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Die Bürokratie in der Habsburgermonarchie

Schon immer war ›die Bürokratie‹ reformbedürftig. Das Kunstwort ›bureaucratie‹

Überliefert in: Correspondance littéraire, philosophique et critique de Grimm et de Diderot, Neuausgabe, Bd. 4: 1764-1765, Paris 1829, S.11, S. 326.

prägte der Physiokrat Vincent de Gournay schließlich nur, um Kritik an jenem ›Amtsadel‹ zu üben, den Louis XV. Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich flächendeckend installiert hatte. Den neuen Stand denunzierte de Gournay als eine selbstherrliche Kaste, die mit ihrer, wie man in Deutschland bald sagte, tintenverschwenderischen »Amtsstubenherrschelei« die freie Entfaltung des ›öffentlichen Lebens‹ lediglich hemme.

Johann Heinrich Campe, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, Braunschweig 1813, S. 161.

Seine Sorge um die ›Lebendigkeit‹ der verwalteten Untertanen wurde längerfristig zum Leitmotiv der liberalen Bürokratiekritik, ja klingt noch in den ›neoliberalen‹ Reformforderungen von heute an. Vor diesem Hintergrund konnte Robert von Mohl bereits 1846 eine Übersicht zu den – seither nur variierten – Gemeinplätzen der Bürokratiekritik erstellen. Er selbst betrachtete die »Führung des Lebens« durch zahllose Beamte als »falsche Auffassung der Staatsaufgabe«, dürfe doch »die Verwaltung keinen Civilprocess mit dem Leben« führen.

Robert von Mohl, »Über Bureaukratie«, in: Ders., Politische Schriften. Eine Auswahl, hg. von Klaus von Beyme, Wiesbaden 1966, S. 276–310, hier S.286, S.294.

Max Weber war es schließlich, der diese Schreckvorstellung zum Bild moderner, legaler und rationaler Herrschaft entzerrte, selbst wenn das – bewusst ›entmenschlichte‹ – bürokratische System Aktenverkehr und Beamtendisziplin zu einem so unzerstörbaren wie unentrinnbaren »Gehäuse der Hörigkeit« zusammenzuschweißen drohe.

Max Weber, Gesammelte politische Schriften, hg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 51988, S. 332.

Als er seinen Idealtypus von Rationalisierung entwarf, stand Max Weber die preußische Verwaltung vor Augen: eben jene Bürokratie, die man bereits um 1800 als einen unmenschlichen Mechanismus beklagt hatte, der die Bürger auf bloße »Formulare« (Schiller) zurechtstutze und die Beamten selbst in leblose »Schreibmaschinen« (Freiherr von Stein) verwandle.

Friedrich Schiller, »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen«, in: Ders., Theoretische Schriften, hg. von Rolf-Peter Janz, Frankfurt am Main 2008, S. 556–676, hier S. 573; Karl Freiherr vom und zum Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 1: Studienzeit. Eintritt in den preussischen Staatsdienst. Stein in Westfalen (1773–1804), hg. von Erich Botzenhart und Walther Hubatsch, Stuttgart 1957, S.XXVIII.

Der Habsburger Kaiser Joseph II. vertrat ein aufklärerisches Staatskonzept, dessen Kausal- und Finalmechanik sich im Bild einer allumfassenden ›Schreibmaschine‹ zusammenfassen lässt: Seine Bürokratie war rationalistisch und monokratisch angelegt, insofern er regelrechte ›Bureaux‹ mit Schreibvorlagen und genormten Sprachregelungen einführte, die der verlässlichen Umsetzung kaiserlicher Zielvorgaben dienen sollten. Seine Beamten verpflichtete er auf unbedingte Treue sowie auf eine standesgemäße Lebenshaltung und führte sogar ›Conduitenlisten‹ zur Kontrolle ihrer ›Gemütsbeschaffenheit‹ ein. Ihre ›Urteilskraft‹ sollte nämlich auch im verwaltungstechnischen Einzelfall die kaiserlichen Vorstellungen vom Gemeinwohl und von der ›ratio status‹ zu duplizieren helfen, auf dass die Bürokraten der Habsburgermonarchie weder als eigensinnige Subjekte noch als bloß mechanische Akteure tätig wurden.

Vgl. hierzu ausführlich: Peter Becker, »›Kaiser Josephs Schreibmaschinen‹. Ansätze zur Rationalisierung der Verwaltung im aufgeklärten Absolutismus«, in: Pensionssysteme im öffentlichen Dienst in Westeuropa (19./20. Jh.). Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte, Baden-Baden 2000, S.223–254, hier S.224 f., S.231 f., S.244 f.

In diesem Sinne untersagte Joseph ihnen in seinem sogenannten »Hirtenbrief« (1783) jede »mechanisch-knechtische Art« und verlangte statt dessen die »Liebe zum Dienst des Vaterlands und seiner Mitbürger«.

Der Geist in Österreichs und Nassau’s Staatsverwaltung […], Frankfurt am Main 1825, S.11, S. 15.

Dass er dabei den ›ganzen Menschen‹ beschwor, markierte zumindest rhetorisch eine gewisse Distinktion gegenüber der preußischen Rationalisierung, und tatsächlich schien sich die Verwaltung fortan weniger am Ideal effizient aktenmäßiger Verwaltung zu orientieren, als sich vielmehr durch eine spezifische Form des Amtsgebahrens und ›menschlichen‹ Umgangs auszuzeichnen. Zur Verfestigung dieses Topos gegensätzlicher ›Verwaltungskulturen‹ trugen nicht zuletzt etliche Dichter bei, die, wie Franz Grillparzer, Hegels Staatsphilosophie als »monströseste Ausgeburt des menschlichen Denkens«

Zit. nach: Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich, Bd. 1: 1780 bis 1848, Wien, u. a. 22013, S. 74;

abkanzelten oder, wie Hugo von Hofmannsthal in »Preuße und Österreicher« (1917), ein typologisches Schema zu einem konstitutionellen Gegensatz entwarfen.

Derlei Dualismen mögen weniger in verwaltungstechnischen Realitäten als im Selbstbild von österreichischen Beamten und Literaten gegründet gewesen sein, doch zeugten sie auf jeden Fall für eine charakteristische ›Kulturalisierung‹ der imperialen Bürokratie. Dass Habsburg nicht bloß, wie am Ende der Donaumonarchie, eine »Versuchsstation des Weltuntergangs« (Karl Kraus), sondern zuvorderst eine solche der »Übernationalität« und damit der kulturpolitisch garantierten kulturellen Vielfalt werden konnte,

Jörg Mauthes Abwandlung von Karl Kraus’ Diktum, zit. nach: Markus Kóth, »Aber es handelt sich eben um ein phantastisches Land«. Das Österreichbild in den literarischen Werken Jörg Mauthes – ein Beitrag zur Identitätsgeschichte der Zweiten Republik, Wien 2009, S.82f.

rechnete man hier besonders einer Kraft zu: der Bürokratie. Bereits Maximilian I. (1459–1519) hatte sich einen verlässlichen Beamtenstand von Juristen und Wirtschaftsleuten herangezüchtet, um das Reich zu zentralisieren, die Steuerleistung zu steigern und die lokale Adelsherrschaft zurückzudämmen. Als ›Bürokratie‹ bezeichnete man in Habsburg seither nicht nur den Verwaltungsapparat, sondern ebenso jenen Stand, der sich durch seinen Habitus und Amtsgeist, durch sein Pflicht- und Autoritätsbewusstsein als eine Art Herrschaftsadel zur Ausübung von Hoheitsrechten betrachtete – und der es sich bis 1918 zugutehielt, zwischen Feudalismus, aufgeklärtem Absolutismus und moderner Staatlichkeit allererst Kontinuität hergestellt zu haben.

Alfred Hoffmann, »Bürokratie insbesondere in Österreich«, in: Heinrich Fichtenau, Erich Zöllner (Hg.), Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, Wien, u. a. 1974, S. 13–31, hier S.24 f., S.30.

Seit Aufhebung der Feudalverfassung im 16. Jahrhundert sahen sich die Bürokraten als eigentliche Träger des ›imperium‹, was auch ihre Mimikry an die alte Aristokratie, ihr zeremoniöses Auftreten und ihre charakteristische Sprechweise erklären mag. Dabei war ihre ›Reichsgewalt‹ weniger rational begründet, als vielmehr in der patriarchalen Struktur der Reichsregierung verwurzelt, weshalb sie selbst strenger Disziplin unterworfen waren.

Doch weil sie bereits seit Maximilian das Privileg guter Bildungs- und Aufstiegschancen genossen; weil sie sich das von Joseph anfänglich geforderte Arbeitsethos letztlich selbst zugestanden; und weil sie verantwortlich waren für einen imperialen Verwaltungsbetrieb, der den unterschiedlichen ›Nationalitäten‹ des Reichs allererst ein Forum bot, um ihre kulturellen Besonderheiten und Ansprüche zu artikulieren

Pieter Judsons ›neue Geschichte‹ des Habsburger Reichs etwa verschiebt den Fokus bewusst von der Nationalitätengeschichte wieder auf die Reichsgeschichte: »it was institutions of empire that constituted the focus of political activity and emotional loyalties«, was besonders im 19. Jahrhundert und dem »cultural turn« in Politik und Verwaltung offenbar geworden sei. – Pieter M. Judson The Habsburg Empire. A New History, Cambridge, London 2016, S. 270, S. 382.

– aus all diesen Gründen sahen sich die Bürokraten als eigentliche imperiale Ordnungsmacht. Diese war es, die nach Josef Redlichs Befund »den ›Staat‹ tatsächlich in ihrem Wirken bedeutete«, weil sie Habsburgs »vielfältigen Länder- und Völkerverband« allererst eine »organisatorische und gefühlsmäßige Einheit« verschaffte.

Josef Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, Bd. 1, Leipzig 1920, S.451.

Oder anders gesagt: Die Bürokraten verstanden sich als Surrogat eines modernen Staats – und zugleich als eigentliche ›Kulturträger‹ des heterogenen Reichs. Anders als etwa in Frankreich gab es hier schließlich kein kollektives Nationalbewusstsein, geschweige denn ein solches mit republikanischer Gesinnung. Und anders als in Preußen, wo die Beamten – nach Reinhart Kosellecks Diktum – »im Geist die Staatlichkeit ihres Staats« finden konnten,

Reinhart Koselleck, »Staat und Gesellschaft in Preußen 1815–1848«, in: Werner Conze (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815–1848, Stuttgart 1962, S. 79–112, hier S. 90. Hierzu und zum Folgenden vgl. auch Waltraud Heindl, »Bürokratie, Staat und Reform. Überlegungen zum Verhältnis von Bürokratie und Staat im aufgeklärten Absolutismus von Österreich«, in: Moritz Csáky, Étatisation et bureaucratie. Symposion der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Wien 1990, S. 39–48, hier S.45 f.

blieb Habsburg ein Hegelianischer Reflexionsbegriff wie der des ›Geistes‹ fremd.

Sicherlich bemühte man sich noch in der Endzeit der Monarchie um ein Staatskonzept, das auch mit den damaligen Realitäten zu vermitteln war. Gerade die Erfahrung, dass weder eine ›metaphysische‹ Legitimitätsquelle (wie die des Kaisers) noch eine ›Substanz‹ (des Nationalen), eine behauptete Einmütigkeit (des Volkswillens) oder das vermeintliche Band der Kultur dazu genügte, einen ›Staat‹ zu bilden, hat zuletzt ein spezifisch österreichisches, nämlich ›rechtspositivistisches‹, rein formal-juristisch begründetes Staatskonzept wie das Hans Kelsens entstehen lassen.

Zur Prägung von Kelsens Reiner Rechtslehre und Allgemeinen Staatslehre durch das Habsburger ›Staatsproblem‹ vgl. Johannes Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt. Von Bolzano über Freud zu Kelsen: Österreichische Wissenschaftsgeschichte 18481938, Bielefeld 2010, S.272, S.280–282, S.338.

Bis zum Niedergang des Reichs wurde der Reichszusammenhang jedoch symbolisch durch das Geschlecht der Habsburger und real durch das Militär, im tagtäglichen Normalbetrieb schließlich bürokratisch, durch die penible Verwaltung von Staatsbürgern gewahrt, die wohlgemerkt zu weiten Teilen keine Österreicher waren.

Vgl. hierzu auch die in Judson, The Habsburg Empire, S. 16 ff. geschilderte ›Urszene‹ von Maria Theresias State Building, in der das Militär zur erstmaligen Zählung und Lokalisierung der verstreuten Untertanen in die verschiedenen Ländereien geschickt und dort letztlich als Sendbote imperialer Unterstützung (gegen die örtlichen Autoritäten) willkommen geheißen wird.

Bereits Metternich hatte festgestellt, Habsburg werde »nicht regiert, sondern verwaltet«.

Zit. nach: Barbara Liegl, Wolfgang C. Müller, »Senior Officiais in Austria«, in: Edward C. Page, Vincent Wright (Hg.), Bureaucratic Élites in Western European States. A Comparative Analysis of Top Officials, Oxford 1999, S.90–120, S.90.

Während von Mohl die Bürokratie als ›falsche Auffassung der Staatsaufgabe‹ sah, schien sie in Habsburg zu deren imaginärem Statthalter geworden.

Sollte es in Habsburg tatsächlich so etwas wie ein konstitutionelles ›Staatsdefizit‹ und eine entsprechend kompensatorische, imaginäre ›Staatsbildung‹ gegeben haben, dann waren deren Vorkämpfer unter den Bürokraten ebenso zu suchen wie unter den Literaten. Schließlich war die österreichische Literatur von Anbeginn in der imperialen Bürokratie verwurzelt: Als deren erste Exponenten galten Sekretäre, Kanzler und Geheimschreiber wie Johann von Neumarkt oder Enea Silvio Piccolomini, und gerade nach der aufklärerischen Bildungsoffensive für Beamte waren fast alle etablierten Schriftsteller von Berufs wegen Bürokraten – und umgekehrt zahllose Bürokraten literarisch ambitioniert.

Vgl. hierzu Joseph P. Strelka, »Die sozialgeschichtliche Entwicklung und die kulturmorphologische Funktion des Beamten in der österreichischen Literatur«, in: Ders. (Hg.), Der Beamte und der Offizier in der österreichischen Literatur, Bern, u. a. 1994, S. 17–31, hier S. 18–22.

Aus eben dieser Konstellation versuchte Claudio Magris 1963 in einer viel diskutierten Studie den Bestand und die Fortwirkung eines spezifisch »habsburgischen Mythos« abzuleiten. Als Mythos begreift er »eine Konstruktion oder eine ideologische Verfälschung«, die als »wahrhaft positive, grundlegende Idee« wirksam wird – im Falle der Habsburgermonarchie als eine Grundlegung, die wenig mit der Ratio moderner Staatswesen zu tun hat, sich aber im Medium eines literarisch formierten kollektiven »Empfinden[s] und Bewußtsein[s]« vollzieht.

Claudio Magris, Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur, Wien 2000, S.11, S.23.

Ermöglicht habe diesen Mythos allerdings nicht bloß dichterische Imagination, sondern zunächst eine Verwaltung, die neben medialen Praktiken des Aktenverkehrs auch eine zeremoniöse Mentalität des rechten Maßes und des Ausgleichs zwischen Herrschergeschlecht, bürokratischem Beamtenstand und Untertanen zur Geltung brachte.

Vgl. Ebenda, S.27–29.

Erst vor diesem Hintergrund habe sich die patriarchale Reichsidee eines ›sacrificium nationis‹ etablieren können, die jeden nationalistischen Furor symbolpolitisch dämpfte, selbst wenn sie faktisch die innere Kolonisierung der östlichen und südlichen Reichsgebiete bedeutete.

Vgl. Ebenda., S.25 f.

Für Magris nimmt die Genesis des habsburgischen Mythos 1806 ihren Ausgang, als das ›Heilige Römische Reich deutscher Nation‹ aufgelöst wurde. Spätestens nachdem Österreich durch die preußische Dominanz von der deutschen Entwicklung ausgeschlossen worden war, habe man eine neue raison ďêtre für den Reichszusammenhang gesucht und dazu einen Mythos wie den der ›felix Austria‹ in die Welt gesetzt. Vom habsburgischen Mythos lässt sich indes, wie Magris sagt, eigentlich nur nachträglich sprechen, am deutlichsten nach dem Ersten Weltkrieg, da die österreichisch-ungarische Welt tatsächlich nur mehr im Wort, insbesondere im poetischen präsent war. Diese Leitkonzeption einer mythischen und verlorenen Totalität, der das moderne Erzählen im Nachhinein verpflichtet ist, entlehnte Magris der Theorie des Romans von Georg Lukács, die ihrerseits bis 1916, während des Niedergangs der Habsburgermonarchie, entstanden war. Der spätere Kommunist Lukács hatte hier das moderne Signum der ›Entfremdung‹ noch als ›transzendentale Obdachlosigkeit‹ begriffen und eine grundsätzliche Opposition zwischen der modernen Welt, ihrer Prosa und Romanästhetik einerseits, der antiken Welt, ihrem Mythos und ihrer Epik andererseits entworfen. In der altgriechischen Welt habe sich »Irren« noch als ein bloßer Mangel an Maß oder Einsicht verstanden, »Sollen« hingegen nur als ein »Noch-nicht-Heimgekehrt-Sein«.

Ebenda, S.24 f.

In der modernen Welt müssten indes Totalitäten wie die der alten epischmythischen Welt allererst künstlich oder künstlerisch, in nostalgischen oder auch avantgardistischen Schreibweisen erschaffen werden. Dass für Lukács die Kunst zu einer Art ›Trotzdem‹ geworden ist, kann und muss man direkt auf Magris’ kompensatorische Konzeption des habsburgischen Mythos beziehen.

Was Magris’ ›mythopoetische‹ Studie auf Ebene der Literatur- und Geistesgeschichte zu finden meint, haben Historiker, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler immer wieder faktisch zu belegen versucht: die längerfristigen Effekte der habsburgischen Bürokratisierung. Ob mit der k. u. k. Verwaltung wirklich historisch weitreichende Bindekräfte verknüpft sind – dieser Frage hat sich im Jahr 2006 eine ganze Forschergruppe gewidmet. Ausgegangen war man von der These, dass sich bei Osteuropäern, etwa unter Polen, die ja die Aufteilung ihres Territoriums durch Preußen, Russland und Habsburg hinnehmen mussten, eine gewisse emotionale Bindung an das Kaiserreich der Habsburger beobachten lässt. Wie die Forschergruppe in ihrem Life in Transition Survey schreibt, haben die Habsburger in Osteuropa, verglichen mit Imperien wie dem Osmanischen oder Russischen Reich, einen relativ guten Ruf genossen. Gerade ihre Bürokratie hielt man für »weitgehend ehrlich, ziemlich hart arbeitend und allgemein von edler Gesinnung«,

Sascha O. Becker, et al., »The Empire Is Dead, Long Live the Empire! Long-Run Persistence of Trust and Corruption in the Bureaucracy«, in: The Economic Journal 126 (2016), S.40–74, hier S.41.

weshalb ehemals habsburgisch verwaltete Gebiete bis heute ein größeres Vertrauen in die Verwaltung aufbringen. Überprüft wurde, ob es sich hierbei um ein allgemeines Ost-West-Muster handelt, was falsifiziert werden konnte; und ob bestehende Vertrauensunterschiede sämtliche staatliche Institutionen betreffen, etwa auch Parlamente oder Präsidenten. Dabei zeigte sich, dass signifikante Unterschiede nur für die lokale Interaktion mit der Verwaltung gelten. Dieser sogenannte ›Habsburg-Effekt‹ deutet also darauf hin, dass die Donaumonarchie auch abseits der Literatur, nämlich in der Bürokratie, ihr eigenes Ende überlebt hat; und dass der literarische ›Mythos‹ nicht nur sentimentale Ursprungssehnsüchte artikuliert, sondern eine wirkliche und zählebige habsburgische Mentalität erfasst hat.

Der Reformbürokrat Kafka

Welche Bereiche und Aspekte der Bürokratie diesen Effekt besonders bedingt haben könnten, wird im Life in Transition Survey nicht weiter thematisiert. Doch muss ihre wohlfahrtsstaatliche Funktion eine besondere Rolle gespielt haben: Gerade in den letzten Jahrzehnten des Reichs zeichnete sich nämlich die Verwaltung der Habsburgermonarchie dadurch aus, dass sie den – bis dato beispiellosen – wirtschaftlichen und demografischen Aufschwung mit einer planmäßigen Sozialpolitik beantwortete. Diese Wende von der alten ›souveränitätslogischen‹ Herrschaft (Michel Foucault) mit ihrer Fixierung auf die Kaiserfigur hin zum ›Vorsorge-Staat‹ (François Ewald) mit seiner biopolitischen und massenstatistischen Ausrichtung ging mit einem extensiven Ausbau der Bürokratie einher, die die Erfassung sämtlicher Bevölkerungsteile und, durch die Vergabe von Sozialleistungen, auch nichts Geringeres als deren kulturelle ›Integration‹ besorgen sollte. Sozialpolitisch war das Deutsche Reich bereits 1881 mit einem ersten Entwurf zum Unfallversicherungsgesetz und mit der Einführung der Arbeiterversicherung vorangegangen. Mit den Gesetzen zur Unfall- und Krankenversicherung von 1887 und 1888 zog der Vielvölkerstaat nach, um bald auch eine Rentenversicherung einzuführen. Damit versicherte man sich der Reichsbevölkerung auf doppelte Weise: erstens, indem man unter der wachsenden Arbeiterschaft deren ebenso wachsende Bereitschaft zum Klassenkampf durch soziale Wohltaten dämpfte; zweitens, indem man die Einheit ebenso wie die Mannigfaltigkeit des Vielvölkerstaats administrativ wahrte. Gerade an den beiden Bruchstellen der Donaumonarchie – Klassenkampf und Nationenkonflikt – sollte also die Versicherung eine nachhaltige Vergemeinschaftung ermöglichen.

Aus ihrem doppelten Imperativ der Einheit und Vielfalt erklärte sich auch das sogenannte Regional- oder Territorialprinzip der Sozialversicherungen: So wurden etwa sieben regionale Unfallversicherungsanstalten unterschiedlichen Kronländern und Kronlandgruppen zugeordnet, wobei nur Böhmen (in Prag) und Niederösterreich (in Wien) eigene Anstalten erhielten. Die Gegner dieses Systems forderten eine Organisation, die sich – wie in Deutschland – reichsweit an einer Gliederung nach Berufen und Betriebsgruppen orientierte: So sollten etwa alle Bergbauunternehmen auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie bei derselben Anstalt versichert werden und in denselben Topf einzahlen. Die Befürworter des Territorialprinzips sahen hingegen in den Kronländern eigenständig wirtschaftliche und ethnische Interessensgemeinschaften. Im Klartext hieß das: Böhmische Bergbauunternehmer wollten nicht mit galizischen oder bosnischen in ein und denselben Topf geworfen werden, weil sie sich für wirtschaftlich stärker hielten und sich ohnehin lieber im Rahmen ihrer eigenen tschechischen Nation zusammenschließen wollten. Mit der Organisation der Versicherung stand also mehr als ein politisch neutrales administratives Prinzip auf dem Spiel; man stritt letztlich um die Form der Vergemeinschaftung, die man für sich innerhalb des Habsburger Vielvölkerreichs in Anspruch nehmen wollte.

Bei Unternehmen wurde entsprechend des sogenannten ›Äquivalenzprinzips‹ gerechnet: Betriebe derselben Branche, die schlechter ausgerüstet waren und weniger in die Sicherheit ihrer Arbeiter investierten, wurden in höhere ›Gefahrenklassen‹ eingereiht und mussten entsprechend höhere Beitragszahlungen entrichten. Die Kranken- oder Rentenassekuranz der Beschäftigten war wiederum nach dem ›Solidarprinzip‹ angelegt: Bezirkskassen mussten Pflichtversicherte jeden Alters und unabhängig von Risikomerkmalen aufnehmen. Diese politische Agenda einer aktiven Umverteilung (von den Fahrlässigen zu den Sicherheitsbewussten, von den Reicheren zu den Ärmeren, von den Jüngeren zu den Betagteren) sollte, wie der spätere Finanzminister Leon von Bilinski verkündete, den Arbeiter dazu bringen, »diejenige Gesellschaft, welche ihn ebenso mit ihrer Liebe umfängt, wie andere ihrer Mitglieder, selbst zu lieben.«

Zit. nach: Monika Senghaas, Die Territorialisierung sozialer Sicherung. Raum, Identität und Sozialpolitik in der Habsburgermonarchie, Wiesbaden 2015, S. 207.

Zugunsten einer reichseinheitlichen Liebe zum Reich sollten jedoch auch ethnische Konflikte durch die Einrichtungen der Sozialversicherung entschärft werden. Man sprach von einem habsburgischen ›Reichsbewusstsein‹ oder, wie Karl Lueger, von einem übernationalen Zugehörigkeitsgefühl, das jeden, »welcher Provinz auch immer er entstammt und welche Sprache immer er spricht«, einbeziehen sollte.

Zit. nach: Ebenda., S. 208.

Freilich brachte auch dieses wohlfahrtsstaatliche Konzept von ›Reichseinheit‹ etliche Konflikte mit sich – Konflikte etwa um die Bestimmung der Amtssprachen oder um die (ihrerseits administrative) Bestimmung der Volksgruppen. Nicht nur, weil die Deutschen ethnisch-sprachlich eine Majorität stellten, sondern auch, weil sie den Großteil der habsburgischen Beamtenschaft ausmachten; weil sie als kaiserliche Bürokraten über das gesamte Reich verstreut waren; und weil sie sich schließlich als die stärksten Befürworter der modernen Sozialpolitik hervortaten – aus all diesen Gründen verstanden sich die deutschen Beamten, wie es Friedrich Kleinwächter noch 1947 nennen sollte, als »die objektiven Österreicher«.

Friedrich Kleinwächter, Der fröhliche Präsidialist, Wien 1947, S. 102. – Vgl. hierzu auch Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem, S. 246.

Ein derart ›objektiver Österreicher‹ war, ungeachtet seiner Prager Herkunft und seines jüdischen Glaubens, auch Franz Kafka. Als waschechter habsburgischer Beamter war er dabei eigentlich nur von 1906 bis 1907 tätig, nämlich als Praktikant beim Prager Landes- und Strafgericht. Nach 1908 arbeitete er dann an der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt (AUVA) für das Königreich Böhmen in einer Position zwischen Beamtem und Angestelltem – eine Mischexistenz, wie sie nach Siegfried Kracauers Beobachtung das Arbeitsleben seit 1900 generell zusehends hervorbrachte.

Siegfried Kracauer, Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland, Berlin 132013, S.82.

Anders als von seinem Freund und späteren Herausgeber Max Brod kolportiert, beklagte Kafka allerdings nur in akuten Schreibkrisen sein »schreckliches Doppelleben« als literarischer Autor und als Angestellter.

Franz Kafka, Tagebücher, in: Ders., Kritische Ausgabe der Schriften und Tagebücher, hg. von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schillemeit, 15 Bde., Frankfurt am Main 2002, S. 29. – Im Folgenden wird diese Ausgabe im fortlaufenden Text als mit Bandsigle (in diesem Fall für die Tagebücher: T) zitiert.

Seine Literatur und Bürotätigkeit schlossen einander weniger aus, als dass sie einander bedingten. Denn nicht anders als der tägliche Anstaltsdienst erfüllte sich Kafkas nächtliches Schreiben, wie er einmal notierte, in der Sorge um »eine unübersehbare Zahl Menschen«. (N II, 260 f.) Letztlich verstand er seine literarische Autorschaft als ein fortgesetztes »Im-Dienst-Sein«.

Brief an Milena Jesenskä, August 1920, in: Franz Kafka, Briefe an Milena, erweiterte Neuausgabe, hg. von Jürgen Born und Michael Müller, Frankfurt am Main 1995, S. 229.

Studiert hatte Kafka seit 1901 versuchsweise Chemie, Kunstgeschichte und Germanistik, dann aber ernsthafter Jura, ehe er 1906 – mit Alfred Weber, dem Bruder Max Webers, als Promotor – den Doktortitel erlangte und im selben Jahr das besagte Praktikum antrat. 1907 machte er als Aushilfskraft in der Prager Filiale der Assicurazioni Generali erste Erfahrungen in der Versicherungsbranche, 1908 besuchte er an der Prager Handelsakademie einen Kurs zur Arbeiterversicherung und wurde alsdann, zunächst als Aushilfsbeamter, bei der AUVA angestellt. Seit 1910 war er dort als ›Concipist‹, seit 1913 dann als ›Vizesekretär‹, 1920 als ›Anstaltssekretär‹ und 1922 schließlich als ›Obersekretär‹ beschäftigt. Der ›Konzeptsbeamte‹ Kafka war zunächst mit Rechtsexpertisen zu Gesetzestexten befasst. In der ›Rekursabteilung‹ bearbeitete er die Einsprüche von Unternehmern, die sich in die falsche Gefahrenklasse und dadurch in eine zu hohe Beitragskategorie eingeordnet sahen. Als er in die Unfallabteilung versetzt wurde, hatte er eben diese ›Einreihungen‹ vorzunehmen, war hier aber auch mit anspruchsberechtigten Parteien, nicht zuletzt mit verunfallten Arbeitern befasst. »Wie bescheiden diese Menschen sind«, wunderte er sich einmal. »Statt die Anstalt zu stürmen und alles kurz und klein zu schlagen, kommen sie bitten.«

Max Brod, Franz Kafka. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1962, S. 102.

Wahrscheinlich verwies Kafka hiermit auf den politischen Hintersinn der Versicherung, denn institutionalisiert wurde diese ja nicht zuletzt, um etwaige Aufstände der unteren Klassen zu verhindern. Schließlich, nämlich seit dem Ersten Weltkrieg, arbeitete Kafka dann im Ausschuss für Heilbehandlung. Hier kämpfte er wiederholt um die Anerkennung ›traumatischer Neurosen‹, auch und gerade wenn sie von vermeintlichen ›Renten-Querulanten‹ geltend gemacht wurden.

Zur Selbstverwaltung und zugleich zu gesetzeskräftigen Verordnungen ermächtigt, bearbeitete die halbstaatliche Behörde der AUVA die Ansprüche der Versicherten und vergab dabei, auf massenstatistischer Grundlage, Sozialleistungen. Man arbeitete deshalb hauptsächlich ›vor dem Gesetz‹ Entsprechend waren die Bürokraten hier, neben Juristen, auch Versicherungsexperten oder Ingenieure, Mathematiker oder Mediziner, und besonders Kafka wirkte weniger als Exponent von Recht und Gesetz denn vielmehr als ein Manager biopolitischer Verwaltung und Vergemeinschaftung. Kafka war also ein Insider und zugleich ein Outsider der Rechtspraxis. Er war ein Bürokrat, der, wenn nötig, mit der Implementierung von Gesetzen befasst war, dabei aber vor allem die regulative und ausgleichende Funktion der Versicherungsanstalt im Auge hatte. Was Kafka als ›Reformbürokraten‹ letztlich vorschwebte, war, wie er es in einem seiner Vorträge für die AUVA nannte, eine »lebendige Institution« (A, Mat. 643), in der – anders, als man es den Behörden nachsagte

Zum Österreicher und seiner ›Behörde‹ vgl. etwa Hermann Bahr: »Er traut ihr nicht, sie ihm nicht. Er erschrickt, wenn er vor sie gerufen wird. Sie ist gereizt, wenn er sich doch einmal an sie wenden muß. Und beide wünschen sich nur, nichts miteinander zu tun zu haben.« Hermann Bahr, »Rat Schrimpf«, in: Das Hermann-BahrBuch, Berlin 1913, S. 198–204, hier S.200.

– das Rechtsempfinden, die Wünsche und Emotionen aller Beteiligten ebenso in Rechnung gestellt wurden wie die Aktenlage und offizielle Rechtsprechung.

In einem der vielen Texte, die er als ›Anstaltsautor‹ der AUVA verfasste, schrieb er, man müsse in der bürokratischen Praxis »gegenüber dem menschlichen wie wissenschaftlichen Teil des Problems« gleich gerecht sein (A, 207) – und hiermit meinte er einerseits die halbamtliche, ohne Gesetzeszwang, weil psychologisch wirksame Kommunikation mit Unternehmern und Arbeitern; andererseits aber die Statistik als formales Mittel der Konfliktlösung zwischen den verschiedenen Klassen und Nationalitäten der Habsburgermonarchie. Obschon von Kafka bis heute bevorzugt bürokratiekritische Aperçus zitiert werden wie: »Die Fesseln der gequälten Menschheit sind aus Kanzleipapier«,

Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen, erw. Ausgabe, Frankfurt am Main 1968, S.71.

war er letztlich ein Fürsprecher der – statistisch ausgebauten – Bürokratie. Der Gegensatz zwischen dem natürlichen Leben und dem »toten Mechanismus« des bürokratischen »Apparat[s]«, wie ihn Alfred Weber in seiner Schrift »Der Beamte« aufstellte,

Vgl. Alfred Weber, »Der Beamte«, in: Neue Rundschau 21 (1910), S. 1321–1339, hier S. 1321 f.

machte für Kafka letztlich wenig Sinn. ›Ursprüngliche‹ Völker oder Gemeinschaften waren für ihn nämlich – nicht anders als für Kafkas gleichaltrigen Prager Zeitgenossen Hans Kelsen – eine bloße Einbildung oder rhetorische Figur: Dem Recht und der Verwaltung standen sie nicht voran, sondern gingen aus einer bestimmten Rechts- und Verwaltungskultur allererst hervor.

Umgekehrt war für Kafka die ›Rationalität‹ einer Verwaltung nicht von deren ›Sensibilität‹ für den Zustand und die Erfordernisse des Lebens zu trennen. Wie Hermann Bahr sagten etliche von Kafkas Zeitgenossen der habsburgischen Verwaltung nach, sie habe, »statt immer wieder Wirklichkeit in sich einzulassen, ihr nachzugeben und sich selber umzuformen«, dieselbe erstickt oder im Stile eines bürokratischen »morbus Austriacus« degenerieren lassen.

Hermann Bahr, Tagebuch 1917, Innsbruck, u. a. 1918, S. 105 f.

Wie man im Duktus späterer Organisationstheoretiker sagen könnte, forderte Kafka deshalb Organisationen, die als formal-selbstreferenzielle Entscheidungssysteme zwar funktionale Autonomie genießen, die aber für das verwaltete Leben irritabel sind, so dass die Differenz von System und Umwelt – etwa über Codes des Affektiven und Emotionalen – laufend im System selbst reflektiert und die Bürokratie gleichsam ›verlebendigt‹ wird.

Vgl. hierzu etwa bei Herbert A. Simon das Konzept eines General Problem Solving, einer von Affektivität angestoßenen und von Emotionalität getönten Urteilsfindung. – Herbert A. Simon, »A Theory of Emotional Behaviour«, CIP Working Paper 55 (1963), S. 1–29, hier S. 23 f.

Kafka strebte also an, was die zu seiner Zeit neuesten Verwaltungslehren als informelle ›Gefühlsarbeit‹ und ›betriebsklimatische‹ Umwandlung des bloßen ›Zweckraums‹ in einen ›Lebensraum‹ forderten.

Vgl. hierzu Sabine Donauer, Faktor Freude. Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt, Hamburg 2015, S. 19 f., S. 33 f., S. 37; und Niklas Luhmann, Der neue Chef, hg. von Jürgen Kaube, Berlin 2016, S. 46 f., S. 51.

Im Idealfall waren Bürokratien für Kafka nicht hierarchisch, sondern bottom up zu organisieren. In seinen Anstaltstexten analysierte, kommentierte und kritisierte er deshalb die herrschenden Kommunikationsverhältnisse innerhalb der Anstalt (etwa ihre schematischen Formulare und Tabellen) sowie zwischen Anstalt und Klienten (etwa die Abläufe in den Einspruchsverfahren). Und in Härtefällen löste er die kommunikativen Verwerfungen durch informelle, nur halbamtliche Kommunikation mit den Beteiligten. Musste die AUVA etwa ein – nach seinem Empfinden – unzulängliches oder ungerechtes Gesetz anwenden, so konnte hier entweder, wie es Kafka listig nannte, »eine authentische Gesetzesinterpretation«, also eine Manipulation des ursprünglichen Gesetzestexts, Abhilfe schaffen (A, 138). Oder aber gesetzestreue Verordnungen wurden so lange durch spezifizierende und die Spezifikation spezifizierende Verordnungen ergänzt, bis sich das Gesetz gleichsam verflüssigte und es nachträglich seinen ›billigen‹ Sinn erhielt – eine Konstellation, die man aus Kafkas Erzähltexten kennt, und die, in ihrer letzten Konsequenz, weniger beklemmend ›kafkaeske‹ als vielmehr befreiend komische Effekte zeitigen muss.

Mythen der Organisation

Um ihren eigenen Bestand und Fortbestand, um ihre Strukturen und Abläufe zu rechtfertigen, legen sich Organisationen gewisse Ursprungserzählungen und Rituale zurecht, die zuweilen in umfassenderen Bestandsmythen gründen

Vgl. hierzu etwa Christoph Beier, »Regionale Verwaltungskultur, selbst-referentielle Systeme und mikropolitisches Agieren. Überlegungen zur Untersuchung regional unterschiedlichen Verwaltungshandelns«, in: Geographische Zeitschrift 81/3 (1993), S.129–144, hier S. 140.

– so wie im habsburgischen Mythos der Donaumonarchie. Aufgerufen werden derlei Narrative und Zeremonien in Krisensituationen, aber auch bei einer bloßen Umstrukturierung oder Neujustierung. Ein Beispiel hierfür beschrieb Kafka mit Blick auf die AUVA und seine dortige Ernennung zum Oberkonzipisten im Jahr 1910. Die Beförderung Kafkas und zweier Kollegen ging hier im Beisein des Anstaltspräsidenten vonstatten, einer Figur, die »dem normalen Beamten […] das Gefühl einer Zusammenkunft mit dem Kaiser« ersetzt.

Franz Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, hg. von Erich Heller und Jürgen Born, Frankfurt am Main 1976, S.237.

Als der ältere Kollege mit seiner Dankesrede anhob, lauschte der Präsident »in seiner gewöhnlichen, bei feierlichen Gelegenheit gewählten, ein wenig an die Audienzhaltung unseres Kaisers erinnernden, tatsächlich (wenn man will und nicht anders kann) urkomischen Stellung«, was Kafka zu kleineren, noch als Hustenanfall zu kaschierenden Lachanfällen reizte.

Ebenda.

Als aber der Präsident selbst

seine Rede anfieng, wieder diese übliche, längst vorher bekannte, kaiserlich schematische, von schweren Brusttönen begleitete, ganz und gar sinnlose und unbegründete Rede, […] konnte ich mich nicht mehr halten und alle Hoffnung schwand mir, dass ich mich jemals würde halten können. [] Natürlich lachte ich dann, da ich nun schon einmal im Gange war, nicht mehr bloss über die gegenwärtigen Spässchen, sondern auch über die vergangenen und die zukünftigen und über alle zusammen und kein Mensch wusste mehr, worüber ich eigentlich lache; eine allgemeine Verlegenheit fieng an, nur der Präsident war noch verhältnismässig unbeteiligt, als grosser Mann, der an Vielerlei in der Welt gewöhnt ist und dem übrigens die Möglichkeit der Respektlosigkeit vor seiner Person gar nicht eingehn kann.

Ebenda, S.238.

Die Situation eskalierte, nachdem der zweite Kollege zu einer so spontanen wie unbeholfenen Rede ansetzte. Als er »etwas (schon im Allgemeinen und hier insbesondere) Läppisches daherredete, wurde es mir zu viel, die Welt, die ich bisher immerhin im Schein vor den Augen gehabt hatte, vergieng mir völlig und ich stimmte ein so lautes rücksichtsloses Lachen an, wie es vielleicht in dieser Herzlichkeit nur Volksschülern in ihren Schulbänken gegeben ist. Alles verstummte und nun war ich endlich mit meinem Lachen anerkannter Mittelpunkt.« Um dem Ganzen ein Ende zu bereiten, fand der Präsident »irgend eine Phrase, die meinem Heulen irgend eine menschliche Erklärung gab, ich glaube eine Beziehung zu einem Spass, den er vor langer Zeit gemacht hatte. Dann entliess er uns eilig. Unbesiegt, mit grossem Lachen, aber totunglücklich stolperte ich als erster aus dem Saal.«

Ebenda, S.238–240.

Kafkas in der AUVA legendär gewordener Lachanfall widerlegt das Klischee vom ›Visionär‹ totalitärer Bürokratien. Er demaskiert und demontiert gerade jene Amtsautorität, die im baren Unsinn kaiserlicher Botschaften gründet. Man vergleiche den Bericht nur mit jener Szene, die Joseph Roth 1932 im Radetzkymarsch zum mythischen Spiegelstadium der habsburgischen Identität ausformulieren sollte: Bei der Audienz reflektiert sich der Kaiser mit seinem bürokratischen Habitus in seinem bürokratischen Untertanen, dem Bezirkshauptmann von Trotta, der sich mit seinem kaiserlichen Amtsgebaren selbst im bürokratischen Kaiser reflektiert – und so weiter und so fort.

Vgl. Joseph Roth, Radetzkymarsch, Köln 1989, S.269 f.

Nur führt diese offenkundige Leere des habsburgischen Mythos bei Roth nicht zur Komik, sondern zu Trübsinn und Melancholie – und dann, in Roths Fortsetzungsroman Die Kapuzinergruft (1938), zur endgültigen Beerdigung der habsburgischen Bürokratie. Kafkas Humor kann man hingegen, mit einer klassischen Theorie des Komischen wie der Jean Pauls, beschreiben als ein auf das Unendliche angewandtes Endliches, das mit der kleinen Welt lachend das Unendliche ausmisst

Jean Paul [d. i. Jean Paul Friedrich Richter], Vorschule der Ästhetik, hg. von Norbert Miller, Hamburg 1990, S. 125, S. 129.

– in Kafkas Fall anhand der kleinen Welt des Büros das Unendliche des Kaiserreichs. Jedenfalls führte das Lachen bei Kafka zu einer Demontage bürokratischer Amtswürde, die ihm wohl nie verziehen werden sollte.

Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz, S.240.

Dass sie ihm dann aber doch vergeben wurde, und zwar auf rein bürokratischem Wege, sagt einiges über Kafkas messianisches Verständnis der Bürokratie. Den Entschuldigungsbrief, den er zusammen mit Max Brod verfasste, akzeptierte der Anstaltspräsident anstandslos.

Eben diesem Anstaltspräsidenten, Otto Pribram nämlich, hat Kafka auch eine weitere Analyse bürokratischer Organisationsmythologie gewidmet – einen kurzen Erzähltext, in dem es zu Beginn heißt: »Poseidon saß an seinem Arbeitstisch und rechnete. Die Verwaltung aller Gewässer gab ihm unendliche Arbeit.« (N II, 300) Unendlich ist die Arbeit schon deshalb, weil Poseidon die Rechnungen seiner vielen Hilfskräfte in seiner göttlichen Gründlichkeit nochmals durchrechnet und ihm dabei nichts weniger als die Verwaltung sämtlicher Gewässer zufällt. »Man konnte ihm doch unmöglich etwa ein bestimmtes Meer zuweisen, abgesehen davon daß auch hier die rechnerische Arbeit nicht kleiner sondern nur kleinlicher war, konnte der große Poseidon doch immer nur eine beherrschende Stellung bekommen. Und bot man ihm eine Stellung außerhalb des Wassers an, wurde ihm schon von der Vorstellung übel« (ebd., 301). Am missmutigsten aber zeigt sich Poseidon über die geläufigen Vorstellungen, die man von seinem Amt hat,

wie er etwa immerfort mit dem Dreizack durch die Fluten kutschiere. Unterdessen saß er hier in der Tiefe des Weltmeeres und rechnete ununterbrochen, hie und da eine Reise zu Jupiter war die einzige Unterbrechung der Eintönigkeit, eine Reise übrigens, von der er meistens wütend zurückkehrte. So hatte er die Meere kaum gesehn, nur flüchtig beim eiligen Aufstieg zum Olymp, und niemals wirklich durchfahren. Er pflegte zu sagen, er warte damit bis zum Weltuntergang, dann werde sich wohl noch ein stiller Augenblick ergeben, wo er knapp vor dem Ende nach Durchsicht der letzten Rechnung noch schnell eine kleine Rundfahrt werde machen können. (ebd., 302)

Kafkas Erzählung kann man als Gegenstück jenes Staatsmythos ›katexochen‹ verstehen, der ebenso unverkennbar mit dem Meer assoziiert ist: des Leviathan. Thomas Hobbes bediente sich des altbiblischen Meeresungeheuers, um es als Mythos des Souveräns ins Bild zu setzen. Bei Kafka indes kann von Staat und Souverän keine Rede sein. Poseidon ist ein Bürokrat, der hauptsächlich am Arbeitstisch zu rechnen hat, um sein Reich zusammenzuhalten. Wahrscheinlich gibt es keine Bürokratie, die sich auf den griechischen Meeresgott beruft. Kafkas Text jedoch entwirft diesen Organisationsmythos, um der Bürokratie kosmogonische Weihen zu verleihen: Selbst der Schöpfungsmythos, in dem der Geist über den chaotischen Wassern schwebt, mündet in bürokratische Akte(n); und selbst antike Elementargötter sind, statt das freie Spiel der Naturkräfte zu personifizieren, an ihren Schreibtisch gekettet. Den Poseidon-Mythos deutet Kafka dabei zu einem neuen Herrschaftsmythos um: Einerseits fehlt seinem Reich (ganz wie dem habsburgischen) offenbar ein fester ›Grund‹ wie der der Volksgemeinschaft, in dem sich ein Nationalstaat verwurzeln könnte; andererseits wird dieser Mangel durch bürokratische ›Gründlichkeit‹ kompensiert. Poseidon waltet über sein unergründliches Reich nur, indem er es bis ins Letzte verwaltet.

Kein Wunder, dass sich Poseidon ärgert, wenn man von ihm denkt, er befinde sich auf einer dauernden Kreuzfahrt durch die Weltmeere: Das unendliche Arbeitsaufkommen hindert ihn schließlich daran, das Meer persönlich zu erfahren. Tritt er einmal eine Reise an, dann eine Dienstreise zu seinem Vorgesetzten. Doch sind Vorgesetzte hier auch nicht mehr das, was sie einmal gewesen sein mochten: Analog zu Kafkas bürokratischen Karikaturen des Kaisers herrscht im Falle Poseidons nur eine römische Karikatur des griechischen Rangobersten, herrscht nur Jupiter statt Zeus. Mit Walter Benjamin könnte man auch sagen, Kafka demontiere hier den Mythos und eröffne eine messianische Aussicht, um sie zugleich aufzuschieben.

Vgl. Walter Benjamin, »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. II. I, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1991, S. 409–438, hier S.415.

Denn der Messias wird, wie Kafka an anderer Stelle schreibt, »nicht am letzten Tag kommen«, sondern einen Tag später: »am allerletzten«. (N II, 56 f.) Jedenfalls kommen Poseidons gründliche Amtsgeschäfte zu keinem Ende – es sei denn, am Jüngsten aller Tage. Erst wenn, nach dem Wortlaut der biblischen Johannes-Offenbarung (Off., 21, 1), kein Meer mehr ist, und wenn, worauf der bürokratisch-apokalyptische Terminus des ›Doomsday‹ ja verweist, alle Verwaltungsakten zugeklappt werden, um eine letzte Generalinventur vorzunehmen – erst dann wird Poseidon von seinem Amt erlöst sein, und er kann endlich aufbrechen zu »eine[r] kleine[n] Rundfahrt«.

Es ist fast müßig zu sagen, dass diese Beschreibung Poseidons nicht nur Kafkas Vorgesetztem Pribram, sondern ebenso ihm selbst gilt. In seinen Tagebüchern hat Kafka schließlich unablässig Buch geführt und dauernde Berechnungen angestellt: Von der Entscheidung, in diese oder jene Theateraufführung zu gehen oder eben nicht zu gehen, über die Frage eines Wohnungswechsels bis hin zu seinen Heiratsplänen mit Felice Bauer hat Kafka versucht, alle Eventualitäten abzuwägen, auszurechnen und die Vor- und Nachteile seiner Beschlüsse exakt zu bilanzieren. Entsprechend lässt sich folgende Notiz auf Poseidon so gut wie auf Kafka selbst beziehen: »Er saß über seinen Rechnungen«, heißt es. »Große Kolonnen. Manchmal wandte er sich von ihnen ab und legte das Gesicht in die Hand. Was ergab sich aus den Rechnungen? Trübe, trübe Rechnung«. (N I, 408) Nicht nur, dass seit der Frühneuzeit Zahlengelehrte als Hypochonder und melancholische Naturen bestimmt wurden, in deren humores die schwarze Galle überwiegt; der Trübsinn des Rechnens und Berechnens stellt sich bei Kafka, spiegelverkehrt zum lebensbefreienden Lachen, deshalb ein, weil das Lebendige, wie er schreibt, »sich nicht ausrechnen« lasse. (N II, 147) Was Kafka also vom Leben fernhielt, war »der tief in mir sitzende Beamte«

Franz Kafka, Briefe 1902–1924, hg. von Max Brod, Frankfurt am Main 1975, S. 158.

– und nicht, wie Max Brod und nach ihm zahllose andere behaupten, seine Amtstätigkeit in der AUVA.

Vor dem Gesetz

Kafkas Auffassung der Bürokratie hatte einen doppelten Aspekt: Einerseits – und dies vor allem in seinen amtlichen und theoretischen Betrachtungen – forderte er ganz im Sinne zeitgenössischer Bürokratiekritiker, die Organisation auf das Leben und die Wirklichkeit zu öffnen. Andererseits operieren – die besonders in seinen längeren Erzähltexten beschriebenen – Bürokratien selbstbezüglich und rekursiv. Wenn sie sich aber, ganz wie es die spätere Organisationstheorie behaupten wird, damit allererst ihre eigene Umwelt erschaffen, wird die Frage hinfällig, ob bürokratisch getroffene Entscheidungen wirklichkeitsgemäß und in diesem Sinne wahr seien. »Man muss nicht alles für wahr halten, man muss es nur für notwendig halten«, heißt es im Proceß (P, 303). Diese Maßgabe wiederum entspricht nicht erst dem systemtheoretischen Diktum Niklas Luhmanns, Bürokratien komme es weniger auf Wahrheit und Wirklichkeitsbezug an als vielmehr auf die quasi-technische Akzeptanz von Entscheidungen – auf ›Legitimität durch Verfahren‹. Bereits Kelsens ›Reine Rechtslehre‹ leitete die ›Zwangsordnung‹ der Verwaltung und des Staats von einem System logisch verknüpfter Rechtsnormen ab, in dem die Normen durch ihr bloßes Gesetzsein und ihre ›Positivität‹ charakterisiert sind, nicht aber durch einen vorgängigen ›souveränen‹ Willen (sei es des Kaisers oder Volks) oder einen ›metaphysischen‹ (religiösen oder naturrechtlichen) Sinn. Unter diesen Vorzeichen kann es in Kafkas Texten kein Geheimnis ›hinter dem Gesetz‹ geben.

Das Gesetz ist hier, wie es Walter Benjamin einmal formuliert hat, »eigentlich eine Attrappe«,

Benjamin, »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages«, S. 78 f., S. 98.

weshalb es Kafkas Vor dem Gesetz betitelter Text als das zeigt, was diskursiv unzugänglich und als solches leer ist; was zahllosen Interpretationen Tür und Tor öffnet, zugleich aber jedweden substanziellen Sinn vereitelt. Das Gesetz ist, wie es einer der empörten, weil zur Versicherung verpflichteten Unternehmer an die AUVA schrieb, ein bloßes »Gesetzt« (A, 962) – eine Setzung, die erst nachträglich, erst durch jene Prozeduren Sinn oder Bedeutung erlangt, die es juristisch auslegen oder bürokratisch umsetzen; und deren Legitimität sich nicht aus irgendwelchen ethischen Quellen speist, sondern aus der Einheitlichkeit und Stringenz des Verfahrens. Zwischen den neuen sachlichen Maßgaben einer ›biopolitischen‹ Verwaltung und dem Rechtsempfinden oder der Gesetzesvorstellung der Verwalteten zu vermitteln, mithin jener Rechts- und Gesetzeskrise abzuhelfen, als deren Symptom man nicht zuletzt den österreichischen Rechtspositivismus verstehen kann – auch dies gehörte zu den Aufgaben eines versicherungstechnischen Bürokraten wie Kafka.

›Türhüter-Legende‹ wurde seine Erzählung Vor dem Gesetz genannt, weil sie das Gesetz im Sinne einer Zugangsfrage und gerade nicht eines Verbots oder Imperativs konkretisiert. Es verschließt sich denen, die es bloß interpretieren, aber nicht als Verfahrenstechnik zu begreifen vermögen. Und in eben diesem Sinne werden Sozialgesetze verhandelt, die weniger einen transzendenten Sinn oder eine untersagte Schwelle der Überschreitung markieren, als schlichtweg die Vergabe von Sozialleistungen regeln. Wenn Gesetzesfragen Zugangsfragen, Organisationen aber Netzwerke sind, die aus unabsehbar langen Serien von Entscheidungen und Operationen bestehen und deren Verknüpfung für Außenstehende noch dazu willkürlich oder zufällig erscheinen muss, ergibt sich für den, der das Gesetz ergründen will, rasch der Eindruck von Unergründlichkeit. Sagt der Advokat Huld im Proceß, die »Rangordnung und Steigerung des Gerichtes sei unendlich und selbst für den Eingeweihten nicht absehbar« (P, 157), wird als juristische Hierarchie ausgegeben, was aus bürokratischen Serien von Schreibakten und Aktenversendungen besteht. Deshalb gelangt Josef K., als er seinem Urteil und dem entsprechenden Gesetz auf den Grund zu gehen versucht, von einer Rechtskanzlei und einem Schreibbüro in das nächste, ohne dass ersichtlich wäre, wie die eine Kanzlei mit dem anderen Büro zusammenhängt. Auf Josef K.s Weg durch die vermeintlichen Gerichtsbehörden offenbart sich, dass das vermeintliche Gesetz weniger transzendenter als ›praxeologischer‹ Natur ist und sich hier sogar Privates und Amtliches überlappen, wenn etwa der Parteienverkehr im Schlafzimmer abgewickelt wird. Und es zeigt sich, dass die Logik bürokratischer Verkettungen weniger mit anschaulich räumlichen als vielmehr mit topologischen Ordnungen zu tun hat, wenn Josef K. etwa vom Dachstuhl eines Vorstadthauses in eine innerstädtische Kanzlei eintritt. Offensichtlich gibt es keinen privilegierten Ort der Macht oder des Gesetzes. Macht besteht darin, den Zugang zum Gesetz auf komplizierte Art zu regeln – oder auch zu unterbinden.

Gilles Deleuze und Félix Guattari haben mit Blick auf Kafka die moderne Bürokratie, die sich mit ihren unabsehbaren Kontiguitäten, ihren allgegenwärtigen Kanzleien und Büros dem Leben zu überlagern sucht, von einer imperialen, despotischen und ins Transzendente entrückten Bürokratie unterschieden, die sich in Monumentalbauten wie Türmen und Mauern repräsentiert und, dem Anspruch nach, alles überblickt. Als Autor und Beamter stehe Kafka an der Schwelle zwischen beiden Bürokratien.

Gilles Deleuze, Félix Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, Frankfurt am Main 1976, S.60–65, S. 102–111.

Dabei zeigen seine Texte, dass die vermeintlich allerfassende Herrschaft mitsamt ihren ›Attrappen‹ von Gesetz und Schuld niemals lückenlos wirksam sein kann, dass sie sich selbst demontiert und als leer und überholt enthüllt. Auch im bürokratischen Normalbetrieb der AUVA hatte Kafka weniger mit Gesetz und Schuld zu tun als mit der Möglichkeit von Unfall, Krankheit und Tod sowie mit deren massenstatistischer Berechnung und assekuranztechnischer Kompensation. Das Gesetz trat nur dann auf den Plan, wenn ein vorsätzlich gemeinschaftsschädigendes, ein im solidarstaatlichen Sinne schuldhaftes Verhalten vorlag.

Dem entsprechen auch Kafkas Erzählungen: »Schuldig werden«, wie Adorno schreibt, nur jene von Kafkas Figuren, die »versuchen, das Recht auf ihre Seite zu bringen«. – Theodor W. Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10.1., Frankfurt 1970–1986, S. 254–287, hier S.286.

Und mit derart ›Schuldigen‹ hatte Kafka fast tagtäglich zu tun, denn immer wieder versuchten böhmische Unternehmer, sich durch Falschangaben aus der Verantwortung zu stehlen und zugleich solidargemeinschaftliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Wenn bei Kafka irgendein Gesetz tatsächlich herrscht, dann das sozialstatistische der ›großen Zahl‹, wie es der Mathematiker Siméon Denis Poisson 1835 getauft hatte. Diesem wurde schließlich auch politisch oberste Gesetzeskraft zuteil, als Bismarck 1881 vor dem Deutschen Reichstag eine ›Kaiserliche Botschaft‹ verlas, die als ›Magna Charta‹ der deutschen Sozialversicherung berühmt werden sollte; und als Kaiser Franz Joseph 1885 die entsprechenden habsburgischen Kranken- und Unfallversicherungsgesetze ankündigte. Dass beide Reden nur imaginär den einzelnen Staatsbürger, mit der Bevölkerung aber realiter eine statistische Entität adressierten, hat Kafka in einer »Sage« gezeigt, »die dieses Verhältnis gut ausdrückt« (N I, 351): in der Sage von der »Kaiserlichen Botschaft«, denn hier wird die Direktkommunikation zwischen Kaiser und Untertan als bloße Träumerei sichtbar. Offenbar ist in Kafkas Texten das Reich nicht mehr durch den Kaiser zusammenzuhalten, sondern alleine noch durch ein ›soziales Bauwerk‹ wie das der allumfassenden Versicherung. Allerdings ist mit dem ›Bauen‹ bei Kafka keine Vorstellung eines unerschütterlichen Gemeinschaftsgrunds verbunden. Wie seine Fragmente zum Bau der chinesischen Mauer zeigen, kann es nur um den Prozess eines fortwährenden Um- und Weiterbaus gehen, oder mit Blick auf die verwaltungspraktische Realität der Sozialversicherung gesagt: um das bloße ›Teilbausystem‹ dieser nach dem Territorialprinzip gegliederten Assekuranz.

Für Kafka waren es nicht mehr Kaiserfiguren mit ihren höchsten Gesetzen, von denen sich die Verfassung der Gemeinschaft ableitete; vielmehr musste sich das Reich vor den der Gesellschaft inhärenten Gesetzen (ihrer Sterblichkeit, Produktivität etc.) bewähren. Sollte das neue Gesetz der Gemeinschaft das ›Gesetz der großen Zahl‹ sein, hatten Reformbürokraten wie Kafka es nicht nur im alltäglichen Parteienverkehr zur Anwendung zu bringen. Jene massenstatistische Regularität, an der sich die innere Gesetzmäßigkeit der Gesellschaft, ihre Entwicklung und ihre Fehlentwicklungen ablesen ließ, um darauf mit geeigneten sozialpolitischen Maßnahmen zu reagieren, musste allererst ermittelt werden. Und dazu benötigte man jene sozialstatistischen Daten, die allein eine biopolitisch programmierte und medientechnisch aufgerüstete Bürokratie ermitteln konnte. Über die etablierte Praxis des Akten- und Parteienverkehrs hinaus war die Bürokratie zu einer Technologie geworden.

Der bürokratische Apparat

Als Student belegte Kafka 1905 bei dem Prager Professor Heinrich Rauchberg ein Seminar zu ›Allgemeiner und österreichischer Statistik‹. Bereits 1890 hatte Rauchberg als Organisator der Volkszählung versprochen, »die gesamte heimatsberechtigte Bevölkerung der einzelnen politischen Bezirke in möglichst kurzer Frist kennen zu lernen«.

Heinrich Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung insbesondere bei der österreichischen Volkszählung«, in: Allgemeines statistisches Archiv 2 (1891/92), S.78–126, hier S.78, S. 95.

Hierfür setzte Rauchberg erstmals in Europa jene Zählmaschine ein, die sich bereits beim US-Zensus von 1890 bewährt hatte. Anders als das vormalige manuelle Zählverfahren anhand von Listen basierte das der batteriebetriebenen Hollerith-Maschine auf ›Individualkarten‹, in die die Merkmalcodes jeder einzelnen Person (wie Umgangssprache, Wohnort, Beruf, Alter, Konfession) eingestanzt wurden, um den Kartenbestand dann beschleunigt durchzuzählen und zu sortieren. Das Funktionsprinzip dieser Maschine inklusive ihrer Bauelemente Batterie, Kontaktapparat und Relaisanlage hat Kafka dann für die Apparatur seiner Strafkolonie (seit 1914 entstanden, 1919 publiziert) übernommen – selbst wenn hier Holleriths ›keypunch‹, der Kartenlocher zum Einstanzen der ›Individualangaben‹, mit der Zählvorrichtung gleichsam kurzgeschlossen wird.

Dieser Kartenlocher »drückt den Stift in jene Löcher des Schemas, welche den Individualangaben für die betreffende Person entsprechen, wodurch die korrespondierenden Löcher in die Karte selbst geschnitten werden«. – Ebenda, S. 93.

Abb. 1

Schema der Hollerith-Maschine

Abb. 2

Kartenlocher

In der Erzählung gemahnt der Apparat an Nietzsches ›Theater der Grausamkeit‹, weil er auf den fleischlichen und individuellen Körper und nicht auf den kartierten und kollektiven Körper der Gesellschaft zugreift. Literarisch wird hier jenes Verfahren umgekehrt, das der statistischen Maschine erst ihren Sinn verleiht: Die Abstraktion eines ›unerschöpflichen‹ Individuums zu einem Merkmalsträger, der wiederum durch ein ›punched transcript‹ substituiert wird. Mit Schiller gesagt, übersetzt Kafkas Text administrative ›Formulare‹ wieder in die Gestalt ›ganzer Menschen‹, so als müsste die Literatur zum Statthalter realistischer Darstellung werden, während die bürokratische Praxis den Menschen regelrecht entwirklicht. Denn erst dann kann er zum sozialen (oder sozialversicherten) Wesen werden, sobald er als Lochkarte im elektrischen Zähl- und Sortiermechanismus zirkuliert. Wenn sich in Formularen die »Formalisierung, Spezialisierung und Standardisierung« der Verwaltung generell manifestiert, dann in den Hollerith-Karten im Besonderen die Steuerungs- und Kontrolldimension jenes bürokratischen Apparats, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts neben der öffentlichen auch die betriebliche Organisation betraf.

Peter Becker, »Formulare als ›Fließband‹ der Verwaltung? Zur Rationalisierung und Standardisierung von Kommunikationsbeziehungen«, in: Peter Collin, Klaus-Gert Lutterbeck (Hg.), Eine intelligente Maschine? Handlungsorientierungen moderner Verwaltung (19./20. Jh.), Baden-Baden 2009, S. 281–298, hier S. 281 f. – Zum Einsatz der Hollerith-Maschine in zeitgenössischen Betrieben vgl. Kracauer, Die Angestellten, S.27 f.

Bereits Max Weber hatte auf die gemeinsame Wurzel von Betrieb und Bürokratie in der ›Rationalisierung‹ verwiesen und die Arbeitsphysiologie und Automatisierung als deren jüngsten Spross bezeichnet. Selbst ein exponierter Entscheidungsträger wie der Richter sei unter diesen Vorzeichen ein bloßer »Paragraphen-Automat […], dessen Funktionieren […] im großen und ganzen kalkulierbar ist«.

Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, Berlin 22011 [EA: 1918], S.26.

In ihrer eigentümlichen ›Gewissenhaftigkeit‹ hatte also, wie der zum Marxismus bekehrte Lukács schrieb, die moderne Bürokratie die neuen formalistischen Prämissen geradezu »ins ›Ethische‹ versenkt«.

Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, Darmstadt, Neuwied 21977, S. 275.

Abb. 3

Werbeplakat für die Hollerithmaschine

Abb. 4

Werbeplakat für die Hollerithmaschine

Die Hollerith-Maschine ist eine Schreib-Lese-Maschine, die die gestanzten Löcher mechanisch ausliest, ähnlich wie Kafkas ›Verurteilter‹ nicht »mit den Augen«, wohl aber »mit seinen Wunden« die Urteilsschrift »entziffert«. »Bis jetzt war noch Händearbeit nötig, von jetzt aber arbeitet der Apparat ganz allein«, erklärt Kafkas Offizier. (D, 219f., 204 f.) Doch ist es gerade diese Vorstellung eines operativ geschlossenen, ›blinden‹ und von aller Hand- und Schreibarbeit befreiten Verfahrens, die das Schreckbild der automatisierten Bürokratie und in Kafkas Erzählung auch ihren Kollaps hervorruft. Wird ihr zuletzt die Maxime »Sei gerecht!« (D, 238) einprogrammiert, besorgt die Maschine nur die Exekution des Offiziers und ihren eigenen Zusammenbruch. Diese Maxime kann man als das jüdische Gesetz aller Gesetze, als den kategorischen Imperativ Kants oder aber als die leere (rein hypothetische oder fiktive) ›Grundnorm‹ des Neukantianers Kelsen deuten: als jenes bloß gesetzte, dem Rechtssystem aber ›transzendental‹ zugrunde liegende und damit Beamte wie Rechtssubjekte verpflichtende und verbindlich anleitende ›Sollen‹, das selbst nicht zu artikulieren ist, weil dies eine ihm nochmals zugrunde liegende Ebene voraussetzen würde.

Zum Verhältnis von Kafka und Kelsen vgl. Paul Alberts, »Knowing Life before the Law: Kafka, Kelsen, Derrida«, in: Brenadan Moran, Carlo Salzani (Hg.), Philosophy and Kafka, Lanham, u. a. 2013, S. 179–197, hier S. 186–188.

Allgemein zeugt dieses ›Gesetz‹ bei Kafka für jenen Wechsel vom ›Substanzbegriff‹ zum ›Funktionsbegriff‹, den man – mit Verweis auf Ernst Cassirers gleichnamiges Buch – dem technischen und juristischen Denken nach 1900 zugeschrieben hat.

Zu Kelsens Berufung auf Cassirers Funktionsdenken vgl. Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt, S. 298.

Wenn es, nach dem Muster von Kelsens Grundnorm, als Operationsbedingung der Maschine eingesetzt und dennoch als konkrete Handlungsanweisung interpretiert wird, muss dies zu einer fatalen Verwirrung der Bezugsebenen führen. Mit Blick auf die logische Typenlehre um 1900 hat man deshalb von einem ›type mismatch‹ gesprochen: Beschreibt die Maxime nur ein leeres Gesetz, kann die Datenverarbeitung der Strafkolonie damit nichts anfangen.

Vgl. Kittler »Schreibmaschinen, Sprechmaschinen. Effekte technischer Medien im Werk Franz Kafkas«, in: Ders., Gerhard Neumann (Hg.), Schriftverkehr, Freiburg im Breisgau 1990, S. 131 f.

Befehlen zu befehlen, Daten zu sein, mag vielleicht für die spätere Turing-Maschine Sinn machen, nicht aber für eine Sozialstatistik nach Holleriths und Rauchbergs Entwürfen.

Zwar war die Hollerith-Maschine bereits programmierbar, was auch die Peripetie in Kafkas Strafkolonie bedingt: Der Offizier, heißt es, »ordnete das Räderwerk scheinbar gänzlich um« (D, 238). Doch erscheint mit Kafkas Maschinerie, die systematisch Modernes und Anachronistisches legiert, noch als Mechanismus, was seit 1895, als Otto Schäffler (Rauchbergs Kollege bei der Volkszählung) seinen ›Generalumschalter‹ patentieren ließ, bereits eine Frage von Relais und variablen Schaltungen war. Diese gaben der Maschine das operative Gesetz, nach dem Merkmale kombiniert, Karten sortiert und zuletzt Entscheidungen getroffen werden konnten. Während sich Bürokraten bereits aus juristischen, statistischen oder technischen Experten rekrutierten, geht die Rechtspflege und Verwaltung in Kafkas Erzählung noch auf ein und denselben ›alten‹ Kommandanten zurück, der zugleich »Soldat, Richter, Konstrukteur, Chemiker, Zeichner« war und dessen überlieferte Skizzen – halb Diagramme, halb Texte – als esoterische Verfahrensvorschrift gelten. Dem Reisenden zeigen die ihm präsentierten Blätter lediglich »labyrinthartige, einander vielfach kreuzende Linien, die so dicht das Papier bedeckten, daß man nur mit Mühe die weißen Zwischenräume erkannte«. (D, 210, 217)

Was bei Kafka als palimpsestartiger heiliger Text des mythisch entrückten Kommandanten erscheint und deshalb an ein enigmatisches und unvordenkliches Gesetz gemahnt, entspricht, nüchterner betrachtet, dem Schaltplan der bürokratischen Maschine. Von einer ›Anschauungsqual‹,

Zu diesem wichtigen Begriff der expressionistischen Stilgeschichte vgl. Wilhelm Worringer, Formprobleme der Gotik, München 21922, S.22 f.

wie sie der Reisende bei Betrachtung der geheimnisvollen Urschrift dieses seltsamen Verfahrens erleidet, berichteten auch die ersten mit der Hollerith-Maschine befassten Bürokraten: Den statistischen Handlangern des US-Zensus kam die Lektüre der Zählkarten als, wie eine Zeitung schrieb, »refinements of torture« vor, während der Bau- und Schaltplan der Maschine, je nach Kenntnisstand, Verzückung (wie bei Kafkas Offizier) oder Unverständnis (wie bei Kafkas Reisenden) auslöste. Auf jene Anfeindungen, die seiner Maschine entgegen schlugen, antwortete ihr US-amerikanischer Erfinder Herman Hollerith 1877 nur: »still it is the genesis«.

Zit. nach: Geoffrey D. Austrian, Herman Hollerith. A forgotten giant of information processing, New York 1982, S. 62, S. 347.

Denn letztlich war mit Holleriths Apparat und seiner »Summierung der Angaben jener Gruppen von Zählwerken […] eine unfehlbare Kontrolle für das fehlerlose Funktionieren der Maschine« gegeben, wie Rauchberg 1891 betonte. Die Zeitschrift Electric Engineer desselben Jahres schrieb daher: »The apparatus works as unerringly as the mills of the Gods«.

Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung insbesondere bei der österreichischen Volkszählung«, S. 99 und Austrian, Herman Hollerith, S.70.

Und folgerichtig bezeichnet Kafkas Offizier die von der Maschine ermittelte »Schuld« als »immer zweifellos«. (D, 212)

»Dank der in dem Instrumentarium investierten Geistesarbeit bleibt seinen Handlangern der Besitz von Kenntnissen erspart«, stellte Siegfried Kracauer noch Ende der 1920er-Jahre fest, als er von den mechanisierten Büros der Angestelltenstadt Berlin berichtete.

Kracauer, Die Angestellten, S. 29.

»An der Maschine selbst kann jedermann sofort arbeiten«, hatte Rauchberg bereits drei Jahrzehnte vorher verkündet, und dabei werde man, wie er schrieb, »an das Dichterwort gemahnt: ›Doch was er webt, das weiss kein Weber.‹ Er braucht es auch nicht zu wissen.«

Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung insbesondere bei der österreichischen Volkszählung«, S. 111.

Legitimität wurde schließlich durch das bloße Verfahren hergestellt (im Falle der Hollerith-Maschine durch das alte Jacquard-Verfahren zur Lochkartensteuerung von Webstühlen). Und während sich Kafkas Erzählung um die Autonomie einer Maschine dreht, die noch keine regelrechte Rechenmaschine, in ihren Verfahrensabläufen aber völlig berechenbar ist, rückt sie nicht nur grausame Strafpraktiken einer abgelegenen Kolonie ins Bild, sondern auch die bürokratische Kolonisierung der ›Lebenswelt‹: die »Verdinglichung« (Lukács), »Enthumanisierung« (Kracauer) und »Herrschaft durch Niemanden« (Hannah Arendt).

Die bürokratische Kolonisierung

Wie schon die Figurenkonstellation zeigt, steht hier Bürokratiekritik zur Debatte: Die Gründerfigur der Kolonie, der charismatische Kommandant und oberste Befehlshaber, ist in eine mythische Vorzeit entrückt. An seiner Statt übernimmt ein Offizier das ›officium‹. Neben dem Verurteilten tritt zudem noch ein Reisender auf – als Kritiker jener Strafpraxis, die eigentlich eine Verwaltungspraxis ist: der routinierten Einschreibung des ›nomos‹, des gemeinschaftlichen Gesetzes in den Körper des Untertanen. Anlass des Geschehens ist eine anstehende Straf- oder Verwaltungsreform, von deren Abträglichkeit der Offizier den externen Gutachter überzeugen will. Letztlich kommt die gesamte Szene einer Demonstration mit rhetorisch-persuasivem Zweck gleich. Früher ging die Einschreibung öffentlich, nach Art eines Straf- oder auch Kanzlei-Zeremoniells vonstatten. »Was für Zeiten, mein Kamerad!«, ruft der Offizier, umarmt den befremdeten Reisenden und legt ihm, wie es heißt, den Kopf auf die Schulter. »Ich wollte Sie nicht etwa rühren«, entschuldigt er sich sogleich, und versucht fortan, den Reisenden durch die sachliche Beschreibung des Apparats zu gewinnen. (D, 226 f.) Seine Überzeugungsarbeit changiert also zwischen einem sentimentalen Mythos und verfahrenslogischen Argumenten.

Man mag an prominente Bürokratiekritiker wie den Beamten Josef Olszewski

Olszewski hatte 1904 in seiner Studie Bureaukratie das »Leiten der Welt vom Amtstische aus« beschrieben, bei dem »die Kontrolle die Kontrolle kontrolliert, und diese eine weitere Oberkontrolle erlebt«. Die Bürokratie sah er als letzte, monströse Ausgeburt eines Staats, der »ohne Rücksicht auf das pulsierende Leben und die veränderlichen vitalen Verhältnisse« verfährt, und vor dem jeder »erscheinende Petent […] schon grundsätzlich ein Beschuldigter« ist. – Josef Olszewski, Bureaukratie, Würzburg 1904, S. 73, S. 98, S. 152 f.

oder Alfred Weber denken, wenn der Offizier beklagt, ein »großer Forscher des Abendlandes« habe das hiesige »Verfahren« für »unmenschlich« erklärt. Noch näher liegt eine Referenz auf den Juristen und Kriminologen Robert Heindl, dessen viel gelesenen Bericht Meine Reise nach den Strafkolonien (1913) auch Kafka studiert hat, um neben dem vernichtenden Urteil über die kolonialistische Deportationspraxis (das eher ökonomischen als moralischen Überlegungen folgt) auch etliche bürokratiekritische Beobachtungen zu übernehmen: Nicht nur, dass insbesondere in den französischen Kolonien ein fruchtloser, eher die Beamten als die Sträflinge bestrafender »Bureaukratismus« herrschte, wie Heindl schreibt. Als »Zweck und Endziel des ganzen Strafvollzuges« bezeichnet er die »Metamorphose des Verbrechers«, und hierzu sind etliche der besserungswilligen Kriminellen »als Schreiber in den Bureaus«, als »Kanzleidiener« oder »Zeichner angestellt«.

Robert Heindl, Meine Reise nach den Strafkolonien, Berlin, Wien 1913, S. 21, S. 193, S. 197.

Die Bürokratie wirkt also nicht nur repressiv auf die Delinquenten, vielmehr wird sie zum Existenzmodell ihrer Bewährung. Einer von ihnen kann »bei den Frauen einen unerhörten Erfolg« aufweisen und ist zu dem Schluss gekommen, »daß er selbst ein gekröntes Haupt sei«. Andere Häftlinge tun sich als Erfinder hervor, um Bohrmaschinen, Stanzapparate oder einen Prügelapparat zu entwerfen, »an den die Renitenten mit ausgespannten Armen und Beinen geschnallt werden«, zudem ›göttlich funktionierendes selbsttätige Exekutionsmaschinen ohne jede »Verwendung für Menschenhände«, deren »abschreckende Wirkung« wiederum »zweifellos« sei. Insgesamt erscheinen die Sträflinge bei Heindl als Bürokraten, die an ihrer eigenen Unterwerfung durch einen grausamen »Verwaltungsapparat« arbeiten.

Ebenda, S. 51–53, S. 88, S.301, S.305, S.379, S.383.

Und letztlich suggeriert der mythische Kommandant aus Kafkas Erzählung, der wie eine Kompositfigur aus Heindls Delinquenten wirkt, dass am Grunde der Bürokratie nicht allein ein leerer Formalismus, sondern auch das Verbrechen steht.

Kafkas Reisender sieht sich zunächst als Ethnologe, der »fremde Verhältnisse« nicht vorschnell verurteilen soll. Nach einigem Zögern »aber sagte er, wie er mußte: ›Nein.‹ […] Ich bin ein Gegner dieses Verfahrens.« Des Offiziers »ehrliche Überzeugung« gehe ihm nahe, könne ihn aber »nicht beirren«. Hierin erschöpft sich die Expertise des Reisenden, und dass ihn das »Verfahren« trotz der Demonstration »nicht überzeugt« hat (D, 229, 235 f.), ist auch für den Offizier allein entscheidend: Fortan unansprechbar, programmiert er die Maschine auf jenen type mismatch, der den Code des Rechts aufs Recht oder das Verfahren der Bürokratie auf diese selbst anwendet. Was aber bedeutet des Reisenden Expertise? Das alte »Verfahren«, für das »es also Zeit« ist (ebd., 236), sieht er als überkommene Gemengelage aus Personenkult, Sentimentalität und Autoreferenzialität. Und darin kann man exakt jenes Mischungsverhältnis erkennen, das die Bürokratie im Augenblick des Reichskollapses charakterisierte: Die Hypostasierung des Staats in der Kaiserfigur; der emotionale Kitt des habsburgischen Mythos; und eine formalistische Verfahrensordnung, die statt einer Ordnung des Zwangs nur eine Zwangsordnung hervorbringt.

Womöglich jedoch geht es Kafka in diesem Text gar nicht so sehr um ›Bürokratie-Kritik‹, um das ›krinein‹ oder die Unterscheidung der wahren von der verfehlten Bürokratie. Denn vielleicht führt Kafka hier nichts anderes vor, als dass das Konzept der Bürokratie – gerade in Habsburg – eine interdiskursive Montage darstellt. Für seine Strafkolonie montiert er eine Art diskursive Höllenmaschine, in der ästhetische, ethische, rechtliche und auch technische Bauteile auf folgenreiche Art zusammenwirken. Auf der Ebene bürokratiekritischer Metaphorik mag ›die Maschine‹ der Strafkolonie Alfred Webers repressivem bürokratischem ›Apparat‹ entsprechen. Und auf dieser Ebene kann es auch nicht weiter verwundern, wenn ein zur Verwaltung ›Verurteilter‹ (womit wir wohl alle gemeint sind) im normalen Verwaltungsgang von seinem ›Urteil‹, das heißt von der aktenmäßigen Bearbeitung seines Falls, nicht umgehend und explizit benachrichtigt wird. Er erfährt es ja im Vollzug der Verwaltung, er »erfährt es ja auf seinem Leib« (ebd., 211), wie es bei Kafka heißt.

Auf der Ebene literaturwissenschaftlicher Diskursanalyse wiederum wurde bislang ein ganzer Maschinenpark aufgefahren, um Kafkas Apparat historisch dingfest zu machen: Von Kaffeemahlmaschinen, die er aus dem väterlichen Kolonialwarenladen kennen musste, über Phonographen, die – wie in der Strafkolonie beschrieben – keine zeichenhaft lineare, sondern eine analoge Seitenschrift absetzen (und die als Medien der Verhöraufzeichnung natürlich bürokratisch relevant sind), bis hin zu Tätowierapparaten, die seit 1891 im Handel waren, hat man immer wieder Maschinen benannt, die Kafkas Text lesbar machen sollten. Auf die Hollerith-Maschine, die mit Kafkas amtlichem und literarischem Schreiben auf vielerlei Ebenen alliiert ist, hat als erster Benno Wagner hingewiesen, der Mitherausgeber der neu edierten Amtlichen Schriften.

Vgl. Benno Wagner, »›Die Majuskel-Schrift unseres Erden-Daseins‹. Kafkas Kulturversicherung«, in: Hofmannsthal-Jahrbuch 12 (2004), S. 337–348.

Dass aber die Maschine der Strafkolonie ein diskursiv zusammengeflickter Apparat ist, der auf die Basis der Hollerith-Maschine diese oder jene Elemente anmontiert, verrät dabei schon der Erzähltext selbst: »Die Maschine ist sehr zusammengesetzt«, entschuldigt sich der Offizier, »es muß hie und da etwas reißen oder brechen; dadurch darf man sich aber im Gesamturteil nicht beirren lassen.« (ebd., 221) Auch die Forschung sollte sich im Gesamturteil nicht beirren lassen: Es gibt buchstäblich stichhaltige Gründe dafür, hier in erster Linie das Funktionsprinzip statistischer Datenverarbeitung am Werk zu sehen, selbst wenn in Kafkas diskursivem Gewebe an etlichen Stellen etwas reißen oder brechen sollte.

Insgesamt bildet der Apparat der Strafkolonie eine Art Funktionsdiagramm moderner Bürokratien. Wie später der Organisationstheoretiker Herbert A. Simon sollte man nicht nur das Gefüge bürokratischer Institutionen als Maschine begreifen, sondern auch selbstbezügliche Maschinen wie die Kafkas (oder dann diejenige Turings) als Bürokratien. Sichtbar, und zwar spektakulär sichtbar, wird Kafkas Maschine allerdings nur dann, wenn sie explizit zur Begutachtung vorgeführt wird. Abseits der Demonstration entschwindet sie durch ihre »stille Arbeit […] förmlich der Aufmerksamkeit« (ebd., 243) – ganz so, wie sich automatisierte Datenverarbeitung im Normalbetrieb weitgehend unbemerkt vollzieht. Und mehr noch: Wenn Kafka von einer Watteoder Filzschicht auf dem Bett spricht, nimmt er jenes Bureau beim Wort, als das man in der Frühzeit der Verwaltung filzgewebte Rechentücher bezeichnete.

Zu guter Letzt kann man den Kollaps des Apparats mit jener Demontage verknüpfen, die Kafka, wie geschildert, ebenso an anderen Organisationsmythen der Bürokratie vorgenommen hat. Der Zusammenbruch der Maschine und damit von Bürokratie überhaupt wird dabei auch in der Strafkolonie von Affekten begleitet: zunächst vom Affekt der Scham, als der Soldat dem Verurteilten »mit einem Messer hinten Hemd und Hose durchschnitt, so daß sie von dem Verurteilten abfielen; er wollte nach dem fallenden Zeug greifen, um seine Blöße zu bedecken«. (ebd., 220) Schließlich verwandelt sich der Affekt der Scham jedoch in Gelächter. Denn während der Offizier der Maschine das Gesetz der Gesetze einprogrammiert, zieht der eben freigelassene und nun erstmals lebendig wirkende Verurteilte Hemd und Hose wieder an. Dabei mussten »der Soldat wie der Verurteilte laut lachen, denn die Kleidungsstücke waren doch hinten entzweigeschnitten. Vielleicht glaubte der Verurteilte verpflichtet zu sein, den Soldaten zu unterhalten, er drehte sich in der zerschnittenen Kleidung im Kreise vor dem Soldaten, der auf dem Boden hockte und lachend auf seine Knie schlug.« (ebd., 239) Diese inmitten des ernsten Geschehens recht unvermittelte Szene, die, wenn man so will, die Aufteilung von Jesu Kleidern zu Fuße seines Kreuzes parodiert, verwandelt den Affekt der Scham in jenes kindliche Lachen, dem Kafka selbst schon im Angesicht des Präsidenten erlegen ist.

Dass aber auch die fachmännische Kritik und Beurteilung des bürokratischen Apparats nur Unsinn zeitigt, zeigt der Offizier letztendlich an seinem eigenen Leib. Konsequenterweise stellt er sein ›officium‹ zur Verfügung, und wie bei einer Destitution entkleidet er sich, um sich selbst in die Maschine zu legen. Was er sich hiervon erhofft, mag eine letzte Apotheose und Verklärung sein, eine Art Martyrium des von Gerechtigkeit erfüllten Amtmannes. Doch führt das Ganze wieder nur zur Parodie der Parusie, zur transzendenzlos leeren, ja lächerlichen Wiederholung von Jesu Kreuzestod. Wie Jean Paul sagt, bahnt der Humor, als umgekehrt Erhabenes, über eine »Höllenfahrt« dem Lachen seine »Himmelfahrt«.

Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, S. 129.

Und dies mag auch erklären, wieso Kafka 1916 in München, bei seiner öffentlichen Lesung der Strafkolonie, seinerseits in Lachen ausbrach, während etliche Zuhörerinnen vor Schreck in Ohnmacht gefallen sein sollen. Nicht nur, dass der Amtmann Kafka im Jahr nach Entstehung der Erzählung im AUVA-Ausschuss für Heilbehandlung angestellt werden sollte, auch dass es im Text selbst heißt, »ähnliche Apparate« könne man »in Heilanstalten« besichtigen (ebd., 209), deutet darauf hin, dass hier weniger ›heilstheologische‹ Fragen das Thema sind, als dass es vielmehr um die ›Heilung‹ von der Bürokratie und, in diesem Zuge, um die heilende Wirkung des Lachens geht.

Der Offizier aber, der hartnäckig in der alten Strafjustiz und Bürokratie das Heil zu finden versucht, wird auch in seiner letzten Amtshandlung kein mysterium hinter dem ministerium finden: auf dem »Gesicht der Leiche«, heißt es, war »kein Zeichen der versprochenen Erlösung […] zu entdecken.« (ebd., 245) Diese Stelle bildet allerdings noch nicht den Schluss von Kafkas Erzählung. Seine Tagebücher dokumentieren, dass er für die seit 1914 entworfene Erzählung über Jahre hinweg nach einem geeigneten Schluss suchte. In einem seiner Textentwürfe steht der Reisende unter dem Eindruck jener, wie es heißt, »glatte[n] maschinenmäßige[n] Widerlegung, welche die Meinung des Off. hier gefunden hatte«. Grübelnd und erschöpft setzt er sich an die Grube:

Hätte sich sein Schiff durch diesen weglosen Sand hierher zu ihm geschoben, um ihn aufzunehmen, – es wäre am schönsten gewesen. Er wäre eingestiegen, nur von der Treppe aus hätte er noch dem Offizier einen Vorwurf wegen der grausamen Hinrichtung des Verurteilten gemacht. Ich werde es zuhause erzählen hätte er noch mit erhobener Stimme gesagt, damit es auch der Kapitän und die Matrosen hörten die sich oben neugierig über das Bordgeländer beugten. »Hingerichtet?« hätte daraufhin der Offizier mit Recht gefragt. »Hier ist er doch« hätte er gesagt und auf des Reisenden Kofferträger gezeigt. […] »Meine Anerkennung« mußte der R. sagen und sagte es gern. »Ein Taschenspielerkunststück?« fragte er noch. »Nein« sagte der O. »ein Irrtum ihrerseits ich bin hingerichtet, wie Sie es befahlen.« Noch aufmerksamer horchten jetzt Kapitän und Matrosen. Und sahen sämtlich wie jetzt der O. über seine Stirn hinstrich und einen krumm aus der geborstenen Stirn vorragenden Stachel enthüllte. (T, 826 f.)

Zuletzt gehen, nach Maßgabe einer tropisch getrübten Urteilskraft, Traum und Wirklichkeit oder Wirklichkeit und Möglichkeit wild durcheinander. Wenn Daten die Tropen der Menschen sind, werden mit der humanistischen Abschaffung bürokratischer Verfahren auch Beamtenexistenzen beseitigt – und was bleibt, sind die Widergänger des vormaligen ›officiums‹. Ähnlich wie im später entstandenen Text zu Poseidon assoziiert Kafka hier die Bürokratie mit ›weglosen‹ oder ›glatten‹ Räumen wie der Wüste oder dem Meer. Und in diesem Zusammenhang koppelt er einen möglichen Schluss der Erzählung an eine spätromantische und sagenhafte Erzählung: an Wilhelm Hauffs Gespensterschiff (1826). Bis zu seiner Erlösung muss dessen Kommandant nach Sonnenuntergang immer wieder ein und dieselbe Schreckensnacht erleben, in der er einst als Seeräuber einen frommen Derwisch hingerichtet hat. Tagsüber ist dieser Kommandant mit einem Nagel durch die Stirn untot an den Schiffsmast geheftet. Er ist damit ein Widergänger jenes sagenhaften Widergängers, der auf den neuzeitlichen Weltmeeren als ›Fliegender Holländer‹ gefürchtet war.

Berücksichtigt man, dass Kafka 1917, zur selben Zeit also, in seinen letzten Fragmenten zum ›Jäger Gracchus‹ eine weitere – auch bürokratisch einschlägige – Variante zum ›Fliegenden Holländer‹ ausbuchstabiert hat,

Vgl. hierzu Burkhardt Wolf, Fortuna di mare. Literatur und Seefahrt, Zürich, Berlin 2013, S.326–335.

zeigt sich, wie sein offener Schreibprozess seinerseits einen glatten, weglosen Raum interdiskursiver Bezüge durchquert. Im vorliegenden Textentwurf ermöglicht ihm der sagenhafte revenant der Seefahrtsgeschichte, zu seiner eigentlichen Pointe und zu seinem Erzählabschluss zu finden: Was von Sagen und Mythen fortwirkt, sind ihre gespenstischen Widergänger. Entsprechend ist das, was in der Strafkolonie ebenso wie in Habsburg, die sich 1917 gerade auflöst, von der alten Bürokratie bleibt, nur ein Grabmal und dessen Inschrift »Glaubet und wartet!« (D, 247). Das Grab des alten Kommandanten ist gleichsam Kafkas Kapuzinergruft. Und wenn sich in Mythen wie dem habsburgischen das Heilsversprechen artikuliert, der Bestand des alten Reichs sei im Glauben zumindest aufgehoben, so mag man daraus schließen: Nicht die Bürokratie ist unentrinnbar, wohl aber der mit ihr verquickte Mythos.

Bürokratisches Erzählen

Wie wäre von der Bürokratie abseits ihrer Mythen zu erzählen? Nach einer Antwort auf diese Frage hat Kafka in seinen fragmentarisch gebliebenen Romanen, besonders im Proceß und Schloß, gesucht. Durch die bloße Rede bürokratischer Figuren oder durch die Beschreibung bürokratischer Milieus kann man die Administration selbst nicht darstellen. Ein »Kommunikationsnetz« kann, wie es Niklas Luhmann formuliert hat, »nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen.«

Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Frankfurt am Main 1983, S. 212.

Wohl aber kann die Literatur sich in einem Erzählen üben, in dem Amtliches und Persönliches immer schon ineinander übergegangen sind. In der AUVA war Kafka der bevorzugte, weil vielseitigste ›Anstaltsautor‹. Als solcher aber produzierte er ausnahmslos Schriften, in denen gerade keine ›Persönlichkeit‹, sondern vielmehr eine Behörde zum Ausdruck gelangte. Wo Kafka als Autor zeichnete, war er zumeist nicht der Verfasser. Wo aber sein Vorgesetzter autorisierte, war fast immer Kafka am Werke. Was mithin statt seiner ›authentischen‹ Stimme zur Sprache kam, war ein modernes Verwaltungssystem: ein heterogenes Diskursgefüge von Hand- und Maschinenschriftlichem, Gutachten und Rekursen, Konzepten und Berechnungen – und nicht zuletzt von selbstreferenziellen Sprachregelungen und rechtsgültigen Verfügungen. (vgl. A, 18–20)

Wie beschrieben, musste die Prager AUVA die in Böhmen versicherten Betriebe in verschiedene ›Gefahrenklassen‹ einreihen. Doch wurde ihr »ein Recht zur Besichtigung der versicherten Betriebe nicht eingeräumt«, weswegen ihr Wahrnehmungsapparat hauptsächlich aus Schrift- und Datensätzen bestand. (A, Mat., 116 f.) Direkte Anschauung vor Ort nahm nur ein k. k. Gewerbeinspektor, der allein im ministeriellen Auftrag Zugang zu den Betrieben bekam. Ein solcher Inspektor hatte, wie es im Unfallversicherungsgesetz von 1887 heißt, »über die von ihm gemachten Wahrnehmungen unmittelbar an die Versicherungsanstalt die entsprechenden Mittheilungen zu richten.« (ebd., 52) Ein Versicherungsbeamter wie Kafka musste also mit unterschiedlichen Perspektiven haushalten: mit den Verlautbarungen der Unternehmer; mit den Mitteilungen der Inspektoren, die nur ausgewählte Einblicke in die Betriebe bekamen und natürlich selbst selektiv verfuhren; mit den Aussagen von Arbeitern oder mit etwaigen Unfallberichten; und schließlich mit dem, was die statistischen Zahlenwerke und entsprechenden Kalkulationen der AUVA sagten.

Schon weil die Anstalt nur Auskünfte einholen und diese nur formal und rechnerisch, zuweilen auch informell überprüfen konnte, waren ihre Berichte so heterogen wie vielstimmig. Und da sie möglichen Verschleierungsmaßnahmen der Unternehmer oder der immer möglichen Bestechlichkeit von Inspektoren auf den Grund gehen musste, hatten ihre Berichte zuweilen den Charakter detektivischer Ermittlungsprotokolle. So wie die AUVA in der Grauzone von Wissen und Nichtwissen, von Wahrscheinlichkeit und bloßem Schein der Wahrheit, von Mutmaßung und Verdacht operieren musste, ist Kafkas Erzählen wiederholt als ein ›hypothetisches‹ bezeichnet worden. Seine Erzählstimme ist, wie es Friedrich Beißner bereits 1952 beschrieb, »nirgends dem Erzählten voraus, auch wenn er im Praeteritum erzählt. Das Geschehen erzählt sich selber im Augenblick, in paradox praeteritaler Form«,

Friedrich Beißner, Der Erzähler Franz Kafka, Stuttgart 41961, S. 32.

und es erzählt dabei immer auch von der Beschränkung und gleichzeitigen Pluralisierung sämtlicher Erzählperspektiven.

Der »Deutungsfuror«, dem diese Erzählweise nicht nur bei den Interpreten, sondern schon bei den Erzählfiguren stattgibt, ist nach Günter Anders’ Formulierung »das Stigma der Entmächtigten«, das Manko dessen, der »die Welt interpretieren muß, weil andere sie verwalten«; zugleich ist er aber »Kafkas poetische Chance«, sein Sprungbrett »in die weiten und verschlungenen Horizonte der ›Wenns‹ und der Konjunktive«, die das Sein der Verwaltung in seiner Abgründigkeit enthüllen.

Günter Anders, Kafka. Pro und Contra. Die Prozeß-Unterlagen, München 1951, S. 48 f.

In Kafkas Erzähltexten artikuliert sich kaum jemals ein personales Erlebniszentrum. Fast immer bestehen sie aus Diskursgefügen, die allenfalls einer paradox unpersönlichen oder ›Vierten Person‹ zuzurechnen wären.

Zu Gilles Deleuzes Konzept der ›Vierten Person‹ bei Kafka vgl. Joseph Vogl, »Vierte Person. Kafkas Erzählstimme«, in: DVjs 68/4 (1994), 745–756, hier S.750, S.754.

Weil sämtliche pronominalen Aspekte aus eben dieser ›Vierten Person‹ hervorgehen und weil derart nicht einmal ein Ich-Erzähler (wie der der Erstfassung des Schloßes) ein privilegiertes Wissen von sich selbst, von seiner Lage und seinen Motiven hat, konnte Kafka seinen letzten Roman ohne Weiteres von einer Ich- auf eine Er-Erzählung umstellen. Wenn Kafka also ›amtssprachlich‹ erzählt, dann weniger, weil er damit die Kälte und Lebensfeindlichkeit der bürokratischen Schriftsätze zum Stilprinzip erhebt. Vielmehr sind für ihn Lebensformen unweigerlich institutionelle Fakten und muss für ihn ›das Leben‹, um nicht nur sprachlose Umwelt zu bleiben, immer schon durch den Wahrnehmungs-, Schreibund Diskursapparat der Bürokratie gegangen sein.

Dies zeigt sich am deutlichsten in seinen Romanen: episodisch noch im Verschollenen, konsequent dann im Proceß, der gleichzeitig mit der Strafkolonie verfasst wurde. Relevant wird hier nämlich Josef K.s Biografie, diese ›Schrift seines Lebens‹ erst, sobald ihn ein ungreifbares ›Gericht‹ als aktenkundig adressiert – als ›verhaftet‹, wie es in Kafkas parodistischem Rechtsjargon heißt. Einzig an den Rändern dieses ›Prozesses‹, in dem Josef K. gezwungen ist, sich einen Lebenslauf zu verschaffen und somit sein eigenes Leben, vermittelt über den Amtsweg, aktenförmig zu machen, regt sich ein Affekt, eine beunruhigende Wahrnehmung, die zu keiner Handlung führt: zuerst bei Josef K.s Verhaftung, die mit dem Schrecken des Erwachens, eines dunklen Uranfangs der Erzählung, zusammenfällt; und zuletzt, bei seiner Hinrichtung, als Scham, die ihn, der nur mehr nacktes Leben ist, zu »überleben« scheint.

Vgl. hierzu Kafkas Hinweis auf die – ursprünglich – geplante Kapitelfolge in seinem Brief an Max Brod, Zürau, ca. 20. November 1917, in: Frank-Kafka-Hefte 1, in: Franz Kafka, Der Process. Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, hg. von Roland Reuß und Peter Staengle, Frankfurt am Main, Basel 1997, S. 32.

Zwischenzeitlich, also im eigentlichen Romangeschehen, enthüllt sich das Gesetz wiederholt als ›Attrappe‹: Es ist eine Hohlform, die allein durch so end- wie sinnlos hinzugefügte Vor-Schriften gefüllt wird. Als Josef K. erkennt, dass ›das Gesetz‹ leer und der Gerichtsapparat bloße Kulisse ist, wird der bürokratische Charakter der allumgreifenden Macht nur umso deutlicher. In einem Fragment des Romans wird er telefonisch in eine Gerichtskanzlei vorgeladen und dabei gewarnt:

Seine unerhörten Bemerkungen darüber, dass die Verhöre unnütz sein [sic], kein Ergebnis haben und keines haben können […] dass er nicht mehr hinkommen werde, dass er teleph. oder schriftliche Einladungen nicht beachten und Boten aus der Tür werfen werdealle diese Bemerkungen seien protokolliert

Ebenda, Zu Elsa, S.6.

.

Dem ›Gericht‹ mag man, schon weil es sich in räumlicher Gestalt repräsentiert, noch entkommen. Der Bürokratie aber, die in einer rekursiven Volte selbst noch ihre Kritik und Missachtung zu den Akten nimmt, ist jeder ›verhaftet‹. Und dafür, dass ihre ›Anrufung‹ immer schon ergangen und, anders als bei einem Boten oder Brief, deren Annahme auch nicht zu ›verweigern‹ ist, zeugt an dieser Stelle das Telefon.

Führt Josef K. die Auseinandersetzung mit ›dem Gericht‹ immer nur zu dessen entleerten Schauplätzen, kann man daraus folgern: Es besteht, wie im habsburgischen Strafprozessrecht zu Kafkas Zeit festgeschrieben, nur ausnahmsweise in mündlichen und öffentlichen Hauptverhandlungen, im Normalfall aber in schriftlicher und geheimer Untersuchung.

Zum schriftlich-geheimen Inquisitionsprinzip im Untersuchungsverfahren und zu Alois Zuckers Kritik an dessen Dominanz in der Strafprozessordnung vgl. Wolf Kittler, »Heimlichkeit und Schriftlichkeit. Das österreichische Strafprozessrecht in Franz Kafkas Roman Der Proceß«, in: The Germanic Review, 78/3 (2003), 194–222, hier S. 195–199, S. 207.

Im Normalbetrieb fällt das Gericht mit Bürokratie zusammen. Was sie – die ja beide nur in Rechtsnormen und deren Stufenbau bestehen – unterscheidet, ist nach Kelsen nicht der mehr oder weniger enge Gesetzesbezug, sondern allein ihre organisationstechnische Verfassung und die »Qualität des für die Organfunktion zur Verfügung stehenden Menschenmaterials« – ein unterschiedlicher Grad von Engagement, Korruption und Konfusion.

Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925), Nachdruck, Wien 1993, S. 243.

Gibt es aber einen Schauplatz, auf dem die sogenannten ›Urteile‹ gefällt werden, dann nicht nur in den Amtsstuben. ›Urteile‹ gründen sich, wie es in einem Postskript zum Proceß heißt, »auf Erhebungen hier und dort, bei Verwandten und Fremden, […] in der Familie und in der Öffentlichkeit, in Stadt und Dorf, kurz überall.« (N II, 378)

Bei ›Erhebungen‹ mag man zunächst an statistische Datensammlungen denken, wie sie Behörden nach Art der AUVA produziert haben. Doch scheint bereits im Proceß die Sphäre des Bürokratischen längst aus den Amts- und Schreibstuben und aus dem Verfügungsbereich der Inspektoren und Statistiker heraus diffundiert. Nur ausnahmsweise ergehen Urteile zu Gericht, nur ausnahmsweise werden Erhebungen von Amts wegen angestellt. Im Normalfall geschieht das, was Luhmann das »Ereignis« bürokratischer Entscheidung nennt,

Niklas Luhmann, »Organisation«, in: Willi Küpper, Günter Ortmann (Hg.), Mikropolitik Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen, Wiesbaden 21992, S. 165–185, hier S. 169 f.

im Sozialen. Und das heißt einerseits: an den kulturellen Ausfransungen innerhalb der Verwaltungen, in jenem Informellen, das sich an den bürokratischen Akt anlagert – sei es Sympathie oder Antipathie, Höflichkeit oder Affekt, Billigkeit oder Korruption, Schriftlichkeit oder Mündlichkeit im Amt selbst sowie im Verkehr zwischen Behörde und Bürger. Andererseits ist das Soziale überhaupt entscheidend: jenes Außeramtliche, das sich nicht in die Bürokratie einlagert, sondern auf das hin sich die Bürokratie selbst öffnet.

Die kommunikative Bürokratie

Unter diesen Vorzeichen ist, wie es im Proceß heißt, für »den Verdächtigen«, also letztlich für uns alle, »Bewegung besser als Ruhe, denn der welcher ruht kann immer, ohne es zu wissen auf einer Wagschale sein und mit seinen Sünden gewogen werden.« (P, 262) Einmal als juristisches Theater der Referenz erkannt, entpuppt sich das Gericht als bürokratisch-biopolitische Institution, die nirgendwo und überall waltet; die unser Leben verwaltet, indem sie es ›schreibt‹ und, mehr noch, jederzeit zu stimulieren versucht. Kafkas letztes Romanfragment (von 1922) dreht sich um eben diese unsere Lage vor der Institution, oder besser: um die Lage der Institution in unserem Leben. Derlei Lageverhältnisse versucht hier jedenfalls ein Landvermesser zu erkunden: kulturgeschichtlich der Träger jenes Amts, das den Boden und seine Gliederung, den Raum und ›nomos‹ allen sozialen Lebens, das also den Spiel- und Möglichkeitsraum von Kultur bezeichnen soll und damit auch die Grundlagen imperialer Verwaltung sondiert.

Vgl. Wolfgang Schäffner, »Raster-Orte«, in: Annett Zinsmeister (Hg.), Constructing Utopia. Konstruktionen künstlicher Welten, Zürich, Berlin 2005, S. 47–56, hier S. 48 f., S.51.

K. versucht, im ›Dorf‹ die sozialen Netzwerke zu kartografieren, dann im ›Schloß‹ die »Bureaueinrichtungen«, die hier als »das Wichtigste« gelten. (S, 108)

Die folgenden Stellennachweise aus dem Schloß werden ohne Sigle S gegeben.

Von den Dorfbewohnern wird indessen der Landvermesser, dessen Beruf zu Kafkas Zeit als Musterbeispiel einer ›kakanisch‹ unsicheren ›Stellung‹ galt,

Zum berufsbedingten »entgleiten« und »nicht festbleiben« der Landvermesser vgl. Hermann Wolff, Die akademischen Berufe, Bd. VI.: Der Techniker, Berlin 1919, S.276, S. 278. Zum Kampf der k. k. Angestellten um eine feste ›Dienstpragmatik‹ und zur damit verbundenen Hoffnung auf eine gesicherte Stellung vgl. Andrew Weeks, »Kafka und die Zeugnisse vom versunkenen Kakanien«, In: Sprache im technischen Zeitalter 88/15 (1983), S. 325–332.

als nicht integrierbares, nichtiges und noch dazu störendes Element bezeichnet. Die Wirtin etwa sagt zu ihm: »Sie sind nicht aus dem Schloß, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind nichts. Leider aber sind Sie doch etwas, ein Fremder, einer der überzählig und überall im Weg ist, einer wegen dessen man immerfort Scherereien hat […].« (80)

K., den man als Bürokratie-Kritiker in Zeiten einer bürokratiekritisch optimierten und dauerhaft reformierten Bürokratie betrachten kann, tritt zur Vermessung eines sozialen ›nomos‹ an, der sich nicht einmal mehr räumlich projizieren lässt: Schon die hier alles beherrschende Basisunterscheidung zwischen ›Dorf‹ und ›Schloss‹ führt in die Irre. Denn sobald im Dorf, ist man bereits im Schloss – und doch niemals dort, weil es sich aus nächster Nähe als »ein recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern zusammengetragen«, entpuppt. (17) Zwischen Schloss und Dorf, Bürokratie und Sozialem ist keine feste und »bestimmte Grenze« gezogen, vielmehr verschlingen sich Amt und Leben auf unvorhersehbare Weise; voneinander getrennt sind sie allein durch mobile und flexible, zuweilen unmerkliche, zuweilen unüberwindliche »Barrieren«. (S, 275) Man kann auch nicht behaupten, vom Schlossberg aus, auf dem eine zumindest »scheinbare Leere« (7) herrscht, fiele ein panoptischer Blick auf das zwanglos disziplinierte und daher wenigstens ›scheinbar‹ ungezwungene Leben ringsherum. Zwar ist für K. unverkennbar, »daß er beobachtet« wird; doch »die Blicke des Beobachters konnten sich nicht festhalten und glitten ab.« (156) Keineswegs unterdrückt hier eine allem entrückte Bürokratie das ihr ausgesetzte Leben; wie die Szene der Aktenverteilung (431–433) zeigt, wird der behördliche Apparat von innen her durch bürokratische Leidenschaften und Idiosynkrasien beherrscht, gibt es also in der Anstalt selbst ein soziales Feld mit eigenen Gliederungen und Dynamiken.

Wenn K. zufällig »die Verteilung der Akten« zu Gesicht bekommt, also sieht, »was niemand mitansehn« darf, weil es ihm die Spontaneität und Zufälligkeit vor Augen führt, mit der man seinen eigenen »allerkleinsten Fall« bearbeitet (438, 444), wird ihm eine exponierte Rolle als Beobachter zuteil. Im Dorf wie im Schloss ein teilnehmender Beobachter, übt K. Bürokratie-Kritik im Modus der Autopsie. Dadurch aber kann ›K.‹ umso mehr als Statthalterfigur des Schloß-Autors Kafka dienen, denn beide stehen inner- und zugleich außerhalb der Bürokratie. Mehr noch: Sowohl Kafkas Schriftstücke als auch die des Schlosses werden zumeist nächtens verfasst, finden aber zu keiner Geschlossenheit und zu keinem Abschluss. Der fiktionale bürokratische Schreibverkehr entspricht Kafkas realem literarischem Schreibprozess, zumal jener wie dieser von den Sekretären beziehungweise von Kafka selbst als »schlechte Angewohnheit« (174) bezeichnet wird und insbesondere textintern wie textgenetisch unklar ist, wo Das Schloß eigentlich anfängt und wo es aufhört.

Zur ›grenzüberschreitenden‹ Schreibweise Kafkas und zur willkürlichen Abtrennung des ›Fürstenzimmerfragments‹ durch Max Brod vgl. Matthias Schuster, Franz Kafkas Handschrift zum Schloss, Heidelberg 2012, S. 51.

So »unsicher« wie die Lage der Institution muss aber auch die Stellung des Landvermessers sein. (85) Denn nicht nur, dass K. das ›Schloß‹ und ›Dorf‹ nur dadurch zu ›vermessen‹ vermag, dass er vermessen genug ist, immerzu in die privaten und intimen Angelegenheiten der Dorfgemeinschaft und auch der Beamten einzudringen, was hier niemand »brauchen« kann und den Posten des Landvermessers nur umso überflüssiger macht. (95) Unklar bleibt auch, ob er als Landvermesser aufgenommen ist, und was eine Aufnahme anderes bedeuten könnte, als weiter auf Stellensuche zu gehen. Das Attribut, das Kafka ursprünglich für K. vorgesehen hatte, war sinnfälligerweise: »arbeitslos«.

Rückseite des Blattes 55 von Kafkas Handschrift. Zit. nach: Ebenda, S. 132.

Später heißt es, K. habe sich eine gewisse Stellung der »Unverletzlichkeit« erkämpft, die allerdings in einer sinnlosen und verzweifelten Freiheit zum Warten bestehe. (169)

Diese ›Freiheit‹ muss nicht bedeuten, dass man nicht ›aufgenommen‹ oder gar ›entlassen‹ ist. »Niemand hält Sie hier zurück, aber das ist doch noch kein Hinauswurf« (118), wird K. einmal erklärt. Später wird ihm bescheinigt, seine »landvermesserischen Arbeiten« seien »lobenswert«, obwohl K. nicht recht versteht, wie eine »Arbeit, die ich nicht mache«, gelobt werden kann. (187, 189) Er begreift offenbar nicht, dass im Aufgabenprofil der Angestellten die Dauerbereitschaft zur Kommunikation zusehends wichtiger wird als konkrete Verrichtungen. Während man, mit Dirk Baecker gesagt, in klassischen Organisationen »nur auf seinen Stellenplan und in seine Aufgabenbeschreibung zu schauen brauchte, um herauszufinden, was von einem verlangt wurde«, muss jetzt endlos »kommuniziert« werden.

Dirk Baecker, Organisation und Management, Frankfurt am Main 2003, S. 37.

Als wäre er unter den neuen bürokratischen Verhältnissen zu einer endlos irrenden ›Ahasver‹-Figur geworden, heißt K. deshalb im Dorf bald »der ewige Landvermesser«. (37) Und sagt er einmal im Stile eines Querulanten: »Ich will [...] mein Recht« (119), so bleibt dieser womöglich aufrührerische Affekt folgenlos, weil letztlich gegenstandslos. Im Schloss gibt es nämlich so wenig klassische Rechte wie dauerhafte Berechtigungen zu vergeben. Niemand kann den Zugang zu jenem Sozialen verbürgen, in dem offenbar die entscheidenden Entscheidungen fallen.

Dies zeigt schon der Brief Klamms: Dieser höhere Beamte, dessen Name im Tschechischen nichts anderes als ›Illusion‹ bedeutet, teilt K. schriftlich mit, er sei, »wie Sie wissen in die herrschaftlichen Dienste aufgenommen.« (40) Im Gespräch mit dem Dorfvorsteher wird K. aber schon bald klar, dass der Brief keine Aussage enthält, und schon gar keine rechtsverbindliche, sondern nur eine Äußerung darstellt, deren »private Bedeutung im freundschaftlichen oder feindseligen Sinne« zu nichts berechtigt, zugleich aber viel wichtiger ist als jede »amtliche Zuschrift«. (114, 117) Das Schreiben bestätigt K.s ›Aufnahme‹. Es verspricht, ihm, »soweit es möglich ist, gefällig zu sein«, versichert ihm aber auch, Klamm werde ihn »nicht aus den Augen verlieren«. (40) Dafür, dass er aufgenommen ist, wird K. allerdings – wie jedem prekär Beschäftigten – die »Beweislast« aufgebürdet. (114) Bereits in den 1920er-Jahren hatte man sich also offensichtlich mit halbamtlich beglaubigten Vielleicht-Anstellungen zu arrangieren; und hatte man die fortlaufende Stellenkonkurrenz als Mittel zu begreifen, sich eine vitale und rührige, das heißt ›flexible‹ Angestellten-Identität zu verschaffen. Kracauer etwa schrieb über die stolze »Existenzunsicherheit« des neuen Angestellten: »Er fühlt sich ordentlich geschmeichelt darüber, daß die Voraussicht anerkannt wird, mit der er es fertig gebracht hat, stets ersetzt werden zu können.«

Kracauer, Die Angestellten, S. 13, S. 28.

Wenn Bescheide wie der Klamms als private Äußerungen zu verstehen sind, entwickeln verwaltete Subjekte einen regelrechten ›Deutungsfuror‹. Erreicht K. eine Nachricht, so interpretiert er, um dem vermeintlichen Sinn der Äußerung habhaft zu werden, auch das Äußere des Boten, denn alles, »auch sein Blick, sein Lächeln, sein Gang schien eine Botschaft zu sein, mochte er auch von dieser nichts wissen.« (46) Die amtliche ›Anrufung‹ (Louis Althusser) hat den Amtsverkehr zu einer Kommunikation werden lassen, in der neben unablässiger Bereitschaft auch die dauernde Konjektur entscheidend wird – und dies sogar bei Botschaften, die man selbst an die Behörden richtet. Folglich ist bei jener Nachricht, die K. seinerseits an Klamm expedieren lässt, weniger der Wortlaut entscheidend als vielmehr, wie sie als Äußerung »vor Klamm erklingen« wird. (197) Und versucht K. seinerseits, einen Beamten – im Doppelsinne – ›anzurufen‹, kann er nicht sichergehen, dass der Angerufene auch der Beamte ist. »Vielmehr ist es wahrscheinlich ein kleiner Registrator«, weshalb selbst die exakte Adresslogik der Telefonie nichts anderes verbürgt, als dass kommuniziert wird. Technisch gesprochen, das »Rauschen« und, organisationsmythisch verstanden, der »Gesang«, den man im Dorf vom Kommunikationsaufkommen des Schlosses alleine zu hören bekommt, sind »das einzige Richtige und Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Telephone übermitteln, alles andere ist trügerisch.« (116 f.)

Dass an der Kommunikation nur ihr Stattfinden sicher ist, nicht aber, wie in ihr Information und Mitteilung verknüpft sind; und dass die Bedeutung der Aussagen ganz und gar vom Sinn der Äußerungen, vom Kontext und der Weise des Aussagens abhängt – aus dieser doppelten kommunikativen Unsicherheit speist sich letztlich das Mysterium der Bürokraten, ihrer Allgegenwart und ihrer Erscheinungsweisen. Zwar erscheint unter diesen Vorzeichen ein Beamter wie Klamm geradezu entrückt. Wenn aber selbst subalterne Figuren wie die Gehilfen dafür bürgen, dass Klamm jederzeit »Zutritt« zu K. selbst bekommen kann, sollte man weniger von seinem Entzug oder seinem Rückzug auf erratische Bescheide als von seiner »Überfülle« sprechen – es gibt eher »zu viel Klamm«.

Kafkas Manuskript, S.36, 19r, 23r, zit. nach: Schuster, Franz Kafkas Handschrift zum Schloss, S. 333, S. 335.

Ist die Bürokratie mit dem Leben regelrecht ›verklammert‹, dann gibt es auch keinen strikten Unterschied »[z]wischen den Bauern und dem Schloß«. (20) Weil er mit jedem kommunikativen Ereignis seine Stellung zu wechseln scheint, ist ein Beamter nicht nach Art eines ›Individuums‹ zu adressieren. Auf ›dividuelle‹ Weise verändert er laufend seine Bestimmung und Erscheinung, sodass sich die Bürokraten untereinander einmal unterscheiden, dann wieder gleichen, zwischen ihnen eine »immerfort angezweifelte Ähnlichkeit« herrscht und es keine Überraschung sein kann, dass sich die Beamten gegenseitig immerzu »vertreten« (295). Taucht er im Dorf selbst auf, dann ändert ein und derselbe Beamte mit jeder Verrichtung (beim Biertrinken oder im Gespräch, beim Wachen oder Schlafen) unablässig sein »wirkliches Aussehn«. (278, 286)

»Nun gehn natürlich alle diese Unterschiede auf keine Zauberei zurück, sondern sind sehr begreiflich«, wie Olga erklärt, denn sie »entstehen durch die augenblickliche Stimmung, den Grad der Aufregung, die unzähligen Abstufungen der Hoffnung oder Verzweiflung, in welcher sich der Zuschauer« sein Bild vom Beamten macht. (278) Amtswesen erlangen ihr Mysterium also nicht durch rein amtliche, sondern generell durch soziale Kommunikation, die das Bild vom Bürokraten immerzu neu perspektiviert und affektiv auf diese oder jene Weise färbt. Oder anders gesagt: So wie die bürokratische und soziale Sphäre tendenziell zur Deckung gebracht werden, entscheiden über den Erfolg des amtlichen Parteienverkehrs zusehends die zwischenmenschlichen Beziehungen, die jeweilige Positionierung im persönlichen Netzwerk und die entsprechende emotionale Wirkung, die man aufeinander ausübt. Bei Kafka zeichnet sich damit bereits jenes Managementprogramm ab, das ab den 1930er-Jahren unter dem Titel der ›human relations‹ firmieren wird. Am wichtigsten sind folglich an Klamms Schreiben, diesem – wie es der Dorfvorsteher nennt – »Privatbrief« (114), die mit ihm eröffneten ›Beziehungen‹. Wie jeder Beamte, ja wie jeder Bote, ist Klamm nicht gerade ein »Freund«, wohl aber ein »Geschäftsfreund« (112), welcher nicht nur den Verkehr mit den Behörden erleichtern kann, sondern diese auch als Privatperson vertritt.

Letztlich findet die wirkliche Bewährung der ›Stellensuchenden‹ nicht erst im amtlichen, sondern bereits im sozialen Verkehr statt, zu dessen lebendiger Gestaltung die Bürokratie ja letztlich anreizen soll. Bei seinen Bemühungen um Anerkennung dämmert K. deshalb sehr bald, »daß hier ein etwas leichtsinnigeres Verfahren, eine gewisse Entspannung nur direkt gegenüber den Behörden am Platze war, während sonst aber immer große Vorsicht nötig war, ein Herumblicken nach allen Seiten vor jedem Schritt.« Unter den Bedingungen der Reformbürokratie sind Amt und Leben, wie es heißt, so verflochten, als »hätten sie ihre Plätze gewechselt«. (94) Nur »kindlich« war also K.s anfängliche Vorstellung, »dort oben« herrsche entrückt »die Behörde in ihrer unentwirrbaren Größe« (291). Jenes »außeramtliche, völlig unübersichtliche, trübe, fremdartige Leben«, in das er sich zunächst zurückverwiesen sieht, entpuppt sich als eigentlicher Wirkungsraum der Behörden, herrscht hier doch immer schon eine gewisse »Lückenlosigkeit der amtlichen Organisation«, sodass »jeder der irgendein Anliegen hat oder der aus sonstigen Gründen über etwas verhört werden muß, sofort, ohne Zögern, meistens sogar noch ehe er selbst sich die Sache zurechtgelegt hat, ja noch ehe er selbst von ihr weiß, schon die Vorladung erhält.« (417)

Das Amtsbegehren

Der »behördliche Apparat« fällt mit dem sozialen Organismus, seiner »Spannung« und »Aufreizung« zusammen, weshalb hier wie da »die Leidenschaft, mit welcher die Sache ergriffen wird«, entscheidend ist. (110, 420) Nicht nur innerhalb der Amtsstuben, allerorten macht sich ein gewisses ›Amtsbegehren‹ geltend. Und dieses gründet, am deutlichsten bei K., im schlichten »Verlangen hier zu bleiben« (215), also eine feste Stelle zu finden. Hierzu sind Beziehungen zu den Ämtern vonnöten, die wiederum nur durch soziale Beziehungen aufzubauen sind. (vgl. 495) Einmal mit den Behörden in Kontakt, bedarf es aber auch hier sozialer Kompetenzen, ja regelrechter Verführungskünste, denn »amtliche Entscheidungen sind scheu wie junge Mädchen«. (273) Wenn es im Amtsverkehr keinen einsinnigen, eindeutigen und hierarchischen Instanzenzug mehr gibt,

Kafkas Schloß-Manuskript mit seinen zahlreichen Neuansätzen und Korrekturen, Verzweigungen und Streichungen hat man mit dem dezentralisierten Verwaltungssystem des Schlosses verglichen, das in diesem Sinne eine metapoetische Figur seines Schreibens darstellt. Dieses Schreiben aber könne nicht einfach, wie durch Max Brod und seine späteren Herausgeber geschehen, auf die abgeschlossene Form eines edierten ›Werks‹ gebracht werden. – vgl. Ebenda, S. 53, S. 55, S. 65, passim.

auf den sich das Amtsbegehren richten könnte, und wenn Entscheidungen dezentral, hie und da, auf den Behörden so sehr wie im Sozialen getroffen werden, kann es freilich auch zu Ungleichzeitigkeiten, zu Vorwegnahmen und Aufschüben kommen, sodass man über eine »längst entschiedene Angelegenheit noch immer leidenschaftlich berät.« (110) Die ›gute Ordnung‹ der alten Bürokratie gerät in diesem Zuge vollends durcheinander, und so scheint man auch K.s Akte verwechselt und ihm dann irrtümlich das Stellenangebot eines Landvermessers zugestellt zu haben.

Einerseits verdankt sich K.s Amt einem bürokratischen Fehler. Andererseits aber kann hier kein Fehler vorliegen, ist es doch, wie der Dorfvorsteher sagt, »ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet wird.« (104) Tatsächlich gibt es hier keine Fehler mehr, insofern Fehler keine Verfehlungen, sondern erwünscht sind. »Das richtige Verhalten ist keine Verpflichtung auf bestimmte Vorgaben mehr«, wie man zur heutigen Managementkultur festgestellt hat, »sondern eine Reflexion auf die Frage, was aus Fehlern gelernt werden kann. […] Die Fehlerkultur gipfelt in Verhältnissen loser Nachbarschaft, in denen Verbindungen geknüpft und wieder aufgelöst, gestärkt und wieder geschwächt werden.«

Dirk Baecker, Organisation und Störung, Berlin 2011, S. 58.

Das ›Dorfschloss‹ oder ›Schlossdorf‹ ist so gesehen eine bestens fehlgesteuerte Kontrollgesellschaft – und kontrolliert wird hier (frei nach Kleist), wie man durch einen schönen Fehler mit sich selbst bekannt geworden.

Vgl. Baecker, Organisation und Management, S.40 in Abwandlung von Kleists Marquise von O.

Nicht eine oberste Behörde kontrolliert diese Fehlerkultur. »Es gibt nur Kontrollbehörden«, heißt es im Roman. (104) Bürokratien sind letztlich nicht mehr spezifische Mittel, die ›rational‹ auf feste Zwecke programmiert wurden. Vielmehr bestehen sie nur in der pausenlosen »Organisation der Organisation durch Kommunikation«.

Ebenda, S.19.

Zu kommunikativen Ereignissen innerhalb einer allumfassenden Dauerkommunikation geworden, dienen sämtliche Behörden der, wie es heißt, »bewunderungswürdigen Einheitlichkeit des Dienstes«. (92)

Vor dem Hintergrund dieser Fehler- und Kontrollkultur kann es dem Stellensuchenden K. nur helfen, dass seine Akte, in die er Einsicht begehrt, offensichtlich verstellt wurde. »Der Akt ist also nicht gefunden«, resümiert der Vorsteher die vergebliche Suche. »Schade, aber die Geschichte kennen Sie ja schon, eigentlich brauchen wir den Akt nicht mehr.« (113) Und tatsächlich braucht der Roman keine Büro-Akten mehr, sondern beschränkt sich fortan auf Erzähl-Akte. Einerseits geht er über in jenes Genre der ›Dorfgeschichten‹, mit dem man seit dem Vormärz gegen die Bürokratie, zugleich aber für die gemeindliche Selbstverwaltung und ihr »frisches, selbsttätiges Leben« gekämpft hat.

Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem, S. 267. – Zur Dorfgeschichte vgl. exemplarisch Marcus Twellmann, »›Leben‹ im Vormärz. Zu Berthold Auerbachs Poetik einer volkstümlichem Literatur«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 133 (2014), S.267–290.

Andererseits vermisst er aufs Neue jenes Terrain, das die habsburgische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach seit 1883 mit ihren Dorf- und Schloßgeschichten abgesteckt hat. Für Kafka kann es aber mittlerweile keine Geschichten mehr geben, die von der Verwaltung gänzlich unberührt geblieben wären. Immer schon, ob nun aufs Dorf oder aufs Schloss bezogen, schöpfen sie aus Akten oder werden selbst zum Gegenstand von Akten.

›Schloßgeschichten‹, wie sie im Dorf erzählt werden, dienen dabei nicht nur der »Unterhaltung«; von ihnen »nähren« sich etliche Dorfbewohner, weil sie von ihnen Aufschluss erhoffen über den weitreichenden »Einfluß«, den das Schloss auf »die Existenz eines Menschen«, auf das Schicksal ganzer Familien oder die Zukunft des Dorfs insgesamt nimmt. (102, 322 f.) Umgekehrt verschaffen ›Dorfgeschichten‹ den Behörden Aufschluss über verwaltungsrelevante Einzelfälle, aber auch über den Aggregatszustand des Sozialen und über die kursierenden Erwartungen an das Schloss, sodass etliche Aktenvorgänge auf bloßen Klatschgeschichten beruhen. Sobald Amt und Leben und damit auch Bürokratie und Erzählen in derart engen Austausch, ja fast zur Deckung kommen, enthalten Dorfgeschichten ebenso die umlaufenden Schlossgeschichten wie Schlossgeschichten die amtliche Sammlung von Dorfgeschichten. Nicht nur ›archaische‹, auch und gerade moderne und reformierte Bürokratien zehren also von Geschichten, gehören diese doch zu jener lebensweltlichen Handlungssphäre, die vom amtlichen Entscheidungsapparat nicht mehr kategorial zu trennen scheint. Behördliches entscheidet sich hier ebenso sehr im Alltäglichen, wie Allerweltshandlungen von den Behörden motiviert werden.

Zwar führt, wie es heißt, »der einzige Weg« zu den Beamten und Behörden »durch die Protokolle«, (177) scheint also nach wie vor eine alles beherrschende Schriftmacht den Gang der Dinge zu steuern. Doch ist die Textsorte Protokoll generell ein Transformator zwischen Rede und Akte, und zudem werden die Mitschriften hier von höheren Beamten wie Klamm prinzipiell nicht gelesen. Mehr noch: Sie werden nur informell und »halbamtlich« geführt und zuweilen in »Abwesenheit nachträglich aufgesetzt von jemandem, der gar nicht bei der Besprechung war« (143). Sie dienen somit eher im rituellen und symbolischen als im beweiskräftigen Sinne der neuen guten Ordnung. Nicht anders ist es um die eigentlichen Amtstermine, um die Anhörungen und Verhöre bestellt: Hier kennt man letztlich keinen »Unterschied zwischen gewöhnlicher Zeit und Arbeitszeit«, zwischen sozialem und amtlichem Umgang mehr. (411) Wie im Falle von K.s Besuch bei Bürgel kann der Amtsverkehr auch nachts vonstattengehen, und es entscheidet hier weniger die Aktenlage als abermals »die Leidenschaft, mit welcher die Sache ergriffen wird«. (420) An die Stelle bürokratischer Sprachregelungen kann hier leicht eine »Sprache der Liebe« treten, die würdige Amtshandlungen in regelrechten Amtsmissbrauch übergehen und die Parteien in einer kurzzeitigen unio mystica verschmelzen lässt.

Vgl. hierzu Michael Niehaus, Das Verhör. Geschichte – Theorie – Fiktion, München 2003, S.478–480.

Hat das allgegenwärtige ›Amtsbegehren‹ zuletzt Amt und Leben fast ununterscheidbar gemacht, kann auch nicht mehr von einer obrigkeitlichen oder Fremdverwaltung die Rede sein. Der Kampf um Selbstverwaltung, den sich die Dorfgeschichten des Vormärz auf die Fahnen schrieben, scheint bei Kafka gewonnen. Die ›lebendige Institution‹ ist vom Verkehr und von den Befindlichkeiten der Bevölkerung nachgerade untrennbar. Die Schlossbehörden können, wie jeder beliebige Dorfbewohner, ebenso gnadenlose Ungerührtheit wie informelle Empathie zeigen. Und im Zuge dieser Annäherung von Amt und Leben hat die Verwaltung zuletzt auch einen gewissen ›narrative turn‹ vollzogen: Das Schloss schreibt offenbar nur mehr, um das Dorf erzählen zu lassen. Doch verlieren sich diese Erzählungen immer mehr im Hörensagen: »Er sagte, dass sie sagte, dass sie gehört hatte, dass er gesagt hatte, usw. In diesen unübersichtlichen Wechseln von Erzählerinnen und Erzählern, Standpunkten und Referenzen«

Malte Kleinwort, »Das Schloss zwischen Buch und Handschrift«, in: Ders., Joseph Vogl (Hg.), »Schloss«-Topographien. Lektüren zu Kafkas Romanfragment, Bielefeld 2013, S. 85–108, hier S. 103.

erschöpft sich zuletzt das Romanfragment – und mit ihm auch der unermüdliche K. Wenn man will, kann man an Kafkas Schreiben (und Leben) jene Auffassungen und Praktiken nachbuchstabieren, die seit der Jahrhundertwende dem Problem menschlicher Ermüdung galten: von den unternehmerischen Maßnahmen, die der Energieökonomie des Arbeiters durch die Balance von Leistungsintensität und Erholung gerecht werden wollten; über die lebensreformerische Sorge um einen tendenziell überanstrengten und morbiden Körper; bis hin zum ›Stress‹, den man seit den 1930ern in lebenswissenschaftlichen Homöostasekonzepten entdeckte und sogleich auf den flexibilisierten, eigenmotivierten und jederzeit um Statusgewinn ringenden Angestellten übertrug.

Von Anbeginn, schon bei der ersten Annäherung an das Schloss, zeigt sich K. erschöpft – zunächst nur von der Anreise, dann aber von jeder neuen Bekanntschaft. (vgl. 7, 21) Fortan wird er versuchen, »seine Kräfte gesammelt zu halten«. (54) Schließlich ist das Ermüdende seiner Stellensuche nicht, dass ihm jemals »mit wirklichem Zwang gedroht« würde, sondern vielmehr, dass ihm tagtäglich »die Gewalt der entmutigenden Umgebung, der Gewöhnung an Enttäuschungen, die Gewalt der unmerklichen Einflüsse jedes Augenblicks« zugemutet wird. (43) Freilich betrifft diese Erschöpfung hier alle und jeden: Auf Boten wie Barnabas wirkt ihr Dienst in unablässiger Aufmerksamkeit ebenso »ermüdend« wie auf die niederen Beamten, die vom seinerseits erschöpften Klamm weitere »Störungen« fernzuhalten haben. (282, 428) Jeder scheint hier »immerfort müde […], ohne daß dies aber die Arbeit schädigte, ja es schien sie vielmehr zu fördern«, weil unablässige Erschöpfung mit unablässigem Bemühen zusammenfällt. (429) Dennoch mündet das alles beherrschende ›Amtsbegehren‹ zuletzt in die »Versuchung […], sich ins Bett zu legen und endlos zu schlafen.« (403) Beim immer müden Bürgel, der sein Büro zu einem Schlafplatz umgewandelt hat, um vom Bett aus sämtliche »Korrespondenzen« und »Parteieinvernahmen« zu erledigen, (406) gibt K. dieser Verlockung nach und findet im Schlaf endlich Rast und Ruh. Was er zuletzt aufgibt, ist sein Amtsbegehren.

Denn nicht nur durch ›schöne Fehler‹, sondern (wie es bei Kleist exakt heißt) durch »schöne Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht«, findet er sein letztes Ziel darin, vom ziellosen Streben loszukommen.

Heinrich von Kleist »Die Marquise von O…«, in: Ders., Sämtliche Werke und Briefe, hg. von Helmut Sembdner, Bd. II., München 32013, S. 104–143, hier S. 126.

Offenbar hat er erkannt, dass ihm mit dem Niedergang der alten Bürokratie und mit der Einrichtung lebensgerechter ›Adhocratien‹ zwar die verschuldende Kraft des Gesetzes und der ermüdende Druck der Disziplin erspart bleibt, dafür aber dauernde Initiative, Veränderung und Flexibilität, mithin die einsame Verantwortung um seinen Werdegang abverlangt wird. Als ›erschöpftes Subjekt‹ begibt sich K. zu guter Letzt nicht mehr auf die Ämter, sondern versenkt sich in die Geschichten, wie sie vom Schloss und Dorf im Umlauf sind – insbesondere in Olgas ausufernde Erzählung, die im Buchdruck auf fast hundert Seiten kommt. Als Zuhörer übt er sich zunächst in grenzenloser Empathie für alles geschilderte Leiden, das Olga und ihrer Familie widerfahren ist. Unter dem Eindruck der stundenlangen Erzählung wird er jedoch irgendwann apathisch, gibt jede Seelenbestrebung auf, die nach einem Amt wie dem des Landvermessers verlangt – und verschwindet zuletzt zur Gänze aus allen Geschichten. Nicht einmal als Zuhörer scheint er mehr präsent. Seine ewige Stellensuche, seine eigene Geschichte und damit auch die Romanhandlung gelangen an ihr offenes Ende. Dieses Ausufern und Ausfransen der Erzählung hat man als Kafkas ›Spätstil‹ bezeichnet.

Vgl. hierzu Malte Kleinwort, Der späte Kafka. Spätstil als Stilsuspension, München 2013, S. 185–198.

Doch anders als die Entstehungszeit des Romans kurz nach dem Ende des Reichs und seiner Bürokratie vermuten lässt, mündet dieser Spätstil nicht in Sentimentalität und Nostalgie. Kafka blickt nicht melancholisch zurück auf dem habsburgischen Mythos. Er blickt vielmehr erschöpft nach vorn – nach vorn in unsere Gegenwart.

Kafkas Texte hat man als »Mitschriften« bezeichnet, die sich nicht nur metaphorisch oder thematisch um Fragen der Bürokratie drehen, sondern mit ihr bereits ›metonymisch‹, nämlich auf Ebene der Schreibverfahren alliiert sind.

Vgl. hierzu Kerstin Stüssel, In Vertretung. Literarische Mitschriften von Bürokratie zwischen früher Neuzeit und Gegenwart, Tübingen 2004, S.2.

Zur Bürokratie steht Kafkas derart ›protokollarisches‹ Schreiben in einem Verhältnis der Zeitgenossenschaft, aber auch der reflexiven Distanz. Ihre diversen Aggregatszustände – von amtsadligen Kulturträgern über biopolitische Institutionen bis hin zur flexiblen Kontroll- und Kommunikationsmacht der Zukunft – verbindet er in diesem Zuge mit jeweils eigentümlichen Formen der Vergemeinschaftung, die das ›Staatsdefizit‹ der Habsburgermonarchie zuletzt durch ein spezifisches ›Amtsbegehren‹ ausgleichen sollen. Kafkas unterschiedliche Formen der Mitschrift – von der Demontage althabsburgischer Mythen über die Analyse formaler Administrationstechniken bis hin zur Vermessung bürokratisierter Lebenswelten – kann man als unterschiedliche Modi der Bürokratiekritik verstehen. Als letzte und triftigste Form dieser Kritik erscheint aber die Erschöpfung des Bürokratiediskurses selbst. Mit ihr geht Kafka nicht nur über jenen Stand hinaus, den die Bürokratiereform und -reflexion seiner Zeitgenossen erreicht hat. Er überschreitet auch die Gattung literarischer ›Mitschrift‹.

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schema der Hollerith-Maschine, aus: Rudolf Lindner, Bertram Wohak und Holger Zeltwanger, Planen, Entscheiden, Herrschen. Vom Rechnen zur elektronischen Datenverarbeitung, Reinbek 1984, S. 63.

Abb. 2: Kartenlocher, aus: Art. »Keypunch« auf Wikipedia, https://up-load.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/58/CTR_census_machine.JPG, zuletzt aufgerufen: 10.07.2016

Abb. 3/4: Werbeplakate für die Hollerithmaschine, aus: Lindner 1984, S. 68, 74.

eISSN:
2519-1187
Język:
Angielski