Uneingeschränkter Zugang

Health literacy of patients with chronic diseases – quantitative results of a mixed methods study in primary healthcare / Gesundheitskompetenz von Menschen mit chronischer Erkrankung – quantitative Ergebnisse einer Mixed-Methods-Studie in der Primärversorgung


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EINLEITUNG UND FRAGESTELLUNG
Die Suche nach Gesundheitsinformationen

Um Entscheidungen für die eigene oder für die Gesundheit von Angehörigen zu treffen, befinden sich Menschen heute ständig in der Situation, Informationen zu finden, zu filtern und einzuschätzen (Sørensen et al., 2021). Aufgrund der globalen Transformationsprozesse werden solche Momente prognostisch ansteigen – zum Beispiel akute Informationsbedarfe durch Pandemien (Okan et al., 2021), Anpassungen an Klimaveränderungen (Rocque et al., 2021). Im Besonderen steigen die Anforderungen für Menschen mit chronischen Erkrankungen (MmcE) (Schaeffer et al., 2020; Griese, 2022). Der Zugang zu Gesundheitsinhalten verändert sich fortschreitend mit dem technologisch-digitalen Wandel, denn der Informationsfluss sowie die Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten nehmen rapide zu. Neben der klassischen Informationssuche in Apotheken, Arztpraxen und Beratungsstellen recherchiert die Mehrheit der deutschen Bevölkerung heute online nach Gesundheitsinhalten und -dienstleistungen (Koch & Steckelberg, 2023). Auch die Reichweite gesundheitsbezogener Auskünfte über Social Media (z. B. TikTok©) und Videoplattformen (z. B. YouTube©) ist angestiegen (Schulenkorf & Pinheiro, 2022). Diese Online-Portale werden unabhängig von sozialer Gruppe, Alter und Geschlecht genutzt (Chou, 2018; Sprout Social, 2023). Seit einigen Jahren erweitern sich zudem die Zugangsoptionen durch frei zugängliche Chatbots mit künstlicher Intelligenz, wie z. B. ChatGPT (OpenAI, 2023), die Fragen zu Krankheitsrisiken-, Diagnosen und Vorbeugung beantworten und Informationen über Gesundheitsdienste wiedergeben (Biswas, 2023). Heute ist es daher den meisten Menschen möglich, sich ad hoc, autonom, ortunabhängig und ohne vorhandene Fachkenntnisse über Themen zu erkundigen. Der Umgang mit gesundheitsrelevanten Daten hat sich dadurch verändert und bringt Herausforderungen für die kritische Bewertung von Wissen, zum Beispiel durch die Verbreitung von Fehlinformationen, mit sich. Nach seriösen Informationen zu suchen, diese wachsam zu betrachten und richtig einzuordnen, ist ein komplexer kognitiver Prozess, der sich vor dem Hintergrund der Datenvielfalt schwierig gestalten kann. Die Fähigkeit, Informationen kritisch zu beurteilen und kontextspezifisch anzuwenden, ist mehr denn je relevant (Schaeffer& Gille, 2021, Zarcostas, 2020). Durch das grenzenlose, allzeit verfügbare Wissen wird der Anspruch zur Eigenverantwortung begünstigt. Dies geschieht, indem Erwartungen an Individuen konstruiert werden, die vorhandenen Fakten möglichst optimal für die eigene Gesundheit zu nutzen (Baumeister et al., 2023). Doch basiert das Maß an Kompetenzen im Umgang mit Gesundheitsinhalten nicht allein auf persönlichen Fähigkeiten, sondern ist kontextspezifisch (Bitzer & Sørensen, 2018). Gesundheitswissen und die Suche nach Informationen wird durch soziale Determinanten und die Lebensverhältnisse, in denen Menschen aufwachsen und leben, beeinflusst.

Aktueller Stand der Forschung in Deutschland

Das Konzept der Gesundheitskompetenz (GK) ist daher inzwischen ein hochrelevantes gesellschaftliches Thema unserer Zeit (Schaeffer & Gille, 2021), das sich stetig weiterentwickelt (Baumeister et al., 2023). In der Wissenschaft wird GK hinsichtlich verschiedener Facetten betrachtet: Es liegen repräsentative Daten zu personalen Fähigkeiten (Jordan & Hoebel, 2015; Schaeffer et al. 2016) sowie zur digitalen, navigationalen, organisationalen und kommunikativen GK in der deutschen Bevölkerung (HLS-GER-Surveys) vor (Schaeffer et al. 2017; Schaeffer et al., 2021). Die professionelle GK einzelner Heilberufe (Schaeffer et al., 2023), die klimaspezifische/planetare GK (Jochem et al., 2022) sowie die GK von Menschen mit Migrationshintergrund (Berens et al., 2022) sind zudem zwei weitere aktuelle Forschungsthemen in Deutschland. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung ihre (kritischen) Fähigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen als eher gering einschätzt (Schaeffer et al. 2021; Jordan & Hoebel, 2015) und sich eine Verschlechterung der Kompetenzen insgesamt abzeichnet (Schaeffer et al. 2021). Die Daten bilden ab, dass GK eng mit demografischen Faktoren, sozialer Deprivation und Gesundheitsstatus assoziiert ist (Schaeffer et al. 2021; Bittlingmeyer & Bitzer, 2022). Das berichten auch die vorliegenden Studiendaten für die Gruppe chronisch kranker Menschen. Faktoren die zur Krankheitsbewältigung beitragen, wie z. B. die Therapiemotivation, scheinen eng mit dem Kompetenzlevel verknüpft zu sein (Schaeffer et al., 2021; Griese, 2022).

Gesundheitskompetenz und chronische Erkrankung

Zur GK in Zusammenhang mit chronischer Erkrankung berichten die HLS-GER-I/II-Studien für Deutschland (Schaeffer et al., 2020; 2017), dass Menschen mit chronischer Erkrankung (MmcE) ihre Anforderungen im Umgang mit Gesundheitsinformationen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung als schwieriger einschätzen (Schaeffer et al., 2020; 2017). Sie schätzen ihre GK, insbesondere im Bereich der Krankheitsbewältigung/- versorgung, häufiger inadäquat bis problematisch ein, und sie ist sozial ungleich verteilt (Schaeffer et al, 2020). Griese (2022) berichtet in einem scoping review, dass die vorhandenen Studien für Deutschland bisher überwiegend einzelne hochprävalente Krankheitsdiagnosen und spezielle Gruppen fokussieren und weiterführende Analysen fehlen (Griese, 2022). Daher wird zusätzliche Evidenz benötigt, um für diese Dialoggruppe bedarfsgerechte Interventionen abzuleiten (Schaeffer& Gille, 2021). Ein wichtiger Ansatz dafür stellt die Orientierung an der Lebenswelt dar, in der gesundheitskompetente Strukturen die Entwicklung von Fähigkeiten befördern können (Abel et al., 2018). Es gilt, die sozio-kulturellen und ökonomischen Kontexte und Ressourcen in der Interventionsplanung zur Förderung der GK von MmcE zu berücksichtigen. Welche Fähigkeiten bringen die Menschen mit und in welchem Kontext sind sie erreichbar? Dafür bietet das kommunale Setting eine optimale Basis als sozialer Raum, um Menschen alltagsnah zu begegnen (Böhme & Stender, 2015). Gesundheitskompetente Einrichtungen der Primärversorgung haben demnach großes Potenzial, denn sie sind insbesondere für MmcE ein häufig frequentierter Bereich im Gesundheitssystem. Hier ist die Rolle von Gesundheitsprofessionen entscheidend für die Stärkung von GK. Angesichts der Informationszunahme steigt die fachliche Verantwortung einen gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen (AACN, 2021), vor allem für MmcE als häufige Nutzer:innen des Systems.

Professionelle Gesundheitskompetenz Pflegender im Kontext der Versorgung von MmcE

Die Ergebnisse der HLS-PROF-GER-Studie (Schaeffer et. al, 2023) bekräftigen die Relevanz professioneller GK für die Optimierung der deutschen Gesundheitsversorgung. Ärztliche- und Pflegefachpersonen in Deutschland weisen aktuell ein geringes Wissen zum Konzept und den Methoden von GK auf. Die organisationalen Rahmenbedingungen werden von den befragten Pflegefachpersonen dabei signifikant schlechter beurteilt (Schaeffer et al., 2023). Die Studie betont, dass Handlungsbedarf bei der Verbesserung professioneller GK in Deutschland besteht. Der Ausbau professioneller und organisationaler GK ist unerlässlich, um einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsinformationen im Versorgungs-Setting zu ermöglichen, weg von der Einzelverantwortung und hin zu einem systembezogenen Ansatz (Schaeffer et al., 2020; 2023).

Patientenorientierte Kommunikation stellt sowohl für ärztliches Personal (Makoul, 2011) als auch für pflegerelevante Routineaufgaben eine Kernkompetenz dar. Pflegende verwenden Informations- und Kommunikationstechnologien direkt und indirekt in ihrer Arbeit (AACN, 2021). Die Potenziale von Pflegefachpersonen werden in anderen Ländern bereits genutzt (Speros, 2011; Laing et al., 2020). Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass pflegegeleitete Strategien zur GK-Förderung bereits Anwendung finden, wie zum Beispiel die evidenzbasierte Kommunikationsstrategie „teach-back“, mit der Patient:innen befähigt werden, gelernte Inhalte in eigenen Worten wiederzugeben und diese dadurch besser zu verstehen (Talevski et al., 2020; Anderson et al., 2020). Für Deutschland bilden die erweiterten Tätigkeitsfelder pflegerischer Praxis im Sinne des Advanced Nursing Practice/Community Health Nursing (ANP/CHN) eine Chance, bereits bewährte Strategien zur Förderung der GK in die (primäre) Versorgungspraxis zu etablieren. Pflegegeleitete, gesundheitskompetente Versorgungskonzepte können ein sensibler Ansatz für MmcE sein, um sich mit Gesundheitsleistungen vertraut zu machen und ihr Selbstmanagement im Verlauf chronischer Krankheit zu stärken. Die Etablierung solcher Konzepte in der Primärversorgung und in der direkten Lebenswelt (wohnortnah) ist wesentlich, um Menschen in schwierigen Lebenslagen zu erreichen. Neben den Ergebnissen aus den bevölkerungsbasierten Studien, können kleinräumige Untersuchungen einen Beitrag leisten, Hinweise auf kontextspezifische Bedürfnisse und vorhandene Kompetenzen bei MmcE in ihrer Lebenswelt zu identifizieren und auf dieser Basis Strukturen und Interventionen zu entwickeln.

Im vorliegenden Beitrag wird die selbsteingeschätzte GK von MmcE fokussiert und anhand der folgenden forschungsleitenden Fragestellungen adressiert:

- Wie schätzen Menschen mit chronischer Erkrankung ihre GK in den Bereichen „Finden“, „Verstehen“, „Beurteilen“ und „Anwenden“ insgesamt ein? Bestehen Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und Alters, der Bildung, des Einkommens und der Erkrankung bei der Einschätzung?

- Welche Differenzen zeichnen sich in der Einschätzung der GK in den Anforderungen „Finden“, „Verstehen“, „Beurteilen“ und „Anwenden“ und zwischen den Bereichen „Krankheitsbewältigung und Versorgung“, „Prävention und Gesundheitsförderung“ sowie „navigationale und kommunikative GK“ ab?

Zusätzlich wird im Beitrag das Potenzial erweiterter pflegerischer Praxis für die Förderung von GK diskutiert.

METHODE
Studiendesign

Die forschungsleitenden Fragestellungen werden im Rahmen einer Mixed-Methods-Studie untersucht. Beim Studiendesign handelt es sich um ein Vertiefungsdesign (explanatory sequential design) nach Creswell (2014), das verschiedene Perspektiven zur Einschätzung der GK der Befragten berücksichtigt, um ein tieferes Verständnis der Ergebnisse zu generieren. Das Sampling erfolgt identisch, das heißt, die Teilnehmenden derselben Studienkohorte werden in zwei aufeinanderfolgenden Phasen befragt (1. quantitative Fragebogenerhebungen und 2. qualitative Einzelinterviews). Die Integration der Daten erfolgt verknüpft, um eine nachfassende qualitative Analyse zur Erklärung der quantitativen Daten zu ermöglichen (Creswell, 2014). Die Studie ist von der Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke (Verfahrensnummer: 197/2021) in Übereinstimmung mit den ethischen Standards der Deklaration von Helsinki genehmigt worden. Die quantitativen Ergebnisse beruhen auf primären Studiendaten der Costa Studie

Die CoSta-Studie wurde von der Ethikkommission des Kompetenzzentrums Gesundheit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg im März 2021 (Verfahrensnummer: 2020–14) in Übereinstimmung mit den ethischen Standards der Kommission und der Deklaration von Helsinki genehmigt [Nock et al., 2022a].

, in der chronisch kranke Patient:innen ab 18 Jahren aus einem Gesundheitszentrum (Poliklinik-Veddel

http://poliklinik1.org/

) zu drei aufeinanderfolgenden Messzeitpunkten u.a. zu ihrer Lebensqualität, GK und Krankheitsbewältigung befragt wurden (Nock et al., 2022a). Zur Einordnung der hier im vorliegenden Beitrag dargestellten quantitativen Datenanalyse wird im Folgenden die primäre Studie beschrieben.

Grundgesamtheit und Stichprobe

Die CoSta-Studie, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), hat ein pflegegeleitetes Konzept für die Versorgung von MmcE entwickelt (Nock et al., 2022b), das in einem prospektiven, monozentrischen, 2-armigen randomisiert-kontrollierten Design (Interventions- und Kontrollgruppe) getestet worden ist. Die Testung umfasste eine 12-monatige Versorgung durch zwei CHNs, die sich aus drei pflegegeleiteten Interventionen zusammensetzte: (1) Ein Hausbesuch pro Monat, (2) wöchentliche Pflegesprechstunden (thematisch und offen) sowie (3) monatliche Schulungen (z. B. Bluthochdruckschulung). Die Rekrutierung der Teilnehmenden erfolgte über das Team der Poliklinik-Veddel und durch Mitarbeitende des Forschungsteams vor Ort in der hausärztlichen Praxis sowie per Telefon. Vor der Einwilligung zur Teilnahme wurden die Befragten über die Studienziele, die zufällige Gruppenzuweisung und die Datenschutzmaßnahmen aufgeklärt (Nock et al., 2022a). Insgesamt konnten 95 Personen mit verschiedenen chronischen Diagnosen anhand der definierten Kriterien eingeschlossen werden, von denen 89 gültige Datensätze zur Baseline analysiert werden konnten. Die Werte zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (auf Grundlage der SF-36 Summenskalen) fielen in der Stichprobe geringer und abweichend von den Normwerten der Studie von Bullinger& Kirchberger (1998) aus. Von den 89 Studienteilnehmenden war die Mehrheit (57 %) weiblich und im Durchschnitt 57 Jahre alt. Der größte Teil der Befragten hatte bis zu zwei chronische Diagnosen. Davon waren die häufigsten muskuloskelettale Krankheiten, Hypertonus und Diabetes mellitus. Die Mehrheit der Stichprobe wurde außerhalb Deutschlands geboren. Weiterhin gab der größte Teil der Personen ein durchschnittliches Monats-Nettoeinkommen bis 2000 Euro und darunter an. Die absoluten und relativen Häufigkeiten der Stichprobenmerkmale sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Stichprobenbeschreibung

Gesamt (n = 89) n (gültige %) fehlend
Geschlecht n = 1
Weiblich 51 (57,3)
männlich 36 (40,4)
Divers 1 (1,1)
Alter (Mean ± (SD); range) 56,96 (13,639); 23–88 Jahre
Geburtsort n = 1
Deutschland 40 (45,5)
Türkei 28 (31,8)
Andere 20 (22,7)
Nationalität n = 2
Deutsch 45 (51,7)
Türkisch 25 (28,8)
Andere 17 (19,5)
Personen im Haushalt Mean ± (SD) 2,2614 (1,29094) n = 1
Nettoeinkommen im Haushalt n = 8
Bis unter 500 € 7 (8,6)
500 bis unter 1000 € 17 (21,0)
1000 bis unter 2000 € 36 (44,4)
2000 bis unter 3000 € 17 (21,0)
3000 bis unter 4000 € 2 (2,5)
4000 € und mehr 2 (2,5)
Schulbildung n = 1
Kein Abschluss 20 (22,7)
Abschluss nach höchstens 7 Jahren/Schulbesuch 4 (4,5)
Haupt-/Volksschule 30 (34,1)
Realschule/Mittlere Reife/Polytechnische Oberschule 15 (17,0)
Abitur, allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife, erweiterte Oberschule, Fachhochschulreife/Fachoberschule 15 (17,0)
Anderer Schulabschluss 4 (4,5)
Erwerbstätigkeit n = 9
Vollzeit beschäftigt 52 (65,0)
Teilzeit beschäftigt 22 (27,5)
Geringfügig beschäftigt 6 (7,5)
Dauer Erkrankungen in Monaten (Mean ± (SD)) 175,79 (143,85)
Diagnosen nach Häufigkeit
Erkrankungen des Bewegungsapparates 31 (34,8)
Diabetes mellitus/Hypertonus jeweils 29 (32,6)
Atemwegserkrankungen 24 (27,0)
Herz-Erkrankungen/chronische Schmerzen jeweils 19 (21,4)
Depression 10 (11,2)
Anzahl chronischer Erkrankungen
bis 2 Erkrankungen 56 (62,9)
über 2 Erkrankungen 33 (37,1)
Messinstrumente zur Gesundheitskompetenz

Allgemeine funktionale GK: Die Erfassung erfolgte mithilfe des standardisierten Fragebogens HLS-EU-Q16 (Röthlin et al., 2013, Jordan& Hoebel, 2015). Bei der HLS-Q16-Kurzversion handelt es sich um einen validierten Kurzfragebogen zur GK, der im Rahmen des European Health Literacy Survey (HLS-EU) (Sørensen et al., 2013) entwickelt worden ist und 16 Fragen zur Gesundheitsversorgung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung umfasst und die Items der Langversion (HLS-EU-Q47) ausgewogen abbildet (Jordan& Hoebel, 2015). Das Instrument enthält die vier Dimensionen „Zugang“, „Verstehen“, „Beurteilung“ und „Anwendung“ von Informationen zur allgemeinen GK in den Bereichen „Gesundheitsversorgung“, „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“. Die jeweilige Einschätzung wird auf einer 4-stufigen Likert-Skala von „sehr einfach“ bis „sehr schwierig“ beantwortet. Die standardisierte Auswertung beinhaltet die Berechnung von Punktwerten, aus denen drei Kompetenz-Level geformt werden: 1. „ausreichende GK“ (13 bis 16 Punkte), 2. „problematische GK“ (9 bis 12 Punkte) und 3. „unzureichende GK“ (0 bis 8 Punkte).

Auf Grundlage des Auswertungsschemas der Skalenentwickler Röthlin et al. (2013) wurden für die vorliegenden Analysen die Ausprägungen der einzelnen Items in einem ersten Schritt dichotomisiert und der Summen-Score zur allgemeinen GK berechnet. Um den Punktsummen-Score zu berechnen, mussten mindestens 14 der 16 Items des Instruments von den Befragten beantwortet worden sein. Zur Erstellung des Scores wurden alle vorliegenden Werte addiert. Der Wertebereich lag zwischen 0 und 16 Punkten, wobei 0 Punkte, der am schlechtesten und 16 Punkte der am besten eingeschätzten GK entspricht. Abschließend konnten daraus drei Kompetenz-Level ermittelt werden (Röthlin et al., 2013; Jordan& Hoebel, 2015).

Navigationale und kommunikative GK: Zusätzlich wurden sechs Einzel-Items zur Messung der navigationalen (NGK) und kommunikativen GK (KGK) ausgewählt (Griese et al., 2020; Schaeffer et al., 2021), um Anforderungen der Studienteilnehmenden zum Zurechtfinden im Gesundheitssystem und den Kontakt/Gesprächen mit Gesundheitsprofessionen (Schaeffer et al., 2021) zu erfassen. Die Auswahl der sechs Fragen erfolgte auf Grundlage der Ergebnisse einer Fokusgruppendiskussion und zwei leitfadengestützten Einzelinterviews zum Versorgungsbedarf und der subjektiven Gesundheit im Quartier, die verschiedene Herausforderungen in der Navigation (z. B. Informationslücken zu COVID-19) und in der Kommunikation (z. B. Aufklärung bei ärztlichen Gesprächen) ergeben hat (Nock et al., 2022b). Zudem gaben persönliche Gespräche der Forschenden mit dem Praxisteam Hinweise auf vermutete Problemlagen, zum Beispiel dass Patient:innen Schwierigkeiten in der Beurteilung passender Zuständigkeiten im Gesundheitssystem haben. Für die Messung der navigationalen GK (NGK) wurden vier Items aus dem von Griese et al. (2020) entwickelten Instrument (unter Mitarbeit des HLS-19-Konsortiums) verwendet (Schaeffer et al., 2021). Es handelt sich um einen Fragebogen, der insgesamt 12 Items zur Abfrage von Schwierigkeiten bei Navigationsaufgaben im Gesundheitssystem in den vier Dimensionen „Finden“, „Verstehen“, „Beurteilen“ und „Anwenden“ von Informationen auf einer vierstufigen Likert-Skala umfasst und im Rahmen des Pretests des HLS-GER-2-Surveys als praxistauglich beurteilt wurde (Schaeffer et al., 2021). Für die Messung der kommunikativen GK (KGK) wurden zwei Items aus einem neu entwickelten Fragebogen genutzt, der insgesamt 11 Fragen zu Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit ärztlichem Personal erhebt und im Rahmen des HLS-19-Instruments und in Anlehnung an den „Calgary-Cambridge guide to the medical interview“ (Silverman et al. 2013) entwickelt wurde (Schaeffer et al., 2021).

Statistische Analyse

Für die Analyse wurden die Daten zur GK der Basiserhebung deskriptiv ausgewertet, um die demografischen, sozioökonomischen und klinischen Merkmale der Studienteilnehmenden zu vergleichen. Die Merkmalsausprägungen sind als Mediane, Mittelwerte und Standardabweichungen für kontinuierliche Variablen sowie als absolute Häufigkeiten und Proportionen für kategorische Variablen beschrieben (Koller, 2018). Für die Auswertungsstatistiken wurden Lage- und Streuungsmaße für die ordinal- und nominalskalierten Variablen berechnet: Für den HLS-EU-Q16 umfasste dies die Auswertung der kategorialen Werte (GK-Level) sowie die ordinalen Summenwerte, stratifiziert nach Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss, Einkommensgruppe sowie der Anzahl (unter 2 vs. über 2) und die Dauer der chronischen Erkrankungen (über 5 Jahre).

Darüber hinaus wurden die absoluten Häufigkeiten und prozentualen Anteile und deren 95-%-Konfidenzintervalle der Antwortkategorien „ziemlich schwierig“ und „sehr schwierig“ von den 16 Einzelitems zur allgemeinen funktionalen GK sowie den 6 Einzelitems zur NGK und KGK deskriptiv berechnet, wofür jeweils die äußeren Antwortoptionen dichotomisiert (1 = „sehr einfach“/„ziemlich einfach“ und 0 = „sehr schwierig“/ziemlich schwierig) wurden. Die Betrachtung der Häufigkeiten für die Einzel-Items ermöglichte es, Unterschiede in den Anforderungen zum Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Gesundheitsinformationen, die im Zusammenhang mit der Krankheitsbewältigung und Gesundheitsversorgung, Prävention/Gesundheitsförderung, Navigation und Kommunikation standen, festzustellen.

Anhand dieser mehrdimensionalen Analyse sollten – im Sinne des explanatory sequential design nach Creswell (2014) – die anteilig am häufigsten Einschätzungen „ziemlich schwierig“ und „sehr schwierig“ ermittelt werden, um diese dann für die qualitative Befragung aufzugreifen und tiefgreifend untersuchen zu können. Um mögliche Unterschiede in den Verteilungen der Variablen zu untersuchen, wurden Differenztests berechnet (Koller, 2018). Je nach Datenlage wurden der Chi-Quadrat-Test, der exakte Test von Fisher für erwartete Häufigkeiten < 5 angewendet (Koller, 2018). Für alle Tests wurde das zweiseitige Signifikanzniveau (α) auf 5 % festgelegt. Die deskriptiven Analysen wurden mit der Software IBM SPSS, Version 29.0, durchgeführt.

RESULTATE
Gesundheitskompetenz-Level und Summenscore des HLS-EU-Q-16

Von 77 Befragten (86,5 %) der Gesamtstichprobe (n = 89) lagen gültige Werte für mindestens 14 der HLS-Q16-Items vor, aus denen der ordinalskalierte Punktsummen-Score gebildet werden konnte. Die Auswertung zeigt, dass sich die Befragten durchschnittlich bei 10,84 Punkten (SD: 4,023) einordnen, wobei der geringste Punktwert bei 2 und der maximale Wert bei 16 Punkten lag. Die univariate Analyse zeigt, dass weniger als die Hälfte der Befragten sich auf Grundlage der HLS-Q16-GK-Level mit „ausreichend“ (39 %) einschätzte. Die Mehrheit der Stichprobe (61 %) gibt in der Basisdatenerhebung Schwierigkeiten im Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen an und liegt in der kategorialen Auswertung im Level-Bereich „problematisch“ (34 %) bis „inadäquat“ (27 %). Dabei sind keine signifikanten Unterschiede zwischen Frauen und Männern (p = 0,561) oder den Altersgruppen (p = 0,186) nachweisbar. Bei der Betrachtung der GK nach Nettoeinkommen zeigt sich, dass über die Hälfte derjenigen Befragten mit Angabe unter 1000 Euro eine problematische bis inadäquate GK aufweist. Studienteilnehmende mit niedrigem Bildungsabschluss schätzen ihre GK niedriger ein als diejenigen mit höherem Abschluss, jedoch ist der Unterschied nicht signifikant (p = 0,070). In der nach Krankheitshäufigkeit differenzierten Betrachtung zeigt sich, je geringer die Krankheitslast, desto höher der mittlere Kompetenz-Summen-Score, jedoch ohne signifikanten Unterschied (p = 0,427).

Betrachtung der Einzeldimensionen von Gesundheitskompetenz

Die relativen Anteile (Anhang 1) der Befragten für die Einzel-Items des HLS-EU-Q16 und der zusätzlichen Items zur navigationalen und kommunikativen GK mit den Angaben von „ziemlich schwierig“ oder „sehr schwierig“ (dichotomisierte Werte) variieren zwischen den einzelnen Fragen. Es zeigt sich, dass Probleme bei der Einschätzung von Gesundheitsinformationen in allen untersuchten Bereichen in der Mehrzahl der Einzel-Items bestehen. Von den 22 erhobenen Fragen werden 15 Fragen mit einem Drittel und mehr als „ziemlich schwierig“ und „sehr schwierig“ bewertet. In Tabelle 2 sind diejenigen Einzel-Items zur allgemeinen, navigationalen und kommunikativen GK zusammengefasst, die von den Befragten anteilig am häufigsten mit „schwierig“ beantwortet wurden. Die relativen Häufigkeiten für alle Einzel-Items sind in Tabelle 3 dargestellt. Tabelle 2 zeigt, dass in jeder Stufe der Informationsanforderung (Informationen finden, verstehen, beurteilen, anwenden) sowie jedem Bereich (Krankheitsbewältigung/Versorgung, Prävention, Gesundheitsförderung, NGK und KGK hohe Ausprägungen bei den Antwortkategorien „ziemlich schwierig“ bis „sehr schwierig“ vorliegen (Tab.2). Die Betrachtung auf den vier Ebenen der Informationsverarbeitung (Finden, Verstehen, Beurteilen, Anwenden) zeigt, dass den Befragten überwiegend das Finden von Inhalten sowie deren Anwendung schwerfällt. Mehrheitlich werden Items zur navigationalen GK schwierig beurteilt, zum Beispiel herauszufinden, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, um sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden (67 %) oder die Informationen zu Funktionen des Gesundheitssystems (z. B. Versorgungsmöglichkeiten) zu verstehen (63 %). Bei drei der vier erhobenen Items zur NGK gibt die Mehrheit der Befragten Schwierigkeiten im Finden, Verstehen sowie beim Beurteilen von Informationen bezüglich des Gesundheitssystems an. Die als schwierig beurteilten Anforderungen sind ebenfalls im Bereich Krankheitsbewältigung/Versorgung präsentiert, wie das Finden von Informationen über Therapien (48 %) oder das Erhalten von professioneller Hilfe im Krankheitsfall (42 %). Auf der Ebene „Prävention“ zeigen sich Schwierigkeiten beim Finden, Beurteilen und Anwenden von Informationen, u. a. die Beurteilung von vertrauenswürdigen Medieninformationen zu Gesundheitsrisiken (46 %). Hingegen wird das Verstehen von Gesundheitswarnungen (9 %) und das Verständnis zur Relevanz von Vorsorgeuntersuchungen (14 %) nur selten als schwierig beurteilt. Im Bereich der Gesundheitsförderung wird das Finden von Informationen zu Verhaltensweisen zu psychischer Gesundheit mit 42 %am häufigsten als schwierig eingeschätzt. Bei der KGK sieht sich die Hälfte der Stichprobe (50,0 %) vor Schwierigkeiten ärztliche Begriffe zu verstehen (vgl. Tab.3, Anhang).

Items für allgemeine, navigationale und kommunikative GK mit den höchsten Anteilen der Ausprägung „ziemlich schwierig/sehr schwierig“ (in Anlehnung an die Item-Matrix des HLS-EU-Q16)

Anforderungen
Bereich Gesundheitskompetenz Informationen finden Informationen verstehen Informationen beurteilen Informationen Anwenden
Krankheitsbewältigung und Versorgung Q1) Informationen über Therapien für Krankheiten, die Sie betreffen, zu finden? (48 %) Q5) Zu beurteilen, wann Sie eine zweite Meinung von einem anderen Arzt einholen sollten? (41 %) Q6) Mithilfe der Informationen, die Ihnen der Arzt gibt, Entscheidungen bezüglich Ihrer Krankheit zu treffen? (38 %)
Q2) Herauszufinden, wo Sie professionelle Hilfe erhalten, wenn Sie krank sind? (42 %)
Prävention Q8) Wie einfach/schwierig ist es, Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen, wie Stress oder Depression, zu finden? (44 %) Q11) Zu beurteilen, ob die Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien vertrauenswürdig sind? (46 %) Q12) Aufgrund von Informationen aus den Medien zu entscheiden, wie Sie sich vor Krankheiten schützen können? (39 %)
Gesundheits-Förderung Q13) Informationen über Verhaltensweisen zu finden, die gut für Ihr psychisches Wohlbefinden sind? (42 %)
Navigationale GK NGK10) herauszufinden welche Unterstützungs-möglichkeiten es gibt, um sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden (67 %) NGK1) Informationen darüber zu verstehen, wie das Gesundheitssystem funktioniert (63 %) NGK2) Beurteilen, welche Art der Gesundheitsversorgung im Fall eines Gesundheitsproblems benötigt wird (51 %) NGK11) In einer Gesundheitseinrichtung den richtigen Ansprechpartner für mein Anliegen ausfindig machen, z. B. im Krankenhaus (39 %)
Kommunikative GK KGK7) Begriffe zu verstehen, die der Arzt/die Ärztin verwendet (50 %) KGK11) Die Informationen, die ich von meinem Arzt/meiner Ärztin bekomme, für meine Gesundheit zu nutzen (37 %)

Prozentuale Häufigkeiten Einzel-Items für Angabe „ziemlich schwierig“ und „sehr schwierig“

Fragen HLS -Q16 Frage „Wie einfach/schwierig ist es“, … % (von n = )
(95 %-KI)
Q1) Wie einfach/schwierig ist es, Informationen über Therapien für Krankheiten, die Sie betreffen, zu finden? 48,3 (87)
39,1–57,5
Q2) Wie einfach/schwierig ist es herauszufinden, wo Sie professionelle Hilfe erhalten, wenn Sie krank sind? 42,0 (88)
33,0–51,1
Q3) Wie einfach/schwierig ist es zu verstehen, was Ihr/e Arzt/Ärztin Ihnen sagt? 30,2 (86)
22,1–39,5
Q4) Wie einfach/schwierig ist es, Empfehlungen von Arzt/Ärztin oder Apotheker/in zur Einnahme der verschriebenen Medikamente zu verstehen? 18,2 (88)
11,4–25,0
Q5) Wie einfach/schwierig ist es zu beurteilen, ob Sie eine zweite Meinung von anderen Ärzten/Ärztinnen einholen sollten? 40,7 (86)
31,4–50,0
Q6) Wie einfach/schwierig ist es, mithilfe der Informationen, die Ihnen der/die Arzt/Ärztin gibt, Entscheidungen bezüglich Ihrer Krankheit zu treffen? 38,1 (84)
28,6–47,6
Q7) Wie einfach/schwierig ist es den Anweisungen Ihre/r Ärzte oder Apotheker/in zu folgen? 18,6 (86)
11,6–25,6
Q8) Wie einfach/schwierig ist es, Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen, wie Stress oder Depression, zu finden? 44,4 (81)
35,8–53,1
Q9) Wie einfach/schwierig ist es, Gesundheitswarnungen von Verhaltensweisen wie Rauchen, wenig Bewegung oder übermäßiges Trinken zu verstehen? 9,4 (85)
4,7–14,1
Q10) Wie einfach/schwierig ist es zu verstehen, warum Sie Vorsorgeuntersuchungen brauchen? 14,1 (85)
8,2–20,0
Q11) Wie einfach/schwierig ist es zu beurteilen, ob die Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien vertrauenswürdig sind? 46,2 (78)
35,9–55,1
Q12) Wie einfach/schwierig ist es aufgrund von Informationen aus den Medien (Zeitung, TV, Internet) zu entscheiden, wie Sie sich vor Krankheiten schützen können? 38,6 (83)
30,1–47,0
Q13) Wie einfach/schwierig ist es, Informationen über Verhaltensweisen zu finden, die gut für Ihr psychisches Wohlbefinden sind? 42,5 (80)
32,5–52,5
Q14) Wie einfach/schwierig ist es, Gesundheitsratschläge von Familienmitgliedern oder Freunden zu verstehen? 23,5 (81)
16,0–30,9
Q15) Wie einfach/schwierig ist es, Informationen aus den Medien (Zeitung, TV) darüber, wie Sie Ihren Gesundheitszustand verbessern können, zu verstehen? 29,3 (75)
21,3–38,7
Q16) Wie einfach/schwierig ist es zu beurteilen, welche Alltagsgewohnheiten mit Ihrer Gesundheit zusammenhängen? 16,9 (83)
10,8–24,1
Einzel-Items zur navigationalen und kommunikativen GK Frage „Wie einfach/schwierig ist es“, … % (n)
(95 %-KI)
NGK1) Informationen darüber verstehen, wie das Gesundheitssystem funktioniert, z. B. welche Arten an Versorgungsmöglichkeiten es gibt und wie sie genutzt werden können 62,8 (86)
53,5–72,1
NGK2) Beurteilen, welche Art der Gesundheitsversorgung ich im Fall eines Gesundheits-problems benötige 50,6 (81)
40,7–60,5
NGK10) Herausfinden, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, um sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden 67,5 (80)
57,5–76,3
NGK11) In einer Gesundheitseinrichtung den richtigen Ansprechpartner für mein Anliegen ausfindig machen, z. B. im Krankenhaus 39,0 (82)
30,5–48,8
KGK7) Die Begriffe verstehen, die mein Arzt/meine Ärztin verwendet 50,0 (86)
40,7–59,3
KGK11) Die Informationen, die ich von meinem Arzt/meiner Ärztin bekomme, für meine Gesundheit nutzen 36,7 (79)
27,8–45,6
DISKUSSION

Die vorliegenden Ergebnisse bilden ab, dass die Stichprobe ihren Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen mehrheitlich als schwierig bewertet, wobei keine signifikanten Unterschiede zwischen der GK und den kontrollierten Variablen nachweisbar sind. Die Betrachtung zwischen dem Kompetenz-Level und der Angabe zum Schulabschluss deutet darauf hin, dass die Werte im Bereich „problematisch bis inadäquat“ geringer ausfallen, je höher der Bildungsgrad ist. Der Anteil zwischen Befragten mit „Abitur/Fachschulreife“ weicht gegenüber denjenigen „ohne Schulabschluss“ um mehr als ein Drittel ab. Differenziert nach Nettoeinkommen, fallen die Werte für eine ausreichende GK in den Einkommensgruppen bis unter 2000 Euro kleiner aus, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass das Nettoeinkommen in der gesamten Stichprobe größtenteils gering ausfällt. Die höheren mittleren Summenwerte der Befragten mit zwei und weniger Erkrankungen, deuten an, dass Multimorbidität und geringe GK miteinander assoziieren. Zusammenfassend untermauert diese Perspektive auf die Daten, dass die Befragten ihre GK vermutlich mehrheitlich schwierig einschätzen, da sie aufgrund ihrer insgesamt schwierigen Lebenslagen vor große alltägliche Herausforderungen gestellt sind.

Neben dieser breiten Betrachtung sind daher die Ergebnisse auf Ebene der Einzel-Items interessant, in der hohe Anteile der Kategorien „ziemlich schwierig“/„sehr schwierig“ in allen Anforderungsbereichen (Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Informationen) festzustellen sind. Differenziert nach den fünf GK-Bereichen (Tab. 2) werden die Fähigkeiten im Bereich „Krankheitsbewältigung und Versorgung“ sowie „Navigation“ überwiegend als schwierig beurteilt. Dies könnte auf die (teilweise langjährige) Auseinandersetzung mit der Krankheitsbewältigung zurückzuführen sein sowie auf den häufigen Kontakt mit Versorgungseinrichtungen (Austerer& Radinger, 2018). Ein Aspekt, der sich ableitet und im qualitativen Teil der vorliegenden Studie aufgegriffen werden soll: Weshalb ist das Treffen von Entscheidungen bezüglich der Krankheit (Q6) mit Hürden verbunden? Hier wäre auch interessant zu erfahren, inwieweit diese Herausforderung zu einer Verunsicherung, zu Vertrauensverlust bis hin zur Stagnation während des Krankheitsverlaufes bei den Befragten führt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Gesundheitsinformationen für MmcE vielfach nicht nur unzureichend auffindbar, sondern ihre Verwendung mit Unsicherheiten verbunden sind. Demnach schätzen die Befragten ihre Fähigkeiten, mithilfe vorhandener Informationen, eigenständige Entscheidungen bezüglich Therapie und Versorgungsart für ihre Erkrankung zu treffen, als herausfordernd ein. Genauso, wie sich aufgrund von Informationen aus den Medien, vor Krankheit zu schützen. Jedoch sind insbesondere dies wichtige Kompetenzen im Umgang mit chronischer Krankheit, da ein direkter Einfluss auf die Krankheitsbewältigung und die Prävention von Folgen besteht (Schaeffer et al. 2017), zum Beispiel in Bezug auf die Schutzimpfung zur Risikovorbeugung von schweren Verläufen (wie Grippe). Daraus lässt sich ableiten, dass die Gestaltung von Materialien und Strukturen sowie die Gesundheitskommunikation im Versorgungskontext nutzerspezifischer ausgestaltet werden sollte. Dieser Aspekt wird dadurch validiert, dass gleichzeitig hohe Schwierigkeiten im Bereich der NGK bestehen, was darauf hinweist, dass die Fähigkeiten, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden, in der Gruppe ebenfalls stark eingeschränkt sind. Auch dieses Ergebnis bedarf der Diskussion, da eben insbesondere MmcE mit komplexen und übergreifenden Gesundheitsthemen und Problematiken konfrontiert sind. Sie haben einen höheren Bedarf an zu einschätzenden, beurteilbaren Informationen, um selbstbestimmt handeln zu können (Schaeffer et al., 2020; Austerer& Radinger, 2018). Für sie ergeben sich hier dementsprechend substanzielle Bedarfe einer ausgeprägten GK für die beschriebenen Anforderungen.

Interessant ist auch das Ergebnis, dass die Studienteilnehmenden mehrheitlich ihr Verständnis von Gesundheitswarnungen und Vorsorgeuntersuchungen als einfach bewerten; also Kompetenzen, die eng mit der Entstehung und Prävention von chronischen Erkrankungen und Folgeerscheinungen verbunden sind (Gesundheitsförderung Schweiz, 2022). Ein weiterer Aspekt, der im qualitativen Teil überprüft und vertiefend analysiert werden soll. Hier wäre interessant zu erfahren, inwiefern diese Kompetenzen vorhanden sind und wie sie adäquat bestärkt werden könnten.

Vergleich mit anderen Studien

Im Vergleich zur GEDA-Studie von 2013, die auch das HLS-Q16-Instrument nutzt (Jordan& Hoebel, 2015) zeigt sich, gemessen am Kompetenz-Level, ein höherer Anteil an problematisch bis inadäquater GK. Der Anteil von Personen mit ausreichender GK liegt in der Stichprobe 17 Prozentpunkte unter dem Anteil in der GEDA-Studie (Jordan& Hoebel, 2015). Dies könnte auf die sehr kleine selektiv gewählte Stichprobe, die sich zu einem großen Teil aus Menschen mit langjährigen Erkrankungen zusammensetzt, zurückgeführt werden. Die Ergebnisse unterstreichen damit die Belege aus anderen Studien (Jordan& Hoebel, 2015, Schaeffer et al., 2020), dass Menschen mit einer inadäquaten oder problematischen GK häufiger an chronischen Krankheiten und Gesundheitsproblemen leiden, als Menschen mit einer ausreichenden GK. Die unterschiedlichen Ausprägungen der Items in den Kategorien „sehr/ziemlich schwierig“ innerhalb der Anforderungen zeigen, dass das Finden, Beurteilen von Informationen und deren Anwendung einen bedeutenden Anteil geringer GK in der hier dargestellten Stichprobe abbildet. Die Einschätzungswerte weichen vereinzelt gering von der GEDA-Befragung ab, zum Beispiel bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien (4,5 Prozentpunkte) oder der Beurteilung, wann eine zweite Meinung eingeholt werden sollte (2,1 Prozentpunkte). Bei der Hälfte der Items weichen die Angaben mit Prozentpunktdifferenzen bis 26,9 voneinander ab, dahingehend dass sie von befragten MmcE aus der CoSta-Stichprobe als deutlich schwieriger eingeschätzt werden im Vergleich zu den Daten aus der GEDA. Die prozentualen Unterschiede zeigen sich dabei vorrangig in den Anforderungen des Findens, Verstehens und Anwendens von Informationen. Beim Vergleich der Ausprägungen in den Einzel-Items zur NGK und KGK mit den Ergebnissen der HLS-GER 2 zeigen sich mehrheitlich vergleichbare Häufigkeiten, außer beim Finden richtiger Ansprechpersonen (NGK11) mit einer Differenz von 14,0 Prozentpunkten zugunsten der befragten MmcE und die Information von Ärzt:innen zu nutzen mit einer Differenz von 13,5 Punkten zugunsten der HLS-GER 2-Befragten (Schaeffer et al., 2021).

Limitationen

Die vorliegende quantitative Erhebung beschränkt sich auf die Fragebogen-Items des HLS-Q16 und Einzel-Items zur NGK und zur KGK. Die Fragen zielen darauf ab, die subjektive Einschätzungen zu den eigenen Kompetenzen zu erfassen. Eine objektive Einschätzung, inwiefern die Befragten ihre Kompetenzen für informierte Entscheidungen beurteilen, ist nicht abbildbar. Die Items zur Erfassung der allgemeinen GK erscheinen teilweise nicht spezifisch genug für die Befragung von der Zielgruppe. Obwohl MmcE oftmals gut über ihre eigene Krankheit(en) informiert sind, zeigt die Item-Analyse einen gegenteiligen Trend. Die inhaltliche Validierung in qualitativen Analysen ist daher impliziert, um herauszufinden, inwiefern die Befragten ihre Schwierigkeiten differenziert begründen und einordnen. Bei der Betrachtung der Ergebnisse müssen auch weitere studienspezifische Limitationen aufgegriffen werden, welche die berichteten Analysen beeinflusst haben könnten. Die sehr eng gefasste und kleine Stichprobenzusammensetzung könnte die Interpretation der Ergebnisse limitieren. Es können keine repräsentativen Ergebnisse für die Gesamtbevölkerung daraus geschlossen werden. Bei den Studienteilnehmenden handelt es sich ausschließlich um Menschen aus einem Quartier, die aus einem Gesundheitszentrum rekrutiert wurden. Es lässt sich ableiten, dass die hier beschriebene Stichprobenziehung innerhalb des Gesundheitszentrums potentielle Selektions-Effekte befördert haben könnte. Eine Untersuchung mit weiteren Menschen mit chronischen Erkrankungen, die nicht an das Gesundheitszentrum angebunden sind oder in einem anderen Gebiet leben, wäre indiziert, um ein noch differenzierteres Bild der Ergebnisse zu erhalten. Eine Ausweitung der Stichprobenauswahl war jedoch aufgrund des primären Studienkontextes nicht vorgesehen.

Fazit

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der vorliegenden Literatur für Deutschland zeigen, dass die Stärkung von GK auf allen Ebenen eines patientenorientierten Gesundheitswesens (Jordan, 2019) erfolgen muss, um gleiche Chancen, insbesondere für stark belastete Gruppen, wie MmcE zu ermöglichen. An der Versorgung von Menschen mit komplexen Krankheitsverläufen sind oftmals diverse Gesundheitsprofessionen beteiligt. Neben der aktiven Rolle des einzelnen chronisch Kranken (Austerer& Radinger, 2018) stehen demnach auch Behandlungsentscheidungen durch Versorgende im Fokus des Prozesses. Hier wird aktuelles, evidenzbasiertes Wissen benötigt, welches interprofessionell ausgetauscht wird, um koordiniert handeln zu können (Schaeffer & Vogt, 2022). Eine Voraussetzung dafür ist die Stärkung professioneller GK (Schaeffer et al., 2023). Im Kontext der Primärversorgung ergeben sich besondere Anforderungen durch die Begleitung von Individuen und Gruppen mit vielfältigen Präferenzen im Kontext ihrer sozialen Determinanten. Für die Förderung von gesundheitskompetenten Abläufen in Organisationen sowie für die Verbesserung der Entscheidungskommunikation und Einbindung der Betroffenen (wie shared decision making) ist die Pflegeprofession im Versorgungsalltag elementar.

Pflegende nehmen eine wichtige Vertrauensfunktion in der Patientenedukation und Wissensvermittlung ein. Die Ergebnisse aus einem Scoping Review der Autorinnen (2022) weisen darauf hin, dass pflegegeleitete Kommunikationsstrategien sich positiv auf die Krankheitsverläufe von MmcE auswirken. Evidenzbasierte Methoden zur Förderung der GK sind international im pflegerischen Handeln bereits gute etablierte Praxis. Durch ihren erweiterten Handlungsspielraum mit eigenverantwortlichen, spezialisierten Aufgaben bringen Advanced Nurse Practitioners (APN) und Community Health Nurses (CHN) geeignete Voraussetzungen für eine erweiterte professionelle GK mit. Im kommunalen Setting fungieren CHN als niedrigschwellige Ansprechperson für Gesundheitsprobleme. In ihrer Arbeit erfassen sie das Lebensumfeld von Menschen und identifizieren Problemlagen (DBfK, 2022). Dadurch können sie (individuelle) Perspektiven und Bedürfnisse von Menschen direkt berücksichtigen und deren Autonomie stärken, zum Beispiel indem sie ihre Kommunikation auf die Bedürfnisse der Patient:innen abstimmen. Durch ihre Leitungskompetenzen und vernetzte Zusammenarbeit mit anderen relevanten Akteur:innen sind CHN (DBfK, 2022) in der Lage, den interprofessionellen Austausch zu koordinieren und zu etablieren und dadurch Organisationen gesundheitskompetent mitzugestalten. Durch verstärkte Einbeziehung der Patientenperspektiven ließen sich Strategien zur Stärkung von GK noch bedarfsorientierter und passgenauer entwickeln und in zukunftsfähige Versorgungsprozesse einplanen. Der Ausbau professioneller und organisationaler GK sind dafür maßgeblich.

Aus wissenschaftlicher Perspektive bildet die GK für MmcE ein relevantes Thema in der anwendungsorientierten Versorgungs- und Pflegeforschung. Damit sich Menschen in unserem komplexen Gesundheitssystem besser zurechtfinden, braucht es transparente, intuitiv nutzbare Funktionsweisen und Strukturen, die auf Evidenzbasierung beruhen. Fachkräfte im Gesundheitswesen sind für den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsinformationen elementar. In der Primärversorgung könnten CHN eine Schlüsselrolle spielen, zum einen für die Umsetzung von GK-förderlichen Abläufen in Versorgungseinrichtungen sowie in der direkten Pflege und Beratung von Patient:innen. Aus den hier vorgestellten empirischen Ergebnissen ergeben sich weiterführende qualitative Fragestellungen hinsichtlich der berichteten Schwierigkeiten beim Finden und Anwenden von Gesundheitsinformationen, der Systemnavigation und kommunikativen Kompetenzen, die in einem vertiefenden Teil der Mixed-Methods-Studie untersucht werden. Zusätzlich sind Aspekte bezüglich bestehender und möglicher Kommunikations-und Navigationsprozesse aus Perspektive von CHN und anderen beteiligten Gesundheitsberufen des Stadtteil-Gesundheitszentrums impliziert. Hier wäre eine Ergänzung in einem komplementären methodischen Verfahren im Rahmen von Expert:inneninterviews sinnvoll.

eISSN:
2296-990X
Sprachen:
Englisch, Deutsch
Zeitrahmen der Veröffentlichung:
Volume Open
Fachgebiete der Zeitschrift:
Medizin, Klinische Medizin, andere