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Needs-based educational support for parents in the neonatal intensive care unit - perspectives of parent counsellors / Bedarfsorientierte edukative Unterstützung für Eltern nach einer Frühgeburt aus der Perspektive von Elternberaterinnen


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EINLEITUNG

Nach Schätzungen kommen weltweit jährlich 15 Millionen Kinder, das entspricht ca. 10,6 Prozent aller lebendgeborenen Kinder, vor der 37. Schwangerschaftswoche und damit zu früh auf die Welt (Chawanpaiboon et al., 2019). Die Frühgeburt gilt weltweit als Ursache für eine erhöhte Mortalitätsrate und führte im Jahr 2019 zu 35 Prozent der neonatalen Todesfälle (De Costa et al., 2021). In Deutschland werden ca. 8 Prozent aller lebendgeborenen Kinder zu früh geboren (IQTIG, 2021). Mehr als 15 Prozent der Frühgeborenen müssen in spezialisierten Perinatalzentren behandelt werden und verweilen dort zwischen 18 und 66 Tagen (Statistisches Bundesamt, 2020), bevor sie auf Stationen mit nichtintensiver Versorgung oder in die Häuslichkeit entlassen werden.

Um das Überleben und die bestmögliche gesundheitliche Entwicklung zu sichern, versorgen interprofessionelle Teams der Perinatalzentren in Deutschland die frühgeborenen Kinder nach evidenzbasierten intensivmedizinischen Standards. Entsprechend wird der Pflege- und Beratungsprozess an diesen Standards ausgerichtet und umfasst Maßnahmen des systematischen Assessments gesundheitlicher Risiken, der zielgerichteten Planung und fachgerechten Umsetzung von Interventionen und die Evaluation der Wirksamkeit der Pflege anhand relevanter klinischer Outcomes (Gordon & Georg, 2020a). In der neonatologischen Intensivpflege (NICU) gilt der Ansatz familienzentrierter Pflege als etabliertes Konzept, indem das Augenmerk sowohl auf die pflegerische Versorgung der Frühgeborenen als auch auf die Stärkung der Familie nach dem meist krisenhaften Ereignis einer Frühgeburt gerichtet wird (Ramezani, Hadian, Sarvestani, & Moattari, 2014). Denn stressauslösende Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit dem Geburtsgeschehen können bei Eltern traumatische Folgen verursachen und im Vergleich zu Eltern, die eine normale Geburt erleben, die Prävalenz von Angst und Stress signifikant erhöhen (Malouf et al., 2022). Zudem wirkt sich anhaltender Stress negativ auf elterliche Bewältigungsstrategien, die Eltern-Kind-Bindung und langfristig auf die kindliche Entwicklung aus (ebd.).

Familienzentrierte Pflege fördert gezielt die zentrale Rolle der Eltern, indem sie den Pflegeprozess konsequent an den Bedürfnissen der gesamten Familie ausrichtet und gleichberechtigte Aushandlungen sowie gemeinsame Entscheidungen mit den Eltern unterstützt (Ramezani et al. 2014). Werden die Kernprinzipien familienzentrierter Pflege erfolgreich implementiert, führt das neben Kosteneinsparungen durch eine verkürzte Verweildauer auch zur Reduktion unerwünschter Auswirkungen der Frühgeburt bei den Eltern (Benzies, Magill-Evans, Hayden, & Ballantyne, 2013; Ramezani et al., 2014).

Aktuelle Studien belegen, dass familienzentrierte Pflege das Wohlbefinden von Kindern und Eltern stärkt (Naef et al., 2020), Stress und Ängste der Eltern reduziert (Rajabzadeh, Moudi, Abbasi, & Aliabad, 2020), die Eltern-Kind-Bindung fördert und Eltern das Gefühl von Kontrolle vermittelt (Vance, Docherty, & Brandon, 2021). Besondere Bedeutung wird dem Aufbau von Vertrauen der Eltern gegenüber Pflegenden beigemessen. Vertrauen mindert elterlichen Stress und unterstützt den Erwerb notwendiger Kompetenzen zur Pflege des Kindes (Mause et al., 2021; Schuetz Haemmerli, Lemola, Holditch-Davis, & Cignacco, 2020).

Demnach nehmen Pflegende in Versorgungsprozessen eine Schlüsselposition für den schrittweisen Einbezug der Eltern in Versorgungsprozesse der familienzentrierten Pflege ein (Gómez-Cantarino et al., 2021). Dies erfordert ein grundlegendes Verständnis für edukative Interventionen wie Informieren, Beraten, Anleiten/Instruieren oder Schulen (Mansourian et al., 2020; Thompson, Leach, Smith, Fereday, & May, 2020). Edukative Interventionen greifen elterliche Lern- und Orientierungsbedürfnisse auf, reduzieren Stress und Ängste der Eltern, erhöhen ihre Zufriedenheit (Bergmann & Westrup, 2018) und mildern soziale Ungleichheiten und Teilhabechancen ab (Ciupitu-Plath, Tietz, & Herzberg, 2021; Mansourian et al., 2020). Insbesondere die Beratung, verstanden als systematisch geplante und strukturierte kommunikative Intervention, unterstützt Eltern in der Problembewältigung und in ihrer Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit (Dewe & Schwarz, 2013; Schaeffer & Dewe, 2012). Andere edukative Interventionen, wie Anleiten/Instruieren oder Schulen ermöglichen den Erwerb praktischer Handlungskompetenzen für eine zunehmend selbstständige Übernahme der Pflege des Kindes. Während edukative Interventionen kognitive und handlungspraktische Lern- und Bewältigungsfähigkeiten der Familien aufgreifen, sprechen psychosoziale Interventionen emotionale Bedürfnisse nach einer Frühgeburt an, um Adaptations-und Bewältigungsstrategien zur Rückkehr in eine familiäre Normalität und Stabilität aufzubauen (Juen, Siller, & Gstrein, 2011).

Edukative Interventionen zu konzipieren, gelingend auszugestalten und passgenau zu platzieren, setzt im Rahmen eines systematischen Pflegeassessments die gezielte Ermittlung und Priorisierung elterlicher Bedürfnisse und Bedarfe voraus (Baloochi Beydokhti, Heshmati Nabavi, Ilkhani, & Karimi Moonaghi, 2020; Gordon & Georg, 2020b). Bedürfnis wird für die vorliegende Arbeit definiert als subjektiv-individueller Wunsch bzw. erlebter Mangel- und Belastungszustand von Eltern, verbunden mit dem Wunsch nach Befriedigung, der physisch, psychische sowie soziale Dimensionen umfassen kann (DGP, 2020). (Fremdeingeschätzter) Bedarf wird verstanden als objektiv erkennbarer, nachvollziehbarer und nicht durch eigene Ressourcen zu behebender Mangel- oder Belastungszustand (ebd). Neben Befragungen und Beobachtungen erlauben instrumentengestützte Verfahren eine systematische Daten- und Informationssammlung, um konkrete Phänomene in pflegerischen Handlungsvollzügen zielgerichtet zu identifizieren und zu bewerten (Reuschenbach & Mahler, 2011). Die familienzentrierte Gestaltung des Pflege- und Beratungsprozesses ermöglicht Anbieter:innen und Nutzer:innen ein gemeinsames Problemlösungsverfahren, in dem Unterstützungsbedarfe systematisch erhoben, beurteilt und bedarfsgerechte Unterstützungsmaßnahmen geplant, umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Hier stellt sich die Frage, wie und nach welchen Kriterien Bedarfsfeststellungen Pflegender in diesem Feld erfolgen (Schäfer, Karutz, & Schenk, 2017). Erkenntnisse aus früheren Studien zeigen, dass die von professionellen Akteur:innen der NICU beurteilten Bedarfe häufig nicht mit elterlichen Bedürfnissen übereinstimmen (Ladani, Abdeyazdan, Sadeghnia, Hajiheidari, & Hasanzadeh, 2017; Valizadeh, Zamanzadeh, Akbarbegloo, & Sayadi, 2012). Am meisten bemängeln Eltern die unzureichende Beantwortung ihrer Bedürfnisse nach adäquaten Informationen, nach Orientierung und Sicherheit (Adama, Adua, Bayes, & Mörelius, 2021; Ladani et al., 2017) sowie nach Einbezug in Entscheidungsfindungsprozesse (Lorié, Wreesmann, van Veenendaal, van Kempen, & Labrie, 2021). Auch elterliche Bedürfnisse, die sich auf die Nähe zum Kind, die Übernahme seiner Pflege und auf Wertschätzung durch das Pflegepersonal richten, werden vom Pflegepersonal niedriger eingeschätzt, als von Eltern (Amorim, Alves, Kelly-Irving, & Silva, 2019; Ladani et al., 2017). Pflegende beurteilen wiederum die Häufigkeit ihrer Unterstützung zur Beantwortung emotionaler Bedürfnisse höher als Eltern (Franck & Axelin, 2013).

Diese Ergebnisse zusammenfassend bleibt offen, ob und wie sich die von Pflegenden festgestellten Bedarfe an den tatsächlichen Bedürfnissen von Eltern orientieren und als Grundlage für die familienzentrierte Ausgestaltung edukativer Angebote zur gezielten Beantwortung der Bedürfnisse genutzt werden können. Bislang kommen validierte deutschsprachige Instrumente mit dem Ziel, elterliche Bedürfnisse und Bedarfe zu erheben, in der Perinatalversorgung in Deutschland nicht zur Anwendung (Schäfer et al., 2017). Die vorliegende qualitative Untersuchung greift diese empirische Lücke am Beispiel einer institutionalisierten Elternberatung auf und fragt nach subjektiven Sichtweisen von Anbieterinnen auf elterliche Bedarfe.

FRAGESTELLUNG UND ZIEL

Der Artikel gibt einen Einblick in versorgungsrelevante Bedarfsbestimmungen nach dem für Eltern herausfordernden Ereignis der Frühgeburt aus der Perspektive von Pflegenden, die als Elternberaterinnen

Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden statt «Elternberaterin(nen)» der Begriff «Beraterin(nen)» verwendet.

für edukative Angebote in der NICU freigestellt sind. Ziel war es, subjektive Sinnzusammenhänge der Beraterinnen zu rekonstruieren und erste Ansätze für eine nutzerorientierte Anpassung und bedarfsgerechte Konzeptionalisierung edukativer Angebote im familienzentrierten Pflegeprozess der NICU zu liefern. Die übergeordnete Fragestellung dieser qualitativ-empirischen Studie lautete: Welche Sichtweisen haben Beraterinnen auf objektive Bedarfe und subjektive Bedürfnisse der Eltern während der stationären Versorgung ihrer Kinder? Dabei interessierte ihre Sicht auf professionelle Bedarfsbestimmungen und auf die Beantwortung subjektiver elterlicher Bedürfnisse durch edukative Unterstützungsangebote.

METHODISCHE VORGEHENSWEISE

Im Rahmen des Forschungsprojekts «Elternberatung in der Neonatologie» untersuchten wissenschaftliche Mitarbeiterinnen (Erst- und Zweitautorin) und Diplomandinnen mehrperspektivisch ein perinatales Beratungsangebot der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Dabei erfassten drei qualitative Studien die individuelle Perspektive betroffener Mütter/Eltern Kinder zu verschiedenen Zeitpunkten der gesundheitlichen Versorgung (Alps, 2013; Herzberg, Thierfelder, & Ewers, 2016; Seidel, 2013) und kontrastierend dazu dienten zwei weitere qualitative Studien der Exploration professioneller Bedarfsbestimmungen aus der Perspektive von Elternberaterinnen (Alwins, 2013; Rehfeldt, Doll, Thierfelder, & Tegethoff, 2016). Angesichts mangelnder Forschungsergebnisse zur systematischen Bedarfsermittlung und dem Einsatz spezifischer Instrumente zur Erhebung elterlicher Bedürfnisse und eingeschätzter Bedarfe in der Perinatalversorgung in Deutschland erschien es den Autorinnen sinnvoll, die Daten der Teiluntersuchung zu professionellen Bedarfsbestimmungen für diese Studie erneut aufzugreifen. Zur Beantwortung der Fragestellung wählten die Forscherinnen einen qualitativ-explorativen Forschungsansatz. Damit war es möglich, subjektive Theorien Pflegender über elterliche Bedarfe, Bedürfnisse und professionelle Bedarfsbestimmungen in der NICU zu erheben. In die Untersuchung wurden alle Pflegenden einbezogen, die als Beraterinnen einer NICU im Perinatal Level I eines Krankenhauses der Maximalversorgung tätig sind (n = 6). Nachdem die Interviewpartnerinnen über das Ziel und den Ablauf der Studie sowie die datenschutzgesetzlichen Regelungen informiert wurden, gaben sie ihr Einverständnis zur Teilnahme. Nach Beendigung der Interviews vervollständigten die Beraterinnen jeweils einen Kurzfragebogen, der ausgewählte soziodemografische Daten erfasste. Ein datenschutzkonformer Umgang mit den personenbezogenen Daten erfolgte durch die weitere Verwendung der Daten in pseudonymisierter Form.

Die Datenerhebung erfolgte in Form leitfadengestützter Interviews (Alwins, 2013). Damit konnten in der Interviewsituation Offenheit gegenüber den Relevanzsetzungen der Beraterinnen gewahrt und dennoch gezielt forschungsbezogene Themenbereiche eingeführt werden (Helfferich, 2011). Der Interviewleitfaden wurde nach dem SPSS-Prinzip (ebd.) entwickelt und zunächst alle Fragen gesammelt, die aufgrund des theoretischen Vorwissens von Interesse waren. Nach Überprüfung, Selektion und Strukturierung der Fragen konnte ein Leitfaden mit vier Themenbereichen und je einer offenen Frage zur Exploration verfügbaren Wissens der Beraterinnen konstruiert werden (Flick, 2012). Ergänzende theoriegeleitete Steuerungsfragen dienten dazu, implizite Vorannahmen der Befragten zu explizieren und weitere, an der wissenschaftlichen Literatur orientierte Aspekte aufzugreifen (ebd.). Zu Beginn bat die Interviewerin alle Beraterinnen, von ihrem beruflichen Werdegang und ihren Aufgaben in der Elternberatung zu erzählen. Damit sollte ein erster Erzählimpuls gesetzt und eine kommunikative Vertrauensbeziehung für die Zeit des Interviews aufgebaut werden. Anschließend wurden die Beraterinnen gefragt, welche elterlichen Bedarfe sie erkennen, wie sie die Bedarfe ermitteln und wie sie den Grad der Befriedigung elterlicher Bedürfnisse einschätzen. Um einzelne Themengebiete weiter vertiefen zu können, wurden im Interviewverlauf immanente Nachfragen gestellt (Helfferich, 2011). Vor Beginn der Interviewdurchführung überprüfte die Interviewerin den Leitfadenentwurf in einem Pretest und modifizierte ihn geringfügig.

Auf Grundlage der beschriebenen Fallauswahl führte die Interviewerin zwischen 12/2012 und 01/2013 sechs leitfadengestützte Interviews mit den Beraterinnen im Rahmen ihrer Arbeitszeit in den Räumen der Elternberatung durch und zeichnete diese digital auf. Für diese Studie transkribierte die Erstautorin das Datenmaterial erneut wörtlich. Als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen werteten die Erst- und Letztautorin die Daten mittels qualitativer Inhaltsanalyse aus (Mayring, 2010), da sie zur Systematisierung und Analyse von „manifesten und latenten Kommunikationsinhalten“, zum Rückschluss auf „bestimmte Aspekte der Kommunikation“ (Stamann, Janssen, & Schreier, 2016, S. 5) und zur regelgeleiteten Interpretation des Textes in Richtung Kategorienbestimmung beiträgt (Schreier, 2014). Das Verfahren der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ermöglichte ein deduktiv-induktives Vorgehen der Kategorienentwicklung (ebd.). Forschungspraktisch entwickelten die beiden Forscherinnen, theoriegeleitet und entlang der Themen des Interviewleitfadens, zunächst deduktive Hauptkategorien (Kategorie II–V), die das empirische Material strukturierten. Im weiteren Verlauf differenzierten sie das Kategoriensystem in einem deduktiv-induktiven Wechselspiel zu weiteren Haupt- und Subkategorien aus (ebd.). Nach erfolgter Rücküberprüfung am Ausgangsmaterial modifizierten beide Autorinnen das Kategoriensystem, formulierten und überprüften Kodierregeln auf der Grundlage eines konsentierten Kodierleitfadens und nahmen bei Bedarf Anpassungen vor. Die Erstautorin entwickelte „natürliche Kategorien“, in denen die Terminologie der Beraterinnen als Manifestation ihrer subjektiven Deutungen in die Formulierungen der endgültigen Kategorien einfloss (Kuckartz, 2014, S. 44). Natürliche Kategorien zeichnen sich häufig durch bildreiche Sprache aus, die eine Klärung des Inhaltes, der damit erfasst werden soll, erforderlich macht. Deshalb ordnete die Erstautorin jeder natürlichen Kategorie den thematischen Bedeutungsgehalt zu. Alle Analyseschritte wurden im Forschertandem entlang methodologischer Codierschritte durchgeführt (Devotta & Pedersen, 2015), in Aufzeichnungen des Forschungstagebuchs dokumentiert und mündeten mündeten schließlich in eine Konstruktion des vollständigen Kategoriensystems zur Beschreibung der Bedarfe von Eltern nach einer Frühgeburt aus der Sicht von Beraterinnen.

RESULTATE

In der Darstellung der empirischen Ergebnisse beschränken sich die Autorinnen auf jene Kategorien der inhaltsanalytischen Auswertung, die zur Beantwortung der Forschungsfragen dienten und zentrale Erkenntnisse zum Untersuchungsgegenstand dieser Studie lieferten (Kategorie II–V). Zunächst werden die Sichtweisen der Beraterinnen auf elterliche Bedarfe dargestellt, gefolgt von Aussagen zur Ermittlung elterlicher Bedarfe sowie der vermuteten Übereinstimmung erkannter Bedarfe mit tatsächlichen Bedürfnissen von Eltern. Im Anschluss daran wird geschildert, wie die ermittelten elterlichen Bedarfe von den Beraterinnen professionell beantwortet werden (s. Abb. 1).

Abbildung 1

Zusammenfassendes Kategoriensystem zur Beschreibung der Unterstützungsbedarfe von Eltern nach einer Frühgeburt aus der Perspektive von Elternberaterinnen

Kategorie II: Unterstützungsbedarfe von Eltern – „Sicherheit und Orientierung gewinnen“

Die interviewten Beraterinnen nehmen wahr, dass sich Eltern nach einer Frühgeburt plötzlich in einer nicht überschaubaren Situation befinden. Nach ihrer Auffassung möchten Eltern die krisenhafte Situation bestmöglich bewältigen und suchen nach Möglichkeiten, sich in der fremden Umwelt zu orientieren. Dabei ringen sie in ständiger Sorge um das Leben des Kindes nach Antworten auf drängende Fragen. Aus Sicht der Beraterinnen benötigen sie dafür Informationen zum Gesundheitszustand ihres Kindes, zu schnell wechselnden medizinisch-pflegerischen Alltagsroutinen und zu Entscheidungen, deren Tragweite sie oft nicht einschätzen können. Der Informationsbedarf wird von den Beraterinnen in Verbindung gesetzt mit dem Wunsch nach kontinuierlichen Beratungsangeboten, um tragfähige Strategien im Umgang mit der neuen Situation entwickeln zu können, was in folgendem Zitat deutlich wird.

„Die brauchen eine Orientierung, die brauchen wieder ein bisschen festen Boden unter den Füßen, die brauchen Begleitung beziehungsweise Beratung. Wie geht es jetzt weiter, was können sie tun, wie kriegen sie wieder den festen Boden unter den Füßen, was ist eigentlich passiert? Und (...) dass sie sich entlasten, dass wir gemeinsam ihre Gedanken sortieren und natürlich gemeinsam dann nach Lösungsmöglichkeiten suchen (...).“

(I: EB2, 1, 29–35)

Nach Ansicht der Beraterinnen benötigen Eltern verlässliche Ansprechpartner:innen, um sich trotz der Vielzahl an Informationen und Eindrücken sicher zu fühlen. Die Beraterinnen nehmen einen starken elterlichen Bedarf nach Sicherheit wahr, verbunden mit dem Wunsch nach Vertrauen zum Pflegepersonal. Ihrer Meinung nach können schwierige Situationen in vertrauensvollen Beziehungen mit Pflegenden und Beraterinnen erfolgreicher bearbeitet werden, etwa bei elterlichen Konflikten mit professionellen Akteur:innen oder unvorhersehbaren Veränderungen des kindlichen Wohlbefindens. Zudem stellen Beraterinnen den elterlichen Bedarf nach Sicherheit in einen engen Zusammenhang mit emotionaler Begleitung:

„Letztendlich ganz viel Dinge auch Stärkung einfach erst mal wieder. Entweder erst mal gucken (…), welche Gefühle gibt es? Die so ein bisschen in einer Hilfestellung (…) unterstützend zuzulassen (...). Dass man dann sagt, dass diese ganzen Gefühle ja in irgendeine Bindung, sagen wir mal, zu dem, was wir hier alle mit ihrem Kind machen, sich entwickelt. Und da braucht man ganz häufig einfach so Begleitung, Bestärkung.“

(I: EB3, 5–6, 197–202)

Beraterinnen nehmen an, dass Eltern Hilfestellungen brauchen, um ihre Gefühle zuzulassen. Nach Ansicht der Beraterinnen trägt emotionale Unterstützung zur Entlastung der Eltern bei und stärkt die elterliche Selbstwirksamkeit im erwünschten Bindungsaufbau zum Kind. Den Wunsch nach Erfolgserlebnissen in der schrittweisen Übernahme der Elternrolle nehmen Beraterinnen als elterlichen Bedarf wahr, für ihr Kind eigenständig sorgen zu können. Ausreichend Nähe und Körperkontakt zum Kind sowie der Erwerb notwendigen Fachwissens und handlungspraktischer Kompetenzen sehen sie dafür ebenso als Voraussetzung an, wie die Unterstützung der Eltern in ihrer Rolle als aktive Mitgestalter:innen im Versorgungsprozess.

Die Beraterinnen berichten von Bedarfen, die alle Eltern betreffen. Dazu gehören der Wunsch nach bestmöglicher gesundheitlicher Entwicklung des Kindes und der ausgeprägte elterliche Bedarf an Informationsvermittlung:

„Eigentlich haben die alle nur einen Wunsch, die haben nur den Wunsch, dass ihr Kind hier rauskommt, ja. Also ich denke, (...) dass ihr Kind hier diese Zeit überlebt und dass es eigentlich auch gesund überlebt. Und wenn abzusehen ist, dass das der Fall nicht sein wird, dann erwarten sie eigentlich viele Informationen. Aber um es wirklich mal ja, ganz grob zu sagen, ist es eigentlich wirklich das Einzige. Die wollen „hier heil rauskommen“

(I: EB5, 5, 168–171, 180)

Nach Auffassung der Beraterinnen verändern sich elterliche Bedarfe im Zeitverlauf, wie das Zitat hervorhebt. Während der Wunsch, die Klinik schnell zu verlassen, andauert, ändert sich der Bedarf nach Informationen über die Zeit. Am Anfang der Krise haben Eltern einen hohen Informations- und Beratungsbedarf. Mit zunehmender Aussicht auf die Entlassung gewinnt das familiäre Netzwerk an Bedeutung, um für ein möglichst belastungsarmes Leben in der Häuslichkeit zu sorgen.

Darüber hinaus unterscheiden Beraterinnen individuelle Bedarfsausprägungen anhand soziodemografischer Merkmale und differenzieren nach wahrgenommenen Belastungsprofilen von Eltern über die Dauer des Versorgungszeitraums. Nach Ansicht der Befragten variieren mütterliche und väterliche Bedarfe. Bei Müttern wird eher der Wunsch nach emotionaler und handlungspraktischer Unterstützung erkannt, Vätern hingegen schreiben sie eher einen ausgeprägten Informationsbedarf zu. Um ihr Informationsbedürfnis befriedigen zu können, suchen Väter häufiger die Gespräche mit Ärzt:innen, in denen sie offen mit wahrheitsgetreuen Informationen umgehen können. Beraterinnen nehmen auch den Bedarf der Väter wahr, die „Ärmel hochkrempeln“ (I: EB1, 2, 43) zu wollen, unterstützend tätig zu sein und eigene Bedürfnisse aus Rücksicht auf Frau und Kind zurückzustellen. Die Befragten vermuten unterschiedliche Bedarfe auch im Zusammenhang mit soziokulturellen Merkmalen. Aus ihrer Sicht haben Familien mit Migrationshintergrund einen niedrigen Bedarf an Unterstützung, da diese häufig über hinreichende Ressourcen durch ein stabiles familiäres Netzwerk verfügen. In der Einschätzung des Bedarfs mit Blick auf den Bildungsstand sind die Interviewteilnehmerinnen verschiedener Meinung. Einerseits wird festgestellt, dass ein höherer sozialer Status größere Unterstützungsansprüche einschließt. Andererseits wird resümiert, dass „pfiffige“ Frauen mit höherem Bildungsstand selbst für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse sorgen. Mehrlingseltern, alleinerziehenden Müttern, älteren Eltern und sehr jungen Müttern werden eher höhere Bedarfe zugeschrieben. Schließlich geben die Beraterinnen an, dass Bedarfe vom Ausmaß der Belastung in den Familien abhängen. Für psychisch kranke Frauen nehmen Beraterinnen einen besonderen Unterstützungsbedarf wahr, da diese weniger in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu äußern.

Kategorie III: Bestimmung des elterlichen Unterstützungsbedarfs – „Ein professionelles Bild machen“ und Kategorie IV: Vergleich elterlicher Bedürfnisse mit professionellen Bedarfsbestimmungen – „Keine Mütze überstülpen“

Für die Bestimmung elterlicher Bedarfe bewerten Beraterinnen ihre berufliche Expertise als unentbehrlich. Diese ist an langjährige Berufserfahrung, ausgeprägte Beobachtungsfähigkeit und die Kenntnis geeigneter Gesprächstechniken geknüpft. Sie schätzen ein, individuelle Belastungen und daraus resultierende elterliche Bedarfe nachzeichnen und dafür verschiedene Strategien anwenden zu können.

„(...) wir haben also keinen wirklichen Leitfaden (...). Sondern wir schwingen immer so ein Stück weit mit den Eltern mit, stellen weniger Fragen, sondern eher so wirklich dieses Mitschwingen, zwischen den Zeilen lesen, zuhören, so.“

(I: EB4, 2, 48–50)

Während einige Beraterinnen elterliche Bedarfe aus Gesprächen und Beobachtungen ableiten, wenden andere Beraterinnen systemische Fragetechniken an. Die Bedarfsbestimmungen finden entweder im Einzelgespräch oder im Rahmen begleiteter Treffen von Elterngruppen statt. Für die Bedarfsbestimmungen werden keine spezifischen Assessment-Instrumente verwendet. Hilfreich bewertet wird der kollegiale Austausch zur Identifizierung elterlicher Bedarfe. So können teamintern, wie auch in Sozialvisiten, gemeinsame Vorstellungen über Bedarfe entwickelt werden.

Als grundlegende Voraussetzung für gelingende Bedarfsbestimmungen, in denen Übereinstimmung zwischen Bedarfszuschreibungen und tatsächlichen elterlichen Bedürfnissen erzielt wird, benennen Beraterinnen die Kontinuität von Bedarfsermittlungen. Zudem sollte genügend Zeit für wertschätzende Begegnungen zur Verfügung stehen, in denen Eltern Verständnis für ihre individuelle Belastungssituation und ihre besonderen Bedürfnisse entgegengebracht wird. Darüber hinaus betonen Beraterinnen die Notwendigkeit, sich ein unvoreingenommenes Bild über die Bedarfe aller Familien zu verschaffen. Trotz der vielfältigen Unterschiede in der Wahrnehmung elterlicher Bedarfe sollten stereotype Zuschreibungen vermieden werden, um Eltern keine „Mütze überzustülpen“ (I: EB3, 10, 371), wie eine Beraterin reflektiert. Nach Auffassung der Beraterinnen stellt das ihnen entgegengebrachte Vertrauen eine weitere Voraussetzung für Bedarfsbestimmungen dar. Vertrauen sei der Schlüssel, über den die Wahrnehmung elterlicher Bedarfe erst möglich wird.

Neben diesen Gelingensfaktoren werden Stolpersteine für den Erfolg von Bedarfsermittlungen erwähnt. Die Präsenz der einzelnen Elternteile auf der Station ist hierbei ein wichtiger Faktor. Väter sind im Pflegeprozess weniger anwesend, daher bleiben ihre Bedarfe, im Vergleich zu denen der Mütter, eher unerkannt. Das vorsichtige Auftreten von Eltern während der Versorgung ihrer Kinder stellt ein weiteres Hemmnis dar, wie folgendes Zitat zeigt.

„Also die reißen sich dort beim Kind sehr zusammen, die versuchen sich gut anzupassen. Sie versuchen, das, was mit ihrem Kind passiert auch als gegeben hinzunehmen, ja? Also eher eine passive Rolle und nicht zu fordernd zu sein und nicht zu viel zu fragen (...). Weil sie dann denken, wenn sie schwierig sind oder da so ein bisschen aufmüpfig, dann wird ihr Kind auch schlechter versorgt.“

(I: EB2, 4, 124–129)

Nach Meinung der Beraterinnen halten Eltern ihren Wunsch nach aktivem Einbezug in die Versorgung eher zurück. Die von Befragten beobachtete Zurückhaltung in der Artikulation der eigenen Bedürfnisse wird darauf zurückgeführt, dass Eltern die bestmögliche Versorgung ihrer Kinder nicht gefährden und damit ihren Beitrag zur Genesung des Kindes leisten wollen. Demzufolge erhalten begleitende Gesundheitsprofessionen nur einen begrenzten Einblick in elterliche Bedarfe. Berichtet wird zudem, dass die Vielfalt und Wandelbarkeit elterlicher Bedürfnisse eine zielgerichtete Ermittlung der Bedarfe erschwert. Bliebe die Individualität aber unberücksichtigt, würden tatsächliche Bedarfe der Eltern nicht erkannt, resümieren Beraterinnen. Schließlich geben sie strukturelle Merkmale als Hindernisse für Bedarfsbestimmungen an. Unreflektierte Stationsroutinen und knappe Personalressourcen verursachen einen Mangel an festen Bezugspersonen für die kontinuierliche Begleitung und hemmen demnach sowohl das Erkennen aktueller elterlicher Bedarfe als auch den kommunikativen Austausch darüber. Neben den hier beschriebenen Hemmnissen in der Bedarfserhebung schränkt nach Auffassung der Beraterinnen ihre subjektive Wahrnehmung die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung zwischen tatsächlichen elterlichen Bedürfnissen und professionellen Bedarfsbestimmungen ein. Wie Beraterinnen die (bereits erfolgte) Befriedigung elterlicher Bedürfnisse erfassen, wird verschiedenartig beschrieben. Die Darstellungen reichen von subjektiv wahrgenommener Stärkung und Zufriedenheitsbekundungen der Eltern bis hin zu Gesprächsformaten und einem standardisierten Entlassungsmanagement, die den Stand der Beantwortung elterlicher Unterstützungsbedarfe evaluieren. Andere Aussagen deuten darauf hin, dass vorhandene Assessment-formen, wie Pflegeanamnese und Entlassvorbereitung, kein ausreichendes Reflexionspotenzial bieten. Zudem könnten elterliche Bedarfe nicht vollständig beantwortet werden, denn Angst limitiere die Handlungsfähigkeit der Eltern und der dringliche Wunsch nach einem reifgeborenen Kind könne nicht erfüllt werden.

Kategorie V: Unterstützung bei der Befriedigung elterlicher Bedürfnisse im Pflegeprozess – „Der rote Faden für Eltern“

Wie Beraterinnen ihre Aufgabe definieren und welche Ziele sie mit ihrer institutionalisierten Elternberatung verfolgen, wird in folgendem Zitat deutlich.

„Also, was so für uns in erster Linie stand, war einfach so. Die brauchen in dieser großen Klinik (...) einfach einen kontinuierlichen Ansprechpartner. Das wollten wir sein. Also wir wollten praktisch so ein roter Faden durch diese Zeit sein (...). Die haben hier einfach mit ganz vielen Menschen zu tun, ja. Und wir wollten so eine Brücke schlagen zwischen Eltern und Kind und von daher, ja, durch diesen Kontakt wollten wir die Bindung stärken zwischen Eltern und Kind.“

(I: EB1, 1, 11–20)

Ihren Kernauftrag verstehen sie in der Bereitstellung eines Beratungsangebotes als verlässliche Anlaufstelle mit nachvollziehbaren Strukturen, die Eltern Orientierung während der stationären Versorgung ihrer Kinder bietet. Die Elternberatung stellt zudem Anleitungsangebote für die pflegerische Versorgung der Kinder bereit, um die Handlungskompetenzen der Eltern zu erweitern. Eltern werden befähigt, ihrem Kind nah zu sein und es zunehmend eigenständig zu versorgen. Zugleich versteht sich das Beratungsangebot als anonyme Anlaufstelle. Familien werden in diesen „Schonraum“ eingeladen, ihre emotionalen Bedürfnisse zu äußern und den geschützten Rahmen zur Entlastung zu nutzen, etwa wenn sie schwierige Situationen offen ansprechen oder ihre „Gedanken sortieren“ wollen (I: EB2, 1, 33). Über dieses unmittelbare Angebot hinaus sehen sich Beraterinnen als Vermittlerinnen zwischen verschiedenen Professionen. Sie nehmen am interprofessionellen Austausch zu Bedarfsbestimmungen und geplanten Interventionen teil, vermitteln an andere Professionen und leiten in Strukturen der Nachsorge weiter. In intraprofessionellen Austauschprozessen bedauern Beraterinnen unterschiedliche Auffassungen zu Autonomie- und Eigenverantwortungsbestrebungen der Eltern, die dazu führen, dass der Fokus Pflegender häufig auf die pflegerische Versorgung des Kindes verengt bleibt.

LIMITATIONEN

Wie bei einer Vielzahl qualitativer Studien bleibt die Reichweite der Ergebnisse aufgrund der geringen Fallzahl auf das Untersuchungsfeld des Perinatalzentrums Level I der NICU eines Krankenhauses der Maximalversorgung begrenzt. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf ähnliche Zielgruppen wie bspw. Beratende, die für ihre Tätigkeit nicht vom Handlungsfeld der stationären Versorgung entbunden sind, oder Pflegende, die Eltern chronisch kranker Kinder beraten, ist daher zurückhaltend zu bewerten. Da die Beraterinnen in einem institutionellen Abhängigkeitsverhältnis standen, ist darüber hinaus die Möglichkeit eines sozial erwünschten Antwortverhaltens kritisch anzumerken. Wenngleich in Bezug auf die Fragestellung zum Zeitpunkt dieser Studie keine neuen wissenschaftlichen Ergebnisse in Deutschland vorlagen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass zwischenzeitlich evidenzbasierte und bedürfnisorientierte edukative Konzepte für die familienzentrierte Versorgung in der NICU in Deutschland etabliert wurden, die zur Einordnung unserer Ergebnisse in den aktuellen Stand der pflegerischen Praxis dienen könnten. Ein methodisch reflektiertes Vorgehen wurde durch kontinuierliche Kommunikation und gemeinsame Abstimmungsprozesse angestrebt, die in die Aufzeichnungen des Forschungstagebuchs zu Vorgehensweisen, Eindrücken und Interpretationen einflossen, insbesondere für den Prozess der qualitativen Datenanalyse.

DISKUSSION

Ziel der Studie war es, die Sichtweisen der Beraterinnen auf elterliche Bedarfe während der stationären Versorgung ihrer Kinder zu explorieren. Die hier befragten Beraterinnen nehmen eine starke Ausprägung kindzentrierter Bedarfe von Eltern wahr, die sich in den Dimensionen «Nähe zum Kind», «Informationen zur kindlichen Gesundheit», «Sicherheit im Umgang mit dem Kind» sowie eine «gute Versorgung des Kindes» widerspiegeln. Diese Dimensionen konnten in anderen Untersuchungen als subjektiv vorhandene Bedürfnisse von Eltern nach einer Frühgeburt nachgewiesen werden (Amorim et al., 2019). Der darüber hinaus wahrgenommene Bedarf nach Informationsvermittlung ist verbunden mit dem Wunsch nach regelmäßigen Beratungsangeboten, verlässlichen Ansprechpartner:innen und personeller Kontinuität in der Pflege des Kindes. Gómez-Cantarino et al. (2021) konnten zeigen, dass insbesondere die Kontinuität in der Begleitung der Familien den informierten Einbezug der Eltern in Entscheidungsfindungsprozesse fördert. Die Beraterinnen dieser Studie nehmen den elterlichen Bedarf wahr, Hilfestellungen für den Erwerb praktischer Kompetenzen zu erhalten, um für das Kindeswohl eigenständig sorgen zu können, den auch Adama et al. (2021) in ihrem Review neben Informationsbedürfnissen als weitere Bedürfniskategorie herausarbeiten. Gemäß den Kernprinzipen familienzentrierter Pflege ist mit einem bilateralen Wissensaustausch zwischen professionellen Akteur:innen und Eltern die gleichberechtigte Beteiligung der Familie an Entscheidungsfindungsprozessen und der Einbezug in die Pflegeplanung verbunden (Ramezani et al. 2014). Der elterliche Bedarf, an Pflegeplanungen teilzunehmen, wurde von den Beraterinnen nicht formuliert. Das kann damit zusammenhängen, dass die Beraterinnen nicht unmittelbar in die stationäre Pflege eingebunden sind. Zudem war es zum Zeitpunkt unserer Befragung nicht Standard, Eltern für gemeinsame Entscheidungsfindungsprozesse in ärztliche oder interprofessionelle Visiten oder Pflegeplanungen einzubeziehen. Übereinstimmend benennen die Beraterinnen einen ausgeprägten elterlichen Bedarf nach emotionaler Unterstützung in der Krisensituation, der in einer Vielzahl anderer Studien als subjektives Bedürfnis von Eltern frühgeborener Kinder erwähnt wird (Adama et al., 2021; Amorim et al., 2019; Ramezani et al., 2014). Die Elternberaterinnen betonen, dass Eltern Raum und Zeit brauchen, Gefühle zuzulassen und nach Möglichkeiten suchen, ihr eigenes Wohlbefinden zu stärken. Diese Suche ist nach Ansicht der Befragten eng verknüpft mit dem Wunsch nach Vertrauensaufbau und Anerkennung ihrer elterlichen Bedürfnisse. Während Studien zur Erkenntnis gelangen, dass elterliche Hilflosigkeit und Unsicherheit abgemildert und der Beziehungsaufbau zwischen Eltern und Personal gefördert wird, wenn Eltern Vertrauen aufbauen und wertschätzende Anerkennung erhalten (Adama et al., 2021; Schuetz Haemmerli et al., 2020), setzen die befragten Beraterinnen darüber hinaus vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen im Rahmen ihres edukativen Unterstützungsangebotes in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Bereitschaft der Eltern, ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Die Vermutung der Beraterinnen, dass Eltern im stationären Versorgungsgeschehen ihre Bedürfnisse eher zurückhalten, um die bestmögliche Versorgung ihrer Kinder nicht zu gefährden, muss im Hinblick auf die Zielsetzung gleichberechtigter Aushandlungsprozesse der familienzentrierten Pflege (Ramezani et al., 2014) kritisch betrachtet werden.

Die Beraterinnen unterscheiden zwischen Bedarfen, die alle Eltern betreffen, und individuellen Bedarfen. Zu allgemeinen Bedarfen zählen sie kindbezogene Bedarfe. Ungeachtet der von ihnen eingeräumten Schwierigkeiten in der Beurteilung individueller Bedarfe, differenzieren sie elterliche Bedarfe entlang der Merkmale «Alter», «Geschlecht», «soziokultureller Hintergrund» und «Zeitverlauf». Vorhandene Studienergebnisse weisen höhere Werte für die Bedürfnisausprägung von Müttern im Vergleich zu Vätern nach und lassen auf eine genderbetonte Ausprägung elterlicher Bedürfnisse schließen (Alves, Severo, Amorim, Grande, & Silva, 2016; Ladani et al., 2017). In Bezug auf eine Differenzierung der Bedürfnisse nach Alter, Bildungsstand, Einkommen und Zeitverlauf ist die Studienlage jedoch als uneinheitlich einzuschätzen (Alves et al., 2016; Govindaswamy et al., 2019; Mundy, 2010). Eine Beraterin fordert dazu auf, einen unvoreingenommenen Blick auf variable elterliche Bedarfe zu wahren, der im Sinne einer diskriminierungssensiblen Einschätzung stereotype Zuschreibungen elterlicher Bedarfe und Ressourcen vermeiden sollte (Jotzo, 2013). Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Beraterinnen die in der Literatur diskutierten elterlichen Bedürfnisse als objektive Bedarfe erkennen und Veränderungen über den Zeitverlauf wahrnehmen. Obgleich die Bedarfe durch die Kernprinzipien familienzentrierter Pflege adressiert werden können, beziehen sich befragte Beraterinnen nicht auf ein institutionsinternes Konzept, das zentrale Dimensionen eines familienzentrierten Betreuungsansatzes integriert. Für die erfolgreiche Implementierung des familienzentrierten Ansatzes sollten entsprechende Konzepte in der Versorgungseinrichtung der NICU entwickelt und erforderliche Ressourcen bereitgestellt werden (Mirlashari et al., 2020). Die Kernprinzipien dieses Ansatzes berücksichtigend, dienen strukturierte und systematische Bedarfserhebungen der konsequenten Ausrichtung an elterlichen Bedürfnissen und tragen, unabhängig von der individuellen „Schwingungsfähigkeit“ der Beraterinnen, zur gelingenden Ausgestaltung der Pflege- und Beratungsprozessen bei.

Da Pflegende in der Bestimmung elterlicher Bedarfe eine Schlüsselrolle einnehmen (Mansourian et al., 2020), wurden die Beraterinnen ebenfalls nach ihrer Vorgehensweise in der Bedarfsermittlung befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass sie Informationen zu Bedarfen durch Gespräche mit Eltern gewinnen, in denen sie systemische Fragetechniken anwenden und darüber hinaus Bedarfe aus ihren Beobachtungen ableiten. Für gezielte Bedarfsermittlungen nutzen sie im Verlauf des Pflege- und Beratungsprozesses keine strukturierten Assessment-Methoden. Unklar bleibt demnach weitgehend, welchen Einfluss die Ergebnisse der Informationssammlung auf die Auswahl edukativer Interventionen haben und ob und in welcher Form das Ausmaß der Befriedigung elterlicher Bedürfnisse erfasst wird. Die Aussagen der Beraterinnen deuten einerseits darauf hin, dass ihre Vorgehensweisen in der Bedarfserhebung eine zufriedenstellende Beurteilung elterlicher Bedürfnisbefriedigung erlauben. Andere Einschätzungen räumen aktuellen Strategien der Ermittlung kein ausreichendes Reflexionspotenzial für die Beurteilung elterlicher Bedarfe und die Evaluation der Beratungsergebnisse ein. Annahmen, elterliche Bedarfe nicht befriedigen zu können, wenn der dringliche Wunsch nach einem reifgeborenen Kind nicht erfüllt werde, deuten eine Unschärfe im Verständnis des Bedarfsbegriffes an. Diese Wunschvorstellung der Eltern ist abzugrenzen von elterlichen Bedürfnissen, die erst aus dem Spannungszustand zwischen dem erwünschten Niveau und tatsächlich vorhandenen Wissensbeständen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten erwachsen (Baloochi Beydokhti et al., 2020). Adama et al. (2021) und Thompson et al. (2020) schlagen deshalb vor, elterliche Bedürfnisse als Lernvoraussetzungen anzuerkennen, die der gemeinsamen Erschließung und Formulierung von (Unterstützungs-)Bedarfen dienen und durch edukative und psychosoziale Interventionen zielgerichtet beantwortet werden können. In der Gesamtschau verdeutlichen unsere Ergebnisse eine erfahrungsgeleitete und unsystematische Erfassung elterlicher Bedarfe während der stationären Versorgung, geprägt von intuitiven Wahrnehmungen der Beraterinnen (Hendson, Reis, & Nicholas, 2015), die mit Hinweisen anderer involvierter Professionen angereichert werden. In Übereinstimmung mit anderen Studien erwähnen befragte Beraterinnen auch Herausforderungen interprofessioneller Bedarfsermittlungen, etwa wenn heterogene Einstellungen der involvierten Professionen einer kollaborativen Zusammenarbeit mit Familien im Wege stehen (Mirlashari et al., 2020; Ramezani et al., 2014). Es ist anzunehmen, dass ausbleibende systematische und instrumentengestützte Erhebungen elterlicher Bedarfe sowie auf punktuellen Zufriedenheitsbewertungen beruhende Einschätzungen der Wirksamkeit erbrachter Unterstützungsleistungen eine empfindliche Lücke zwischen den Bedarfseinschätzungen professioneller Begleiter:innen und subjektiven Bedürfnissen der Eltern hinterlässt, die durch andere Studien belegt werden konnte (Ladani et al., 2017). Mehrdimensionale und standardisierte Assessments zur kontinuierlichen Identifikation sowie zur differenzierten Einschätzung der Ausprägung elterlicher Bedürfnisse und Bedarfe (Reuschenbach & Mahler, 2011) erleichtern inter-und intraprofessionelle Kommunikation durch eine gemeinsame Fachsprache (Gordon & Georg, 2020b) und können Anhaltspunkte für gemeinsam festgelegte Lernziele und die nutzerorientierte Planung, Umsetzung und Adaptation von Unterstützungsmaßnahmen für Eltern im Pflegeprozess liefern (Ciupitu-Plath et al., 2021). Demnach kommt diese Studie zu dem Ergebnis, das eher allgemeingültige Assessments zur Erhebung elterlicher Bedarfe genutzt werden, wie auch in einer Literaturübersicht zum Stand der psychosozialen Unterstützung der NICUs in Deutschland resümiert wurde (Schäfer et al., 2017).

Zu ihren edukativen Aufgaben befragt, verstehen die Beraterinnen ihre zentrale Rolle in der kontinuierlichen Bereitstellung eines „roten Fadens“ für Eltern über die gesamte Zeit des stationären Aufenthaltes. Als niederschwellige Intervention konzipiert, ist das institutionalisierte Beratungsangebot darauf ausgerichtet, Orientierung in der Krisenbewältigung anzubieten, Eltern in der Mitwirkung an der Pflege ihres Kindes zu ermutigen und den Aufbau der erwünschten Eltern-Kind-Bindung zu unterstützen. Im Beratungsprozess vermitteln Beraterinnen relevantes Wissen, um elterliche Perspektiven auf die aktuelle Situation zu erweitern und Problemlösestrategien zu entwickeln. Flankierende Anleitungssequenzen sollen Handlungsspielräume für eine schrittweise Übernahme der elterlichen Rolle(n) erweitern. In Vorbereitung auf die Entlassung vermitteln die Beraterinnen zwischen relevanten Berufsgruppen und ermöglichen Zugang zu nachsorgenden Einrichtungen. Die Initiative der Beraterinnen löst in ihrer Zielstellung die Prinzipien der Interventionsform «Beratung» ein, denn ratsuchende Eltern werden darin unterstützt, eigene Problemlösungsstrategien durch Perspektivwechsel, Wissensvermittlung, Kompetenzförderung und anwaltschaftliche Vermittlung zu entwickeln (Ewers & Schaeffer, 2012; Schaeffer & Dewe, 2012). Das vorhandene Datenmaterial lässt darauf schließen, dass die Steuerung des Beratungsprozesses wenig zielgerichtet abläuft. Phasen der Beratung, in denen Beratungsbedarfe routinemäßig ermittelt, Beratungsziele und -inhalte gemeinsam festgelegt, Maßnahmen bedarfsorientiert geplant und umgesetzt sowie Ergebnisse evaluiert werden (Ansen, 2012), sind nur in Ansätzen erkennbar. Die systematische und methodisch reflektierte Gestaltung des Beratungsprozesses könnte Eltern Transparenz vermitteln und gleichzeitig eine solide Grundlage für die Überprüfbarkeit der intendierten Wirksamkeit edukativer Maßnahmen schaffen. Hervorzuheben ist die Bereitschaft der Beraterinnen einen vertrauensvollen „Schonraum“ für Eltern anzubieten, in dem strukturelle Hemmnisse weitestgehend „ausgeschaltet“, emotionale Unterstützung angeboten und Konflikte bearbeitet werden können. Vor allem unmittelbar nach den traumatischen Erfahrungen der Frühgeburt kann dieses Angebot hilfreich sein und Eltern die nötige Ruhe vermitteln, die sie für ihre Stabilisierung und die Abmilderung negativer Auswirkungen des Lebensereignisses «Frühgeburt» benötigen (Juen et al., 2011).

FAZIT

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die befragten Beraterinnen wesentliche Bedarfe von Eltern in der NICU wahrnehmen, die mit den Kernprinzipien familienzentrierter Pflege beantwortet werden können. So werden im Rahmen der Elternberatung emotionale Bedarfe der Familien berücksichtigt und Eltern erfahren nach dem herausfordernden Ereignis der Frühgeburt verständnisvolle Wertschätzung und ermutigende Anerkennung als wichtige Partner:innen im Pflegeprozess. Mit edukativen Anleitungsangeboten bereiten die Beraterinnen Eltern auf die Übernahme der eigenständigen Versorgung ihres Kindes vor und unterstützen sie im Aufbau der erwünschten Eltern-Kind-Bindung. Das Beratungsangebot nimmt darüber hinaus die Aufgabe wahr, Eltern während der stationären Versorgung ihrer Kinder orientierend zu begleiten und sie zu befähigen, wieder Kontrolle über die aktuelle Situation zu erlangen.

Zur evidenzbasierten und nutzerorientierten Konzeption edukativer Unterstützungsangebote ist es unabdingbar, elterliche Bedarfe mit standardisierten Assessments über den gesamten Pflege- und Beratungsprozess zu erheben und die klinischen Erfahrungen Pflegender in die Beurteilung der Bedarfslagen einzubinden. Für diesen Zweck zur Verfügung stehende validierte Assessment-Instrumente ermöglichen die gezielte Ermittlung und Analyse elterlicher Bedürfnisse und Bedarfe. In Ergänzung mit offenen Fragestellungen können tiefere Einblicke in Selbst- oder Fremdeinschätzungen von Bedürfnissen und Bedarfen gewonnen werden. Die Anwendung international etablierter Assessment-Instrumente, wie das Neonatal Intensive Care Units Family Needs Inventory (NICU-FNI) (Ward, 2001), das Critical Care Maternal Needs Inventory (CCMNI) (Bialoskurski, Cox, & Wiggins, 2002) oder das Nurse Parent Support Tool (NPST) (Tran, Medhurst, & O’Connell, 2009) könnte helfen, die von den Beraterinnen dieser Studie vermuteten Diskrepanzen zwischen Bedarfen und elterlichen Bedürfnissen aufzudecken und verstärkt wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden in neonatologische Pflege- und Beratungsprozesse einfließen zu lassen. Voraussetzung für ihren Einsatz in der neonatologischen Intensivversorgung in Deutschland ist eine regelgeleitete Übersetzung und Prüfung der Güte von ausgewählten Instrumenten, da bislang keine deutschsprachigen Versionen vorliegen (Ciupitu-Plath et al., 2021).

Ebenso elementar für die Verbesserung der Qualität familienzentrierter Pflege ist der wachsende Einbezug von Eltern in den Pflegeprozess, wie bspw. ihre Beteiligung an Betreuungsplänen und Visiten. Institutionsinterne Konzepte sollten daher die Entwicklung eines kollaborativen Umfeldes fördern und sowohl Eltern als auch alle involvierten Professionen aktiv einbeziehen, um gemeinsame Entscheidungen zu spezifischen familienzentrierten Interventionen zeitnah anzuregen und Eltern Sicherheit in der Krisensituation zu vermitteln. Die Implementierungs- und Adaptationsprozesse in diesem Versorgungsfeld unter Berücksichtigung nationaler und institutioneller Besonderheiten zu begleiten und entwickelte Strategien auf ihre Wirksamkeit zu beurteilen, sollte Aufgabe pflegewissenschaftlicher Begleitforschung sein. Weitere (multizentrische) Studien sind nötig, in denen die Merkmale spezifischer Lebenswelten und Besonderheiten der Versorgungskontexte einfließen, um die Reichweite der vorgelegten Ergebnisse zu erweitern.

eISSN:
2296-990X
Sprachen:
Englisch, Deutsch
Zeitrahmen der Veröffentlichung:
Volume Open
Fachgebiete der Zeitschrift:
Medizin, Klinische Medizin, andere