Der demografische Wandel und die Versorgung multimorbider Patient:innen stellen die Gesundheitsversorgung vor Herausforderungen (Tiemann & Mohokum, 2021). Um diesen zu begegnen, ist die interprofessionelle Zusammenarbeit sämtlicher Gesundheitsfachpersonen essentiell (CIHC, 2010; Walkenhorst et al., 2015; WHO, 2010; Zwarenstein et al., 2009). Die interprofessionelle Ausbildung (IPE – interprofessional education), die vermehrt an Hochschulen, Fachhochschulen und Fachschulen eingeführt wird, bringt verschiedene Professionen bereits in der Ausbildung zusammen, die später in der Berufspraxis zusammenarbeiten werden (Wissenschaftsrat, 2012). Die Forschung zu IPE fokussiert auf die Studierenden, die Lehrenden werden selten untersucht (Reeves et al., 2016b). Diese haben in der Regel einen professionsspezifischen Hintergrund, müssen jedoch nicht zwingend Erfahrungen aus dem praktischen Setting oder der Lehre aufweisen (Bloch & Würmann, 2019). An Hochschulen nehmen laut Hochschulrahmengesetz
Unklar ist die Bedeutung für die interprofessionelle Lehre, wo mindestens zwei Berufsgruppen vertreten sind. Im interprofessionellen Unterricht sollen Studierende die Möglichkeit zum Austausch haben und von den Lehrenden Aufgaben bzw. Lernanreize erhalten. Das Lernverständnis verändert sich vom Lehrenden hin zum/zur Lernbegleiter:in (Cendon, 2017; Lübke et al., 2015). Zierer (2018) formuliert zur Entwicklung des Rollenverständnis von IPE-Lehrenden zusammenfassend:
Walkenhorst et al. (2015) halten fest, dass die interprofessionell Lehrenden vor großen Herausforderungen stehen, weil sie ihre Lehre nicht nur in interprofessionellen Teams planen, sondern auch in gemeinsamen Settings durchführen, wobei unterschiedlichste Lernmethoden eingesetzt werden sollen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wahrnehmung der Lehrperson hinsichtlich ihrer Modell- und Vorbildfunktion. Eine gute patientenzentrierte Versorgung ist für die Lernenden wahrscheinlich schwieriger zu denken und umzusetzen, wenn die interprofessionell Lehrenden diese weder glaubhaft im Team durchführen noch gut begründen und adäquat anleiten können. Vorbildlich sein erhöht die Glaubwürdigkeit (Hascher, 2006) und Lernen durch Einsicht erhöht die Wahrscheinlichkeit der Verhaltensänderung (Treml & Becker, 2010). Beides ist notwendig, um interprofessionelle Lehre zielgerichtet zu implementieren. Wenn didaktische und/oder pädagogische Qualifikationen für die Hochschullehre nicht zwingend erforderlich sind, stellt sich die Frage, wie sich Hochschullehrende diese Kompetenzen aneignen.
Dieser Beitrag berichtet über die Ergebnisse einer Umfrage bei IPE-Lehrenden in Deutschland, deren Perspektiven und Erfahrungen im Zentrum stehen. Er geht der Frage nach, welches Handeln aus deren Sicht in der interprofessionellen Lehre wichtig ist, und über welche Kompetenzen interprofessionell Lehrende verfügen sollten.
Die konkreten Fragen lauten:
Was ist IPE-Lehrenden in Bezug auf das Handeln in der Lehre wichtig? Über welche Kompetenzen sollte eine Lehrende/ein Lehrender aus Sicht von IPE-Lehrenden verfügen? Verfügen IPE-Lehrende über Fortbildungen für ihre IPE-Lehrtätigkeit und wie hoch ist die Bereitschaft, Fortbildungen zu absolvieren? Sehen sich IPE-Lehrende als Modell für die Studierenden?
Um diese Fragen zu beantworten, entwickelte die Erstautorin einen Fragebogen im Rahmen ihrer Dissertation. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für eine Vertiefung des Themas mittels qualitativer Methoden. Da es im deutschsprachigen Raum keinen standardisierten Fragebogen zu Eigenschaften interprofessionell Lehrenden gibt, hat sie die Fragen entwickelt auf der Grundlage theoriebasierter Literatur
zur Lehre in der Hochschule (HSR §43 Absatz 1; Böss-Ostendorf et al., 2014; Huber, 2019; Brockerhoff & Keller, 2019), zur Kompetenzentwicklung von Lehrkräften (Rohr et al., 2016; Winteler, 2004) sowie zum Angebot und Partizipation an didaktischen/pädagogischen als auch interprofessionellen Fortbildungen (Stes et al., 2010; Wildt, 2013; IMPP & RBS, 2020).
Der Fragebogen wurde mit fünf Proband:innen aus unterschiedlichen Professionen getestet. Nach erfolgter Rückmeldung passte die Erstautorin den Fragebogen an. Der anonyme Online-Fragebogen gliederte sich in fünf Teilbereiche mit insgesamt 28 Fragen:
soziodemografische Angaben Umfang und Erfahrung in der Lehre, Professionelle und interprofessionelle Kompetenzen Selbst durchgeführte IPE-Veranstaltungen Qualifikation von IP-Lehrenden
De Rekrutierung von Umfrageteilnehmer:innen erfolgte in drei Schritten:
Die Erstautorin ermittelte im Zeitraum von Mai bis August 2019 über eine Online-Recherche alle Universitäten, Fachhochschulen und Fachschulen in Deutschland, die für die Bereiche Medizin, Pflege und Physiotherapie ausbilden. Die medizinischen Fakultäten ermittelte sie über die Ärztekammer Baden-Württemberg, die eine Auflistung aller Universitäten im deutschsprachigen Raum anbietet. Die Ausbildungsmöglichkeiten der Physiotherapie rief sie über die Schul- und Studienverzeichnisse des Zentralverbands der Physiotherapie (ZVK) ab. Da es für die Pflege kein vollständiges Verzeichnis von Fachhochschulen und Fachschulen für Deutschland gibt, hat die Erstautorin per Google-Suche unter dem Stichwort Von September bis November 2019 nahm die Erstautorin Kontakt zu den jeweiligen Institutionen auf. Vorrangig war die telefonische Kontaktaufnahme. Konnte sie auch nach einem zweimaligen Versuch per Telefon keinen Kontakt herstellen, versandte sie eine E-Mail mit dem Anliegen an die Ansprechpartner:innen, die in den Registern bzw. auf den jeweiligen Websites angegeben waren. Per Telefon bzw. per E-Mail erfragte sie, ob in den Einrichtungen interprofessionelle Veranstaltungen angeboten werden. Bei einer positiven Antwort erkundigte sich die Erstautorin nach den Namen der interprofessionell Lehrenden und bat um eine Weiterleitung der Anfrage. Bei erfolgreicher Kontaktaufnahme mit den interprofessionell Lehrenden fragte die Erstautorin, ob sie an der Online-Umfrage teilnehmen. Bei Zusage der Teilnahme verschickte die Erstautorin den Link zur Umfrage, die bis Ende Dezember 2019 bearbeitet werden konnte.
Insgesamt wurden deutschlandweit 798 Ausbildungsinstitutionen ermittelt. Mangels eines bundesweiten Registers für Pflegeausbildungen kann eine Vollständigkeit hierfür nicht garantiert werden. Fand sich nach zweimaliger Kontaktaufnahme keine auskunftsbereite Person, wurde die entsprechende Institution nicht weiterbearbeitet. Mit 594 Ausbildungsinstitutionen (74 %) fand eine erfolgreiche Kontaktaufnahme statt.
Von den 594 Institutionen gaben 134 (22,6 %) an, interprofessionelle Lehrveranstaltungen anzubieten; 125 Personen gaben die Einwilligung zu Bearbeitung des Fragebogens. Neun Personen beantworteten den Fragebogen aus Zeitgründen nicht.
Von den verschickten 125 Fragebögen wurden 76 (61 %) komplett von interprofessionell Lehrenden ausgefüllt. Die soziodemografischen Merkmale der teilnehmenden IP-Lehrenden zeigt Tabelle 1. Lediglich 9 % der Befragten verfügten über eine Zusatzqualifikation in IPE, eine doppelte Qualifizierung für Pädagogik und IPE hatte niemand.
Soziodemografische Merkmale der befragten IPE-Lehrenden in Deutschland; N=76.
n | % | |
---|---|---|
Medizin | 9 | 12 |
Pflege | 26 | 34 |
Physiotherapie | 29 | 38 |
Andere | 10 | 13 |
Keine Angabe | 2 | 3 |
w | 54 | 71 |
m | 22 | 29 |
26–30 J. | 3 | 4 |
31–35 J. | 7 | 9 |
36–40 J. | 14 | 18 |
41–45 J. | 15 | 20 |
46–50 J. | 12 | 16 |
51–60 J. | 20 | 26 |
Über 60 J. | 5 | 7 |
Universität | 24 | 32 |
Fachhochschule | 16 | 21 |
Berufsschule | 35 | 46 |
Keine Angabe | 1 | 1 |
Berufsausbildung/Studium | 50 | 66 |
pädagogische Zusatzqualifikation | 14 | 18 |
interprofessionelle Zusatzqualifikation1 | 7 | 9 |
Sonstige, nämlich: Ergotherapie, Berufspädagogik | 2 | 3 |
Keine Antwort | 3 | 4 |
Dauer der Lehrerfahrung | ||
weniger als 5 Jahre | 19 | 25 |
mehr als 5 Jahre | 57 | 75 |
Dauer der Lehrerfahrung in IPE | ||
weniger als 5 Jahre | 46 | 61 |
mehr als 5 Jahre | 26 | 34 |
Keine Angabe | 4 | 5 |
Welche Aspekte die Befragten als wichtig für das professionelle Handeln in der Lehre erachteten, zeigt Tabelle 2. Über 80 % erachteten ein lehrförderliches Klima und die didaktische Qualität wichtig für die Lehre, nur ein Drittel befand die eigene Teilnahme an Fortbildungen als wichtig.
Wichtige Aspekte für professionelles Handeln in der Lehre aus Sicht von IPE-Lehrenden in Deutschland (N=76); Mehrfachantworten waren möglich.
Aufbau eines lehrförderlichen Klimas | 66 | 87 |
Die didaktische Qualität des Unterrichts | 62 | 82 |
Motivation der Lernenden | 58 | 76 |
Eine umfassende Feedback-Kultur | 55 | 72 |
Begeisterung für das Fach zeigen | 53 | 70 |
Den individuellen Stand der Lernenden kennen | 46 | 61 |
Konkretes Handeln der Lehrperson | 42 | 55 |
Teilnahme an Fortbildungen | 25 | 33 |
Tabelle 3 zeigt die Antworten auf die Frage, über welche Kompetenzen eine Lehrende/ein Lehrender verfügen sollte. Mit 65 % erachteten die Befragten die curriculare Kompetenz (passgenaues Formulieren von Lernaufgaben) als am wenigsten oft als erforderlich; 74 % bis 93 % befanden die übrigen Kompetenzen als erforderlich.
Erforderliche Kompetenzen für eine Lehrperson. Antworten von N= 76 IPE-Lehrenden in Deutschland; Mehrfachantworten waren möglich.
Personell-kulturelle Kompetenz |
71 | 93 |
68 | 90 | |
Reflexive und evaluative Kompetenz (Reflexion der Lehr- und Lernergebnisse) | 66 | 87 |
Institutionelle Kompetenz |
58 | 76 |
56 | 74 | |
49 | 65 |
62 Befragte (82 %) gaben an, dass für die interprofessionelle Lehre umfassendere Kompetenzen erforderlich wären als für die monoprofessionelle, 11 (15 %) verneinten dies, zwei Personen (3 %) waren sich unschlüssig und eine Person (1 %) gab keine Antwort. Wer die Notwendigkeit umfassenderer Kompetenzen bejahte, wurde gefragt, über welche Kompetenzen eine interprofessionelle Lehrkraft verfügen sollte. Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse zu dieser Frage.
Erforderliche Kompetenzen für interprofessionell Lehrende aus Sicht von IP-Lehrenden in Deutschland (N=62); Mehrfachantworten waren möglich.
Interprofessionelle Kommunikation | 56 | 74 |
Respektieren der anderen Profession(en) | 54 | 71 |
Erkennen professionsspezifischer Grenzen | 53 | 70 |
Klarheit der eigenen Rolle | 52 | 68 |
Teamarbeit | 49 | 65 |
Interprofessionelle Reflexion | 48 | 63 |
Interprofessionelle Konfliktbewältigung | 36 | 47 |
Gemeinsame Übernahme von Verantwortung | 35 | 46 |
Tabelle 5 zeigt, wie viele der Befragten sich selber als Modell für ihre Studierenden sehen.
IP-Lehrende sehen sich als Modell für Studierende, Antworten von N= 75 IP-Lehrenden unterteilt nach Schultyp.
ja | 14 (58%) | 9 (56%) | 19 (54%) | 42 (56%) |
nein | 5 (21%) | 0 (0%) | 3 (9%) | 8 (11%) |
Weiß nicht/keine Angabe | 5 (21%) | 7 (44%) | 13 (23%) | 25 (33%) |
Da IPE optimalerweise professionsübergreifend gegeben werden sollte, wurde die Frage gestellt, ob die Lehrenden ihre IPE-Veranstaltungen allein oder gemeinsam mit einer anderen Profession durchführen (vgl. Tabelle 6). Der höchste Anteil an gemeinsamer Lehre findet mit 71 % an Universitäten statt, der geringste Anteil mit 50 % an Fachhochschulen.
Unterrichten IP gemeinsam mit Lehrkraft einer anderen Profession; N= 75 IP Lehrende in Deutschland.
ja | 17 (71%) | 8 (50%) | 19 (54%) | 44 (59%) |
nein | 1 (4%) | 1 (6%) | 7 (20%) | 9 (12%) |
Teils teils/keine Angabe | 6 (25%) | 7 (44%) | 9 (26%) | 22 (29%) |
Lediglich 33 % der Befragten hielten die Teilnahme an Fortbildungen wichtig für das professionelle Handeln in der Lehre (vgl. Tabelle 2). Dagegen schätzten 71 % der Befragten ihre persönliche Bereitschaft, an einem IPE-Qualifizierungskurs teilzunehmen, als groß oder sehr groß ein (vgl. Abb. 1).
Welche Elemente/Themen ein Qualifizierungskurs für Lehrende enthalten sollte, zeigt Tabelle 7.
Erforderliche Elemente bzw. Themen für einen interprofessionellen Qualifizierungskurs aus Sicht von IP-Lehrenden in Deutschland (N=76); Mehrfachantworten waren möglich.
Umgang mit Berufsidentität | 58 | 76 |
Umgang mit Sterotypen und Vorurteilen | 58 | 76 |
Reflexions- und Feedback-Strategien | 56 | 74 |
Kommunikation | 54 | 71 |
Aushandeln von Verantwortlichkeiten | 40 | 53 |
Tabelle 8 bildet die Vorschläge für Themen ab, welche die Befragten in einem offenen Antwortformat gaben. Themen der Unterrichtsgestaltung wurden ebenso genannt wie ein Übertrag in das praktische Setting.
Mögliche Inhalte/Themen eines IPE-Qualifizierungskurses für IPE-Lehrende; offene Textantworten von N= 14 IPE-Lehrenden in Deutschland.
Aushandeln von Zuständigkeiten |
Einblicke geben in fachspezifische Besonderheiten/Spezialgebiete und deren jeweilige Kernkompetenzen und –aufgaben |
Evidenz zum Vorteil interprofessioneller Zusammenarbeit |
Grundlegende Kenntnisse über IPE: Modelle der interprofessionellen Zusammenarbeit/Teamarbeit/Gruppendynamik |
Grundkenntnisse zu den anderen Berufen à Schnittstellen erkennen und nutzen: Welche Ziele lassen sich daraus für die Lehrenden ableiten? Analyse des interprofessionellen Handlungsfeld |
Methodische Ideen zum reflektierten Umgang mit der eigenen Berufsidentität im Kontext interprofessionellen Handelns und der Rolle als IPE-Lehrende*r |
Gemeinsame Arbeit am und mit den Patient*innen: Rollenspiele |
Hospitationen |
Methoden/Unterrichtsmethoden |
Entwicklung einer gemeinsamen Sprache unter den Lehrenden aus den unterschiedlichen Professionen |
Umgang mit Herausforderungen |
Rahmenbedingungen à Formen von Zusammenarbeit und Umsetzungsmöglichkeiten, Fallbeispiele, Ziele und Vorteile, Notwendigkeit |
Rechtlicher Rahmen professioneller Zuständigkeiten, institutionelle Rahmenbedingungen und Machtverhältnisse im Gesundheits- und Pflegewesen |
Transfer in die Praxis |
Umgang mit unterschiedlichen Lehr- /Lernkulturen |
wechsel- und gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung |
Die vorliegende Studie berichtet die Ergebnisse einer Umfrage bei IPE-Lehrenden in Deutschland. Von 594 kontaktierten Ausbildungsinstitutionen gaben lediglich 134 (22,6 %) an, interprofessionelle Lehrveranstaltungen anzubieten. Dieser Wert erscheint niedrig hinsichtlich der Tatsache, dass IPE einen starken Fokus in der medizinischen Ausbildung im deutschsprachigen Bereich erhalten hat (Klapper und Schirlo, 2016). Von den befragten Lehrpersonen verfügte nur eine Minderheit über eine pädagogische Zusatzqualifikation (18 %), noch kleiner ist der Anteil jener, die über eine Zusatzqualifikation für die IPE verfügten (9 %; vgl. Tabelle 1). Angesichts der Bedeutung, die der IPE für die Gesundheitsversorgung zugeschrieben wird (Spaulding et al., 2021), zeigt sich hier ein sehr großes Potenzial in Deutschland, das bisher wenig umgesetzt wird und für welches nur eine geringe Minderheit der Lehrpersonen auch über eine zusätzliche Qualifikation verfügt.
Das lehrförderliche Klima sowie die didaktische Qualität des Unterrichts erachteten die befragten interprofessionell Lehrenden am häufigsten für wichtig für das Handeln in der Lehre (vgl. Tabelle 2). Fraglich ist, wie die Studierenden und Auszubildenden die interprofessionelle Zusammenarbeit lernen sollen, wenn nur 76 % der Befragten die Motivation der Lernenden als wichtig erachten und lediglich 70 % Begeisterung für ihr Fach zeigen (vgl. Tabelle 2).
Für 72 % der Befragten ist eine umfassende Feedback-Kultur relevant (siehe Tabelle 2). Für ein Viertel spielt dieser Aspekt scheinbar keine Rolle, was die Frage aufwirft, wie in der interprofessionellen Ausbildung gute patientenzentrierte Zusammenarbeit angebahnt werden kann, wenn eine sachliche Rückmeldung zu Vorgängen, Verhalten, Kommunikation usw. nicht stattfindet. Lehrende benötigen Feedback, um die eigene Lehrleistung kritisch zu prüfen, wobei es spezifischer Kriterien bedarf, um Änderungen vorzunehmen. Da die Lehrkompetenz eine komplexe Fertigkeit darstellt und nicht ‚nebenbei’ realisiert werden kann, sind neben der eigenen Reflexion auch Feedback und kollegiales Lernen wichtig (Zumbach & Astleitner, 2016). Dies kann bspw. in Form der kollegialen Hospitation durchgeführt werden, um durch einen intensiven Austausch die eigene Professionalität und Handlungskompetenz zu erhöhen. Zudem bietet die Rückmeldung durch andere die Möglichkeit, eigene Überzeugungen zu überdenken und ‚blinde Flecken’ zu erkennen (Rohr et al., 2016). Auch im interprofessionellen Setting ist das Feedback von Kolleg:innen essenziell, um Modifikationen in der Lehre vornehmen zu können.
82 % der Befragten fanden, dass die IP-Lehre umfassendere Kompetenzen benötigt als die monoprofessionelle Lehre. Dazu steht im Widerspruch, dass nur ein Drittel der Befragten die Teilnahme an Fortbildungen als einen wichtigen Aspekt für das professionelle Handeln in der Lehre (vgl. Tabelle 2) erachtete. Das wirft die Frage auf, ob diese Haltung bei Lehrenden im Gesundheitswesen über die vorliegende Stichprobe hinaus verbreitet ist und was die Gründe hierfür sein könnten. Die rasanten Entwicklungen in Medizin, Informations- und anderen Technologien erfordern gerade von Gesundheitsfachpersonen und Ausbildner:innen kontinuierliche Fortbildungen. Die Covid-19-Pandemie machte deutlich, dass die Lehrpersonen durch den Einsatz neuer Lehr- und Lernformen stark gefordert waren, was den Bedarf an Fortbildungen für Lehrpersonal nochmals verdeutlicht. Dass hochschuldidaktische Weiterbildungen einen positiven Effekt haben, konnte in einem Literaturüberblick über 36 publizierte Studien gezeigt werden (Schneider & Mustafic, 2015).
Auch wenn die Notwendigkeit für Fortbildungen nur eine Minderheit bejaht, ist die Bereitschaft, an einem IPE-Qualifizierungskurs teilzunehmen, groß (vgl. Abb. 1). Eine Erklärung für diese widersprüchlichen Haltungen dürfte schwierig zu finden sein.
Bei den Fragen zu allgemeinen Kompetenzen von Lehrpersonen war der Konsens hoch: 65 % bis 93 % der Befragten erachteten die vorgeschlagenen Kompetenzen als erforderlich (vgl. Tabelle 3). Die geringste Zustimmung fand die Curriculare Kompetenz (passgenau formulierte Lernaufgaben). Eventuell wurde dieses Item nicht von allen Befragten verstanden. Die übrigen Kompetenzen waren unbestritten, vor allem diejenigen, die im direkten Unterricht gebraucht werden (personell-kulturelle, methodische und reflexiv evaluative Kompetenzen).
Die vorgeschlagenen Kompetenzen für die IP-Lehre erachteten lediglich 46 % bis 74 % der Befragten als erforderlich (vgl. Tabelle 4). Das ist ein deutlicher Hinweis, dass die IP-Lehre noch nicht so breit und tief verankert ist, dass bei den Befragten ein Konsens bezüglich der erforderlichen Kompetenzen für die IP-Lehre bestehen würde.
Hattie (2009, S. 238) hat festgestellt, dass der Einfluss der Lehrer:innen ein ausschlaggebender Faktor ist:
Lehrende von Berufsfachschulen sehen sich zu 54 % als Modell und geben lediglich zu 54 % die IPE-Lehre mit einer Lehrkraft einer anderen Profession. Hier kann kritisch gefragt werden, warum ein Lehrformat, welches auf Zusammenarbeit ausgelegt ist, monoprofessionell durchgeführt wird (Bogossian et al., 2023). Die Robert-Bosch-Stiftung förderte im Programm „Operation Team“ über einen Zeitraum von knapp sechs Jahren 24 Projekte. Jedes Projekt bestand aus einer regionalen Kooperation mit einer medizinischen Fakultät. Zwanzig Projekte sind im Beitrag „Gemeinsam besser werden für Patienten“ (RBS, 2020) näher beschrieben. Durch die hohe Förderung von medizinischen Fakultäten kann der hohe Anteil gemeinsamer Lehre von 71 % an Universitäten erklärt werden. Ob eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Lehre und der Rolle als lehrende Person stattgefunden hat, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
IP-Lehrende wünschen sich in einem Qualifizierungskurs Themen, die vor allem auf die Ausbildung bzw. Verbesserung der Soft Skills eingehen. Die Fähigkeit eigene Vorurteile wahrzunehmen, diese zu reflektieren und die eigenen Denk- und Handlungsschemata anzupassen, ist den IP-Lehrenden ebenso wichtig wie Reflexions- und Feedbackstrategien im Umgang miteinander. Dazu zählen auch Kommunikationsstrategien und -techniken, um sich lösungsorientiert austauschen zu können (vgl. Tabelle 7). Dass ein Aushandeln von Verantwortlichkeiten von lediglich gut der Hälfte der Befragten (53 %) als wichtig angegeben wurde, kann ein Hinweis darauf sein, dass Hürden existieren, die eine konsequente Umsetzung von IPE auf der Handlungsebene erschweren. Im offenen Antwortformat, welches vierzehn IPE-Lehrende nutzten (vgl. Tabelle 8), wurden Wünsche geäußert, andere Professionen vor allem auf der Ebene des jeweiligen Tätigkeitsfeldes kennenzulernen. Dies kann über Hospitationen geschehen, ebenso über eine gemeinsame Arbeit mit Fallbeispielen, wo Schnittstellen und Zuständigkeiten analysiert werden. Durch das Vorhandensein professionsspezifischer Lehr- und Lernkulturen muss der Umgang mit anderen Unterrichtsmethoden gelernt und Umsetzungsstrategien müssen eingeübt werden. Ein reflektierter Umgang mit der eigenen Berufsidentität im Kontext interprofessionellen Handelns sowie der Rolle als IP-lehrende Person wird als Voraussetzung angesehen, sich in der Zusammenarbeit anzunähern und wertschätzend und anerkennend zu begegnen.
Es wird deutlich, dass ein enger interprofessioneller Austausch und ein Verstehen professionsspezifischer Logiken in der Ausbildung sowie im praktischen Setting gewünscht wird. Ein Vergleich mit der internationalen Literatur zeigt, dass die unterschiedlichen Lehr- und Lernkulturen der verschiedenen Professionen Chance und Herausforderung zugleich bei Qualifizierungsangeboten sind (Behrend et al., 2019, Souza et al., 2023), weswegen eine gute Betreuung und dialogisches Feedback essenziell erscheinen (Barrios und Torres, 2021).
Die vorgestellte Studie stellte erstmals aufgrund einer Befragung von interprofessionell Lehrenden in Deutschland vor, was diese für die interprofessionelle Lehre als wichtig erachten, welche Kompetenzen sie als erforderlich ansehen und welche Themen sie für die IPE-Qualifizierungskurse vorschlagen. Sie machte deutlich, dass es in Deutschland nur bei knapp einem Viertel der Bildungsorganisationen (Hochschulen, Fachhochschulen und Berufsfachschulen) ein Angebot für interprofessionelle Ausbildung gibt. Die Weiterentwicklung der interprofessionellen Ausbildung ist in Deutschland ein relevantes Thema, weshalb nicht nur die Studierenden/Auszubildenden, sondern auch vermehrt die Lehrenden im Fokus des Forschungsinteresses stehen sollten. Die vorliegenden Ergebnisse vermitteln als Vorerhebung zu einer Vertiefungsstudie einen ersten Einblick in dieses Thema.
Die Befragung inkludierte interprofessionelle Lehrkräfte der Medizin, Physiotherapie und Pflege. Weitere an der Patientenversorgung beteiligten Professionen sollten in weiteren Befragungen einbezogen werden.
Einschränkungen bei der Validität und Reliabilität des Fragebogens sind einzuräumen: Zwar erfolgte ein Prätest mit fünf Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen, eine fundierte Validierung fand jedoch nicht statt. Es besteht keine Gewähr, dass die Umfrageteilnehmer:innen jede Frage im intendierten Sinne verstanden und beantwortet haben. Die selbst formulierten Items dieses Fragebogens ermöglichen zudem keinen Vergleich mit anderen Studien, was die Einordnung der Ergebnisse erheblich einschränkt.
Die vorliegende Studie bietet einen ersten Einblick in die Forschung zur IPE in Deutschland. IPE ist an Bildungsinstitutionen in Deutschland nicht sehr breit verankert und nur wenige Lehrende verfügen über eine Qualifizierung für IPE. Hier besteht ein beträchtlicher Aufholbedarf angesichts der Bedeutung, die die IPE gemäß WHO (2010) und dem Wissenschaftsrat (2012) haben soll.
Es ist notwendig, die Lehrenden in die Forschung zur IPE einzubeziehen, da diese in der Vermittlung von IPE-Kompetenzen eine zentrale Rolle spielen. Hierfür muss die Forschung vertieft werden, sei dies mit qualitativen Studien oder dem Einbezug etablierter didaktischer und inhaltlicher Konzepte.