Published Online: Aug 08, 2018
Page range: 193 - 221
DOI: https://doi.org/10.2478/ADHI-2018-0011
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© 2016 Burkhardt Wolf, Published by Sciendo
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Schon immer war ›die Bürokratie‹ reformbedürftig. Das Kunstwort ›bureaucratie‹(1) prägte der Physiokrat Vincent de Gournay schließlich nur, um Kritik an jenem ›Amtsadel‹ zu üben, den Louis XV. Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich flächendeckend installiert hatte. Den neuen Stand denunzierte de Gournay als eine selbstherrliche Kaste, die mit ihrer, wie man in Deutschland bald sagte, tintenverschwenderischen »Amtsstubenherrschelei« die freie Entfaltung des ›öffentlichen Lebens‹ lediglich hemme.(2) Seine Sorge um die ›Lebendigkeit‹ der verwalteten Untertanen wurde längerfristig zum Leitmotiv der liberalen Bürokratiekritik, ja klingt noch in den ›neoliberalen‹ Reformforderungen von heute an. Vor diesem Hintergrund konnte Robert von Mohl bereits 1846 eine Übersicht zu den – seither nur variierten – Gemeinplätzen der Bürokratiekritik erstellen. Er selbst betrachtete die »Führung des Lebens« durch zahllose Beamte als »falsche Auffassung der Staatsaufgabe«, dürfe doch »die Verwaltung keinen Civilprocess mit dem Leben« führen.(3) Max Weber war es schließlich, der diese Schreckvorstellung zum Bild moderner, legaler und rationaler Herrschaft entzerrte, selbst wenn das – bewusst ›entmenschlichte‹ – bürokratische System Aktenverkehr und Beamtendisziplin zu einem so unzerstörbaren wie unentrinnbaren »Gehäuse der Hörigkeit« zusammenzuschweißen drohe.(4) Als er seinen Idealtypus von Rationalisierung entwarf, stand Max Weber die preußische Verwaltung vor Augen: eben jene Bürokratie, die man bereits um 1800 als einen unmenschlichen Mechanismus beklagt hatte, der die Bürger auf bloße »Formulare« (Schiller) zurechtstutze und die Beamten selbst in leblose »Schreibmaschinen« (Freiherr von Stein) verwandle.(5)
Der Habsburger Kaiser Joseph II. vertrat ein aufklärerisches Staatskonzept, dessen Kausal- und Finalmechanik sich im Bild einer allumfassenden ›Schreibmaschine‹ zusammenfassen lässt: Seine Bürokratie war rationalistisch und monokratisch angelegt, insofern er regelrechte ›Bureaux‹ mit Schreibvorlagen und genormten Sprachregelungen einführte, die der verlässlichen Umsetzung kaiserlicher Zielvorgaben dienen sollten. Seine Beamten verpflichtete er auf unbedingte Treue sowie auf eine standesgemäße Lebenshaltung und führte sogar ›Conduitenlisten‹ zur Kontrolle ihrer ›Gemütsbeschaffenheit‹ ein. Ihre ›Urteilskraft‹ sollte nämlich auch im verwaltungstechnischen Einzelfall die kaiserlichen Vorstellungen vom Gemeinwohl und von der ›ratio status‹ zu duplizieren helfen, auf dass die Bürokraten der Habsburgermonarchie weder als eigensinnige Subjekte noch als bloß mechanische Akteure tätig wurden.(6) In diesem Sinne untersagte Joseph ihnen in seinem sogenannten »Hirtenbrief« (1783) jede »mechanisch-knechtische Art« und verlangte statt dessen die »Liebe zum Dienst des Vaterlands und seiner Mitbürger«.(7) Dass er dabei den ›ganzen Menschen‹ beschwor, markierte zumindest rhetorisch eine gewisse Distinktion gegenüber der preußischen Rationalisierung, und tatsächlich schien sich die Verwaltung fortan weniger am Ideal effizient aktenmäßiger Verwaltung zu orientieren, als sich vielmehr durch eine spezifische Form des Amtsgebahrens und ›menschlichen‹ Umgangs auszuzeichnen. Zur Verfestigung dieses Topos gegensätzlicher ›Verwaltungskulturen‹ trugen nicht zuletzt etliche Dichter bei, die, wie Franz Grillparzer, Hegels Staatsphilosophie als »monströseste Ausgeburt des menschlichen Denkens«(8) abkanzelten oder, wie Hugo von Hofmannsthal in »Preuße und Österreicher« (1917), ein typologisches Schema zu einem konstitutionellen Gegensatz entwarfen.
Derlei Dualismen mögen weniger in verwaltungstechnischen Realitäten als im Selbstbild von österreichischen Beamten und Literaten gegründet gewesen sein, doch zeugten sie auf jeden Fall für eine charakteristische ›Kulturalisierung‹ der imperialen Bürokratie. Dass Habsburg nicht bloß, wie am Ende der Donaumonarchie, eine »Versuchsstation des Weltuntergangs« (Karl Kraus), sondern zuvorderst eine solche der »Übernationalität« und damit der kulturpolitisch garantierten kulturellen Vielfalt werden konnte,(9) rechnete man hier besonders einer Kraft zu: der Bürokratie. Bereits Maximilian I. (1459–1519) hatte sich einen verlässlichen Beamtenstand von Juristen und Wirtschaftsleuten herangezüchtet, um das Reich zu zentralisieren, die Steuerleistung zu steigern und die lokale Adelsherrschaft zurückzudämmen. Als ›Bürokratie‹ bezeichnete man in Habsburg seither nicht nur den Verwaltungsapparat, sondern ebenso jenen Stand, der sich durch seinen Habitus und Amtsgeist, durch sein Pflicht- und Autoritätsbewusstsein als eine Art Herrschaftsadel zur Ausübung von Hoheitsrechten betrachtete – und der es sich bis 1918 zugutehielt, zwischen Feudalismus, aufgeklärtem Absolutismus und moderner Staatlichkeit allererst Kontinuität hergestellt zu haben.(10) Seit Aufhebung der Feudalverfassung im 16. Jahrhundert sahen sich die Bürokraten als eigentliche Träger des ›imperium‹, was auch ihre Mimikry an die alte Aristokratie, ihr zeremoniöses Auftreten und ihre charakteristische Sprechweise erklären mag. Dabei war ihre ›Reichsgewalt‹ weniger rational begründet, als vielmehr in der patriarchalen Struktur der Reichsregierung verwurzelt, weshalb sie selbst strenger Disziplin unterworfen waren.
Doch weil sie bereits seit Maximilian das Privileg guter Bildungs- und Aufstiegschancen genossen; weil sie sich das von Joseph anfänglich geforderte Arbeitsethos letztlich selbst zugestanden; und weil sie verantwortlich waren für einen imperialen Verwaltungsbetrieb, der den unterschiedlichen ›Nationalitäten‹ des Reichs allererst ein Forum bot, um ihre kulturellen Besonderheiten und Ansprüche zu artikulieren(11) – aus all diesen Gründen sahen sich die Bürokraten als eigentliche imperiale Ordnungsmacht. Diese war es, die nach Josef Redlichs Befund »den ›Staat‹ tatsächlich in ihrem Wirken bedeutete«, weil sie Habsburgs »vielfältigen Länder- und Völkerverband« allererst eine »organisatorische und gefühlsmäßige Einheit« verschaffte.(12) Oder anders gesagt: Die Bürokraten verstanden sich als Surrogat eines modernen Staats – und zugleich als eigentliche ›Kulturträger‹ des heterogenen Reichs. Anders als etwa in Frankreich gab es hier schließlich kein kollektives Nationalbewusstsein, geschweige denn ein solches mit republikanischer Gesinnung. Und anders als in Preußen, wo die Beamten – nach Reinhart Kosellecks Diktum – »im Geist die Staatlichkeit ihres Staats« finden konnten,(13) blieb Habsburg ein Hegelianischer Reflexionsbegriff wie der des ›Geistes‹ fremd.
Sicherlich bemühte man sich noch in der Endzeit der Monarchie um ein Staatskonzept, das auch mit den damaligen Realitäten zu vermitteln war. Gerade die Erfahrung, dass weder eine ›metaphysische‹ Legitimitätsquelle (wie die des Kaisers) noch eine ›Substanz‹ (des Nationalen), eine behauptete Einmütigkeit (des Volkswillens) oder das vermeintliche Band der Kultur dazu genügte, einen ›Staat‹ zu bilden, hat zuletzt ein spezifisch österreichisches, nämlich ›rechtspositivistisches‹, rein formal-juristisch begründetes Staatskonzept wie das Hans Kelsens entstehen lassen.(14) Bis zum Niedergang des Reichs wurde der Reichszusammenhang jedoch symbolisch durch das Geschlecht der Habsburger und real durch das Militär, im tagtäglichen Normalbetrieb schließlich bürokratisch, durch die penible Verwaltung von Staatsbürgern gewahrt, die wohlgemerkt zu weiten Teilen keine Österreicher waren.(15) Bereits Metternich hatte festgestellt, Habsburg werde »nicht regiert, sondern verwaltet«.(16) Während von Mohl die Bürokratie als ›falsche Auffassung der Staatsaufgabe‹ sah, schien sie in Habsburg zu deren imaginärem Statthalter geworden.
Sollte es in Habsburg tatsächlich so etwas wie ein konstitutionelles ›Staatsdefizit‹ und eine entsprechend kompensatorische, imaginäre ›Staatsbildung‹ gegeben haben, dann waren deren Vorkämpfer unter den Bürokraten ebenso zu suchen wie unter den Literaten. Schließlich war die österreichische Literatur von Anbeginn in der imperialen Bürokratie verwurzelt: Als deren erste Exponenten galten Sekretäre, Kanzler und Geheimschreiber wie Johann von Neumarkt oder Enea Silvio Piccolomini, und gerade nach der aufklärerischen Bildungsoffensive für Beamte waren fast alle etablierten Schriftsteller von Berufs wegen Bürokraten – und umgekehrt zahllose Bürokraten literarisch ambitioniert.(17) Aus eben dieser Konstellation versuchte Claudio Magris 1963 in einer viel diskutierten Studie den Bestand und die Fortwirkung eines spezifisch »habsburgischen Mythos« abzuleiten. Als Mythos begreift er »eine Konstruktion oder eine ideologische Verfälschung«, die als »wahrhaft positive, grundlegende Idee« wirksam wird – im Falle der Habsburgermonarchie als eine Grundlegung, die wenig mit der Ratio moderner Staatswesen zu tun hat, sich aber im Medium eines literarisch formierten kollektiven »Empfinden[s] und Bewußtsein[s]« vollzieht.(18) Ermöglicht habe diesen Mythos allerdings nicht bloß dichterische Imagination, sondern zunächst eine Verwaltung, die neben medialen Praktiken des Aktenverkehrs auch eine zeremoniöse Mentalität des rechten Maßes und des Ausgleichs zwischen Herrschergeschlecht, bürokratischem Beamtenstand und Untertanen zur Geltung brachte.(19) Erst vor diesem Hintergrund habe sich die patriarchale Reichsidee eines ›sacrificium nationis‹ etablieren können, die jeden nationalistischen Furor symbolpolitisch dämpfte, selbst wenn sie faktisch die innere Kolonisierung der östlichen und südlichen Reichsgebiete bedeutete.(20)
Für Magris nimmt die Genesis des habsburgischen Mythos 1806 ihren Ausgang, als das ›Heilige Römische Reich deutscher Nation‹ aufgelöst wurde. Spätestens nachdem Österreich durch die preußische Dominanz von der deutschen Entwicklung ausgeschlossen worden war, habe man eine neue
Was Magris’ ›mythopoetische‹ Studie auf Ebene der Literatur- und Geistesgeschichte zu finden meint, haben Historiker, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler immer wieder faktisch zu belegen versucht: die längerfristigen Effekte der habsburgischen Bürokratisierung. Ob mit der k. u. k. Verwaltung wirklich historisch weitreichende Bindekräfte verknüpft sind – dieser Frage hat sich im Jahr 2006 eine ganze Forschergruppe gewidmet. Ausgegangen war man von der These, dass sich bei Osteuropäern, etwa unter Polen, die ja die Aufteilung ihres Territoriums durch Preußen, Russland und Habsburg hinnehmen mussten, eine gewisse emotionale Bindung an das Kaiserreich der Habsburger beobachten lässt. Wie die Forschergruppe in ihrem
Welche Bereiche und Aspekte der Bürokratie diesen Effekt besonders bedingt haben könnten, wird im
Aus ihrem doppelten Imperativ der Einheit und Vielfalt erklärte sich auch das sogenannte Regional- oder Territorialprinzip der Sozialversicherungen: So wurden etwa sieben regionale Unfallversicherungsanstalten unterschiedlichen Kronländern und Kronlandgruppen zugeordnet, wobei nur Böhmen (in Prag) und Niederösterreich (in Wien) eigene Anstalten erhielten. Die Gegner dieses Systems forderten eine Organisation, die sich – wie in Deutschland – reichsweit an einer Gliederung nach Berufen und Betriebsgruppen orientierte: So sollten etwa alle Bergbauunternehmen auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie bei derselben Anstalt versichert werden und in denselben Topf einzahlen. Die Befürworter des Territorialprinzips sahen hingegen in den Kronländern eigenständig wirtschaftliche und ethnische Interessensgemeinschaften. Im Klartext hieß das: Böhmische Bergbauunternehmer wollten nicht mit galizischen oder bosnischen in ein und denselben Topf geworfen werden, weil sie sich für wirtschaftlich stärker hielten und sich ohnehin lieber im Rahmen ihrer eigenen tschechischen Nation zusammenschließen wollten. Mit der Organisation der Versicherung stand also mehr als ein politisch neutrales administratives Prinzip auf dem Spiel; man stritt letztlich um die Form der Vergemeinschaftung, die man für sich innerhalb des Habsburger Vielvölkerreichs in Anspruch nehmen wollte.
Bei Unternehmen wurde entsprechend des sogenannten ›Äquivalenzprinzips‹ gerechnet: Betriebe derselben Branche, die schlechter ausgerüstet waren und weniger in die Sicherheit ihrer Arbeiter investierten, wurden in höhere ›Gefahrenklassen‹ eingereiht und mussten entsprechend höhere Beitragszahlungen entrichten. Die Kranken- oder Rentenassekuranz der Beschäftigten war wiederum nach dem ›Solidarprinzip‹ angelegt: Bezirkskassen mussten Pflichtversicherte jeden Alters und unabhängig von Risikomerkmalen aufnehmen. Diese politische Agenda einer aktiven Umverteilung (von den Fahrlässigen zu den Sicherheitsbewussten, von den Reicheren zu den Ärmeren, von den Jüngeren zu den Betagteren) sollte, wie der spätere Finanzminister Leon von Bilinski verkündete, den Arbeiter dazu bringen, »diejenige Gesellschaft, welche ihn ebenso mit ihrer Liebe umfängt, wie andere ihrer Mitglieder, selbst zu lieben.«(23) Zugunsten einer reichseinheitlichen Liebe zum Reich sollten jedoch auch ethnische Konflikte durch die Einrichtungen der Sozialversicherung entschärft werden. Man sprach von einem habsburgischen ›Reichsbewusstsein‹ oder, wie Karl Lueger, von einem übernationalen Zugehörigkeitsgefühl, das jeden, »welcher Provinz auch immer er entstammt und welche Sprache immer er spricht«, einbeziehen sollte.(24) Freilich brachte auch dieses wohlfahrtsstaatliche Konzept von ›Reichseinheit‹ etliche Konflikte mit sich – Konflikte etwa um die Bestimmung der Amtssprachen oder um die (ihrerseits administrative) Bestimmung der Volksgruppen. Nicht nur, weil die Deutschen ethnisch-sprachlich eine Majorität stellten, sondern auch, weil sie den Großteil der habsburgischen Beamtenschaft ausmachten; weil sie als kaiserliche Bürokraten über das gesamte Reich verstreut waren; und weil sie sich schließlich als die stärksten Befürworter der modernen Sozialpolitik hervortaten – aus all diesen Gründen verstanden sich die deutschen Beamten, wie es Friedrich Kleinwächter noch 1947 nennen sollte, als »die objektiven Österreicher«.(25)
Ein derart ›objektiver Österreicher‹ war, ungeachtet seiner Prager Herkunft und seines jüdischen Glaubens, auch Franz Kafka. Als waschechter habsburgischer Beamter war er dabei eigentlich nur von 1906 bis 1907 tätig, nämlich als Praktikant beim Prager Landes- und Strafgericht. Nach 1908 arbeitete er dann an der Prager
Studiert hatte Kafka seit 1901 versuchsweise Chemie, Kunstgeschichte und Germanistik, dann aber ernsthafter Jura, ehe er 1906 – mit Alfred Weber, dem Bruder Max Webers, als Promotor – den Doktortitel erlangte und im selben Jahr das besagte Praktikum antrat. 1907 machte er als Aushilfskraft in der Prager Filiale der
Zur Selbstverwaltung und zugleich zu gesetzeskräftigen Verordnungen ermächtigt, bearbeitete die halbstaatliche Behörde der AUVA die Ansprüche der Versicherten und vergab dabei, auf massenstatistischer Grundlage, Sozialleistungen. Man arbeitete deshalb hauptsächlich ›vor dem Gesetz‹ Entsprechend waren die Bürokraten hier, neben Juristen, auch Versicherungsexperten oder Ingenieure, Mathematiker oder Mediziner, und besonders Kafka wirkte weniger als Exponent von Recht und Gesetz denn vielmehr als ein Manager biopolitischer Verwaltung und Vergemeinschaftung. Kafka war also ein Insider und zugleich ein Outsider der Rechtspraxis. Er war ein Bürokrat, der, wenn nötig, mit der Implementierung von Gesetzen befasst war, dabei aber vor allem die regulative und ausgleichende Funktion der Versicherungsanstalt im Auge hatte. Was Kafka als ›Reformbürokraten‹ letztlich vorschwebte, war, wie er es in einem seiner Vorträge für die AUVA nannte, eine »lebendige Institution« (A, Mat. 643), in der – anders, als man es den Behörden nachsagte(30) – das Rechtsempfinden, die Wünsche und Emotionen aller Beteiligten ebenso in Rechnung gestellt wurden wie die Aktenlage und offizielle Rechtsprechung.
In einem der vielen Texte, die er als ›Anstaltsautor‹ der AUVA verfasste, schrieb er, man müsse in der bürokratischen Praxis »gegenüber dem menschlichen wie wissenschaftlichen Teil des Problems« gleich gerecht sein (A, 207) – und hiermit meinte er einerseits die halbamtliche, ohne Gesetzeszwang, weil psychologisch wirksame Kommunikation mit Unternehmern und Arbeitern; andererseits aber die Statistik als formales Mittel der Konfliktlösung zwischen den verschiedenen Klassen und Nationalitäten der Habsburgermonarchie. Obschon von Kafka bis heute bevorzugt bürokratiekritische Aperçus zitiert werden wie: »Die Fesseln der gequälten Menschheit sind aus Kanzleipapier«,(31) war er letztlich ein Fürsprecher der – statistisch ausgebauten – Bürokratie. Der Gegensatz zwischen dem natürlichen Leben und dem »toten Mechanismus« des bürokratischen »Apparat[s]«, wie ihn Alfred Weber in seiner Schrift »Der Beamte« aufstellte,(32) machte für Kafka letztlich wenig Sinn. ›Ursprüngliche‹ Völker oder Gemeinschaften waren für ihn nämlich – nicht anders als für Kafkas gleichaltrigen Prager Zeitgenossen Hans Kelsen – eine bloße Einbildung oder rhetorische Figur: Dem Recht und der Verwaltung standen sie nicht voran, sondern gingen aus einer bestimmten Rechts- und Verwaltungskultur allererst hervor.
Umgekehrt war für Kafka die ›Rationalität‹ einer Verwaltung nicht von deren ›Sensibilität‹ für den Zustand und die Erfordernisse des Lebens zu trennen. Wie Hermann Bahr sagten etliche von Kafkas Zeitgenossen der habsburgischen Verwaltung nach, sie habe, »statt immer wieder Wirklichkeit in sich einzulassen, ihr nachzugeben und sich selber umzuformen«, dieselbe erstickt oder im Stile eines bürokratischen »morbus Austriacus« degenerieren lassen.(33) Wie man im Duktus späterer Organisationstheoretiker sagen könnte, forderte Kafka deshalb Organisationen, die als formal-selbstreferenzielle Entscheidungssysteme zwar funktionale Autonomie genießen, die aber für das verwaltete Leben irritabel sind, so dass die Differenz von System und Umwelt – etwa über Codes des Affektiven und Emotionalen – laufend im System selbst reflektiert und die Bürokratie gleichsam ›verlebendigt‹ wird.(34) Kafka strebte also an, was die zu seiner Zeit neuesten Verwaltungslehren als informelle ›Gefühlsarbeit‹ und ›betriebsklimatische‹ Umwandlung des bloßen ›Zweckraums‹ in einen ›Lebensraum‹ forderten.(35)
Im Idealfall waren Bürokratien für Kafka nicht hierarchisch, sondern
Um ihren eigenen Bestand und Fortbestand, um ihre Strukturen und Abläufe zu rechtfertigen, legen sich Organisationen gewisse Ursprungserzählungen und Rituale zurecht, die zuweilen in umfassenderen Bestandsmythen gründen(36) – so wie im habsburgischen Mythos der Donaumonarchie. Aufgerufen werden derlei Narrative und Zeremonien in Krisensituationen, aber auch bei einer bloßen Umstrukturierung oder Neujustierung. Ein Beispiel hierfür beschrieb Kafka mit Blick auf die AUVA und seine dortige Ernennung zum Oberkonzipisten im Jahr 1910. Die Beförderung Kafkas und zweier Kollegen ging hier im Beisein des Anstaltspräsidenten vonstatten, einer Figur, die »dem normalen Beamten […] das Gefühl einer Zusammenkunft mit dem Kaiser« ersetzt.(37) Als der ältere Kollege mit seiner Dankesrede anhob, lauschte der Präsident »in seiner gewöhnlichen, bei feierlichen Gelegenheit gewählten, ein wenig an die Audienzhaltung unseres Kaisers erinnernden, tatsächlich (wenn man will und nicht anders kann) urkomischen Stellung«, was Kafka zu kleineren, noch als Hustenanfall zu kaschierenden Lachanfällen reizte.(38) Als aber der Präsident selbst
Die Situation eskalierte, nachdem der zweite Kollege zu einer so spontanen wie unbeholfenen Rede ansetzte. Als er »etwas (schon im Allgemeinen und hier insbesondere) Läppisches daherredete, wurde es mir zu viel, die Welt, die ich bisher immerhin im Schein vor den Augen gehabt hatte, vergieng mir völlig und ich stimmte ein so lautes rücksichtsloses Lachen an, wie es vielleicht in dieser Herzlichkeit nur Volksschülern in ihren Schulbänken gegeben ist. Alles verstummte und nun war ich endlich mit meinem Lachen anerkannter Mittelpunkt.« Um dem Ganzen ein Ende zu bereiten, fand der Präsident »irgend eine Phrase, die meinem Heulen irgend eine menschliche Erklärung gab, ich glaube eine Beziehung zu einem Spass, den er vor langer Zeit gemacht hatte. Dann entliess er uns eilig. Unbesiegt, mit grossem Lachen, aber totunglücklich stolperte ich als erster aus dem Saal.«(40)
Kafkas in der AUVA legendär gewordener Lachanfall widerlegt das Klischee vom ›Visionär‹ totalitärer Bürokratien. Er demaskiert und demontiert gerade jene Amtsautorität, die im baren Unsinn kaiserlicher Botschaften gründet. Man vergleiche den Bericht nur mit jener Szene, die Joseph Roth 1932 im
Eben diesem Anstaltspräsidenten, Otto Pribram nämlich, hat Kafka auch eine weitere Analyse bürokratischer Organisationsmythologie gewidmet – einen kurzen Erzähltext, in dem es zu Beginn heißt: »Poseidon saß an seinem Arbeitstisch und rechnete. Die Verwaltung aller Gewässer gab ihm unendliche Arbeit.« (N II, 300) Unendlich ist die Arbeit schon deshalb, weil Poseidon die Rechnungen seiner vielen Hilfskräfte in seiner göttlichen Gründlichkeit nochmals durchrechnet und ihm dabei nichts weniger als die Verwaltung
Kafkas Erzählung kann man als Gegenstück jenes Staatsmythos ›katexochen‹ verstehen, der ebenso unverkennbar mit dem Meer assoziiert ist: des Leviathan. Thomas Hobbes bediente sich des altbiblischen Meeresungeheuers, um es als Mythos des Souveräns ins Bild zu setzen. Bei Kafka indes kann von Staat und Souverän keine Rede sein. Poseidon ist ein Bürokrat, der hauptsächlich am Arbeitstisch zu rechnen hat, um sein Reich zusammenzuhalten. Wahrscheinlich gibt es keine Bürokratie, die sich auf den griechischen Meeresgott beruft. Kafkas Text jedoch entwirft diesen Organisationsmythos, um der Bürokratie kosmogonische Weihen zu verleihen: Selbst der Schöpfungsmythos, in dem der Geist über den chaotischen Wassern schwebt, mündet in bürokratische Akte(n); und selbst antike Elementargötter sind, statt das freie Spiel der Naturkräfte zu personifizieren, an ihren Schreibtisch gekettet. Den Poseidon-Mythos deutet Kafka dabei zu einem neuen Herrschaftsmythos um: Einerseits fehlt seinem Reich (ganz wie dem habsburgischen) offenbar ein fester ›Grund‹ wie der der Volksgemeinschaft, in dem sich ein Nationalstaat verwurzeln könnte; andererseits wird dieser Mangel durch bürokratische ›Gründlichkeit‹ kompensiert. Poseidon waltet über sein unergründliches Reich nur, indem er es bis ins Letzte
Kein Wunder, dass sich Poseidon ärgert, wenn man von ihm denkt, er befinde sich auf einer dauernden Kreuzfahrt durch die Weltmeere: Das unendliche Arbeitsaufkommen hindert ihn schließlich daran, das Meer persönlich zu
Es ist fast müßig zu sagen, dass diese Beschreibung Poseidons nicht nur Kafkas Vorgesetztem Pribram, sondern ebenso ihm selbst gilt. In seinen Tagebüchern hat Kafka schließlich unablässig Buch geführt und dauernde Berechnungen angestellt: Von der Entscheidung, in diese oder jene Theateraufführung zu gehen oder eben nicht zu gehen, über die Frage eines Wohnungswechsels bis hin zu seinen Heiratsplänen mit Felice Bauer hat Kafka versucht, alle Eventualitäten abzuwägen, auszurechnen und die Vor- und Nachteile seiner Beschlüsse exakt zu bilanzieren. Entsprechend lässt sich folgende Notiz auf Poseidon so gut wie auf Kafka selbst beziehen: »Er saß über seinen Rechnungen«, heißt es. »Große Kolonnen. Manchmal wandte er sich von ihnen ab und legte das Gesicht in die Hand. Was ergab sich aus den Rechnungen? Trübe, trübe Rechnung«. (N I, 408) Nicht nur, dass seit der Frühneuzeit Zahlengelehrte als Hypochonder und melancholische Naturen bestimmt wurden, in deren
Kafkas Auffassung der Bürokratie hatte einen doppelten Aspekt: Einerseits – und dies vor allem in seinen amtlichen und theoretischen Betrachtungen – forderte er ganz im Sinne zeitgenössischer Bürokratiekritiker, die Organisation auf das Leben und die Wirklichkeit zu öffnen. Andererseits operieren – die besonders in seinen längeren Erzähltexten beschriebenen – Bürokratien selbstbezüglich und rekursiv. Wenn sie sich aber, ganz wie es die spätere Organisationstheorie behaupten wird, damit allererst ihre eigene Umwelt erschaffen, wird die Frage hinfällig, ob bürokratisch getroffene Entscheidungen wirklichkeitsgemäß und in diesem Sinne wahr seien. »Man muss nicht alles für wahr halten, man muss es nur für notwendig halten«, heißt es im
Das Gesetz ist hier, wie es Walter Benjamin einmal formuliert hat, »eigentlich eine Attrappe«,(46) weshalb es Kafkas
›Türhüter-Legende‹ wurde seine Erzählung
Gilles Deleuze und Félix Guattari haben mit Blick auf Kafka die moderne Bürokratie, die sich mit ihren unabsehbaren Kontiguitäten, ihren allgegenwärtigen Kanzleien und Büros dem Leben zu überlagern sucht, von einer imperialen, despotischen und ins Transzendente entrückten Bürokratie unterschieden, die sich in Monumentalbauten wie Türmen und Mauern repräsentiert und, dem Anspruch nach, alles überblickt. Als Autor und Beamter stehe Kafka an der Schwelle zwischen beiden Bürokratien.(47) Dabei zeigen seine Texte, dass die vermeintlich allerfassende Herrschaft mitsamt ihren ›Attrappen‹ von Gesetz und Schuld niemals lückenlos wirksam sein kann, dass sie sich selbst demontiert und als leer und überholt enthüllt. Auch im bürokratischen Normalbetrieb der AUVA hatte Kafka weniger mit Gesetz und Schuld zu tun als mit der Möglichkeit von Unfall, Krankheit und Tod sowie mit deren massenstatistischer Berechnung und assekuranztechnischer Kompensation. Das Gesetz trat nur dann auf den Plan, wenn ein vorsätzlich gemeinschaftsschädigendes, ein im solidarstaatlichen Sinne schuldhaftes Verhalten vorlag.(48) Und mit derart ›Schuldigen‹ hatte Kafka fast tagtäglich zu tun, denn immer wieder versuchten böhmische Unternehmer, sich durch Falschangaben aus der Verantwortung zu stehlen und zugleich solidargemeinschaftliche Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Wenn bei Kafka irgendein Gesetz tatsächlich herrscht, dann das sozialstatistische der ›großen Zahl‹, wie es der Mathematiker Siméon Denis Poisson 1835 getauft hatte. Diesem wurde schließlich auch politisch oberste Gesetzeskraft zuteil, als Bismarck 1881 vor dem Deutschen Reichstag eine ›Kaiserliche Botschaft‹ verlas, die als ›Magna Charta‹ der deutschen Sozialversicherung berühmt werden sollte; und als Kaiser Franz Joseph 1885 die entsprechenden habsburgischen Kranken- und Unfallversicherungsgesetze ankündigte. Dass beide Reden nur imaginär den einzelnen Staatsbürger, mit der Bevölkerung aber realiter eine statistische Entität adressierten, hat Kafka in einer »Sage« gezeigt, »die dieses Verhältnis gut ausdrückt« (N I, 351): in der Sage von der »Kaiserlichen Botschaft«, denn hier wird die Direktkommunikation zwischen Kaiser und Untertan als bloße Träumerei sichtbar. Offenbar ist in Kafkas Texten das Reich nicht mehr durch den Kaiser zusammenzuhalten, sondern alleine noch durch ein ›soziales Bauwerk‹ wie das der allumfassenden Versicherung. Allerdings ist mit dem ›Bauen‹ bei Kafka keine Vorstellung eines unerschütterlichen Gemeinschaftsgrunds verbunden. Wie seine Fragmente zum
Für Kafka waren es nicht mehr Kaiserfiguren mit ihren höchsten Gesetzen, von denen sich die Verfassung der Gemeinschaft ableitete; vielmehr musste sich das Reich vor den der Gesellschaft inhärenten Gesetzen (ihrer Sterblichkeit, Produktivität etc.) bewähren. Sollte das neue Gesetz der Gemeinschaft das ›Gesetz der großen Zahl‹ sein, hatten Reformbürokraten wie Kafka es nicht nur im alltäglichen Parteienverkehr zur Anwendung zu bringen. Jene massenstatistische Regularität, an der sich die innere Gesetzmäßigkeit der Gesellschaft, ihre Entwicklung und ihre Fehlentwicklungen ablesen ließ, um darauf mit geeigneten sozialpolitischen Maßnahmen zu reagieren, musste allererst ermittelt werden. Und dazu benötigte man jene sozialstatistischen Daten, die allein eine biopolitisch programmierte und medientechnisch aufgerüstete Bürokratie ermitteln konnte. Über die etablierte Praxis des Akten- und Parteienverkehrs hinaus war die Bürokratie zu einer Technologie geworden.
Als Student belegte Kafka 1905 bei dem Prager Professor Heinrich Rauchberg ein Seminar zu ›Allgemeiner und österreichischer Statistik‹. Bereits 1890 hatte Rauchberg als Organisator der Volkszählung versprochen, »die gesamte heimatsberechtigte Bevölkerung der einzelnen politischen Bezirke in möglichst kurzer Frist kennen zu lernen«.(49) Hierfür setzte Rauchberg erstmals in Europa jene Zählmaschine ein, die sich bereits beim US-Zensus von 1890 bewährt hatte. Anders als das vormalige manuelle Zählverfahren anhand von Listen basierte das der batteriebetriebenen Hollerith-Maschine auf ›Individualkarten‹, in die die Merkmalcodes jeder einzelnen Person (wie Umgangssprache, Wohnort, Beruf, Alter, Konfession) eingestanzt wurden, um den Kartenbestand dann beschleunigt durchzuzählen und zu sortieren. Das Funktionsprinzip dieser Maschine inklusive ihrer Bauelemente Batterie, Kontaktapparat und Relaisanlage hat Kafka dann für die Apparatur seiner
Schema der Hollerith-MaschineAbb. 1
KartenlocherAbb. 2
In der Erzählung gemahnt der Apparat an Nietzsches ›Theater der Grausamkeit‹, weil er auf den fleischlichen und individuellen Körper und nicht auf den kartierten und kollektiven Körper der Gesellschaft zugreift. Literarisch wird hier jenes Verfahren umgekehrt, das der statistischen Maschine erst ihren Sinn verleiht: Die Abstraktion eines ›unerschöpflichen‹ Individuums zu einem Merkmalsträger, der wiederum durch ein ›punched transcript‹ substituiert wird. Mit Schiller gesagt, übersetzt Kafkas Text administrative ›Formulare‹ wieder in die Gestalt ›ganzer Menschen‹, so als müsste die Literatur zum Statthalter realistischer Darstellung werden, während die bürokratische Praxis den Menschen regelrecht entwirklicht. Denn erst dann kann er zum sozialen (oder sozialversicherten) Wesen werden, sobald er als Lochkarte im elektrischen Zähl- und Sortiermechanismus zirkuliert. Wenn sich in Formularen die »Formalisierung, Spezialisierung und Standardisierung« der Verwaltung generell manifestiert, dann in den Hollerith-Karten im Besonderen die Steuerungs- und Kontrolldimension jenes bürokratischen Apparats, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts neben der öffentlichen auch die betriebliche Organisation betraf.(51) Bereits Max Weber hatte auf die gemeinsame Wurzel von Betrieb und Bürokratie in der ›Rationalisierung‹ verwiesen und die Arbeitsphysiologie und Automatisierung als deren jüngsten Spross bezeichnet. Selbst ein exponierter Entscheidungsträger wie der Richter sei unter diesen Vorzeichen ein bloßer »Paragraphen-Automat […], dessen Funktionieren […] im großen und ganzen
Werbeplakat für die HollerithmaschineAbb. 3
Werbeplakat für die HollerithmaschineAbb. 4
Die Hollerith-Maschine ist eine Schreib-Lese-Maschine, die die gestanzten Löcher mechanisch ausliest, ähnlich wie Kafkas ›Verurteilter‹ nicht »mit den Augen«, wohl aber »mit seinen Wunden« die Urteilsschrift »entziffert«. »Bis jetzt war noch Händearbeit nötig, von jetzt aber arbeitet der Apparat ganz allein«, erklärt Kafkas Offizier. (D, 219f., 204 f.) Doch ist es gerade diese Vorstellung eines operativ geschlossenen, ›blinden‹ und von aller Hand- und Schreibarbeit befreiten Verfahrens, die das Schreckbild der automatisierten Bürokratie und in Kafkas Erzählung auch ihren Kollaps hervorruft. Wird ihr zuletzt die Maxime »Sei gerecht!« (D, 238) einprogrammiert, besorgt die Maschine nur die Exekution des Offiziers und ihren eigenen Zusammenbruch. Diese Maxime kann man als das jüdische Gesetz aller Gesetze, als den kategorischen Imperativ Kants oder aber als die leere (rein hypothetische oder fiktive) ›Grundnorm‹ des Neukantianers Kelsen deuten: als jenes bloß gesetzte, dem Rechtssystem aber ›transzendental‹ zugrunde liegende und damit Beamte wie Rechtssubjekte verpflichtende und verbindlich anleitende ›Sollen‹, das selbst nicht zu artikulieren ist, weil dies eine ihm nochmals zugrunde liegende Ebene voraussetzen würde.(54) Allgemein zeugt dieses ›Gesetz‹ bei Kafka für jenen Wechsel vom ›Substanzbegriff‹ zum ›Funktionsbegriff‹, den man – mit Verweis auf Ernst Cassirers gleichnamiges Buch – dem technischen und juristischen Denken nach 1900 zugeschrieben hat.(55) Wenn es, nach dem Muster von Kelsens Grundnorm, als Operationsbedingung der Maschine eingesetzt und dennoch als konkrete Handlungsanweisung interpretiert wird, muss dies zu einer fatalen Verwirrung der Bezugsebenen führen. Mit Blick auf die logische Typenlehre um 1900 hat man deshalb von einem ›type mismatch‹ gesprochen: Beschreibt die Maxime nur ein leeres Gesetz, kann die Datenverarbeitung der
Zwar war die Hollerith-Maschine bereits programmierbar, was auch die Peripetie in Kafkas
Was bei Kafka als palimpsestartiger heiliger Text des mythisch entrückten Kommandanten erscheint und deshalb an ein enigmatisches und unvordenkliches Gesetz gemahnt, entspricht, nüchterner betrachtet, dem Schaltplan der bürokratischen Maschine. Von einer ›Anschauungsqual‹,(57) wie sie der Reisende bei Betrachtung der geheimnisvollen Urschrift dieses seltsamen Verfahrens erleidet, berichteten auch die ersten mit der Hollerith-Maschine befassten Bürokraten: Den statistischen Handlangern des US-Zensus kam die Lektüre der Zählkarten als, wie eine Zeitung schrieb, »refinements of torture« vor, während der Bau- und Schaltplan der Maschine, je nach Kenntnisstand, Verzückung (wie bei Kafkas Offizier) oder Unverständnis (wie bei Kafkas Reisenden) auslöste. Auf jene Anfeindungen, die seiner Maschine entgegen schlugen, antwortete ihr US-amerikanischer Erfinder Herman Hollerith 1877 nur: »still it is the genesis«.(58) Denn letztlich war mit Holleriths Apparat und seiner »Summierung der Angaben jener Gruppen von Zählwerken […] eine unfehlbare Kontrolle für das fehlerlose Funktionieren der Maschine« gegeben, wie Rauchberg 1891 betonte. Die Zeitschrift
»Dank der in dem Instrumentarium investierten Geistesarbeit bleibt seinen Handlangern der Besitz von Kenntnissen erspart«, stellte Siegfried Kracauer noch Ende der 1920er-Jahre fest, als er von den mechanisierten Büros der Angestelltenstadt Berlin berichtete.(60) »An der Maschine selbst kann jedermann sofort arbeiten«, hatte Rauchberg bereits drei Jahrzehnte vorher verkündet, und dabei werde man, wie er schrieb, »an das Dichterwort gemahnt: ›Doch was er webt, das weiss kein Weber.‹ Er braucht es auch nicht zu wissen.«(61) Legitimität wurde schließlich durch das bloße Verfahren hergestellt (im Falle der Hollerith-Maschine durch das alte Jacquard-Verfahren zur Lochkartensteuerung von Webstühlen). Und während sich Kafkas Erzählung um die Autonomie einer Maschine dreht, die noch keine regelrechte Rechenmaschine, in ihren Verfahrensabläufen aber völlig berechenbar ist, rückt sie nicht nur grausame Strafpraktiken einer abgelegenen Kolonie ins Bild, sondern auch die bürokratische Kolonisierung der ›Lebenswelt‹: die »Verdinglichung« (Lukács), »Enthumanisierung« (Kracauer) und »Herrschaft durch Niemanden« (Hannah Arendt).
Wie schon die Figurenkonstellation zeigt, steht hier Bürokratiekritik zur Debatte: Die Gründerfigur der Kolonie, der charismatische Kommandant und oberste Befehlshaber, ist in eine mythische Vorzeit entrückt. An seiner Statt übernimmt ein Offizier das ›officium‹. Neben dem Verurteilten tritt zudem noch ein Reisender auf – als Kritiker jener Strafpraxis, die eigentlich eine Verwaltungspraxis ist: der routinierten Einschreibung des ›nomos‹, des gemeinschaftlichen Gesetzes in den Körper des Untertanen. Anlass des Geschehens ist eine anstehende Straf- oder Verwaltungsreform, von deren Abträglichkeit der Offizier den externen Gutachter überzeugen will. Letztlich kommt die gesamte Szene einer Demonstration mit rhetorisch-persuasivem Zweck gleich. Früher ging die Einschreibung öffentlich, nach Art eines Straf- oder auch Kanzlei-Zeremoniells vonstatten. »Was für Zeiten, mein Kamerad!«, ruft der Offizier, umarmt den befremdeten Reisenden und legt ihm, wie es heißt, den Kopf auf die Schulter. »Ich wollte Sie nicht etwa rühren«, entschuldigt er sich sogleich, und versucht fortan, den Reisenden durch die sachliche Beschreibung des Apparats zu gewinnen. (D, 226 f.) Seine Überzeugungsarbeit changiert also zwischen einem sentimentalen Mythos und verfahrenslogischen Argumenten.
Man mag an prominente Bürokratiekritiker wie den Beamten Josef Olszewski(62) oder Alfred Weber denken, wenn der Offizier beklagt, ein »großer Forscher des Abendlandes« habe das hiesige »Verfahren« für »unmenschlich« erklärt. Noch näher liegt eine Referenz auf den Juristen und Kriminologen Robert Heindl, dessen viel gelesenen Bericht
Kafkas Reisender sieht sich zunächst als Ethnologe, der »fremde Verhältnisse« nicht vorschnell verurteilen soll. Nach einigem Zögern »aber sagte er, wie er mußte: ›Nein.‹ […] Ich bin ein Gegner dieses Verfahrens.« Des Offiziers »ehrliche Überzeugung« gehe ihm nahe, könne ihn aber »nicht beirren«. Hierin erschöpft sich die Expertise des Reisenden, und dass ihn das »Verfahren« trotz der Demonstration »nicht überzeugt« hat (D, 229, 235 f.), ist auch für den Offizier allein entscheidend: Fortan unansprechbar, programmiert er die Maschine auf jenen
Womöglich jedoch geht es Kafka in diesem Text gar nicht so sehr um ›Bürokratie-Kritik‹, um das ›krinein‹ oder die Unterscheidung der wahren von der verfehlten Bürokratie. Denn vielleicht führt Kafka hier nichts anderes vor, als dass das Konzept der Bürokratie – gerade in Habsburg – eine interdiskursive Montage darstellt. Für seine
Auf der Ebene literaturwissenschaftlicher Diskursanalyse wiederum wurde bislang ein ganzer Maschinenpark aufgefahren, um Kafkas Apparat historisch dingfest zu machen: Von Kaffeemahlmaschinen, die er aus dem väterlichen Kolonialwarenladen kennen musste, über Phonographen, die – wie in der
Insgesamt bildet der Apparat der
Zu guter Letzt kann man den Kollaps des Apparats mit jener Demontage verknüpfen, die Kafka, wie geschildert, ebenso an anderen Organisationsmythen der Bürokratie vorgenommen hat. Der Zusammenbruch der Maschine und damit von Bürokratie überhaupt wird dabei auch in der
Dass aber auch die fachmännische Kritik und Beurteilung des bürokratischen Apparats nur Unsinn zeitigt, zeigt der Offizier letztendlich an seinem eigenen Leib. Konsequenterweise stellt er sein ›officium‹ zur Verfügung, und wie bei einer Destitution entkleidet er sich, um sich selbst in die Maschine zu legen. Was er sich hiervon erhofft, mag eine letzte Apotheose und Verklärung sein, eine Art Martyrium des von Gerechtigkeit erfüllten Amtmannes. Doch führt das Ganze wieder nur zur Parodie der Parusie, zur transzendenzlos leeren, ja lächerlichen Wiederholung von Jesu Kreuzestod. Wie Jean Paul sagt, bahnt der Humor, als umgekehrt Erhabenes, über eine »Höllenfahrt« dem Lachen seine »Himmelfahrt«.(66) Und dies mag auch erklären, wieso Kafka 1916 in München, bei seiner öffentlichen Lesung der
Der Offizier aber, der hartnäckig in der alten Strafjustiz und Bürokratie das Heil zu finden versucht, wird auch in seiner letzten Amtshandlung kein
Zuletzt gehen, nach Maßgabe einer tropisch getrübten Urteilskraft, Traum und Wirklichkeit oder Wirklichkeit und Möglichkeit wild durcheinander. Wenn Daten die Tropen der Menschen sind, werden mit der humanistischen Abschaffung bürokratischer Verfahren auch Beamtenexistenzen beseitigt – und was bleibt, sind die Widergänger des vormaligen ›officiums‹. Ähnlich wie im später entstandenen Text zu Poseidon assoziiert Kafka hier die Bürokratie mit ›weglosen‹ oder ›glatten‹ Räumen wie der Wüste oder dem Meer. Und in diesem Zusammenhang koppelt er einen möglichen Schluss der Erzählung an eine spätromantische und sagenhafte Erzählung: an Wilhelm Hauffs
Berücksichtigt man, dass Kafka 1917, zur selben Zeit also, in seinen letzten Fragmenten zum ›Jäger Gracchus‹ eine weitere – auch bürokratisch einschlägige – Variante zum ›Fliegenden Holländer‹ ausbuchstabiert hat,(67) zeigt sich, wie sein offener Schreibprozess seinerseits einen glatten, weglosen Raum interdiskursiver Bezüge durchquert. Im vorliegenden Textentwurf ermöglicht ihm der sagenhafte
Wie wäre von der Bürokratie abseits ihrer Mythen zu erzählen? Nach einer Antwort auf diese Frage hat Kafka in seinen fragmentarisch gebliebenen Romanen, besonders im
Wie beschrieben, musste die Prager AUVA die in Böhmen versicherten Betriebe in verschiedene ›Gefahrenklassen‹ einreihen. Doch wurde ihr »ein Recht zur Besichtigung der versicherten Betriebe nicht eingeräumt«, weswegen ihr Wahrnehmungsapparat hauptsächlich aus Schrift- und Datensätzen bestand. (A, Mat., 116 f.) Direkte Anschauung vor Ort nahm nur ein k. k. Gewerbeinspektor, der allein im ministeriellen Auftrag Zugang zu den Betrieben bekam. Ein solcher Inspektor hatte, wie es im Unfallversicherungsgesetz von 1887 heißt, »über die von ihm gemachten Wahrnehmungen unmittelbar an die Versicherungsanstalt die entsprechenden Mittheilungen zu richten.« (ebd., 52) Ein Versicherungsbeamter wie Kafka musste also mit unterschiedlichen Perspektiven haushalten: mit den Verlautbarungen der Unternehmer; mit den Mitteilungen der Inspektoren, die nur ausgewählte Einblicke in die Betriebe bekamen und natürlich selbst selektiv verfuhren; mit den Aussagen von Arbeitern oder mit etwaigen Unfallberichten; und schließlich mit dem, was die statistischen Zahlenwerke und entsprechenden Kalkulationen der AUVA sagten.
Schon weil die Anstalt nur Auskünfte einholen und diese nur formal und rechnerisch, zuweilen auch informell überprüfen konnte, waren ihre Berichte so heterogen wie vielstimmig. Und da sie möglichen Verschleierungsmaßnahmen der Unternehmer oder der immer möglichen Bestechlichkeit von Inspektoren auf den Grund gehen musste, hatten ihre Berichte zuweilen den Charakter detektivischer Ermittlungsprotokolle. So wie die AUVA in der Grauzone von Wissen und Nichtwissen, von Wahrscheinlichkeit und bloßem Schein der Wahrheit, von Mutmaßung und Verdacht operieren musste, ist Kafkas Erzählen wiederholt als ein ›hypothetisches‹ bezeichnet worden. Seine Erzählstimme ist, wie es Friedrich Beißner bereits 1952 beschrieb, »nirgends dem Erzählten voraus, auch wenn er im Praeteritum erzählt. Das Geschehen erzählt sich selber im Augenblick, in paradox praeteritaler Form«,(69) und es erzählt dabei immer auch von der Beschränkung und gleichzeitigen Pluralisierung sämtlicher Erzählperspektiven.
Der »Deutungsfuror«, dem diese Erzählweise nicht nur bei den Interpreten, sondern schon bei den Erzählfiguren stattgibt, ist nach Günter Anders’ Formulierung »das Stigma der Entmächtigten«, das Manko dessen, der »die Welt interpretieren muß, weil andere sie verwalten«; zugleich ist er aber »Kafkas poetische Chance«, sein Sprungbrett »in die weiten und verschlungenen Horizonte der ›Wenns‹ und der Konjunktive«, die das Sein der Verwaltung in seiner Abgründigkeit enthüllen.(70) In Kafkas Erzähltexten artikuliert sich kaum jemals ein personales Erlebniszentrum. Fast immer bestehen sie aus Diskursgefügen, die allenfalls einer paradox unpersönlichen oder ›Vierten Person‹ zuzurechnen wären.(71) Weil sämtliche pronominalen Aspekte aus eben dieser ›Vierten Person‹ hervorgehen und weil derart nicht einmal ein Ich-Erzähler (wie der der Erstfassung des
Dies zeigt sich am deutlichsten in seinen Romanen: episodisch noch im
Dem ›Gericht‹ mag man, schon weil es sich in räumlicher Gestalt repräsentiert, noch entkommen. Der Bürokratie aber, die in einer rekursiven Volte selbst noch ihre Kritik und Missachtung zu den Akten nimmt, ist jeder ›verhaftet‹. Und dafür, dass ihre ›Anrufung‹ immer schon ergangen und, anders als bei einem Boten oder Brief, deren Annahme auch nicht zu ›verweigern‹ ist, zeugt an dieser Stelle das Telefon.
Führt Josef K. die Auseinandersetzung mit ›dem Gericht‹ immer nur zu dessen entleerten Schauplätzen, kann man daraus folgern: Es besteht, wie im habsburgischen Strafprozessrecht zu Kafkas Zeit festgeschrieben, nur ausnahmsweise in mündlichen und öffentlichen Hauptverhandlungen, im Normalfall aber in schriftlicher und geheimer Untersuchung.(74) Im Normalbetrieb fällt das Gericht mit Bürokratie zusammen. Was sie – die ja beide nur in Rechtsnormen und deren Stufenbau bestehen – unterscheidet, ist nach Kelsen nicht der mehr oder weniger enge Gesetzesbezug, sondern allein ihre organisationstechnische Verfassung und die »Qualität des für die Organfunktion zur Verfügung stehenden Menschenmaterials« – ein unterschiedlicher Grad von Engagement, Korruption und Konfusion.(75) Gibt es aber einen Schauplatz, auf dem die sogenannten ›Urteile‹ gefällt werden, dann nicht nur in den Amtsstuben. ›Urteile‹ gründen sich, wie es in einem Postskript zum
Bei ›Erhebungen‹ mag man zunächst an statistische Datensammlungen denken, wie sie Behörden nach Art der AUVA produziert haben. Doch scheint bereits im
Unter diesen Vorzeichen ist, wie es im
K., den man als Bürokratie-Kritiker in Zeiten einer bürokratiekritisch optimierten und dauerhaft reformierten Bürokratie betrachten kann, tritt zur Vermessung eines sozialen ›nomos‹ an, der sich nicht einmal mehr räumlich projizieren lässt: Schon die hier alles beherrschende Basisunterscheidung zwischen ›Dorf‹ und ›Schloss‹ führt in die Irre. Denn sobald im Dorf, ist man bereits im Schloss – und doch niemals dort, weil es sich aus nächster Nähe als »ein recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern zusammengetragen«, entpuppt. (17) Zwischen Schloss und Dorf, Bürokratie und Sozialem ist keine feste und »bestimmte Grenze« gezogen, vielmehr verschlingen sich Amt und Leben auf unvorhersehbare Weise; voneinander getrennt sind sie allein durch mobile und flexible, zuweilen unmerkliche, zuweilen unüberwindliche »Barrieren«. (S, 275) Man kann auch nicht behaupten, vom Schlossberg aus, auf dem eine zumindest »scheinbare Leere« (7) herrscht, fiele ein panoptischer Blick auf das zwanglos disziplinierte und daher wenigstens ›scheinbar‹ ungezwungene Leben ringsherum. Zwar ist für K. unverkennbar, »daß er beobachtet« wird; doch »die Blicke des Beobachters konnten sich nicht festhalten und glitten ab.« (156) Keineswegs unterdrückt hier eine allem entrückte Bürokratie das ihr ausgesetzte Leben; wie die Szene der Aktenverteilung (431–433) zeigt, wird der behördliche Apparat von innen her durch bürokratische Leidenschaften und Idiosynkrasien beherrscht, gibt es also in der Anstalt selbst ein soziales Feld mit eigenen Gliederungen und Dynamiken.
Wenn K. zufällig »die Verteilung der Akten« zu Gesicht bekommt, also sieht, »was niemand mitansehn« darf, weil es ihm die Spontaneität und Zufälligkeit vor Augen führt, mit der man seinen eigenen »allerkleinsten Fall« bearbeitet (438, 444), wird ihm eine exponierte Rolle als Beobachter zuteil. Im Dorf wie im Schloss ein teilnehmender Beobachter, übt K. Bürokratie-Kritik im Modus der Autopsie. Dadurch aber kann ›K.‹ umso mehr als Statthalterfigur des
Diese ›Freiheit‹ muss nicht bedeuten, dass man nicht ›aufgenommen‹ oder gar ›entlassen‹ ist. »Niemand hält Sie hier zurück, aber das ist doch noch kein Hinauswurf« (118), wird K. einmal erklärt. Später wird ihm bescheinigt, seine »landvermesserischen Arbeiten« seien »lobenswert«, obwohl K. nicht recht versteht, wie eine »Arbeit, die ich nicht mache«, gelobt werden kann. (187, 189) Er begreift offenbar nicht, dass im Aufgabenprofil der Angestellten die Dauerbereitschaft zur Kommunikation zusehends wichtiger wird als konkrete Verrichtungen. Während man, mit Dirk Baecker gesagt, in klassischen Organisationen »nur auf seinen Stellenplan und in seine Aufgabenbeschreibung zu schauen brauchte, um herauszufinden, was von einem verlangt wurde«, muss jetzt endlos »kommuniziert« werden.(82) Als wäre er unter den neuen bürokratischen Verhältnissen zu einer endlos irrenden ›Ahasver‹-Figur geworden, heißt K. deshalb im Dorf bald »der ewige Landvermesser«. (37) Und sagt er einmal im Stile eines Querulanten: »Ich will [...] mein Recht« (119), so bleibt dieser womöglich aufrührerische Affekt folgenlos, weil letztlich gegenstandslos. Im Schloss gibt es nämlich so wenig klassische Rechte wie dauerhafte Berechtigungen zu vergeben. Niemand kann den Zugang zu jenem Sozialen verbürgen, in dem offenbar die entscheidenden Entscheidungen fallen.
Dies zeigt schon der Brief Klamms: Dieser höhere Beamte, dessen Name im Tschechischen nichts anderes als ›Illusion‹ bedeutet, teilt K. schriftlich mit, er sei, »wie Sie wissen in die herrschaftlichen Dienste aufgenommen.« (40) Im Gespräch mit dem Dorfvorsteher wird K. aber schon bald klar, dass der Brief keine Aussage enthält, und schon gar keine rechtsverbindliche, sondern nur eine Äußerung darstellt, deren »private Bedeutung im freundschaftlichen oder feindseligen Sinne« zu nichts berechtigt, zugleich aber viel wichtiger ist als jede »amtliche Zuschrift«. (114, 117) Das Schreiben bestätigt K.s ›Aufnahme‹. Es verspricht, ihm, »soweit es möglich ist, gefällig zu sein«, versichert ihm aber auch, Klamm werde ihn »nicht aus den Augen verlieren«. (40) Dafür, dass er aufgenommen ist, wird K. allerdings – wie jedem prekär Beschäftigten – die »Beweislast« aufgebürdet. (114) Bereits in den 1920er-Jahren hatte man sich also offensichtlich mit halbamtlich beglaubigten Vielleicht-Anstellungen zu arrangieren; und hatte man die fortlaufende Stellenkonkurrenz als Mittel zu begreifen, sich eine vitale und rührige, das heißt ›flexible‹ Angestellten-Identität zu verschaffen. Kracauer etwa schrieb über die stolze »Existenzunsicherheit« des neuen Angestellten: »Er fühlt sich ordentlich geschmeichelt darüber, daß die Voraussicht anerkannt wird, mit der er es fertig gebracht hat, stets ersetzt werden zu können.«(83)
Wenn Bescheide wie der Klamms als private Äußerungen zu verstehen sind, entwickeln verwaltete Subjekte einen regelrechten ›Deutungsfuror‹. Erreicht K. eine Nachricht, so interpretiert er, um dem vermeintlichen Sinn der Äußerung habhaft zu werden, auch das Äußere des Boten, denn alles, »auch sein Blick, sein Lächeln, sein Gang schien eine Botschaft zu sein, mochte er auch von dieser nichts wissen.« (46) Die amtliche ›Anrufung‹ (Louis Althusser) hat den Amtsverkehr zu einer Kommunikation werden lassen, in der neben unablässiger Bereitschaft auch die dauernde Konjektur entscheidend wird – und dies sogar bei Botschaften, die man selbst an die Behörden richtet. Folglich ist bei jener Nachricht, die K. seinerseits an Klamm expedieren lässt, weniger der Wortlaut entscheidend als vielmehr, wie sie als Äußerung »vor Klamm erklingen« wird. (197) Und versucht K. seinerseits, einen Beamten – im Doppelsinne – ›anzurufen‹, kann er nicht sichergehen, dass der Angerufene auch der Beamte ist. »Vielmehr ist es wahrscheinlich ein kleiner Registrator«, weshalb selbst die exakte Adresslogik der Telefonie nichts anderes verbürgt, als dass kommuniziert wird. Technisch gesprochen, das »Rauschen« und, organisationsmythisch verstanden, der »Gesang«, den man im Dorf vom Kommunikationsaufkommen des Schlosses alleine zu hören bekommt, sind »das einzige Richtige und Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Telephone übermitteln, alles andere ist trügerisch.« (116 f.)
Dass an der Kommunikation nur ihr Stattfinden sicher ist, nicht aber, wie in ihr Information und Mitteilung verknüpft sind; und dass die Bedeutung der Aussagen ganz und gar vom Sinn der Äußerungen, vom Kontext und der Weise des Aussagens abhängt – aus dieser doppelten kommunikativen Unsicherheit speist sich letztlich das Mysterium der Bürokraten, ihrer Allgegenwart und ihrer Erscheinungsweisen. Zwar erscheint unter diesen Vorzeichen ein Beamter wie Klamm geradezu entrückt. Wenn aber selbst subalterne Figuren wie die Gehilfen dafür bürgen, dass Klamm jederzeit »Zutritt« zu K. selbst bekommen kann, sollte man weniger von seinem Entzug oder seinem Rückzug auf erratische Bescheide als von seiner »Überfülle« sprechen – es gibt eher »zu viel Klamm«.(84) Ist die Bürokratie mit dem Leben regelrecht ›verklammert‹, dann gibt es auch keinen strikten Unterschied »[z]wischen den Bauern und dem Schloß«. (20) Weil er mit jedem kommunikativen Ereignis seine Stellung zu wechseln scheint, ist ein Beamter nicht nach Art eines ›Individuums‹ zu adressieren. Auf ›dividuelle‹ Weise verändert er laufend seine Bestimmung und Erscheinung, sodass sich die Bürokraten untereinander einmal unterscheiden, dann wieder gleichen, zwischen ihnen eine »immerfort angezweifelte Ähnlichkeit« herrscht und es keine Überraschung sein kann, dass sich die Beamten gegenseitig immerzu »vertreten« (295). Taucht er im Dorf selbst auf, dann ändert ein und derselbe Beamte mit jeder Verrichtung (beim Biertrinken oder im Gespräch, beim Wachen oder Schlafen) unablässig sein »wirkliches Aussehn«. (278, 286)
»Nun gehn natürlich alle diese Unterschiede auf keine Zauberei zurück, sondern sind sehr begreiflich«, wie Olga erklärt, denn sie »entstehen durch die augenblickliche Stimmung, den Grad der Aufregung, die unzähligen Abstufungen der Hoffnung oder Verzweiflung, in welcher sich der Zuschauer« sein Bild vom Beamten macht. (278) Amtswesen erlangen ihr Mysterium also nicht durch rein amtliche, sondern generell durch soziale Kommunikation, die das Bild vom Bürokraten immerzu neu perspektiviert und affektiv auf diese oder jene Weise färbt. Oder anders gesagt: So wie die bürokratische und soziale Sphäre tendenziell zur Deckung gebracht werden, entscheiden über den Erfolg des amtlichen Parteienverkehrs zusehends die zwischenmenschlichen Beziehungen, die jeweilige Positionierung im persönlichen Netzwerk und die entsprechende emotionale Wirkung, die man aufeinander ausübt. Bei Kafka zeichnet sich damit bereits jenes Managementprogramm ab, das ab den 1930er-Jahren unter dem Titel der ›human relations‹ firmieren wird. Am wichtigsten sind folglich an Klamms Schreiben, diesem – wie es der Dorfvorsteher nennt – »Privatbrief« (114), die mit ihm eröffneten ›Beziehungen‹. Wie jeder Beamte, ja wie jeder Bote, ist Klamm nicht gerade ein »Freund«, wohl aber ein »Geschäftsfreund« (112), welcher nicht nur den Verkehr mit den Behörden erleichtern kann, sondern diese auch als Privatperson vertritt.
Letztlich findet die wirkliche Bewährung der ›Stellensuchenden‹ nicht erst im amtlichen, sondern bereits im sozialen Verkehr statt, zu dessen lebendiger Gestaltung die Bürokratie ja letztlich anreizen soll. Bei seinen Bemühungen um Anerkennung dämmert K. deshalb sehr bald, »daß hier ein etwas leichtsinnigeres Verfahren, eine gewisse Entspannung nur direkt gegenüber den Behörden am Platze war, während sonst aber immer große Vorsicht nötig war, ein Herumblicken nach allen Seiten vor jedem Schritt.« Unter den Bedingungen der Reformbürokratie sind Amt und Leben, wie es heißt, so verflochten, als »hätten sie ihre Plätze gewechselt«. (94) Nur »kindlich« war also K.s anfängliche Vorstellung, »dort oben« herrsche entrückt »die Behörde in ihrer unentwirrbaren Größe« (291). Jenes »außeramtliche, völlig unübersichtliche, trübe, fremdartige Leben«, in das er sich zunächst zurückverwiesen sieht, entpuppt sich als eigentlicher Wirkungsraum der Behörden, herrscht hier doch immer schon eine gewisse »Lückenlosigkeit der amtlichen Organisation«, sodass »jeder der irgendein Anliegen hat oder der aus sonstigen Gründen über etwas verhört werden muß, sofort, ohne Zögern, meistens sogar noch ehe er selbst sich die Sache zurechtgelegt hat, ja noch ehe er selbst von ihr weiß, schon die Vorladung erhält.« (417)
Der »behördliche Apparat« fällt mit dem sozialen Organismus, seiner »Spannung« und »Aufreizung« zusammen, weshalb hier wie da »die Leidenschaft, mit welcher die Sache ergriffen wird«, entscheidend ist. (110, 420) Nicht nur innerhalb der Amtsstuben, allerorten macht sich ein gewisses ›Amtsbegehren‹ geltend. Und dieses gründet, am deutlichsten bei K., im schlichten »Verlangen hier zu bleiben« (215), also eine feste Stelle zu finden. Hierzu sind Beziehungen zu den Ämtern vonnöten, die wiederum nur durch soziale Beziehungen aufzubauen sind. (vgl. 495) Einmal mit den Behörden in Kontakt, bedarf es aber auch hier sozialer Kompetenzen, ja regelrechter Verführungskünste, denn »amtliche Entscheidungen sind scheu wie junge Mädchen«. (273) Wenn es im Amtsverkehr keinen einsinnigen, eindeutigen und hierarchischen Instanzenzug mehr gibt,(85) auf den sich das Amtsbegehren richten könnte, und wenn Entscheidungen dezentral, hie und da, auf den Behörden so sehr wie im Sozialen getroffen werden, kann es freilich auch zu Ungleichzeitigkeiten, zu Vorwegnahmen und Aufschüben kommen, sodass man über eine »längst entschiedene Angelegenheit noch immer leidenschaftlich berät.« (110) Die ›gute Ordnung‹ der alten Bürokratie gerät in diesem Zuge vollends durcheinander, und so scheint man auch K.s Akte verwechselt und ihm dann irrtümlich das Stellenangebot eines Landvermessers zugestellt zu haben.
Einerseits verdankt sich K.s Amt einem bürokratischen Fehler. Andererseits aber kann hier kein Fehler vorliegen, ist es doch, wie der Dorfvorsteher sagt, »ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet wird.« (104) Tatsächlich gibt es hier keine Fehler mehr, insofern Fehler keine Verfehlungen, sondern erwünscht sind. »Das richtige Verhalten ist keine Verpflichtung auf bestimmte Vorgaben mehr«, wie man zur heutigen Managementkultur festgestellt hat, »sondern eine Reflexion auf die Frage, was aus Fehlern gelernt werden kann. […] Die Fehlerkultur gipfelt in Verhältnissen loser Nachbarschaft, in denen Verbindungen geknüpft und wieder aufgelöst, gestärkt und wieder geschwächt werden.«(86) Das ›Dorfschloss‹ oder ›Schlossdorf‹ ist so gesehen eine bestens fehlgesteuerte Kontrollgesellschaft – und kontrolliert wird hier (frei nach Kleist), wie man durch einen schönen Fehler mit sich selbst bekannt geworden.(87) Nicht eine oberste Behörde kontrolliert diese Fehlerkultur. »Es gibt nur Kontrollbehörden«, heißt es im Roman. (104) Bürokratien sind letztlich nicht mehr spezifische Mittel, die ›rational‹ auf feste Zwecke programmiert wurden. Vielmehr bestehen sie nur in der pausenlosen »Organisation der Organisation durch Kommunikation«.(88) Zu kommunikativen Ereignissen innerhalb einer allumfassenden Dauerkommunikation geworden, dienen sämtliche Behörden der, wie es heißt, »bewunderungswürdigen Einheitlichkeit des Dienstes«. (92)
Vor dem Hintergrund dieser Fehler- und Kontrollkultur kann es dem Stellensuchenden K. nur helfen, dass seine Akte, in die er Einsicht begehrt, offensichtlich verstellt wurde. »Der Akt ist also nicht gefunden«, resümiert der Vorsteher die vergebliche Suche. »Schade, aber die Geschichte kennen Sie ja schon, eigentlich brauchen wir den Akt nicht mehr.« (113) Und tatsächlich braucht der Roman keine Büro-Akten mehr, sondern beschränkt sich fortan auf Erzähl-Akte. Einerseits geht er über in jenes Genre der ›Dorfgeschichten‹, mit dem man seit dem Vormärz gegen die Bürokratie, zugleich aber für die gemeindliche Selbstverwaltung und ihr »frisches, selbsttätiges Leben« gekämpft hat.(89) Andererseits vermisst er aufs Neue jenes Terrain, das die habsburgische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach seit 1883 mit ihren
›Schloßgeschichten‹, wie sie im Dorf erzählt werden, dienen dabei nicht nur der »Unterhaltung«; von ihnen »nähren« sich etliche Dorfbewohner, weil sie von ihnen Aufschluss erhoffen über den weitreichenden »Einfluß«, den das Schloss auf »die Existenz eines Menschen«, auf das Schicksal ganzer Familien oder die Zukunft des Dorfs insgesamt nimmt. (102, 322 f.) Umgekehrt verschaffen ›Dorfgeschichten‹ den Behörden Aufschluss über verwaltungsrelevante Einzelfälle, aber auch über den Aggregatszustand des Sozialen und über die kursierenden Erwartungen an das Schloss, sodass etliche Aktenvorgänge auf bloßen Klatschgeschichten beruhen. Sobald Amt und Leben und damit auch Bürokratie und Erzählen in derart engen Austausch, ja fast zur Deckung kommen, enthalten Dorfgeschichten ebenso die umlaufenden Schlossgeschichten wie Schlossgeschichten die amtliche Sammlung von Dorfgeschichten. Nicht nur ›archaische‹, auch und gerade moderne und reformierte Bürokratien zehren also von Geschichten, gehören diese doch zu jener lebensweltlichen Handlungssphäre, die vom amtlichen Entscheidungsapparat nicht mehr kategorial zu trennen scheint. Behördliches entscheidet sich hier ebenso sehr im Alltäglichen, wie Allerweltshandlungen von den Behörden motiviert werden.
Zwar führt, wie es heißt, »der einzige Weg« zu den Beamten und Behörden »durch die Protokolle«, (177) scheint also nach wie vor eine alles beherrschende Schriftmacht den Gang der Dinge zu steuern. Doch ist die Textsorte Protokoll generell ein Transformator zwischen Rede und Akte, und zudem werden die Mitschriften hier von höheren Beamten wie Klamm prinzipiell nicht gelesen. Mehr noch: Sie werden nur informell und »halbamtlich« geführt und zuweilen in »Abwesenheit nachträglich aufgesetzt von jemandem, der gar nicht bei der Besprechung war« (143). Sie dienen somit eher im rituellen und symbolischen als im beweiskräftigen Sinne der neuen guten Ordnung. Nicht anders ist es um die eigentlichen Amtstermine, um die Anhörungen und Verhöre bestellt: Hier kennt man letztlich keinen »Unterschied zwischen gewöhnlicher Zeit und Arbeitszeit«, zwischen sozialem und amtlichem Umgang mehr. (411) Wie im Falle von K.s Besuch bei Bürgel kann der Amtsverkehr auch nachts vonstattengehen, und es entscheidet hier weniger die Aktenlage als abermals »die Leidenschaft, mit welcher die Sache ergriffen wird«. (420) An die Stelle bürokratischer Sprachregelungen kann hier leicht eine »Sprache der Liebe« treten, die würdige Amtshandlungen in regelrechten Amtsmissbrauch übergehen und die Parteien in einer kurzzeitigen
Hat das allgegenwärtige ›Amtsbegehren‹ zuletzt Amt und Leben fast ununterscheidbar gemacht, kann auch nicht mehr von einer obrigkeitlichen oder Fremdverwaltung die Rede sein. Der Kampf um Selbstverwaltung, den sich die Dorfgeschichten des Vormärz auf die Fahnen schrieben, scheint bei Kafka gewonnen. Die ›lebendige Institution‹ ist vom Verkehr und von den Befindlichkeiten der Bevölkerung nachgerade untrennbar. Die Schlossbehörden können, wie jeder beliebige Dorfbewohner, ebenso gnadenlose Ungerührtheit wie informelle Empathie zeigen. Und im Zuge dieser Annäherung von Amt und Leben hat die Verwaltung zuletzt auch einen gewissen ›narrative turn‹ vollzogen: Das Schloss schreibt offenbar nur mehr, um das Dorf erzählen zu lassen. Doch verlieren sich diese Erzählungen immer mehr im Hörensagen: »Er sagte, dass sie sagte, dass sie gehört hatte, dass er gesagt hatte, usw. In diesen unübersichtlichen Wechseln von Erzählerinnen und Erzählern, Standpunkten und Referenzen«(91) erschöpft sich zuletzt das Romanfragment – und mit ihm auch der unermüdliche K. Wenn man will, kann man an Kafkas Schreiben (und Leben) jene Auffassungen und Praktiken nachbuchstabieren, die seit der Jahrhundertwende dem Problem menschlicher Ermüdung galten: von den unternehmerischen Maßnahmen, die der Energieökonomie des Arbeiters durch die Balance von Leistungsintensität und Erholung gerecht werden wollten; über die lebensreformerische Sorge um einen tendenziell überanstrengten und morbiden Körper; bis hin zum ›Stress‹, den man seit den 1930ern in lebenswissenschaftlichen Homöostasekonzepten entdeckte und sogleich auf den flexibilisierten, eigenmotivierten und jederzeit um Statusgewinn ringenden Angestellten übertrug.
Von Anbeginn, schon bei der ersten Annäherung an das Schloss, zeigt sich K. erschöpft – zunächst nur von der Anreise, dann aber von jeder neuen Bekanntschaft. (vgl. 7, 21) Fortan wird er versuchen, »seine Kräfte gesammelt zu halten«. (54) Schließlich ist das Ermüdende seiner Stellensuche nicht, dass ihm jemals »mit wirklichem Zwang gedroht« würde, sondern vielmehr, dass ihm tagtäglich »die Gewalt der entmutigenden Umgebung, der Gewöhnung an Enttäuschungen, die Gewalt der unmerklichen Einflüsse jedes Augenblicks« zugemutet wird. (43) Freilich betrifft diese Erschöpfung hier alle und jeden: Auf Boten wie Barnabas wirkt ihr Dienst in unablässiger Aufmerksamkeit ebenso »ermüdend« wie auf die niederen Beamten, die vom seinerseits erschöpften Klamm weitere »Störungen« fernzuhalten haben. (282, 428) Jeder scheint hier »immerfort müde […], ohne daß dies aber die Arbeit schädigte, ja es schien sie vielmehr zu fördern«, weil unablässige Erschöpfung mit unablässigem Bemühen zusammenfällt. (429) Dennoch mündet das alles beherrschende ›Amtsbegehren‹ zuletzt in die »Versuchung […], sich ins Bett zu legen und endlos zu schlafen.« (403) Beim immer müden Bürgel, der sein Büro zu einem Schlafplatz umgewandelt hat, um vom Bett aus sämtliche »Korrespondenzen« und »Parteieinvernahmen« zu erledigen, (406) gibt K. dieser Verlockung nach und findet im Schlaf endlich Rast und Ruh. Was er zuletzt aufgibt, ist sein Amtsbegehren.
Denn nicht nur durch ›schöne Fehler‹, sondern (wie es bei Kleist exakt heißt) durch »schöne Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht«, findet er sein letztes Ziel darin, vom ziellosen Streben loszukommen.(92) Offenbar hat er erkannt, dass ihm mit dem Niedergang der alten Bürokratie und mit der Einrichtung lebensgerechter ›Adhocratien‹ zwar die verschuldende Kraft des Gesetzes und der ermüdende Druck der Disziplin erspart bleibt, dafür aber dauernde Initiative, Veränderung und Flexibilität, mithin die einsame Verantwortung um seinen Werdegang abverlangt wird. Als ›erschöpftes Subjekt‹ begibt sich K. zu guter Letzt nicht mehr auf die Ämter, sondern versenkt sich in die Geschichten, wie sie vom Schloss und Dorf im Umlauf sind – insbesondere in Olgas ausufernde Erzählung, die im Buchdruck auf fast hundert Seiten kommt. Als Zuhörer übt er sich zunächst in grenzenloser Empathie für alles geschilderte Leiden, das Olga und ihrer Familie widerfahren ist. Unter dem Eindruck der stundenlangen Erzählung wird er jedoch irgendwann apathisch, gibt jede Seelenbestrebung auf, die nach einem Amt wie dem des Landvermessers verlangt – und verschwindet zuletzt zur Gänze aus allen Geschichten. Nicht einmal als Zuhörer scheint er mehr präsent. Seine ewige Stellensuche, seine eigene Geschichte und damit auch die Romanhandlung gelangen an ihr offenes Ende. Dieses Ausufern und Ausfransen der Erzählung hat man als Kafkas ›Spätstil‹ bezeichnet.(93) Doch anders als die Entstehungszeit des Romans kurz nach dem Ende des Reichs und seiner Bürokratie vermuten lässt, mündet dieser Spätstil nicht in Sentimentalität und Nostalgie. Kafka blickt nicht melancholisch zurück auf dem habsburgischen Mythos. Er blickt vielmehr erschöpft nach vorn – nach vorn in unsere Gegenwart.
Kafkas Texte hat man als »Mitschriften« bezeichnet, die sich nicht nur metaphorisch oder thematisch um Fragen der Bürokratie drehen, sondern mit ihr bereits ›metonymisch‹, nämlich auf Ebene der Schreibverfahren alliiert sind.(94) Zur Bürokratie steht Kafkas derart ›protokollarisches‹ Schreiben in einem Verhältnis der Zeitgenossenschaft, aber auch der reflexiven Distanz. Ihre diversen Aggregatszustände – von amtsadligen Kulturträgern über biopolitische Institutionen bis hin zur flexiblen Kontroll- und Kommunikationsmacht der Zukunft – verbindet er in diesem Zuge mit jeweils eigentümlichen Formen der Vergemeinschaftung, die das ›Staatsdefizit‹ der Habsburgermonarchie zuletzt durch ein spezifisches ›Amtsbegehren‹ ausgleichen sollen. Kafkas unterschiedliche Formen der Mitschrift – von der Demontage althabsburgischer Mythen über die Analyse formaler Administrationstechniken bis hin zur Vermessung bürokratisierter Lebenswelten – kann man als unterschiedliche Modi der Bürokratiekritik verstehen. Als letzte und triftigste Form dieser Kritik erscheint aber die Erschöpfung des Bürokratiediskurses selbst. Mit ihr geht Kafka nicht nur über jenen Stand hinaus, den die Bürokratiereform und -reflexion seiner Zeitgenossen erreicht hat. Er überschreitet auch die Gattung literarischer ›Mitschrift‹.
Der Geist in Österreichs und Nassau’s Staatsverwaltung […], Frankfurt am Main 1825.
Abb. 1: Schema der Hollerith-Maschine, aus: Rudolf Lindner, Bertram Wohak und Holger Zeltwanger, Planen, Entscheiden, Herrschen. Vom Rechnen zur elektronischen Datenverarbeitung, Reinbek 1984, S. 63.
Abb. 2: Kartenlocher, aus: Art. »Keypunch« auf Wikipedia,
Abb. 3/4: Werbeplakate für die Hollerithmaschine, aus: Lindner 1984, S. 68, 74.
Überliefert in: Correspondance littéraire, philosophique et critique de Grimm et de Diderot, Neuausgabe, Bd. 4: 1764-1765, Paris 1829, S.11, S. 326.
Johann Heinrich Campe, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, Braunschweig 1813, S. 161.
Robert von Mohl, »Über Bureaukratie«, in: Ders., Politische Schriften. Eine Auswahl, hg. von Klaus von Beyme, Wiesbaden 1966, S. 276–310, hier S.286, S.294.
Max Weber, Gesammelte politische Schriften, hg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 51988, S. 332.
Friedrich Schiller, »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen«, in: Ders., Theoretische Schriften, hg. von Rolf-Peter Janz, Frankfurt am Main 2008, S. 556–676, hier S. 573; Karl Freiherr vom und zum Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 1: Studienzeit. Eintritt in den preussischen Staatsdienst. Stein in Westfalen (1773–1804), hg. von Erich Botzenhart und Walther Hubatsch, Stuttgart 1957, S.XXVIII.
Vgl. hierzu ausführlich: Peter Becker, »›Kaiser Josephs Schreibmaschinen‹. Ansätze zur Rationalisierung der Verwaltung im aufgeklärten Absolutismus«, in: Pensionssysteme im öffentlichen Dienst in Westeuropa (19./20. Jh.). Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte, Baden-Baden 2000, S.223–254, hier S.224 f., S.231 f., S.244 f.
Der Geist in Österreichs und Nassau’s Staatsverwaltung […], Frankfurt am Main 1825, S.11, S. 15.
Zit. nach: Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich, Bd. 1: 1780 bis 1848, Wien, u. a. 22013, S. 74;
Jörg Mauthes Abwandlung von Karl Kraus’ Diktum, zit. nach: Markus Kóth, »Aber es handelt sich eben um ein phantastisches Land«. Das Österreichbild in den literarischen Werken Jörg Mauthes – ein Beitrag zur Identitätsgeschichte der Zweiten Republik, Wien 2009, S.82f.
Alfred Hoffmann, »Bürokratie insbesondere in Österreich«, in: Heinrich Fichtenau, Erich Zöllner (Hg.), Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, Wien, u. a. 1974, S. 13–31, hier S.24 f., S.30.
Pieter Judsons ›neue Geschichte‹ des Habsburger Reichs etwa verschiebt den Fokus bewusst von der Nationalitätengeschichte wieder auf die Reichsgeschichte: »it was institutions of empire that constituted the focus of political activity and emotional loyalties«, was besonders im 19. Jahrhundert und dem »cultural turn« in Politik und Verwaltung offenbar geworden sei. – Pieter M. Judson The Habsburg Empire. A New History, Cambridge, London 2016, S. 270, S. 382.
Josef Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, Bd. 1, Leipzig 1920, S.451.
Reinhart Koselleck, »Staat und Gesellschaft in Preußen 1815–1848«, in: Werner Conze (Hg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815–1848, Stuttgart 1962, S. 79–112, hier S. 90. Hierzu und zum Folgenden vgl. auch Waltraud Heindl, »Bürokratie, Staat und Reform. Überlegungen zum Verhältnis von Bürokratie und Staat im aufgeklärten Absolutismus von Österreich«, in: Moritz Csáky, Étatisation et bureaucratie. Symposion der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Wien 1990, S. 39–48, hier S.45 f.
Zur Prägung von Kelsens Reiner Rechtslehre und Allgemeinen Staatslehre durch das Habsburger ›Staatsproblem‹ vgl. Johannes Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt. Von Bolzano über Freud zu Kelsen: Österreichische Wissenschaftsgeschichte 18481938, Bielefeld 2010, S.272, S.280–282, S.338.
Vgl. hierzu auch die in Judson, The Habsburg Empire, S. 16 ff. geschilderte ›Urszene‹ von Maria Theresias State Building, in der das Militär zur erstmaligen Zählung und Lokalisierung der verstreuten Untertanen in die verschiedenen Ländereien geschickt und dort letztlich als Sendbote imperialer Unterstützung (gegen die örtlichen Autoritäten) willkommen geheißen wird.
Zit. nach: Barbara Liegl, Wolfgang C. Müller, »Senior Officiais in Austria«, in: Edward C. Page, Vincent Wright (Hg.), Bureaucratic Élites in Western European States. A Comparative Analysis of Top Officials, Oxford 1999, S.90–120, S.90.
Vgl. hierzu Joseph P. Strelka, »Die sozialgeschichtliche Entwicklung und die kulturmorphologische Funktion des Beamten in der österreichischen Literatur«, in: Ders. (Hg.), Der Beamte und der Offizier in der österreichischen Literatur, Bern, u. a. 1994, S. 17–31, hier S. 18–22.
Claudio Magris, Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur, Wien 2000, S.11, S.23.
Vgl. Ebenda, S.27–29.
Vgl. Ebenda., S.25 f.
Ebenda, S.24 f.
Sascha O. Becker, et al., »The Empire Is Dead, Long Live the Empire! Long-Run Persistence of Trust and Corruption in the Bureaucracy«, in: The Economic Journal 126 (2016), S.40–74, hier S.41.
Zit. nach: Monika Senghaas, Die Territorialisierung sozialer Sicherung. Raum, Identität und Sozialpolitik in der Habsburgermonarchie, Wiesbaden 2015, S. 207.
Zit. nach: Ebenda., S. 208.
Friedrich Kleinwächter, Der fröhliche Präsidialist, Wien 1947, S. 102. – Vgl. hierzu auch Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem, S. 246.
Siegfried Kracauer, Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland, Berlin 132013, S.82.
Franz Kafka, Tagebücher, in: Ders., Kritische Ausgabe der Schriften und Tagebücher, hg. von Jürgen Born, Gerhard Neumann, Malcolm Pasley und Jost Schillemeit, 15 Bde., Frankfurt am Main 2002, S. 29. – Im Folgenden wird diese Ausgabe im fortlaufenden Text als mit Bandsigle (in diesem Fall für die Tagebücher: T) zitiert.
Brief an Milena Jesenskä, August 1920, in: Franz Kafka, Briefe an Milena, erweiterte Neuausgabe, hg. von Jürgen Born und Michael Müller, Frankfurt am Main 1995, S. 229.
Max Brod, Franz Kafka. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1962, S. 102.
Zum Österreicher und seiner ›Behörde‹ vgl. etwa Hermann Bahr: »Er traut ihr nicht, sie ihm nicht. Er erschrickt, wenn er vor sie gerufen wird. Sie ist gereizt, wenn er sich doch einmal an sie wenden muß. Und beide wünschen sich nur, nichts miteinander zu tun zu haben.« Hermann Bahr, »Rat Schrimpf«, in: Das Hermann-BahrBuch, Berlin 1913, S. 198–204, hier S.200.
Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen, erw. Ausgabe, Frankfurt am Main 1968, S.71.
Vgl. Alfred Weber, »Der Beamte«, in: Neue Rundschau 21 (1910), S. 1321–1339, hier S. 1321 f.
Hermann Bahr, Tagebuch 1917, Innsbruck, u. a. 1918, S. 105 f.
Vgl. hierzu etwa bei Herbert A. Simon das Konzept eines General Problem Solving, einer von Affektivität angestoßenen und von Emotionalität getönten Urteilsfindung. – Herbert A. Simon, »A Theory of Emotional Behaviour«, CIP Working Paper 55 (1963), S. 1–29, hier S. 23 f.
Vgl. hierzu Sabine Donauer, Faktor Freude. Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt, Hamburg 2015, S. 19 f., S. 33 f., S. 37; und Niklas Luhmann, Der neue Chef, hg. von Jürgen Kaube, Berlin 2016, S. 46 f., S. 51.
Vgl. hierzu etwa Christoph Beier, »Regionale Verwaltungskultur, selbst-referentielle Systeme und mikropolitisches Agieren. Überlegungen zur Untersuchung regional unterschiedlichen Verwaltungshandelns«, in: Geographische Zeitschrift 81/3 (1993), S.129–144, hier S. 140.
Franz Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, hg. von Erich Heller und Jürgen Born, Frankfurt am Main 1976, S.237.
Ebenda.
Ebenda, S.238.
Ebenda, S.238–240.
Vgl. Joseph Roth, Radetzkymarsch, Köln 1989, S.269 f.
Jean Paul [d. i. Jean Paul Friedrich Richter], Vorschule der Ästhetik, hg. von Norbert Miller, Hamburg 1990, S. 125, S. 129.
Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz, S.240.
Vgl. Walter Benjamin, »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. II. I, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1991, S. 409–438, hier S.415.
Franz Kafka, Briefe 1902–1924, hg. von Max Brod, Frankfurt am Main 1975, S. 158.
Benjamin, »Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages«, S. 78 f., S. 98.
Gilles Deleuze, Félix Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, Frankfurt am Main 1976, S.60–65, S. 102–111.
Dem entsprechen auch Kafkas Erzählungen: »Schuldig werden«, wie Adorno schreibt, nur jene von Kafkas Figuren, die »versuchen, das Recht auf ihre Seite zu bringen«. – Theodor W. Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10.1., Frankfurt 1970–1986, S. 254–287, hier S.286.
Heinrich Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung insbesondere bei der österreichischen Volkszählung«, in: Allgemeines statistisches Archiv 2 (1891/92), S.78–126, hier S.78, S. 95.
Dieser Kartenlocher »drückt den Stift in jene Löcher des Schemas, welche den Individualangaben für die betreffende Person entsprechen, wodurch die korrespondierenden Löcher in die Karte selbst geschnitten werden«. – Ebenda, S. 93.
Peter Becker, »Formulare als ›Fließband‹ der Verwaltung? Zur Rationalisierung und Standardisierung von Kommunikationsbeziehungen«, in: Peter Collin, Klaus-Gert Lutterbeck (Hg.), Eine intelligente Maschine? Handlungsorientierungen moderner Verwaltung (19./20. Jh.), Baden-Baden 2009, S. 281–298, hier S. 281 f. – Zum Einsatz der Hollerith-Maschine in zeitgenössischen Betrieben vgl. Kracauer, Die Angestellten, S.27 f.
Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, Berlin 22011 [EA: 1918], S.26.
Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, Darmstadt, Neuwied 21977, S. 275.
Zum Verhältnis von Kafka und Kelsen vgl. Paul Alberts, »Knowing Life before the Law: Kafka, Kelsen, Derrida«, in: Brenadan Moran, Carlo Salzani (Hg.), Philosophy and Kafka, Lanham, u. a. 2013, S. 179–197, hier S. 186–188.
Zu Kelsens Berufung auf Cassirers Funktionsdenken vgl. Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt, S. 298.
Vgl. Kittler »Schreibmaschinen, Sprechmaschinen. Effekte technischer Medien im Werk Franz Kafkas«, in: Ders., Gerhard Neumann (Hg.), Schriftverkehr, Freiburg im Breisgau 1990, S. 131 f.
Zu diesem wichtigen Begriff der expressionistischen Stilgeschichte vgl. Wilhelm Worringer, Formprobleme der Gotik, München 21922, S.22 f.
Zit. nach: Geoffrey D. Austrian, Herman Hollerith. A forgotten giant of information processing, New York 1982, S. 62, S. 347.
Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung insbesondere bei der österreichischen Volkszählung«, S. 99 und Austrian, Herman Hollerith, S.70.
Kracauer, Die Angestellten, S. 29.
Rauchberg, »Die elektrische Zählmaschine und ihre Anwendung insbesondere bei der österreichischen Volkszählung«, S. 111.
Olszewski hatte 1904 in seiner Studie Bureaukratie das »Leiten der Welt vom Amtstische aus« beschrieben, bei dem »die Kontrolle die Kontrolle kontrolliert, und diese eine weitere Oberkontrolle erlebt«. Die Bürokratie sah er als letzte, monströse Ausgeburt eines Staats, der »ohne Rücksicht auf das pulsierende Leben und die veränderlichen vitalen Verhältnisse« verfährt, und vor dem jeder »erscheinende Petent […] schon grundsätzlich ein Beschuldigter« ist. – Josef Olszewski, Bureaukratie, Würzburg 1904, S. 73, S. 98, S. 152 f.
Robert Heindl, Meine Reise nach den Strafkolonien, Berlin, Wien 1913, S. 21, S. 193, S. 197.
Ebenda, S. 51–53, S. 88, S.301, S.305, S.379, S.383.
Vgl. Benno Wagner, »›Die Majuskel-Schrift unseres Erden-Daseins‹. Kafkas Kulturversicherung«, in: Hofmannsthal-Jahrbuch 12 (2004), S. 337–348.
Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, S. 129.
Vgl. hierzu Burkhardt Wolf, Fortuna di mare. Literatur und Seefahrt, Zürich, Berlin 2013, S.326–335.
Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Frankfurt am Main 1983, S. 212.
Friedrich Beißner, Der Erzähler Franz Kafka, Stuttgart 41961, S. 32.
Günter Anders, Kafka. Pro und Contra. Die Prozeß-Unterlagen, München 1951, S. 48 f.
Zu Gilles Deleuzes Konzept der ›Vierten Person‹ bei Kafka vgl. Joseph Vogl, »Vierte Person. Kafkas Erzählstimme«, in: DVjs 68/4 (1994), 745–756, hier S.750, S.754.
Vgl. hierzu Kafkas Hinweis auf die – ursprünglich – geplante Kapitelfolge in seinem Brief an Max Brod, Zürau, ca. 20. November 1917, in: Frank-Kafka-Hefte 1, in: Franz Kafka, Der Process. Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte, hg. von Roland Reuß und Peter Staengle, Frankfurt am Main, Basel 1997, S. 32.
Ebenda, Zu Elsa, S.6.
Zum schriftlich-geheimen Inquisitionsprinzip im Untersuchungsverfahren und zu Alois Zuckers Kritik an dessen Dominanz in der Strafprozessordnung vgl. Wolf Kittler, »Heimlichkeit und Schriftlichkeit. Das österreichische Strafprozessrecht in Franz Kafkas Roman Der Proceß«, in: The Germanic Review, 78/3 (2003), 194–222, hier S. 195–199, S. 207.
Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925), Nachdruck, Wien 1993, S. 243.
Niklas Luhmann, »Organisation«, in: Willi Küpper, Günter Ortmann (Hg.), Mikropolitik Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen, Wiesbaden 21992, S. 165–185, hier S. 169 f.
Vgl. Wolfgang Schäffner, »Raster-Orte«, in: Annett Zinsmeister (Hg.), Constructing Utopia. Konstruktionen künstlicher Welten, Zürich, Berlin 2005, S. 47–56, hier S. 48 f., S.51.
Die folgenden Stellennachweise aus dem Schloß werden ohne Sigle S gegeben.
Zum berufsbedingten »entgleiten« und »nicht festbleiben« der Landvermesser vgl. Hermann Wolff, Die akademischen Berufe, Bd. VI.: Der Techniker, Berlin 1919, S.276, S. 278. Zum Kampf der k. k. Angestellten um eine feste ›Dienstpragmatik‹ und zur damit verbundenen Hoffnung auf eine gesicherte Stellung vgl. Andrew Weeks, »Kafka und die Zeugnisse vom versunkenen Kakanien«, In: Sprache im technischen Zeitalter 88/15 (1983), S. 325–332.
Zur ›grenzüberschreitenden‹ Schreibweise Kafkas und zur willkürlichen Abtrennung des ›Fürstenzimmerfragments‹ durch Max Brod vgl. Matthias Schuster, Franz Kafkas Handschrift zum Schloss, Heidelberg 2012, S. 51.
Rückseite des Blattes 55 von Kafkas Handschrift. Zit. nach: Ebenda, S. 132.
Dirk Baecker, Organisation und Management, Frankfurt am Main 2003, S. 37.
Kracauer, Die Angestellten, S. 13, S. 28.
Kafkas Manuskript, S.36, 19r, 23r, zit. nach: Schuster, Franz Kafkas Handschrift zum Schloss, S. 333, S. 335.
Kafkas Schloß-Manuskript mit seinen zahlreichen Neuansätzen und Korrekturen, Verzweigungen und Streichungen hat man mit dem dezentralisierten Verwaltungssystem des Schlosses verglichen, das in diesem Sinne eine metapoetische Figur seines Schreibens darstellt. Dieses Schreiben aber könne nicht einfach, wie durch Max Brod und seine späteren Herausgeber geschehen, auf die abgeschlossene Form eines edierten ›Werks‹ gebracht werden. – vgl. Ebenda, S. 53, S. 55, S. 65, passim.
Dirk Baecker, Organisation und Störung, Berlin 2011, S. 58.
Vgl. Baecker, Organisation und Management, S.40 in Abwandlung von Kleists Marquise von O.
Ebenda, S.19.
Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem, S. 267. – Zur Dorfgeschichte vgl. exemplarisch Marcus Twellmann, »›Leben‹ im Vormärz. Zu Berthold Auerbachs Poetik einer volkstümlichem Literatur«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 133 (2014), S.267–290.
Vgl. hierzu Michael Niehaus, Das Verhör. Geschichte – Theorie – Fiktion, München 2003, S.478–480.
Malte Kleinwort, »Das Schloss zwischen Buch und Handschrift«, in: Ders., Joseph Vogl (Hg.), »Schloss«-Topographien. Lektüren zu Kafkas Romanfragment, Bielefeld 2013, S. 85–108, hier S. 103.
Heinrich von Kleist »Die Marquise von O…«, in: Ders., Sämtliche Werke und Briefe, hg. von Helmut Sembdner, Bd. II., München 32013, S. 104–143, hier S. 126.
Vgl. hierzu Malte Kleinwort, Der späte Kafka. Spätstil als Stilsuspension, München 2013, S. 185–198.
Vgl. hierzu Kerstin Stüssel, In Vertretung. Literarische Mitschriften von Bürokratie zwischen früher Neuzeit und Gegenwart, Tübingen 2004, S.2.