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Digital unterstützte interprofessionelle Zusammenarbeit im ambulanten Setting: Bedarfe, Erwartungen und Barrieren in der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie – eine qualitative Studie / Digitally supported interprofessional cooperation in the outpatient setting: needs, expectations and barriers in occupational therapy, speech therapy and physiotherapy – a qualitative study


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EINLEITUNG

Durch die soziodemographischen und epidemiologischen Veränderungen in Deutschland und der damit einhergehenden starken Zunahme der Anzahl älterer, chronisch erkrankter und multimorbider Patienten/-innen und komplexer Versorgungssituationen sind die Anforderungen an die Therapieberufe Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie (ELP) in den letzten Jahrzehnten einem dynamischen Wandel unterworfen (Robert-Koch-Institut, 2015). Eine Konsequenz aus diesen gestiegenen Anforderungen, an das Gesundheitssystem im Allgemeinen und die Therapieberufe im Besonderen, ist die Forderung nach einer stärkeren interprofessionellen und interdisziplinären Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe in Versorgung und Forschung (Wissenschaftsrat, 2012). Interprofessionell meint hier die Zusammenarbeit der Professionen auf Versorgungsebene, interdisziplinär dagegen die Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Disziplinen. In der Versorgung gestaltet sich eine interprofessionelle Zusammenarbeit (IZ) durch die unmittelbare gemeinsame Arbeit an Patienten/-innen, die übergeordneten patientenorientierten Zielsetzungen der Behandlung und eine verbesserte sektorenübergreifende Kommunikation und Zusammenarbeit (Hollweg et al., 2016). Von den diversen Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung werden in der vorliegenden Studie beispielhaft die Berufsgruppen ELP als Heilmittelerbringer betrachtet, da diese viele Überschneidungen in Klientel und Behandlungskonzepten aufweisen. Die Studienteilnehmer/-innen verwendeten den Begriff „interdisziplinär“, dieser wurde daher in den Zitaten der Interviews beibehalten.

Die Ergebnisse eines aktuellen Cochrane Reviews zeigen, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit positive Effekte auf die Prozessqualität der Versorgung und gesundheitsbezogene Outcomes haben kann (Reeves et al., 2017). Aus diesem Grund wird der stärkere Einbezug interprofessioneller und interdisziplinärer Aspekte in das Medizinstudium und in die Ausbildungswege anderer Gesundheitsberufe empfohlen, um die Gesundheitsversorgung durch Optimierung der Kommunikation und Kooperation zwischen den beteiligten Professionen zu verbessern (Wissenschaftsrat, 2018). Eine zunehmende Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit zeigt sich weiterhin in aktuellen Ausschreibungen und geförderten Projekten unter Einbezug der Therapieberufe ELP. Beispiele dafür sind die BMBF Richtlinie zur Förderung interdisziplinärer Forschungsverbünde zu muskuloskelettalen Erkrankungen (2019) und die Fortschritt-Hubs zur Medizininformatik (2020). Außerdem wurden von verschiedenen Landesämtern, wie zum Beispiel in Bayern, Mittel zur Förderung innovativer medizinischer Versorgungskonzepte (IMVC) (Bayrisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, 2019) und in Niedersachsen für Zukunftslabore Digitalisierung (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur, 2019) ausgeschrieben. Hieraus entstand unter anderem das Projekt „Zukunftslabor Gesundheit“ unter Leitung der Universitätsmedizin Göttingen (Universitätsmedizin Göttingen, 2019). Zum Thema Interdisziplinarität fanden im Rahmen des Bund-Länder-Wettbewerbs des BMBF, Projektförderungen mit dem Thema „Offene Hochschulen – Aufstieg durch Bildung“ statt (Boettcher et al., 2016; Hollweg et al., 2016). Der Hintergrund dieser Ausschreibungen und Projekte ist, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen eine holistische Betrachtung der Patienten/-innen fördern kann. Weiterhin kann über das gemeinsame Festlegen von Zielen ein fachlicher Austausch erfolgen und vielseitigere Behandlungsmethoden eingesetzt werden, sowie die Adhärenz der Patienten/-innen durch verbessertes Vertrauen in die therapeutische Arbeit gestärkt werden (WHO, 2010).

Aus ökonomischer Sicht besteht das Ziel der IZ darin, die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung zu verbessern und die Arbeitszufriedenheit der Angehörigen der Gesundheitsfachberufe zu steigern (Kuhlmey, 2011). Die Umsetzung von IZ wird jedoch durch fehlende Kapazitäten, negative Einstellungen der Akteure sowie strukturelle und gesetzliche Grenzen und unzureichende Rahmenbedingungen erschwert (Grunwald & Höppner, 2013). Die unzureichenden Rahmenbedingungen im ambulanten Setting zeigen sich beispielsweise an fehlenden Abrechnungsposition für interprofessionelle Kommunikation und Koordination und der Abwesenheit von formellen Prozessmodellen für die Arbeitsabläufe und Aufgabenverteilungen (Bundesamt für Gesundheit, 2019). Für eine gelingende Zusammenarbeit sollten sowohl gesetzliche und strukturelle Möglichkeiten geschaffen werden als auch die persönlichen Kompetenzen der Therapeuten/-innen ausgebildet werden und eine Offenheit der Beteiligten zur Kooperation gegeben sein (Klapper, 2017). Die benötigten Kompetenzen der Akteure umfassen Flexibilität, Eigenverantwortlichkeit unter Beachtung der übergeordneten Therapieziele, “vernetztes Denken” und Kommunikation. Ergänzt werden diese um das Wissen der eigenen Rolle und die der anderen beteiligten Professionen, sowie Kenntnisse über die gesamten Versorgungsstrukturen (Klapper, 2017).

Derzeitig muss der Stand der IZ in Deutschland zwischen den Therapieberufen ELP als ungenügend angesehen werden (Deutsche Vereinigung für Rehabilitation, 2016; Grunwald & Höppner, 2013; Kuhlmey, 2011; Lambrecht, 2009). Ein Grund dafür könnten die bestehenden unzureichenden Kommunikationskanäle über analoge Technik, wie Telefon und Fax sein (Deimel & Fritz, 2017). Angesichts der voranschreitenden Digitalisierung und der mit dem E-Health-Gesetz geforderten technischen Innovationen und Vernetzungen im Gesundheitswesen (Bundesministerium für Gesundheit, 2019) zeigt sich im Gegensatz zu anderen Branchen eine hohe Systemineffizienz (Baierlein, 2017). Technische Potenziale von bereits erhältlichen Organisationsmedien oder Therapie-Softwares werden nicht ausgeschöpft (Baierlein, 2017) und unterstützen eine interprofessionelle Vernetzung nicht.

Im Rahmen einer Internetrecherche zeigte sich, dass die zurzeit erhältlichen Praxisprogramme die Organisation innerhalb der individuellen Praxis ermöglichen, jedoch keine Vernetzungsoptionen zwischen den Praxen, bzw. den dort arbeitenden Therapeuten/-innen anbieten, auch wenn sich in anderen Berufsgruppen zeigt, dass es technische Lösungen gibt (siehe Tabelle 1). Eine solche Vernetzung könnte die Möglichkeit zu einem verbesserten Informationsaustausch und einer effizienteren Patienten/-innenversorgung bieten. Zudem wird davon ausgegangen, dass langfristig auch eine Kostenreduktion erreicht werden kann (Lux, 2019). Diese Verbesserungspotenziale werden, im Gegensatz zum organisatorischen Nutzen, von Anwender/-innen jedoch bisher nicht gesehen (Karbach & Reiher, 2017). Die zurückhaltende Einstellung der Anwender/-innen, welche die digitale Entwicklung hemmt, liegt in der Überforderung, fehlenden angemessenen Aus- und Weiterbildungsangeboten, bisher nicht nachgewiesener Kosteneffizienz und den hohen Anforderungen durch Datenschutz (Lauterbach & Hörner, 2019).

Auszug von Praxisprogrammen für Praxen der ELP im Vergleich (eigene Darstellung).

Terminplanung Patienten/-innenverwaltung Medienverwaltung Dokumentation Abrechnung Gerätemöglichkeiten ((x) = mit Funktionseinschränkung) Personalverwaltung Zusammenarbeit/Austausch mit anderen Berufsgruppen
Medifox 3
Sovdwear – THEORG Software (3) x ()
Buchner (STARKE Praxis) () 3 x
PraxWin () 3 x x
Adad x 1 x

Die Gerätemöglichkeiten zeigen, wie viele der Endgeräte (PC, Tablet, Smartphone) kompatibel sind.

Die Zusammenarbeit bei medifox besteht aus einer Sharing-Funktion für die ambulante Pflege mit Ärzten/-innen und Angehörigen, Theorg hat eine Kommunikation-Funktion geplant.

Zu den unabhängig identifizierten Barrieren der IZ und Digitalisierung fehlen bisher Erkenntnisse, wie Angehörige der Therapieberufe ELP Interprofessionalität in ihrem Arbeitsalltag erleben und welche Bedarfe, Erwartungen, Barrieren und Wünsche im Hinblick auf die Digitalisierung bestehen. An dieser Wissenslücke setzt die vorliegende Studie an und untersucht Ansichten von Therapeuten/-innen, wie IZ im ambulanten Setting zwischen ELP unter bisher hemmenden Bedingungen, wie räumlicher Distanz und unterschiedlichen Zeitsystemen möglich wird. Unter der Forschungsfrage „Wie stellen sich die Angehörigen der Gesundheitsfachberufe ELP eine berufsübergreifende Zusammenarbeit im ambulanten Setting unterstützt durch digitale Medien vor?“ wurde das Ziel angestrebt, eine digital unterstützte IZ zwischen den ambulanten Praxen der ELP in Deutschland in Bezug auf die Art der Umsetzung sowie förderliche und hinderliche Faktoren zu beschreiben. Des Weiteren bestand das Ziel, Kriterien für ein digitales Medium in einem geeigneten Ordnungsrahmen darzustellen, wofür das Framework gewählt wurde.

METHODISCHES VORGEHEN

Entsprechend der beschriebenen Zielsetzung sollten neben der übergeordneten Fragestellung folgende Fragestellungen beantwortet und mit dem Forschungsdesign verfolgt werden: Wie gestaltet sich der Bedarf an IZ sowie der Verwendung digitaler Medien bei den Gesundheitsfachberufen ELP aus Sicht der befragten Therapeuten/-innen? Welche Barrieren bestehen laut diesen in der interprofessionellen Zusammenarbeit und bei der Verwendung digitaler Medien und wie kann diesen entgegengewirkt werden? Wie lässt sich berufsübergreifende Zusammenarbeit mit digitalen Medien auf einer Metaebene beschreiben?

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein qualitatives Studiendesign in Anlehnung an die Vorstufen der Partizipation (5. Stufe) des Stufenmodells zur Partizipation für Gesundheitsförderung von Wright et al. (2010) ausgewählt. Durch die partizipative Herangehensweise wird eine gemeinsame Gestaltung des Untersuchungsprozesses ermöglicht, in welchem Studienteilnehmer/-innen als Berater/-innen im Sinne der informierten Mitsprache fungieren (Chambers, 2008). Als Erhebungsmethode wurde das Fokusgruppeninterview gewählt, welches das Ziel verfolgt, Themen möglichst facettenreich zur Sprache zu bringen, sich so besonders zur Rekonstruktion von Wissensbeständen eignet und durch gruppendynamische Effekte die Auskunftsbereitschaft der Teilnehmer/-innen fördert (Schulz, 2012; Zwick, 2012). Der Studienbericht folgt den Empfehlungen der Consolidated criteria for reporting qualitative research (COREQ; Tong et al., 2007).

Insgesamt fanden zwei Fokusgruppeninterviews zwischen September und Oktober 2019 statt. Diese wurden in zwei Städten in Norddeutschland in einer Institution und einer ambulanten Praxis durchgeführt.

Studienteilnehmer/-innen und Datenerhebung

In die Studie wurden Teilnehmer/-innen eingeschlossen, die sich hinsichtlich ihrer Berufszugehörigkeit (ELP), Berufserfahrung (mindestens 1 Jahr seit Examen) und beruflichen Rolle (Angestellte, Praxisinhaber/-in) unterschieden. Die Rekrutierung von Teilnehmenden erfolgte durch Mitglieder des Forschungsteams über die direkte Kontaktaufnahme zu Praxen und Therapeuten/-innen, sowie über den E-Mail-Verteiler des Hochschulnetzwerks “Praxis Trifft Hochschule“ der HAWK Hildesheim.

Der im Vorfeld der Studie erstellte semistrukturierte Leitfaden wurde in zwei Pre-Tests in Kleingruppen (2–3 Therapeuten/-innen ELP) erprobt. Die erstellten Postskripte der Pre-Tests sowie der ersten Fokusgruppe wurden für die Anpassung und Weiterentwicklung des Leitfadens genutzt. Ein Ausschnitt aus dem semistrukturierten Leitfaden ist in Tabelle 2 dargestellt. Die Fokusgruppen starteten jeweils mit einer Aufwärmphase, in der das Vorgehen erklärt wurde und die Teilnehmer/-innen sich vorstellen konnten. Zum thematischen Einstieg in die Fokusgruppen lasen die Teilnehmer/-innen einen Text, der einen Überblick zu den An- und Herausforderungen der IZ für ELP gab (vgl. Anhang). Als thematische Überleitung wurden in einem zweiten Input Bilder digitaler Medien besprochen. Die Diskussion der Themenbereiche wurde durch Moderationskarten visualisiert. Am Ende der jeweiligen Fokusgruppen wurden die Themen durch Ordnen der Karten in einer Übersicht zusammengeführt. Die Fokusgruppen wurden von einer Forscher/-in durchgeführt, die jeweils von zwei Teammitgliedern (Kameraführung, Verschriftlichung der diskutierten Themen) unterstützt wurde.

Ausschnitt aus dem überarbeiteten semistrukturierten Leitfaden.

Verständnis & Erfahrungen interprofessioneller Zusammenarbeit

Wie würden Sie interprofessionelle Zusammenarbeit beschreiben? Können Sie Situationen beschreiben, in denen Zusammenarbeit stattgefunden hat?

Bedarf nach interprofessioneller Zusammenarbeit & digitalen Medien

z.B. Gab es Situationen, in denen die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit aus Ihrer Sicht bestand, diese aber nicht umgesetzt wurde? Welche digitalen Medien nutzen Sie bereits in ihrem Alltag?

Bedarf an digitalen Medien zur Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit

z.B. Welche Bedeutung könnten digitale Medien in der interprofessionellen Zusammenarbeit haben?

Wünsche und Vorstellungen an ein digitales Medium

z.B. Können Sie anhand eines Beispiels aus Ihrer Praxis Ideen für die Nutzung eines digitalen Mediums entwickeln?

Datenauswertung

Die Fokusgruppen wurden mit Audio- und Videoaufnahmen dokumentiert. Die Videoaufzeichnung diente ausschließlich der sprachinhaltlichen Zuordnung der Teilnehmer/-innen. Die anschließende Transkription des gesamten Materials erfolgte in Anlehnung an Dresing und Pehl (2015). Die Personendaten und Ortsangaben wurden anonymisiert. Die anschließende Datenanalyse wurde in Anlehnung an die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) mithilfe der Software MAXQDA-12 in einem mehrstufigen Verfahren der Kategorienbildung und des konsensuellen Codierens durchgearbeitet und abschließend kategorienbasiert entlang der gebildeten Hauptkategorien (HK) und Subkategorien (SK) von den beteiligten Forscher/-innen ausgewertet (siehe Abbildung 1). Hierbei wurde das Material einer Fokusgruppe von je drei Forscher/-innen unabhängig voneinander gelesen, bedeutende Textstellen markiert und Memos dazu verfasst. Im nächsten Schritt wurden die HK deduktiv mit Blick auf die Leitfragen gebildet, sowie induktiv SK aus dem Material entwickelt. Daran anschließend wurden in den Gruppen Übereinstimmungen geprüft und strittige Codierungen diskutiert und konsensuell abgestimmt. Noch bestehende Unstimmigkeiten wurden interprofessioneller Forscher/-innenteam geklärt. Im abschließenden Schritt wurden nach Kuckartz (2018) die HK und SK definiert und auf das gesamte Material angewendet. Um thematische Relationen zwischen den Codes und Subcodes zu visualisieren, wurde eine ConceptMap erstellt (Kuckartz, 2018). Die Kriterien und Wünsche der Teilnehmenden für die Rahmenbedingungen und die Gestaltung eines digitalen Mediums zur Unterstützung der IZ wurden mittels eines Frameworks geordnet und visualisiert. Ein Framework dient dazu Perspektiven, strukturelle Abläufe oder Komponenten miteinander zu verknüpfen (ISO 19439, 2006). In dem Framework wurden ausgewählte HK transkriptnah herausgearbeitet und plastisch dargestellt.

Abbildung 1

Prozess der Datenauswertung nach Kuckartz (2018).

ERGEBNISSE

Insgesamt beteiligten sich acht Therapeuten/-innen der Berufsgruppen ELP aus zwei Städten in Norddeutschland an der Studie (siehe Tabelle 3). An der ersten Fokusgruppe (F1) nahmen fünf Therapeuten/-innen aus ambulanten Praxen mit je ein bis drei Professionen, an der zweiten Fokusgruppe (F2) drei Therapeuten/-innen einer interprofessionellen Praxis ELP mit zwei Standorten teil. Die Interviewdauer bei der ersten Fokusgruppe lag bei 1:35 Minuten, die zweite bei 1:39 Minuten. Die Teilnehmer/-innen wurden vorab über das Forschungsvorhaben, die Datenerhebung und Auswertung informiert und gaben ihr schriftliches, informiertes Einverständnis zur Studienteilnahme.

Darstellung des Samples.

Gruppe Teilnehmer/in (inkl. Berufsgruppe) Art der Tätigkeit Tätigkeitsfeld Softwarenutzung
F1 Therapeutin 1, PT Angestellte Teilprofessionelle Praxis (E/P)
Therapeutin 2, BSc. ET Angestellte Ambulante Praxis
Therapeutin 3, ET Angestellte Teilprofessionelle Praxis (E/P)
Therapeutin 4, MSc. LP Praxisinhaberin Vollinterprofessionelle Praxis
Therapeutin 5, BSc. LP Angestellte Ambulante Praxis
F2 Therapeut 6, ET Praxisinhaber Vollinterprofessionelle Praxis
Therapeut 7, PT Angestellter Vollinterprofessionelle Praxis
Therapeutin 8, BSc. LP Angestellte Vollinterprofessionelle Praxis
Durchschnittliches Alter (Mittelwert): 38,5 JahreDurchschnittliche Berufserfahrung (Mittelwert): 12 Jahre
Bezeichnung Berufsgruppe – PT: Physiotherapeut/-in, ET: Ergotherapeut/-in, LP: Logopäd/-inBezeichnung Studium – BSc.: Bachelor of Science, MSc.: Master of ScienceBezeichnung Tätigkeitsfeld – Ambulante Praxis: 1 Profession, teilprofessionelle Praxis: 2 Professionen, vollinterprofessionelle Praxis: 3 Professionen

Im Prozess des konsensuellen Codierens und der Kategorienbildung (siehe Abbildung 1) wurden durch die Forscher/-innen 12 HK (rot), einige strukturierend in SK untergliedert, ausdifferenziert (siehe Tabelle 4). Zur Visualisierung der Beziehungen zwischen den Kategorien entstand durch die Forscher/-innen im Abstraktionsprozess eine Concept-Map (siehe Abbildung 2), welche die Ergebnisse aus beiden Fokusgruppen im Begriff der „digitalen Interprofessionalität“ zusammenführte (grau). Die folgenden Ergebnisse stellen die extrahierten HK aus dem codierten Material, jeweils mit Aussagen der Teilnehmenden aus den Fokusgruppen angeführt, dar. Dabei liegt der Fokus der Darstellung auf einer ergebnisreichen Beschreibung zur Beantwortung der Forschungsfragen. Die Gliederung erfolgt nach den Themenbereichen interprofessionelle Zusammenarbeit, digitale Medien in ELP und digital unterstützte IZ des (Fokusgruppen-) Leitfadens entlang der Argumentation der Concept-Map.

Darstellung der Haupt- und Subkategorien. Das Ankerbeispiel bezieht sich jeweils auf die Hauptkategorie. Für die Beschreibungen der Kategorien wurde die Bezeichnung (inter)disziplinär verwendet, da diese den Beschreibungen der Therapeut/-innen entsprach. Auf Metaebene wurde bei der Bezeichnung der Kategorien (inter)professionell verwendet.

Name der Kategorie Beschreibung der Kategorie Subkategorien Ankerbeispiel/e
HK 1 – Berufliches Selbstverständnis ELP Codiert werden Aussagen bezüglich der eigenen therapeutischen Handlung und Gedanken zur Begründung und Reflexion dieser. Einbezogen werden Beschreibungen von interdisziplinärer Zusammenarbeit, dem Umgang mit auftretenden Grenzen der eigenen Disziplin und Aussagen über das Wissen anderer Berufsgruppen.

SK 1.1: Beschreibung interdisziplinäre Zusammenarbeit

SK 1.2: Umgang mit Grenzen der eigenen Disziplin

SK 1.3: Wissen über andere Berufsgruppen

z.B. Beschreibung interdisziplinäre Zusammenarbeit: „Ich finde es wunderbar Interdisziplinarität, entweder wenn wir zusammen am Patienten arbeiten können, direkt am Patienten, oder wenn ich mich überflüssig mache oder / insofern, als das ich meine Ziele den anderen Berufsgruppen weiter geben kann und bitten kann, dass sie diese Ziele mit bearbeiten in ihren Therapien und genauso umgekehrt, dass ich halt die Ziele von der Physiotherapeutin und Ergotherapeutin mit in meine Therapie mit reinnehmen kann, sodass ich einen größeren Effekt habe.“ (Therapeutin 4, F1)
HK 2 – Umsetzung (inter) professionelle Situation Codiert werden gelungene und nicht gelungene Beispiele interdisziplinärer Zusammenarbeit aus der Praxis nach Setting beschriebener Situationen, Beteiligte Disziplinen und Art & Weise der Interaktion nach den Kategorien „Austausch“ und „Co-Therapie“.

SK 2.1: Austausch

SK 2.2: Co-Therapie

Also ich arbeite in einem Therapiezentrum, da arbeiten Logopäden, also ich als Logopädin, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten in diesem Zentrum und wir haben einige Patienten gemeinsam. Das heißt auch da spricht man entweder auf dem Gang miteinander oder wir haben immer wieder Sitzungen, jede Woche eine Sitzung, besprechen alle Patienten durch, die wir gemeinsam haben. Teilweise ist es so, wenn es geht, dass wir dann uns gegenseitig auch bei den Therapien dabei sind also dann mal, wie es gerade läuft oder ab und zu mal unterstützen. Manchmal habe ich ein Kind, das kann ich nicht gut halten dann bitte ich; ‚Kannst Du mal als Physio kommen, wenn es irgendwie passt‘. [...]“. (Therapeutin 4, F1)
HK 3 – Rahmenbedingungen interprofessionelle Zusammenarbeit Codiert werden Äußerungen, die die Rahmenbedingungen der interdisziplinären Zusammenarbeit beinhalten, z.B. rechtliche, finanzielle, institutionelle, strukturelle und zeitliche Rahmenbedingungen (Makro-Ebene). Keine „Also es ist nicht erlaubt. Es ist von Heilmitteln/es gibt keine Möglichkeit, dass wir gemeinsam an einem Patienten arbeiten oder, dass wir gemeinsam einen Patienten durchsprechen. Das ist einfach nicht im Heilmittelkatalog drin.“ (Therapeutin 4, F1)
HK 4 – Barrieren interprofessioneller Zusammenarbeit Codiert werden Äußerungen, die Hürden und Barrieren der interdisziplinären Zusammenarbeit beinhalten. Keine „Aber tatsächlich im rein ambulanten Setting, wenn nicht die Therapeuten an einem Ort sind. Sehr schwierig also für mich jetzt. Da gibt es so gar keinen Austausch.“ (Therapeutin 5, F1)
HK 5 – Bedarf an interprofessioneller Zusammenarbeit Codiert werden Beispiele von Situationen, in denen ein Bedarf für interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig war/ist oder von einer Seite gesehen worden war/ist. Keine „Also ich habe viel mit Wachkomapatienten zusammengearbeitet und da kann ich allein als Logopädin sehr, sehr schwer arbeiten. Und wenn ich keine andere Person habe, die mir hilft in Bezug auf die Positionierung, dann wird das richtig schwierig. Da brauche ich DRINGEND eine Physiotherapeutin oder Ergotherapeutin oder auch Pflegerin […]“ (Therapeutin 4, F1)
HK 6 – Intention zur interprofessionellen Zusammenarbeit Codiert werden Aussagen zur Eigenmotivation sowie Beispiele von Initiierungen interdisziplinärer Zusammenarbeit.

SK 6.1: Eigenmotivation zur interdisziplinären Zusammenarbeit

SK 6.2: Unternommene Initiative zur interdisziplinären Zusammenarbeit

„Ja. Aber wie wichtig der/ich mein das passt ja auch wieder/wie wichtig eigentlich es ist, dass man sich austauscht und abcheckt von wegen wie arbeiten wir eigentlich? Ich mein der eine arbeitet so, der andere so vielleicht und es passt gar nicht.“ (Therapeutin 4, F1)
HK 7 – Analoge Kommunikationswege Codiert werden analoge Kommunikationswege, um mit anderen Personen (ELP oder andere Berufsgruppen) in Kontakt zu treten/zu kommunizieren. Die Kommunikation findet ohne digitale Geräte statt und kann Aspekte der nonverbalen Kommunikation mit einbeziehen (u.a. Mimik, Gestik, Verhalten). Dazu zählen beispielsweise Kommunikation über Telefon oder Fax, persönliche Gespräche oder Medien wie Zeitschriften, Papier oder Bücher. Keine „[…] Also wir haben zum Beispiel, wir drei haben Patienten gemeinsam und dann geht öfters eigentlich, so zwischen Tür- und- Angel- Gespräche sind das, ganz viel.“ (Therapeutin 4, F1)
HK 8 – Aktuelle Nutzung digitaler Medien Codiert werden bekannte und/oder verwendete digitale Kommunikationswege, digitale Medien (z.B. Geräte) und Systeme (z.B. Therapie- und Verwaltungs-Software) im Berufsalltag ELP mit dem Ziel des disziplinären und interdisziplinären Austausches oder der Organisation.

SK 8.1: Digitale Medien zum (interdisziplinären) Austausch

SK 8.2: Digitale Medien für organisatorische Aufgaben

„Das [interne Kommunikationstool] was Herr Sattmaß angesprochen hat, ist so unsere Kommunikationsplattform, also die haben wir schon seit Jahren. […]. Da haben wir ein Aufgaben-Management, wir haben einen Messenger mit drinnen und ein Forum, wo wir unsere Teamsitzung auch drüber managen.“ (Therapeut 6, F2)
HK 9 – Bedarf an digitalen Medien Codiert werden Äußerungen zum Bedarf nach digitaler Unterstützung im beruflichen Alltag, organisatorisch oder bezüglich der Zusammenarbeit. Keine „ […], das eben gerade auch interdisziplinär wenig zur Verfügung steht, was man so auch einfach on-the-fly auch einfach installieren und nutzen kann. […]“ (Therapeut 6, F2)
HK 10 – Intention zur Nutzung digitaler Medien zur Verbesserung der Zusammenarbeit Codiert werden Äußerungen bezüglich der Intention zur Nutzung digitaler Medien. Diese können aus Sicht von Therapeuten/-innen oder Patienten/-innen betrachtet werden und beschreiben sowohl die Arbeit im eigenen Beruf und die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Keine „Es geht nicht mehr, dass wir alles noch auf Papier haben.“ (Therapeut 6, F1)
HK 11 – Barrieren der Nutzung digitaler Medien Codiert werden Äußerungen zu Hindernissen bei der Nutzung digitaler Medien. Diese können bspw. Rahmenbedingungen, Einstellungen von Beteiligten, Praktikabilität sein. Keine „Ein großes Hemmnis ist der Datenschutz. Das ist auch ein Hemmnis bei der gemeinsamen digitalen Akte. Es sind drei Firmen, die hier unter einem Dach sind und das ist definitiv abzuklären auf dem Weg.“ (Therapeut 6, F2)
HK 12 – Wünsche an digitale Medien zur Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit Codiert werden gewünschte digitale Geräte und dazugehörige Kriterien zur Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit.

SK 12.1: Art des Systems

SK 12.2: Funktion/Inhalte

SK 12.3: Gestaltungsformen

„Man könnte ja auch Dokumentieren wollen, sollen dann wäre das ja schon ganz angenehm. Ich glaube auf so einem Handy ist das schon so ein bisschen sehr klein. Mit Diktierfunktion am besten noch und so // (alle Lachen) // Im Auto am besten noch, von einem Patienten zu nächsten, so ein bisschen darein sprechen super! Das wäre perfekt. Fragen formulieren können, die in dieses Forum schicken. Das wäre doch @(.)@.“ (Therapeutin 5, F1)

Abbildung 2

Concept-Map – Darstellung der Hauptkategorien (rot) und deren durch die Forscher/-innen identifizierten Beziehungen untereinander. Eine Synthese der Ergebnisse führte im Prozess der Ausdifferenzierung der Kategorien zu einer ersten Beschreibung von ‚digitaler Interprofessionalität’ (grau).

Interprofessionelle Zusammenarbeit
Berufliches Selbstverständnis

Die Forscher/-innen gehen aufgrund der Aussage von Klapper (2017) davon aus, dass eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung von IZ das berufliche Selbstverständnis der Therapeuten/-innen der Berufsgruppen ELP ist. Dieses wurde als eine bündelnde HK genutzt, welche zum einen die gebildete SK ‚Haltung zur IZ‘ einschließt. Zudem wurden ihr die individuellen Beschreibungen von Interprofessionalität und das Wissen über andere Berufsgruppen zugeordnet. IZ beinhaltet für die Therapeuten/-innen beider Fokusgruppen sowohl das Aufstellen interprofessioneller Ziele, als auch den Austausch darüber.

Ich finde es wunderbar Interdisziplinarität, entweder wenn wir zusammen am Patienten arbeiten können, direkt am Patienten, oder wenn ich mich überflüssig mache oder / insofern, als das ich meine Ziele den anderen Berufsgruppen weiter geben kann und bitten kann, dass sie diese Ziele mit bearbeiten in ihren Therapien und genauso umgekehrt […] sodass ich einen größeren Effekt habe.

(Therapeutin 1, F1)

In F2 wurde die zeitgleiche Arbeit an einem Patienten (Co-Therapie) als IZ hervorgehoben. „Meine Frau hat eine schwer betroffene Patientin, wo häufiger dann die Mobilisation im Stehtisch stattfindet und die Logopädin dann die Nahrungsanreichung mit der Patientin dann gemeinsam macht. Das ist denke ich, interdisziplinäre Zusammenarbeit“ (Therapeut 6, F2).

Das Wissen über die anderen Professionen, auf dem die IZ basiert, ist eher oberflächlich und beeinflusst auch das Ausmaß, in dem auf Therapeuten/-innen anderer Professionen zugegangen wird. Situationen in denen andere Professionen herangezogen werden, sind in der Regel welche, in denen weiteres Fachwissen, vorbereitende Maßnahmen oder Unterstützung während der Therapie benötigt werden.

[...], obwohl ich ja studiert habe noch/ also ich traue mir nicht zu en détail genau zu beschreiben, was jetzt Ergo und Physio machen. So, und auch/ also manchmal denke ich: ‚Ja, da ist irgendwas‘ und kann aber nicht so genau fassen, was das jetzt ist, was ich beobachte, was irgendwie ja, mir komisch vorkommt, sag ich dann mal so.

(Therapeutin 8, F2)

Das Wissen ist meist durch die IZ oder über interprofessionelle Fortbildungen erworben.

Aber was sie ansprechen, das ist ein Riesenthema, das war auch eigentlich der Hauptgrund unserer internen Fortbildung am Freitag. Weil wir gesagt haben: 〈Es kann ja eigentlich nicht sein, fachlich/ also ich glaube/ die Therapeuten hier wissen schon eine ganze Menge von andern aber, was Du jetzt sagst, ich kenne auch nicht alle logopädischen Maßnahmen und auch nicht alle physiotherapeutischen Maßnahmen. Das man da wirklich dafür sorgt, regelmäßig‘.

(Therapeut 6, F2)
Bedarf IZ

Aus dem beruflichen Selbstverständnis heraus, entwickelt sich bei den Therapeuten/-innen der Berufsgruppen ELP ein Bedarf an IZ mit verschiedenen Professionen. Dieser beinhaltet die Unterstützung durch andere Berufsgruppen, gemeinsame Therapien und gegenseitige Beratung. Dabei kann konstatiert werden, dass aus dem Erkennen des Bedarfes noch keine Umsetzung von IZ resultiert.

Also ich habe viel mit Wachkomapatienten zusammengearbeitet und da kann ich allein als Logopädin sehr, sehr schwer arbeiten. Und wenn ich keine andere Person habe, die mir hilft in Bezug auf die Positionierung, dann wird das richtig schwierig. Da brauche ich DRINGEND eine Physiotherapeutin oder Ergotherapeutin oder auch Pflegerin […].

(Therapeutin 4, F1)
Intention zur IZ/Umsetzung (inter)professioneller Situationen

Aus dem beschriebenen Bedarf entwickelt sich in Form von Eigenmotivation und Initiative eine Intention zur IZ. Diese wiederrum führt zu einer Umsetzung gelungener und nicht gelungener interprofessioneller Situationen durch Co-Therapie oder Austausch. Die konkrete Umsetzung von IZ lässt sich in beiden Fokusgruppen hauptsächlich in Institutionen und innerhalb interprofessioneller Praxen oder in Zusammenschlüssen mehrerer Praxen verorten. Vor allem bei Hausbesuchen oder in Settings, in denen sich die Therapeuten/-innen nicht kennen und begegnen kommt es häufig zu einer nicht gelungenen IZ. Dies führen die Teilnehmer/-innen auf die Anonymität unter den beteiligten Therapeuten/-innen und die unterschiedlichen Behandlungstage und -zeiten zurück. In interprofessionellen Settings finden gelegentlich Co-Therapien statt. „Was wir natürlich schon manchmal haben, aber das ist noch zu selten, ist die Behandlung eines Patienten zusammen.“ (Therapeut 6, F2). Ein regelmäßiger Austausch über Patienten/-innen kommt durch Ziel- und Entwicklungsgespräche oder durch festgelegte Teamsitzungen zustande.

Dafür ist halt die Teamsitzung da, dass wir das Ganze besprechen können. Wir das verschriftlichen können, festhalten können und dann ein Ziel haben, das wir dann bis zum Zeitpunkt X, sag ich mal, versuchen zu erreichen. Das ist dieser Punkt, indem wir versuchen etwas interdisziplinär aufzubauen, weiterzuführen, sag ich mal.

(Therapeut 7, F2)
Analoge Kommunikationswege

Die Teilnehmer/-innen beschreiben größtenteils analoge Situationen beispielsweise von Gesprächen zwischen den Therapien. „Also wir haben zum Beispiel/ wir drei haben Patienten gemeinsam und dann geht öfters eigentlich, so zwischen Tür- und Angel- Gespräche sind das, ganz viel.“ (Therapeutin 4, F1). Lediglich organisatorische Aufgaben zur Praxisorganisation werden über digitale Systeme durchgeführt. Die Teilnehmenden der F2, die bereits mit fünf digitalen Systemen arbeiten und den digitalen Austausch anstreben, verwenden bereits seit einigen Jahren ein internes Kommunikationstool. „Das [interne Kommunikationstool], was Therapeut 7 angesprochen hat, ist so unsere Kommunikationsplattform, also die haben wir schon seit Jahren.“ (Therapeut 6, F2).

Barrieren IZ

Die Umsetzung interprofessioneller Situationen kann zu Beginn oder im Verlauf durch Barrieren verhindert werden, die mit den Rahmenbedingungen der IZ in Interdependenz stehen. Hierzu zählen eine fehlende Abrechnungsposition im Heilmittelkatalog für IZ, Zeitmangel, räumliche Distanz, fehlender Austausch zwischen den Berufsgruppen, Einstellung von Therapeuten/-innen zur IZ sowie fehlende Prozessstrukturen innerhalb einer oder mehrerer Praxen. „[Der persönliche Austausch] ist ein sehr seltener Fall, weil die Therapien, die laufen halt kontinuierlich weiter, wenn dann nicht gerade die Mittagspause zusammenfällt oder ein Ausfall da ist oder eine Teamsitzung dann halt dementsprechend dafür genutzt werden können.“ (Therapeut 7, F2).

Digitale Medien in ELP
Barrieren der Nutzung digitaler Medien

Neben den Barrieren der IZ lassen sich ebenfalls Barrieren beim Einsatz digitaler Medien feststellen. Durch die Vielzahl an digitalen Medien und deren Verwendung bei F2 lassen sich übergeordnete und spezifische Barrieren identifizieren, wohingegen in F1 eher übergeordnete Barrieren benannt werden. Zu den übergeordneten Barrieren gehören unter anderem zeitliche und finanzielle Rahmenbedingungen, fehlende Akzeptanz der Therapeuten/-innen in der Verwendung digitaler Medien sowie datenschutzrechtliche Aspekte. „Ich bin noch auf der Suche nach den richtigen Datenschutz-Möglichkeiten und muss mich trotzdem anderen Berufsgruppen/ meine Informationen weitergeben kann. Also ich bin mit sehr mit Datenschutzverordnungen sehr, sehr vorsichtig geworden.“ (Therapeutin 4, F1). Zu den spezifischen Barrieren aus F2 gehören unter anderem das fehlende Fachwissen aus dem Bereich Technik/IT und die zeitlichen Organisationsstrukturen der Praxis. Zu den Nutzungszeiten digitaler Medien erklärt eine Teilnehmerin aus F2 «Irgendwann zwischendurch @ (.)@. Ich mache das oft in der Mittagspause nebenbei, dass ich dann gucke, ob da was gekommen ist oder halt vorher schon. Eigentlich sollen wir da ja immer schon morgens reingucken […]“ (Therapeutin 8, F2).

Bedarf an digitalen Medien/Intention zur Nutzung digitaler Medien zur Verbesserung der IZ

Trotz der genannten Barrieren sehen die Therapeuten/-innen einen Bedarf für den Einsatz digitaler Medien. Hinzu kommt das unzureichende Angebot, „[…], dass eben gerade auch interdisziplinär wenig zur Verfügung steht, was man so auch einfach on-the-fly auch einfach installieren und nutzen kann.“ (Therapeut 6, F2). In Bezug auf die Bedarfe steht einerseits die Kommunikation mit anderen Professionen im Vordergrund. „Also ich jetzt in dem ambulanten Setting, in dem ich bin; absolut wäre DAS notwendig, weil das wäre für mich der einzige Weg, um tatsächlich auch mit den anderen Berufsgruppen regelmäßig und effektiv zu kommunizieren […]“ (Therapeutin 5, F1). Zum anderen bedarf es einer digitalen Aktenführung zur Dokumentation und Organisation. „Ich habe gerade gedacht, bei der Digitalisierung und auch digitalen Aktenführung habe ich gedacht 〈oh ja! Das wäre richtig praktisch〉. Weil man dann eben nicht dieses Problem hätte, die Akten sind im anderen Standort.“ (Therapeutin 8, F2)

Wünsche an digitale Medien zur Verbesserung der IZ

Aus dem Spannungsfeld der Barrieren von IZ und von digitalen Medien, sowie dem Bedarf nach digitaler Unterstützung ergeben sich Wünsche und Nutzungsintentionen an ein Medium zur Verbesserung der IZ. „Es geht nicht mehr, dass wir alles noch auf Papier haben.“ (Therapeut 6, F2). Dabei beschreiben die teilnehmenden Therapeuten/-innen, wie sie sich eine berufsübergreifende Zusammenarbeit im ambulanten Setting unterstützt durch digitale Medien vorstellen. Es werden konkrete Wünsche an ein digitales Medium bezüglich der Art des Geräts und des Systems, der Funktionen und Inhalte sowie der Gestaltungsformen genannt.

Beide Fokusgruppen wünschen sich als Systemart eine Cloud zur gemeinsamen Aktenführung und zum Austausch zwischen den Berufsgruppen ELP. „[…] aber wenn man eine gemeinsame Cloud hätte, wo man tatsächlich Fotos und Filme reinsetzen könnte, das wäre natürlich auch richtig gut.“ (Therapeutin 4, F1). „Eine Akte, die wir digital haben können oder jede Disziplin drauf zugreifen kann, jeder Zeit/ also am besten übers Internet ganz einfach. Mit einer Cloud, wo nur wir drauf zugreifen können.“ (Therapeut 7, F2). Dabei sollte vor allem eine intuitive, einfache und niederschwellige Gestaltungsform gegeben sein. „Also ich denke es muss einfach sein. Also ich glaube, wenn es einfach ist, findet es auch mehr Akzeptanz.“ (Therapeutin 8, F2). Eine diskutierte Funktion könnte beispielsweise ein Forum als Austauschplattform sein.

Also ich fände das mit dem Forum gut, also in dem man auch Fragen stellen könnte oder einen SOS-Scroll machen könnte ‘Ich brauch!‘/ und wenn das jemand zufällig dann auch liest und Zeit hat und prompt darauf/ also das wäre jetzt der Optimalfall @ (.)@.

(Therapeutin 5, F1)
Digital unterstützte Interprofessionalität

Die in der Concept-Map dargestellten Einflüsse der Kategorien aufeinander, die inhaltlichen Ergebnisse der einzelnen Kategorien sowie die in der Einleitung dargestellte Literatur diente den Forscher/-innen als Grundlage in der Beschreibung der IZ mit Einbezug der Digitalisierung und führte zu einem Entwurf einer Definition von ‚digitaler Interprofessionalität‘:

Digitale Interprofessionalität beschreibt eine berufsgruppenübergreifende Arbeitsweise unterstützt durch ein digitales Medium zur Gestaltung interprofessioneller Zusammenarbeit, mit dem Ziel einer verbesserten Kommunikation und eines verbesserten Informationsaustausches zwischen den Berufsgruppen, sowie einer holistischen Patientenversorgung.

Diese Definition ist eine erste Idee der Beschreibung, wie digital unterstützte Interprofessionalität beschrieben werden kann. In einem weiteren Schritt muss diese mit Therapeuten/-innen der Berufsgruppen ELP weiter ausgearbeitet werden.

Die Anforderungen und möglichen Gestaltungen eines digitalen Mediums zur Verbesserung der IZ wurden in einem Framework zusammengefasst (siehe Abbildung 3). Das Framework dient dabei als Ordnungsrahmen zur komprimierten Darstellung der Zusammenhänge zwischen den generierten Ergebnissen aus den Fokusgruppen (Aussagen der Therapeuten/-innen) und deren postulierte Relevanz (Concept-Map). Es stellt die Äußerungen der Therapeuten/-innen auf verschiedenen Ebenen dar. Zentral sind die beschriebenen Wünsche, die sich konkret an das digitale Medium richten und beispielhaft unter der HK12. Wünsche an digitale Medien zur Verbesserung IZ aufgeführt sind. Darin finden sich die beschriebenen Aspekte aus den Fokusgruppen, beispielsweise eine Cloud, intuitive Gestaltung und ein Forum. Der Einsatz und die Funktionen des Mediums stellen auch Anforderungen und Wünsche an die Rahmenbedingungen. Diese wurden aus Aussagen der Therapeuten/-innen unter anderem zu HK 11. Barrieren und HK 10. Intentionen durch die Forscher/-innengruppe abgeleitet. Notwendig ist eine gesetzliche Grundlage zum Datenschutz und der digitalen Vernetzung. Ein Einsatz muss zudem finanziell unterstützt sein, zum Beispiel durch die Heilmittelrichtlinien. Institutionell müssen die Therapeuten/-innen im Einsatz geschult werden. Eine wichtige Rahmenbedingung ist zudem ein verändertes Selbstverständnis der Angehörigen der ELP, das sowohl Interprofessionalität als auch die Bereitschaft zu einer digital unterstützten Vernetzung beinhaltet.

Figure 3

Abbildung 3. Framework zur Gestaltung eines digitalen Mediums.

DISKUSSION

In der Gesamtbetrachtung der Ergebnisse konnten die Kategorien durch die Forscher/-innen im Abstraktionsprozess in Abhängigkeiten und einen Sinnzusammenhang gebracht werden (siehe Abbildung 2). Die Thematik Interprofessionalität nimmt einen großen Platz ein und ist ein Thema, mit dem sich die Teilnehmer/-innen der beiden Fokusgruppen bereits auseinandergesetzt haben. Dies geschieht aus einer arbeitsorganisatorischen Perspektive, die, wenn überhaupt, Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit hat, jedoch die Qualität der Gesundheitsversorgung oder die Perspektive einer klientenzentrierten, holistischen Versorgung, wie sie von der WHO (2010) betont wird, nicht berücksichtigt. Der Austausch über Bedeutungen, Möglichkeiten, förderliche und hinderliche Faktoren interprofessioneller Arbeitsweisen zeigte, dass dieser Themenbereich noch nicht in den Arbeitsalltag integriert ist, und somit ein Gelingen von IZ, welches von den „besonderen Fähigkeiten“ wie Eigenverantwortung, Flexibilität und einem vernetzten Denken der Akteure/-innen abhängt, noch in weiter Ferne scheint (Klapper, 2017). Insbesondere die reglementierenden Vorgaben der Heilmittelrichtlinie sowie fehlende Abrechnungspositionen für interprofessionelle Kommunikation hindern Therapeuten/-innen an der Umsetzung. Digitalisierung und Digitalisierung als Möglichkeit für IZ sind für Therapeuten/-innen neuere Themen. Die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung erfolgt bei den teilnehmenden Therapeuten/-innen sehr individuell. Digitale Medien werden in unterschiedlichem Ausmaß bereits eingesetzt und der Bedarf wird ebenfalls geäußert, wobei sich auch Barrieren abzeichnen. In der Zusammenführung der Themen „IZ“ und „Digitalisierung“ entwickelte das Forscher/-innenteam mit der „digitalen Interprofessionalität“ einen Lösungsansatz für die in den Fokusgruppen genannten Barrieren der IZ und der Digitalisierung. In der Definition wurde der Aspekt der holistischen Versorgung von den Forscher/-innen hinzugefügt, obwohl dieser nicht explizit von den Teilnehmenden genannt wurde. Dieser wurde aus der Literatur aufgenommen und hinzugefügt, um die digitale Interprofessionalität möglichst gänzlich zu erfassen. Die Definition stellt eine Interpretation und einen ersten Vorschlag der Forscher/-innen dar. Die therapeutischen Möglichkeiten, die eine interprofessionelle Vernetzung durch ein digitales Medium bietet, finden sich in den beschriebenen Intentionen zur Nutzung sowie den Wünschen an ein digitales Medium seitens der Teilnehmer/-innen.

Interprofessionelle Zusammenarbeit

Beide Fokusgruppen beschreiben Barrieren, welche eine IZ erschweren oder gänzlich verhindern. Hierbei wird deutlich das ein interprofessionelles Setting nicht zwingend als Förderfaktor für IZ angesehen werden kann. Die Ergebnisse zeigen vielmehr, dass die Eigenmotivation der Therapeuten/-innen in Kombination mit dem Setting eine Ressource für die Umsetzung der IZ darstellt. Jedoch scheint die Wirkkraft der beschriebenen Hürden für Therapeuten/-innen immens und sollte daher Ausgangspunkt gesundheitspolitischer Veränderungsprozesse sein.

Die in der Literatur beschriebenen Hürden für die Zusammenarbeit der Gesundheitsfachberufe (Grunwald & Höppner, 2014) spiegeln sich in den Ergebnissen der beiden Fokusgruppen wider. Die meistgenannte Barriere einer IZ stellt der Zeitmangel in Folge einer fehlenden Abrechnungsposition in den Heilmittelrichtlinien für IZ dar. Grunwald und Höppner (2014) nennen zusätzlich die Einstellung der Therapeuten/-innen zur IZ als mögliche Hürde. Laut den Autorinnen ist eine IZ nur dann möglich, wenn die Barrieren in der Umsetzung durch Eigenengagement überwunden werden (Grunwald & Höppner, 2014). Diese Aussage zeigt sich auch in den Beiträgen der Teilnehmer/-innen und stellt sich beispielsweise durch die Bereitschaft dar, sich bei Fragen oder Problemen im Zusammenhang mit der Arbeit an Patienten/-innen in Pausenzeiten und außerhalb der Arbeitszeit mit anderen beteiligten Berufsgruppen zu vernetzen.

Zu beachten sind die Unsicherheiten im beruflichen Selbstverständnis bezüglich IZ. Sie zeigen sich in der Schwierigkeit der Beschreibung von IZ sowie dem eingeschränkten Wissen über die anderen Berufsgruppen. Die Teilnehmenden aus F2 berichteten, dass ein allgemeines Wissen über andere Berufsgruppen die Grundvoraussetzung für eine gute Zusammenarbeit darstellt. An den Aussagen zeigt sich, dass neben einem fehlenden Wissen über andere Berufsgruppen die Unsicherheit darüber, was IZ ist, eine Barriere für IZ darstellt. Darüber hinaus wirken die Unsicherheiten auch auf die Rollendefinition in der IZ der einzelnen Teilnehmer/-innen. Nicht auszuschließen ist, dass der Aspekt der sozialen Erwünschtheit die Teilnehmer/-innen bei Fragen nach der Motivation für IZ veranlasste, positiv zu antworten. Auch fehlendes Hintergrundwissen zu den Möglichkeiten von IZ kann die Aussagen beeinflusst haben. Die Ergebnisse decken sich mit den Aussagen von Klapper (2017), dass besondere Kompetenzen und Fähigkeiten der verschiedenen Akteure/-innen für eine gelingende IZ nötig sind. Bei der Betrachtung der Ergebnisse wird deutlich, dass diese insbesondere aus dem beruflichen Selbstverständnis hervorgehen. Das Konstrukt des beruflichen Selbstverständnisses lässt sich in den Beschreibungen von Klapper (2017) über ein notwendiges Verständnis der eigenen Rolle sowie der Rollen der beteiligten Berufsgruppen und den gemeinsamen Versorgungsstrukturen wiederfinden.

Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Wissenserwerb hinsichtlich möglicher Gestaltungen von interprofessionellen Situationen zur Entwicklung der erforderlichen Fähigkeiten und damit zu einer vermehrten Umsetzung von IZ führt. Jedoch sollte der Wissenserwerb nicht nur durch interprofessionell angelegte Fort-und Weiterbildungen erfolgen, sondern Teil der berufsfachschulischen und akademischen Ausbildung der Gesundheitsfachberufe sein. Durch die Umsetzung interprofessioneller Situationen in der Ausbildung oder außerhalb des Therapiealltages, in Fortbildungen und Teamsitzungen kann sich das berufliche Selbstverständnis von den Angehörigen ELP ausformen. Neues Wissen und neue Erfahrungen werden in die eigene Wahrnehmung integriert und können den Bedarf und die Intention zur IZ positiv beeinflussen und somit den Beitrag der Therapieberufe für eine ganzheitliche Patienten/-innen-Versorgung unterstützen (siehe Abbildung 2).

Digitale Medien in ELP

Hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien haben die Teilnehmer/-innen in F1 im Zusammenhang mit ihrer therapeutischen Tätigkeit hauptsächlich Barrieren benannt. F2 thematisiert Nutzungsprobleme verwendeter digitaler Medien im Praxisalltag. Diese abweichenden Schwerpunktsetzungen lassen sich auf den unterschiedlichen Wissensstand zur Nutzung und dem Umgang mit digitalen Medien zurückführen.

Die Arbeitsweise in F1 stellte sich im Vergleich zu F2 hauptsächlich analog dar. Diese grundlegenden Unterschiede der beiden Fokusgruppen führten dazu, dass die Forscher/-innen zwei verschiedene Arbeitsweisen analysieren konnten. Sowohl die Probleme und Hürden, die auftreten, wenn die digitalen Medien im Praxisalltag nicht integriert sind, als auch die, die im Umgang mit digitalen Medien ersichtlich werden, geben Aufschlüsse für die Entwicklung und erfolgreiche Integration eines digitalen Mediums. In den Aussagen von F1 finden sich wichtige Informationen zu den Voraussetzungen sowie zu den Hemmnissen, die es abzubauen gilt, damit ein digitales Medium zur Verbesserung der IZ eingeführt werden kann. Die Teilnehmer/-innen aus F2 geben vermehrt Hinweise über Probleme und Wünsche beim Einsatz digitaler Medien im Arbeitsalltag.

In der Literatur genannte Umsetzungsbarrieren für eHealth spiegeln sich ebenfalls in den Aussagen der teilnehmenden Personen wider. Lux et al. (2019) gaben als vorwiegende Hürden die datenschutzrechtlichen Anforderungen, und das mangelnde Wissen über digitale Medien an. Bezüglich der Datenschutzbestimmungen zeigten sich in F1 sehr große, in F2 einige Bedenken. Ebenfalls zeigte sich in den Aussagen, dass häufig kein ausreichendes Wissen bezüglich digitaler Medien und den damit verbundenen datenrechtlichen Bestimmungen vorliegt. Lauterbach und Hörner (2019) nennen neben diesen Faktoren ebenfalls die bisher nicht nachgewiesene Kosteneffizienz als Barriere der Umsetzung Trotz des fehlenden Nachweises einer Kosteneffizienz gehen Quellen stark von einer langfristigen Kostenreduktion aus (Europäische Kommission, 2019; Lux, 2019; WHO, 2019). Dieses wird unter anderem begründet in der Verbreitung der Telemedizin, der Vermeidung von Mehrfachuntersuchungen mit kostenintensiven Verfahren (Europäische Kommission, 2019) und effizienter Kommunikation zwischen verschiedenen Fachrichtungen und Professionen, insbesondere bei Versorgungsübergängen wie von Ärzten/-innen zu Therapeuten/-innen (Lux, 2019). Die Teilnehmer/-innen der Fokusgruppen bewerteten die finanziellen Aspekte der Anschaffung als weniger relevant. In F2 zeigte sich, dass bereits verschiedene digitale Geräte vorhanden sind. In F1 sind auch die Geräte zur Nutzung einer Software vorhanden und es überwogen andere notwendige Rahmenbedingungen. So stellt beispielsweise eine Abrechnungsposition für interprofessionelle Zusammenarbeit eine wichtige Grundlage für die Vernetzung dar. Zudem wurden die Vorteile durch einen verbesserten Informationsaustausch, insbesondere bei Vor- oder Nebenerkrankungen, herausgestellt und als notwendig für eine holistische Versorgung angesehen.

Digitale Interprofessionalität

Hinsichtlich der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf den Umgang mit Daten ließ sich bei einigen Teilnehmer/-innen eine deutliche Unsicherheit erkennen. Zudem fehlte es den meisten Teilnehmer/-innen an positiven Erfahrungswerten bezüglich einer IZ. Hieraus ergeben sich Möglichkeiten für die Anwendung eines digitalen Mediums, welches sich zum einen als Unterstützung für Austauschmöglichkeiten oder Gruppentreffen darstellt. Zum anderen kann die Vernetzung zu externen Praxen verbessert werden, da beide Fokusgruppen in den Gesprächen bemängelt haben, dass der Kontakt zu externen Praxen erschwert ist. So wurde in F1 der Einblick in die aktuelle Diagnose und Begleitsymptomatiken als Weiche für eine IZ und als Grundlage eines effektiven Austausches über Patienten/-innen beschrieben. Insbesondere für die interprofessionelle Vernetzung wird die Nutzung eines digitalen Mediums favorisiert. Eine Möglichkeit, Therapeuten/-innen frühzeitig für die Themen „Digitalisierung“ und „Interprofessionalität“ zu sensibilisieren und Unsicherheiten zu reduzieren, ist es, diese Themen in die Curricula der Ausbildungs- und Studiengänge einzubringen.

Die Vorteile, die aus möglichst diversen Teilnehmer/-innen bezüglich ihrer Erfahrungen entstehen, sollte bei weiteren Studien zur Entwicklung eines Mediums beachtet werden. Dies spiegelt sich auch in der anfänglichen Planung wider, die zwei Fokusgruppen möglichst unterschiedlich hinsichtlich des Arbeitssettings der Teilnehmenden zu gestalten. In F1 sollten hauptsächlich Teilnehmende sein, die in einem intraprofessionellen Setting arbeiten, sodass der Kontrast zu einer interprofessionellen Praxis möglichst groß ist. Durch die Anbindung an Institutionen, vorherige Erfahrungen in stationären Settings und durch hohes Engagement der Teilnehmenden ist der Unterschied im Setting und in der Durchführung von IZ geringer als erwartet. Während in F2 eine starke Vernetzung innerhalb der interprofessionellen Praxis besteht, vernetzen sich die Teilnehmer/-innen der F1 mehr innerhalb institutioneller Settings mit anderen Praxen und Professionen. Diese Unterschiede in der Vernetzung sind eng mit den strukturellen Gegebenheiten des ambulanten Settings verbunden. Die Begegnung und der Austausch der Mitarbeiter/-innen untereinander sowie Kontakt zu anderen Praxen hängen von den jeweiligen Arbeitszeiten und der Präsenzzeit der Mitarbeiter/-innen in den verschiedenen Settings ab. Auch hier könnte ein digitales Medium eine mögliche Unterstützung darstellen. Durch dieses würden die Faktoren (Bedingungen, Barrieren, Hemmnisse) der aktuell erforderlichen simultanen und persönlichen IZ aufgehoben werden und eine zeitlich und räumlich unabhängige digitale Interprofessionalität ermöglicht. Dennoch bleiben Hürden für IZ bestehen, wie die fehlende Abrechnungsmöglichkeit, die auch durch ein bedarfsorientiertes digitales Medium nicht gelöst werden können.

Vergleich der Fokusgruppen

In F1 kam ein Gruppengespräch eher langsam zustande. Dies lag nicht zuletzt an dem erstmaligen Treffen der Teilnehmenden und an den thematischen und verfahrenstechnischen Unsicherheiten. Die anfängliche Zurückhaltung von den Teilnehmenden der F1 wurde durch ein vermehrtes Nachfragen und Erklärungen seitens der Interviewerin abgefangen. Die genannten Beispiele zur IZ kamen zum Teil aus dem stationären Setting, die bei der Auswertung nicht berücksichtigt wurden. In beiden Fokusgruppen hatte jeweils eine Person einen deutlich höheren Sprechanteil. Der erhöhte Sprechanteil der beiden Personen spiegelt sich in einer hohen Anzahl verwendeter Zitate in den Kategorien wider. Auf einen Ausgleich der Zitate sowie zustimmende Aussagen anderer Personen in der Ergebnisdarstellung wurde von dem Forscher/-innenteam bewusst geachtet. In F1 wurde durch die dominant auftretende Person eine eindeutige Meinung, zum Teil auch provokant, geäußert. Diese Aussagen führten in der Gruppe jedoch zu keiner weiteren Diskussion und geringeren Sprechanteilen der anderen Teilnehmenden. In F2 wurde das Gespräch zu Beginn durch ein hierarchisches Gefälle geprägt. Im Verlauf entwickelte sich eine Diskussion unter den Teilnehmenden und dadurch ein Ausgleich der Sprechanteile. Durch die Praxisstrukturen stand die Digitalisierung im Vordergrund des Gespräches und die Verknüpfung zur IZ außerhalb der interprofessionellen Praxis im Praxisalltag konnte nicht hergestellt werden. Die Thematik und die Zusammensetzung der F2 lässt in einigen Aussagen eine soziale Erwünschtheit und den Wunsch einer positiven Auswirkung vermuten.

Durch die unterschiedlichen Gruppendynamiken und durch die vielseitige Zusammensetzung der beiden Fokusgruppen ergibt sich eine große Bandbreite in den dargestellten Ergebnissen.

LIMITATIONEN

Eine interprofessionelle Zusammenarbeit ist zwischen allen Berufsgruppen im Gesundheitswesen notwendig, um eine umfassende und qualitativ hochwertige Behandlung der Patienten/-innen gewährleisten zu können (WHO, 2010). Die Ergebnisse dieser Studie basieren auf der Untersuchung eines Samples von Ergotherapeuten/-innen, Physiotherapeuten/-innen und Logopäden/-innen aus verschiedenen ambulanten Settings (siehe Tabelle 3) in zwei Städten in Norddeutschland. Bei der Übertragbarkeit der Ergebnisse sind daher die jeweiligen Rahmenbedingungen (unter anderem Tätigkeitsfelder, Anzahl der Fokusgruppen und Gruppengrößen) zu berücksichtigen. Durch die Einschränkungen des Samples auf die drei Berufsgruppen fehlen Sichtweisen von weiteren Berufsgruppen des Gesundheitswesens. Durch das Einbeziehen weiterer Berufsgruppen könnte von bereits bestehenden Kommunikationsmitteln und Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen anderen Berufsgruppen profitiert werden. Eine allgemeine Übertragbarkeit auf das gesamte Gesundheitswesen ist daher nur begrenzt möglich, auch wenn sich verschiedene hier herausgearbeitete Aspekte vermutlich in anderen Berufsgruppen und Settings ebenfalls wiederfinden.

Als Methode wurde das Fokusgruppeninterview gewählt. Diese Interviewform hat den Vorteil, durch Gruppendynamik eine große Erzählbereitschaft zu erzeugen. Andererseits kann die Gruppenkonstellation und die Themenwahl dazu führen, dass einzelne Teilnehmende thematisch überfordert sind, sich zurückziehen oder sich den Meinungen dominanten Gesprächspartnern anpassen (Zwick & Schröter, 2012). Besonders in F1 konnte das letztere Phänomen von den Forscher/-innen beobachtet werden. Durch das Schaffen einer angenehmen Atmosphäre und die gezielte Ansprache stiller Teilnehmer/-innen wurden diese animiert, ihre Meinung beizutragen. Eine Verzerrung der Ergebnisse durch die Methodenwahl lässt sich jedoch nicht ausschließen.

Die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen der beiden Fokusgruppen führten zu einer weiten Bandbreite an Aussagen. Es konnte ein Einblick in die Vielfältigkeit norddeutscher Therapiepraxen in Bezug auf eine fortschreitende Digitalisierung gegeben, aber keine Datensättigung erreicht werden.

Auch die teilweise gezielte Auswahl der Teilnehmer/-innen über persönliche Kontakte und Netzwerke kann zu Verzerrungen führen. Die externe Validität ist aufgrund der begrenzten Anzahl der Fokusgruppen und Teilnehmer/-innen sowie der Vielfalt der Kontexte einer IZ in ambulanten Praxen der ELP eingeschränkt. Um diese zu erhöhen, müssten weitere Therapeuten/-innen der drei Berufsgruppen aus den verschiedenen ambulanten Arbeitsfeldern, bspw. Pflegeheimen, Kindergärten und privaten Hausbesuchen, interviewt werden. Die Definition der „digitalen Interprofessionalität” ist als vorläufig anzusehen, da die Forscher/-innen diese aus den Aussagen der Teilnehmenden extrahiert sowie Informationen aus der aktuellen Literatur hinzugezogen haben. Die Definition stellt eine erste Anregung dar und sollte durch weitere Forschung spezifiziert werden.

Weiterhin konnten die eingangs formulierten Fragestellungen aus dem Datenmaterial nicht vollumfänglich beantwortet werden. Die Aussagekraft der Ergebnisse, das erstellte Framework sowie die Definition der „digitalen Interprofessionalität” sind daher zu limitieren. In Folgestudien sollten insbesondere die Frage nach der Gestaltung einer digital unterstützten Interprofessionalität untersucht werden und weitere Berufsgruppen und Settings einbezogen werden.

FAZIT

Die Analyse der Daten zeigte, dass IZ sowohl den Austausch über Behandlungsziele, Maßnahmen und die Behandlungsreihenfolge als auch das gemeinsame Arbeiten an Patienten/-innen in Co-Therapien beinhaltet. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen stellen für die Therapeuten/-innen dabei die größte Hürde für eine IZ dar. In den Interviews zeigte sich die Nutzung digitaler Medien als Möglichkeit, eine IZ zu verbessern und langfristig zu unterstützen. Das aus der Datenanalyse entwickelte Framework kann als Grundlage für weitere Schritte in der Entwicklung eines benutzerfreundlichen digitalen Endgerätes zur Verbesserung der IZ genutzt werden. Die Therapeuten/-innen aus beiden Fokusgruppen befürworten eine Cloud, die intuitiv, einfach und niederschwellig gestaltet ist und verschiedenste Funktionen, wie beispielsweise eine Austauschplattform zur Kommunikation mit anderen Berufsgruppen, bietet. Diese Ergebnisse könnten in die Entwicklung eines ersten Prototypens einfließen, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit der Therapieberufe im ambulanten Setting unterstützt.

eISSN:
2296-990X
Idiomas:
Inglés, Alemán
Calendario de la edición:
Volume Open
Temas de la revista:
Medicine, Clinical Medicine, other