegerischen und/oder ärztlichen Gesundheitsberufen genutzt (Mahler et al., 2014).

METHODE

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein qualitatives, empirisches Studiendesign gewählt. Um die subjektiven Einstellungen und Erfahrungen der Teilnehmenden zu erheben, fiel die Wahl der Forschungsmethode auf ein semistrukturiertes Fokusgruppeninterview im Online-Format (Vogl, 2019).

Sampling und Studienteilnehmende

Die Rekrutierung der Studienteilnehmenden erfolgte anhand einer Internetsuche, einem Aufruf über die sozialen Medien (Facebook-Gruppen) und über soziale Kontakte der Erstautorin, entsprechend der vorab definierten Einund Ausschlusskriterien (siehe Tab. 1).

Ein- und Ausschlusskriterien der Therapiezentren und Studienteilnehmenden

Einschlusskriterien Ausschlusskriterien
(Mindestens) Staatlich anerkannter Ausbildungs-/Studienabschluss der Ergotherapie, Logopädie/Sprachtherapie, Physiotherapie Auszubildende/Studierende, Praktikant*innen
Tätigkeit in einer ambulanten, neurologischen Einrichtung in Deutschland, in der

- (mindestens) die Fachbereiche Ergotherapie, Logopädie/Sprachtherapie und Physiotherapie an einem Standort vertreten sind

- Praxisräume, Geräte o. Ä. berufsgruppenübergreifend genutzt werden

- die Therapeut*innen einen gemeinsamen Patient*innenstamm behandeln

- die Zusammenarbeit der Berufsgruppen interdisziplinär erfolgt

Tätigkeit in einer Einrichtung, die die beschriebenen Kriterien nicht erfüllt
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist gekennzeichnet durch:

- eine gemeinsame, übergeordnete Zielformulierung

- eine aufeinander abgestimmte Interventionsplanung

- einen regelmäßigen Austausch über Beobachtungen, Befunde und das weitere Vorgehen

- ein miteinander, sich ergänzendes Arbeiten

- eine Leitung/Koordination der interdisziplinären Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit der Fachbereiche ist gekennzeichnet durch:

- das Vorhandensein verschiedener Fachbereiche, wobei jeder Fachbereich seine eigenen Therapieziele verfolgt

- keinen/einen unregelmäßigen Austausch der Berufsgruppen

- das Arbeiten neben- und unabhängig voneinander

- keine Leitung/Koordination der Zusammenarbeit

Mindestens ein Jahr Berufserfahrung in einer den Kriterien entsprechenden Einrichtung Weniger als ein Jahr Berufserfahrung
Volljährigkeit Minderjährigkeit
Deutschsprachigkeit Nicht der Deutschen Sprache mächtig
Erfüllung der materiellen und technischen Voraussetzungen zur Teilnahme an einem Online-Fokusgruppeninterview Keine Möglichkeit zur Teilnahme an einem Online-Fokusgruppeninterview

Potenzielle Therapiezentren bzw. deren Gatekeeper*innen wurden per E-Mail oder telefonisch von der Erstautorin kontaktiert und erhielten ein Informationsschreiben über die Durchführung des Fokusgruppeninterviews. Der Rekrutierungsprozess endete, nachdem sich sechs Interessierte zurückmeldeten bzw. die Mindestanzahl zur Durchführung eines Fokusgruppeninterviews (vier bis sechs Teilnehmende) rekrutiert wurden (Kühn & Koschel, 2018). Auf diese Weise konnte eine Adhoc-Gruppe von sechs Therapeut*innen aus drei ambulanten, interdisziplinären Therapiezentren aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mit mindestens drei (Ergo-, Physiotherapie und Logopädie) und bis zu sieben Disziplinen (z. B. Neuropsychologie, Sporttherapie o. Ä.) zusammengestellt werden. Die Gruppenzusammensetzung gewährleistete einen gemeinsamen Erfahrungshintergrund der Mitglieder, der einen Austausch über die ausgewählten Themen ermöglichte (Vogl, 2019). Dennoch unterschieden sich die Teilnehmenden in ihren Berufszugehörigkeiten (Ergo-, Physiotherapie und Logopädie), ihren Bildungsabschlüssen (Berufsausbildung, Studium) und Zuständigkeiten (Angestellte, Praxisinhaber*innen). Da eine Teilnehmende ohne Angabe von Gründen nicht zum vereinbarten Termin erschien, nahmen schlussendlich fünf Therapeut*innen an dem Fokusgruppeninterview teil (siehe Tab. 2).

Darstellung der Mitglieder der Fokusgruppe

Teilnehmende Berufsgruppe Berufsabschluss Art der Tätigkeit
Teilnehmende 1 Logopädie B. Sc. Angestellte
Teilnehmende 2 Physiotherapie B. Sc. Angestellte
Teilnehmende 3 Logopädie Ausbildung Angestellte
Teilnehmende 4 Ergotherapie Ausbildung Angestellte
Teilnehmender 5 Physiotherapie M. Sc. Praxisinhaber

Anmerkung. B. Sc.: Bachelor of Science, M. Sc.: Master of Science

Moderationsleitfaden und Datenerhebung

Der Moderationsleitfaden wurde basierend auf einer Literaturrecherche in den medizinischen Datenbanken Pubmed und Cochrane Library erstellt. Für die anderthalbstündige Diskussionsrunde wurden vier deduktive Schwerpunktthemen bestimmt. Die zugehörigen Leit- und Aufrechterhaltungsfragen wurden anhand der SPSS-Methode (Sammeln, Prüfen, Sortieren, Subsummieren) nach Helfferich (2019) formuliert. Die Fragestellungen wurden den Phasen der Gruppendiskussion zugeordnet, um eine thematische Fokussierung der Diskussion zu gewährleisten (Vogl, 2019). Nachdem die Teilnehmenden von der Moderation in die allgemeinen Grundregeln des Fokusgruppeninterviews eingeführt wurden, startete die Warm-Up-Phase mit einer Vorstellungsrunde und einem thematischen Einstieg zu den Begrifflichkeiten „interdisziplinäre und multidisziplinäre Zusammenarbeit“ (1). Anschließend folgten während des Hauptteils die Themenblöcke „Gestaltung der interdisziplinären Zusammenarbeit am Arbeitsplatz“ (2), „Rahmenbedingungen“ (3) und „Barrieren interdisziplinärer Zusammenarbeit“ (4). Jeder deduktive Themenschwerpunkt umfasste ein bis fünf Subthemen, zu denen die Moderation einleitende Fragen stellte. Der Leitfaden legte somit den thematischen und zeitlichen Rahmen des Fokusgruppeninterviews fest, ließ den Teilnehmenden jedoch genügend Spielraum, um eigene Themenschwerpunkte einzubringen (Kühn & Koschel, 2018).

Zur Überprüfung der Verständlichkeit und Umsetzbarkeit des Leitfadens sowie der technischen Voraussetzungen wurde im Vorfeld ein Pretest mit zwei Therapeut*innen aus der ambulanten Neurorehabilitation durchgeführt. Daraufhin wurde der Leitfaden überarbeitet und eine finale Version für das Fokusgruppeninterview erstellt. Ein Auszug des Moderationsleitfadens ist in Tabelle 3 dargestellt.

Auszug aus dem semistrukturierten Moderationsleitfaden. In Anlehnung an Schouten et al. (2021)

Einstiegsrunde – Begrifflichkeiten interdisziplinäre und multidisziplinäre Zusammenarbeit
Z. B. Was verstehen Sie unter den Begriffen interdisziplinäre und multidisziplinäre Zusammenarbeit? Welche Vorteile ergeben sich in Ihren Augen für Therapiezentren, in denen die Fachbereiche interdisziplinär zusammenarbeiten gegenüber solchen, in denen multidisziplinär zusammengearbeitet wird?
Themenrunde 1 – Gestaltung der interdisziplinären Zusammenarbeit am Arbeitsplatz
Z. B. Wie sieht die Gestaltung der interdisziplinären Zusammenarbeit an Ihren Arbeitsplätzen aus?
Themenrunde 2 – Rahmenbedingungen
Z B. Welche Rahmenbedingungen/Voraussetzungen müssen in Ihren Augen erfüllt werden, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der ambulanten Therapie überhaupt zu ermöglichen?
Themenrunde 3 – Barrieren
Z. B. Auf welche Barrieren stoßen Sie in Ihrem Arbeitsalltag, die die Umsetzung der interdisziplinären Zusammenarbeit erschweren? Wie könnten diese Barrieren in Ihren Augen in Zukunft aufgehoben werden?
Datenerhebung, -auswertung und -analyse

Das 1:36-stündige Fokusgruppeninterview fand im März 2023 online via Microsoft Teams unter Moderation der Erstautorin statt. Dieses wurde mithilfe der Aufnahmefunktion von Microsoft Teams for Business und der Screenrecorder-Software von Windows 10 als Audio-und Videoaufnahme aufgezeichnet. Die Videoaufnahme diente ausschließlich der sprachinhaltlichen Zuordnung der Teilnehmenden. Die einfache Transkription erfolgte nach den Regeln von Dresing und Pehl (2018). Mithilfe der MaxQDA-Software wurde anhand der sieben Phasen der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022) (siehe Abb. 1) die Analyse des erhobenen Datenmaterials von der Erstautorin ausgeführt.

Abbildung 1:

Darstellung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022)

Zunächst wurden Memos zu bedeutenden Textsegmenten verfasst und basierend auf der Literaturrecherche sowie dem Moderationsleitfaden ein theoriegeleitetes, deduktives Kategoriensystem entwickelt. Während eines ersten Codierprozesses wurden die Daten anhand dieser Hauptkategorien codiert. Anschließend erfolgte die induktive Kategorienbildung am Datenmaterial, indem inhaltstragende Textstellen im Rahmen der fokussierten Zusammenfassung abstrahiert, paraphrasiert und zu induktiven Subkategorien zusammengetragen wurden. Auf diese Weise entstand ein Codierleitfaden, bestehend aus deduktiven und induktiven Haupt- und Subkategorien, Kategorie-Definitionen, Ankerbeispielen und Codierregeln (Kuckartz & Rädiker, 2022; Mayring & Fenzl, 2019). Ein Ausschnitt ist in Tabelle 4 dargestellt. Während des zweiten Codierschrittes wurden die bislang mit den Hauptkategorien codierten Textstellen den ausdifferenzierten Subkategorien zugeordnet. Nach Abschluss der kategorienbasierten Datenanalyse erfolgte eine thematische Zusammenfassung der codierten Textstellen entlang der Haupt- und Subkategorien. Der Ergebnisbericht wurde zur Überprüfung der Richtigkeit, Gültigkeit sowie Absicherung der Interpretation an die Studienteilnehmenden zurückgeschickt, woraufhin diese keinen Überarbeitungsbedarf äußerten.

Auszug des überarbeiteten Codierleitfadens

Hauptkategorie Subkategorie Definition Ankerbeispiel – typische Textpassage Codierregel – Abgrenzung zwischen Kategorien
1. Begriffe „interdisziplinäre Zusammenarbeit (IZ)“ und „multidisziplinäre Zusammenarbeit (MZ)“ - Alle Textpassagen, in denen die Teilnehmenden äußern, was sie unter den Begriffen „IZ“ und „MZ“ verstehen. „Das Interdisziplinäre, dass mehrere Berufsgruppen an einem Patienten zusammen gemeinsam mit einer Zielsetzung arbeiten, gemeinsam eine Zielsetzung für die verschiedenen Bereiche ausstellen. Und dass beim Multidisziplinären zwar auch verschiedene Berufsgruppen sind, aber jeder mit seiner eigenen Zielsetzung an den Patienten drangeht und nicht unbedingt gemeinsam da draufschaut“ (T1, Pos. 20). Die Textstellen beinhalten kennzeichnende Aspekte der Begriffe „IZ“ und „MZ“. Exkludiert:

- Beispiele, wie die IZ am eigenen Arbeitsplatz umgesetzt wird. Diese werden der Kategorie „Gestaltung der IZ am Arbeitsplatz“ zugeteilt.

- Vorteile, die in den Augen der Teilnehmenden durch die IZ entstehen, werden der Kategorie „Vorteile IZ“ zugeordnet.

1.1 Vorteile IZ Alle Textpassagen, in denen die Teilnehmenden positive Auswirkungen benennen, die in ihren Augen durch die IZ entstehen. „Ich finde den Effekt beim Patienten an sich einfach sehr interessant. Wenn die spüren, dass die Therapeuten sich einig sind, dass die Ziele gemeinsam formuliert wurden und auch gemeinsam geübt werden“ (T4, Pos. 36). Sowohl allgemeingeltende Vorteile als auch solche, die sich auf den eigenen Arbeitsplatz beziehen, werden inkludiert. Dies gilt ebenfalls für Vorteile für die Therapeut*innen/das Team als auch für Vorteile des*der Patient*in.
2. Gestaltung der IZ am Arbeitsplatz 2.1 Austausch Alle Textpassagen, in denen sich die Teilnehmenden zu den fachübergreifenden Austauschmomenten an ihrem Arbeitsplatz äußern. „Also bei uns ist tatsächlich täglich in der ambulanten Reha eine Teamkonferenzsitzung für jeweils eine halbe Stunde. Da wird dann immer ein Teil der Rehabilitanden, die gerade da sind, besprochen (…)“ (T1, Pos. 42). Alle Informationen zu den offiziellen Teambesprechungen sowie den informellen Austauschmomenten werden inkludiert. Exkludiert:

- Die Formulierung der Therapieziele wird als globaler Inhaltspunkt der interd. Teambesprechungen angesehen. Alle weiteren ausführlichen Informationen bezüglich der Zielsetzung werden der Kategorie „Zielsetzung und Evaluation“ zugeordnet.

- Informationen zum schriftlichen interd. Austausch werden der Kategorie „Dokumentation“ zugeordnet.

ERGEBNISSE

Die Darstellung der Studienergebnisse ist anhand der Haupt- und Subkategorien des finalen Kategoriensystems gegliedert (siehe Abb. 2).

Abbildung 2:

Concept-Map. Darstellung der deduktiven Haupt- (orange) und Subkategorien (beige) sowie der am Datenmaterial gebildeten induktiven Subkategorien (grau) und deren Beziehungen zueinander. Die Zahl in Klammern stellt die jeweilige Anzahl an codierten Textsegmenten dar. In Anlehnung an Schouten et al. (2021)

Begriffsverständnis und Differenzierung der „multi-“ und „interdisziplinären“ Zusammenarbeit

Die Abgrenzung von der multi- zur interdisziplinären Zusammenarbeit liegt in den Augen der Teilnehmenden in der fachübergreifenden Kommunikation. Während sich die beteiligten Berufsgruppen im Rahmen des interdisziplinären Teammodells regelmäßig austauschen, besteht bei der multidisziplinären Kooperationsform laut der Gruppenmitglieder kein Bedarf an einem Austausch zwischen den einzelnen Fachbereichen. Die Berufsgruppen formulieren unabhängig voneinander ihre eigenen, fachspezifischen Therapieziele. Zudem dominiert ein „Schichtdenken“, bei dem die vielfältigen Krankheitserscheinungen des*der Patient*in nach Körperregion aufgeteilt und behandelt werden.

Im Gegensatz dazu ist die Interdisziplinarität gemäß der Teilnehmenden von einem „Miteinander“ statt „Nebeneinander“ geprägt. Der berufsgruppenübergreifende Austausch dient dabei der gemeinsamen, ganzheitlichen Zielsetzung und Therapiegestaltung. Zudem löst sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Vergleich zum multidisziplinären Teammodell von den traditionellen Berufsgrenzen. Dies wird u. a. in Form der Co-Therapien deutlich, bei denen mindestens zwei Therapeut*innen unterschiedlicher Fachrichtungen eine Behandlung gemeinsam durchführen.

Vorteile interdisziplinärer Kooperation

Die Teilnehmenden erachten die Aneignung neuer, fachübergreifender Kenntnisse und Fähigkeiten als positiven Effekt der interdisziplinären Zusammenarbeit. Durch die berufsgruppenüberschreitende Zusammenarbeit können die Therapeut*innen über ihren beruflichen Horizont hinauswachsen, indem sie die eigene Expertise mit den Fachkompetenzen anderer Disziplinen ergänzen. Dadurch sind die Mitglieder interdisziplinärer Teams in der Lage, sich gegenseitig zu unterstützen und Arbeiten abzunehmen. Die interdisziplinäre Kooperation bietet laut den Gruppenmitgliedern außerdem den Vorteil, Patient*inneninformationen im direkten Austausch an Kolleg*innen anderer Fachrichtungen weiterzuleiten. Auf diese Weise kann Informationsverlusten insbesondere dann vorgebeugt werden, wenn der*die Patient*in nicht in der Lage ist, selbst mit den unterschiedlichen Fachkräften zu kommunizieren.

Umsetzung der Interdisziplinarität am ArbeitsplatzAustausch

In allen drei ambulanten Einrichtungen finden regelmäßig interdisziplinäre Teambesprechungen statt. Dabei kommen alle Therapeut*innen zu einem festgelegten Zeitpunkt an einem Ort zusammen. Die Frequenz divergiert zwischen einmal täglich bzw. wöchentlich. Die Teamsitzungen werden laut den Teilnehmenden hauptsächlich zur Formulierung der interdisziplinären Therapieziele, Evaluation sowie Therapieplanung genutzt. Darüber hinaus dienen die fachübergreifenden Besprechungen dazu, patient*innenspezifische Informationen auszutauschen und sich gegenseitig über die Therapieinhalte und -fortschritte aufzuklären.

Während des Fokusgruppeninterviews wird ersichtlich, dass die Leitung der interdisziplinären Teamsitzungen in den Einrichtungen nicht von einer bestimmten Person oder einem Fachbereich übernommen wird. Zu diesem Thema fallen häufig die Schlagwörter „gleichgestellt“ oder „keine Hierarchie“. „Das große Team [...] wird immer von jemandem anders moderiert, sodass wir ein bisschen aus der Hierarchie rauskommen (...) (T5, Z. 51)». Neben den offiziellen Besprechungszeiten finden die interdisziplinären Aussprachen gemäß den Diskussionsteilnehmenden jedoch ebenso während informellen Austauschmomenten statt. Dazu gehören Wortwechsel bei Begegnungen auf dem Gang, Telefongespräche oder Konversationen in Anwesenheit des*der Patient*in während der Co-Therapie. Diese niederschwelligen Kontaktmöglichkeiten dienen dem Austausch tagesaktueller Informationen ungeachtet der offiziellen Besprechungstermine.

Dokumentation

Neben dem direkten, wörtlichen Austausch von Therapeut*in zu Therapeut*in stellt die Dokumentation im Rahmen der indirekten, schriftlichen Kommunikation eine weitere Form des fachübergreifenden Austausches dar. Die Ergebnisse des Fokusgruppeninterviews zeigen, dass sich die Mehrheit der Therapiezentren gegenwärtig in einem Transformierungsprozess zwischen der fachinternen, handschriftlichen und einer gemeinschaftlichen, digitalen Dokumentationsform befinden. Die Plattformen ORBIS (ORBIS, 2023) und THEORG (SOVDWAER, 2023) werden in den Therapiezentren genutzt, um sowohl die fachspezifischen Therapieziele als auch die interdisziplinären Zielsetzungen sowie den Therapieverlauf zugänglich für alle Disziplinen festzuhalten.

Zielsetzung und Evaluation

Die interdisziplinäre Zielsetzung ist in den Augen der Teilnehmenden fundamental für eine fachübergreifende Zusammenarbeit und stellt einen elementaren Bereich innerhalb der Gestaltung der interdisziplinären Zusammenarbeit dar. Basierend auf der fachinternen Befunderhebung werden die gemeinsamen, übergeordneten Therapieziele während der interdisziplinären Teamsitzungen formuliert. Abschließend werden die Ziele in allen vertretenen Therapiezentren einheitlich anhand der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) festgelegt (WHO, 2023). Die Therapeut*innen geben an, dass neben den diversen Disziplinen auch die Patient*innen einen Teil des interdisziplinären Teams darstellen. Aus diesem Grund sollten diese ebenfalls aktiv bei der Zielformulierung und Evaluation beteiligt werden: „Ich finde, zum Team gehört auch immer der Patient (T4, Z. 179)». Dabei werden Tools, wie das Canadian Occupational Performance Measure (COPM), benannt, um eine partizipative Zielformulierung und Evaluation zu fördern (COPM, 2023).

Therapieplanung

Während des Austausches der Gruppenmitglieder zum Thema „interdisziplinäre Therapieplanung“ wird ersichtlich, dass die Koordination der Therapien je nach Einrichtung von den Therapeut*innen oder einer Koordinationskraft übernommen wird. Im Rahmen des Erstkontakts legt der*die Therapeut*in fest, welche Disziplinen entsprechend der individuellen Bedarfslage an der Behandlung des*der Patient*in beteiligt werden sollen. Die Therapiefrequenz wird anschließend unter Berücksichtigung der therapeutischen Kapazitäten und verfügbaren Therapieminuten bestimmt. Co-Therapien werden ebenfalls auf Anfrage bzw. aus Eigeninitiative der Therapeut*innen abgehalten. Unterstützend wirkt dabei die Nutzung digitaler Praxisprogramme, wie Meditec, die die Einsicht der Stundenpläne aller beteiligten Akteur*innen ermöglicht (MediTec, 2023).

Behandlung und Abrechnung

Die Co-Therapie erfolgt in allen Therapiezentren im Zeichen der interdisziplinären Zusammenarbeit. Die Teilnehmenden sind sich einig, dass die Ergo-und Physiotherapie in allen vertretenen Zentren am häufigsten gemeinsam erfolgen. Regelmäßig findet auch die Zusammenarbeit zwischen der Ergotherapie und Logopädie statt. Ebenso relevant sei jedoch die Kooperation zwischen der Physiotherapie und Logopädie, obgleich diese in den Augen einiger Teilnehmenden seltener im Praxisalltag zustande komme. Im Rahmen der Co-Therapie spiele jedoch beispielsweise die Mobilisation bzw. Positionierung der Patient*innen vor Ausführung der logopädischen Interventionen eine bedeutsame Rolle.

Die Diskussionsteilnehmenden halten fest, dass die Behandlungen auch während der Einzeltherapien im Sinne der interdisziplinären Zusammenarbeit erfolgen. Obgleich die Berufsgruppen getrennt voneinander mit den Patient*innen arbeiten, verfolgen sie während dieser Sitzungen ebenso die berufsgruppenübergreifenden Zielsetzungen. Die Abrechnung der interdisziplinären Co-Therapien differenziert sich gemäß den Teilnehmenden nicht von den monodisziplinären Einzeltherapien. Meist fungieren die Therapiezentren als Zusammenschluss eigenständiger Praxen, in denen die Abrechnung unabhängig voneinander stattfindet.

Rahmenbedingungen interdisziplinärer Zusammenarbeit

Aus dem Fokusgruppeninterview wird ersichtlich, dass die notwendigen Rahmenbedingungen zur Umsetzung der interdisziplinären Zusammenarbeit einerseits auf organisatorischer Ebene der ambulanten Einrichtungen bestehen. Andererseits beziehen sie sich auf persönliche Faktoren der Leitung, Mitarbeitenden und Patient*innen (siehe Abb. 3).

Abbildung 3:

Rahmenbedingungen, Barrieren und Lösungsansätze für eine gelingende interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen Ergo-, Physiotherapie und Logopädie in der ambulanten Neurorehabilitation

Das Vorhandensein der unterschiedlichen Disziplinen wird von den Teilnehmenden als Grundlage der interdisziplinären Zusammenarbeit genannt. Des Weiteren betrachten sie den fachübergreifenden Austausch als Voraussetzung für das Entstehen bzw. Gelingen berufsgruppenübergreifender Kooperation. Dazu benötigt es laut den Teilnehmenden regelmäßige interdisziplinäre Teamsitzungen sowie die Möglichkeit zu informellen Austauschmomenten. Letzteres kann ausschließlich unter den entsprechenden räumlichen Voraussetzungen gewährleistet werden. Auf organisatorischer Ebene sollten außerdem die notwendigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen zur Ausführung interdisziplinärer Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Zudem sind die Gruppenmitglieder der Meinung, dass es einer gemeinschaftlichen und für alle Disziplinen zugänglichen Dokumentation bedarf.

Auf Leitungs-, Mitarbeitenden- und Patient*innenebene ist es gemäß den Teilnehmenden essentiell, die nötigen Einstellungen und Verhaltensweisen, wie Kollegialität, Wertschätzung und Aufgeschlossenheit gegenüber einer interdisziplinären Zusammenarbeit an den Tag zu legen. Ebenso bedeutsam ist das Vermögen bzw. die Fähigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Die Grundlage dieser beiden Rahmenbedingungen sollte laut den Gruppenmitgliedern bereits in der Ausbildung/dem Studium der einzelnen Fachrichtungen geschaffen werden. Interdisziplinäre Lehrprogramme und Praktika sollten demnach als feste Bestandteile in die Curricula der Gesundheitsberufe einbezogen werden.

Barrieren interdisziplinärer Zusammenarbeit

Entsprechend der vorab beschriebenen Rahmenbedingungen stellen die unerfüllten Grundvoraussetzungen Hindernisse für die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der ambulanten Therapie dar (siehe Abb. 3). Die Interdisziplinarität wird laut der Diskussionsteilnehmenden sowohl durch den aktuellen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen als auch durch die räumlichen Trennungen der ambulanten Versorgungseinrichtungen erschwert. Darüber hinaus kann eine unzureichende Kommunikation zwischen den Disziplinen zu Schwierigkeiten im Rahmen der interdisziplinären Behandlung führen. Diese Hürden sind laut den Diskussionsteilnehmenden im direkten und schriftlichen Austausch erkennbar. Eine unzureichende Zugänglichkeit sowie unterschiedliche Dokumentationszeiten, -formen und -sprachen stehen der Interdisziplinarität sowohl intern als auch extern im Wege.

Das Stichwort „Zeitmangel“ wird kontinuierlich während des Fokusgruppeninterviews genannt. An allen Ecken scheint es an zeitlichen Ressourcen zu mangeln – auf Kosten der Interdisziplinarität. Demnach sind sich alle Teilnehmenden einig, dass die fehlende zeitliche Kapazität eine schwerwiegende Barriere der interdisziplinären Zusammenarbeit im ambulanten Kontext darstellt. Ein ebenso bedeutsames wie häufig genanntes Hindernis ist die Vergütung. Insbesondere in Therapiezentren, in denen den betriebswirtschaftlichen statt der therapeutischen Outcomes eine höhere Gewichtung zukommt, kann sich die Interdisziplinarität nicht gegen die finanziellen Interessen durchsetzen. Dieses Hindernis resultiert laut den Teilnehmenden jedoch aus dem aktuellen Vergütungssystem, das keine Abrechnungsposition für interdisziplinäre Maßnahmen in der ambulanten Therapie vorsieht. Zusätzlich zu diesen organisatorischen und strukturellen Problematiken erachten die Gruppenmitglieder persönliche Faktoren als Kontraindikationen der interdisziplinären Zusammenarbeit. Unkollegiales Verhalten, fehlende Bereitschaft sowie unzureichende Kenntnisse und Fähigkeiten wirken sich demnach negativ auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus.

Bestehende und zukünftige Lösungsansätze

Gemäß den Ergebnissen des Fokusgruppeninterviews liegt das Hauptpotenzial zur Überwindung einer Vielzahl der vorab beschriebenen Barrieren in der Digitalisierung (siehe Abb. 3). Demnach können einige der Kommunikations- und Dokumentationsbarrieren durch die Nutzung digitaler Praxisprogramme und Dokumentationsplattformen aufgehoben werden. Laut den Teilnehmenden vereinfachen die digitalen Hilfsmittel den ambulanten Praxisalltag und fördern die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die digitale und stets zugängliche Dokumentation wird zudem in Vertretungssituationen oder im Falle eines Therapeut*innenwechsels geschätzt. Außerdem können Unterbrechungen von Informationsketten und weitere Kommunikationsprobleme mithilfe von Diensthandys vorgebeugt werden. Letztendlich dient die Nutzung der digitalen Medien dem Ziel, den Austausch der Berufsgruppen zu vereinfachen. Dies verdeutlicht, dass die Kommunikation in den Augen der Teilnehmenden eine bedeutsame Rolle spielt, um einige der zuvor beschriebenen Barrieren aufzuheben. Die Teilnehmenden sind jedoch der Meinung, dass das Potenzial der Digitalisierung bisher noch nicht vollständig ausgeschöpft werde. Genannt wird z. B. die Nutzung digitaler Patient*innenakten, die sowohl zur Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit als auch des Austauschs zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen beitragen können.

Weiterer Handlungsbedarf besteht gemäß den Gruppenmitgliedern auf berufs- und bildungspolitischer Ebene, um die allgegenwärtigen und essenziellen Barrieren der interdisziplinären Zusammenarbeit in der ambulanten Therapie aufzuheben. Einheitliche Vorschriften und ein adäquates Vergütungssystem scheinen notwendig, um die interdisziplinäre Kooperation in der ambulanten Therapie zu etablieren. Zudem sollten Gesundheitsfachkräfte im Rahmen der Berufsausbildungen/Studiengänge sowie Fort- und Weiterbildungen in interdisziplinären Kenntnissen und Fähigkeiten und ihrer Anwendung geschult werden.

DISKUSSION
Begriffsverständnis und Differenz zwischen dem multi- und interdisziplinären Teammodell

Sowohl nach Auffassung der Gruppenmitglieder als auch der Fachliteratur ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe durch die fachübergreifende Kommunikation, die gemeinsame und ganzheitliche Zielformulierung sowie die Durchführung von Co-Therapien gekennzeichnet (Mokrusch, 2021; Schmitz, 2022). Das Agieren „nebeneinander“ sowie das Verfolgen voneinander unabhängiger, fachspezifischer Behandlungsziele ist dagegen ausschlaggebend für das multidisziplinäre Teammodell (Mokrusch, 2021; Schmitz, 2022). Obgleich die befragten Therapeut*innen eine gemeinsame Auffassung und ein einheitliches Begriffsverständnis bezüglich der beiden Teammodelle aufweisen, ist in der internationalen Literatur eine uneinheitliche Begriffsverwendung zur Bezeichnung der fachübergreifenden Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe erkennbar (Mahler et al., 2014; Meier, Kleinberger & Gerber-Grote, 2022).

Die Ergebnisse des Fokusgruppeninterviews lassen darauf schließen, dass sich die fächerübergreifende Zusammenarbeit positiv auf die Teamarbeit der Ergo-, Physiotherapeut- und Logopäd*innen in der ambulanten Therapie auswirkt. Aufgrund der ganzheitlichen Sichtweise und den teils überschneidenden Fachkompetenzen sind die Therapeut*innen in der Lage, sich im interdisziplinären Praxisalltag gegenseitig zu unterstützen. Auch Körner und Bengel (2004) kommen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die Teamarbeit von den Akteur*innen besser bewertet wird und der Teamerfolg bei Anwendung des interdisziplinären Teammodells höher ist als bei der multidisziplinären Kooperationsform.

Gestaltungsmöglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit in der ambulanten Therapie

Die Ergebnisse des Fokusgruppeninterviews zeigen, dass der gemeinsame, fachübergreifende Austausch über die Behandlungsziele, Interventionen und Therapieplanung sowie die Durchführung der Co-Therapien als interdisziplinäre Maßnahmen im Praxisalltag der Teilnehmenden angewendet werden. Diese Merkmale gelten ebenfalls laut Körner und Becker (2017) als ausschlaggebend für die praktische Umsetzung des interdisziplinären Teammodells. Bezüglich der Moderation der Teamsitzungen wird anhand der Aussagen der Teilnehmenden ersichtlich, dass diese nicht einer Person bzw. Berufsgruppe vorbehalten ist. Diese Stufenordnung ist meist in der klinischen Praxis durch die Dominanz der Ärzteschaft anzutreffen, gilt jedoch auch im ambulanten Setting als Barriere für eine effektive interdisziplinäre Zusammenarbeit (O'Reilly et al., 2017). Das Agieren auf Augenhöhe, wie es in den vertretenen Therapiezentren Zuspruch und Anwendung findet, wirkt sich hingegen förderlich auf die berufsgruppenüberschreitende Teamarbeit aus (Rawlinson et al., 2021; Schmitz, Atzeni & Berchtold, 2020). Zusätzlich zu den formellen Teamsitzungen finden die Gespräche zwischen den Fachkräften während inoffiziellen Austauschmomenten statt. Diese spontanen und schnellen Kontaktmöglichkeiten gelten als bedeutsame Förderfaktoren für die interdisziplinäre Zusammenarbeit (Franz, Muser, Thielhorn, Wallesch & Behrens, 2020).

Die berufsgruppenüberschreitende Dokumentation sowie deren Zugänglichkeit gilt in den Augen der Diskussionsteilnehmenden als bedeutsames Merkmal für die Gestaltung der Interdisziplinarität. Die Ergebnisse lassen jedoch darauf schließen, dass die handschriftliche Dokumentationsform trotz der Vorzüge digitaler Dokumentationsplattformen zum Teil noch in den vertretenen Therapiezentren angewendet wird (Lux, 2019). Dennoch wirkt sich die Nutzung digitaler Informationssysteme laut den Teilnehmenden sowohl positiv auf die berufsgruppenübergreifende Dokumentation der Therapieziele und -inhalte als auch auf die gemeinsame Therapieplanung aus. Zudem wird die Gestaltung gemeinsamer Co-Therapien durch die uneingeschränkte Zugänglichkeit und Einsicht in die Terminplanung der anderen Therapeut*innen gefördert. Bestätigt wird dies durch die Studienergebnisse von Schouten et al. (2021), die auf die Vorzüge der digital unterstützten Interdisziplinarität im Kontext der außerklinischen Praxis verweisen.

Rahmenbedingungen, Barrieren und Zukunftsperspektiven interdisziplinärer Zusammenarbeit

Als essenzielle Voraussetzungen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit gilt laut den Ergebnissen des Fokusgruppeninterviews sowie der bestehenden Literatur das Erfüllen der notwendigen personellen, räumlichen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen (Rawlinson et al., 2021; Schmitz, Atzeni & Berchtold, 2020; Schot, Tummers & Noordegraaf, 2019). Die örtliche Trennung der ambulanten Versorgungseinrichtungen stellt jedoch insbesondere in der außerklinischen Versorgung ein Hindernis für die fachübergreifende Kooperation dar (Grunwald & Höppner, 2014; Rawlinson et al., 2021). Der Austausch zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen wird aktuell nur dann ermöglicht, wenn diese zu einem festgelegten Zeitpunkt und Ort zusammenkommen. Doch auch die von den Teilnehmenden geschätzten informellen Gesprächssituationen werden durch die räumlichen Begegnungszonen begrenzt. Entsprechend gilt es als kommunikations- und kooperationsfördernd, wenn die unterschiedlichen Berufsgruppen lokal an einem gemeinsamen Standort vertreten sind (Franz et al., 2020). Können diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, liegt das Hauptpotenzial zur Überwindung dieser Barrieren in der Nutzung digitaler Medien, die eine zeitlich und räumlich unabhängige Interdisziplinarität ermöglichen (Maria, Serra & Heleno, 2022; Schouten et al., 2021). Zudem kann die Digitalisierung Vernetzungsoptionen zwischen verschiedenen ambulanten Einzelpraxen und stationären Einrichtungen, z. B. im Rahmen des Entlassungsmanagements bieten (Schouten et al., 2021). Internationale Studien bestätigen, dass die Faktoren „Zeit“ und „Finanzierung“ die Hauptursachen für die unzureichende fächerübergreifende Zusammenarbeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung darstellen (Albassam, Almohammed, Alhujaili, Koshy & Awad, 2020; Grunwald & Höppner, 2014; Schmitz, Atzeni & Berchtold, 2020). Aufgrund der fehlenden Abrechnungsposition interdisziplinärer Maßnahmen im Heilmittelkatalog erscheinen diese für die Einrichtungsinhaber*innen aus rein ökonomischer Sicht in erster Linie wenig lukrativ und attraktiv. Hinzu kommt, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der ambulanten Rehabilitation nicht als verpflichtend, sondern lediglich als Rahmenempfehlung gilt (BAR, 2021). Es gilt das Motto: „Wer nicht will, der muss auch nicht (RBS, 2011, S. 9)“. Entsprechend erfolgen die interdisziplinären Maßnahmen in der außerklinischen Praxis ausschließlich auf Basis des persönlichen Engagements bzw. auf Initiativen der Führungskräfte und Therapeut*innen. Wie in der Literatur beschrieben, richten sich auch die in dem Fokusgruppeninterview aufgeführten Ansätze zur Aufhebung der zeitlichen und finanziellen Problematiken gezielt an die (berufs-) politische Ebene. Es bedarf bundesweiter, einheitlicher Richtlinien sowie einer adäquaten Vergütung, um die Implementierung interdisziplinärer Maßnahmen in Zukunft im außerklinischen Setting zu ermöglichen (Grunwald & Höppner, 2014; Schmitz, Atzeni & Berchtold, 2020; Schouten et al., 2021). Doch auch, wenn die geforderten organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen erfüllt werden sollten, sind die persönlichen Faktoren, Einstellungen und Verhaltensweisen der Beteiligten entscheidend für die Qualität, mit der die interdisziplinäre Zusammenarbeit letztendlich erfolgt. Während der ambulante Kontext noch stets mit grundlegenden Hindernissen zu kämpfen hat, befassen sich Studien im klinischen Setting bereits mit der Frage, wie die Kommunikation zwischen den Fachkräften verbessert und so hochwertig wie möglich gestaltet werden kann (Eddy, Jordan & Stephenson, 2016; Etherington et al., 2021; Franz et al., 2020). Ungeachtet des Settings können Analyseinstrumente, wie z. B. die SWOT-Analyse (Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken)) (Winkelmann, Aigner, Renner & Schlund, 2013) und Gesprächstechniken (Motivierende Gesprächsführung (Miller & Rollnick, 2015) oder Gewaltfreie Kommunikation (Rosenberg, 2016)), zur Verbesserung der Teamarbeit und Kommunikation eingesetzt werden.

Stärken und Limitationen

Das Format der online Fokusgruppe ermöglichte eine deutschlandweite Teilnahme interdisziplinärer, ambulanter Einrichtungen. Zudem konnten mithilfe des aktiven Austausches und der Gruppendynamik neue, zielführende Erkenntnisse gewonnen werden. Diese Aspekte stellen Vorteile gegenüber anderen qualitativen Forschungsmethoden dar (Vogl, 2019). Andererseits kann die Konstellation der Fokusgruppe samt der offenen Atmosphäre dazu führen, dass sich einzelne Teilnehmende zurückziehen oder Gruppenphänomene, wie die soziale Erwünschtheit oder die Anpassung bzw. Unterordnung an dominante Gesprächsteilnehmende auftreten (Vogl, 2019). Dies konnte während des Fokusgruppeninterviews zwar durch die Moderation unterbunden werden, eine Verzerrung der Ergebnisse durch die Methodenwahl lässt sich jedoch nicht ausschließen. Ebenso erfolgte die Datenerhebung, -auswertung und -analyse lediglich durch die Erstautorin. Diese mangelnde Intercoderreabilität könnte ebenfalls zu Verzerrungen geführt haben.

Die Rekrutierung der Studienteilnehmenden erfolgte im Rahmen eines „Convenience Sampling“, das zum Teil über persönliche Kontakte der Erstautorin erfolgte (Akremi, 2019). Dabei sollte jedoch hervorgehoben werden, dass der persönliche Kontakt lediglich zu den Gatekeeper*innen, jedoch nicht zu den Teilnehmenden selbst bestand. Dennoch standen die Teilnehmenden teilweise im persönlichen Kontakt zueinander, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben könnte (Schnell & Dunger, 2018). Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, dass sich das Sampling der Studie ausschließlich auf die drei Berufsgruppen der Ergo-, Physiotherapie und Logopädie bezieht. Auf diese Weise wurden die Sichtweisen weiterer Gesundheitsfachkräfte, die im Rahmen der Interdisziplinarität in der ambulanten Praxis ebenfalls von Bedeutung sind, ausgeschlossen. Die Auffassungen und Denkansätze weiterer Berufsgruppen könnten sich positiv auf die Optimierungsvorschläge auswirken und sollten in zukünftige Forschungsarbeiten einbezogen werden.

Die Arbeit bietet aufschlussreiche Einblicke in die aktuelle Umsetzung der interdisziplinären Zusammenarbeit in deutschen ambulanten Therapiezentren der Neurorehabilitation. Dennoch sollten die Ergebnisse der Studie angesichts der einmaligen Diskussionsrunde und der überschaubaren Anzahl an Diskussionsteilnehmenden bzw. vertretenen Therapiezentren nicht generalisiert und auf die allgemeine außerklinische Praxis übertragen werden. Die externe Validität wird durch die Vielfalt der Arbeitsfelder und Praxisformen, in denen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Ergo-, Physiotherapie und Logopädie stattfinden kann, begrenzt. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit kann in Abhängigkeit des Versorgungssettings und weiter Kontextfaktoren sehr unterschiedliche Formen annehmen und sollte daher differenziert betrachtet werden (Rawlinson et al., 2021). Diese Differenzierung sollte ebenfalls bei der Übertragbarkeit der Ergebnisse berücksichtigt werden. Demnach handelt es sich bei den in der Studie vertretenen Einrichtungen um ambulante Therapiezentren, in denen die verschiedenen Berufsgruppen unter einem Dach vertreten sind. Die Gewährleistung dieser räumlichen Rahmenbedingung hat einen bedeutsamen Einfluss auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit und somit ebenso auf die Ergebnisse der Forschungsarbeit. Die Bedeutung der unterschiedlichen Kontextfaktoren spielt jedoch auch hinsichtlich der in den Ergebnissen präsentierten Lösungsansätzen eine essenzielle Rolle. Auch hier gilt: ambulant ist nicht gleich ambulant (Schmitz, Atzeni & Brechtold, 2020). Obgleich einige Lösungsansätze auf bildungs- und berufspolitischer Ebene allgemeingeltend sind, existiert zur Behebung anderer, kontextbedingter Schwierigkeiten kein Goldstandard. Demnach sollte der in der Studie verwendete Begriff „Best-Practice-Beispiele“ unter Vorbehalt interpretiert werden, da die Praxisbeispiele lediglich Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen und zu Lösungsansätzen anregen sollen (Schmitz, Azteni & Berchtold, 2020).

SCHLUSSFOLGERUNG

Die Ergebnisse veranschaulichen, wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen Ergo-, Physiotherapie und Logopädie aktuell in ambulanten Neurorehabilitationseinrichtungen in Deutschland umgesetzt wird. Die Nutzung digitaler Praxis-Software und Kommunikationswege bietet einen konkreten Lösungsansatz für die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Überbrückung räumlicher Distanzen im außerklinischen Versorgungskontext. Weitere zukünftige Lösungsansätze bestehen auf bildungs- und berufspolitischer Ebene durch den Aufbau eines adäquaten Vergütungssystems sowie gesetzlicher Vorschriften, die die Ausführung interdisziplinärer Maßnahmen im ambulanten Setting gewährleisten. Gesundheitsfachkräfte sollten bereits während der Berufsausbildung/des Studiums und im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen in der Anwendung von Kommunikationsstrategien sowie interdisziplinären Kenntnissen und Fähigkeiten geschult werden, um kooperationsfördernde Einstellungen und Verhaltensweisen auf individueller Ebene zu fördern. Eine einheitliche Terminologie bezüglich der diversen Kooperationsformen sollte ebenfalls frühzeitig vermittelt werden, um der bestehenden terminologischen Unklarheit entgegenzuwirken und Kommunikationsbarrieren abzubauen.

eISSN:
2296-990X
Sprachen:
Englisch, Deutsch
Zeitrahmen der Veröffentlichung:
Volume Open
Fachgebiete der Zeitschrift:
Medizin, Klinische Medizin, andere