Die Begriffe «Interprofessionalität» oder «interprofessionelle Zusammenarbeit» (IpZ) haben in den letzten Jahren in der Gesundheitsversorgung im deutschsprachigen Raum Einzug gefunden. Bildungsstätten richten interprofessionelle Ausbildungsstationen oder andere Lehrangebote ein (ZIPAS, 2020; Universitätsmedizin Mannheim, 2020; CiS, 2020; JMM-HSG/UZH), die Schweizer Bundesregierung fördert Programme wie «Interprofessionalität im Gesundheitswesen» (Bundesamt für Gesundheit, 2020). Was in skandinavischen Ländern oder den USA unter Bezeichnungen wie
Soll jedoch die IpZ im Gesundheitsbereich den erhofften positiven Effekt auf die Gesundheit der Bevölkerung und das Patientenwohl haben (siehe Ulrich et al., 2020, Sottas & Kissmann, 2016) und sollen künftige Gesundheitsfachleute fundiert ausgebildet werden, müssen sich alle beteiligten Parteien bewusst sein, dass unterschiedliche Auffassungen von Interprofessionalität bestehen. Sottas und Kissmann betonen ausserdem:
«Die Unschärfen betreffend Gegenstand, Setting, Ziel, Interessenlage und Verwendungszweck müssen bei den Studien zu Interprofessionalität mitbedacht und gewürdigt werden»
Freilich ist nicht nur die Begriffsdefinition unscharf, sondern ebenso die Verwendung des Begriffs, dessen Deutung und Wertung: Die Varianz der Bandbreite an Bedeutungsfacetten und der pragmatische Wert der Bedeutung erscheinen noch pointierter, wenn Texte verschiedener Berufs- und Rezipient/-innengruppen verglichen werden.
Einige gesundheitswissenschaftliche Publikationen fokussieren auf eine Auseinandersetzung mit den Facetten des Begriffs in einem globalen Kontext. Danielle D'Amour et al. versuchten schon 2005 die unterschiedlichen Definitionen und die prägenden Konzepte der IpZ im Gesundheitswesen zu fassen. Mittels eines Literaturreviews von achtzig Arbeiten im Bereich Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich konnten verschiedene grundlegende Konzepte extrapoliert werden, die wiederholt auftauchen, wenn thematisch «Zusammenarbeit» definiert wird: «
Der unerlässliche Einbezug der Patient/-innen ist bei neueren Definitionen IpZ angekommen. Das zeigt beispielsweise der folgende Abschnitt aus der Charta «Interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen» aus dem Jahr 2020:
«In einer modernen Gesundheitsversorgung sind die Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen partnerschaftlich in die Planung und Umsetzung der Gesundheitsversorgung eingebunden, sofern sie dies möchten und dazu in der Lage sind. Dies bedeutet, dass die edukativen, beratenden, präventiven, diagnostischen, therapeutischen, pflegerischen, rehabilitativen und palliativen Leistungen nicht nur unter den beteiligten Berufsleuten abzustimmen sind, sondern wenn immer möglich auch mit dem Patienten/der Patientin und dem nahen Umfeld bzw. den Vertretungsberechtigten.»
Haddara & Lingard (2013) näherten sich dem Begriff «Interprofessionalität» bzw.
Die beiden Strömungen, die Haddara & Lingard mit ihrer diskursanalytischen Untersuchung für den anglo-amerikanischen Raum aufgedeckt haben, stimmen mit den Beobachtungen, die Atzeni et al. (2017) im Schweizer Gesundheitssystem machten, überein. Ergänzend definieren Atzeni et al. die IpZ zudem als politischen, als Kampfbegriff: «[ ] der Begriff dient auch als Instrument, Interessen zu formulieren, eigene Positionen gegenüber anderen zu definieren und Handlungsbedarf anzumahnen» (Atzeni et al., 2017, S. 18). Sie sehen in der Unbestimmtheit des Begriffs IpZ, neben allen Nachteilen, die sie mit sich bringt, auch eine Chance, verschiedenste Ansprüche an das Gesundheitswesen zusammenzufassen bzw. unterschiedliche Logiken oder Kulturen der Gesundheitsversorgung produktiv aufeinander zu beziehen (Atzeni et al., 2017). Atzeni et al. wagten in ihrer Studie einen alternativen Weg zur Definition und versuchten «zu rekonstruieren [ ], was die Praxis selbst unter IpZ versteht» (Atzeni et al., 2017, S. 17). Dazu führten sie 25 qualitative Interviews mit Gesundheitsexpert/-innen, wobei der Fokus auf «die subjektiven Narrative gelungener bzw. misslungener IpZ von verschiedenen Gesundheitsfachleuten in unterschiedlichen Settings» (Atzeni et al., 2017, S. 21) gesetzt wurde. Als Resultat dieser narrativen Interviews präsentierten Atzeni et al. drei Formen gelingender IpZ: «koordinative, [ ] kokreative sowie projekthafte Verdichtungen» (Atzeni et al., 2017, S. 24). Die koordinative Zusammenarbeit wird als «Formen des Ineinandergreifens relativ klar definierter, meist institutionell verstetigter Handlungsmuster und antrainierter Kompetenzen» (Atzeni et al., 2017, S. 24) bezeichnet.
Zu koordinativer Zusammenarbeit kommt es meist in kritischen, stressigen Momenten, in denen es schnell gehen muss, wobei die Handlungslogiken der Medizin dominieren. Als Beispiele werden die Reanimation oder operative Eingriffe genannt. Kokreative Zusammenarbeit geschieht hingegen meist ohne direkten Zeitdruck. Es sind «Formen von Arbeitsteilung» (Atzeni et al., 2017, S. 24), die nicht auf einer einzigen Handlungslogik beruhen, sondern «verteilte Formen von Deutungshoheit» (Atzeni et al., 2017, S. 24) und einen großen Anteil an Patient/-innen-Individualität aufweisen. So können beispielsweise Patient/-innen am Lebensende sehr persönlich betreut werden. Zwischen diesen beiden Enden der Skala liegen die projekthaften Verdichtungen, die «als temporär fungierende oder anspruchsvoll organisierte Insel bzw. Projekt verdichteter Zusammenarbeit» (Atzeni et al., 2017, S. 24) beschrieben werden. Sie entstehen aufgrund von «Abstimmungsund Koordinierungsbedürfnisse[n] der involvierten Professionellen angesichts sich wiederholender medizinischer bzw. gesundheitsversorgerischer Problemlagen» (Atzeni et al., 2017, S. 24).
Linguistische Arbeiten, die sich mit einer Begriffsdefinition von «Interprofessionalität» auseinandersetzen, sind – vor allem im deutschsprachigen Raum – (noch) nicht vorhanden. Die Literatur aus dem Gesundheitsbereich zum Thema «Interprofessionalität» konzentriert sich vorwiegend auf positive und negative Auswirkungen IpZ mit
Unser erstes Untersuchungsziel ist es, die Verwendung der Begriffe «Interprofessionalität», «interprofessionell» und «interprofessionelle Zusammenarbeit» in Texten empirisch zu fassen und zu belegen.
Dabei stützen wir uns auf Daten aus zwei linguistischen Korpora: Erstens auf das deutsche Referenzkorpus (DeReKo) und zweitens auf das mehrsprachige Schweizer Webkorpus der Angewandten Linguistik der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) (Swiss-AL). Wir gehen in diesen Sammlungen sprachlicher Äusserungen, insbesondere von Texten, auf die Erstnennung, die Häufigkeit der Begriffe sowie auf ihre Quellen ein. Diese quantitative Herangehensweise bearbeitet die folgende Forschungsfrage:
Wann, in welcher Quelle und in welchem Zusammenhang tauchen die Begriffe «Interprofessionalität», «interprofessionell» und «interprofessionelle Zusammenarbeit» im Deutschen Referenzkorpus sowie im Swiss-AL-Korpus auf und wie hat sich die Häufigkeit der Begriffe über die Jahre hinweg entwickelt?
In einem zweiten Arbeitsschritt fokussieren wir auf die Verwendung der Begriffe in den Texten der beiden Korpora und bearbeiten damit folgende Forschungsfrage:
Welche anderen Begriffe werden in den Texten der jeweiligen Korpora im näheren Umfeld der analysierten Begriffe verwendet und in welchen inhaltlichen Kontexten tauchen die analysierten Begriffe auf?
Die linguistische Methode der Korpuslinguistik stützt sich auf sogenannte Korpora, die aus einer endlichen, meist umfangreichen Menge an konkreten sprachlichen Äusserungen bestehen und als empirische Grundlage für sprachwissenschaftliche Untersuchungen dienen (Bussmann, 2008). Die sprachlichen Äusserungen, die im Korpus enthalten sind, liegen in unserem Fall in schriftlicher Form vor. Bei der Erstellung eines Korpus werden die Texte in eine einheitliche Struktur gebracht und mit Metadaten (z. B. Datum, Angaben zum Autor oder zur Autorin, Thema etc.) versehen. Für eine linguistische Untersuchung wird ein Korpus üblicherweise
Für die vorliegende Analyse kommen zwei Korpora zur Anwendung: Das erste Korpus wird über COSMAS II abgerufen, «[e]ine am IDS [= Leibniz-Institut für deutsche Sprache] konzipierte Volltextdatenbank für das linguistisch motivierte Recherchieren in den Textsammlungen […] des IDS» (Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, 2018). Grundlage der Suche ist das deutsche Referenzkorpus (DeReKo), das «Zeitungen, Sach-, Fach- sowie schöngeistige Literatur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz von 1772 bis heute» (Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, 2018) umfasst. Das DeReKo ist somit «die weltweit größte linguistisch motivierte Sammlung elektronischer Korpora mit geschriebenen deutschsprachigen Texten aus der Gegenwart und der neueren Vergangenheit» (Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, 2018). Für die vorliegende Analyse wird das Hauptarchiv
Das zweite Korpus ist das
Der Fokus auf die Verwendung der Begriffe beinhaltet die Frage nach ihrem Kontext. Diese Kontexte wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht. Anhand einer Analyse der Textausschnitte, in denen die Treffer vorkamen, wurden sowohl für die Ergebnisse im Swiss-AL-Korpus als auch im DeReKo Kategorien definiert, in die sich die Treffer gruppiert einordnen lassen. Dazu wurden in einem ersten Schritt Textausschnitte aller drei Suchbegriffe zufällig ausgewählt, aufgrund derer die Kategorien induktiv gebildet wurden. Anschließend wurde anhand der übrigen Texte deduktiv geprüft, ob die gebildeten Kategorien ergänzt oder präzisiert werden müssen.
Eine einfache Suche nach dem Begriff «Interprofessionalität» ergab über COSMAS II zwischen 1998 und 2019 29 Treffer. Der allererste Treffer stammt aus dem Jahr 1998 und taucht im Zusammenhang mit Verbunden zwischen Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern auf. Der erste Treffer, der sich auf Gesundheit bezieht, stammt aus einem Artikel der
Eine Übersicht über die Quellen, in denen die drei Begriffe auftauchen, zeigt, dass diese vor allem in Schweizer Zeitungen (z. B. NZZ, St. Galler Tagblatt, Tages-Anzeiger) genannt werden (siehe Tabelle 1–3). Im DeReKo fehlt jedoch das Gebiet der Wissenschafts- und Fachliteratur, weshalb ein Großteil der Nennungen in medizinischen Publikationen nicht abgebildet wird.
Quellen und Anzahl Nennungen von «Interprofessionalität».
Neue Zürcher Zeitung | 12 |
St. Galler Tagblatt | 7 |
Tages-Anzeiger | 3 |
Süddeutsche Zeitung | 2 |
Sonntags-Zeitung | 2 |
Nürnberger Nachrichten | 1 |
NZZ am Sonntag | 1 |
Rhein-Zeitung | 1 |
Quelle: COSMAS II, eigene Darstellung
Quelle und Anzahl Nennungen «interprofessionell».
Neue Zürcher Zeitung | 100 |
St. Galler Tagblatt | 79 |
Niederösterreichische Nachrichten | 53 |
Tages-Anzeiger | 40 |
Wikipedia | 29 |
Rhein-Zeitung | 27 |
Die Südostschweiz | 23 |
Süddeutsche Zeitung | 16 |
Sonntags-Zeitung | 13 |
Die Presse | 10 |
die tageszeitung | 10 |
Diverse Nennungen < 10 | 73 |
Quelle: COSMAS II, eigene Darstellung
Quelle und Anzahl Nennungen «interprofessionelle Zusammenarbeit».
St. Galler Tagblatt | 20 |
Neue Zürcher Zeitung | 11 |
Rhein-Zeitung | 5 |
Die Südostschweiz | 4 |
Tages-Anzeiger | 4 |
NZZ am Sonntag | 2 |
Diverse Einzelnennungen | 4 |
Quelle: COSMAS II, eigene Darstellung
Die einfache Suche nach «Interprofessionalität» ergab über das CQPweb im Swiss-AL-Korpus in den Jahren 2002–2019 286 Treffer. Die Suchanfrage zu «interprofessionell» und seinen verschiedenen Formen ergab 1291 Treffer. «Interprofessionelle Zusammenarbeit» lieferte 239 Treffer.
Dass bei den häufigsten Nennungen vor allem süddeutsche und Schweizer Zeitungen genannt sind, lässt vermuten, dass die Verwendungen von «Interprofessionalität»/«i nterprofessionell» regionalen Präferenzen unterliegen. Selbstredend finden sich auch Belege in norddeutschen Zeitungen, wie z. B. in der Berliner Morgenpost, Hannoversche Allgemeine oder Hamburger Morgenpost. Eine Auflistung der Quellen, in denen die drei Begriffe im Swiss-AL-Korpus auftauchten, zeigt, dass die meisten Nennungen der Begriffe «Interprofessionalität» und «interprofessionelle Zusammenarbeit» aus Admin. ch, also dem Online-Portal der Schweizer Regierung stammen (siehe Tabellen 1 und 3). Zweithäufigste Quelle ist die FMH, der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, von dessen Webseite ebenso die meisten Nennungen für «interprofessionell» stammen (siehe Tabelle 2). Vergleichbar viele Nennungen weisen die Universitätsspitäler Zürich und Basel auf. Die Perspektive der Patientinnen und Patienten ist durch Quellen wie die Schweizerische Patientenorganisation oder die Stiftung Patientensicherheit Schweiz vertreten. Der Ausbildungsaspekt der Begriffe kommt in Quellen der Hochschulen zutage (Hochschule für Gesundheit Fribourg, Fachhochschule Westschweiz etc.). Grundsätzlich fällt auf, dass ein Großteil der Nennungen von Webseiten stammt, die sich in erster Linie an ein medizinisch orientiertes Publikum richten (FMH, Schweizerische Ärztezeitung, Universitätsspitäler). Webseiten, welche die breite Bevölkerung erreichen (z. B. SRF, Der Bund, Blick.ch), verfügen nur über wenige Nennungen.
Das Tool CQPweb ermöglicht zudem eine Darstellung der Häufigkeit der Suchbegriffe über die Zeit hinweg. Die Analyse der Verteilung des Begriffs «Interprofessionalität» zeigt einen ersten leichten Anstieg der Begriffsnennungen ab 2011 sowie einen starken Anstieg der Verwendung ab 2014 bis 2017. In den Daten des DeReKo ist über COSMAS II ein Anstieg erst von 2016 (2 Nennungen) zu 2017 (11) nachzuweisen. Interessant sind die leichten Rückgänge an Nennungen beim Begriff «Interprofessionalität» von 2017 (77 Nennungen im Swiss-AL- bzw. 11 im DeReKo) nach 2018 (68 bzw. 2) (siehe Abb. 1, Anmerkung: Die Daten für 2019 liegen erst bis Juni vor, weshalb sie in der Abbildung nicht berücksichtigt wurden).
Ein solcher Rückgang ist bei den Begriffen «interprofessionell» und «interprofessionelle Zusammenarbeit» nicht zu beobachten. Bei beiden Begriffen ist eine anfänglich leichte Zunahme 2009 von 12 auf 44 (bei «interprofessionell») bzw. 2010 von 2 auf 10 (bei «interprofessionelle Zusammenarbeit») zu beobachten. Im Jahr 2014 steigt die Anzahl Nennungen bei beiden Begriffen kontinuierlich an.
Quellen und Anzahl Nennungen von «Interprofessionalität».
Admin.ch | 116 |
FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte | 73 |
Schweizerische Ärztezeitung | 16 |
Schweizerische Patientenorganisation | 16 |
Diverse Nennungen < 10 | 65 |
Quelle: Swiss-AL, eigene Darstellung
Quellen und Anzahl Nennungen von «interprofessionell».
FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte | 344 |
Admin.ch | 261 |
Patientensicherheit Schweiz | 118 |
Unispital Basel | 108 |
Universitätsspital Zürich | 106 |
H+ Die Spitäler der Schweiz | 45 |
Hochschule für Gesundheit Freiburg | 43 |
Luzerner Kantonsspital | 37 |
Smarter Med | 23 |
Schweizerische Patientenorganisation | 16 |
Fachhochschule Westschweiz | 15 |
Schweizerischer Verein der Amts- und Spitalapotheker | 13 |
Public Health Schweiz | 12 |
Pädiatrie Schweiz | 12 |
Diverse Nennungen < 10 | 138 |
Quelle: Swiss-AL, eigene Darstellung
Quellen und Anzahl Nennungen von «interprofessionelle Zusammenarbeit».
Admin.ch | 80 |
FMH Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte | 39 |
Unispital Basel | 29 |
Universitätsspital Zürich | 20 |
Patientensicherheit Schweiz | 14 |
Diverse Nennungen < 10 | 57 |
Quelle: Swiss-AL, eigene Darstellung
Im DeReKo über COSMAS II findet sich ein Rückgang der Nennungen bei «interprofessionell» von 51 (2017) auf 35 (2018) Treffer, der auch bei «interprofessionelle Zusammenarbeit» zu beobachten ist (von 10 auf 6 Nennungen). Insgesamt ist die Häufigkeitsverteilung der Suchbegriffe im DeReKo vor allem beim Begriff «interprofessionell» unregelmäßiger als im Swiss-ALKorpus und weist einen weniger deutlichen Anstieg der Suchbegriffe ab 2014–2017 auf.
Mit der tiefen Trefferanzahl von 29 Treffern ist eine Kollokationsanalyse für den Begriff «Interprofessionalität» in COSMAS II nicht möglich. Bei der Kollokationsanalyse für den Begriff «interprofessionell» bezogen sich die am häufigsten zusammen mit «interprofessionell» auftauchenden Begriffe auf andere Themengebiete. Im Themenbereich Gesundheit sind es die folgenden:
Die am häufigsten zusammen mit «interprofessionelle Zusammenarbeit» auftretenden Begriffe lauten: «Grundversorgung», «Mantels», «interdisziplinäre», «Behandlung», «Vernetzung», «Ärzten», «funktioniert», «Team».
Die qualitative Analyse der inhaltlichen Kontexte ergab folgende Gruppierungen:
Im Swiss-AL-Korpus lauten die am häufigsten mit «Interprofessionalität» gemeinsam genannten Begriffe, erhoben durch eine Kollokationsanalyse, in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit:
Beim Suchwort «interprofessionell» sieht die Verteilung folgendermaßen aus:
Bei der Suche nach «interprofessioneller Zusammenarbeit» waren die häufigsten Begriffe kategorisiert nach Wortarten:
Die Kategorien des Swiss-AL-Korpus sind denjenigen des DeReKo durchaus ähnlich:
Wie die Analyse zeigt, hat es im Swiss-AL-Korpus nach einer ersten leichten Häufung der Begriffe um 2010 einen starken Anstieg des Gebrauchs der Begriffe ab 2014 gegeben. Diese Veränderungen in der Anzahl Nennungen dürften eng verbunden sein mit dem Bestreben, Interprofessionalität im Schweizer Gesundheitswesen zu fördern, was zu einer höheren Verwendung der entsprechenden Begriffe geführt haben dürfte. Im September 2011 wurde z. B. an der vierten Sitzung der Plattform «Zukunft ärztlicher Bildung» die Themengruppe «Interprofessionalität» mandatiert. Im Dezember 2014 fand die nationale Konferenz «Interprofessionelle Bildung der Gesundheitsfachpersonen – Kontinuierliche Verbesserung der Patientenversorgung» statt. Offen bleibt, ob das Vorkommen der Begriffe weiter im selben Maße zunimmt. Insbesondere wird zu beobachten sein, ob der leichte Rückgang an Nennungen beim Begriff «Interprofessionalität» in den kommenden Jahren fortgesetzt wird. Möglich ist eine Ablösung von «Interprofessionalität» durch den Begriff «interprofessionelle Zusammenarbeit», dessen Verwendung keinen Rückgang zeigt. Da im DeReKo über COSMAS II aufgrund des fehlenden Einbezugs von Wissenschafts- und Fachliteratur tiefere Trefferzahlen erreicht wurden, lässt dieses Korpus nur bedingt vertiefende Aussagen zur Häufigkeit zu. Eine Analyse der Zahlen nach einer entsprechenden Erweiterung der Quellen wäre daher lohnenswert.
Verbunden sind die Begriffe «Interprofessionalität», «interprofessionell» und «interprofessionelle Zusammenarbeit» derzeit noch stark mit Schlagworten, die auf eine Entwicklung hindeuten: Förderung, Ausbildung, gelebte Praxisbeispiele. Zudem tauchen die Begriffe bisher vor allem in Quellen auf, die sich an ein interessiertes Fachpublikum richten und nicht in Quellen mit einer dispersen Leserschaft (deshalb wohl auch die tieferen Trefferzahlen im DeReKo). Dies zeigt, dass das Konzept «Interprofessionalität» noch nicht im Alltag der breiten Bevölkerung angekommen ist, sondern noch gehegt und entwickelt werden muss - auch im Gesundheitsbereich.
Denn des Weiteren fällt auf, dass Ärzte und Ärztinnen die am häufigsten genannte Berufsgruppe sind. Daneben kommt nur die Pflege bzw. Pflegefachpersonen als weitere Berufsgruppe vor. Andere Gesundheitsberufe stehen im Hintergrund. Diese Beobachtungen werden dadurch ergänzt, dass die Verwendung von Interprofessionalität im utilitaristischen Sinn nach Haddara & Lingard (2017) (also als Mittel zur gesteigerten Effizienz der Pflege mit besseren
Auch Patient/-innen stehen offenbar nicht im Fokus der analysierten Texte aus den Korpora. Erst die neueste wissenschaftliche bzw. verbandspolitische Literatur geht bewusst darauf ein, dass sich die Konzepte der Interprofessionalität und der patientenbzw. familienzentrierten Versorgung verschränken müssen (Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW), 2020).
Eine vergleichbare Entwicklung sieht man in der Lehre in Modulen zur interprofessionellen Zusammenarbeit: Der Prozess dynamisiert sich vom statischen Austausch unter Experten und Expertinnen hin zur Integration von Haltungen, Meinungen und Einschätzungen durch Patienten und Patientinnen, die vermehrt im Zentrum stehen (Fox & Reeves, 2015). Auch Sottas, Kissmann und Brügger stellen in ihrem Bericht zur interprofessionellen Ausbildung im Rahmen des BAG-Förderprogramms «Interprofessionalität im Gesundheitswesen 2017–2020» fest:
Es scheint fast so, als seien die neuesten Entwicklungen aus der Gesundheitswissenschaft noch nicht in den Diskursen einer breiteren Öffentlichkeit rund um die IpZ angekommen zu. Die insgesamt tieferen und unregelmäßigeren Trefferzahlen im DeReKo, der nicht über Wissenschafts- und Fachliteratur verfügt, deuten darauf hin, dass sich theoretische Auseinandersetzungen mit Interprofessionalität bisher grösstenteils in fachlichen Diskursen niederschlagen. Zukünftige Beobachtungen mit weiteren Korpusdaten werden zeigen, ob sich der theoretische Wandel auch in der Praxis durchsetzen wird und außerhalb der Gesundheitswissenschaften mehr Aufmerksamkeit erhält. Ergänzende Analysen könnten dabei aufzeigen, ob theoretische Neuerungen in der Auffassung von interprofessioneller Arbeit sich auch im Alltag des Gesundheitswesens niederschlagen.
Inwieweit die reine Zunahme der Verwendung der Begriffe «Interprofessionalität», «interprofessionell» und «interprofessionelle Zusammenarbeit», wie sie unsere Analysen zeigen, wirklich zu einem tieferen Verständnis der Probleme der gesundheitlichen Versorgung sowie möglicher Lösungen beitragen, müsste durch weitere Beobachtungen und eine Analyse der Rezeption der Texte vertieft werden. Ebenso vertiefen müsste man eine internationale, mehrsprachige Sichtweise (siehe beispielsweise Thylefors, Perrsson, & Hellstrom 2005), da wir uns nur und ausschließlich Verwendungsweisen im deutschsprachigen Raum angesehen haben.