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Normative Konfliktlagen: Eheschließungen mit AusländerInnen in Deutschland als administrative und interkulturelle Herausforderung (ca. 1900–1930)


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Der Beitrag befasst sich mit den vielfältigen administrativen Reaktionsweisen auf das zunehmende Aufkommen binationaler bzw. interkultureller

Zur Begriffsunterscheidung siehe Christoph Lorke: Challenging Authorities through »Undesired« Marriages: Administrational Logics of Handling Cross-Border Couples in Germany, 1880–1930, in: Journal of Migration History 4 (2018), S. 54–78, siehe insgesamt zur Terminologie auch Dan Rodriguez-Garcia: Intermarriage and Integration Revisited: International Experiences and Cross-Disciplinary Approaches, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 662 (2015), S. 8–38.

Heiratswünsche in Deutschland, und zwar ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Etwa ab dem 1880er-Jahren hatte das deutsche Personenstandswesen Mechanismen entwickelt und modifiziert, um sich mit den neu aufgeworfenen, teilweise aufgrund der Berücksichtigung des internationalen Privatrechts sehr komplizierten personenstands- bzw. privatrechtlichen Voraussetzungen »angemessen« auseinandersetzen zu können. Das Personenstandsrecht, um das es im Beitrag konkret gehen soll, war (und ist) ein komplexes Mehr-Ebenen-Politikfeld, das seit 1871/75 (Einführung der Zivilehe und der reichsweiten Installation von Standesämtern) eine zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung bei gleichzeitiger Verwaltungsmodernisierung erfuhr. Dem Standesamt kommt innerhalb dieses Feldes als zentraler Akteur eine kaum zu unterschätzende Rolle zu. Standesämter und Standesbeamte trugen die Verantwortung für die Rechtsgültigkeit einer Eheschließung, sie standen am Beginn von Entscheidungsprozessen über das Erlauben und Verweigern einer bestimmten Heirat und fungierten als die Eintrittstore in den nationalen Heiratsmarkt. Wird dieser als ein gesellschaftliches (Teil-)Funktionssystem verstanden, so geht es bei der hier eingenommenen Perspektive um nicht weniger als um die Historisierung der (Nicht-) Teilnahme an jenem System, wobei die jeweiligen Zugangsvoraussetzungen durch verschiedene Faktoren (Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, Alter, Geschlecht) determiniert waren.

Vgl. Niklas Luhmann: Zum Begriff der sozialen Klasse, in: Ders. (Hg.): Soziale Differenzierung. Zur Geschichte einer Idee, Opladen 1985, S. 119–162; Rudolf Stichweh: Systemtheorie der Exklusion. Zum Konflikt von Wohlfahrtstaatlichkeit und Globalisierung der Funktionssysteme, in: Ders.: Die Weltgesellschaft. Soziologische Analysen, Frankfurt am Main 2000, S. 85–102.

Standesbeamte und Standesämter besaßen eine Schlüsselrolle und waren in ein ganzes »Entscheidungssystem« eingebettet, das in seiner Beschaffenheit auf normative Zielkonflikte rekurriert: ein Geflecht verschiedener Instanzen, das neben Akteuren mit informellen Einflusschancen auf den Entscheidungsprozess vor allem das formelle Handeln in unterschiedlichen Ämtern auf kommunaler Ebene (wie etwa das Wohnungsamt oder die örtliche Polizeibehörden) und übergeordneten Institutionen (wie Landes- und Reichsbehörden oder Aufsichtsstellen) beschreibt. Bezogen auf die hier interessierenden Paarbeziehungen, bei denen ein Partner nicht im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit war, avancierten die Standesämter zum ersten interkulturellen Begegnungsort, was deren Rolle als maßgeblicher Akteur bei der Einordnung, Klassifizierung und Regulierung grenzüberschreitender Intimität unterstreicht.

Siehe für Einzelheiten die einführenden Bemerkungen in Christoph Lorke: Liebe verwalten. ›Ausländerehen‹ in Deutschland (1870–1945), Paderborn 2020.

Hinsichtlich einer konkreten Umsetzung von Normen in der (Eheaufgebots-)Praxis werden die Ausführungen anhand ausgewählter Fälle und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Normenkonflikte, Strategien – etwa Verlangsamung und Verhinderung der Verwaltungshandlung – sowie administrative Verzögerungs- oder gar Ablehnungsmechanismen nachzeichnen. Dies allein zu betrachten, wäre allerdings verkürzt, blieben doch dadurch Formen der Generosität und Privilegierung ebenso unterberücksichtigt wie die verschiedenen Anpassungsleistungen und Handlungsmöglichkeiten ordnungsüberschreitender bzw. -entgrenzender Akteure. Somit blickt der Artikel auf normative Welten innerhalb wie abseits von Staatlichkeit und fragt nach den normativen Maßstäben, von denen sich das Verwaltungshandeln im personenstandsrechtlichen Kontext leiten ließ. Wie zu zeigen sein wird, bewegte sich standesamtliches Verwaltungshandeln in einem Bündel unterschiedlicher Normativitäten, sich teils überlagernder, miteinander kooperierender wie konfligierender Imperative und Handlungslogiken, was bisweilen widersprüchliche Verflechtungslagen und die Entstehung neuer normativer Arrangements nach sich zog. Nach einigen grundsätzlichen Vorbemerkungen hinsichtlich administrativen Verwaltungshandelns in einem interkulturellen Kräftefeld sowie Ausführungen zu den relevanten personenstandsrechtlichen Grundstrukturen werden anhand dreier Beispiele verschiedene normative Spannungsverhältnisse, aus denen handfeste Normenkonflikte entstehen konnten (aber nicht zwangsläufig mussten), beschrieben und in ihrer Bedeutung und Reichweite vorgestellt, um dadurch den Hintergründen konkreter normativer Praktiken »hinter« der juridischen Praxis sowie dem Verhältnis zwischen Normativitäten rechtlicher und nichtrechtlicher Natur nachzuspüren.

Administratives Agieren im interkulturellen Kontext

Wenn Entstehen, Fortleben und Verbreitung von »Fremdheit« in den Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern von Verwaltung und Öffentlichkeit in historischer Perspektive untersucht werden sollen, betritt man damit weitgehend Neuland. Zwar hat hierzulande die Migrationshistoriografie in jüngster Zeit mit dem Begriff »Migrationsregime« die Bedeutung verschiedener Aushandlungsformen zwischen staatlichen Stellen und migrantischen Akteuren gefordert, doch sind empirische Studien hierzu nach wie vor rar.

Siehe nur die Forderungen und einzelnen Aufsätze in Jochen Oltmer (Hg.): Migrationsregime vor Ort und lokales Aushandeln von Migration, Wiesbaden 2018; Andreas Pott / Christoph Rass / Frank Wolff (Hg.): Was ist ein Migrationsregime?, Wiesbaden 2018; vgl. außerdem Anne Friedrichs: Placing Migration in Perspective. Neue Wege einer relationalen Geschichtsschreibung, in: Geschichte und Gesellschaft 44 (2018), S. 167–195.

Standesamtliches Handeln und Entscheiden sind – im Untersuchungszeitraum wie auch heute noch – stets in politische und legislative Machtverhältnisse und regulative Institutionen eingebunden. Hinzu kommt die Bedeutung des rechtlichen Status der betreffenden Individuen und das nicht zuletzt auf Migrationsbewegungen hin ausgerichtete Agieren eines »nationalen Interventionsstaates«.

Klaus J. Bade: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2002, S. 211.

Berücksichtigt werden müssen bei der Historisierung des Personenstandswesen des Weiteren verschiedene komplexe juristische Tatbestände wie Staatsangehörigkeit

Siehe allen voran Dieter Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001; vgl. außerdem Andreas Fahrmeir: Citizenship. The Rise and Fall of Modern Concept, London 2007; Vito Francesco Gironda: Die Politik der Staatsbürgerschaft. Italien und Deutschland im Vergleich 1800–1914, Göttingen 2010.

mit dem Sonderfall der Staatenlosigkeit

Kathrin Kollmeier: Eine »Anomalie des Rechts« als Politikum. Die internationale Verhandlung von Staatenlosigkeit 1919–1930, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 35/3–4 (2013), S. 193–208; vgl. zudem Doerte Bischoff / Miriam Rürup (Hg.): Ausgeschlossen. Staatsbürgerschaft, Staatenlosigkeit und Exil, München 2018; grundsätzlich zudem Victoria Redclift: Statelessness and Citizenship. Camps and the Creation of Political Space, London 2013.

und den Funktionslogiken des Passwesens,

John Torpey: The Invention of the Passport. Surveillance, Citizenship and the State, Cambridge 2000.

aber auch die Rolle und Reichweite von Migrationskontrollen und Einbürgerungsgesetzen

Christiane Reinecke: Grenzen der Freizügigkeit. Migrationskontrolle in Großbritannien und Deutschland, 1880–1930, München 2010.

sowie das internationale Privatrecht.

Roxana Banu: Nineteenth-Century Perspectives on Private International Law, New York 2018.

In diesem Kräftefeld erscheint das Standesamt als erster Ort tatsächlicher Kontakterfahrungen und Kommunikationssituationen und von Begegnungen wie auch Interaktionen zwischen »eigen« und »fremd«, an dem Standesbeamter und die/der deutsch-ausländische Verlobte Austauschbeziehungen unterschiedlicher Ausprägung und Reichweite eingehen.

Zu interpersonalen Kommunikationssituationen und kultureller Grenzüberschreitung Jürgen Osterhammel: Kulturelle Grenzen in der Expansion Europas, in: Saeculum 46 (1995), S. 101–138; ganz allgemein auch Moritz Föllmer: Einleitung: Interpersonale Kommunikation und Moderne in Deutschland, in: Ders. (Hg.): Sehnsucht nach Nähe. Interpersonale Kommunikation in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 9–44.

Dadurch war das Standesamt ein hochgradig symbolischer Ort

Siegbert Rehberg: Institutionen als symbolische Ordnungen. Leitfragen und Grundkategorien zur Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen, in: Gerhard Göhler (Hg.): Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie, Baden-Baden 1994, S. 47–84.

sowie Ausgangspunkt einer interkulturellen Begegnung zwischen Staat und »fremdem« Individuum und somit entscheidender Akteur bei der nationalstaatlichen Regulierung des Intimen. Die Einbeziehung dieser Begegnungssituationen in die historische Analyse ermöglicht uns eine mikroanalytisch ausgerichtete Perspektive auf Konstellationen und Modalitäten bestimmter Normativitäten, die hier interkulturell »gebrochen« werden. Dafür ist es allerdings unabdingbar, die grundsätzlichen Funktionsweisen standesamtlicher Verwaltungskultur zu historisieren und zu verstehen.

Standesamtliche Verwaltungskulturen historisieren und verstehen

(Standesamtliches) Verwaltungshandeln, das geprägt war und ist von Ordnung, Effizienz und Rationalität und mit bestimmten Verfahren und normsetzenden Praktiken Rationalitätsfiktionen und somit soziale Akzeptanz und Legitimität schuf, trug, so die These des vorliegenden Beitrages, hierdurch zur Produktion und Reproduktion von Ungleichheiten in unterschiedlichen Dimensionen – insbesondere bezogen auf Geschlecht und soziale wie ethnische Herkunft – in erheblichem Maße bei. Doch was änderte sich im Untersuchungszeitraum, dem ausgehenden 19. Jahrhundert konkret? Mit der Säkularisierung der Eheschließung als normsetzender Praxis ist mit Max Weber die Expansion des Staates auch auf diesem Gebiet zu beobachten. Vor diesem Hintergrund erfolgte auch hier eine Verinnerlichung eingeübter bürokratischer Regeln, entwickelte sich eine vollständig ausgebaute Bürokratie zu einem »Kernstück des Machtsystems des modernen Staates schlechthin«.

Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 51976, S. 128.

Moderne Organisationen – wie das Standesamt zweifellos eine war – durchdrangen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert private Verhältnisse und jegliche Lebensbereiche in einer Weise und Intensität, wie es vormodernen Gesellschaften unbekannt war. Die Folge hiervon war eine bis dato ungekannte Ausdehnung staatlicher Machtsysteme und die Schaffung administrativer (Bio-)Macht,

Anthony Giddens: Wandel der Intimität: Sexualität, Liebe und Erotik in modernen Gesellschaften, Frankfurt am Main 1993, S. 39–43; vgl. auch die historischen Rückgriffe in Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt am Main 1994, bes. Kapitel 10.

die keineswegs nur auf das Deutsche Reich beschränkt war, hier aber durch die administrativ-infrastrukturelle Strukturierung (das System von Standesämtern und weiteren Instanzen) eine Besonderheit aufwies. Denn dadurch war eine zunehmende institutionelle Reflexion alltäglicher sexueller Praktiken (und damit sind nicht allein die Heirats-, sondern auch die Geburtsregister gemeint) möglich bzw. aus Sicht der Behörden im Zuge einer zunehmenden Differenzierung des modernen Staates vielmehr auch nötig, da sich durch die erhöhte geografische Mobilität immer größerer Menschengruppen neue Fragen über die soziale Zusammensetzung des Territorialstaates ergeben hatten.

Siehe nur Charles S. Maier, Consigning the Twentieth Century to History: Alternative Narratives for the Modern Era, in: American Historical Review 105/3 (2000), S. 807–831.

Wie vonseiten unterschiedlicher institutioneller Akteure auf diese neuen Fragen gesellschafts- und bevölkerungspolitischer Natur reagiert wurde, ist eine komplexe Frage und kann unmöglich pauschal beantwortet werden; freilich sind Annäherungen möglich. Nach Thomas Ellwein sind Behörden wie das Standesamt weniger als monolithische Blöcke, sondern als dynamisch-vitale Organismen zu verstehen; im Sinne einer Kulturgeschichte der Verwaltung und einer Annäherung an »Verwaltungskulturen«

Vgl. u. a. mit einer ersten konzeptionellen Vertiefung Roland Sturm: Verwaltungskultur, in: Dirk Berg-Schlosser / Jakob Schissler (Hg.): Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Opladen 1987, S. 422–428.

ist demnach einerseits von einer »lebenden Verwaltung«

Thomas Ellwein: Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungsentwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen-Lippe, 2 Bde., Opladen 1997.

auszugehen, also einer Vielfältigkeit, Komplexität und Widersprüchlichkeit. Andererseits gilt es, die Erwartungshaltungen des sozialen wie auch politischen Umfeldes anzunehmen. Hierunter fallen konkrete staatliche Maßgaben ebenso wie spezifische lokale Verhältnisse oder auch die Entstehung neuer Aufgaben und Herausforderungen, etwa im Lichte neuer gesellschaftlicher, politischer oder sozialer Gegebenheiten (Migration, Veränderungen des lokalen Heiratsmarktes).

Adrienne Windhoff-Héritier (Hg.): Verwaltung und ihre Umwelt. Festschrift für Thomas Ellwein, Opladen 1987.

(Standesamtliche) »Verwaltungskulturen« zu analysieren, bedeutet demnach, sowohl die Meinungen, Einstellungen und Werte der Standesbeamten in den Blick zu nehmen, weil diese konkretes Verwaltungsverhalten und normative Ordnungen in hohem Maße determiniert haben dürften,

Peter Becker: Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung, in: Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte 15 (2003), S. 311–336, hier S. 313–315; vgl. Ders. (Hg.): Sprachvollzug im Amt. Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2011, hier insbesondere die Einleitung, S. 9–42.

als auch Rollenverständnisse und Sinnzuschreibungen, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie Aushandlungsformen administrativen Geschehens ernst zu nehmen. (Personenstands-)rechtliche Bestimmungen beeinflussen standesamtliches Handeln, das sich stets einer Vielzahl an wirkmächtigen Faktoren ausgesetzt sieht: normative Vorgaben (die rechtlichen Rahmenbedingungen), kollektive Annahmen (der Umgang mit Loyalitätserwartungen sowie Wertstrukturen und das Verhalten gegenüber gesellschaftlich etablierten Werten und Ansprüchen bzw. die Orientierung an sozial akzeptierten und gesellschaftlich mehr oder weniger geteilten Normen),

John W. Meyer / Brian Rowan: Institutionalized Organizations. Formal Structures as Myth and Ceremony, in: American Journal of Sociology 83 (1977), S. 340–363; siehe grundsätzlich auch die wegweisende Studie von Herbert A. Simon: Administrative Behavior. A Study of Decision-Making-Processes in Administrative Organizations, New York 1997.

lokale Besonderheiten (der Standesbeamte agiert in diesem Kräftefeld stets als Vermittler zwischen der staatlichen Bürokratie und den Erfordernissen bzw. der Bevölkerung vor Ort) und individuelle Spielräume (dem »Eigen-Sinn«)

Gemeint ist mit Alf Lüdtke die Mehrdeutigkeit von Handlungen, Haltungen und eigenen Bedeutungen, die Individuen in den herrschaftlich gedachten Sinn von Ordnungen hineinlegten. Hiervon ausgehend erscheint es als lohnendes Unterfangen, das interaktive Zusammenspiel zwischen Individuen und Organisation und die daraus resultierenden Folgen zu beleuchten. Siehe Alf Lüdtke: Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitserfahrung und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993: sowie zur »Herrschaft als soziale Praxis«: Alf Lüdtke (Hg.): Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991.

. Überwölbt wird dieser Handlungsrahmen sodann durch jeweils unterschiedlich, gesellschaftlich bedingte Prioritätensetzung, die wahlweise als »Regulierungsrationalitäten«

Peter Collin: Treffräume von Regulierungsrationalitäten: Überlegungen zu Voraussetzungen und Typisierungen juristischökonomischer Kommunikation, in: Peter Collin (Hg.): Treffräume juristischer und ökonomischer Regulierungsrationalitäten, Frankfurt am Main 2014, S. 1–44.

oder auch »Leitbilder«

Johanna Braun: Leitbilder im Recht, Tübingen 2015.

bezeichnet werden können und das Recht (bzw. die Umsetzung) in verschiedener Ausprägung formen. Die zunehmende rassenbiologisch-eugenische Aufladung der Eheschließung im Untersuchungszeitraum wäre ein Beispiel hierfür. Angesichts dieser – hier freilich nur skizzierten – Komplexität der Entscheidungsfindungen ist standesamtliches (wie jedwedes) Verwalten Modus der Konstruktion, Organisation und Ordnung normativer Wirklichkeit; es ist die Generierung von Sinnhorizonten und eine besondere Form des Klassifizierens und Zuordnens, das sich entlang diverser und mehr oder weniger stark verankerter Gewohnheiten, Sitten, Interessen, Handlungsrationalitäten, Werten und Leitmaximen sozialen Handelns orientiert.

Stefan Haas: Die Kultur der Verwaltung. Die Umsetzung der preußischen Reformen 1800–1848, Frankfurt am Main 2005; zum Begriff der normativen Wirklichkeit Peter Stemmer: Die Konstitution der normativen Wirklichkeit, in: Rainer Forst / Klaus Günther (Hg.): Die Herausbildung normativer Ordnungen. Interdisziplinäre Perspektiven, Frankfurt am Main 2011, S. 57–68.

Gebrochen werden konnte diese Orientierung indes durch diskrepante kulturelle Vorannahmen aufseiten von Institution bzw. Individuum.

Standesamt und interkulturelle Interaktion

Dieser skizzierten grundsätzlichen Ordnungsfunktion in der alltäglichen Standesamtspraxis kommt im interkulturellen Kontext eine zentrale Bedeutung zu. Institutionen wie das Standesamt können individuelles Verhalten und Kontingenzen der Akteure durch Regelsetzung und bestimmte Handlungsund Entscheidungsstrategien gezielt beeinflussen.

Holger Schulze: Neo-Institutionalismus. Ein analytisches Instrument zur Erklärung gesellschaftlicher Transformationsprozesse, Berlin 1997.

Gerade mit Blick auf die personenstands- und eherechtshistorischen Entwicklungen und Dynamiken im Standesamtswesen stellt sich die Frage, inwiefern Entscheiden nach bestimmten Normen eine funktionale Bedeutung für die Aufrechterhaltung, Stabilisierung und Reproduktion sozialer Ordnung zukommt, inwiefern Individualität, Autonomie und Selbstbestimmung bei dem Prozess des Entscheidens auf der einen, gesellschaftliche Dynamiken wie Rationalisierung und Formalisierung auf der anderen Seite Entscheidungsbedarf und Erwartungsordnungen konstituiert haben

Uwe Schimank: Die Entscheidungsgesellschaft. Komplexität und Rationalität der Moderne, Wiesbaden 2005, S. 79–88; 108.

und wie diese durch die Beteiligung eines nichtdeutschen Partners beeinflusst wurden.

Alltagskontakte mit der Verwaltung und somit Entscheidungssituationen, um die es hier geht, können dabei als ein Interaktionssystem zwischen Verwaltern und Verwalteten beschrieben werden. Innerhalb dieses Systems sind Regelhaftigkeiten und Eigendynamiken möglich, wobei insbesondere die gemeinsame Definition der Situation kaum zu unterschätzen ist. Diese Situationsdefinition muss eine ausreichende Übereinstimmung aufweisen; gerade jedoch im Falle interkultureller Konstellationen liegen häufig unterschiedliche Voraussetzungen vor, hinzu tritt die formale Restriktivität der Situation (Experten-Laien-Kommunikation mit asymmetrischer Machtverteilung, Ressourcenknappheit, beidseitiger Handlungs- und Zeitdruck, institutionelle und soziale Kontrolle),

Siehe auch allgemein Dieter Grunow: Alltagskontakte mit der Verwaltung, Frankfurt am Main, New York 1978; zuvor bereits Lothar Krappmann: Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen, Stuttgart 1971, sowie ganz grundsätzlich Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt am Main 1981.

was gerade im besonderen Setting einer interkulturellen Kontakt- und Kommunikationssituation eine Konflikthaftigkeit nach sich ziehen kann, da diese Begegnung vonseiten institutioneller Akteure mit dem jeweils eigenen Alltagswissen, die im vorliegenden Fall zumeist mit der Trias eurozentrisch-christlich-bürgerlich charakterisiert werden dürfte, gedeutet worden ist. Dementsprechend sind die daraus resultierenden Konstruktionen kultureller Differenz vermutlich nicht selten vorurteilsgeladen gewesen, was zu Verständigungsschwierigkeiten führen konnte (wenngleich dies nicht immer der Fall sein musste).

Zu den Merkmalen von Kommunikationssituationen im interkulturellen Kontext Katharina Rosenberg: Interkulturelle Behörden-Kommunikation. Eine gesprächsanalytische Untersuchung zu Verständigungsproblemen zwischen Migranten und Behördenmitarbeitern in Berlin und Buenos Aires, Berlin, New York 2014, S. 37–45; siehe ferner Johanna Groß: Interkulturelle Kommunikation in der Verwaltung. Ansätze auf der soziologischen Makro-, Meso- und Mikroebene, in: Deutsche Verwaltungspraxis 66 (2015), 11, S. 461–464; Dian Ekawati: Interkulturelle Kommunikation in Institutionen. Deutsch-indonesische Kontaktgespräche im akademischen Bereich, Berlin, Münster 2014; vgl. außerdem erste Leitfäden zum Thema, wie beispielsweise Peter Raiser / Bernhard Ufholz: Interkulturelle Kompetenz für die öffentliche Verwaltung, Bielefeld 2009; zu Behördenkontakten im interkulturellen Kontext und den möglicherweise auftretenden verzerrten Kontakt- und Interaktionssituationen bereits Lutz Hoffmann: »Aber warum nix freundlich?«. Der Kontakt zwischen deutschen Behörden und ausländischen Klienten, Bielefeld 1982.

Fokussiert man von diesen Vorüberlegungen ausgehend die divergierenden Situationsdefinitionen, die auch in einem interkulturellen Kräftekontext bestimmten gesetzlichen und normativen Vorgaben unterliegen, ist davon auszugehen, dass behördliche Wahrnehmungsprozesse des »fremden« Verlobten durch ein stereotyp-ethnozentrisch geprägtes Erfahrungswissen determiniert gewesen sein dürften. Betrachtet und beschreibt man die Geschichte der Eheschließung mit AusländerInnen wie hier als interkulturelle Interaktionsgeschichte, sind nicht nur abweichende Normativitäten zu erwarten, es lassen sich darüber hinaus die Beschaffenheiten von Normen, Deutungsmustern und damit verbundenen Ordnungsvorstellungen in den Amtsstuben nachverfolgen, wodurch Einblicke in die zeitgenössischen Vorstellungswelten moderner Administration und ihren Gestaltungsanspruch ableitbar sind,

Betty De Hart: Unlikely Couples. Regulating Mixed Sex and Marriage from the Dutch Colonies to European Migration Law, Amsterdam 2015, S. 8.

aber auch Aussagen darüber, inwiefern Institutionen mit »fremden« Kontakterfahrungen konkret umgegangen sind und diese verarbeitet haben. Eingebettet waren diese Kontakte jeweils in mehr oder weniger streng regulierte personenstandsrechtliche Strukturen, die im Folgenden betrachtet werden.

Personenstandsrechtliche Rahmenbedingungen in der standesamtlichen Verwaltungspraxis

Eheschließungen mit AusländerInnen – die Entscheidungsprozesse bei diesen Konstellationen – fußten im Untersuchungszeitraum ganz grundsätzlich auf einem personenstandsrechtlichen Verfahren, das im Großen und Ganzen bis heute Gültigkeit besitzt:

Vgl. nur Thomas Rauscher: Internationales Privatrecht. Mit internationalem Verfahrensrecht, Heidelberg 52017 (§ 8, A., 1.1. e).

Sobald einer der Eheschließenden beim örtlich zuständigen Standesamt keinen Nachweis über die deutsche Staatsangehörigkeit erbringen konnte, musste ein von der Heimatbehörde des betreffenden Eheschließenden ausgestelltes sog. »Ehefähigkeitszeugnis« beigebracht werden. Dieses Dokument musste einen Vermerk enthalten, wonach aus personenstandsrechtlichen Gründen kein Hindernis für die Eheschließung bestehe. Somit waren die Verlobten auf die rasche Bearbeitung ihres Anliegens angewiesen, zumal in nicht wenigen Fällen eine Schwangerschaft vorlag. Einige, insbesondere außereuropäische Staaten, stellten solche Zeugnisse allerdings überhaupt nicht aus. In diesen Fällen entschied der Präsident des Oberlandesgerichtes, in dessen Zuständigkeitsgebiet der Antrag auf Eheschließung gestellt worden war, über die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses. In bestimmten Angelegenheiten wurden auch oberste Reichsbehörden wie das Reichsinnen- und das -justizministerium sowie das Auswärtige Amt eingeschaltet.

Die Gewährung zur Eheschließung als Gegenstand behördlicher Verwaltungsarbeit war nach den oben genannten Prinzipien strukturiert und umfasste vielfältige rechtliche, administrative und persönliche Anforderungen – was deutlich macht, inwiefern sich Standesämter und weitere Entscheidungsinstitutionen im Spannungsfeld konfligierender Anforderungen und Ansprüche von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung bewegten. Bei der Wissensgenerierung und für die Herstellung von Entscheidungswissen war es wichtig, dass die beteiligten Institutionen rechtlich bindende Entscheidungen treffen sollten, die es dem Paar garantierten, dass ihre Ehe auch im Heimatland des ausländischen Verlobten sowie in Drittstaaten Anerkennung fand. Verwaltungshandeln im standesamtlichen Kontext war folglich mit widersprüchlichen Anforderungen und Problemlagen konfrontiert, woraus sich Handlungsroutinen und Wissensbestände entwickelten. Das Personenstandswesen und die dort greifenden (bzw. herrschaftlich vorgesehenen) bürokratischen Routinen bildeten die Grundlage für den Staat, um bestimmte Normen durchzusetzen bzw. bei abweichenden Entwicklungen präventiv einzugreifen. Ständig wiederholte Praktiken – das Annehmen des Eheaufgebots, das Ausstellen von Heiratspapieren im Standesamt, das Vornehmen der Trauung – sind in ihrer Regelhaftigkeit und Wiederholung dazu da, Erwartungssicherheit zu generieren, und dies sowohl bei den Verlobten und künftig Heiratenden als auch bei den Standesbeamten.

Siehe hierfür die Überlegungen bei Rehberg: Institutionen.

Konkrete Anwendungen von Verfahrensvorschriften und Entscheidungsmechanismen helfen uns dabei, Ausnahmen, Inkonsistenzen und Widersprüche aufzudecken, die häufig auf Normenkollisionen zurückzuführen sind.

Grundlage der nachfolgenden Analyse ist die Entscheidungsfindung in verschiedenen Einzelfällen, die sich in unterschiedlichen Orten in Deutschland zugetragen haben. Das globalisierte Lokale, die Überformung lokaler Gegebenheiten durch transnational-globale Einflüsse oder schlicht »Glokalisierung« (Roland Robertson): Der normative Umgang mit binationalen bzw. interkulturellen Eheschließungen (bzw. Eheschließungsanliegen) deutet auf die Rolle europäischer Rechtspraxis in globalhistorischer Hinsicht, die jedoch immer auf die konkrete lokale Rechtserzeugung zu blicken hat, die Thomas Duve insbesondere für den interkulturellen Raum als zentral herausgestellt hat.

Thomas Duve: Von der Europäischen Rechtsgeschichte zu einer Rechtsgeschichte Europas in globalhistorischer Perspektive, in: Rechtsgeschichte 20 (2012), S. 18–71, bes. S. 49–51.

Denn gerade das örtliche Herrschafts- und Beobachtungssystem erlangt eine entscheidende Bedeutung: Das Sammeln von Informationen, Erklärungen und Zustimmungen entlastete den Entscheider und half dabei, auf effizientere Weise Entscheidungsregeln anzuwenden und Entscheidungen zu treffen.

Vgl. hierfür mit Anlehnung an Max Weber Ellwein: Staat, Bd. 1, S. 74.

Auch wenn hier keine Verallgemeinerungen möglich sind (zumal über einen längeren Zeitraum wie dem hier gewählten, der sich etwa von der Jahrhundertwende bis in die ausgehenden 1930er-Jahre erstreckt), sollen doch wesentliche Konfliktlagen betrachtet werden, die in jenen Jahren eine wesentliche Rolle für die Entscheidungsfindung im Umgang mit binationalen/interkulturellen Eheschließungen gespielt haben. Diese Konfliktlagen verweisen aus unterschiedlichen Gründen auf Normenkonkurrenz und begreifen Normenerzeugung als einen »Akt kultureller Produktion«,

Thomas Duve: Was ist Multinormativität? – Einführende Bemerkungen, in: Rechtsgeschichte 25 (2017), S. 88–101, bes. S. 93f.; siehe auch die früheren Ausführungen bei Miloš Vec: Multinormativität in der Rechtsgeschichte, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.):, Jahrbuch der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2008, Berlin, S. 155–166; siehe ferner einen Beitrag, der sich mit administrativer Differenzierung und den Folgen von Interessendivergenzen, Informationsmängeln oder auch vagen Zielvorgaben befasst: Theo Toonen: Administrative Plurality in a Unitary State. The Analysis of Public Organisational Pluralism, in: Policy and Politics 11 (1983), S. 247–271.

der auf vielfältigen Vorbedingungen beruht und deutlich macht, dass das Standesamt Raum unterschiedlicher normativer Rationalitäten war – nicht nur Ort des Aufeinandertreffens von (Rechts-)Experten und Laien, sondern auch von Akteuren mit unterschiedlichen kulturellen wie auch (ehe-)juristischen Hintergründen, ein (Entscheidungs-)Ort, der nicht statisch, sondern dynamisch und von der Wirkweise sozialer Beziehungen geprägt war, dessen normative Bedeutung in sozialen Praktiken hervorgebracht wurde und veränderbar war.

Dabei ist davon auszugehen, dass das Recht – hier das internationale Personenstands- bzw. Privatrecht – diejenige Ebene war, die in hohem Maße andere normative Rationalitäten dominiert haben dürfte, doch erst in Kombination mit ihnen zur vollen, je spezifischen Geltung kam, abhängig von den konkreten organisatorischen Vorstrukturierungen und jeweiligen Machtkonstellationen. Siehe zu diesen Verhältnissen: Erk Volkmar Heyen: Amt und Rationalität, Legitimität und Kontrolle: Grundbegriffe historisch-komparativer Verwaltungsanalyse, in: Arthur Benz / Heinrich Siedentopf / Karl-Peter Sommermann (Hg.): Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung. Festschrift für Klaus König zum 70. Geburtstag, Berlin 2004, S. 49–60.

Internationale Eheschließungen im Untersuchungszeitraum: drei normative Spannungslagen
Kollisionen mit dem Personenstandsrecht anderer Staaten

Das Aufeinanderprallen von zwei nationalstaatlichen Eherechten, wie es in einer binationalen Eheschließung immer der Fall ist, konnte zu mitunter höchst diffizilen Fragen führen. Dieser Umstand setzte voraus, dass sich die Entscheider – die Standesbeamten selbst wie auch die Mitarbeitenden in den nachfolgenden Behörden – mit den Spezifika des ausländischen Privatrechts vertraut machen mussten. Multinormativ relevante Aspekte konnten etwa dann zur Geltung kommen, wenn in bestimmten Konstellationen verschiedene länderspezifische Gegebenheiten Anwendung fanden. Darunter zählten im ausgehenden 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert beispielsweise das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit, auf das bei der Beteiligung von PartnerInnen aus Bulgarien oder Österreich (zwischen Christen und Nichtchristen) oder aus Griechenland (zwischen Griechisch-katholischen und Nichtchristen) zu achten war. Kam der ausländische Verlobte hingegen aus Italien oder Ungarn, so war das Aufgebot auch im Ausland zu vollziehen, und bei Zuwiderhandlung konnte die Eheschließung angefochten werden. Französische, belgische oder niederländische Verlobte hingegen hatten ihren Eltern gegenüber bestimmte Ehrerbietungsakte zu vollziehen, über deren Erfüllung sich der Standesbeamte erkundigen musste.

Vgl. mit weiteren Beispielen Christoph Lorke: (Un-)Ordnungen in der mobilen Moderne. Grenzüberschreitungen von Paaren als nationalstaatliche Herausforderung (1900–1930), in: Archiv für Sozialgeschichte 57 (2017), S. 259–279, hier S. 266; sowie Ders.: »Die schwierigste Aufgabe im ganzen Standesamtsbetrieb«. Ehepolitik und die Verrechtlichung binationaler Ehen in der Weimarer Republik, in: Meike Sophia Baader / Wolfgang Gippert / Petra Götte (Hg.): Migration und Familie. Historische und aktuelle Analysen, Wiesbaden 2018, S. 277–291.

Das Zusammenspiel von spezifischen landesrechtlichen Erfordernissen und religiösen Ehehindernissen war stets kompliziert, vor allem aber dann, wenn der nichtdeutsche Verlobte aus solchen Ländern stammte, die die kirchliche Eheschließung als obligatorisch verstanden. Diese Konstellationen und der behördliche Umgang deuteten auf das fundamentale Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Staat hin.

Das wurde bereits zeitgenössisch thematisiert, etwa bei Alexander Grünwald: Eheschliessung nach den Bestimmungen des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, des Code Napoleon, des österreichischen Konkordats ... des englischen, des brasilianischen und des nordamerikanischen Gesetzes. Nebst einem Anhange: Die Ehehindernisse und ihre rechtliche Eintheilung, Wien 1881.

Bei deutsch-ungarischen Eheschließungen hatte der Standesbeamte die Verlobten daran zu erinnern, dass das ungarische Privatrecht vorsah, der standesamtlichen Eheschließung eine kirchliche Trauung folgen zu lassen, da ansonsten die zivile Eheschließung als rechtsungültig erachtet wurde.

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 84a, Nr. 11897, Abschrift des Regierungspräsidiums, betr. die von ungarischen Staatsangehörigen in Deutschland geschlossenen Ehen, 02.03.1896.

Bulgarische Staatsangehörige konnten ebenfalls nur dann eine rechtsgültige Ehe eingehen, wenn nach der zivilen eine kirchliche Trauung folgte, und zwar durch einen Geistlichen der Religion, der der bulgarische Verlobte angehörte.

N. N.: Bayern. Eheschließung bulgarischer Staatsangehöriger, in: Der Standesbeamte 35 (1909), S. 154.

Hierüber herrschte im Übrigen nicht nur eine große Unklarheit aufseiten der deutschen Behörden, sondern vor allem in Bulgarien selbst. Problematisch wurde es vor allem dann, wenn aufgrund einer unterlassenen kirchlichen Eheschließung die Scheidung folgte und die Frau, die durch die Eheschließung ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte, wie auch die gemeinsamen Kinder – die daher als illegitim galten – entsprechende Konsequenzen tragen mussten.

G. Klocke: Die Stellung von Staat und Kirche zu Mischehen in Bulgarien. Eine Abhandlung unter besonderer Berücksichtigung deutscher Interessen (1910), in: Bundesarchiv Berlin, R 901/28149.

Solche Folgen im Blick erschien es für die deutschen Behörden nötig, dass diese Eheschließungen vor deutschen Standesbeamten solange nicht vorgenommen werden sollten, ehe nicht mit Sicherheit die anschließende Trauung durch einen Geistlichen garantiert war. Daher waren in Preußen seit den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bulgarische Staatsangehörige stets nur in denjenigen Fällen zur Trauung zugelassen, wenn entsprechende Nachweise eingereicht wurden – folglich wollte man zumindest auf deutscher Seite sicher gehen, die Verlobte auf die bestehenden Vorschriften aufmerksam gemacht und alles unternommen zu haben, um diese vor einer solchen Verheiratung gewarnt zu haben.

Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe, Best. 234 Nr. 3806, Auswärtiges Amt an das Badische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, 10.04.1909.

Derartige Vorfälle begründeten sodann eine gewisse behördliche Skepsis in vergleichbaren Fällen, sodass sie die Standesbeamten zur Vorsicht mahnten. Die Rekonstruktion von Formen und Methoden der zeitgenössischen Wissensproduktion über national exogam heiratende Paare, die Aneignung und Nutzung von Wissensbeständen und ihre Relevanz gerade für die Standesbeamten als staatliche Funktionsträger lassen sich auf verschiedenen Ebenen beobachten, woraus ein umfassender Professionalisierungsprozess erkennbar ist. So kann seit der Jahrhundertwende die Veröffentlichung zahlreicher Handreichungen nachvollzogen werden, in denen handbuchartig die wichtigsten Vorschriften für verschiedene Staaten versammelt waren. Sie umfassten regelmäßig auch Übersichten über die jeweils beizubringenden Unterlagen sowie Fragebögen. Gleiches gilt für Fachzeitschriften, das Zentralorgan für deutsche Standesbeamte Das Standesamt, den zeitgleich erschienenen Der Standesbeamte sowie deren Nachfolger, die Zeitschrift für Standesamtswesen (STAZ). In diesen Veröffentlichungen finden sich nahezu in jeder Ausgabe Fälle aus der Praxis und die Beantwortung von Fragen rund um das Internationale Privatrecht, aber auch Diskussionen um personenstandsrechtliche Entwicklungen in verschiedenen anderen Ländern. Diese Professionalisierung im Umgang mit binationalen Heiraten war eng an internationale Entwicklungen gekoppelt: Erwähnt sei das Haager-Staaten-Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiet der Eheschließung aus dem Jahr 1902, in dessen Folge sich ein Großteil der europäischen Staaten einverstanden zeigte, eine einheitliche Regelung internationaler Eheschließungen anzustreben.

Vgl. nur Ludwig Schmitz: Fragebogen zur Vorprüfung der Eheerfordernisse der Ausländer in Preussen: Praktisches Handbuch für Standesbeamte, Meiderich 1899; Ders. / Albert Wichmann: Die Eheschliessung im internationalen Verkehr, 2 Bde., Bd. 1: Die Eheerfordernisse der Ausländer im Deutschen Reiche, insbesondere in Preußen. Praktisches Handbuch für Standesbeamte mit Musterbeispielen und Nachweisen; Bd. 2: Das internationale Eheschließungsrecht und die Rechte betreffend die Legitimation unehelicher Kinder, Meiderich 1905; Dies.: Musterbeispiele zu Eintragungen in die Standesregister sowie zu sonstigen Beurkunden, Verhandlungen, Zeugnissen für Ausländer, Eingaben usw. Praktisches Handbuch für Standesbeamte, Duisburg 31911.

Damit zielten die beteiligten Staaten darauf ab, (Rechts-)Sicherheit zu gewährleisten und umgekehrt Fehler bei der Vornahme grenzüberschreitender Eheschließungen zu minimieren. Die Generierung von Entscheidungssicherheit (oder wenigstens deren Suggestion für die involvierten Staatsdiener) diente der standesamtlichen Selbstvergewisserung und Selbstberuhigung, denn immer wieder wurden Qualifikationsmängel bei den Standesbeamten vermerkt, die ihre Tätigkeit häufig nur nebenberuflich ausübten und im »richtigen Leben« Volksschullehrer, Landwirte oder Gemeindevorsteher waren. So wurden gerade für den ländlichen Bereich immer wieder Irrtümer und Mängel dokumentiert (die in manchen Fällen rechtliche Konsequenzen und Dienstaufsichtsverfahren nach sich zogen). Es bleibt eine zunehmende Vernetzung einzelner Regionalstellen im Vorfeld des Ersten Weltkrieges festzuhalten, welche unter anderem solche Kenntnisdefizite einzudämmen und die Förderung des Austausches zu intensivieren suchte. In den frühen 1920er-Jahren mündeten diese Entwicklungen in die Gründung eines Interessensverbandes: Der Reichsbund der Standesbeamten kümmerte sich seither um die Belange der deutschen Standesbeamten und strebte mit seinen zahlreichen Fortbildungen, Vorträgen und Schulungen nicht zuletzt an, rechtliche Unsicherheiten und daraus resultierende normative Spannungsverhältnisse kleinzuarbeiten.

Hierzu und zu den Folgen Lorke: Moderne.

Öffentlichrechtliche Normen waren dabei sicherlich prädominant und bestimmten das Agieren der Standesbeamtenschaft in herausragender Weise. Dass dabei bestimmte Nebeneffekte – wie die zunehmend zu beobachtende rassistisch-eugenische Ideologisierung des deutschen Standesamtswesens – auftraten, wird im nächsten Abschnitt vertieft.

Geschlechterverhältnisse, Demografie, Ethnozentrismus

Wenn vom Wunsch nach Ordnung und Kontrolle sozialer Verhältnisse durch Verwaltungshandeln die Rede war, so sind damit nicht zuletzt Geschlechterbeziehungen gemeint. Diese Ebene rekurriert auf den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen und administrativer Praxis.

Siehe dazu für den kolonialen Kontext Ulrike Schaper: Sex Drives, Bride Prices and Divorces: Legal Policy Concerning Gender Relations in German Cameroon 1884–1916, in: Oliver Janz / Daniel Schönpflug (Hg.): Gender History in a Transnational Perspective, New York 2014, S. 243–269, hier S. 259.

Die Regulierung von Sexualität und ihre geschlechtliche Aufladung war wohl einer der hauptsächlichen Gründe für ein umfassendes institutionelles Misstrauen

Laura Affolter: Asyl-Verwaltung kraft Wissen. Die Herstellung von Entscheidungswissen in einer Schweizer Asylbehörde, in: Christian Lahusen / Stephanie Schneider (Hg.): Asyl verwalten: Zur bürokratischen Bearbeitung eines gesellschaftlichen Problems, Bielefeld 2017, S. 145–171, bes. S. 154–156.

binationalen bzw. interkulturellen Eheschließungen gegenüber. Dieses Misstrauen war stark asymmetrisch. Denn das Herausheiraten von Frauen wurde ungleich stärker mit Argwohn bedacht als das von Männern, was auf eine (geschlechtlich abweichend aufgeladene) interdependente Wahrnehmung (und daraus resultierender Ungleichheit) der Kategorien Geschlecht, Nation, Kultur, Religion und ›Rasse‹ zurückzuführen ist. Diese Kategorien zeigen gleichfalls die Intersektionalität des Problemkomplexes an,

Sehr pointiert und zutreffend auch für den hier gewählten Zugriff haben diese intersektionelle Überlagerung zuletzt die beiden Historikerinnen Sara McDougall und Sarah M. S. Pearsall auf den Punkt gebracht: »The history of marriage is centrally about how these many categories merge and pull apart in complicated, ever-changing and sometimes unexpected ways.«Sara McDougall / Sarah M. S. Pearsall: Introduction: Marriage’s Global Past, in: Gender & History 29/3 (2017), S. 505–528, hier S. 513.

mit der die Verwalter konfrontiert waren und die einen Gutteil der (multi-)normativen Überlagerungen erklärt: Letztlich konnte die biologische Reproduktion der Nation und Ethnie bestimmte rhetorisch-argumentative Verfahren nach sich ziehen, die darauf zielten, Frauen in ihren Entscheidungen als naiv und leichtsinnig abzuwerten, die weibliche Sexualität als potenzielle Gefahr zu begreifen und so die vermeintlich leichter verführbaren, als ungleich stärker vulnerabel imaginierten Frauen institutionell wie symbolisch in einer niedrigeren Position zu halten. Ehre, eine mit Georg Simmel normative Ressource, die bestimmte Gruppenerwartungen spiegelt,

Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung Frankfurt am Main 1992, S. 660; hierzu Peter Collin: Ehrengerichtliche Rechtsprechung im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Multinormativität in einer mononormativen Rechtsordnung? In: Rechtsgeschichte 25 (2017), S. 138–150.

und hier allen voran die Ehre der »eigenen Frau«, war stark vom weiblichen Sexualverhalten abhängig und musste verteidigt werden. »Ehre« besaß dabei ein kaum zu unterschätzendes normatives Potenzial: Eine intim-romantische Grenzüberschreitung konnte aus Sicht vieler männlicher Beobachter und Entscheider die weibliche Ehre beschädigen, was normative Sexualreinheit andeutet – zumal wenn man bedenkt, dass der umgekehrte Schritt, das exogame Heiraten des »eigenen Mannes«, nach Maßgabe hierarchisch gegliederter, polarisierter, vermeintlich naturgegebener bürgerlich-christlicher Geschlechtercharaktere kaum eine derartige Ablehnung erfahren haben dürfte.

Was auch durch die Auswertung verschiedener Einzelfälle Bestätigung findet. Vgl. hierzu Ute Frevert: Ehre – männlich/weiblich. Zu einem Identitätsbegriff des 19. Jahrhunderts, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 21 (1992), S. 21–68; siehe zur Anwendung dieses Konzepts für spätere Zeiten auch Michael Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007, S. 259; zur dichotomen Aufladung der Geschlechtercharaktere ist grundlegend Karin Hausen: Die Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363–393.

Diese grundsätzliche »Ehren-Differenz« erklärt die argwöhnische Wachsamkeit aufseiten der ausschließlich männlich besetzten Entscheidungsinstanzen, die bemüht waren, »das Weib unter männlichen Solidaritätsschutz«

Hier seien nur exemplarisch die Darlegungen des Juristen und Kriminalisten Hans Schneickert genannt: Das Weib unter männlichen Solidaritätsschutz, in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft 5 (1919), S. 174f.; S. 236.

zu stellen und somit präventive, patriarchalische und protektionistische Verfahren installierten. Es war die Frau und nicht der Mann, die ihre Staatsangehörigkeit verlor und dadurch im Fall eines Scheiterns der Ehe vor erheblichen Problemen stand. Männer hingegen verloren durch die Heirat einer Ausländerin niemals ihre Staatsangehörigkeit und damit ebenso wenig ihre Funktion als Soldat. Demgegenüber entzog eine ausheiratende Deutsche ihre Kinder aufgrund des Verlusts der Staatsangehörigkeit der Militärpflicht, was abermals auf die Reichweite solcher Eheentscheidungen deutet. Dieser Umstand strukturierte den institutionellen Wunsch, die »eigene Frau« zu beschützen, maßgeblich mit und weist auf eine besondere antifeministische und misogyne Überwölbung der Geschlechterbeziehungen, die sich gegen die Emanzipation von Frauen richtet und sich exemplarisch anhand verschiedener Fälle belegen lässt: Immer wieder wurde der vermeintliche Experimentalcharakter verschiedener Ehe-Konstellationen betont, vor allem dann, wenn nichteuropäische und vor allem muslimische Männer an der Eheschließung beteiligt werden wollten. Hier getätigte Verweise auf tradierte Deutungsmuster hinsichtlich »Harem« und »Polygamie« verweisen auf eine imperiale bzw. (post-)koloniale Überlegenheit und Fantasien oder tatsächliche Gegebenheiten, die im Widerspruch zum staatlichen Zivilrecht standen. So fungierten der Harem und die damit verbundene sittenlose, polygame Regelung der Geschlechterverhältnisse als Objekte bürgerlicher Abwehr, die den Bestand der monogamen Ehe und bürgerlicher Häuslichkeit sowie letztlich die Vorherrschaft des Mannes zu bedrohen schienen

Antje Harnisch: Der Harem in Familienblättern des 19. Jahrhunderts: Koloniale Phantasien und nationale Identität, in: German Life and Letters 51/3 (1998), S. 325–341.

– ein Interpretament, das an standesamtlichen Schreibtischen gern und häufig bemüht wurde, weil es einer inneren Logik folgte. So waren sich führende Standesbeamte weitgehend einig, dass die »Vielweiberei« gegen die »deutschen guten Sitten und auch gegen den deutschen Rechtsgrundsatz der Einehe«

Paul Heiber: Die Eheschließung von Ausländern, in: Zeitschrift für Standesamtswesen 9 (1929), S. 63f., 77–79, 94–96, hier S. 94.

verstieß. Und auch nach Auffassung des führenden Privatrechtlers Alexander Bergmann würden solche Ehen nicht den deutschen Vorstellungen entsprechen, was deutlich macht, inwiefern Polygamie die Grenze zwischen Kultur und Barbarei markierte. So schlug der renommierte Jurist letztlich gar vor, die Braut vor entsprechenden geplanten Eheschließungen durch den Standesbeamten auf ihr mögliches Schicksal (bis zu drei Ehefrauen neben ihr, drohende Verstoßung etc.) hinzuweisen.

Alexander Bergmann: Der Ausländer vor dem Standesamt. Ein Wegweiser für Standesbeamte bei der Eheschließung von Ausländern, Berlin 1926, S. 63f.

Solcherart Forderungen blieben nicht ungehört: So sollten seit 1921 neben der formal-rechtlichen Prüfung auch die sozialen und rechtlichen Folgen einer Eheschließung vom Standesbeamten mit in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Dort, wo nicht die christlichen Bekenntnisse galten und keine »gleichberechtigte Gemeinschaft zwischen Mann und Frau« zu erwarten war und wo der Frau »in vielen Fällen […] eine Stellung« zugewiesen würde, »die die Ehe in unseren Augen als Konkubinat erscheinen läßt«,

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Rep. 168, 682, Ministerium der Justiz, »Richtlinien für die Behandlung von Befreiungsgesuchen aus Art. 43 § 4 AG z. BGB«, 15.10.1921.

war aus Sicht der obersten Reichsbehörde vonseiten der Standesbeamten unbedingte Skepsis geboten. Kurz darauf mussten deutsche Frauen bei der Eheschließung mit einem türkischen Mann einen Text vorlesen, wonach sie über die türkischen Eherechte informiert seien und über die etwaigen Konsequenzen (Ehescheidung, kein Anspruch auf Unterhalt) Bescheid wüssten; ferner wurde den Beamten empfohlen, von der Braut eine eidesstattliche Versicherung einzuholen, welcher ihre Kenntnis über den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und allen damit verbundenen staatsbürgerlichen Rechten bestätigte.

Schaarschmidt [ohne Vornamen]: Ergänzungen zu der in Nr. 15 vom 01.01.1921 dieser Zeitschrift veröffentlichten »Zusammenstellung der Übergangsbestimmungen und zeitgemäßen Verfügungen usw. bezüglich der jetzigen Neuordnung der Aufgebote und Eheschließungen«, in: Zeitschrift für Standesamtswesen 6 (1922), S. 61–67, hier S. 66f.

In diesem Fall wird eine Normenüberlagerung besonders deutlich, die hier auf eine imaginierte ethnisch-religiöse Homogenisierungsvorstellung weist und gleichzeitig die Frage nach Verstetigung und Manifestation von Habitusformen als Ausdruck verinnerlichter Normen – nach Wolfgang Seibel die »Logik der Angemessenheit« – aufwirft. Die Regelung von Zugehörigkeit sollte dieser Aspekt jedenfalls entscheidend prägen – und in den Folgenjahren, insbesondere ab den frühen 1930er-Jahren und der seither erfolgten radikal rassischbiologischen Ausdeutung des Intimen, noch eine weitaus wichtigere Bedeutung erhalten.

Es ließen sich zahlreiche Einzelfälle anführen, die belegen, inwiefern die institutionell-männliche Skepsis wichtige Entscheidungsstütze gewesen sein dürfte.

Vgl. nur Lorke: Authorities.

Es ist ganz grundsätzlich davon auszugehen, dass während des Untersuchungszeitraums die verbreitete argwöhnische Herangehensweise kollektiven Erwartungshaltungen entsprach und bei der Entscheidungsfindung eine grundlegende Rolle gespielt haben dürfte, was belegt, auf welche Weise bestimmte und zu Handlungsroutinen gewordene Anschauungen normatives Potenzial entfalten konnten. Interessanter jedoch sind verschiedene Ausnahmefälle, wie etwa in Kriegszeiten, als es für bestimmte Verlobtenkonstellationen zu einer (zumindest temporären) Aufhebung gewohnter Entscheidungsroutinen und rechtlich bindender Vorgaben kam. Denn neben logistischpraktischen Schwierigkeiten (etwa die Beschaffung von Heiratsdokumenten oder ihre Versendung) herrschten während des Ersten Weltkrieges trotz der Erarbeitung bürokratischer Routinen weiterhin personenstandsrechtliche Unsicherheiten, die auf die zunehmende Komplexität des Gegenstandes deuten und die es aus Sicht der handelnden Behörden galt, im Sinn eines »management of uncertainty«

Peter A. Hall / Rosemary C. R. Taylor: Political Science and the Three New Institutionalisms, in: Political Studies 44 (1996), S. 936–957, hier S. 951.

zu bearbeiten. Mitunter wurden Verlobte gar vor unlösbare Probleme gestellt, die erforderlichen Dokumente beizubringen, etwa im Falle russischer Kriegsgefangener. Wartezeiten von mehreren Monaten oder die Unmöglichkeit, Dokumente zu beschaffen bzw. Beglaubigungen zu erhalten, waren einer der Gründe für behördliches Entgegenkommen, zumal in einigen Gegenden »sittlich unerwünschte« Zustände – gemeint waren uneheliche Kinder als Begleiterscheinungen illegitimer Beziehungen – drohten, die es aus behördlicher Sicht unbedingt zu vermeiden galt.

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 84a, Nr. 11900, Note im Reichsinnenministerium, 07.01.1916.

Die Folge dieser nachhaltigen Überformung des lokalen Heiratsmarktes samt Nebenfolgen war das markante Aufweichen gängiger Verfahrenspraxis, etwa die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung »per Handschlag«, um zu bezeugen, dass keine Ehehindernisse bekannt seien und an der »Echtheit« der Beziehung keine Zweifel bestünden. Diese beispiellose personenstandsrechtliche Lockerung üblicher Verfahrensweisen, von der wohl zahlreiche Paare profitieren konnten, zeigt einen veritablen Normenkonflikt an: Der Wunsch nach »Vermeidung unerwünschter Missstände

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Rep. 168, 682, »Runderlass des Reichsjustizministeriums an den Oberpräsidenten in Berlin und sämtliche Regierungspräsidenten«, 08.03.1916.

vor Ort führte in diesem Fall dazu, dass üblicherweise gängige Mechanismen zeitweise zugunsten situativer Entlastungen und temporärer Beschleunigung disqualifiziert wurden. Später wurden die Ausnahmeregelungen auch um solche Paare ergänzt, bei denen »deutsch-staatliches Interesse« eine Genehmigung nahelegte; ebenso für »besonders zwingende Einzelfälle«, die vor allem beim Vorliegen von Schwangerschaften angezeigt schienen.

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 84a, Nr. 11900, Schreiben im Reichsinnenministerium, 09.11.1916.

Konkrete situative Erfordernisse führten hier zu sorgsamen Prozessen des Abwägens und lassen die Standesamtsstube als Ort erscheinen, an dem auf zweckorientierte Weise Wirklichkeit rekonstruiert und bewertet wurde und ggf. (befürchtete) Folgen modifiziert werden konnten.

Auch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieses Verfahren von einigen Behörden mitunter weiter praktiziert: Vorstrafen, eine Schwangerschaft, die Existenz unehelicher Kinder, das Vorhandensein eines gemeinsamen Haushalts, Aussagen über den »Leumund« des Antragstellers oder Fürsprechers wurden bei der Antragstellung binationaler Heiratsgesuche dokumentiert und konnten die institutionelle Entscheidungsfindung beeinflussen, und zwar in solchen Fällen, in denen (nach-)kriegsbedingt und/oder aufgrund territorialer Verschiebungen und Unklarheit über die behördliche Zustimmung ein wichtiges Dokument nicht beigebracht werden konnte.

Dafür vgl. etwa die Überlieferung in Hauptstaatsarchiv Darmstadt, Bestand G 21 A Nr. 1544/1.

Dieses Vorgehen lässt das Standesamtswesen im Modus eines »moral gate-keeping«

Helena Wray: An Ideal Husband? Marriages of Convenience, Moral Gate-Keeping and Immigration to the UK, in: European Journal for Migration and Law 8 (2006), S. 303–320.

hervortreten: Das administrative Ermessen hinsichtlich jeweils vor Ort relevanter sittlich-moralischer, ökonomischer und demographischer Argumente war zwar durchaus typisch für lokale Entscheidungsprozesse, doch löste es auch Widerspruch aus: So missfielen die temporäre Flexibilisierung eingeübter personenstandsrechtlicher Mechanismen und die daraus folgenden Ermöglichungen für die beteiligten Individuen ein gutes Jahr nach Kriegsende etwa dem Innenminister Mecklenburg-Schwerins Johannes Stelling (SPD), der darin eine »wenig wünschenswerte Durchsetzung des Deutschen Volkskörpers mit fremdstaatlichen Elementen« sah – eine Ansicht, die von den obersten Reichsbehörden zwar grundsätzlich geteilt wurde, allerdings ergriffen jene vorerst keine konkreten Maßnahmen, um das Verfahren wieder restriktiver zu handhaben.

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 84a, Nr. 11900, Mecklenburgisch-Schwerinsches Ministerium des Innern an das Preußische Ministerium der Justiz, 30.11.1919; vgl. daneben ebenfalls die dort überlieferte Antwort vom 21.02.1920.

Damit waren erweiterte Handlungsmöglichkeiten für die jeweiligen Paare geboten, die sich signifikant von den üblichen Verfahrensweisen abhoben. Die damit verbundenen grundsätzlichen Handlungsoptionen werden im folgenden Teilkapitel diskutiert.

Erweiterte und eingeengte Handlungsräume

Wie beschrieben, sind Verschränkung und Interaktion zwischen dem System Bürokratie/Standesamt und der Umwelt anzunehmen; hinzu kommen immer auch institutionelle Spannungslinien, wodurch Praktiken der Normerzeugung beeinflusst werden konnten. Administrative Multinormativität konnte sich darüber hinaus auch im Umfeld von Ausnahmeregelungen zeigen, wie etwa in Kriegszeiten. Generosität bzw. Willkür im Behördenhandeln und ihre geografischen und sozialen Grenzen sowie Modi der Klassifizierungen grenzüberschreitender Akteure lassen das Standesamt als Aktions- und Erfahrungsraum hervortreten – für Standesbeamte und ‚fremde‘ Individuen gleichermaßen. Dadurch erscheinen Standesämter schlussendlich als »Möglichkeitsräume« für individuelle Handlungsentscheidungen und für das Hinterfragen oder Bestätigen sozialer Ordnungen.

»Eigen-sinnige« Reaktionen schließen selbstverständlich immer auch solche Verhaltensweisen ein, wenn etwa institutionelle Warnungen – beispielsweise vor dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit oder hinsichtlich einer zweifelhaften Rechtsgültigkeit der Eheschließung – von einzelnen Akteuren schlicht bewusst ignoriert worden sind. Eine deutsche Staatsangehörige, die im Jahr 1910 einen ägyptischen Mann heiraten wollte, wurde von Mitarbeitern des Kaiserlichen Deutschen Konsulats Kairo »auf ihre unsichere Stellung als Ehefrau eines Mohammedaners hingewiesen« und hörte sich die Belehrung aufmerksam an. Im Anschluss daran antwortete sie laut Aufzeichnungen des Konsulats lakonisch: »Wer A sage, müsse auch B sagen«. Da sie bereits mehrere Jahre mit dem Mann zusammenlebte und seinen Charakter also »genau« zu kennen glaubte, zeigte sich das Konsulat offenbar zufrieden und stimmte einer Verehelichung zunächst zu.

Ob die Eheschließung tatsächlich stattgefunden hat, lässt sich allerdings aus der Überlieferung nicht rekonstruieren. Bundesarchiv Berlin, R 901/28224, Konsulat Kairo an Reichskanzler Bethmann Hollweg, 26.11.1910.

Andere Konstellationen legen nahe, wie wichtig außenpolitische Verhältnisse waren und auch, dass es »schlechtes Timing« für Eheschließungsanträge geben konnte. Besonders gut greifbar werden normative Überwölbungen am Beispiel deutsch-türkischer Paare, die in den Jahren um den Ersten Weltkrieg die Ehe schließen wollten. Lehnten die Behörden vor dem Krieg entsprechende Anträge türkischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens ab, weil sie eine ungünstige rechtliche und gesellschaftliche Stellung der deutschen Verlobten nach einer erfolgten Eheschließung befürchteten, wurde während des Krieges vor dem Hintergrund der außenpolitischen Beziehungen zur Türkei zunächst ein »milderer Standpunkt« verfolgt. Bestimmten Männern, insbesondere hochrangigen Militärs oder aus ökonomischer Sicht wichtigen Kaufleuten, wurden die Befreiungen durch die Behörden erteilt, jedoch erst, nachdem die jeweiligen Frauen »in eindringlicher Weise« auf die möglichen Folgen eines solchen Schrittes hingewiesen wurden. Nach dem Ende des Weltkrieges, als die »Waffenbrüderschaft« vorerst obsolet geworden war, kehrte man zu früheren Standpunkten zurück und lehnte Anträge zur Befreiung auf die Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses wieder ab.

Bundesarchiv Berlin, R 901/28225, Reichsministerium der Justiz an das Auswärtige Amt, 15.12.1918.

Dieses Verfahren reflektiert die ambivalenten Ausprägungen einer »begrenzten Freundschaft«

Vgl. jenen Titel bei Sabine Mangold-Will: Begrenzte Freundschaft: Deutschland und die Türkei, Göttingen 2013.

auf ehepolitischem Terrain. Derartige Uneindeutigkeiten sollten sich in den 1920er-Jahren nicht auflösen – im Gegenteil. Handlungs- und Heiratsmöglichkeiten unterlagen demnach zwar immer institutionellen Maßgaben, bisweilen aber schlicht zufälligen äußeren Gegebenheiten.

Mitunter konnten bestimmte Fälle die Behörden über Jahre hinweg beschäftigen, wobei im folgenden Fall nicht nur die Rolle von eigen-sinniger Unnachgiebigkeit, sondern auch von normativen Konflikten deutlich wird. 1927 wollte ein marokkanischer Arbeiter in Fulda eine deutsche Staatsangehörige heiraten. Fünf Jahre zuvor war der Mann als französischer Soldat in das besetzte Rheinland gekommen, wo er 1924 desertiert hatte. Das Gesuch um Befreiung wurde vom Preußischen Justizministerium zunächst aus »grundsätzlichen Erwägungen« abgelehnt – ein übliches Verfahren, das sich auf Richtlinien zum Umgang mit Männern wie ihm stützte und als Begründung auch in vielen anderen Fällen herangezogen wurde.

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Rep. 168, 682, Ministerium der Justiz: Richtlinien für die Behandlung von Befreiungsgesuchen aus Art. 43 § 4 AG z. BGB, 15.10.1921.

In der Zwischenzeit hatte sich der Mann jedoch taufen lassen und der zuständige Pfarrer ihm Fleiß und Redlichkeit attestiert. Da ihm aufgrund seiner Fahnenflucht in der Heimat eine Freiheitsstrafe drohte, wurde außerdem erbeten, dem Mann die Eheschließung zu gestatten, damit dieser auf legalem Weg eine Familie gründen könne und eine »wilde Ehe« vermieden würde.

Alle Unterlagen sind im Brief des Preußischen Ministeriums der Justiz an das Auswärtige Amt überliefert, 17.12.1927, in: Bundesarchiv Berlin, R 901/26523.

Da Marokko damals zwischen Spanien und Frankreich aufgeteilt war und Unklarheit wegen der bürokratischen Zuständigkeit herrschte, argumentierte der vom Auswärtigen Amt konsultierte Gesandte in Tetuan, eine Eheschließung sei »im eigenen Interesse der deutschen Braut« abzulehnen – eine Ansicht, die auch die anderen involvierten Behörden vertraten, wobei sie vermutlich vor allem die religiöse Seite des Vorhabens argwöhnisch gesehen haben dürften.

Bundesarchiv Berlin, R 901/26523, Konsulat Tetuán (Tétouan) an das Auswärtige Amt, 19. 1. 1928.

Nachdem sich jedoch angesichts einer überaus schwierigen sozialen Lage der Familie, die bis dato keine Wohnung zugewiesen bekommen hatte und daher vor den Toren der Stadt lebte, sich der Mann zudem als suizidgefährdet erwies und verschiedene Fürsprecher eingeschaltet wurden (neben dem Pfarramt etwa der Fuldaer Ortsverband des Reichsbundes Deutscher Mieter sowie die Liga für Menschenrechte in Berlin), wurde die Befreiung doch noch erteilt.

Bundesarchiv Berlin, R 901/28186, Vorsitzender des Vorstandes des Reichsbund Deutscher Mieter Claus, Ortsverein Fulda, an die Liga für Menschenrechte Berlin, 08.07.1929. vgl. außerdem das Antwortschreiben vom 07.08.1929. Die Verheiratung fand gut zehn Wochen später statt; vgl. Stadtarchiv Fulda, Einwohnermeldekarte Stadt Fulda, Serie 2.

Bei anderen Paaren ergab sich eine nicht zu unterschätzende Nische der Ermöglichung dann, wenn ein ablehnendes Ehegesuch – zumindest aus Sicht der Behörden – außenpolitische Folgen zeitigen konnte. So vergewisserten sich die Behörden regelmäßig, ob im Falle der Versagung eines Ehegesuchs entsprechende Konflikte diplomatischer Natur zu befürchten waren, was im Übrigen auch bei muslimischen Männern der Fall war: Ein algerisch-stämmiger Moslem wollte 1930 in Bürgel, einem Ort zwischen Jena und Eisenberg, die Ehe mit einer Thüringerin eingehen. Zeigte sich das Thüringische Innenministerium unter Berufung auf das abweichende Eherecht zunächst skeptisch, wodurch der Braut nach der Eheschließung eine unsichere Lage drohte, so attestierte man dem Mann, der 1924 desertiert hatte, dennoch einen »guten, glaubhaften Eindruck« und wollte außerdem vermeiden, dass der Fall zu »unerwünschten« Folgen für das deutsch-französische Verhältnis führen könnte. Der Fall wurde letztlich an das Auswärtige Amt überstellt, wo man nach einigem Abwägen die Befreiung doch verwehrte – hier war man der Ansicht, die negativen Konsequenzen einer Ablehnung dürften angesichts der militärischen Vergangenheit des Antragstellers nicht ins Gewicht fallen.

Bundesarchiv Berlin, R 901/26523, Thüringisches Ministerium der Justiz an das Auswärtige Amt, 11. 7. 1930.

Auch dieses Beispiel zeigt, inwiefern neben lokalen Figurationen andere Aspekte eine wichtige Rolle spielen und Handlungsimperative beeinflussen konnten. Gleichwohl: Eine weitere Möglichkeit für abgelehnte binationale Paare, dennoch die Ehe einzugehen, war der Umweg über ein Drittland oder das Herkunftsland des ausländischen Partners. Das Ziel Großbritannien, wo heiratswillige Paare schon zu Zeiten des Kaiserreichs einen, wenn auch nur kurzzeitig gültigen, Wohnsitz nachweisen mussten, während dort ansonsten bei vorhandener Großjährigkeit (21 Jahre) die deutschen Gesetze Anwendung fanden, war und blieb auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beliebte Destination für binational Heiratslustige.

Metzner: Geltendes Eherecht in Großbritannien, in: Zeitschrift für Standesamtswesen 2 (1922), S. 62; vgl. für die Zeit vor 1914 den Ratgeber E. Krafft: Die Eheschließung deutscher, österreichungarischer und schweizer Staatsangehöriger in England: Ein Führer durch die einschlägigen deutschen etc. u. englischen Gesetze und Ratgeber für eventuelle Eheschließungs-Reflektanten, London 1905.

Wie viele Paare diesen oder einen anderen Umweg wählten, ist jedoch kaum zu rekonstruieren.

Schlussbemerkungen

Personenstandsrecht, zumal wie hier in internationaler Ausrichtung, war (und ist) ein komplexes gesellschaftliches Symbolsystem, das deutlich macht, auf welche Weise Normen und Handlungskonsequenzen ineinandergreifen und in bestimmten Situationen die »Logik der Angemessenheit« von der »Logik der Konsequenz« abwich

Vgl. Birgit Emich: Verwaltungskulturen im Kirchenstaat? Konzeptionelle Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung, in: Stefan Brakensiek / Corinna von Bredow / Birgit Näther (Hg.): Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2014, S. 163–180, hier S. 169; vgl. ferner die pointierten Überlegungen bei Wolfgang Seibel: Verwaltung verstehen. Eine theoriegeschichtliche Einführung, Berlin 2016.

– eben durch das aktive Zutun von Verwaltung und ihrer Klientel. Die hier eingenommene Perspektive kann wohl weniger helfen, die damaligen »stille[n] Konsense und Regeln der Praxis«

Duve: Multinormativität, S. 94.

vollständig zu verstehen, sie aber doch wenigstens besser einordnen und in ihrer Widersprüchlichkeit und mitsamt ihren Brüchen begreifen zu können, um so gängige Denkund Handlungsstrukturen und implizites Wissen der Entscheider aufzudecken. Dieses Annähern tangiert zweifellos auch den Aspekt der Emotionalität im Verwaltungshandeln, der mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls neue normative Konfliktlagen schuf. Die auffällige Ent-Emotionalisierung des Gegenstandes »Ausländerehe« und eine damit verbundene weitgehende Ausgrenzung des Privat-Emotionalen aus der Rechtsprechung erscheint zwar zwangsläufig, weil sich die Verwalter durch eine Kontrolle von Gefühlen aufseiten der Eheschließenden auch eine Minimierung individueller und sexueller Kontingenz erhofften. Emotionales Mitfühlen administrativer Akteure im Zuge ihrer Entscheidungsfindungen wäre folglich fehl am Platz gewesen, was im regelmäßig lakonischen Stil von Ablehnungen eine Entsprechung findet. Dennoch ist zu vermuten, dass wenigstens in Einzelfällen strikte Gesetzesgebundenheit und starre Verfahrensregeln zumindest temporär außer Kraft gesetzt worden sind und Emotionen somit entscheidungsrelevant gewesen sein dürften. In Ermangelung an Quellen – auch im Wechselspiel mit und in Reaktion auf jene oftmals emotional vorgetragenen Eingaben von Verlobten – kann dieser Aspekt freilich an dieser Stelle nur angedeutet werden.

Therese Garstenauer: »Beamtengefühl«: Soziale Funktionen von Emotionen im österreichischen Staatsdienst der Zwischenkriegszeit, in: Administory 3 (2018), S. 61–79.

Letztendlich spielten die hier skizzierten normativen Konfliktkonstellationen auch in der Zeit nach 1930 eine wichtige Rolle, ungeachtet der zusätzlichen rassenpolitischen Aufladung von Liebesbeziehungen und Eheschließungen in der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik. Nicht nur die Regelungen bezüglich der Soldatenehen im Zuge des Zweiten Weltkrieges,

Vgl. Regina Mühlhäuser: Eine Frage der Ehre. Anmerkungen zur Sexualität deutscher Soldaten während des Zweiten Weltkrieges, in: Wolfgang Bialas / Lothar Fritze (Hg.): Ideologie und Moral im Nationalsozialismus, Göttingen 2014, S. 153–174; Maren Röger: Die Grenzen der »Volksgemeinschaft«. Deutsch-ausländische Eheschließungen 1933–1945, in: Klaus Latzel / Elissa Mailänder / Franka Maubach (Hg.): Geschlechterbeziehungen und »Volksgemeinschaft«, Göttingen 2018, S. 87–108.

sondern auch verschiedene Ausnahmeregelungen während der Olympischen Spiele 1936 gegenüber dem Iran, der Türkei oder Ägypten,

Lorke: Ausländerehen, Kapitel »Fremdblütig«, »fremdvölkisch«, »artfremd«.

ebenso aber etwa auch das keineswegs eindeutige administrative Vorgehen bei verschiedenen deutsch-japanischen

Harumi Shidehara Furuya: Nazi Racism Toward the Japanese. Ideology vs. Realpolitik, in: Nachrichten der Gesellschaft für Naturund Völkerkunde Ostasiens 157–158 (1995), S. 17–75.

oder deutsch-chinesischen Verlobten

Dagmar Yu-Dembski: »Grundsätzlich unerwünscht…«. NSRassenpolitik und ihre Folgen für deutsch-chinesische Partnerschaften in Deutschland, in: Georg Armbruster (Hg.): Exil Shanghai: 1938–1947. Jüdisches Leben in der Emigration, Teetz 2000, S. 201–213; vgl. außerdem Christoph Lorke: Undesired Intimacy: German–Chinese Couples in Germany (1900s–1940s), in: The History of the Family 24 (2019), S. 560–584.

könnten hier erwähnt werden, standen sie doch dem Imperativ des Straftatbestandes der »Rassenschande« entgegen.

Alexandra Przyrembel: »Rassenschande«. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus, Göttingen 2003.

Deutlich geworden sein dürfte jedoch bereits für den hier gewählten Untersuchungsrahmen, inwiefern das Thema die Fragen von Entscheidungsabhängigkeiten und Entscheidungsautonomien ebenso berührt wie die nach bürokratischen Zuständigkeiten und Akteurskonstellationen, der Kommunikation nach außen und den Erwartungen der Öffentlichkeit. Dieses Wechselspiel deutet auf die mannigfaltige Interaktion von und Konfrontation zwischen unterschiedlichen normativen Vorstellungen. Zivilrechtlich gerahmte normative Systeme waren zwar bindender Handlungsrahmen, wurden aber von den jeweiligen Akteuren nicht nur reproduziert, sondern selbst geschaffen, modifiziert und hinterfragt. Analysiert man die Geschichte der Eheschließung mit AusländerInnen solcherart, werden verschiedentliche Widersprüche und Eigenlogiken von Normen, Deutungsmustern, Klassifikationen und damit verbundenen Ordnungsvorstellungen sichtbar (genannt seien nur gängige Wissensbestände über Sexualität und Geschlecht, national und/oder kulturell exogam agierende Paare oder zu ›fremden‹ Kulturen und Ländern). Durch standesamtliches Agieren und Entscheiden wurden nolens volens immer wieder Räume für alternative Mobilitätsformen sowie abweichende und ausgleichende Macht- und Einflussmöglichkeiten geschaffen. Diese »eigen-sinnigen« Verhaltensweisen, die die Reichweite übergeordneter Steuerungskonzepte aufbrachen, weisen auf die Mehrdeutigkeit von Handlungen, die Behörden auf anderen Ebenen oder Individuen selbst in den herrschaftlich intendierten Sinn von Ordnungen hineinlegten, was nicht vorhergesehene, widersprüchliche und kontradiktorische Auswirkungen nach sich ziehen konnte. Die exemplarisch ausgewählten Fälle zeigen außerdem an, inwiefern mitunter gängige Handlungs- und Entscheidungsmodalitäten (wie etwa geschlechtliche Hierarchisierungen oder der eugenisch-rassenhygienischer Imperativ) vermittels individueller Aneignungen und Situationsdeutungen – etwa aufgrund bestimmter lokaler Gegebenheiten, Ressourcenknappheit, tagesaktueller Notwendigkeiten oder außenpolitischer Erfordernisse – unterwandert oder gänzlich außer Kraft gesetzt werden konnten.

eISSN:
2519-1187
Język:
Angielski