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Definition of an Entrustable Professional Activity for interprofessional patient handover for nurses - an interview study / Definition einer Entrustable Professional Activity zur interprofessionellen Patientenübergabe für Pflegefachpersonen – eine Interviewstudie

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Aug 19, 2024

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EINLEITUNG

Die Patientenübergabe zwischen Ärzten/-innen und Pflegefachpersonen (PFP) ist entscheidend für die Patientensicherheit. Kommunikationsfehler während der Patientenübergabe führen immer wieder zu vermeidbaren Behandlungsfehlern (Abdellatif et al., 2007; Leotsakos et al., 2014). Nach Definition der British Medical Association umfasst die Patientenübergabe die vorübergehende oder dauerhafte Übertragung von professioneller Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für einige oder alle Versorgungsaspekte für einen oder mehrere Patienten/-innen auf andere Personen oder Professionen (British Medical Association, 2004). Die Patientenübergabe dient in erster Linie der kontinuierlichen Weitergabe klinisch relevanter Informationen, um eine nahtlose Patientenversorgung zu gewährleisten (Hinding et al., 2019).

Die Forschung zur interprofessionellen Kommunikation bei der Patientenübergabe im pflegerischen und ärztlichen Bereich ist lückenhaft (Redley et al., 2017). Sie bezieht sich hauptsächlich auf die Auswirkungen der interprofessionellen Kommunikation innerhalb der Patientenübergabesituation, auf den Prozessablauf der klinischen Patientenübergabe sowie auf den einfachen interprofessionellen Informationsaustausch zur laufenden Patientenversorgung. Zudem beschränkt sich die bisherige Studienlage vor allem auf Defizite und deren Auswirkungen. Die Erforschung effektiver Praktiken, die über den Einsatz verschiedener Patientenübergabe-Tools zur interprofessionellen Patientenübergabe (IPÜ) hinausgehen, wird dagegen vernachlässigt (Redley et al., 2017). Studien legen nahe, dass eine strukturierte Gestaltung der Patientenübergabe sowohl im pflegerischen als auch im ärztlichen Bereich sinnvoll ist. Zahlreiche Patientenübergabe-Tools wie SBAR (Situation; Background; Assessment; Recommendation) wurden entwickelt, um die Patientenübergabe zu standardisieren (Müller et al., 2018; Rosenthal et al., 2018). Forschungsergebnisse, die sowohl kognitive als auch soziale Verhaltensweisen in der Zusammenarbeit im Rahmen der IPÜ beschreiben, die zur Patientensicherheit und Qualitätsverbesserung für Patienten/-innen beitragen, sind jedoch kaum vorhanden (Redley et al., 2017). Evaluationsinstrumente zur IPÜ sind auf nationaler Ebene bisher nur monoprofessionell aus medizinischer bzw. ärztlicher Sicht beschrieben (NKLM, 2021).

Eine effektive und sichere Patientenübergabe ist eine erlernbare Fähigkeit (Charité – Universitätsmedizin Berlin, 2018). Die selbstständige Durchführung von Patientenübergaben wird von Ärzten/-innen und PFP nach Abschluss ihres Studiums (NKLM, 2021) bzw. ihrer Ausbildung vorausgesetzt (§ 9 Absatz 1 Satz 2, Anlage 2, PflAPrV, 2018). Die IPÜ sollte in Studium und Ausbildung daher systematisch erlernt, geübt und geprüft werden (Jünger, 2018). Über die Notwendigkeit hinaus, die IPÜ zu üben, ist es eine große Herausforderung, beurteilen zu können, ob Lernende tatsächlich in der Lage sind, eine IPÜ sicher und effektiv durchzuführen. Klinische interprofessionelle Kernaktivitäten (z. B. eine Visite durchführen; Wölfel et al., 2016) sind ganzheitlicher Natur und erfordern eine dynamische Integration vieler Kompetenzen und deren Überprüfung (Witti et al., 2023). Eine IPÜ ist ebenfalls eine solche klinische Kernaktivität. Eine simulationsbasierte Lernumgebung mit kooperativen Lernskripts (Witti et al., 2023) erscheint geeignet, um interprofessionelle Aktivitäten zur IPÜ strukturiert und standardisiert zu erlernen, zu üben und zu überprüfen. Eine solche Lernumgebung bedarf jedoch einer zu entwickelnden theoretischen Fundierung sowie eines Bewertungsleitfadens, um auch außerhalb der theoretischen Ausbildung nachhaltig Anwendung zu finden (Witti et al., 2023). Das Konzept der Entrustable Professional Activities (EPA), das einen hohen Theorie-Praxis-Transfer gewährleistet, erscheint hier vielversprechend (ten Cate & Taylor, 2021).

Das EPA-Konzept wurde im Gesundheitswesen 2005 als Reaktion auf die Veränderungen in der medizinischen Ausbildung mit dem Fokus auf eine kompetenzbasierte medizinische Ausbildung eingeführt. EPAs sind beobachtbare Beschreibungen klinischer Tätigkeiten, bestehend aus Wissen, Fähigkeiten und Verhalten (ten Cate & Taylor, 2021). Mit einer detaillierten Beschreibung können EPAs verschiedene Funktionen erfüllen. Einerseits können EPAs den Lehrenden Klarheit darüber verschaffen, was der Lernende bereit und befähigt ist, im Rahmen der Gesundheitsversorgung zu leisten. Andererseits geben EPAs an, wie viel Supervision der oder die Lernende noch benötigt. Darüber hinaus wurde das EPA-Konzept für praktisch tätige Lehrende zur besseren Operationalisierung der Beurteilung von Kompetenzen am Arbeitsplatz eingeführt (Holzhausen et al., 2019). Außerdem kann eine vollständige EPA-Beschreibung Lernenden als Leitfaden dienen, um sich Ziele zu setzen und Lernfortschritte zu überprüfen (ten Cate & Taylor, 2021).

Für mehr Transparenz und Standardisierung in der Ausarbeitung von EPAs wird von ten Cate & Taylor (2021) empfohlen ein einheitliches Raster zur inhaltlichen Strukturierung von EPAs (ten Cate & Taylor, 2021) zu nutzen (s. Abb. 1).

Abbildung 1:

EPA-Strukturraster nach ten Cate & Taylor (2021).

Ziel ist es, durch eine schrittweise und sichere Einbindung der Lernenden mittels EPAs eine Verbindung zwischen fortschreitender Beherrschung und zunehmender Autonomie in der Patientenversorgung im klinischen Setting herzustellen. Darüber hinaus werden in einer EPA die Schritte hin zur eigenständigen Patientenversorgung mittels transparenter Teilaktivitäten beschrieben und strukturiert. Bei der Gestaltung einer EPA ist es wichtig, dass die darin beschriebene Arbeitseinheit zum einen übertragbar und delegierbar ist; zum anderen soll sie einen relevanten Beitrag zur Gesundheitsversorgung leisten (ten Cate & Taylor, 2021).

Problemstellung und Forschungsfragen

EPAs sind stark kontext- sowie kulturspezifisch und daher nicht ohne weiteres zwischen verschiedenen Krankenhäusern übertragbar, da etwa Standards oder Richtlinien von Krankenhaus zu Krankenhaus variieren (Holzhausen et al., 2019). Hinzu kommt, dass die Entwicklung von EPAs in Deutschland primär im Kontext der ärztlichen Ausbildung und nicht im Kontext der pflegerischen Ausbildung stattgefunden hat. So existiert für die ärztliche Profession bereits eine EPA „Strukturierte intra- und interprofessionelle Patientenübergabe“ (NKLM, 2021). Diese EPA ist jedoch nicht auf die pflegerische Profession übertragbar und kann auch nicht so einfach auf ein anderes klinisches Setting (z. B. anderes Krankenhaus) übertragen werden. Darüber hinaus sind EPAs, die die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gesundheitsberufen bewerten sollen, nicht mit den beschriebenen Merkmalen aus der Literatur zu EPAs vereinbar (ten Cate & Pool, 2020). Einige klinische Aktivitäten sind jedoch von Natur aus interprofessionell und können nicht anders durchgeführt werden (Witti et al., 2023). Aus dieser Perspektive müssen bestimmte EPAs interprofessionell konzipiert und auf die jeweilige Aktivität ausgerichtet sein. Die Patientenübergabe zwischen Ärzten/-innen und PFP stellt eine solche Aktivität dar. Mit dem Ziel, die IPÜ als Aktivität für die interprofessionelle Ausbildung sowie die professionsspezifische Bewertung von PFP in der Praxis zugänglich zu machen, wollten wir eine EPA zur interprofessionellen Patientenübergabe für PFP entwickeln, die komplementär zu der entsprechenden EPA aus der Ärzteschaft ist. Vor diesem Hintergrund wurde eine qualitative Interviewstudie durchgeführt, um die nachstehenden explorativen Fragestellungen zu beantworten:

RQ1 Welche Aufgaben haben PFP bei der selbstständigen Durchführung einer IPÜ?

RQ2 Welche sozialen und kognitiven Aktivitäten und Teilaktivitäten müssen PFP im Rahmen der IPÜ besitzen und durchführen?

METHODEN
Forschungsdesign

Wir wählten ein qualitatives, exploratives Design, angelehnt an Wölfel et al. (2016), um die subjektiven Meinungen und Erfahrungen von PFP und Ärzten/-innen zur IPÜ in unserem Setting, ein Krankenhaus der Maximalversorgung, zu erfassen. Es wurde eine Interviewstudie im Frühjahr 2021 durchgeführt, um strukturelle und prozessuale Bedingungen für eine IPÜ in der Pflege, definiert nach dem Konzept der EPA, zu identifizieren (ten Cate & Taylor, 2021).

Stichprobe

Es wurden Interviewteilnehmende gesucht, die in der Lage sein sollten, kompetent Auskunft zu geben, um bestehende Wissenslücken zu schließen und komplexes Wissen zur IPÜ praxisnah zu bewerten und zu vermitteln (Bogner et al., 2014). Die Stichprobenauswahl basierte auf vorab festgelegten Kriterien, um die IPÜ in dem von uns gewählten Setting (Krankenhaus der Maximalversorgung) zu untersuchen. Dieses Verfahren wurde mit dem Snowball-Sampling kombiniert, um bestehende Beziehungen im Setting zu nutzen (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014). Eingeschlossen wurden PFP und Ärzte/-innen mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung, die in unserem Setting tätig sind und Erfahrung in interprofessionellen Teams haben. Alle Fachdisziplinen und Leitungsfunktionen wurden eingeschlossen, um unterschiedliche kulturelle und methodische Zugänge zur IPÜ zu berücksichtigen. Zusätzlich wurden Interviewteilnehmende gesucht, die spezifische Vorkenntnisse in den Bereichen „interprofessionelle Ausbildung“ und „interprofessionelle Zusammenarbeit“ im Kontext der IPÜ besaßen.

Alle potenziellen Interviewteilnehmenden wurden über Multiplikatoren aus unserem Setting persönlich per E-Mail kontaktiert und erhielten vorab ein persönliches Anschreiben mit einer kurzen Beschreibung unseres Forschungsvorhabens.

Insgesamt wurden 20 Einzelinterviews durch den Erstautor (MJW; Pflegefachperson, Pflegepädagoge B. A, Bildungswissenschaftler M.A.) durchgeführt (s. Tabelle 1), davon 14 in Präsenz und 6 via Videokonferenz. Die Interviews hatten eine durchschnittliche Dauer von 42 Minuten. Die Stichprobe wies eine breite Heterogenität hinsichtlich der Berufserfahrung auf (M = 10,15, SD = 9,89). Alle Interviewten waren in dem von uns ausgewählten Setting tätig. Vier Interviewte hatten spezifische Vorkenntnisse aus interprofessionellen Projekten oder disziplinären Anforderungen (z. B. geriatrische Fallbesprechungen).

Stichprobenbeschreibung.

Interviewteilnehmende Geschlecht Profession Berufserfahrung in Jahren Fachdisziplin
A1 W Assistenzärztin 3 Augenheilkunde
A2 M Assistenzarzt 3 Gastroenterologie
A3 W Assistenzärztin 3 Psychosomatik
A4 W Assistenzärztin 5 Pädiatrie
A5 W Assistenzärztin 2 Endokrinologie
A6 W Assistenzärztin 6 Rheumatologie
A7 W Assistenzärztin 4 Pneumologie
A8 M Oberarzt 11 Allgemein Medizin
A9 W Facharzt mit lehrbezogenen Aufgaben 7 Nephrologie
A10 M Oberarzt /Prof. mit lehrbezogenen Aufgaben 16 Geriatrie
A11 M Assistenzarzt mit MME 7 Allgemeinmedizin
P1 W PFP/Stationsleitung 15 Kardiologie
P2 W PFP/Stationsleitung 18 Geriatrie
P3 W PFP/stellv. Stationsleitung/Praxisanleitung 28 Geriatrie
P4 W PFP (B.A) 2 Onkologie
P5 W PFP (B.A) 2 Pneumologie
P6 W PFP/stellv. Stationsleitung/Praxisanleitung 5 Onkologie
P7 M PFP 27 Onkologie
P8 W PFP/Stationsleitung/Praxisanleitung 35 Geriatrie
P9 M PFP (M. A.) 4 Psychosomatik

Notiz: A = Ärztliche Profession; P = Pflegerische Profession; W = Weiblich; M = Männlich;

Erhebungsmethode und Durchführung

Der Leitfaden für die Einzelinterviews wurde nach der SPSS-Methode (Helfferich, 2011) und auf Basis der Vorarbeiten von Wölfel et al. (Wölfel et al., 2016) in Anlehnung an das EPA-Strukturraster (ten Cate & Taylor, 2021) erstellt (s. Abb. 1, Tabelle 2 und Anhang 1). Der Einzelinterviewleitfaden wurden vorab an zwei Ärzten und zwei Pflegefachfrauen pilotiert. Ein Zeitrahmen von 30 bis 45 Minuten war pro Interview vorgesehen. Alle Interviews wurden in unserem gewählten Setting durchgeführt und mit einem digitalen Aufnahmegerät aufgezeichnet.

Überblick über die Themenbereiche des Interviewleitfadens mit Subthemen.

Themenbereich Subthemen
Einstieg Mehrwert interprofessionelle Patientenübergabe
Beschreibung und Limitationen Spezifizierung und Eingrenzung der pflegerischen Kompetenz, Aufbau und Struktur, klinischer Bezug
Wissen, Fähigkeiten und Verhalten erwartetes Wissen, Fähigkeiten und Verhalten, damit die Aktivität anvertraut werden kann
Risiken und Fehler Komplikationen, Fehler, Schäden für die Patienten/-innen
Einschätzung (Grundlagen für Fortschritt)/Erwartungen bezüglich des Erreichens eines bestimmten Niveaus von Selbstständigkeit Lernfortschritt, Überprüfungsintervalle, Lehrprozedere, Erwartungen
Abschluss Erwartungen an die eigene und die andere Profession
Datenverarbeitung

Die wörtliche Transkription erfolgte nach Dresing und Pehl (Dresing & Pehl, 2015). Während der Transkription und Analyse wurden neben den direkten Identifikationsmerkmalen auch indirekte sowie kontextbedingte Daten einer formalen Anonymisierung nach den Kriterien von Saunders et al. (2015) unterzogen.

Datenanalyse

Die Analyse erfolgte durch eine inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018). Verwendet wurde die Datenanalysesoftware MAXQDA Analytics Pro 2020 (Version 20.4.1). Die Kategorien wurden sowohl a priori auf Basis des EPA-Strukturrasters und des Interviewleitfadens als auch induktiv aus dem Material gebildet. Nach der Codierung des kompletten Materials mit dem ausdifferenzierten Kategoriensystem führten wir mithilfe von Summary Grids und Summary Tables eine Analyse der Haupt- und Subkategorien durch (Kuckartz & Rädiker, 2020). Anschließend erfolgte eine verdichtete Zusammenfassung in die von ten Cate & Taylor vorgeschlagene EPA-Struktur (ten Cate & Taylor, 2021). Die Datenanalyse führte der Erstautor (MJW) durch.

Gütekriterien

Für die Inhaltsanalyse wurden eine ausführliche Codieranleitung mit allen Codes, ihren Beschreibungen und Beispielen erstellt. Zwei der Autoren (MJW, DH) codierten unabhängig voneinander jeweils zwei Interviews zur Überprüfung der Intersubjektivität. Die Intercoder-Übereinstimmung wurde anhand Kappa (nach Brennan & Prediger 1981; 0,68) berechnet. Abweichende Codierungen wurden diskutiert und im Konsensverfahren bereinigt. Parallel fanden sechs Feedback-Runden zur Codierung und Analyse innerhalb des Promotionskollegs ILEGRA (Interprofessionelle Lehre in den Gesundheitsberufen) statt. Ziel war es, gemeinsam auszuwerten und Zwischenergebnisse zu überprüfen.

Um die Auswertungsergebnisse und deren Integration in die EPA-Struktur hinsichtlich Vollständigkeit, Verständlichkeit und Transparenz zu überprüfen, wurde abschließend eine Konsensrunde mit EPA-erfahrenen Ärzten/-innen und PFP durchgeführt. Die in der Runde verwendeten Fragen wurden aus dem EQual-Qualitätsraster abgeleitet und fokussierten die EPA-Struktur, Beschreibung und Limitationen, Risiken und Fehler sowie Wissen, Fähigkeiten und Verhalten (Taylor et al., 2017). Der Interviewleitfaden zur Strukturierung der Konsensrunde und der vorläufige EPA-Entwurf wurden den Experten/-innen im Vorfeld zur Verfügung gestellt. Die Konsensrunde wurde aufgezeichnet. Die Aufzeichnung wurde unmittelbar nach der Auswertung gelöscht.

ERGEBNISSE
Auswertungsergebnisse der Datenanalyse – Ergebnisse RQ1

In unserer Analyse wurden sechs Hauptkategorien mit entsprechenden Subkategorien identifiziert, denen insgesamt 825 Textsegmente aus den Interviewdaten zugeordnet wurden (s. Tabelle 3), die nachfolgend beschrieben werden.

Liste der relevanten Haupt- und Subkategorien.

Hauptkategorien Subkategorien Summe der codierten Textsegmente je Subkategorie
(1) Beschreibung IPÜ

Definition IPÜ

Phasen IPÜ (Abläufe u. Prozesse)

Zeitpunkte/ungeplanter Gesprächsanlass IPÜ

Zeitpunkte/Gesprächsanlass geplante IPÜ

Dauer IPÜ

39

87

33

46

27

(2) Limitationen IPÜ

Engeres Supervisionslevel und Komplexität des Patienten oder der Patientin

17
(3) Risiken und Fehler

Komplikationen u. Fehler

Herausforderungen IPÜ

Einfluss von Hierarchien

79

27

25

(4) Wissen, Fähigkeiten und Verhalten

Wissen: Biomedizinisches Wissen und Klinisches Wissen, Professionsspezifisches Wissen, Gestaltung und Steuerung

des Pflegeprozesses

Fähigkeiten: Strategisches Wissen und

Kollaboratives Wissen

Verhalten

18

25

138

114

151

(5) Einschätzung (Assessment, Grundlagen für Fortschritt)

Fortschritt

Beobachtungsintervalle

8

6

(6) Erwartungen bezüglich des Erreichens eines bestimmten Niveaus von Selbstständigkeit

Anvertrauen

Selbständige Durchführung

5

7

Legende: Die Tabelle zeigt alle für die Auswertung der EPA relevanten Haupt- und Subkategorien sowie die Anzahl der codierten Textsegmente je Subkategorie. Notiz: IPÜ = interprofessionelle Patientenübergabe

(1) Unter der Hauptkategorie Beschreibung IPÜ haben wir definitorische Aussagen zur IPÜ erfasst. Einzelne Aufgaben zur Durchführung der IPÜ wurden so fein wie möglich erhoben bzw. codiert.

Auf Basis aller Interviewaussagen kann eine IPÜ in unserem klinischen Setting als ein strukturierter, gleichberechtigter Informationsaustausch zwischen mehreren Professionen über Patienten/-innen verstanden werden. Der Informationsaustausch dient dem Ziel, den Versorgungsprozess durch konsentierte Entscheidungen und Verantwortungsübergaben zu optimieren, so „dass alle Professionen, die in irgendeiner Art und Weise am Behandlungsprozess von einem Patienten [oder einer Patientin] beteiligt sind, […] den Prozess reflektieren, sich darüber austauschen und dann am Ende [des] ganzen Prozesses auf ein gemeinsames Ergebnis kommen, das dann wiederum den Patienten[/-innen] zugutekommt“ (P10 Pos. 2). Eine IPÜ umfasst aus Sicht der Interviewten folgende Aufgabenschritte: (a) (Vorab-)Sammlung aller relevanter Patienteninformationen, (b) Durchführung des Informationsaustausches mit „Raum“ für „Rückfragen“ (A4 Pos. 2), (c) Abschluss mit konsentierter Entscheidungsfindung, (d) Aufgabenverteilung, (e) Nachbereitung mit Informationsweitergabe an die eigene Profession‚ (f) Umsetzung der Entscheidungen. Die Aufgabenschritte sollten allerdings je nach Bedarfssituation priorisiert werden.

IPÜ können zudem geplant wie ungeplant stattfinden. Geplante IPÜ umfassen z. B. Morgenübergaben, während ungeplante IPÜ sich aus einem akuten Informations-oder Beratungsbedarf ergeben können. IPÜ dauern je nach Komplexität der Patienten/-innen und dem Versorgungsbedarf bis zu 15 Minuten pro Patient/-in.

(2) Die Hauptkategorie Limitationen IPÜ beschreibt die Grenzen, innerhalb derer die Lernenden mehr Unterstützung benötigen bzw. innerhalb derer die Lernenden die EPA nicht selbstständig durchführen sollten.

Eine engere Supervision sollte nach Ansicht der Interviewten bei PFP mit wenig Berufserfahrung, bei Patienten/-innen mit Pflegegrad 4–5 (§ 15, SGB XI, 2020), bei lebensbedrohlich erkrankten Patienten/-innen, „[bspw.] wenn es um eine palliative Heimversorgung geht“ (P5 Pos. 50), und bei besonders komplexen Krankheitsverläufen in Betracht gezogen werden. Die Interviewten betonten hierbei, dass PFP mit wenig Berufserfahrung die pflegerischen und medizinischen Zusammenhänge noch nicht ausreichend verknüpfen und somit nicht effizient und adäquat innerhalb einer IPÜ vermitteln könnten und daher eine engere Supervision notwendig wäre.

(3) In der Hauptkategorie Risiken und Fehler wurden unerwünschte Ereignisse erfasst, die bei unsachgemäßer Aufgabendurchführung im Rahmen der IPÜ auftreten können. Verschiedene Fehlerquellen wurden von den Interviewten aufgezählt (u.a. Verwechslung von Patienten/-innen, falsche oder abweichende Informationsbasis). Als Herausforderung sahen die Interviewten vor allem die Einhaltung einer Gesprächsstruktur und die Priorisierung der zu vermittelnden Inhalte. „Die grundsätzliche Herausforderung ist, alles, was den Patienten [oder die Patientin] betrifft, kommunizieren zu können. […] dass halt wirklich alles strukturiert […] erzählt wird. […], dass man nichts vergisst, dass man für sich erst einmal eine Struktur hat“ (P2 Pos. 109).

(4) In der Hauptkategorie Wissen (W), Fähigkeiten (F) und Verhalten (V) wurden alle Aspekte codiert, die notwendig sind, um die Aktivität IPÜ im Sinne einer sicheren Patientenversorgung durchzuführen. Das Wissen wurde aus ökonomischen Gründen in groben Zügen codiert, Fähigkeiten und Verhalten wurden hingegen detailliert codiert.

(W) Die Interviewten waren sich professionsübergreifend einig, dass PFP nach Abschluss ihrer Ausbildung über ausreichendes biomedizinisches Wissen sowie klinisches Wissen verfügen sollten. „Ich erwarte, dass die [PFP] das medizinische Basiswissen hat, um die entsprechenden Krankheitsbilder zu kennen“ (A8 Pos. 48). PFP sollten also in der Lage sein, die Situation der Patienten/-innen einzuschätzen und über therapeutische Verfahren wie prophylaktische Maßnahmen Bescheid wissen. Sie sollten typische und atypische Verläufe von Krankheitsbildern und relevante klinikinterne Leitlinien und Behandlungspfade kennen. Darüber hinaus sollten PFP über umfassende Kenntnisse zur Planung und Gestaltung des Pflegeprozesses verfügen. Dazu gehört die Berücksichtigung des zugrundeliegenden Krankheitsbildes, des Krankheitsverlaufes und der geeigneten medizinischen wie pflegerischen Maßnahmen (v. a. in den Bereichen „Selbstversorgung und Mobilität“, „Abwehr von Gesundheitsrisiken“, „kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ sowie „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“). A6 formulierte hierzu das Desiderat, dass die PFP „[ihren Patienten oder ihre Patientin] kennt, dass sie ihn/sie pflegerisch einschätzen kann, dass sie dezidiert benennen kann, wie der Pflegebedarf [des Patienten oder der Patientin] ist, [...] auch weil sie einfach näher [dran] ist, auch Ängste und Sorgen [der Patienten/-innen] erkennt, uns [Ärzten/-innen] rückmeldet, [sodass] man [das] gemeinsam besprechen kann“ (A6, Pos. 28). Darüber hinaus sollte sich das Wissen auch auf Aspekte des Alltagslebens und des sozialen Umfelds beziehen. Insbesondere die interviewten Ärzte/-innen legten besonderen Wert darauf, dass PFP in der Lage sind, den Leistungsumfang und das Aktivitätsniveau von Patienten/-innen einzuschätzen, entsprechende Assessments durchzuführen, und deren Ergebnisse präzise weitergeben zu können.

(F) Die Interviewten betonten, dass PFP über eine ausgeprägte Deutungsfähigkeit verfügen sollten, um drängende Patientenprobleme zu erkennen oder Beobachtungen richtig einzuordnen und dementsprechend geeignete Patientenübergabepfade und Austauschebenen auszuwählen. Eine IPÜ bedarf hierbei einer sorgfältigen Vorbereitung und Planung. Dazu gehören die Raum-und Zeitplanung sowie das Sammeln aller relevanten indirekten und direkten sowie subjektiven und objektiven Patienteninformationen. Die PFP „muss [den Patienten oder die Patientin] gut kennen. Sie muss gut vorbereitet sein und sie muss Prioritäten setzen können, auf den Punkt kommen“ (P9 Pos. 124). Pflegerische Problemstellungen sollten möglichst kurz und prägnant dargestellt werden. Inhalte und Ziele der IPÜ sind dem Gesprächsverlauf anzupassen und adressatengerecht zu kommunizieren. Bei Bedarf müssen Inhalte wiederholt und das Verständnis des Empfängers überprüft werden. Das SBAR-Kommunikations-Tool wurde von einigen Interviewten empfohlen, um Missverständnissen vorzubeugen. Wichtig ist es, das gegenseitige Verständnis aller beteiligten Professionen regelmäßig zu überprüfen. Nach Abschluss der IPÜ sollten PFP getroffene Entscheidungen rekapitulieren sowie die gewonnenen Informationen reflexiv verarbeiten und weiterleiten.

(V) Für die Interviewten war es wichtig, Kollegen/-innen die Sicherheit zu geben, um ihre Meinungen, Missverständnisse oder gemachte Fehler äußern zu können. Verlässlichkeit in der Umsetzung der für die IPÜ vereinbarten Zuständigkeiten, einschließlich der ärztlichen Anordnungen, sind aus Sicht beider Professionen unabdingbar. Darüber hinaus betonten die Interviewten die Wichtigkeit einer patientenzentrierten Haltung, d. h. das Wohl der Patienten/-innen in den Mittelpunkt des beruflichen Handelns zu stellen. Von entsprechend großer Bedeutung war für die interviewten PFP, dass sie die Interessen der Patienten/-innen innerhalb der IPÜ wahrnehmen und vertreten. Die Interviewten hoben die große Verantwortung der PFP in der IPÜ hervor. Ihre pflegerische Perspektive sollte als ebenso wichtig anerkannt werden wie die der anderen beteiligten Professionen. Die hierarchischen Strukturen innerhalb der IPÜ sind zu beachten, sollten aber nicht als Hindernis für eine aktive Beteiligung gesehen werden.

Gleichsam ist zu bedenken, dass nicht alle Professionen an jedem Entscheidungsprozess beteiligt sein müssen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anerkennung der eigenen Grenzen des Vorwissens, welche ein hohes Maß an Selbsterkenntnis und die Fähigkeit erfordert, um Hilfe und Feedback zu bitten. So sollten alle an der IPÜ Beteiligten auch bereit sein, Fach- und Erfahrungswissen innerhalb des interprofessionellen Teams weiterzugeben.

(5) Die Hauptkategorie Einschätzung (Assessment, Grundlagen für Fortschritt) wurde codiert, wenn notwendige Fortschritte zur Übernahme einer IPÜ genannt wurden. Hierbei ging es um die Frage, welche Informationen benötigt werden, um Fortschritte der Lernenden zu bestimmen und schließlich eine Gesamtbewertung zur selbständigen Ausführung der Aktivität zu begründen.

Um den Lernfortschritt einschätzen zu können, sollten den Interviewten zufolge mehrere Übungs- und Überprüfungseinheiten durchgeführt werden. PFP in Ausbildung und Berufseinsteiger/-innen benötigen Unterstützung, um den Überblick zu behalten und wiedergeben zu können: „Dass man alle Informationen parat hat. […] dass man so ein allumfassendes Bild […] von [den Patienten oder der Patientin] schaffen kann, was einem als Anfänger[/-in] nicht gelingt“ (P5 Pos. 138). Als Indikator für Fortschritt beschrieben die Interviewten, dass PFP ein umfassendes Bild der Patienten/-innen besitzen und deren Problemlagen priorisieren und spezifisch darlegen können. Für eine Beurteilung hinsichtlich der Übertragung der Aktivität IPÜ schlugen die Interviewten zunächst einzelne Beobachtungsintervalle vor, um erste Einschätzungen der Kenntnisse und Fähigkeiten zu erhalten. Empfohlen wurde die Verwendung einer Checkliste oder die Durchsicht der Pflegedokumentation. A1 hielt „Checklistenformate“ und „Mini-CEX“ als Überprüfungsmethoden für „extrem wertvoll“ (A1 Pos. 134). Diese Methoden könnten ein schneller und effizienter Weg sein, um PFP zu beurteilen. Für eine langfristige Beurteilung erschien es den Interviewten notwendig, auf mehrere Informationsquellen zurückzugreifen und diese regelmäßig zu überprüfen. Darüber hinaus war es den Interviewten wichtig, regelmäßige Anleitungsgespräche zu führen, um Fortschritte zu besprechen und gemeinsam mit dem Lernenden eine Gesamtbewertung vorzunehmen.

(6) Die Hauptkategorie Erwartungen bezüglich des Erreichens eines bestimmten Niveaus von Selbstständigkeit wurde codiert, wenn Aussagen oder Interpretationen darüber getroffen wurden, unter welchen Supervisionsstufen nach ten Cate & Taylor (2021) Auszubildende eine IPÜ durchführen können.

Die Interviewten waren sich einig, dass die Aktivität IPÜ erst ab dem zweiten Ausbildungsjahr unter direkter Supervision anvertraut werden kann: „Im zweiten Ausbildungsjahr kann man das schon. Also auch, vielleicht ein, zwei Patienten[/-innen] mit ganz viel Hilfe, auch im ersten Jahr“ (P4 Pos. 161). Die Interviewten differenzieren aber in der Patientenübergabeform, ob sie die Aktivität der IPÜ anvertrauen können: „In der Fallbesprechung, ja. In der Früh, nein“ (P4 Pos. 157). Die selbstständige und unbeaufsichtigte Durchführung einer IPÜ wurde von den meisten Interviewten für PFP in Ausbildung und für Berufseinsteiger/-innen nicht empfohlen: „Der häufigste Fehler, den ich sehe [...], dass man die Informationen weitergibt, die alle schon haben […]. Die Informationen brauche ich, wenn der Patient [oder die Patientin] neu ist […], dann kann derjenige natürlich die Übergabe machen. Kann sagen, der ist gekommen wegen dem und dem. Aber ich brauche die grundsätzlichen Informationen nicht, sondern ich brauche die neuen Informationen. Und das muss ja eigentlich eine [PFP] auch einschätzen können. Was sind die Informationen der letzten 18 Stunden? Was ist neu dazugekommen oder was für Probleme sind dazugekommen? […] das können gute [PFP und die Pflegeschüler[/-innen] können es eben in der Regel noch nicht“ (A8 Pos. 100). P3 führte hierzu zusätzlich aus: „[…] was das Fachspezifische angeht, wenn’s dann schon sehr komplex ist […], dann würde ich […] frisch Examinierte schon erstmal noch an die Hand nehmen und da unterstützend dabei sein“ (P3 Pos. 55).

Integration in eine EPA-Struktur

Die Auswertungsergebnisse wurden für die Integration in ein EPA-Strukturraster komprimiert und in beobachtbare Aktivitäten umformuliert.

Konsensrunde

Eine EPA-erfahrene interprofessionelle Konsensgruppe, bestehend aus zwei Ärzten (mit medizindidaktischer Zusatzqualifikation) und zwei Pflegefachfrauen (mit B. A.; M. Sc.), überprüfte die Ergebnisse und schärfte insbesondere die Hauptkategorie „Wissen, Fähigkeiten und Verhalten“ nach.

Gemeinsam mit den Experten/-innen wurde festgelegt, dass die EPA beim Wechsel in eine andere Klinik oder auf eine andere Station mit anderer Struktur ihre Gültigkeit verlieren muss und/oder bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein neues Assessment erwogen werden sollte.

EPA Interprofessionelle Patientenübergabe vornehmen und/oder entgegennehmen für PFP

Basierend auf den Datenanalyseergebnissen (RQ1, RQ2) und der Konsensrunde wurde eine EPA Interprofessionelle Patientenübergabe vornehmen und/oder entgegennehmen für PFP definiert (s. Anhang 2). Die Arbeitseinheit wurde in Teilaufgaben gemäß den Empfehlungen von ten Cate & Taylor (2021) beschrieben.

Der Abschnitt Beschreibung und Limitationen beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung zum Anwendungsbereich und zeigt ein Lernziel. Der Aufbau erfolgt chronologisch und die jeweils identifizierten Arbeitsschritte werden detailliert aufgelistet (ten Cate & Taylor, 2021).

Mögliche Risiken und Fehler werden detailliert aufgelistet.

Als leitende Kompetenzdomäne dient der Kompetenzbereich III des Lehrplans für Pflegeberufe, welcher die Kommunikationskompetenz im intra- und interprofessionellen Handeln betont (§ 9 Absatz 1 Satz 2, Anlage 2, PflAPrV, 2018).

Wir verwenden die Form der detaillierten Beschreibung nach ten Cate & Taylor (2021) im Abschnitt Wissen, Fertigkeiten und Verhalten. Unsere EPA beinhaltet darüber hinaus fünf Verhaltensprinzipien: (a) Empowerment; (b) Verlässlichkeit; (c) Patientenzentrierung; (d) Professionsverständnis; (e) Bescheidenheit (ten Cate & Chen, 2020). Eine wichtige Erkenntnis unserer Analyse ist, dass PFP die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel besitzen und ärztliche Anordnungen rekapitulieren und reflexiv verarbeiten sollten. Mit den analysierten und klar abgegrenzten Prinzipien unterstreichen wir die Bedeutung der pflegerischen Perspektive, der Teamarbeit, der Kommunikation und der Fokussierung auf das Patientenwohl innerhalb der IPÜ.

Im Abschnitt Einschätzung (Assessment; Grundlagen für Fortschritt) folgen wir der von ten Cate & Hoff (2017) empfohlenen Struktur: Beobachten, Besprechen und Arbeitsergebnisse überprüfen. Für jeden Assessmentschritt wurden geeignete Methoden und Instrumente/Produkte identifiziert.

Im Abschnitt Erwartungen bezüglich des Erreichens eines bestimmten Niveaus von Selbstständigkeit orientieren wir uns an den Ausbildungsstufen der Pflege, wobei ab dem dritten Jahr Selbstständigkeit angestrebt wird. Das Anvertrauen einer selbstständigen Durchführung wird jedoch in der Praxis aufgrund der ungleichen individuellen Lernvoraussetzungen nicht einheitlich gehandhabt (Lüftl et al., 2021) und beinhaltet immer auch ein gewisses Risiko (ten Cate & Hoff, 2017). Dies spiegelt sich auch in unseren Auswertungsergebnissen wider. Wir haben uns daher dafür entschieden, eine Aufsicht auch bei examinierten PFP im Berufseinstieg beizubehalten. Das Supervisionslevel vier wurde nicht auf Basis der Datenanalyse bestimmt. Wir folgen dem Vorschlag von Benner et al. (1996), die PFP als fortgeschrittene Anfänger bestimmen, wenn diese zwei bis drei Jahre Berufserfahrung gesammelt haben. Daher ist Stufe 4 nur PFP mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung vorbehalten. Die fünfte und letzte Stufe ist in unserer EPA nur für PFP mit Praxisanleitung vorgesehen.

Hinsichtlich der Gültigkeit wurde beschlossen, im Falle eines Wechsels der Station oder Klinik eine Neubewertung vorzunehmen. Auch nach längerer Abwesenheit könnte eine Überprüfung der EPA notwendig sein, um Veränderungen in Verfahren, Prozessen oder dem wissenschaftlichen Kenntnisstand Rechnung zu tragen und Fehler zu vermeiden. Die Gültigkeitsdauer dient als Empfehlung zur Sicherstellung der Patientensicherheit (ten Cate & Taylor, 2021).

DISKUSSION

Entgegen der verbreiteten Annahme, dass eine IPÜ lediglich dem reinen Informationstransfer dient (Hinding et al., 2019), zeigt die Auswertung unserer Interviewstudie, dass die Interviewten die IPÜ zwischen den Professionen als Moment des diskursiven Austauschs verstehen. Je nach Bedarfssituation besteht für die Interviewten neben dem Informationstransfer das Ziel, den Versorgungsprozess durch reflexive Aushandlung und gemeinsame Entscheidungsfindung patientenorientiert zu gestalten. Die hier vorgestellte EPA umfasst daher drei Austauschstufen, die je nach Situation und Kontext zum Tragen kommen können. Mit der vorgeschlagenen Struktur orientieren wir uns ferner an den vier Phasen von Gibson et al. (2010) zur Patientenübergabestrukturierung und den beobachtbaren kollaborativen Aktivitäten aus dem FINCA-Rahmenmodell (Witti et al., 2023). In unserer Darstellung der IPÜ beziehen wir uns sowohl auf die mündliche als auch auf die schriftliche Weitergabe von patientenbezogenen Informationen, um die Übergabewege möglichst einheitlich zu gestalten (Meth et al., 2013). Gleichzeitig beziehen wir alle geplanten und ungeplanten IPÜ zwischen den Professionen mit ein, um spontane und standardisierte Patientenübergabeprozesse abzudecken (Meth et al., 2013); in der tatsächlichen Praxis wie auch in unserem gewählten Setting variieren die Patientenübergabeprozesse erheblich (Blank & Zittlau, 2017).

Eine fehlerfreie Informationsweitergabe im Rahmen der IPÜ lässt sich nur durch eine strukturierte und zielgerichtete Kommunikation unterstützen (Müller et al., 2018; Rosenthal et al., 2018). Für die Strukturierung orientieren wir uns daher am SBAR-Kommunikations-Tool, das sowohl für Ärzte/-innen als auch für PFP empfohlen wird (Fliegenschmidt et al., 2023). Analog zu unseren Ergebnissen sieht das SBAR-Kommunikations-Tool darüber hinaus die Verteilung weiterer Verantwortlichkeiten und ggf. eine gemeinsame Verständnisüberprüfung der erhaltenen Informationen vor (Müller et al., 2018; Rosenthal et al., 2018).

Die von den Interviewten identifizierten möglichen Risiken und Fehler bei der IPÜ decken sich mit der aktuellen Literaturlage (z. B. Patientenverwechslungen, Informationsbrüche durch fehlende strukturelle Bedingungen) (Desmedt et al., 2021). Darüber hinaus konnten weitere, bisher unbeachtete Fehlerrisiken identifiziert werden. Durch die genaue Aufschlüsselung der Fehlerrisiken rücken wir die Patientensicherheit innerhalb der EPA erneut in den Fokus. So kann unsere EPA durch die gesetzten „Warnhinweise“ die individuelle Wahrnehmung und das Verhalten von PFP steuern (Nerdinger et al., 2008). In unserer EPA stellen wir zudem die pflegerische Perspektive der zu übermittelnden Informationen in den Vordergrund, sodass nicht, wie in der Praxis meist üblich, primär rein medizinische Informationen von den PFP übermittelt werden (Blank & Zittlau, 2017), sondern pflegerelevante Informationen. Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass PFP und Ärzte/-innen bereits Informationen wie Patientenidentifikation oder Angaben zu aktuellen Problemen und Behandlungsplänen in ihre IPÜ einbeziehen. Darüber hinaus enthalten die meisten der beschriebenen IPÜ der Interviewten Erläuterungen und Begründungen. Ähnlich wie in der Interviewstudie von Meth et al. (2013) weisen auch unsere Ergebnisse darauf hin, dass dies zu einem besseren Verständnis und einer höheren Motivation hinter den gestellten Diagnosen und geplanten Therapien beiträgt und zu einer verbesserten interprofessionellen Entscheidungsfindung führen kann.

Limitationen der Studie

Durch die Anwendung des kriteriengeleiteten Sampling-Verfahrens in Kombination mit dem Snowball-Sampling kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Interviewten im Vorfeld über das Thema ausgetauscht und gegenseitig informiert und somit beeinflusst haben (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014). Ferner ist es uns nicht gelungen, Interviewteilnehmende aus operativen Disziplinen zu rekrutieren. Demnach fehlt eine chirurgische Perspektive. Unsere definierte EPA ist zudem nur bedingt auf andere Settings übertragbar.

Trotz Bemühungen um Objektivität durch Feedbackrunden bleibt ein potentieller Forscher-Bias durch subjektive Einflüsse bestehen. Durch die Verwendung einer standardisierten Leitlinie nach ten Cate & Taylor (2021), der schrittweisen Einbindung der Interviewten in der Entwicklungsphase der EPA und der abschließenden interprofessionellen Konsensrunde in einem EPA-Expertenkreis, kann unsere definierte EPA als valide eingeschätzt und eine effektive Bewertung von PFP in der klinischen Praxis ermöglicht werden. Dieser Arbeit folgt eine Validierung der vorliegenden EPA mithilfe des EQual-Tools (Taylor et al., 2017). Zudem ist eine Feldvalidierung nach Schmelter et al. (2018) auf einer interprofessionellen Ausbildungsstation geplant, um die Praxistauglichkeit unserer EPA zu überprüfen.

Schlussfolgerungen

Unsere Ergebnisse zeigen detailliert auf, welche unterschiedlichen Aspekte eine IPÜ in der Pflege in unserem gewählten Setting beinhalten kann. Die IPÜ kann somit als komplexe Aufgabe dargestellt werden. Mit der vorliegenden EPA und der EPA für Ärzte/-innen aus dem NKLM 2.0 wurde eine Grundlage zur gleichzeitigen Bewertung von Lernenden aus beiden Professionen geschaffen. Die neu definierte EPA ist dabei eine der ersten für PFP in Deutschland. In Übereinstimmung mit früheren Studien konnte gezeigt werden, dass eine EPA in der jeweiligen Arbeitseinheit berufsspezifisch interprofessionell ausgerichtet sein kann (ten Cate & Pool, 2020; Pool et al., 2023). Eigene Folgestudien werden überprüfen, inwiefern sich das EPA-Konzept auch im Praxisfeld der Pflege eignet. Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen gehen wir davon aus, dass sich das Konzept auf Praxis und Lehrpläne der Pflege übertragen lässt.

Languages:
English, German
Publication timeframe:
1 times per year
Journal Subjects:
Medicine, Clinical Medicine, Clinical Medicine, other