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The role of lecturers in interprofessional education – a survey of lecturers in Germany / Die Rolle von Dozierenden in der interprofessionellen Ausbildung – eine Befragung von Lehrverantwortlichen in Deutschland

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EINFÜHRUNG

Der demografische Wandel und die Versorgung multimorbider Patient:innen stellen die Gesundheitsversorgung vor Herausforderungen (Tiemann & Mohokum, 2021). Um diesen zu begegnen, ist die interprofessionelle Zusammenarbeit sämtlicher Gesundheitsfachpersonen essentiell (CIHC, 2010; Walkenhorst et al., 2015; WHO, 2010; Zwarenstein et al., 2009). Die interprofessionelle Ausbildung (IPE – interprofessional education), die vermehrt an Hochschulen, Fachhochschulen und Fachschulen eingeführt wird, bringt verschiedene Professionen bereits in der Ausbildung zusammen, die später in der Berufspraxis zusammenarbeiten werden (Wissenschaftsrat, 2012). Die Forschung zu IPE fokussiert auf die Studierenden, die Lehrenden werden selten untersucht (Reeves et al., 2016b). Diese haben in der Regel einen professionsspezifischen Hintergrund, müssen jedoch nicht zwingend Erfahrungen aus dem praktischen Setting oder der Lehre aufweisen (Bloch & Würmann, 2019). An Hochschulen nehmen laut Hochschulrahmengesetz

„Die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer [...] die ihrer Hochschule jeweils obliegenden Aufgaben in Wissenschaft, Kunst, Forschung, Lehre und Weiterbildung in ihren Fächern nach näherer Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses selbständig wahr.“

(§43 Absatz 1 HRG).

Unklar ist die Bedeutung für die interprofessionelle Lehre, wo mindestens zwei Berufsgruppen vertreten sind. Im interprofessionellen Unterricht sollen Studierende die Möglichkeit zum Austausch haben und von den Lehrenden Aufgaben bzw. Lernanreize erhalten. Das Lernverständnis verändert sich vom Lehrenden hin zum/zur Lernbegleiter:in (Cendon, 2017; Lübke et al., 2015). Zierer (2018) formuliert zur Entwicklung des Rollenverständnis von IPE-Lehrenden zusammenfassend:

„Erstens: Weg vom Einzelkämpfer, hin zum Teamspieler. Zweitens: Weg von Moden, hin zu Evidenz. Drittens: Weg vom Wissensvermittler oder Lerncoach, hin zum Bildungsagenten“.

Walkenhorst et al. (2015) halten fest, dass die interprofessionell Lehrenden vor großen Herausforderungen stehen, weil sie ihre Lehre nicht nur in interprofessionellen Teams planen, sondern auch in gemeinsamen Settings durchführen, wobei unterschiedlichste Lernmethoden eingesetzt werden sollen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wahrnehmung der Lehrperson hinsichtlich ihrer Modell- und Vorbildfunktion. Eine gute patientenzentrierte Versorgung ist für die Lernenden wahrscheinlich schwieriger zu denken und umzusetzen, wenn die interprofessionell Lehrenden diese weder glaubhaft im Team durchführen noch gut begründen und adäquat anleiten können. Vorbildlich sein erhöht die Glaubwürdigkeit (Hascher, 2006) und Lernen durch Einsicht erhöht die Wahrscheinlichkeit der Verhaltensänderung (Treml & Becker, 2010). Beides ist notwendig, um interprofessionelle Lehre zielgerichtet zu implementieren. Wenn didaktische und/oder pädagogische Qualifikationen für die Hochschullehre nicht zwingend erforderlich sind, stellt sich die Frage, wie sich Hochschullehrende diese Kompetenzen aneignen.

Dieser Beitrag berichtet über die Ergebnisse einer Umfrage bei IPE-Lehrenden in Deutschland, deren Perspektiven und Erfahrungen im Zentrum stehen. Er geht der Frage nach, welches Handeln aus deren Sicht in der interprofessionellen Lehre wichtig ist, und über welche Kompetenzen interprofessionell Lehrende verfügen sollten.

Fragestellungen

Die konkreten Fragen lauten:

Was ist IPE-Lehrenden in Bezug auf das Handeln in der Lehre wichtig?

Über welche Kompetenzen sollte eine Lehrende/ein Lehrender aus Sicht von IPE-Lehrenden verfügen?

Verfügen IPE-Lehrende über Fortbildungen für ihre IPE-Lehrtätigkeit und wie hoch ist die Bereitschaft, Fortbildungen zu absolvieren?

Sehen sich IPE-Lehrende als Modell für die Studierenden?

METHODEN
Erhebungsinstrument

Um diese Fragen zu beantworten, entwickelte die Erstautorin einen Fragebogen im Rahmen ihrer Dissertation. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für eine Vertiefung des Themas mittels qualitativer Methoden. Da es im deutschsprachigen Raum keinen standardisierten Fragebogen zu Eigenschaften interprofessionell Lehrenden gibt, hat sie die Fragen entwickelt auf der Grundlage theoriebasierter Literatur

zur Lehre in der Hochschule (HSR §43 Absatz 1; Böss-Ostendorf et al., 2014; Huber, 2019; Brockerhoff & Keller, 2019),

zur Kompetenzentwicklung von Lehrkräften (Rohr et al., 2016; Winteler, 2004)

sowie zum Angebot und Partizipation an didaktischen/pädagogischen als auch interprofessionellen Fortbildungen (Stes et al., 2010; Wildt, 2013; IMPP & RBS, 2020).

Der Fragebogen wurde mit fünf Proband:innen aus unterschiedlichen Professionen getestet. Nach erfolgter Rückmeldung passte die Erstautorin den Fragebogen an. Der anonyme Online-Fragebogen gliederte sich in fünf Teilbereiche mit insgesamt 28 Fragen:

soziodemografische Angaben

Umfang und Erfahrung in der Lehre,

Professionelle und interprofessionelle Kompetenzen

Selbst durchgeführte IPE-Veranstaltungen

Qualifikation von IP-Lehrenden

Rekrutierung von Umfrageteilnehmer:innen

De Rekrutierung von Umfrageteilnehmer:innen erfolgte in drei Schritten:

Die Erstautorin ermittelte im Zeitraum von Mai bis August 2019 über eine Online-Recherche alle Universitäten, Fachhochschulen und Fachschulen in Deutschland, die für die Bereiche Medizin, Pflege und Physiotherapie ausbilden. Die medizinischen Fakultäten ermittelte sie über die Ärztekammer Baden-Württemberg, die eine Auflistung aller Universitäten im deutschsprachigen Raum anbietet. Die Ausbildungsmöglichkeiten der Physiotherapie rief sie über die Schul- und Studienverzeichnisse des Zentralverbands der Physiotherapie (ZVK) ab. Da es für die Pflege kein vollständiges Verzeichnis von Fachhochschulen und Fachschulen für Deutschland gibt, hat die Erstautorin per Google-Suche unter dem Stichwort Pflege und dem jeweiligen Bundesland offizielle Seiten von Verbänden gesucht, auf denen diese Institutionen aufgelistet waren. Nicht in jedem Bundesland wird ein zentrales Register geführt, sodass die Einzelsuche nach Schulen und Fachhochschulen unter den Begriffen Ausbildung und Pflege z. T. für jedes Bundesland einzeln vorgenommen werden musste.

Von September bis November 2019 nahm die Erstautorin Kontakt zu den jeweiligen Institutionen auf. Vorrangig war die telefonische Kontaktaufnahme. Konnte sie auch nach einem zweimaligen Versuch per Telefon keinen Kontakt herstellen, versandte sie eine E-Mail mit dem Anliegen an die Ansprechpartner:innen, die in den Registern bzw. auf den jeweiligen Websites angegeben waren. Per Telefon bzw. per E-Mail erfragte sie, ob in den Einrichtungen interprofessionelle Veranstaltungen angeboten werden. Bei einer positiven Antwort erkundigte sich die Erstautorin nach den Namen der interprofessionell Lehrenden und bat um eine Weiterleitung der Anfrage. Bei erfolgreicher Kontaktaufnahme mit den interprofessionell Lehrenden fragte die Erstautorin, ob sie an der Online-Umfrage teilnehmen.

Bei Zusage der Teilnahme verschickte die Erstautorin den Link zur Umfrage, die bis Ende Dezember 2019 bearbeitet werden konnte.

RESULTATE
Teilnahme an der Studie

Insgesamt wurden deutschlandweit 798 Ausbildungsinstitutionen ermittelt. Mangels eines bundesweiten Registers für Pflegeausbildungen kann eine Vollständigkeit hierfür nicht garantiert werden. Fand sich nach zweimaliger Kontaktaufnahme keine auskunftsbereite Person, wurde die entsprechende Institution nicht weiterbearbeitet. Mit 594 Ausbildungsinstitutionen (74 %) fand eine erfolgreiche Kontaktaufnahme statt.

Von den 594 Institutionen gaben 134 (22,6 %) an, interprofessionelle Lehrveranstaltungen anzubieten; 125 Personen gaben die Einwilligung zu Bearbeitung des Fragebogens. Neun Personen beantworteten den Fragebogen aus Zeitgründen nicht.

Von den verschickten 125 Fragebögen wurden 76 (61 %) komplett von interprofessionell Lehrenden ausgefüllt. Die soziodemografischen Merkmale der teilnehmenden IP-Lehrenden zeigt Tabelle 1. Lediglich 9 % der Befragten verfügten über eine Zusatzqualifikation in IPE, eine doppelte Qualifizierung für Pädagogik und IPE hatte niemand.

Soziodemografische Merkmale der befragten IPE-Lehrenden in Deutschland; N=76.

n %

Profession
Medizin 9 12
Pflege 26 34
Physiotherapie 29 38
Andere 10 13
Keine Angabe 2 3

Geschlecht
w 54 71
m 22 29

Alterskategorien
26–30 J. 3 4
31–35 J. 7 9
36–40 J. 14 18
41–45 J. 15 20
46–50 J. 12 16
51–60 J. 20 26
Über 60 J. 5 7

Tätigkeit an
Universität 24 32
Fachhochschule 16 21
Berufsschule 35 46
Keine Angabe 1 1

Qualifikation für Lehre
Berufsausbildung/Studium 50 66
pädagogische Zusatzqualifikation 14 18
interprofessionelle Zusatzqualifikation1 7 9
Sonstige, nämlich: Ergotherapie, Berufspädagogik 2 3
Keine Antwort 3 4

Dauer der Lehrerfahrung
weniger als 5 Jahre 19 25
mehr als 5 Jahre 57 75

Dauer der Lehrerfahrung in IPE
weniger als 5 Jahre 46 61
mehr als 5 Jahre 26 34
Keine Angabe 4 5

Teilnahme an einem zertifizierten interprofessionellen Fortbildungskurs

Wichtige Aspekte und erforderliche Kompetenzen

Welche Aspekte die Befragten als wichtig für das professionelle Handeln in der Lehre erachteten, zeigt Tabelle 2. Über 80 % erachteten ein lehrförderliches Klima und die didaktische Qualität wichtig für die Lehre, nur ein Drittel befand die eigene Teilnahme an Fortbildungen als wichtig.

Wichtige Aspekte für professionelles Handeln in der Lehre aus Sicht von IPE-Lehrenden in Deutschland (N=76); Mehrfachantworten waren möglich.

n %
Aufbau eines lehrförderlichen Klimas 66 87
Die didaktische Qualität des Unterrichts 62 82
Motivation der Lernenden 58 76
Eine umfassende Feedback-Kultur 55 72
Begeisterung für das Fach zeigen 53 70
Den individuellen Stand der Lernenden kennen 46 61
Konkretes Handeln der Lehrperson 42 55
Teilnahme an Fortbildungen 25 33

Tabelle 3 zeigt die Antworten auf die Frage, über welche Kompetenzen eine Lehrende/ein Lehrender verfügen sollte. Mit 65 % erachteten die Befragten die curriculare Kompetenz (passgenaues Formulieren von Lernaufgaben) als am wenigsten oft als erforderlich; 74 % bis 93 % befanden die übrigen Kompetenzen als erforderlich.

Erforderliche Kompetenzen für eine Lehrperson. Antworten von N= 76 IPE-Lehrenden in Deutschland; Mehrfachantworten waren möglich.

n %
Personell-kulturelle Kompetenz (Haltung gegenüber den Lernenden) 71 93
Methodische Kompetenz (Planung von Lehrprozessen; Einsatz von Materialien) 68 90
Reflexive und evaluative Kompetenz (Reflexion der Lehr- und Lernergebnisse) 66 87
Institutionelle Kompetenz (Gestalten von Lernumgebung) 58 76
Diagnostische Kompetenz (Berücksichtigen von Lernmöglichkeiten) 56 74
Curriculare Kompetenz (passgenau formulierte Lernaufgaben) 49 65

62 Befragte (82 %) gaben an, dass für die interprofessionelle Lehre umfassendere Kompetenzen erforderlich wären als für die monoprofessionelle, 11 (15 %) verneinten dies, zwei Personen (3 %) waren sich unschlüssig und eine Person (1 %) gab keine Antwort. Wer die Notwendigkeit umfassenderer Kompetenzen bejahte, wurde gefragt, über welche Kompetenzen eine interprofessionelle Lehrkraft verfügen sollte. Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse zu dieser Frage.

Erforderliche Kompetenzen für interprofessionell Lehrende aus Sicht von IP-Lehrenden in Deutschland (N=62); Mehrfachantworten waren möglich.

n %
Interprofessionelle Kommunikation 56 74
Respektieren der anderen Profession(en) 54 71
Erkennen professionsspezifischer Grenzen 53 70
Klarheit der eigenen Rolle 52 68
Teamarbeit 49 65
Interprofessionelle Reflexion 48 63
Interprofessionelle Konfliktbewältigung 36 47
Gemeinsame Übernahme von Verantwortung 35 46
Dozierende als Modell für Studierende

Tabelle 5 zeigt, wie viele der Befragten sich selber als Modell für ihre Studierenden sehen.

IP-Lehrende sehen sich als Modell für Studierende, Antworten von N= 75 IP-Lehrenden unterteilt nach Schultyp.

Universität n (%) Fachhochschule n (%) Berufsfachschule n (%) Total n (%)
ja 14 (58%) 9 (56%) 19 (54%) 42 (56%)
nein 5 (21%) 0 (0%) 3 (9%) 8 (11%)
Weiß nicht/keine Angabe 5 (21%) 7 (44%) 13 (23%) 25 (33%)

Da IPE optimalerweise professionsübergreifend gegeben werden sollte, wurde die Frage gestellt, ob die Lehrenden ihre IPE-Veranstaltungen allein oder gemeinsam mit einer anderen Profession durchführen (vgl. Tabelle 6). Der höchste Anteil an gemeinsamer Lehre findet mit 71 % an Universitäten statt, der geringste Anteil mit 50 % an Fachhochschulen.

Unterrichten IP gemeinsam mit Lehrkraft einer anderen Profession; N= 75 IP Lehrende in Deutschland.

Universität n (%) Fachhochschule n (%) Berufsfachschule n (%) Total n (%)
ja 17 (71%) 8 (50%) 19 (54%) 44 (59%)
nein 1 (4%) 1 (6%) 7 (20%) 9 (12%)
Teils teils/keine Angabe 6 (25%) 7 (44%) 9 (26%) 22 (29%)
Qualifizierungen für IPE-Lehrende

Lediglich 33 % der Befragten hielten die Teilnahme an Fortbildungen wichtig für das professionelle Handeln in der Lehre (vgl. Tabelle 2). Dagegen schätzten 71 % der Befragten ihre persönliche Bereitschaft, an einem IPE-Qualifizierungskurs teilzunehmen, als groß oder sehr groß ein (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1:

Bereitschaft, an einem IPE-Qualifizierungskurs teilzunehmen; N=76 IPE-Lehrende in Deutschland.

Welche Elemente/Themen ein Qualifizierungskurs für Lehrende enthalten sollte, zeigt Tabelle 7.

Erforderliche Elemente bzw. Themen für einen interprofessionellen Qualifizierungskurs aus Sicht von IP-Lehrenden in Deutschland (N=76); Mehrfachantworten waren möglich.

n %
Umgang mit Berufsidentität 58 76
Umgang mit Sterotypen und Vorurteilen 58 76
Reflexions- und Feedback-Strategien 56 74
Kommunikation 54 71
Aushandeln von Verantwortlichkeiten 40 53

Tabelle 8 bildet die Vorschläge für Themen ab, welche die Befragten in einem offenen Antwortformat gaben. Themen der Unterrichtsgestaltung wurden ebenso genannt wie ein Übertrag in das praktische Setting.

Mögliche Inhalte/Themen eines IPE-Qualifizierungskurses für IPE-Lehrende; offene Textantworten von N= 14 IPE-Lehrenden in Deutschland.

Aushandeln von Zuständigkeiten
Einblicke geben in fachspezifische Besonderheiten/Spezialgebiete und deren jeweilige Kernkompetenzen und –aufgaben
Evidenz zum Vorteil interprofessioneller Zusammenarbeit
Grundlegende Kenntnisse über IPE: Modelle der interprofessionellen Zusammenarbeit/Teamarbeit/Gruppendynamik
Grundkenntnisse zu den anderen Berufen à Schnittstellen erkennen und nutzen: Welche Ziele lassen sich daraus für die Lehrenden ableiten? Analyse des interprofessionellen Handlungsfeld
Methodische Ideen zum reflektierten Umgang mit der eigenen Berufsidentität im Kontext interprofessionellen Handelns und der Rolle als IPE-Lehrende*r
Gemeinsame Arbeit am und mit den Patient*innen: Rollenspiele
Hospitationen
Methoden/Unterrichtsmethoden
Entwicklung einer gemeinsamen Sprache unter den Lehrenden aus den unterschiedlichen Professionen
Umgang mit Herausforderungen
Rahmenbedingungen à Formen von Zusammenarbeit und Umsetzungsmöglichkeiten, Fallbeispiele, Ziele und Vorteile, Notwendigkeit
Rechtlicher Rahmen professioneller Zuständigkeiten, institutionelle Rahmenbedingungen und Machtverhältnisse im Gesundheits- und Pflegewesen
Transfer in die Praxis
Umgang mit unterschiedlichen Lehr- /Lernkulturen
wechsel- und gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung
DISKUSSION

Die vorliegende Studie berichtet die Ergebnisse einer Umfrage bei IPE-Lehrenden in Deutschland. Von 594 kontaktierten Ausbildungsinstitutionen gaben lediglich 134 (22,6 %) an, interprofessionelle Lehrveranstaltungen anzubieten. Dieser Wert erscheint niedrig hinsichtlich der Tatsache, dass IPE einen starken Fokus in der medizinischen Ausbildung im deutschsprachigen Bereich erhalten hat (Klapper und Schirlo, 2016). Von den befragten Lehrpersonen verfügte nur eine Minderheit über eine pädagogische Zusatzqualifikation (18 %), noch kleiner ist der Anteil jener, die über eine Zusatzqualifikation für die IPE verfügten (9 %; vgl. Tabelle 1). Angesichts der Bedeutung, die der IPE für die Gesundheitsversorgung zugeschrieben wird (Spaulding et al., 2021), zeigt sich hier ein sehr großes Potenzial in Deutschland, das bisher wenig umgesetzt wird und für welches nur eine geringe Minderheit der Lehrpersonen auch über eine zusätzliche Qualifikation verfügt.

Wichtige Aspekte für professionelles Handeln in der Lehre

Das lehrförderliche Klima sowie die didaktische Qualität des Unterrichts erachteten die befragten interprofessionell Lehrenden am häufigsten für wichtig für das Handeln in der Lehre (vgl. Tabelle 2). Fraglich ist, wie die Studierenden und Auszubildenden die interprofessionelle Zusammenarbeit lernen sollen, wenn nur 76 % der Befragten die Motivation der Lernenden als wichtig erachten und lediglich 70 % Begeisterung für ihr Fach zeigen (vgl. Tabelle 2).

Für 72 % der Befragten ist eine umfassende Feedback-Kultur relevant (siehe Tabelle 2). Für ein Viertel spielt dieser Aspekt scheinbar keine Rolle, was die Frage aufwirft, wie in der interprofessionellen Ausbildung gute patientenzentrierte Zusammenarbeit angebahnt werden kann, wenn eine sachliche Rückmeldung zu Vorgängen, Verhalten, Kommunikation usw. nicht stattfindet. Lehrende benötigen Feedback, um die eigene Lehrleistung kritisch zu prüfen, wobei es spezifischer Kriterien bedarf, um Änderungen vorzunehmen. Da die Lehrkompetenz eine komplexe Fertigkeit darstellt und nicht ‚nebenbei’ realisiert werden kann, sind neben der eigenen Reflexion auch Feedback und kollegiales Lernen wichtig (Zumbach & Astleitner, 2016). Dies kann bspw. in Form der kollegialen Hospitation durchgeführt werden, um durch einen intensiven Austausch die eigene Professionalität und Handlungskompetenz zu erhöhen. Zudem bietet die Rückmeldung durch andere die Möglichkeit, eigene Überzeugungen zu überdenken und ‚blinde Flecken’ zu erkennen (Rohr et al., 2016). Auch im interprofessionellen Setting ist das Feedback von Kolleg:innen essenziell, um Modifikationen in der Lehre vornehmen zu können.

82 % der Befragten fanden, dass die IP-Lehre umfassendere Kompetenzen benötigt als die monoprofessionelle Lehre. Dazu steht im Widerspruch, dass nur ein Drittel der Befragten die Teilnahme an Fortbildungen als einen wichtigen Aspekt für das professionelle Handeln in der Lehre (vgl. Tabelle 2) erachtete. Das wirft die Frage auf, ob diese Haltung bei Lehrenden im Gesundheitswesen über die vorliegende Stichprobe hinaus verbreitet ist und was die Gründe hierfür sein könnten. Die rasanten Entwicklungen in Medizin, Informations- und anderen Technologien erfordern gerade von Gesundheitsfachpersonen und Ausbildner:innen kontinuierliche Fortbildungen. Die Covid-19-Pandemie machte deutlich, dass die Lehrpersonen durch den Einsatz neuer Lehr- und Lernformen stark gefordert waren, was den Bedarf an Fortbildungen für Lehrpersonal nochmals verdeutlicht. Dass hochschuldidaktische Weiterbildungen einen positiven Effekt haben, konnte in einem Literaturüberblick über 36 publizierte Studien gezeigt werden (Schneider & Mustafic, 2015).

Auch wenn die Notwendigkeit für Fortbildungen nur eine Minderheit bejaht, ist die Bereitschaft, an einem IPE-Qualifizierungskurs teilzunehmen, groß (vgl. Abb. 1). Eine Erklärung für diese widersprüchlichen Haltungen dürfte schwierig zu finden sein.

Kompetenzen und Lehrende als Modell

Bei den Fragen zu allgemeinen Kompetenzen von Lehrpersonen war der Konsens hoch: 65 % bis 93 % der Befragten erachteten die vorgeschlagenen Kompetenzen als erforderlich (vgl. Tabelle 3). Die geringste Zustimmung fand die Curriculare Kompetenz (passgenau formulierte Lernaufgaben). Eventuell wurde dieses Item nicht von allen Befragten verstanden. Die übrigen Kompetenzen waren unbestritten, vor allem diejenigen, die im direkten Unterricht gebraucht werden (personell-kulturelle, methodische und reflexiv evaluative Kompetenzen).

Die vorgeschlagenen Kompetenzen für die IP-Lehre erachteten lediglich 46 % bis 74 % der Befragten als erforderlich (vgl. Tabelle 4). Das ist ein deutlicher Hinweis, dass die IP-Lehre noch nicht so breit und tief verankert ist, dass bei den Befragten ein Konsens bezüglich der erforderlichen Kompetenzen für die IP-Lehre bestehen würde.

Hattie (2009, S. 238) hat festgestellt, dass der Einfluss der Lehrer:innen ein ausschlaggebender Faktor ist: „Teachers are among the most powerful influences in learning.“ Das Interesse der Lehrenden für ein Gebiet ist entscheidend, damit sie als Modelle fungieren können. Das intrinsisch motivierte Interesse bildet dabei überhaupt erst die Rahmenbedingungen (Wegner, 1996). Die Antworten auf die Frage, ob sich die Lehrenden als Modell für ihre Studierenden sehen, sind insofern interessant, da insgesamt 45 % der Befragten angeben, dass sie sich nicht als Modell sehen bzw. dazu keine Angabe machen. Somit wird die Chance, den Studierenden bzw. Auszubildenden über das Modelllernen eine gute Zusammenarbeit zu vermitteln, wenig ausgeschöpft. Lehrende an Universitäten sehen sich zu 58 % als Modell und führen in 71 % die Lehre mit einer anderen Profession durch (vgl. Tabellen 5 und 6). Durch die gemeinsame Lehre ergibt sich die Möglichkeit, den Lernenden zu vermitteln, wie eine optimale Zusammenarbeit funktionieren kann. Allerdings sollten die Lehrpersonen die eigenen Werte, Präferenzen sowie Erfahrungen kritisch reflektieren (Zumbach & Astleitner, 2016). Hinsichtlich der Interaktion mit Vorbildern speziell in der medizinischen Lehre kamen Shuval und Adler (1980) zu der Erkenntnis dreier grundlegender Muster, der aktiven Identifikation, der aktiven Ablehnung und der passiven Orientierung. Sehen Studierende Ärzt:innen als Vorbilder an, sind ihnen fachliche sowie persönliche Kompetenzen wichtig, wobei persönliche Eigenschaften wie Höflichkeit, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Geduld und Herzlichkeit als elementar angegeben werden, ebenso wie die Berufszufriedenheit als auch die ‚Liebe zum Beruf’, welche die Ärzt:innen zeigen (Bücken, 2017). Wird hingegen moralisch unangemessenes Verhalten von Ärzt:innen beobachtet, werden diese negativen Rollenmodelle nicht immer von Studierenden als solche erkannt. Dadurch besteht die Gefahr, dass unangebrachtes Verhalten an Nachfolgende in Form einer gelebten Tradition weitergegeben wird (Gommel, 2007).

Lehrende von Berufsfachschulen sehen sich zu 54 % als Modell und geben lediglich zu 54 % die IPE-Lehre mit einer Lehrkraft einer anderen Profession. Hier kann kritisch gefragt werden, warum ein Lehrformat, welches auf Zusammenarbeit ausgelegt ist, monoprofessionell durchgeführt wird (Bogossian et al., 2023). Die Robert-Bosch-Stiftung förderte im Programm „Operation Team“ über einen Zeitraum von knapp sechs Jahren 24 Projekte. Jedes Projekt bestand aus einer regionalen Kooperation mit einer medizinischen Fakultät. Zwanzig Projekte sind im Beitrag „Gemeinsam besser werden für Patienten“ (RBS, 2020) näher beschrieben. Durch die hohe Förderung von medizinischen Fakultäten kann der hohe Anteil gemeinsamer Lehre von 71 % an Universitäten erklärt werden. Ob eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Lehre und der Rolle als lehrende Person stattgefunden hat, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.

Themen für IPE-Qualifizierungskurse

IP-Lehrende wünschen sich in einem Qualifizierungskurs Themen, die vor allem auf die Ausbildung bzw. Verbesserung der Soft Skills eingehen. Die Fähigkeit eigene Vorurteile wahrzunehmen, diese zu reflektieren und die eigenen Denk- und Handlungsschemata anzupassen, ist den IP-Lehrenden ebenso wichtig wie Reflexions- und Feedbackstrategien im Umgang miteinander. Dazu zählen auch Kommunikationsstrategien und -techniken, um sich lösungsorientiert austauschen zu können (vgl. Tabelle 7). Dass ein Aushandeln von Verantwortlichkeiten von lediglich gut der Hälfte der Befragten (53 %) als wichtig angegeben wurde, kann ein Hinweis darauf sein, dass Hürden existieren, die eine konsequente Umsetzung von IPE auf der Handlungsebene erschweren. Im offenen Antwortformat, welches vierzehn IPE-Lehrende nutzten (vgl. Tabelle 8), wurden Wünsche geäußert, andere Professionen vor allem auf der Ebene des jeweiligen Tätigkeitsfeldes kennenzulernen. Dies kann über Hospitationen geschehen, ebenso über eine gemeinsame Arbeit mit Fallbeispielen, wo Schnittstellen und Zuständigkeiten analysiert werden. Durch das Vorhandensein professionsspezifischer Lehr- und Lernkulturen muss der Umgang mit anderen Unterrichtsmethoden gelernt und Umsetzungsstrategien müssen eingeübt werden. Ein reflektierter Umgang mit der eigenen Berufsidentität im Kontext interprofessionellen Handelns sowie der Rolle als IP-lehrende Person wird als Voraussetzung angesehen, sich in der Zusammenarbeit anzunähern und wertschätzend und anerkennend zu begegnen.

Es wird deutlich, dass ein enger interprofessioneller Austausch und ein Verstehen professionsspezifischer Logiken in der Ausbildung sowie im praktischen Setting gewünscht wird. Ein Vergleich mit der internationalen Literatur zeigt, dass die unterschiedlichen Lehr- und Lernkulturen der verschiedenen Professionen Chance und Herausforderung zugleich bei Qualifizierungsangeboten sind (Behrend et al., 2019, Souza et al., 2023), weswegen eine gute Betreuung und dialogisches Feedback essenziell erscheinen (Barrios und Torres, 2021).

Stärken und Schwächen/Einschränkungen dieser Studie

Die vorgestellte Studie stellte erstmals aufgrund einer Befragung von interprofessionell Lehrenden in Deutschland vor, was diese für die interprofessionelle Lehre als wichtig erachten, welche Kompetenzen sie als erforderlich ansehen und welche Themen sie für die IPE-Qualifizierungskurse vorschlagen. Sie machte deutlich, dass es in Deutschland nur bei knapp einem Viertel der Bildungsorganisationen (Hochschulen, Fachhochschulen und Berufsfachschulen) ein Angebot für interprofessionelle Ausbildung gibt. Die Weiterentwicklung der interprofessionellen Ausbildung ist in Deutschland ein relevantes Thema, weshalb nicht nur die Studierenden/Auszubildenden, sondern auch vermehrt die Lehrenden im Fokus des Forschungsinteresses stehen sollten. Die vorliegenden Ergebnisse vermitteln als Vorerhebung zu einer Vertiefungsstudie einen ersten Einblick in dieses Thema.

Die Befragung inkludierte interprofessionelle Lehrkräfte der Medizin, Physiotherapie und Pflege. Weitere an der Patientenversorgung beteiligten Professionen sollten in weiteren Befragungen einbezogen werden.

Einschränkungen bei der Validität und Reliabilität des Fragebogens sind einzuräumen: Zwar erfolgte ein Prätest mit fünf Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen, eine fundierte Validierung fand jedoch nicht statt. Es besteht keine Gewähr, dass die Umfrageteilnehmer:innen jede Frage im intendierten Sinne verstanden und beantwortet haben. Die selbst formulierten Items dieses Fragebogens ermöglichen zudem keinen Vergleich mit anderen Studien, was die Einordnung der Ergebnisse erheblich einschränkt.

Schlussfolgerung & Ausblick

Die vorliegende Studie bietet einen ersten Einblick in die Forschung zur IPE in Deutschland. IPE ist an Bildungsinstitutionen in Deutschland nicht sehr breit verankert und nur wenige Lehrende verfügen über eine Qualifizierung für IPE. Hier besteht ein beträchtlicher Aufholbedarf angesichts der Bedeutung, die die IPE gemäß WHO (2010) und dem Wissenschaftsrat (2012) haben soll.

Es ist notwendig, die Lehrenden in die Forschung zur IPE einzubeziehen, da diese in der Vermittlung von IPE-Kompetenzen eine zentrale Rolle spielen. Hierfür muss die Forschung vertieft werden, sei dies mit qualitativen Studien oder dem Einbezug etablierter didaktischer und inhaltlicher Konzepte.

eISSN:
2296-990X
Lingue:
Inglese, Tedesco
Frequenza di pubblicazione:
Volume Open
Argomenti della rivista:
Medicine, Clinical Medicine, other