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The academization of the health professions in Switzerland: facts and figures / Akademisierung der Gesundheitsberufe in der Schweiz: Zahlen und Fakten

   | 03. Dez. 2021

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AKADEMISIERUNG DER GESUNDHEITSBERUFE IN DER SCHWEIZ: ZAHLEN UND FAKTEN

Die Akademisierung der Gesundheitsberufe erfolgte in der Schweiz im Zuge bildungs- und gesundheitspolitischer Reformen in den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Millenniums. Dabei schaffte es die Bundespolitik, die beiden Sektoren «Bildung» und «Gesundheit» auf Verfassungs- und Gesetzesebene sinnvoll aufeinander abzustimmen – keine Selbstverständlichkeit beim ausgeprägten Föderalismus des Schweizerischen Politsystems, auch «Kantönligeist» genannt. Beat Sottas zeichnet diese Prozesse in seinem nachfolgenden Artikel «(K)Ein Wunschkind, das Karriere macht. Gedanken zu Gesetz, Geld, Geist und Gegenwind bei der Akademisierung in der Schweiz» nach.

Dieser Beitrag stellt als erstes die heutige Systematik der Bildungswege in der Schweiz dar und ordnet die Gesundheitsberufe darin ein. Der zweite Teil beschreibt die Studienformate und die zahlenmässige Entwicklung der Fachhochschul-Gesundheitsberufe in der Schweiz.

DIE BILDUNGSSYSTEMATIK IN DER SCHWEIZ: DURCHLÄSSIGKEIT ALS WICHTIGES MERKMAL

Die Förderung und Entwicklung der Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungsgängen und -formen innerhalb der Berufsbildung sowie zwischen der Berufsbildung und den übrigen Bildungsbereichen ist ein erklärtes politisches Ziel und konnte in den letzten 20 Jahren weitgehend realisiert werden (vgl. auch der nachfolgende Beitrag von Beat Sottas). Durch die Möglichkeit, nach der Berufslehre eine Berufsmaturität zu erlangen, ist der Weg an die Hochschule auch für Berufsfachleute gewährleistet. Maturitätsschulen für Erwachsene ermöglichen zudem den Zugang an universitäre Hochschulen auch für «Spätzünder», die die Matura in einer späteren Lebensphase als üblich erreichen wollten. Abbildung 1 zeigt die Stufen und Bildungswege, nach der obligatorischen Schulzeit. Fachhochschulen und Universitäten werden auch als Stufe Tertiär A bezeichnet, die höheren Fachschulen als Tertiär B (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1

Bildungswege in der Schweiz (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von OdaSanté Zürich).

Fachhochschulen haben in der Schweiz kein Promotionsrecht. Deshalb ist eine Promotion für Master-Absolventen/-innen der Fachhochschulen nur in Kooperation mit einer universitären Hochschule möglich. Dafür lancierte die Vereinigung der Schweizer Hochschulen swissuniversities mit projektgebundenen Beiträgen des Bundes ein Förderprogramm, das Fachhochschulen und Universitäten unterstützt, gemeinsame Doktoratsprogramme zu etablieren.

UNKLARHEITEN ZWISCHEN HÖHERER FACHSCHULE UND FACHHOCHSCHULE

Die Differenzierung zwischen Höherer Fachschule und Fachhochschule ist vor allem im Ausland nicht gänzlich nachvollziehbar. Die Zulassungsbedingungen sind das erste klare Unterscheidungsmerkmal. Für die Höhere Fachschule braucht es keine Matura, ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis ist dafür erforderlich. Bei den Bildungsinhalten und Berufsmöglichkeiten sind die Unterschiede schon nicht mehr so eindeutig. Es gibt beispielsweise identische Berufsbezeichnungen mit einem Abschluss FH oder HF, z. B. Sozialpädagogin HF und Sozialpädagoge FH, ebenso in der Pflege. Zu den Bildungsgängen HF schreibt das zuständige Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI):

«Die Bildungsgänge HF vermitteln den Studierenden Kompetenzen, die sie befähigen, in ihrem Bereich selbständig Fach- und Führungsverantwortung zu übernehmen. Sie sind praxisorientiert und fördern insbesondere die Fähigkeit zum methodischen und vernetzten Denken. ( ) Im Gegensatz zu den Fachhochschulen sind die Bildungsgänge HF inhaltlich auf ein engeres Fachgebiet fokussiert und weniger wissenschaftlich ausgestaltet.»

(https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/hbb/hoehere-fachschulen.html)

Auf institutioneller Ebene äussert sich das darin, dass die Höheren Fachschulen keinen Leistungsauftrag für Forschung haben, während für Fachhochschulen die Forschung explizit zum erweiterten Leistungsauftrag gehören. Die unklare Position der Höheren Fachschulen veranlasste das SBFI ein Projekt zu starten, um das System der höheren Fachschulen hinsichtlich ihrer nationalen und internationalen Positionierung ganzheitlich zu überprüfen und gegebenenfalls Massnahmen umzusetzen. Dabei soll das spezifische Qualitätsmerkmal der Arbeitsmarktorientierung erhalten und weiter gestärkt werden (https://berufsbildung2030.ch/de/projekte/62-positionierung-der-hoeheren-fachschulen). Gerade im Gesundheitsbereich führen diese Unklarheiten immer wieder zu Diskussionen um die Positionierung der Gesundheitsberufe auf diesen beiden Stufen (vgl. der nachfolgende Beitrag von Beat Sottas).

EINORDNUNG DER GESUNDHEITSBERUFE INS BILDUNGSSYSTEM

Die Gesundheitsberufe werden in der Schweiz auf vier Stufen ausgebildet: Universität, Fachhochschulen, Höhere Fachschule sowie Berufs(fach)schulen. Wenige Gesetze reglementieren diese Berufe auf Bundesebene; zahlreicher sind die nachgeordneten Verordnungen, die z. B. die Abschlusskompetenzen der einzelnen Gesundheitsberufe an den Fachhochschulen festlegen (vgl. Tabelle 1).

Gesundheitsberufe, deren Ausbildungsstufe/Abschluss sowie gesetzliche Reglementierung auf Bundesebene.

Beruf Ausbildungsstufe/Abschluss Gesetzliche Regelung
Arzt/Ärztin, Zahnarzt/ZahnärztinApotheker/-inChiropraktor/-inTierarzt/Tierärztin Universität / Bachelor, Master, PhD Medizinalberufe-Gesetz (MedBG) Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz HFKG
ErgotherapieErnährung und DiätetikHebammePflegePhysiotherapie $OptometrieOsteopathie Fachhochschule (FH) / Bachelor (berufsbefähigend), Master Gesundheitsberufegesetz GesBGHochschulförderungs- undKoordinationsgesetz HFKG
AktivierungBiomedizinische AnalytikDentalhygieneMedizinisch-technische RadiologieOperationstechnikOrthoptikPodologiePflegeRettungssanität Höhere Fachschule (HF) / Diplom HF (3 Jahre) Berufsbildungsgesetz
Assistent/in Gesundheit & SozialesFachfrau/-mann GesundheitMedizinproduktetechnologe/--inAugenoptiker/-inDentalassistent/-inMed. Praxisassistent/-inOrthopädist/_inPodologe/inDrogist/-inFachfrau/-mann BetreuungPharma-Assistent/-inZahntechniker/-in Berufsfachschulen / Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (3–4 Jahre)Eidgenössisches Berufsattest (2 Jahre) Berufsbildungsgesetz

Das Arbeitsfeld von Logopädie und Psychomotorik-Therapie ist überwiegend die Schule, weshalb diese Ausbildungen konsequenterweise an pädagogischen Hochschulen angesiedelt sind. Das Psychologieberufe-Gesetz regelt die Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeuten/-innen.

Zwei Kooperationsprogramme zwischen Fachhochschule und Universität sind gestartet, die Master-Absolventen/-innen eine Promotion ermöglichen. Das Programm Care and Rehabilitation Sciences zwischen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich ist immer noch aktiv und nimmt weiterhin Kandidaten/-innen auf.

REGIONALE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN FRANZÖSISCH- UND DEUTSCHSPRACHIGER SCHWEIZ

Ganz so einheitlich wie auf dem Papier präsentieren sich die Ausbildungen der Pflege- und Therapieberufe in der Schweiz jedoch nicht. Es gibt regionale Unterschiede, die einesteils auf die föderalistische Struktur der Schweiz zurückzuführen sind, welche die Bildungsund Gesundheitspolitik als kantonales Hoheitsgebiet definiert. Andernteils sind kulturelle Orientierungen mit ein Grund für diese Unterschiede. Die Schweiz ist sehr stolz auf ihr duales Bildungssystem, das der Berufslehre einen sehr hohen Stellenwert einräumt. Das ist in der französisch sprachigen Schweiz, der Romandie, deutlich weniger ausgeprägt der Fall. Die Romandie orientiert sich kulturell stärker nach Frankreich, wo die Berufslehre geringgeschätzt wird und Menschen ohne Bachelor beruflich schlechte Karten haben.

Folglich hat die Romandie die Akademisierung der Gesundheitsberufe früher (ab 2002 gegenüber 2006 in der Deutschschweiz) und konsequenter umgesetzt: Für die Berufe, die unter das Gesundheitsberufe-Gesetz GesBG fallen (vgl. Tabelle 1), sind die Ausbildungen ausschliesslich auf der Stufe Fachhochschule angesiedelt.

Zudem findet die Ausbildung für Medizinisch-Technische Radiologie in der Romandie an der Fachhochschule statt. In der Deutschschweiz hingegen gibt es Pflegeausbildungen auf sämtlichen Stufen. An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW gibt es weiter einen Bachelor-Studiengang für Gesundheitsförderung und Prävention, der nicht unter das GesBG fällt, und im Herbstsemester 2022 startet ein Bachelor-Studiengang «Biomedizinische Labordiagnostik».

Die gesundheitliche Grundversorgung in sämtlichen Kantonen gleichermassen sicherzustellen, war jedoch ein triftiger Grund, den «Kantönligeist» zu überwinden. Zudem erkannte der Bundesrat, dass für die gesundheitliche Grundversorgung nicht alleine die Medizinalberufe zuständig sind und schrieb 2015 in seiner Botschaft zum Gesundheitsberufe-Gesetz Ges-BG:

«Die Schweiz steht vor gewichtigen gesundheitspolitischen Herausforderungen. Dank verbesserter Lebensbedingungen und moderner Medizin ist die Lebenserwartung der Menschen stark gestiegen. Dies führt zu demografischen und epidemiologischen Veränderungen, insbesondere nimmt die Zahl der Personen mit chronischen Erkrankungen, komplexen Krankheitsbildern und Demenzerkrankungen zu. Dadurch steigt der Bedarf an Gesundheitsfachleuten für die Pflege, Therapie, Betreuung, Beratung, Prävention und Palliation. Die medizinische Grundversorgung im ambulanten wie stationären Bereich und die interprofessionelle Zusammenarbeit gewinnen an Bedeutung. Gesundheitsfachpersonen sehen sich mit zunehmend komplexeren Situationen konfrontiert und die Anforderungen an ihre Kompetenzen steigen. Gleichzeitig zeichnet sich ein zunehmender Bedarf an qualifizierten Fachpersonen im Gesundheitsbereich ab. ( ) Mit der Definition von allgemeinen Kompetenzen ( ) soll sichergestellt werden, dass die Inhaberinnen und Inhaber von Hochschulabschlüssen den Wandel des Gesundheitssystems mittragen, indem sie beispielsweise ihre Rolle in der interprofessionellen Zusammenarbeit optimal wahrnehmen können, und damit zu einer Effizienzsteigerung beitragen.»

(https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2015/2104/de)

Das Gesundheitsberufe-Gesetz trat 2020 mit folgenden Ansprüchen in Kraft:

Transparenz und schweizweite Einheitlichkeit schaffen

Qualität der Ausbildung und der Berufsausübung fördern (Patientenschutz)

Voraussetzungen für die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung festlegen

Berufspflichten festlegen (Berufsgeheimnis)

Grundlage für ein Gesundheitsberufe-Register schaffen.

STUDIENFORMATE

Die Bachelor-Studiengänge für die Gesundheitsberufe werden in der Regel als grundständiges Vollzeitstudium mit 180 ECTS angeboten. Diese schliessen Praktika von unterschiedlichem Umfang in den Versorgungsinstitutionen ein (Spitäler, Ambulanzen, etc.). Die Praktika der Studiengänge des Departements Gesundheit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW umfassen z. B. zwischen 46 und 60 ECTS (www.zhaw.ch/de/gesundheit/studium/bachelorstudium/). Die Praktika werden von der Fachhochschule organisiert. Praxisausbildner/-innen mit einer Zusatzqualifikation begleiten die Praktikanten/-innen. Auch bei den Studienformaten gibt es regionale Unterschiede: In der Deutschschweiz absolvieren die Studierenden nach Erhalt des Bachelor-Diploms ein Zusatzpraktikum im Umfang von vier bis sechs Monaten. Erst danach erhalten sie vom Schweizerischen Roten Kreuz die Berufsberechtigung, die ihnen die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung gestattet.

Da die Studienplätze limitiert sind, führen die Fachhochschulen Eignungsabklärungsverfahren durch, um die Studierenden auszuwählen, die sich am besten für einen Gesundheitsberuf eignen.

Verkürzte Studiengänge gibt es in der Pflege für Diplomierte der Stufe Höhere Fachschule sowie für Hebammen, die eine Pflegeausbildung haben.

Für erfahrene Berufsleute ist es möglich einen nachträglichen Titelerwerb zu durchlaufen. Dafür müssen entsprechende Weiterbildungen nachgewiesen werden und bei Bedarf ist ein Kurs in «reflektierte Praxis und Wissenschaft verstehen» zu absolvieren. Dies eröffnet Fachpersonen mit altrechtlichen Abschlüssen den Zugang zu akademischen Weiterbildungen.

Die Master-Studiengänge werden als Teilzeitstudium angeboten und umfassen 90 ECTS.

ENTWICKLUNG IN ZAHLEN

Acht öffentliche Fachhochschulen wurden in der Schweiz etabliert, die meisten verfügen über mehrere Standorte. Sechs von acht öffentlichen Fachhochschulen sowie eine private Fachhochschule bieten Bachelor-Studiengänge für mindestens einen Gesundheitsberuf an, vier in der Deutschschweiz; je eine in der Romandie (mit sieben Standorten) und eine in der italienisch sprachigen Schweiz (vgl. Abb. 2). Die Fachhochschulen von Luzern und Graubünden bieten keine Studiengänge für Gesundheitsberufe gemäss Gesundheitsberufegesetz an.

Abbildung 2

Fachhochschulen in der Schweiz (Quelle: https://www.sbfi.admin.ch).

Mit dem Aufbau der Fachhochschulen und der Verlegung der Ausbildungen für Gesundheitsberufe wuchs die Zahl der Studierenden in diesem Fachbereich erst steil und dann langsam und kontinuierlich an. Dieses flache Wachstum wird sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich so fortsetzen, da die Anzahl der Studienplätze erhöht werden wird. Abbildung 3 zeigt den Zuwachs an Studierenden ab dem Jahr 2000 (vgl. Abb. 3).

Abbildung 3

Bachelor- und Masterstudierende der Gesundheitsberufe an Schweizer Fachhochschulen (eigene Darstellung; Quelle: www.bfs.admin.ch/).

Im Herbstsemester 2020/21 studierten 8055 Bachelor- und 712 Master-Studierende einen Gesundheitsberuf an einer Schweizer Fachhochschule (vgl. Tabelle 2). Der grosse Anteil der Pflege ist zwei Umständen zuzuschreiben: Es ist die größte Berufsgruppe, die zudem in der Romandie ausschliesslich an der Fachhochschule ausgebildet wird.

Bachelor-Studierende pro Fachbereich im Herbstsemester 2020/21 (Quelle: www.bfs.admin.ch/).

Fachrichtung Bachelor Master
Pflege 4108 316
Physiotherapie 1665 187
Hebamme 698 41
Ernährung und Diätetik 550 15
Ergotherapie 542 32
Medizinische Radiologie 232 0
Gesundheit übrige 166 75
Osteopathie 94 46
FAZIT

Die Gesundheitsfachberufe haben sich an den Fachhochschulen gut etabliert und die Absolventen/-innen sind in der Arbeitswelt – wenn auch anfänglich mit etwas Skepsis – gut aufgenommen worden. Lediglich die Pflegenden in der Deutschschweiz haben sich noch mit wenigen Widerständen auseinander zu setzen, da hier Ausbildungen auf sämtlichen Stufen angeboten werden. Doch ist die Akademisierung nach bald 20 Jahren lediglich noch Gegenstand von Diskussionen, wenn eine Fachhochschule den Versuch unternimmt, weitere Berufe mittels Bachelor-Studium auszubilden. Die Institutionen der Berufsbildung sehen sich dadurch konkurrenziert.

Die Befürchtungen, die von Gegnern der Akademisierung während den Vernehmlassungsverfahren für das Gesundheitsberufe-Gesetz geäussert wurden, sind nicht eingetroffen. Hingegen steht die Evidenz für deren Nutzen auch noch aus. Wie sich die Akademisierung in der Schweiz auf Versorgungsqualität, Patientensicherheit, den Fachkräftemangel und die Kosten ausgewirkt hat, wurde wissenschaftlich bisher noch nicht untersucht.

eISSN:
2296-990X
Sprachen:
Englisch, Deutsch
Zeitrahmen der Veröffentlichung:
Volume Open
Fachgebiete der Zeitschrift:
Medizin, Klinische Medizin, andere