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Fatigued through everyday life. Interprofessional intervention approaches for dealing with long-term outcomes of fatigue after moderate and severe traumatic brain injury / Erschöpft durch den Alltag. Interprofessionelle Interventionsansätze im Umgang mit Langzeitfolgen von Fatigue nach mittlerem und schwerem Schädel-Hirn-Trauma


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EINLEITUNG

«Ein Unfall, eine Unachtsamkeit, ein falscher Schritt. Von einer Sekunde auf die andere ist nichts mehr so, wie es einmal war.» (Höllwerth, 2017, S. 25 zit. nach Hirsch et al., 2017). Diese Aussage beschreibt, wie die Ehefrau eines Betroffenen das Schädel-Hirn-Trauma erlebte. Als Folge einer Gewalteinwirkung auf den Kopf kann es zu einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) kommen. Dies führt zu einer Funktionsstörung und/oder Schädigung des Gehirns in Form einer Verletzung oder Prellung der Hirnstrukturen und/oder des Schädels (Firsching et al., 2015). Diese Verletzungen werden am häufigsten durch Stürze sowie durch Verkehrs-, Sport- und Arbeitsunfälle verursacht (FRAGILE Suisse, 2020; Hacke, 2016). Jährlich erleiden in der Schweiz pro 100›000 Einwohner 200 bis 300 Personen ein SHT (Swiss Neurological Society, o. J.). Die Inzidenz für ein SHT ist im frühen Erwachsenenalter durch Verkehrsunfälle und im höheren Alter durch das zunehmende Sturzrisiko erhöht (Sendroy-Terrill et al., 2010). Das SHT zählt in Europa zu den Hauptursachen für Todesfälle und Beeinträchtigungen. Einen Einfluss auf die Inzidenz und den Behandlungserfolg bei einem SHT haben zudem die ökonomische Situation, soziale Ressourcen sowie darauffolgende therapeutische Möglichkeiten (Röhrer, 2015). Das Ausmass der Einschränkung ist je nach Schweregrad des SHT verschieden. Um welchen Schweregrad es sich bei einem SHT handelt, wird üblicherweise mit der Glasgow-Coma-Scale (GCS) eingeschätzt, wobei in leichtes SHT (lSHT; 13–15 Punkte), mittleres SHT (mSHT; 9–12 Punkte) und schweres SHT (sSHT; 3–8 Punkte) unterteilt wird (Firsching et al., 2015; Hacke, 2016).

Zur Behandlung und Therapie von SHT im Akut- und Rehabilitationsbereich gibt es bereits Leitlinien – im Gegensatz zum poststationären Langzeit-Setting, (Bayley et al., 2018; Firsching et al., 2015). Die neurologische Rehabilitation wird in die Rehabilitationsphasen A bis F unterteilt (Wallesch et al., 2005). Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf Interventionsansätzen bei mittlerem und schwerem SHT (msSHT) im poststationären Setting, was den Rehabilitationsphasen E und F von Wallesch et al. (2005) entspricht. Die Phase E fokussiert auf die berufliche Wiedereingliederung der Betroffenen. Zu bestehenden Therapien aus der Akut- und Rehabilitationsphase können arbeitsrehabilitative Leistungen, wie Fortbildungen, Umschulungen, begleitete Hilfe am Arbeitsplatz sowie Arbeits- und Berufsförderung hinzukommen (Reuther et al., 2012; Wallesch et al., 2005). Therapien der Phase F betreffen den Erhalt von Funktionen sowie die Verminderung von Spätfolgen bzw. die Vermeidung von sekundären Komplikationen (Wallesch et al., 2005).

Zu den von Hartmann und Sanchez Camacho (2021) erfassten Einschränkungen der Langzeitfolgen von msSHT gehören u. a. verminderte Belastbarkeit und erhöhte Müdigkeit. Müdigkeit, welche nicht nur auf Schlafentzug oder körperliche Anstrengung und Stress zurückzuführen ist, ist pathologisch (Finsterer & Mahjoub, 2014) und wird in der vorliegenden Arbeit als Fatigue bezeichnet. Das markanteste Anzeichen für Fatigue ist ein nicht erholsamer, nicht regenerierender Schlaf. Fatigue zeichnet sich durch anhaltende, unüberwindbare Gefühle mentaler und/oder physischer Erschöpfung aus und betrifft meist den ganzen Körper. Dieses Gefühl der Erschöpfung mindert die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Betroffenen (Lorenzen, 2010). Fatigue kann sowohl nicht-neurologische als auch neurologische Ursachen haben, resultierend aus Störungen des peripheren und zentralen Nervensystems (Finsterer & Mahjoub, 2014). Fatigue ist eine häufige Folge von chronischen Erkrankungen, wie Krebs, sowie chronischen Beeinträchtigungen des Nervensystems, z. B. Multiple Sklerose, Schlaganfall und SHT (Lorenzen, 2010).

Die Inzidenz von Fatigue nach Schädel-Hirn-Traumata, im Englischen Post Traumatic Brain Injury Fatigue (PTBIF) beträgt bis zu 73 %, wobei nicht abschliessend geklärt ist, welche Faktoren zu PTBIF führen (Mollayeva et al., 2014). Fatigue muss multidimensional betrachtet werden, da emotionale und motivationale Faktoren wie Angst, Depression und Schlaf sowie kognitive und physische Faktoren zu beachten sind (Beaulieu-Bonneau & Ouellet, 2017). Zudem ist Fatigue ein subjektives Phänomen (Beaulieu-Bonneau & Ouellet, 2017), welches objektiv schwer nachweisbar ist (Ziino & Ponsford, 2005), da objektive kognitive Einschränkungen nur geringfügig mit subjektivem Empfinden zusammenhängen (Azouvi et al., 2004). Aus physiologischer Sicht können Schäden am Gehirn zu einem höheren Energieverbrauch führen (Ziino & Ponsford, 2005). Eine mögliche Erklärung für Fatigue ist die Coping-Hypothese (van Zomeren & van den Burg, 1985). Diese besagt, dass die mentale Informationsverarbeitung aufgrund reduzierter Aufmerksamkeitsressourcen länger dauert (Azouvi et al., 2004). Durch das verminderte Energielevel ist die Performanz auch bei automatisierten, einfachen Aufgaben eingeschränkt, weshalb Fatigue im Alltag ein allgegenwärtiges Problem darstellt (Azouvi et al., 2004). Dies wirkt sich auf das Wohlbefinden, die Lebensqualität und den gesamten Lebensstil der Betroffenen aus (Belmont et al., 2009; Ouellet & Morin, 2006). Fatigue nach msSHT zeigt einen signifikanten langfristigen Effekt: Nach zwei Jahren berichten knapp 70 %, nach zehn Jahren knapp 55 % der Betroffenen von Fatigue (Ponsford et al., 2014). Zudem besteht in Bezug auf das erste Jahr nach einem SHT die Tendenz, dass Fatigue nach mSHT stabil bleibt, während sich bei sSHT eine Zunahme zeigt. Fatigue kann durch das steigende Aktivitätslevel und durch die zunehmende Krankheitseinsicht verstärkt werden, da den Betroffenen die Veränderungen im Alltag vermehrt bewusst werden (Beaulieu-Bonneau & Ouellet, 2017).

In den Leitlinien für die Akut- und Rehabilitationsphase nach msSHT sind Interventionsansätze für Fatigue nach SHT enthalten (Bayley et al., 2018). Im Anschluss an die stationäre Versorgung mangelt es jedoch an spezifischen Interventionen bzw. Interventionsansätzen für Fatigue nach msSHT, da diverse Studien alle drei Schweregrade des SHT miteinbeziehen (Blake & Batson, 2009; Cantor et al., 2014; Kolakowsky-Hayner et al., 2017; Raina et al., 2016). Um klare Aussagen zu potenziellen Interventionen bzw. Interventionsansätzen für Personen mit Fatigue nach msSHT machen zu können, sollen präzisere Einschränkungen bzgl. Zeit seit der Verletzung und Schweregrad gemacht werden (Cantor et al., 2014). Diese Interventionen sollen durch das interprofessionelle Team umgesetzt werden, was zu besseren Behandlungsergebnissen beiträgt (Evans et al., 2008; Levine & Flanagan, 2010). In der vorliegenden Arbeit umfasst das interprofessionelle Team das ärztliche, ergotherapeutische, logopädische, pflegerische, physiotherapeutische und neuropsychologische Fachpersonal. Die interprofessionelle Arbeit kann durch ein gemeinsames Sprachverständnis, welches die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) (vgl. Abb. 1) ermöglicht, unterstützt werden (World Health Organization (WHO), 2005). Um die relevantesten Aspekte der ICF von bestimmten Krankheitsbildern zusammenzufassen, werden fortlaufend ICF Core Sets entwickelt. In der vorliegenden Arbeit wird nebst der allgemeinen ICF auch Bezug zum Core Set für SHT genommen (ICF Research Branch, 2017).

Abbildung 1:

Übersicht der Wechselwirkungen der ICF-Komponenten.

Durch die verschiedenen Komponenten der ICF ist es möglich, die Schwierigkeiten und Ressourcen von Betroffenen zu analysieren, zu strukturieren und Interventionsansätze für das interprofessionelle Team aufzuzeigen (WHO, 2005). Das Ziel ist somit anhand der ICF Interventionsansätze für Fatigue nach msSHT im poststationären Langzeitbereich aufzuzeigen. Die zentrale Frage lautet: «Welche interprofessionellen Interventionsansätze gibt es bei Menschen mit Fatigue nach msSHT im poststationären Langzeitbereich?»

METHODE

Die Fragestellung wird anhand eines systematischen Literaturreviews beantwortet. Um die für die Fragestellung relevanten Keywords und Synonyme zu sinnvollen Suchkombinationen zusammenzusetzen (vgl. Tabelle 1), wurde eine Proberecherche durchgeführt. Zur Überprüfung aller relevanten Keywords wurde die Indexsuche auf PubMed genutzt.

Keywordtabelle.

Keyword Deutsch Englisch
Schädel-Hirn-Trauma (mittleres/schweres) SHT, Gehirnverletzungen (severe/moderate) traumatic brain injury, traumatic brain injur*, tbi, brain injury, head injury
Fatigue Müdigkeit, Ermüdung, Erschöpfung, Kraftlosigkeit, Verminderte Belastbarkeit Fatigue, mental fatigue, physical fatigue
Langzeitfolgen Nicht stationär, Alltag, Lebensqualität Longterm, longterm therapy, longterm treatment chronic, outcome, home treatment
Interventionen Therapie Intervention, intervent* treatment, therapy, therap* strategies, strateg*, home treatment *

Daraufhin wurden die definitiven Suchkombinationen und die endgültigen Ein- und Ausschlusskriterien definiert, um eine aussagekräftige Antwort auf die Fragestellung zu ermöglichen. Die Publikationen sollen Interventionsmöglichkeiten für Fatigue nach einem msSHT im poststationären Langzeit-Setting enthalten. Hartmann und Sanchez Camacho (2021) belegten mit ihrer Inhaltsanalyse, dass Überlebende von msSHT auch nach ihrem stationären Rehabilitationsaufenthalt noch mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind. Entsprechend dieser Ergebnisse wurden nur Studien eingeschlossen, welche sich mit dem poststationären Zeitraum bzw. den Rehabilitationsphasen E und F nach Wallesch et al. (2005) befassen. Der Fokus auf Fatigue nach msSHT im poststationären Langzeit-Setting wird auch durch die Forderung von Cantor et al. (2014) nach einer spezifischeren Eingrenzung bzgl. Schweregrade des SHT und Zeit seit dem Ereignis unterstützt. Zusätzlich erfolgt eine Fokussierung auf erwachsene Personen, da gemäss der Leitlinie für SHT im Kindesalter Unterschiede zwischen SHT im Erwachsenen-, Jugend- und Kindesalter bestehen. Diese Unterschiede basieren auf altersabhängigen metabolischen Voraussetzungen, Verletzungsmechanismen und Körper-Kopf-Proportionen (Jorch et al., 2011). Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit werden der Fragile Suisse, einer schweizerischen Organisation für Menschen mit Hirnverletzungen und deren Angehörige, zur Verfügung gestellt. Deshalb werden nur Studien aus Ländern mit einem ähnlichen soziodemografischen Hintergrund wie die Schweiz inkludiert. Aufgrund von Sprachkenntnissen wird lediglich deutsch-und englischsprachige Literatur inkludiert.

Die systematische Literaturrecherche wurde von den Verfasserinnen unabhängig voneinander im Zeitraum zwischen dem 06.12.2019 und 05.02.2020, mithilfe der medizinischen Datenbanken CINAHL, PubMed, Medline, Cochrane Library, PsycINFO, Web of Science, AMED und OTseeker, durchgeführt. Dieser Prozess ist in Abb. 2 anhand eines Flussdiagramms dargestellt sowie im Rechercheprotokoll (Anhang) dokumentiert.

Abbildung 2:

Systematische Literaturrecherche.

Während der Recherche wurden die Publikationen unter Anwendung der Ein- und Ausschlusskriterien anhand des Titels und ggf. des Abstracts beurteilt, wobei die relevanten Treffer im Rechercheprotokoll festgehalten wurden. Das Abstract der Publikation wurde hinzugezogen, falls der Titel nicht aussagekräftig genug war. Im Verlauf der Datenbankrecherche sowie bei der Datenauswertung nach Abschluss der Recherche zeigte sich, dass ab der Suchkombination 1 in der Datenbank AMED keine neuen Publikationen mehr gefunden werden konnten, womit eine Datensättigung erreicht wurde.

Der Selektionsprozess beinhaltete ein kritieriengeleitetes Screening von Titel, Abstract und Methdoenteil. Hinsichtlich der Ein-Ausschlusskriterien konnten 15 Studien zur Volltextanalyse inkludiert werden. Diese wurden von J. B. und F. L unabhängig voneinander gelesen und hinsichtlich der Ein-/Ausschlusskriterien überprüft. Die Endselektion wurde im Rahmen eines Konsensusprozesses durchgeführt.

Die kritische Studienwürdigung wurde mittels Law et al. (1998) durchgeführt.

Die aus den Studien extrahierten Informationen wurden der ersten und zweiten Ebene des ICF-Core Sets für SHT zugeordnet, was einer deduktiven inhaltsanalytischen Vorgehensweise entspricht. Inhlate, welche dem Core Set nicht zugeordnet werden konnten wurden in zusätzliche Domänen bzw. Kategorien der gesamten ICF zugeordnet.

ERGEBNISSE

Anhand der definierten Ein- und Ausschlusskriterien konnten vier quantitative Studien eingeschlossen werden. Diese werden in den folgenden Abschnitten kritisch beleuchtet, wobei die Gütekriterien (Law et al., 1998; Onwuegbuzie & McLean, 2003; Raithel, 2008), detailliert beschrieben in, beurteilt werden. Ebenfalls wird das Evidenzlevel anhand der SIGN-Klassifikation (Windeler, 2008) eingeschätzt.

Charakteristika und Ergebnisse der inkludierten Studien

Eine Übersicht über die inkludierten Studien zeigt Tabelle 2.

Charakteristika der Inkludierten Studien (N=4).

Inhalte Beaulieu-Bonneau & Morin (2012) fatigue, and sleep, and explore correlates of sleepiness and fatigue separately for each group.\nMethods\ nParticipants were 22 adults with moderate/severe TBI (time since injury >1 year; mean=53.0±37.1 months Lequerica et al. (2017) yet little is known about its persistence and resolution. The objective of the study was to identify factors related to PTBIF remission and resolution. TBI Model System registrants at five centres participated in interviews at either one and two years post-injury (Y1-2 Cohort Quera Salva et al. (2019) Schnieders et al. (2012)
Land Kanada USA Frankreich Niederlande
Studiendesign / Messzeitpunkte Fall-Kontroll-Studie; Datenerhebungen an zwei Tagen, einmalige Durchführung der Assessments Kohortenstudie; Durchführung der gleichen Assessments an zwei verschiedenen Zeitpunkten: Y1-2: Durchführung bei einem und zwei Jahren nach SHT Y2-5: Durchführung bei zwei und fünf Jahren nach SHT Randomised Controlled Trial (RCT); Datenerhebungen zu Beginn der Behandlung, nach 2 Wochen, nach 4 Wochen, Behandlungsende sowie 2 Wochen nach Behandlungsende, Nutzung der gleichen Assessments zu jedem Zeitpunkt Fall-Kontroll-Studie; Durchführung eines Assessments (CIS-20R) vor Inklusion der Teilnehmenden im Rahmen des Rekrutierungsprozesses (n=332); Einmalige Durchführung der Assessments am Datenerhebungstag
Inhalte Beaulieu-Bonneau & Morin (2012) fatigue, and sleep, and explore correlates of sleepiness and fatigue separately for each group.\nMethods\ nParticipants were 22 adults with moderate/severe TBI (time since injury >1 year; mean=53.0±37.1 months Lequerica et al. (2017) yet little is known about its persistence and resolution. The objective of the study was to identify factors related to PTBIF remission and resolution. TBI Model System registrants at five centres participated in interviews at either one and two years post-injury (Y1-2 Cohort Quera Salva et al. (2019) Schnieders et al. (2012)
Stichprobe/Rekrutierung n=44 (SHT-Gruppe n=22, gematchte Kontrollgruppe n=22) msSHT, 18–65 Jahre alt; SHT-Gruppe: rekrutiert aus Krankenakten, Empfehlungen von Fachpersonen einer lokalen Rehabilitationseinrichtung, Kontakte einer regionalen Gesellschaft für SHT; Betroffene Kontrollgruppe: rekrutiert durch persönliche Empfehlungen, andere Studien, Aushänge in Bildungs-& Gesundheitszentren; Fachpersonen blind für SHT-/Kontrollgruppe n=79 (Y1-2 n=47, Y2-5 n=32) msSHT, 16–65 Jahre alt; Rekrutierung der Teilnehmenden aus einer nationalen medizinischen Datenbank n=20 (Interventionsgruppe n=10, Kontrollgruppe n=10) randomisierte Zuteilung, Fachpersonen gegenüber der Zuteilung verblindet; sSHT, 18–65 Jahre alt; Rekrutierung der Teilnehmenden von Teilnehmerlisten von poststationären Rehabilitationsangeboten zweier Rehabilitationskliniken einer Stadt n=90 (Fatigue Gruppe (F): n=48, keine Fatigue Gruppe (NF): n=42) Einteilung in F-/NF-Gruppen anhand des CIS-20R vor Inklusion, randomisierte Auswahl für die definitive Rekrutierung, Anfrage von je 50 Personen msSHT, 18–65 Jahre alt; Rekrutierung der Teilnehmenden aus einer Datenbank einer auf SHT spezialisierten Rehabilitationsklinik
Langzeitaspekt/poststationär mind. 1 Jahr nach Ereignis, poststationär mind. 1 Jahr nach Ereignis, poststationär mind. 6 Mt. poststationär, zu Hause lebend poststationär seit mind. 1 Jahr
Setting zwei Untersuchungstage; beide an einem Schlafzentrum, Schlaftagebuch zuhause für 14 Tage Die Teilnehmenden unterzogen sich an jeweils einer der insgesamt fünf Rehabilitationskliniken den Assessments Intervention wird zu Hause durchgeführt; Assessments in Besprechungen mit ärztlichem Fachpersonal, Ort unbekannt 2-tägige Erhebungsprozedur, Ort unbekannt
Inhalte Beaulieu-Bonneau & Morin (2012) fatigue, and sleep, and explore correlates of sleepiness and fatigue separately for each group.\nMethods\ nParticipants were 22 adults with moderate/severe TBI (time since injury >1 year; mean=53.0±37.1 months Lequerica et al. (2017) yet little is known about its persistence and resolution. The objective of the study was to identify factors related to PTBIF remission and resolution. TBI Model System registrants at five centres participated in interviews at either one and two years post-injury (Y1-2 Cohort Quera Salva et al. (2019) Schnieders et al. (2012)

Legende: AAQ=Acceptance and Action Questionnaire, ABT=Astrand biking Test, AGHDA=Assessment of Growth Hormone Deficiency in Adults, ANOVA=analysis of variance (dt. Varianzanalyse), ANCOVA=analysis of covariance (dt. Kovarianzanalyse), BDI-II=Beck Depression Inventory II, CIS-20R=Checklist Individual Strength Questionnaire, DRS=Disability Rating Scale, ESS=Epworth Sleepiness Scale, FAI=Frenchay Activity Index, FIM=Functional Independence Measure, FOSQ=Functional Outcome of Sleep Questionnaire, FSS=Fatigue Severity Scale, GHRH-Arg=Labortest für das Wachstumshormon-Releasing-Hormon mittels der Aminosäure Arginin, HADS=Hospital Anxiety and Depression Scale, HAD-17=17-Item Hamilton Depression Scale, ISI=Insomnia Severity Index, MAF=Multidimensional Assessment of Fatigue, MFI=Multidimensional Fatigue Inventory, msSHT=mittleres und schweres Schädel-Hirn-Trauma, MWT=Maintenance of Wakefulness Test, PART-O=Participation Assessment with Recombined Tools, PHQ-9=Patient Health Questionnaire, PSG=Polysomnographie, PSQ=Pittsburgh Sleep Questionnaire, PSQI=Pittsburgh Sleep Quality Index, PTBIF=Post Traumatic Brain Injury Fatigue (Fatigue nach einem Schädel-Hirn-Trauma), P300 evozierte Potentialeinschätzung = gemessen mittels EEG, bildet Reaktionen auf verschiedene Reize mit einer Latenz von 300 Milisekunden ab, hängt mit Komponenten der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses zusammen, QoliBri=Quality of life in brain injury, RTC=Randomized Controlled Trial, SF-12=12-Item Short Form Health Survey, SHT=Schädel-Hirn-Trauma, sSHT=schweres SHT, STAI-Trait=State-Trait Anxiety Inventory - Trait part, SWLS=Satisfaction with Life Scale, VAS=Visual Analog Scale, VAS-s=VAS for Sleepiness, VAS-f=VAS for Fatigue, Y1-2=Kohorte Jahr 1-2, Y2-5=Kohorte Jahr 2-5

In allen vier Studien wird das Vorgehen nachvollziehbar beschrieben und relevante Einflussfaktoren werden berücksichtigt. Zur Datenerhebung werden gängige sowie reliable und valide Assessments eingesetzt. Zudem weist die Studie von Schnieders et al. (2012) eine vergleichsweise grosse Stichprobe auf. In anderen Studien wird die Stichprobengrösse auf eine Sample Size Calculation abgestützt (Quera Salva et al., 2019) und multi-zentrisch durchgeführt (Lequerica et al., 2017). Die inkludierten Studien unterscheiden sich jedoch auch in verschiedenen Aspekten, welche in Tabelle 2 ersichtlich sind.

Komponenten des ICF Core Sets für SHT

Die Ergebnisse der inkludierten Studien werden im folgenden Abschnitt mittels des ICF Core Sets für SHT dargestellt, z. B. (b134) wobei die dazu genutzten Codierungen der ICF in Abb. 3 ersichtlich sind (ICF Research Branch, 2017).

Abbildung 3:

ICF-Codierungen.

Komponente b – Körperfunktionen

Menschen nach msSHT zeigen im Alltag, verglichen mit gesunden Personen, signifikant stärkere Fatigue (p<.01) und Schläfrigkeit (p=.04) (b134) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Zudem besteht bei Menschen mit Fatigue nach msSHT eine signifikant schlechtere Schlafqualität (p<.001) als bei Personen nach msSHT ohne Fatigue (Schnieders et al., 2012). Die Schlafqualität verbessert sich in zwei bis fünf Jahren nach dem SHT signifikant (p=.009) (Lequerica et al., 2017). Die Bewältigung von normalen alltäglichen Aktivitäten mit Fatigue nach msSHT benötigt somit mehr Energieressourcen (Quera Salva et al., 2019), was zu angepassten Schlafgewohnheiten führen kann. Personen mit msSHT machen signifikant längere (p<.01; d=0.82) und häufigere (p<.01, d=0.82) Naps (kurze Schlafpausen) und verbringen insgesamt signifikant mehr Zeit im Bett (p=.03) als gesunde Personen. Diese Kompensationsstrategien müssen korrekt und im richtigen Mass angewendet werden, da die nächtliche Schlafqualität ansonsten vermindert wird, was wiederum die Partizipation im Alltag einschränken kann (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Deswegen soll der Schlaf von Personen mit Fatigue nach msSHT untersucht und charakterisiert werden, sodass die Fatigue mit geeigneten Interventionen vermindert werden kann (Schnieders et al., 2012). Dafür können Interventionen zur Schlafoptimierung und Methoden zum Einplanen von Ruhezeiten angewandt werden (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Zudem zeigt Fatigue nach msSHT einen signifikanten zeitlichen Effekt im Tagesverlauf (p<.001), wobei die Beschwerden nach dem Aufstehen zunehmen (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Dies beeinflusst die Tagesgestaltung (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012) und ggf. die Motivation, mit welcher der bevorstehende Tag angegangen wird (b130) (Quera Salva et al., 2019). Durch tägliche Lichttherapie mit blau angereichertem weissem Licht (bawL) für 30 Minuten gleich nach dem Aufstehen fühlen sich Teilnehmende besser. Zudem führt es zu einer signifikanten Abnahme von Fatigue (p=.026) und der P300-Latenz (p=.04), der Verzögerung, mit welcher Reaktionen auf verschiedene Reize erfolgen. Diese Reaktionsgeschwindigkeit hängt mit Komponenten der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses zusammen (b140, b144). Fatigue steht somit eher mit einem erhöhten Energieverbrauch für die Informationsverarbeitung in Zusammenhang als mit Schlaflosigkeit und Schlafstörungen (Quera Salva et al., 2019). Der Umgang mit normalen Schwankungen der Wachheit nach einem msSHT verlangt mehr Ressourcen als vor dem Ereignis (b164). Deswegen stört auch eine leichte Müdigkeit die funktionelle Kapazität (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Zusätzlich bestätigen drei Studien Zusammenhänge zwischen Fatigue nach msSHT und Depressionen (Lequerica et al., 2017), wobei signifikante Zusammenhänge (p=.046) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012) bzw. (p=.04) (Quera Salva et al., 2019) bestehen (b130). Durch eine Behandlung der Depression kann ggf. eine Reduktion der Fatigue erreicht werden (Lequerica et al., 2017). Des Weiteren bestätigen zwei Studien signifikante Zusammenhänge zwischen Angst und Fatigue (p<.0001) (Schnieders et al., 2012) bzw. (p<.01) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012) (b152). Schnieders et al. (2012) empfehlen Ängste zu beobachten und ggf. Abklärungen zu Angststörungen durchzuführen. Ein weiterer Faktor ist die Wachstumshormon(GH)-Sekretion (b555), welche eng mit dem Schlaf, insbesondere dem ersten Schlafzyklus, zusammenhängt. Bezüglich der Auswirkungen von Wachstumshormonmangel (GHD), Gonadenhormonmangel (GnHD) und Hypophysenhormonmangel (PHD) können aufgrund der Daten keine klinisch signifikanten Aussagen getroffen werden (Schnieders et al., 2012).

Komponente s – Körperstrukturen

Betroffene nach msSHT zeigen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit in Bezug auf das Gehirn, langfristig medizinisch beeinträchtigt zu sein (p<.001) (s110) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012).

Komponente d – Aktivitäten und Partizipation

Beaulieu-Bonneau und Morin (2012) empfehlen eine angemessene Aufklärung über Risiken und Vorteile der verschiedenen Kompensationsstrategien für Fatigue (d155). Für die Messung der Fatigue ist eine tägliche Beurteilung der Symptome, z. B. anhand eines Tagebuchs, sinnvoll. Dadurch können Massnahmen zur Behandlung von Fatigue ergriffen werden (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012) (d570). Der Umgang mit alltäglichen Schwankungen der Wachheit kann für Betroffene nach einem msSHT herausfordernder sein und mehr Ressourcen als zuvor benötigen (d230). Dabei werden Kompensationsstrategien, z. B. Termine absagen oder Naps einlegen, genutzt und somit die Ausführung von geplanten Aktivitäten beeinflusst (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Bei Personen nach einem msSHT, bei denen eine Remission der Fatigue zwischen zwei und fünf Jahren nach Trauma stattfindet, zeigt sich eine höhere Partizipation (p=.035) (Lequerica et al., 2017) (d910). Trotzdem zeigt sich im Vergleich zu gesunden Personen, dass signifikant weniger Personen nach einem msSHT studieren (p<.001) (d830) bzw. arbeiten (p<.001) (d845, d850) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Personen mit Fatigue nach msSHT üben dabei häufiger unbezahlte Tätigkeiten aus (p<.05) (d855) als Personen ohne PTBIF (Schnieders et al., 2012).

Komponente e – Umweltfaktoren

Medikamente werden, im Vergleich mit gesunden Personen, signifikant mehr von Menschen nach einem msSHT (p=.03) benötigt (e1101) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Werden Personen mit msSHT verglichen, so benötigen Personen mit Fatigue mehr Medikamente (p=.01) als Personen mit msSHT ohne Fatigue (Schnieders et al., 2012). Für die Lichttherapie-Behandlung mit bawL kann ein brillenähnliches, leicht zu bedienendes Gerät eingesetzt werden, bei welchem keine Nebenwirkungen bekannt sind (e115) (Quera Salva et al., 2019).

Zusätzliche ICF-Kategorien

Ergebnisse aus den inkludierten Studien, welche nicht in das ICF Core Set für SHT eingeordnet werden konnten, werden im folgenden Abschnitt durch weitere ICF-Kategorien ergänzt (vgl. Abb. 3) (WHO, 2005).

Komponente b – Körperfunktionen

Die Prävalenz von Vitamin-D-Mangel bei Menschen mit Fatigue nach msSHT ist signifikant höher (p<.001) als bei gesunden Menschen (b545). Es gibt Hinweise darauf, dass der Vitamin-D-Mangel zur Entwicklung von PTBIF beiträgt, was jedoch noch durch weitere Evidenz bestätigt werden muss. Aufgrund dessen soll Vitamin-D-Mangel abgeklärt, bestätigt und ggf. behandelt werden (Schnieders et al., 2012).

Komponente d – Aktivitäten und Partizipation

Personen mit Fatigue nach msSHT weisen im Vergleich mit Personen nach msSHT ohne Fatigue einen vermeidenden Bewältigungsstil (p<.05) (d299) und niedrigere Lebensqualität auf (Schnieders et al., 2012). Durch einen In-house-Lebensstil (d460), der aufgrund mentaler und physischer Einschränkungen von msSHT Betroffenen entstehen kann, ist es möglich, dass durch eine verminderte Sonnenexposition ein Vitamin-D-Mangel resultiert (Schnieders et al., 2012).

Komponente e – Umweltfaktoren

Ein weiterer Einflussfaktor ist Licht (e240). Licht ist ein wichtiger Bestandteil des circadianen Rhythmus, zu welchem u. a. der Schlaf-Wach-Rhythmus gehört. Durch die Lichttherapie mit bawL wird dieser circadiane Rhythmus beeinflusst (Quera Salva et al., 2019).

Biasrisiken

Die Beurteilung der Gütekriterien (vgl. Tab. 3) zeigt, dass sich die inkludierten Studien in ihrer Reliabilität sowie in der internen und externen Validität unterscheiden. Die Einschätzung wird damit begründet, dass die Studiendesigns (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012; Lequerica et al., 2017; Schnieders et al., 2012) bzw. die Beschreibung der Studienausführung (Quera Salva et al., 2019) auf unterschiedlich hohe Biasrisiken hinweisen. In Bezug auf die interne Validität wird in Beaulieu-Bonneau und Morin (2012) eine Wechselwirkung zwischen zwei Einflussfaktoren (Koffein und Medikamente) erkannt, bei welcher die Richtung der Verzerrung unbekannt ist. Dies wird jedoch nicht in die statistische Auswertung einbezogen. Weitere Biasrisiken sind Alphafehler-Kumulierungen, welche Lequerica et al. (2017) und Schnieders et al. (2012) mit der Bonferroni-Korrektur umgangen haben. Ein Großteil der genutzten Assessments (vgl. Tab. 2) sind Fragebögen bzw. Formulare, welche die Teilnehmenden selbst ausfüllen, was aufgrund der Subjektivität ein erhöhtes Biasrisiko birgt. In Anbetracht der durch die PTBIF verursachten Symptome besteht zudem die Frage, ob die Vielzahl an Assessments die Ergebnisse negativ beeinflusst, da durch deren Menge die Symptome verstärkt werden können. Weitere potenzielle Einflussfaktoren sind Ko-Interventionen. Diese sowie die Informationen, welche die Kontrollgruppe betreffen, sind in Quera Salva et al. (2019) unbekannt. In Bezug auf die externe Validität aller Studien ist anzumerken, dass die Studienergebnisse nicht verallgemeinerbar sind, da nur ein Bezug auf bestimmte Rehabilitationskliniken erfolgte (vgl. Tab. 2). Aufgrund dieser Faktoren wird das Evidenzlevel, wie in Tab. 3 ersichtlich, eingeschätzt.

Gütekriterien und Evidenzniveau.

Gütekriterium Beaulieu-Bonneau & Morin (2012) Lequerica et al. (2017) Quera Salva et al. (2019) Schnieders et al. (2012)
Objektivitäta ±e
Reliabilitätb ±e
Interne Validitätc × ± ±e ±
Externe Validitätc ±e
Evidenzlevel nach der SIGN-Klassifikationd 2− 2++ 1− 2+

Legende:= Kriterium erfüllt, ± = Kriterium teilweise erfüllt, × = Kriterium nicht erfüllt

Law et al., 1998,

Raithel, 2008,

Onwuegbuzie & McLean, 2003,

Windeler, 2008,

keine Angaben zur Kontrollgruppe

DISKUSSION

Das Ziel des vorliegenden systematischen Literaturreviews ist es, anhand von Studien Interventionsansätze bei Fatigue nach msSHT im poststationären Langzeit-Setting aufzuzeigen. Die Erkenntnisse aus den inkludierten Studien wurden in die ICF eingeordnet, um Interventionsansätze für das interprofessionelle Team aufzuzeigen. Alle Studien können signifikante Effekte nachweisen (vgl. Tab. 2). Es zeigt sich, dass Fatigue die Partizipation im Alltag einschränkt und über längere Zeit hinweg bestehen bleibt. Fatigue weist signifikante Zusammenhänge mit Schlafstörungen, Depressionen, Ängsten und Vitamin-D-Mangel auf.

Strategien zum Fatigue-Management nach msSHT

Aufgrund des Zusammenhangs zwischen Fatigue nach msSHT und einer schlechteren Schlafqualität (Schnieders et al., 2012) könnten Strategien für Schlafstörungen ebenfalls für das Fatigue-Management angewendet werden (Nguyen et al., 2017) (b134). Dafür eignet sich die kognitive Verhaltenstherapie, die von Neuropsychologen/-innen (Khan-Bourne & Brown, 2003) durchgeführt werden kann (vgl. Abb. 4). Diese Therapieform hat bei SHT-Betroffenen aller drei Schweregrade einen positiven Einfluss auf Schlafqualität, Fatigue und Depressionen (Nguyen et al., 2017). Allerdings muss beachtet werden, dass Fatigue einerseits eher mit einem erhöhten Energieverbrauch zusammenhängt, andererseits signifikante Zusammenhänge zur Schlafqualität nachgewiesen werden konnten (Quera Salva et al., 2019). Bei Fatigue wird gemäss Adams und Dahdah (2016) mehr Zeit benötigt, um die Energieressourcen wieder aufzuladen. Gleichzeitig werden diese Ressourcen aber auch schneller wieder verbraucht. Deswegen ist die Edukation (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012) sowie die Entwicklung von Strategien zur Energieerhaltung bei Fatigue nach SHT wichtig, wobei in der Studie von Raina et al. (2016) alle SHT-Schweregrade einbezogen und Prinzipien der Verhaltensaktivierung genutzt werden. Ergotherapeuten/-innen erarbeiten dabei gemeinsam mit den Betroffenen individuelle Strategien (d155) (vgl. Abb. 4), welche direkt im Alltag umgesetzt werden können (d230). Die in Abb. 4 beschriebene Intervention zur Energieerhaltung wird via Internet mittels Videochat durchgeführt, was von den Teilnehmenden als nützlich empfunden wird, da sie auf diese Weise zuhause bleiben können (Raina et al., 2016). Zudem besteht die Möglichkeit von geplanten Telefonanrufen, wodurch die Betroffenen sowie die Angehörigen die Gelegenheit haben, bestehende Fragen zu stellen und von Fachpersonen beantworten zu lassen. Diese Möglichkeit führt zu einem gesteigerten Wohlbefinden (Bell et al., 2005). In Bezug auf Fatigue wird angemerkt, dass die primär Betreuenden, u. a. Angehörige, die Betroffenen mit Fatigue nach msSHT bei der täglichen Routine unterstützen können, z. B. die Personen darauf hinweisen, dass ihr Aktivitätslevel zu hoch ist (d230) (Adams & Dahdah, 2016). Identifizierte Coping- und Adaptationsstrategien der primär Betreuenden und der Betroffenen sind Bewegung, Erholung sowie das Nehmen von Zeit für sich selbst (Adams & Dahdah, 2016). Ein weiterer Faktor, welcher mit der täglichen Routine in Zusammenhang steht, ist der durch Beaulieu-Bonneau und Morin (2012) nachgewiesene Verlauf von Fatigue über den Tag hinweg (d230). Die Zunahme von Fatigue über den Tag hinweg soll in die Tagesgestaltung einbezogen werden, z. B. indem wichtige Termine auf den Vormittag geplant werden (Ouellet & Morin, 2006). In Zusammenhang mit der Tagesgestaltung steht auch die durch Fatigue negativ beeinflusste Motivation, den Tag zu beginnen. Dabei sollen Anzeichen für Depressionen beachtet werden (Quera Salva et al., 2019), da Fatigue nach msSHT eine Ursache für Depression sein kann (b130). Depressionen haben zudem einen starken Einfluss auf die Lebensqualität (Kumar et al., 2017). Nebst Depressionen sollen auch Ängste bei Interventionen für Fatigue nach msSHT berücksichtigt werden (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012; Schnieders et al., 2012), da dies starke Prädikatoren für langfristige Folgen, bis zu zehn Jahren nach dem SHT, sind und Fatigue zu emotionalem Stress beiträgt (Draper et al., 2007). Diese Faktoren sind somit wichtig bzgl. der Rehabilitationsphase F. Eine Reduzierung von negativen Stimmungszuständen, u. a. Fatigue, Depression und Angst, sowie eine Erhöhung von positiven Stimmungszuständen kann durch regelmässige physische Aktivität erreicht werden (b152) (Driver & Ede, 2009), welche unter der Anleitung von Physiotherapeuten/-innen stattfinden kann (vgl. Abb. 4). Gehen trägt beispielsweise dazu bei, wahrgenommenen Stress und Depressionen signifikant zu vermindern (Kolakowsky-Hayner et al., 2017). Des Weiteren hat Bewegung (Kolakowsky-Hayner et al., 2017), ebenso wie Lichttherapie mit bawL, einen positiven Einfluss auf kognitive Fähigkeiten (b164 wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen (b140, b144) (Quera Salva et al., 2019). Dies könnte in Bezug auf Coping-Strategien ebenfalls genutzt werden. Ein weiterer mit Angst, Depressionen, Fatigue und Schlafproblemen zusammenhängender Faktor ist Vitamin-D-Mangel. Dieser soll durch ärztliches Fachpersonal geprüft und ggf. behandelt werden (b545) (Schnieders et al., 2012). Andererseits kann auch der Lebensstil der Betroffenen ein Behandlungsansatz sein, da dieser mit Mangelerscheinungen einhergehen kann (d460) (Schnieders et al., 2012). Nach einem SHT ist zudem die Motivation für die Anwendung nicht pharmakologischer Interventionen höher, besonders wenn diese einfach umsetzbar sind (Kolakowsky-Hayner et al., 2017). Gemäss Dumont et al. (2004), die sich in ihrer Studie auf alle drei Schweregrade des SHT beziehen, ist PTBIF eine der grössten Herausforderungen für die Selbstwirksamkeit der Betroffenen und schränkt sie in ihrer Partizipation ein (d910). Dies zeigt sich auch in der Studie von Lequerica et al. (2017), in welcher ersichtlich ist, dass eine Remission der Fatigue zu höherer Partizipation führt. Mit Partizipation in Zusammenhang steht u. a. die tägliche Routine. Durch PTBIF und die daraus resultierenden chronischen Langzeitbeeinträchtigungen ist es anspruchsvoll, eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten (Ouellet & Morin, 2006). Eine Mehrheit der Betroffenen muss einen neuen Umgang mit Arbeits- und Erholungszeit, inkl. Schlafen, für sich entwickeln. Um die Einschränkungen zu kompensieren, reduzieren viele Betroffene soziale Aktivitäten, Freizeitunternehmungen sowie Arbeitszeiten (Dumont et al., 2004). Betroffene nach msSHT sind signifikant weniger am Studieren bzw. arbeitstätig (d830, d845, d850, d855) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012). Interventionen bzgl. Arbeit sind der neurologischen Rehabilitationsphase E zuzuordnen. Durch eine schrittweise erfolgreiche Wiedereingliederung kann das Selbstbewusstsein der Betroffenen gestärkt werden (vgl. Abb. 4) (Beaulieu, 2019). Mittels Stärkung der Selbstwirksamkeit kann wiederum die soziale Beteiligung verbessert werden (Dumont et al., 2004). In Bezug auf die soziale Interaktion ist jedoch anzumerken, dass sich Fatigue in signifikanter Weise erschwerend auf die Kommunikation auswirkt, was sich einschränkend auf den Alltag auswirken kann (Hicks et al., 2011; Togher et al., 2014). Die Fähigkeiten bzgl. Informationsverarbeitung und -verständnis der Betroffenen mit Fatigue nach SHT werden von Aussenstehenden oftmals zu hoch eingeschätzt (Adams & Dahdah, 2016). Nach MacDonald (2017) beeinflussen sich Kommunikationsfähigkeiten, emotionale Faktoren (u. a. Stress, Angst und Depressionen), physische Faktoren (z. B. Schlaf und Fatigue) sowie kognitive Faktoren (z. B. Aufmerksamkeit) gegenseitig. Aufgrund dessen befragten Hicks et al. (2011) Logopäden/-innen, welche Kommunikationsstrategien sie bei PTBIF anwenden (vgl. Abb. 4). Aus ärztlicher Sicht besteht die Möglichkeit der Behandlung von Fatigue nach msSHT mit Medikamenten (e1101) (Beaulieu-Bonneau & Morin, 2012; Schnieders et al., 2012). Ebenso sollen endokrine Einflussfaktoren untersucht und ggf. behandelt werden (b555) (Schnieders et al., 2012) (vgl. Abb. 4).

Abbildung 4:

Interventionsansätze bei Fatigue nach msSHT im poststationären Setting.

LIMITATIONEN

Im Rahmen der systematischen Recherche konnte nur eine kleine Anzahl relevanter Studien gefunden werden (N=4). Die Studien unterscheiden sich zudem stark in ihrer Methodik (analytische Beobachtungsstudien [n=3], Interventionsstudie [n=1]) und weisen meist relativ kleine Stichproben, unterschiedliche Messmethoden und -instrumente auf. Die Ergebnisse der Studien sind somit nicht repräsentativ. Dies zeigt sich ebenso anhand der Beurteilung der Gütekriterien, denn durch die Studiendesigns entstehen u. a. hohe Biasrisiken, weswegen die externe Validität sowie teilweise die interne Validität der Studien eingeschränkt ist. Infolge der angewandten Methodik in den Studien bietet die vorliegende Arbeit lediglich Interventionsansätze, weswegen auch keine abschliessenden Implikationen für die Praxis möglich sind. Somit werden Interventionsstudien spezifisch für Betroffene mit Fatigue nach msSHT benötigt. Diese sollen zudem verstärkt auf den Langzeiteffekt von Fatigue nach msSHT fokussieren. Hinzukommt, dass die Berufsgruppen des interprofessionellen Teams unterschiedlich stark in der Evidenz vertreten sind und z. B. in der vorliegenden Arbeit keine Implikationen für die Berufsgruppe «Pflege» möglich sind. Des Weiteren kann es sein, dass trotz der vertieften Recherchen nicht alle relevanten Studien gefunden wurden. Aufgrund der Sprachkenntnisse und der zur Wahl stehenden Datenbanken wurden schlussendlich nur englischsprachige Studien einbezogen, wodurch die Auswahl noch zusätzlich eingeschränkt wurde.

WEITERFÜHRENDE FRAGEN

Wie bereits zu Beginn der vorliegenden Arbeit erwähnt, mangelt es an spezifischen Studien bzgl. Interventionen bei Fatigue nach msSHT im poststationären Langzeitbereich. Viele Studien fokussieren sich auf Fatigue nach SHT, ohne die Schweregrade des SHT zu berücksichtigen. Deren Ergebnisse bzgl. geeigneter Interventionen sowie die Studienergebnisse, welche den Fokus auf Fatigue nach anderen Diagnosen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose oder Krebs haben, sollten spezifisch für Fatigue nach msSHT geprüft werden. Zudem fehlt es an Studien mit hohem Evidenzniveau (z. B. RCTs, Metaanalysen), um die formulierten Interventionsansätze und Interventionen für msSHT evidenzbasiert überprüfen zu können. Daraus resultierende Ergebnisse sollen als Guideline formuliert zusammengetragen werden und nach Evidenzniveau klassifiziert werden. Ein weiterer Gedanke wäre die Entwicklung eines Core Sets für PTBIF, da in der vorliegenden Arbeit ICF Komponenten gefunden wurden, die nicht im SHT Core Set vertreten sind. Weiter stellt sich die Frage nach einer einheitlichen Sammlung an Assessments zur zuverlässigen Erhebung von Fatigue nach SHT, da in den gefundenen Studien zahlreiche Assessments verwendet wurden und es keine spezifischen Assessments für PTBIF zu geben scheint.

SCHLUSSFOLGERUNG

Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Fatigue nach msSHT den Alltag der Betroffenen im poststationären Langzeitsetting signifikant einschränken kann und damit die Lebensqualität vermindert. Einschränkungen zeigen sich in verschiedenen Aspekten, z. B. in der Tagesroutine der Betroffenen und in den Bereichen Partizipation und Produktivität. Um die Symptome von Fatigue nach msSHT zu evaluieren, könnten regelmässige Erhebungen, z. B. anhand eines Schlaftagebuchs, sinnvoll sein, da auf diese Weise ein Verlauf sichtbar wird, welcher als Grundlage für nachfolgende Interventionen genutzt werden könnte. Zudem sollten andere potenziell zugrunde liegende bzw. zusammenhängende Erkrankungen, wie Schlafstörungen, Depressionen, Ängste, Vitamin-D-Mangel und endokrine Ursachen, erfasst und behandelt werden. Bei den Interventionsansätzen für Fatigue nach msSHT gibt es medikamentöse wie auch nicht-medikamentöse Möglichkeiten, welche angewendet werden können. Zu den nicht-medikamentösen Möglichkeiten für Fatigue nach msSHT zählen bisher Kompensationsstrategien, Strategien zum Energiemanagement, z. B. Ruhezeiten- und Schlafoptimierung, sowie die tägliche Lichttherapie mit blau angereichertem weissem Licht. Um diese Interventionen umzusetzen, wird eine interprofessionelle Zusammenarbeit des ergotherapeutischen, physiotherapeutischen, pflegerischen, logopädischen, neuropsychologischen und ärztlichen Fachpersonals benötigt. Wie im Diskussionsteil der vorliegenden Arbeit ersichtlich, gibt es zahlreiche weitere Ansatzpunkte für das interprofessionelle Team. Diese zusätzlichen Interventionsansätze müssen jedoch zuvor noch für Fatigue nach msSHT im poststationären Setting überprüft werden. Somit bestehen noch keine abschliessenden Erkenntnisse für Interventionsmöglichkeiten bei Fatigue nach msSHT im poststationären Langzeit-Setting.

eISSN:
2296-990X
Sprachen:
Englisch, Deutsch
Zeitrahmen der Veröffentlichung:
Volume Open
Fachgebiete der Zeitschrift:
Medizin, Klinische Medizin, andere