Studien belegen positive Effekte einer berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit auf eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung. Dabei werden interdisziplinäre hochschulische Primärausbildungen und Weiterbildungen von Gesundheitsberufen als Basis für erfolgreiche kooperative Zusammenarbeit gesehen. Jedoch konstatieren Terizakis und Gehring (2014, S. 24), dass sich „ein genuines Interdisziplinaritätsverständnis für die Lehre (…) noch gar nicht herauskristallisiert“ hat. Die unklare Begriffsbestimmung zu Interdisziplinarität sowie die Koexistenz von unterschiedlichen interdisziplinären Studienformaten sind einige Gründe dafür. Es herrscht ein Mangel an konsentierten interdisziplinären Lehrkonzepten. Daher fehlt systematisches Wissen zu notwendigen Kompetenzen und Erfahrungsschätzen von interdisziplinär Lehrenden. Die WHO empfiehlt interdisziplinär Lehrenden ein gemeinsames Verständnis von Interdisziplinarität zu entwickeln (ebd., 2010, S. 27ff.). In Vorbereitung auf den neuen berufsbegleitenden Bachelorstudiengang „Interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management“ (Start WS 2015/16) für Angehörige der Ergo- und Physiotherapie, Pflege, Hebammenkunde und Logopädie an der HAW Hamburg wurde das Verständnis von Interdisziplinarität von Lehrenden mittels Fokusgruppen untersucht. Im Januar 2015 diskutierten moderatorengestützt 8 Professoren/-innen und 9 wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen in drei getrennten, statusgruppengemischten Fokusgruppen über Interdisziplinarität, interdisziplinäres Lehren und Zusammenarbeit. Die Fokusgruppen mit Dauer von 1,5h wurden aufgezeichnet, transkribiert und analysiert.
Es zeigt sich, dass alle Teilnehmenden über ein kontextuales Verständnis von Interdisziplinarität verfügen, wobei der Terminus unscharf genutzt wird. Ein Spannungsfeld eines kongruenten interdisziplinären Lehrkonzeptes ist die wissenschaftliche Reflexion der fünf Berufsgruppen innerhalb ihrer Herkunftsdisziplin und die Stärkung von Interdisziplinaritäten.Das Gesundheitssystem befindet sich im Wandel und interdisziplinäre Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe wird als Lösung gesehen. Jedoch herrscht Forschungsbedarf in der akademischen Wissensvermittlung zum Umgang von eindeutiger Disziplinorientierung zur Herausbildung der beruflichen Kernidentität und Interdisziplinarität als innovatives Denkkonstrukt.
Die soziale Sicherung in Deutschland befindet sich in einem steten Wandel. Dieser sowohl demografisch, als auch sozial bedingte Wandel wird mit Fokus auf die Gesundheitsversorgung unter anderem durch den medizinisch-technischen Fortschritt und die Zunahme chronischer Erkrankung und Multimorbidität auf der einen und die Ausweitung von Marktelementen, Wertewandel, Digitalisierung, etc. auf der anderen Seite charakterisiert (Bauer & Wesenauer, 2015). In diesen Zeiten sehen sich die Angehörigen der Gesundheitsberufe wie der Pflege, der Physiotherapie, der Ergotherapie, der Logopädie und der Hebammenkunde mit neuen komplexen Anforderungen konfrontiert (Robert Bosch Stiftung, 2013). Um diesen zu begegnen wird u.a. eine Neustrukturierung des Gesundheitswesens im Allgemeinen und der Positionierung der Gesundheitsberufe im Speziellen gefordert (Robert Bosch Stiftung, 2013; Sachverständigenrat im Gesundheitswesen [SVR], 2008). Neben einer, wie zum Beispiel vom deutschen Wissenschaftsrat (2012), empfohlenen Akademisierung von 20 % der Angehörigen der Gesundheitsberufe rückt auch die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe zunehmend in den Fokus (Mahler et al., 2014). Sie spielt eine wichtige Rolle für eine qualitativ hochwertige und patientenorientierte Versorgung (SVR, 2008) und eine zunehmende Anzahl an Studien findet Belege für den positiven Nutzen einer berufsgruppenübergreifenden, also interdisziplinären Zusammenarbeit für Prozessmerkmale wie z.B. optimal verzahnte Behandlungsabläufe und Teamkommunikation, was per se auch zur Förderung der Zufriedenheit der beteiligten Gesundheitsberufe (WHO, 2010; Dilcher & Hammerschlag, 2013) beiträgt. Des Weiteren werden auch Ergebnismerkmale wie z.B. Behandlungsoutcomes/Wirkungen der Klienten/-innen positiv beeinflusst und in der Folge die Gesundheitsversorgung als Ganzes qualitativ und/oder quantitativ verbessert (Frenk et al., 2010; WHO, 2010; Reeves et al., 2013).
Bildungskonzepte mit interdisziplinärem Charakter in Ausbildung und Studium werden als Basis für die Vermittlung kooperativer Kompetenzen und daraus resultierender Kooperation in der Gesundheitsversorgung gesehen. Sie gewinnen zunehmend an Relevanz, ihre Umsetzung wird sowohl international als auch national empfohlen (SVR, 2008; Robert Bosch Stiftung, 2011; Frenk et al., 2010; WHO, 2010). Jedoch bleibt unklar, wie interdisziplinäre Anteile im Rahmen der Curriculumentwicklung platziert oder ob sie grundlegendes Konstrukt sein sollten. Mit Hinblick auf die Gewährleistung einer adäquaten Orientierung auf die Einzeldisziplinen herrscht in der Literatur ein Konsens dahingehend, „[…] dass interdisziplinäres Lernen einen vorgelagerten Sinn für die je eigene Fachlichkeit und damit Disziplinarität bis zu einem gewissen Grade voraussetzt“ (Terizakis & Gehring, 2014, S.23). Zugleich will die Methodik und Didaktik der interdisziplinären Lehre den Bedarfen entsprechend geplant sein und erfordert zugleich eine umfangreiche Methodenreflexion (ibid.). Weiterhin ist bei interdisziplinären Ansätzen zu berücksichtigen, dass das reine „unverbundene Nebeneinander von fachverschiedenen Lehrveranstaltungen“ nicht ausreichend ist und „interdisziplinärer Mehrwert […] nur durch Kommunikation und daraus folgenden Wechselwirkungen entsteht.“ (ibid.). Damit unterliegt die Planung interdisziplinärer Bildungskonzepte einer Vielzahl zu berücksichtigender Determinanten. Eine umfangreiche Reflexion aller Lehrenden, jede/r für sich und in der Gemeinschaft, von Begrifflichkeiten, Lehrplanung, Methodik und Didaktik gilt als Voraussetzung für gelingende interdisziplinäre Lehre.
In der Orientierung auf die Begrifflichkeiten fällt zunächst die Vielfalt teilweise mehr oder weniger synonym verwendeter Begriffe auf. Interdisziplinarität, Interprofessionalität, interdisziplinäres oder interprofessionelles Lehren und Lernen und nicht zuletzt interdisziplinäre oder interprofessionelle Zusammenarbeit, Teamarbeit; sind vielfach diskutierte Begrifflichkeiten, sie werden aber selbst im Kontext der Diskurse selten kongruent verwendet (Mahler et al., 2014; Tannhauser, Russel-Mayhew & Scott, 2010; Balsinger, 1996). Hierbei wird der Begriff der Interprofessionalität mit Bezug auf die praktisch handelnde Disziplin definiert, während die Interdisziplinarität mit dem handlungswissenschaftlichen Wissen der Disziplin in Bezug gesetzt wird (Mahler et al., 2014). Während der deutschsprachige Raum durch eben diese Vielfalt charakterisiert wird, ist im Englischen im Wesentlichen der Begriff interprofessional gebräuchlich, auch wenn dort ebenfalls eine inkonsistente Nutzung der Begriffe bemängelt wird (ibid.).
Interdisziplinarität im reinen Forschungskontext kann bereits auf eine längere Geschichte zurückblicken, erste organisatorische Anwendungsbezüge fand sie jedoch erst in der Reform der deutschen Hochschullandschaft in den 1960er Jahren (Terizakis & Gehring, 2014). Auf dem Weg vom reinen forschungsorganisatorischen Postulat hin zur Ressource, zur Überwindung disziplinärer Grenzen und zur Entwicklung praktischer, handlungsrelevanter Lösungsansätze ist sie seither Inhalt in den unterschiedlichsten, teilweise divergenten Kontexten. (Weber, 2010; Feichtinger, Mitterbauer & Scherke 2004; Mittelstraß, 1992). So sieht Balsinger sie als „Brücke zwischen den Disziplinen“, mahnt aber zugleich die klare Unterscheidung zwischen Interdisziplinarität als Organisations- und als Denkform an (Balsinger, 1996). Mittelstraß (1992, S. 96-98) hingegen sieht die Möglichkeit, mittels Interdisziplinarität in der Forschung disziplinäre Engführung und Erkenntnisgrenzen aufweichen zu können, stellt jedoch auch heraus, dass sie als reines Reparaturphänomen dysfunktionaler disziplinärer Prozesse zwar Potenziale bietet, dieser Ansatz jedoch ihren Kernprozessen zuwider läuft.
Im Kontext der divergenten Literaturdiskurse steigt die Notwendigkeit, Begrifflichkeiten und somit Kernfaktoren von Forschung und Lehre zu verdeutlichen.
An der HAW Hamburg, am Department „Pflege & Management“ (P&M) haben seit dem Wintersemester 2015/16 Angehörige der Gesundheitsberufe aus der Pflege, Hebammen, Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie die Möglichkeit, sich mittels des berufsbegleitenden, interdisziplinären Bachelorstudienganges „Interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management“ (B.Sc.) akademisch zu qualifizieren. Dieser Studiengang stellt zudem das Nachfolgemodell des bisherigen Studienganges Pflegeentwicklung & Management (B.A.) dar.
Leitender Gedanke bei der Curriculumsentwicklung war der interdisziplinäre, also wissenschaftsübergreifende Ansatz, welcher sich auch in der Namensgebung wiederfindet. Da der Studiengang nicht berufspraktische Aspekte fokussiert, sondern vielmehr die Reflexion des handlungswissenschaftlichen Wissens der relevanten Disziplinen in den Vordergrund stellt, wurde Interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management als Name für den Studiengang gewählt.
Die Studiengangentwicklung und wissenschaftliche Begleitung des Bachelorstudienganges wird im Rahmen des Projektes an der HAW Hamburg über zwei Förderphasen (2012 - 2017) hinweg gefördert. Der Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung – Offene Hochschulen“ des BMBF fördert Projekte, die sich die Öffnung der Hochschulen für nicht-traditionell Studierende zum Ziel gemacht haben. Neben der klassischen Curriculumsentwicklung fokussieren sie verstärkt auf Aspekte der Studierfähigkeit von neuen Zielgruppen, die Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen und nicht zuletzt die Studierbarkeit bzw. Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Studium (Hanft & Brinkmann, 2013). Die Angehörigen der Gesundheitsberufe werden bislang in Deutschland beinahe ausschließlich an Berufsfachschulen ausgebildet, sie stellen somit genau dieses Profil der nicht-traditionell Studierenden dar.
In der ersten Förderphase (2011 - 2014) stand die curriculare Entwicklung und in der zweiten Förderphase (2014 - 2017) die wissenschaftliche Begleitung der Pilot- Kohorte des Bachelorstudienganges „Interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management“ (B.Sc.) zentral im Rahmen der Projektarbeit. Auch die Unterstützung der Studiengang-Implementierung stellt phasenübergreifend ein Kernelement der Projektarbeit dar. Der Studiengang startete erstmalig zum Wintersemester 2015/16 mit einer Kohorte von 40 Regel- und 20 Projektstudienplätzen. Im Rahmen der Studiengangentwicklung liefert zunächst eine umfangreiche Bedarfsanalyse mit den Bedarfsindikatoren Gesundheitswirtschaft und Akademisierung umfangreiche Informationen. Die Analyse stellt unter anderem einen zu erwartenden Wettbewerb um Arbeitnehmer/-innen, das Interesse der Berufsgruppen an Akademisierung und die Sinnhaftigkeit der HAW Hamburg als Ausbildungsstandort heraus. Zudem wurden, auch unter Berücksichtigung von Ergebnissen einer Delphi-Befragung, in der curricularen Ausgestaltung neben anderen Inhalten die Kernbereiche „betriebliches Handeln“, „Beratung & Kommunikation“ und „Wissenschaft & Forschung“ berücksichtigt.
Der Implementierungsprozess eines Studienganges mit Studierenden vier neuer Berufsgruppen am Department „Pflege & Management“ der HAW Hamburg (bislang lag der Schwerpunkt auf Studiengängen B.A. „Pflegeentwicklung & Management“; B.A. „Pflege Dual“; M.Sc. „Pflege“; Der weiterbildende Studiengang MBA „ Sozial- & Gesundheitsmanagement“ hat schon immer Absolvierende aus unterschiedlichen Herkunftsdisziplinen adressiert, insofern liegen in gewissem Maße auch Erfahrungen im Umgang mit heterogenen Studierendengruppen vor.
Um die Fragestellung
Die 17 Teilnehmenden diskutierten in drei getrennten, statusgruppengemischten und moderatorengestützten Gruppen, wobei auf einen vorangehenden theoretischen Input verzichtet wurde, um den Kern der Diskussion auf der Freilegung der intuitiven Vorannahmen zu den Begrifflichkeiten zu belassen. Die Moderation wurde durch vier wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen des BMBF-Projektes aus den Disziplinen Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie und Pflege anhand eines Leitfadens durchgeführt. Der literaturgestützt entwickelte Leitfaden beinhaltete die folgenden sieben Leitfragen:
Welche Bedeutung hat der Begriff Interdisziplinarität für Sie (persönlich)? Welche Bedeutung hat der Begriff Interdisziplinarität für Sie (Ursprungsprofession/Lehrdisziplin)? Welchen Einfluss hat eine interdisziplinäre Zielgruppe auf die von Ihnen in der Lehre verwandte Methodik & Didaktik? Wie beeinflusst interdisziplinäre Zusammenarbeit den Alltag der Gesundheitsberufe? Wie beeinflusst interdisziplinäre Zusammenarbeit Patienten/-innen-Outcomes? Wie beeinflusst interdisziplinäre Zusammenarbeit das Gesundheitssystem? Gibt es einen gesellschaftlichen Nutzen interdisziplinärer Zusammenarbeit?
Die 1,5 stündigen Fokusgruppen wurden aufgezeichnet, nach GAT-Kriterien transkribiert und mittels qualitativer, zusammenfassender Kategorienbildung analysiert (Mayring, 2010). Kleinste zu analysierende Einheit war hierbei das Wort. Im Folgenden sind die Ergebnisse mit Fokus auf die LF1 bis LF3 und im Kontext eines dreistufigen Kategoriensystems dargestellt, wobei die dritte Stufe aus verdeutlichenden Zitaten besteht.
Die Ergebnisse der Fokusgruppendiskussionen beschreiben Aspekte, welche sich den Hauptkategorien
In der Hauptkategorie
In der Folge zeigt sich diese Unklarheit auch im Hinblick auf die zu nutzende Methodik & Didaktik
Im Kontext der Lehrplanung einzelner Personen wird die Unsicherheit noch verstärkt herausgestellt:
Die Hauptkategorie
Aspekte der Disziplinarität werden in den Fokusgruppen zentral positioniert. Wie in Tabelle 2 zu sehen, wird die Wichtigkeit hervorgehoben, nicht nur die eigene professionelle Identität zu kennen beziehungsweise zu entwickeln und zu stärken
Zitate der Kategorien Verständnis von Lehren & Lernen und Methodik & Didaktik
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Zitate der Kategorien Disziplinen/Disziplinarität
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Auch wird die Herausforderung der Professionalisierung und der Organisation der Disziplinen im Gesundheitswesen in der Diskussion benannt. Eine vorherrschende disziplinäre Hierarchie
Zitate der Kategorien Neuordnung/Hierarchie
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In dieser Hauptkategorie finden sich die Unterkategorien
Neben den unterschiedlichen, schwer abzugrenzenden Dimensionen von Interdisziplinarität
Zitate der Kategorien Begrifflichkeit und Berufsgruppenspezifische Sprache
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Zusammengefasst zeigt sich, dass alle Teilnehmenden über ein eigenes kontextuales Verständnis von Interdisziplinarität verfügen, wobei dieser Terminus eher unscharf benutzt und seine Verwendung als von Unsicherheiten geprägt beschrieben wird. Die Orientierung, das Selbstverständnis und die Identität im Hinblick auf die Herkunftsdisziplin der fünf Berufsgruppen werden als Voraussetzung eines kongruenten interdisziplinären Lehrkonzeptes beschrieben. Weiterer Klärungsbedarf entsteht durch den Umstand, dass der Gegenstandsbereich des interdisziplinären Lehrens und Lernens bislang nicht klar umschrieben ist und eher nicht auf vorhandene Konzepte und Methoden zurückgegriffen werden kann. Auch treten Unklarheiten bezüglich der Professionalisierung einzelner und einer adäquaten Neuordnung aller adressierten Gesundheitsberufe zutage.
Die Moderation der Fokusgruppen erfolgte durch vier Moderatoren/-innen, davon zwei in einem Team. Es lagen unterschiedlich stark ausgeprägte (Vor-)Kenntnisse und Erfahrungen im Hinblick auf qualitative Forschungsmethoden im Allgemeinen sowie Fokusgruppen im Speziellen vor, eine Beeinflussung des diskursiven Verlaufes durch die genannten Aspekte ist nicht auszuschließen.
Auch hinsichtlich der Methodenauswahl müssen mögliche Beeinflussungen diskutiert werden. Die Realgruppe weist eine hohe Relevanz für die departmentinterne Bearbeitung des Themas Interdisziplinarität auf (Misoch, 2014; Gerlach, 2013). Die Teilnehmer/-innen entstammen unterschiedlichen innerinstitutionellen Statusgruppen. Ob hier Aspekte der sozialen Erwünschtheit zu berücksichtigen wären, bleibt dahingestellt.
Die mittels der Fragestellung
Als zusätzliche Herausforderung muss die disziplinäre Sozialisation, das heißt der Gegenstandsbereich, das berufliche Selbstverständnis und die professionelle Identität im Kontext des interdisziplinären Lernens diskutiert werden. Die Frage, ob die disziplinäre Sozialisation bei dieser Gruppe von Studierenden mit abgeschlossener Berufsausbildung in einem Gesundheitsberuf ausreichend vorhanden ist, um Interdisziplinarität gestalten zu können, oder ob eine akademische, also curriculare Verankerung von fachspezifischen Inhalten erfolgen muss, bleibt unbeantwortet. Interdisziplinarität und Disziplinarität sollten unabhängig davon fortwährend einander gegenübergestellt werden, um auch die professionelle Identität der Studierenden hinsichtlich ihrer Ursprungsdisziplinen zu fördern. Im Kontext interdisziplinärer Wissenschaftspraxis konstatiert Balsinger (1996, S. 75) „dass in der Begegnung zwischen Vertretern mindestens zweier Disziplinen die Reflexion auf die je eigene Disziplin und damit das eigene wissenschaftliche Handeln gefördert wird […].“. Seine Aussage, bezogen auf den Wissenschafts-Kontext wird von Walkenhorst et al. (2015) auch im Hinblick auf interdisziplinäres Lernen bekräftigt, da interdisziplinäres Lernen einen positiven Effekt auf die disziplinäre, professionelle Identität hat.
Bezieht man die Dimension der Professionalisierung und die im deutschen Gesundheitssystem vorherrschenden, teilweise streng hierarchischen Strukturen mit ein, gewinnt die Argumentation noch an Komplexität. Laut Tannhauser, Russel-Mayhew & Scott (2010) braucht kooperative interdisziplinäre Zusammenarbeit die Anerkennung und Gleichberechtigung aller an der Gesundheitsversorgung beteiligten Berufsgruppen. Auch Körner, Göritz & Bengel (2014) beschreiben Statusunterschiede als Hürde für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Hier, ebenso wie in den Ergebnissen der Fokusgruppendiskussion wird eine Ablösung der existierenden Hierarchie vom „Kapitänsprinzip“ (Heinrich Böll Stiftung, 2013, S. 35) gefordert (Robert Bosch Stiftung, 2013; ibid.). In diesem Kontext muss auch die Divergenz der potenziellen Professionalisierung der Gesundheitsberufe, bei gleichzeitiger potenzieller Deprofessionalisierung des Ärztestandes diskutiert werden, welche unter anderem großen Einfluss auf eine mögliche Neuordnung des Berufsfeldes Gesundheit nehmen (Bollinger & Gerlach, 2015).
Nimmt man das sich im Wandel befindende Gesundheitssystem erneut in den Blick und geht davon aus, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe auch weiterhin als Lösung auf dringende Fragen gesehen wird, so bieten Studierende interdisziplinärer Studiengänge wie dem B.Sc. „Interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management“ Potenzial für Weiterentwicklungen. Vorausgesetzt, sie werden in ihrer täglichen, (interdisziplinären) Arbeit institutionell unterstützt und auf den relevanten Ebenen anerkannt und gleichberechtigt an der zukünftigen Entwicklung und Gestaltung der Gesundheitsversorgung beteiligt. So entstehen Kapazitäten, Versorgungsprozesse hinsichtlich ihrer Bedarfe kritisch zu reflektieren, disziplinäre Handlungsfelder optimal aufeinander abzustimmen, interdisziplinäre Handlungsansätze zu entwickeln und somit Outcome-Parameter wie Behandlungserfolg, -zufriedenheit und -effektivität positiv zu beeinflussen (Frenk et al., 2010; WHO, 2010; Robert Bosch Stiftung, 2011).
Zur Erreichung einer interdisziplinären, kooperativen Kompetenz der Studenten/-innen bedarf es auf Seiten der Lehrenden eines innovativen, reflexiven Umgangs mit den eigenen Fach- und Lehrinhalten sowie mit der zu nutzenden Methodik und Didaktik. „Interdisziplinarität muss im eigenen Kopf anfangen: als Querdenken, fragen, wohin noch niemand gefragt hat, lernen was die eigene Disziplin nicht weiß.“ (Mittelstraß, 1992, S. 102)
Die Autorinnen danken dem Bund-Länder-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), welches im Kontext des Wettbewerbes „Offene Hochschulen – Aufstieg durch Bildung“ die Fördermittel zur Durchführung des Forschungsprojektes bereitstellt. Den Teilnehmern/-innen der Fokusgruppendiskussion danken wir für ihre Teilnahme.