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Testing the iMTA Productivity Costs Questionnaire (iPCQ) for the use with chronic disease patients in Switzerland / Prüfung des iMTA Productivity Costs Questionnaire (iPCQ) für den Einsatz bei Patienten/-innen mit chronischen Krankheiten in der Schweiz


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EINLEITUNG

Rehabilitationsprogramme sind darauf angewiesen, ihre Outcomes mit validen und reliablen Instrumenten messen zu können. Outcomes, über die Patienten/-innen in Rehabilitationsprogrammen am besten Auskunft geben können, lassen sich über sogenannte «Patient-reported outcome measures» (PROMs) sinnvoll messen (U. S. Department of Health and Human Services FDA Center for Drug Evaluation and Research et al., 2009). Dies trifft auf die Arbeitsfähigkeit respektive Produktivität als einen der Haupt-Outcomes vieler Rehabilitationsprogramme zu. Produktivität meint in diesem Zusammenhang die Messung von Arbeitsfähigkeit der drei Dimensionen «Absentismus» (das krankheitsbedinge Fernbleiben vom Arbeitsplatz), «Präsentismus» (die krankheitsbedingt verringerte Leistung am Arbeitsplatz) und «Produktivitätsverlust» bei unbezahlter Arbeit wie beispielsweise Haushaltführung oder Erziehungsarbeit (Amler, 2016, S. 215ff). Dieses umfassende Verständnis von Arbeitsfähigkeit ist nahe an der Lebensrealität von Patienten/-innen in Rehabilitation und deckt die oftmals vergessene aber relevante unbezahlte Arbeit ab.

Das Institute for Medical Technology Assessment (iMTA) der Erasmusuniversität Rotterdam hat den iMTA Productivity Costs Questionnaire (iPCQ) entwickelt, um Produktivität in diesem umfassenden Verständnis zu messen (Bouwmans et al., 2013). Der iPCQ umfasst 18 Items, bezieht sich auf eine Recall-Periode von vier Wochen und ist gegliedert in drei Teile (siehe Tabelle 2):

soziodemografische Merkmale (Fragen A1 bis A6)

allgemeine Fragen zur bezahlten Arbeit (Fragen 1 bis 3)

Produktivitätsverlust in Stunden (Fragen 4 bis 12)

Das Instrument erhebt Produktivitätsverlust in drei Bereichen:

krankheitsbedingte Absenzen (Absentismus) bei bezahlter Arbeit (Fragen 4–6),

Präsentismus bei bezahlter Arbeit (Fragen 7–9) sowie

Produktivitätsverlust bei unbezahlter Arbeit (Fragen 10–12).

Der iPCQ misst den Gesamtproduktivitätsverlust in Stunden anhand des Summen-Scores der Produktivitätsverluste aus diesen drei Bereichen. Es ist mit dem iPCQ auch möglich, die gesamtgesellschaftlichen Kosten des Produktivitätsverlusts auf Basis der Friktionskostenmethode zu berechnen (zur Friktionskostenmethode siehe Tan et al., 2012; oder kritisch dazu Johannesson & Karlsson, 1997). Diese Möglichkeit, inklusive der dazu notwendigen Formel, wird im Kapitel 3 des Manuals ausführlich beschrieben (Bouwmans et al., 2013).

Das niederländische Originalinstrument wurde bei der Entwicklung auf leichte Sprache geprüft (Bouwmans et al., 2013).

Das iMTA stellt den iPCQ für Studienzwecke nach einer Registrierung kostenlos in 19 Sprachen zur Verfügung (iMTA, o. J.). In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Sprachversionen des iPCQ validiert. Beemster et al. (2018) attestierten der niederländischen Originalversion gute Messeigenschaften hinsichtlich Langzeit-Absentismus bei Menschen mit chronisch muskuloskelettalen Schmerzen, nicht jedoch hinsichtlich des Präsentismus und des Kurzzeit-Absentismus (Test-Retest-Reliabilität und Responsiveness). Munk et al. (2019) attestierten der norwegischen Version des iPCQ gute Messeigenschaften (Inhaltsvalidität, interne Konsistenz und Reliabilität) bei Menschen mit muskuloskelettalen Erkrankungen. Kim et al. (2020) attestierten der koreanischen Version des iPCQ eine angemessene Praktikabilität und ausgezeichnete Werte in den Domänen «Absentismus», «Präsentismus» und «unbezahlte Arbeit» für die Test-Retest-Reliabilität. Zudem wiesen sie eine mäßige bis hohe Übereinstimmungsvalidität für Absentismus und Präsentismus mit andern Messinstrumenten nach (Kim et al., 2020).

Die deutsche Version wurde 2016 freigegeben (Mail-Korrespondenz mit iMTA 11.06.2021). Der iPCQ ist damit eines der wenigen deutschsprachigen Instrumente, das Produktivität in der oben geschilderten Weise misst (Friedli et al., 2018). Die deutsche Version des iPCQ wurde nicht aus der niederländischen Originalversion, sondern aus der bislang nicht validierten englischen Version übersetzt und rückübersetzt. Für die deutsche Version wurde bisher keine Validierung durchgeführt (Mailkorrespondenz mit iMTA vom 05.11.2020). Ziel dieser Studie war, die Validität der deutschsprachigen Version des iPCQ zu überprüfen und Hinweise für Optimierungen zu geben. Anlass dafür war der Einsatz des iPCQ in der Deutschschweiz, der sich aus sprachlichen Gründen als problematisch erwies: Die Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie, Inselspital, Universitätsspital Bern wendet den iPCQ im Rahmen des Schmerzregisters an, um die Arbeitsfähigkeit der Patientinnen und Patienten zu erheben, die für ein Rehabilitationsprogramm abgeklärt werden oder ein solches absolvieren. Das Schmerzregister ist ein Krankheits- und Qualitätsregister für Patientinnen und Patienten mit chronischem Schmerz und dient als Basis für wissenschaftliche und klinische Evaluationen (Schmerzregister, 2018). Im Rahmen der Implementierung und der wissenschaftlichen und klinischen Anwendung des iPCQ zeigten sich verschiedene Probleme:

Die Antwortkategorien zum Bildungsabschluss mussten vor der Implementierung an das schweizerische Bildungssystem angepasst werden.

Einige Items des iPCQ zu den demografischen Angaben (z. B. zum Beschäftigungsstatus) wurden oft nicht beantwortet.

Items des iPCQ zum Absentismus bei bezahlter Arbeit und zum Produktivitätsverlust bei unbezahlter Arbeit wurden oft inkonsistent beantwortet, z. B. lagen die Antworten nicht im erwartbaren Bereich oder waren nicht mit Antworten zu anderen Items kompatibel.

Teilzeit-Arbeitsunfähigkeit führte zu fehlenden Daten bei der bezahlten Arbeit.

Für den Einsatz des iPCQ in der Deutschschweiz war eine Überprüfung der deutschsprachigen Version angezeigt.

Validitätsverständnis

Als Basis dieser Studie dient die Testtheorie und das darauf basierende Validitätsverständnis der American Educational Research Association (AERA) und der American Psychological Association (APA) (American Educational Research Association et al., 2014). AERA und APA gehen davon aus, dass die Validität eines Messinstruments immer von kontextuellen Faktoren seiner Verwendung abhängt (ebd.). In diesem Verständnis sind Instrumente nicht per se valide oder nicht valide, weil nie nur das Instrument selbst, sondern die Verwendung des Instruments für einen bestimmten Zweck validiert wird (siehe Sireci & Faulkner-Bond, 2014). Validierungsstudien überprüfen, ob ein Instrument in einem bestimmten Kontext zu validen Resultaten führt (AERA et al., 2014, S. 11). Validität ist in diesem Verständnis das Ausmass, in dem alle gesammelte Evidenz die beabsichtigte Interpretation von Ergebnissen für die vorgeschlagene Verwendung unterstützt (ebd., S. 14). Diese Evidenz bezieht sich auf fünf Quellen der Validität eines Instrumentes: 1) Inhalt (z. B. Produktivität), 2) Antwortprozesse (z. B. Verständnis der Teilnehmenden), 3) interne Struktur (z. B. Hierarchie von Items), 4) Beziehung des zu messenden Konstrukts zu anderen Variablen (z. B. soziokultureller Hintergrund, Diagnose) und 5) die intendierten und nicht intendierten Konsequenzen der Bewertung, (z. B. negative Konsequenzen des Tests für eine bestimmte Gruppe von getesteten Menschen).

Diese Quellen der Validität können anhand verschiedener wissenschaftlicher Methoden in verschiedenen Schritten überprüft werden (AERA et al., 2014). Eine gängige Methode sind kognitive Interviews (Collins et al., 2015). Diese halbstrukturierten Interviews prüfen, ob Teilnehmende

die Fragen im intendierten Sinn verstehen;

fähig sind, die für die Beantwortung nötigen Informationen im Gedächtnis abzurufen und

fähig sind unter Nutzung der zur Verfügung stehenden Antwortoptionen zu antworten (Collins et al., 2015, S. 60).

Kognitive Interviews basieren auf Tourangeaus Vier-Phasen-Modell der Fragenbeantwortung (Tourangeau, 1984). Sie decken damit den gesamten für die Fragebeantwortung notwendigen kognitiven Prozess ab: d. h. 1. das Leseverständnis, 2. den Abruf der Information (Erinnern), 3. die Entscheidungsfindung und 4. die Antworteingabe. Tourangeau postuliert, dass es in jeder der vier Phasen zu Problemen kommen kann, die mithilfe von kognitiven Interviews entdeckt und erklärt werden können. Darauf aufbauend können Empfehlungen für die Anpassung formuliert werden. Dafür wird zusätzlich zur Beobachtung die Think-aloud-Technik eingesetzt. Die Teilnehmenden werden aufgefordert, den Fragebogen durchzuarbeiten und alle aufkommenden Gedanken laut zu äußern. Diese werden aufgezeichnet und ausgewertet. Ergänzend werden vertiefende Nachfragen zu jeder der vier Phasen gestellt. Gleichzeitig sind jederzeit spontane Rückfragen zu Äußerungen oder Verhaltensweisen der Interviewpartner/-innen (IP) möglich (Collins et al., 2015, S. 110ff).

Ziel und Fragestellungen

Das Ziel dieser Studie war, die Validität der deutschsprachigen Version des iPCQ für seine Anwendung bei Patienten/-innen mit chronischen Erkrankungen (insbesondere bei muskuloskelettalen Schmerzen) in der Schweiz zu überprüfen. Die Forschungsfragen lauteten: Bei welchen Items des iPCQ haben Patienten/-innen in der deutschsprachigen Schweiz Probleme, die Fragen, Erläuterungen und Anweisungen im intendierten Sinne zu verstehen, die für die Beantwortung der Frage nötigen Informationen im Gedächtnis abzurufen, sich für eine Antwort zu entscheiden und zu antworten? Welcher Art sind die Probleme und was könnte zu deren Behebung beitragen?

Die Perspektive der IP auf die Fragebogen-Items des iPCQ ist im Fokus dieser Studie; die Fragebogenführung sowie die Berechnungsmethoden für den Produktivitätsverlust werden an dieser Stelle nicht behandelt.

METHODEN
Design

Wir führten eine qualitativ-deskriptive Validierungsstudie durch.

Setting und Studienteilnehmende

Wir führten die Datenerhebung zwischen November 2020 und Juli 2021 auf der Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie des Inselspitals, Universitätsspital Bern (Schweiz) durch. Der Erstautor führte kognitive Interviews mit sechzehn Patientinnen und Patienten sowie neun Gesundheitsfachpersonen durch, die berufliche Erfahrungen mit chronischen Krankheiten oder deren Auswirkungen haben.

Die Einschlusskriterien für die Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen waren: a.) erwerbsfähiges Alter (18 bis 65 Jahre), b.) Diagnose einer chronisch-muskuloskelettalen Schmerzerkrankung oder einer anderen chronischen Krankheit und c.) krankheitsbedingtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz, krankheitsbedingt verringerte Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz oder Einschränkungen bei der unbezahlten Arbeit während den vier Wochen vor dem Interview (Recall-Periode des iPCQ). Ausschlusskriterium waren kognitive Einschränkungen. Das Einschlusskriterium für Gesundheitsfachpersonen war die berufliche Erfahrung mit chronischen Krankheiten oder deren Auswirkungen auf das Individuum oder die Gesellschaft. Für die Patientinnen und Patienten wandten wir eine «purposeful-sampling»-Strategie an (Patton, 2015). Die Kriterien des «purposeful-Sampling» waren: Geschlecht, Alter, Muttersprache, Bildungs- und Berufshintergrund. Weil der iPCQ als Fragebogen in leichter Sprache entwickelt wurde, achteten wir bei Menschen mit Deutsch als Fremdsprache darauf, dass sie mindestens Sprachniveau B1 für Deutsch beherrschten. Dies war möglich, weil das Sprachniveau der Patientinnen und Patienten durch den Aufenthalt auf der Klinik bekannt war.

Typischerweise werden in Studien mit kognitiven Interviews 10 bis maximal 50 Interviews durchgeführt und ausgewertet (Collins et al., 2015, S. 81). Nach 24 Interviews waren die Daten gesättigt, d. h. es tauchten keine gewichtigen neuen Aspekte mehr auf und die Datenerhebung wurde beendet.

Rekrutierung der Interviewpartner/-innen (IP)

Der Erstautor fragte Patienten/-innen mit chronischen Schmerzen und Gesundheitsfachpersonen per E-Mail oder Telefon für ein Interview an. Die Patientinnen und Patienten mit anderen chronischen Krankheiten wurden durch Schlüsselpersonen von anderen Kliniken des Universitätsspitals Bern vermittelt.

Erhebungsinstrument

Erstautor und Zweitautorin entwickelten einen Interviewleitfaden mit Beobachtungsbogen und Vertiefungsfragen zu den einzelnen Phasen nach Tourangeaus Modell. Die Fragen basierten inhaltlich auf den Anwendungserfahrungen mit dem iPCQ an der Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie, Inselspital, Universitätsspital Bern.

Datenerhebung

20 der 24 Interviews fanden in den Räumen der Universitätsklinik statt. Je ein Interview wurde online, auf einer externen Beratungsstelle, in einer Privatwohnung respektive im Büro des IP durchgeführt. Zu Beginn der Interviews (vor Unterzeichnung der Einwilligungserklärung) stellte der Interviewer (Erstautor) den IP das Forschungsprojekt vor und erklärte die Methode des kognitiven Interviews sowie die Technik des «Thinking aloud». In den Interviews wurden alle drei oben genannten Techniken (Beobachten, «Thinking aloud» und verbale Vertiefungsfragen) eingesetzt. Die IP erhielten den Fragebogen und die dazugehörenden Erläuterungen schriftlich. Die mündlich erteilte initiale Instruktion zum kognitiven Interview lautete für alle IP, den Fragebogen auszufüllen und alle Gedanken, die ihnen dabei durch den Kopf gehen, laut zu äußern. Während des Interviews machte der Interviewer laufend Notizen zu den Handlungen der IP (z. B. haben IP Fragen übersprungen oder Antworten geändert, gezögert oder Fragen mit Mehrfachantwort-Möglichkeiten erkannt?). Alle Interviews wurden digital aufgezeichnet (Tonaufzeichnungen). Als Interviewgrundlage diente der deutschsprachige iPCQ mit den bereits vorgenommenen Anpassungen an das schweizerische Bildungssystem.

Datenanalyse

Als Grundlage für die Datenanalyse erstellte der Interviewer unmittelbar nach dem Interview ein Protokoll, in welchem kontextuelle und demografische Angaben zu den IP festgehalten und die Resultate der Interviews dokumentiert wurden. Die Resultate wurden in einer Matrix in Anlehnung an d’Ardenne & Collins (2015) festgehalten (siehe Abb. 1).

Abbildung 1

Matrix für die schriftliche Erfassung der Interviews (Beispiel Frage 8).

Der Erstautor führte die qualitative Datenanalyse nach der fünfphasigen Framework-Methode von Spencer et al. durch (Spencer et al., 2014), welche d’Ardenne und Collins für die Analyse von kognitiven Interviews empfehlen (d’Ardenne & Collins, 2015).

Die erste Phase diente dem Vertrautwerden mit den Daten durch mehrmaliges Abhören der Interviews und Lesen der Interviewprotokolle.

In der zweiten Phase wurden die Antworten kategorisiert. Eine Kategorie ist beispielsweise «Unterschätzung der Produktivitätseinbussen durch fehlerhafte Fragebogenführung bei chronischer Krankheit».

In der dritten Phase wurden wesentliche, das Verständnis beeinflussende Kontextfaktoren herausgearbeitet. Diese dienten als Grundlage für die vierte Phase, in welcher die Kontextfaktoren mit den Kategorien in Beziehung gebracht wurden, um Muster zu finden und Probleme erklären zu können. Ein Beispiel hierfür wäre die Erkenntnis, dass einige Fragen aufgrund ihrer komplexen Struktur und den verwendeten Begriffen für Menschen mit Deutsch als Fremdsprache missverständlich waren oder dass eine partielle Arbeitsunfähigkeit zu Problemen im Entscheidungsprozess führte.

In der fünften und letzten Phase der Datenanalyse wurden die Auswirkungen der Probleme eruiert und darauf basierend Hinweise für eine Überarbeitung erarbeitet. Dieser Schritt erfolgte mit Hilfe der Gegenüberstellung der niederländischen Originalversion mit der offiziellen deutschen und englischen Übersetzung des iMTA.

Aus Ressourcengründen konnten nur zwei Interviews unabhängig durch den Erstautor und die Zweitautorin analysiert werden. Die Analysen dieser beiden Interviews wurden auf Übereinstimmung geprüft. Die Prüfung ergab eine sehr hohe Übereinstimmung in der Analyse. Die übrigen Interviews analysierte der Erstautor alleine; die Resultate wurden mit der Zweitautorin diskutiert und stichprobenartig auf Übereinstimmung überprüft.

Die Codierung der Schlüsselzitate in der Präsentation der Resultate verweist auf die Interviewnummer und das selbstdeklarierte soziale Geschlecht der IP (Bsp.: IP W1 verweist auf die IP aus Interview 1, die sich als weiblich bezeichnet).

RESULTATE

In den folgenden drei Abschnitten präsentieren wir als erstes die Merkmale der IP. Es folgt die tabellarische Zusammenstellung der Fragen des iPCQ mit einer Übersicht zu den aufgedeckten Problemen. Der dritte Teil erläutert die problematischen Items und führt Hinweise für die Verbesserung der deutschsprachigen Version des iPCQ auf. Tabellarisch werden jeweils die originalen Formulierungen der niederländischen (NL), englischen (E) und deutschen Version (D) sowie Revisionshinweise und Erläuterungen zu den Befunden für die deutschsprachige Version aufgeführt (R).

Studienteilnehmer/-innen

An dieser Studie nahmen 24 IP teil. Die Interviews dauerten im Durchschnitt 51 Minuten. Die soziodemografischen Merkmale der IP zeigt Tabelle 1:

Soziodemografische Merkmale der Interviewpartner/-innen.

N
Geschlecht
weiblich 16
männlich 8
Alter
≤30 3
31–40 2
41–50 11
51–60 6
≥61 2
Bildung
oblig. Schule 1
Lehre (inkl. BM*) 11
BSc oder höher 12
Muttersprache
Deutsch 20
andere 4
Arbeitsstatus
arbeitsfähig** 16
teilarbeitsunfähig 6
voll arbeitsunfähig 2
Krankheitsbild (N = 15)
Rheuma 11
Onko 2
Nephro 1
MS 1

BM = Berufsmaturität,

Volle versicherungsrechtliche

Arbeitsfähigkeit schließt Präsentismus oder Absentismus nicht aus.

Die große Mehrheit der IP war weiblich, 16 waren im versicherungsrechtlichen Sinne arbeitsfähig, neun davon waren Gesundheitsfachpersonen.

Problematische Fragen im iPCQ: Übersicht

Tabelle 2 zeigt, bei welchen Fragen des iPCQ mindestens zwei IP während dem Interview Schwierigkeiten bekundeten (in Folgenden als problematische Items bezeichnet). Die Spalten zeigen, ob die Probleme beim Verstehen, Erinnern, Entscheiden oder Antworten auftraten gemäß den Phasen nach Tourangeau (1984), resp. ob das Konstrukt an sich problematisch war:

Problematische Items des iPCQ entlang den Dimensionen verstehen, erinnern, entscheiden, antworten, Konstrukt.

Item Nr. aktuelle deutsche Version verstehen erinnern entscheiden antworten Konstrukt
A1 An welchem Datum füllen Sie diesen Fragebogen aus?
A2 Was ist Ihr Geburtsdatum?
A3 Was ist Ihr Geschlecht?
A4 Was ist Ihr höchster Bildungsabschluss? Geben Sie Ihren höchsten Bildungsabschluss an – markieren Sie hierzu das Feld mit einem x. *
A5 Wie ist Ihr Beschäftigungsstatus? Markieren Sie das entsprechende Feld mit einem x. P, F P, F P, F
A6 Gehen Sie einer bezahlten Beschäftigung nach? P, F P, F
1 Was ist Ihr Beruf? P, F
2 Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie? Zählen Sie nur die Stunden, für die Sie bezahlt werden. P, F P, F P, F
3 Wie viele Tage pro Woche arbeiten Sie? P, F P
4 Sind Sie in den letzten 4 Wochen auf Grund einer Erkrankung nicht zur Arbeit gegangen? P, F P, F
5 Sind Sie vor den genannten 4 Wochen auf Grund einer Erkrankung nicht zur Arbeit gegangen? Diese Frage bezieht sich auf eine ununterbrochene Krankheitsphase. P, F P, F
6 Wann haben Sie sich krankgemeldet? P, F
7 Gab es in den letzten 4 Wochen Tage, an denen Sie trotz körperlicher Beschwerden oder psychischer Probleme zur Arbeit gegangen sind? P, F F F
8 Wie viele Arbeitstage waren Sie durch körperliche Beschwerden oder psychische Probleme beeinträchtigt? (Zählen Sie nur die Tage am Arbeitsplatz der letzten 4 Wochen.) P, F P, F P P
9 Fiel es Ihnen schwer, an den Tagen, an denen Sie durch diese Beschwerden und Probleme beeinträchtigt wurden, Ihr normales Arbeitspensum zu erledigen? Wie viel Arbeit konnten Sie an diesen Tagen im Durchschnitt erledigen? Sehen Sie sich untenstehende Zahlen an. „10“ bedeutet, dass Sie Ihr normales Arbeitspensum geschafft haben. 0 bedeutet, dass an diesen Tagen überhaupt keine Arbeit erledigen konnten. Kreisen Sie die zutreffende Zahl ein. P, F P, F F
10 Gab es Tage, an denen Sie gezwungen waren, Ihre unbezahlte Arbeit aufgrund körperlicher Beschwerden oder psychischer Probleme einzuschränken? Es kommt nur auf die Tage in den letzten vier Wochen an. P, F P, F P, F P, F
11 An wie vielen Tagen war dies der Fall? Zählen Sie nur die Tage in den letzten 4 Wochen. P, F
12 Stellen Sie sich vor, dass z. B. Ihr Partner, Ihre Partnerin, jemand aus Ihrer Familie oder ein Freund / eine Freundin Ihnen an diesen Tagen geholfen hat und dass er oder sie für Sie die unbezahlte Arbeit erledigt hat. Wie viele Stunden haben diese Personen durchschnittlich für diese Arbeit aufgewendet? P, F P, F P, F P, F
2×12 7×2 4×2 / 2×B / 1×F 3×2 / 1×B 3×2 / 2×F

P = Patienten/-innen

F = Fachpersonen

Die Antwortoptionen waren bereits an das Schweizerische Bildungssystem und Nomenklatur angepasst.

Patienten/-innen wie Gesundheitsfachpersonen bekundeten ab Frage A5 bei sämtlichen Fragen des iPCQ Probleme beim Verstehen und Erinnern; auch die Entscheidungsfindung erwies sich bei den Fragen 9 bis 12 als problematisch.

Die Fragen zu den soziodemografischen Merkmalen

Die ersten vier Fragen des iPCQ zu den soziodemografischen Merkmalen verursachten keine Probleme (siehe Tabelle 2). Bei den Antworten zum Bildungsabschluss (Frage A4) waren Anpassungen vorzunehmen, die das Bildungssystem der Schweiz widerspiegeln. Bei der Frage A5 (vgl. Tabelle 3) nach dem Beschäftigungsstatus hatten die IP Probleme mit dem Verstehen, Entscheiden und Antworten.

Frage A5.

Frage A5
NL Wat doet u in het dagelijks leven? Kruis aan wat u de meeste tijd doet.
E What do you do? Place an x in the box for what you usually do.
D Wie ist Ihr Beschäftigungsstatus? Markieren Sie das entsprechende Feld mit einem x.
R Konzept klären, das erfragt werden soll: Status oder Beschreibung der AlltagssituationDirekt aus der niederländischen Originalversion übersetzen und an diese angleichen Mehrfachantworten ermöglichen.Hinweis im Manual einfügen, dass Antwortoptionen an nationale Systeme und Nomenklaturen angepasst werden müssen

NL: niederländische Originalversion; E: englische Übersetzung des iMTA, D: deutsche Übersetzung des iMTA, R: Revisionshinweise für die deutsche Version

Die Frage A5 und die dazugehörenden Antwortkategorien war für IP mit Mehrfachstatus verwirrend (z. B. Menschen mit partieller Arbeitsunfähigkeit, die mit einem Teilpensum arbeiteten). Sie wollten mehrere Antworten angeben. Die Anweisung «Markieren Sie das entsprechende Feld mit einem x.» hielt sie aber davon ab. Beispiel IP W1: «…»Markieren sie das entsprechende Feld.» es ist also nur ein Feld, das ich ankreuzen kann. Aber eigentlich möchte ich gerne zwei wählen. Aber es steht nur «das entsprechende Feld», also gehe ich davon aus, ich kann nur ein Feld.».

Diese Schwierigkeit gründet u. a. darin, dass die Frage und die vorgegebenen Antwortkategorien auf unterschiedliche Konzepte (Beschäftigung, Beschäftigungsstatus) abzielen. Dies zeigt sich auch in der abweichenden Fragenformulierung zwischen der niederländischen und der deutschen Version. Im niederländischen Original wird danach gefragt, was jemand im «täglichen Leben macht», in der deutschen Version wird nach dem «Beschäftigungsstatus» gefragt. Diese unterschiedlichen Konzepte spiegeln sich auch in den Antwortkategorien wider: Einige Optionen thematisieren, was jemand «im täglichen Leben macht», andere thematisieren den Umfang dessen, was jemand in der Erwerbsarbeit krankheitsbedingt zurzeit leisten kann. Die Begriffe «Beschäftigungsstatus» und «Ruhestand» respektive «Vorruhestand» waren IP nicht geläufig. Die IP schlugen vor, diese Begriffe bei der Verwendung des iPCQ in der Schweiz durch «Beschäftigungssituation» respektive «pensioniert oder frühpensioniert» zu ersetzen. IP mit Invalidenrente machten zudem darauf aufmerksam, dass die für den schweizerischen Kontext relevanten Antwortoptionen «Ich beziehe eine Invalidenrente» und «Ich beziehe Leistungen der Sozialhilfe» fehlen. Weiter bemängelten sie die fehlende Option für die in der Schweiz existierenden Teilrenten der Invalidenversicherung.

Wir empfehlen deshalb, die Frage 5A und die dazugehörenden Antwortkategorien darauf hin zu prüfen, welche Dimensionen damit erfragt werden. Gegebenenfalls wären unterschiedliche Dimensionen mit einer entsprechenden Fragebogenführung getrennt zu erheben. Wir empfehlen außerdem, Mehrfachantworten zuzulassen und im Manual zu vermerken, dass die Antwortoptionen länderspezifisch angepasst werden sollten.

Bei Frage A6 («Gehen Sie einer bezahlten Beschäftigung nach?») blieb für IP unklar, weshalb diese notwendig sei, v. a. bei partieller Arbeitsunfähigkeit. Eine klare Definition des Inhalts und entsprechende Antwortoptionen für die Fragen A5 und A6 sind hier angezeigt.

Die allgemeinen Fragen zur bezahlten Arbeit

Tabelle 4 zeigt die allgemeinen Fragen 1 bis 3 zur bezahlten Arbeit in drei Sprachversionen sowie den zusammenfassenden Hinweisen zur Optimierung dieser Fragen.

Fragen 1 bis 3 des iPCQ zur bezahlten Arbeit.

Frage 1
NL Wat is uw beroep?
E What is your occupation?
D Was ist Ihr Beruf?
R Klarstellen, dass die aktuelle Erwerbstätigkeit und nicht der ursprünglich erlernte Beruf erfragt wird.
Frage 2
NL Hoeveel uur per week werkt u? Tel alleen de uren waarvoor u betaald wordt.
E How many hours a week do you work? Count only the hours that you get paid.
D Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie? Zählen Sie nur die Stunden, für die Sie bezahlt werden.
R Präzisierungen anbringen: Angaben mit Wochenarbeitsstunden gemäß ArbeitsvertragHinweis einfügen zum Umgang mit unregelmäßigen Arbeitszeiten
Frage 3
NL Op hoeveel dagen in de week werkt u?
E How many days a week do you work?
D Wie viele Tage pro Woche arbeiten Sie?
R Direkt aus der niederländischen Originalversion übersetzen und an diese angleichenErläuterungen zu unregelmäßigen Arbeitstagen ergänzen

NL: niederländische Originalversion; E: englische Übersetzung des iMTA, D: deutsche Übersetzung des iMTA, R: Revisionshinweise für die deutsche Version

Die IP verstanden die Frage 1 (vgl. Tabelle 4) nicht einheitlich. Für IP, die nicht im erlernten Beruf erwerbstätig waren, war nicht klar, ob bei dieser Frage nach dem «momentanen Beruf» (IP M20) oder dem erlernten Beruf (IP W13) gefragt wurde. Wir empfehlen daher, die Frage zu präzisieren.

Bei Frage 2 (siehe Tabelle 4) meldeten IP, die regelmäßig bezahlte Überstunden machten, dass es für sie nicht klar war, ob sie die Arbeitsstunden gemäß Vertrag oder auch die bezahlten Überstunden angeben müssen. Auch Personen, die unregelmäßige Wochenarbeitsstunden hatten oder zurzeit krankheitsbedingt reduziert arbeiteten, waren unsicher, welchen Wert sie angeben sollten oder bekundeten Mühe mit dem Abruf der Information aus dem Gedächtnis. Wir schlagen deshalb vor, die Frage mit dem Zusatz «gemäß Arbeitsvertrag» zu versehen und die Anweisungen mit dem Hinweis zu ergänzen, bei unregelmäßigen Arbeitszeiten einen Durchschnittswert anzugeben.

Bei Frage 3 (siehe Tabelle 4) war für IP, die halbtags oder stundenweise arbeiteten, nicht klar, ob mehrere Halbtage zu einem vollen Arbeitstag addiert werden sollen. IP mit unregelmäßigen Arbeitswochen wünschten sich eine weitere Anweisung zum Umgang mit unregelmäßigen Arbeitstagen. Wir empfehlen, Frage 3 in Anlehnung an das niederländische Original zu reformulieren und mit einer ergänzenden Erläuterung zum Umgang mit unregelmäßigen Arbeitszeiten zu versehen.

Die Fragen zum Produktivitätsverlust Fragen 4 bis 6 zum Absentismus

Tabelle 5 zeigt die Fragen 4 bis 6 zum Absentismus in drei Sprachversionen sowie den zusammenfassenden Hinweisen zur Optimierung dieser Fragen.

Fragen 4 bis 6 des iPCQ zum Absentismus.

Frage 4
NL Bent u in de afgelopen 4 weken afwezig geweest van uw werk omdat u ziek was?
E Have you missed work in the last 4 weeks as a result of being sick?
D Sind Sie in den letzten 4 Wochen auf Grund einer Erkrankung nicht zur Arbeit gegangen?
R Direkt aus der niederländischen Originalversion übersetzen und an diese angleichenErläuterungen für Menschen mit chronischen Krankheiten ergänzen:Sowohl krankheitsbedingte Abwesenheiten aufgrund einer schon länger dauernden chronischen Krankheit als auch kurzfristige (akute) Erkrankung erfassenErläuterungen für Menschen mit Teil-Arbeitsunfähigkeit ergänzen:Abwesenheiten aufgrund längerer Teil-Arbeitsunfähigkeit oder Teil-Krankschreibung sind mit zu erfassenFrageformulierung vor dem Hintergrund von Home-Office überprüfen.
Frage 5
NL Was u langer dan de gehele periode van 4 weken afwezig van uw werk doordat u ziek was? Het gaat om een aaneengesloten periode van werkverzuim.
E Did you miss work earlier than the period of 4 weeks due to being sick? This is referring to one whole uninterrupted period of missed work as a result of being sick.
D Sind Sie vor den genannten 4 Wochen auf Grund einer Erkrankung nicht zur Arbeit gegangen? Diese Frage bezieht sich auf eine ununterbrochene Krankheitsphase.
R Direkt aus der niederländischen Originalversion übersetzen und an diese angleichenHilfestellung fürs Antworten bei Teil-Arbeitsunfähigkeit ergänzenFrageformulierung vor dem Hintergrund von Home-Office überprüfen.
Frage 6
NL Wanneer heeft u zich ziek gemeld?
E When did you call in sick?
D Wann haben Sie sich krankgemeldet?
R Hilfestellung einfügen für die Erinnerung an KrankheitsdatumHinweis einfügen, bei ungenauer Erinnerung ein ungefähres Datum anzugeben

NL: niederländische Originalversion; E: englische Übersetzung des iMTA, D: deutsche Übersetzung des iMTA, R: Revisionshinweise für die deutsche Version

Die Formulierung von Frage 4 mit einer Negation («Sind Sie in den letzten 4 Wochen auf Grund einer Erkrankung nicht zur Arbeit gegangen?» (siehe Tabelle 5) erlebten IP als problematisch, weil Antworten auf eine Frage mit Negation in der deutschen Umgangssprache Zweideutigkeit verursachen können. So meinte IP W4, diese Frage sei «vielleicht auch grad noch ein wenig eine Fangfrage», weil danach gefragt werde, ob man nicht zur Arbeit gegangen sei. Sie meinte: «Nein, ich bin nicht «nicht gegangen»». Wir empfehlen deshalb, die Frage analog der niederländischen Version zu formulieren und Negationen grundsätzlich zu vermeiden (siehe Tabelle 5). IP W1 fragte sich zusätzlich, was die Formulierung «nicht zur Arbeit gegangen» in Zeiten der Pandemie und von Home-Office bedeute. Diese Feststellung verweist auf eine durch COVID-19 entstandene neue Schwierigkeit für die Erhebung von Absentismus: Fernbleiben vom Arbeitsplatz aufgrund einer Erkrankung bedeutet nicht zwingend Absentismus. Es kann auch auf pandemiebedingtes Home-Office zurückzuführen sein. Wir empfehlen deshalb, die Formulierung vor dem Hintergrund des vermehrten Home-Office anzupassen. Menschen mit chronischen Erkrankungen waren bei dieser Frage zusätzlich unsicher, ob allfällige «Grundabwesenheiten» durch ihre chronische Krankheit (länger dauernde (Teil-)Arbeitsunfähigkeit oder (Teil-) Krankschreibungen) angegeben werden sollen oder nur zusätzliche, akute Erkrankungen. Wir empfehlen deshalb eine Erläuterung einzufügen, um sicherzustellen, dass auch (partielle) Abwesenheiten aufgrund akuter und chronischer Krankheiten gezählt werden. Insbesondere für teilzeiterwerbstätige Menschen war es schwierig, sich an die Absentismus-Tage der letzten vier Wochen zu erinnern. Wir empfehlen daher, die optionale Frage 4a aus dem englischsprachigen Manual zu ergänzen: «Question 4a. How many days were you unable to work due to the fact that you were sick? This is referring to only days from the last four weeks. Please use the chart below. An example is given below ». (Bouwmans et al., 2013, S. 39). Der darin zur Verfügung stehende Kalender könnte den Abruf der Information aus dem Gedächtnis erleichtern.

Auch Frage 5 enthält in der deutschen Version des iPCQ eine Negation, was IP beim Antworten Schwierigkeiten bereitete (siehe Tabelle 5). Wir empfehlen eine Formulierung ohne Negation analog der niederländischen Originalversion (siehe Tabelle 5). Die Erläuterung «Diese Frage bezieht sich auf eine ununterbrochene Krankheitsphase» war für IP unklar, insbesondere für Patienten/-innen mit Teilzeit-Arbeitsunfähigkeit. So meinte IP W8 auf die Rückfrage, was hier abgefragt wird: «Es geht um «ununterbrochene Krankheitsphase», was immer das heisst...». Ihnen war nicht klar, ob Teilzeit-Arbeitsunfähigkeit als «ununterbrochene Krankheitsphase» gilt. Wir empfehlen deshalb eine ergänzende Erläuterung, wie die Frage bei partieller Arbeitsunfähigkeit zu beantworten sei. Zudem sollte die Formulierung von Frage 5 aufgrund der aktuellen Home-Office-Entwicklungen überdacht werden («zur Arbeit gehen»).

Bei Frage 6 (siehe Tabelle 5) bekundeten IP, die bereits länger krankheitsbedingt am Arbeitsplatz fehlten, Probleme mit dem Abruf des exakten Datums aus dem Gedächtnis. So meinte IP W15, wenn man schon länger krank sei, «merkt man sich das exakte Datum nicht». IP wiesen darauf hin, dass die Genauigkeit der Antwort durch die verlangte Präzision nicht gesteigert werde, die Fragestellung jedoch zu Verunsicherungen führe. Wir empfehlen daher, bei Frage 6 eine Erinnerungshilfe einzubauen sowie den Hinweis, eine ungefähre Angabe zu machen, wenn das Datum nicht genau erinnert wird. Die gleiche Empfehlung gilt für die Fragen 8, 11 und 12. Ein Hinweis zur Fragebogenführung: Wird die Frage 5 («Sind Sie vor den genannten 4 Wochen auf Grund einer Erkrankung nicht zur Arbeit gegangen?» Siehe Tabelle 5) mit «Ja» beantwortet, wird nach Beantwortung der Frage 6 durch die bestehende Fragebogenführung direkt zu Frage 10 geleitet. IP mit chronischen Krankheiten waren aber oft nur teilweise arbeitsunfähig. Mit dieser Fragebogenführung und dem Fehlen einer Frage zum Umfang der partiellen Arbeitsfähigkeit in der genannten Periode wird der Produktivitätsverlust falsch berechnet: Zu hohe Produktivitätsverluste durch Absentismus stehen zu niedrigen Produktivitätsverlusten durch Präsentismus gegenüber. Eine Zusatzfrage zum Umfang der Teilzeitarbeit und eine geänderte Fragebogenführung würden eine präzisere Berechnung der Produktivität ermöglichen.

Fragen zu Präsentismus

Tabelle 6 zeigt die Fragen 8 und 9 zum Präsentismus in drei Sprachversionen sowie die zusammenfassenden Hinweise zur Optimierung dieser Fragen.

Fragen 8 und 9 des iPCQ zum Präsentismus.

Frage 8
NL Op hoeveel werkdagen had u tijdens uw werk last van uw lichamelijke of psychische problemen? Tel alleen de werkdagen in de afgelopen 4 weken.
E How many days at work were you bothered by physical or psychological problems? (Only count the days at work in the last 4 weeks)
D Wie viele Arbeitstage waren Sie durch körperliche Beschwerden oder psychische Probleme beeinträchtigt? (Zählen Sie nur die Tage am Arbeitsplatz der letzten 4 Wochen.)
R Direkt aus der niederländischen Originalversion übersetzen und an diese angleichenHinweis für Umgang mit partiellen Tagen einfügen
Frage 9
NL Op de dagen dat u last had, kon u misschien niet zoveel werk doen als normaal. Hoeveel werk kon u op deze dagen gemiddeld doen?Kijk naar de cijfers hieronder. Een 10 betekent dat u op deze dagen net zoveel kon doen als normaal. Een 0 betekent dat u op deze dagen niets kon doen. Zet een cirkel om het goede cijfer.
E On the days that you were bothered by these problems, was it perhaps difficult to get as much work finished as you normally do? On these days how much work could you do on average? Look at the figures below. A 10 means that you were able to do as much work as you normally do. A 0 means that you were unable to do any work on these days. Circle the figure that fits best.
D Fiel es Ihnen schwer, an den Tagen, an denen Sie durch diese Beschwerden und Probleme beeinträchtigt wurden, Ihr normales Arbeitspensum zu erledigen? Wie viel Arbeit konnten Sie an diesen Tagen im Durchschnitt erledigen? Sehen Sie sich untenstehende Zahlen an. „10“ bedeutet, dass Sie Ihr normales Arbeitspensum geschafft haben. 0 bedeutet, dass an diesen Tagen überhaupt keine Arbeit erledigen konnten. Kreisen Sie die zutreffende Zahl ein.
R Direkt aus der niederländischen Originalversion übersetzen und an diese angleichenDoppelfrage vermeiden.

NL: niederländische Originalversion; E: englische Übersetzung des iMTA, D: deutsche Übersetzung des iMTA, R: Revisionshinweise für die deutsche Version

Für IP war unklar, in welchen Situationen Frage 7 beantwortet werden muss («Gab es in den letzten 4 Wochen Tage, an denen Sie trotz körperlicher Beschwerden oder psychischer Probleme zur Arbeit gegangen sind?»). Weil die Frage immer beantwortet werden muss, wenn in den letzten vier Wochen zumindest teilweise gearbeitet wurde, empfehlen wir, sie mit der folgenden Vorbemerkung zu versehen: «Wenn Sie in den letzten vier Wochen zumindest teilweise gearbeitet haben: ».

Frage 8 und die dazugehörende Anweisung (siehe Tabelle 6) war in mehrfacher Hinsicht problematisch. Für IP mit Deutsch als Fremdsprache war das Wort «beeinträchtigt» schwer verständlich. Es war unklar, ob Tage, an denen IP z. B. nur nachmittags beeinträchtigt waren, als ganze Tage zählen und ob zwei Halbtage als ein ganzer Tag zählen sollten. Die Reformulierung der Frage analog der niederländischen Originalfrage und ein Hinweis für den Umgang mit partiellen Tagen würde hier mehr Klarheit bringen (siehe Tabelle 6).

Frage 9 enthält zwei Fragen, die unterschiedliche Antworten verlangen: eine Ja-Nein-Antwort und eine Antwort auf einer 10er-Skala (siehe Tabelle 6). Dies verursachte Schwierigkeiten. So meinte IP W24: «aber es sind für mich eigentlich mehrere Fragen».

In Tabelle 6 wird ersichtlich, dass die Frage bereits in der Übersetzung vom Niederländischen ins Englische problematisch verändert wurde (zwei Fragen). In der deutschen Version akzentuiertet sich diese Problematik zusätzlich. Wir empfehlen, diese Frage analog der niederländischen Originalfrage in einfacher Sprache zu formulieren.

Fragen zur unbezahlten Arbeit

Die einführenden Erläuterungen zu den Fragen zur unbezahlten Arbeit (hier nicht aufgeführt) bergen mehrere Verständnisschwierigkeiten für Patienten/-innen mit Schweizerdeutsch oder einer Fremdsprache als Muttersprache und es fehlt die Konkretisierung von unbezahlter Arbeit anhand anschaulicher Beispiele. Die Erläuterungen verwenden das Verb «schaffen» hochdeutsch im Sinne von «erreichen» oder «erledigen können». In der schweizerdeutschen Mundart bedeutet «schaffen» meist «arbeiten» ohne die Konnotation von erreichen oder erledigen können. Wir schlagen daher vor, die Erläuterungen zu den Fragen zur unbezahlten Arbeit umzuformulieren und das Verb «schaffen» zu ersetzen. Anschauliche Beispiele unbezahlter Arbeit sollten zudem erwähnt werden, insbesondere Arbeiten für den Haushalt, aber auch Angehörigenbetreuung, Freiwilligenarbeit, etc. Die Formulierung von Frage 10 war vor allem für Menschen mit Deutsch als Fremdsprache schwierig zu verstehen, da sie den Begriff «gezwungen waren» mit Zwang durch eine andere Person verbanden und den Zusammenhang mit Krankheit nicht verstanden (vgl. Tabelle 7). Wir empfehlen daher eine Formulierung analog dem niederländischen Originalfragebogen. Außerdem schlagen wir eine Ergänzung der Erläuterungen vor, welche sich auf die spezifische Situation «Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen» bezieht (siehe Tabelle 7).

Frage 10 und 12 des iPCQ zur unbezahlten Arbeit.

Frage 10
NL Waren er dagen waarop u minder onbetaald werk kon doen door uw lichamelijke of psychische problemen? Het gaat om dagen in de afgelopen 4 weken.
E Were there days in which you were forced to do less unpaid work because of physical or psychological problems? Only days in the last four weeks.
D Gab es Tage, an denen Sie gezwungen waren, Ihre unbezahlte Arbeit aufgrund körperlicher Beschwerden oder psychischer Probleme einzuschränken? Es kommt nur auf die Tage in den letzten vier Wochen an.
R Direkt aus der niederländischen Originalversion übersetzen und an diese angleichenErläuterungen zur unbezahlten Arbeit mit anschaulichen Beispielen konkretisieren (z. B. Arbeiten im Haushalt etc.)Klarstellen, ob Einschränkungen aufgrund chronischer und/oder akuter Krankheiten gemeint sind
Frage 12
NL Stel dat iemand, bijvoorbeeld uw partner, familielid of een bekende, u op deze dagen had geholpen. En al het onbetaalde werk wat u niet kon doen, voor u had gedaan. Hoeveel uur was die persoon hier op deze dagen dan gemiddeld mee bezig geweest?
E Imagine that somebody, for example your partner, family member or friend helped you on these days, and he or she did all the unpaid work that you were unable to do for you. How many hours on average did that person spend doing this on these days?
D Stellen Sie sich vor, dass z. B. Ihr Partner, Ihre Partnerin, jemand aus Ihrer Familie oder ein Freund/eine Freundin Ihnen an diesen Tagen geholfen hat und dass er oder sie für Sie die unbezahlte Arbeit erledigt hat. Wie viele Stunden haben diese Personen durchschnittlich für diese Arbeit aufgewendet?
R Hypothetischen Charakter der Frage verdeutlichenPräzisierung, dass nach Stunden pro Tag gefragt wirdEinfügen des Hinweises, bei Erinnerungsschwierigkeiten eine ungefähre Angabe zu machen

NL: niederländische Originalversion; E: englische Übersetzung des iMTA, D: deutsche Übersetzung des iMTA, R: Revisionshinweise für die deutsche Version

Bei Frage 11 bestand die Unsicherheit, ob Einschränkungen durch die bestehende chronische Erkrankung auch zählen oder nur darüber hinaus gehende, akute Einschränkungen. Diese Unsicherheit kann aber durch die Erläuterungen bei Frage 10 ausgeräumt werden.

IP verstanden Frage 12 nach den notwendigen Unterstützungsstunden bei unbezahlter Arbeit in mehrfacher Hinsicht falsch. Die Einleitung deutet zwar auf eine hypothetische Frage hin («Stellen Sie sich vor, dass », siehe Tabelle 7). In der weiteren Formulierung wird jedoch der Indikativ verwendet. Dadurch wird die Frage als Abfrage der Realität verstanden und nicht als Gedankenexperiment, respektive als hypothetische Frage. So meinte IP W4, es sei «noch so ein wenig schwierig» zu sagen, wie viel Zeit ihr Mann aufwende, um sie zu unterstützen. Weiter wurde aus der Frage nicht ersichtlich, dass nach der durchschnittlichen Stundenzahl pro Tag gefragt wurde. So antwortete IP W19 beispielsweise auf die Rückfrage, ob hier nach Stunden pro Tag, pro Woche oder einer anderen Zeitspanne gefragt werde: «Die letzten vier Wochen ist gemeint». Entsprechend haben die IP hier die Stunden, welche sie in den letzten vier Wochen tatsächlich von jemandem unterstützt wurden, addiert. Basierend auf diesen Rückmeldungen empfehlen wir, Frage 12 so umzuformulieren, dass deutlich wird, dass die durchschnittliche Hilfestellung in Stunden pro Tag erfragt wird, wie dies in der niederländischen Originalversion der Fall ist.

Bei den drei Fragen zur unbezahlten Arbeit hat sich gezeigt, dass der Abruf der Information besonders herausfordernd war, da im Gegensatz zu bezahlter Arbeit über den Umfang unbezahlter Arbeit meist keine formelle Rechenschaft abgelegt werden muss (Beeinträchtigung der Reliabilität). Wir schlagen daher vor, die Fragen mit dem Hinweis zu ergänzen, dass bei ungenauer Erinnerung eine ungefähre Angabe gemacht werden kann.

DISKUSSION

Auf der Basis von 24 kognitiven Interviews und der Think-aloud-Methode untersuchte die vorliegende Studie die Validität der deutschen Version des iPCQ. 15 Patienten/-innen und 9 Gesundheitsfachpersonen nahmen an der Studie teil. Sämtliche Items zum Produktionsverlust erwiesen sich als problematisch, d. h. mindestens zwei IP hatten Schwierigkeiten beim Verstehen, Erinnern, Entscheiden oder Antworten. Dies weist auf einen erheblichen Anpassungsbedarf hin für den Einsatz des iPCQ im deutschschweizerischen Sprachraum. Unsere Vorschläge geben Hinweise, um vor allem Teilzeit-Arbeitsunfähigkeit, unbezahlte Arbeit und krankheitsbedingte Reduktion des Arbeitspensums besser abbilden zu können.

Die Rückmeldungen und daraus abgeleiteten Empfehlungen lassen sich in drei Themenbereiche unterteilen: 1.) Berücksichtigung regionaler/länderspezifischer Eigenheiten, 2.) sprachliche Übersetzungsprobleme und 3.) strukturelle Merkmale.

Die länderspezifischen Anpassungen bei den Antwortoptionen (z. B. Bildungsabschlüsse) sind einfach, z. B. mit einem Hinweis im Manual umsetzbar. Dies wurde auch bei verschiedenen Sprachversionen anderer Instrumente ähnlich umgesetzt (z. B. Pediatric Evaluation Disability Inventory PEDI, siehe Schulze et al., 2013).

Wir empfehlen für die Übersetzung die niederländische Originalversion als Vorlage zu verwenden, um Übersetzungsfehler zu reduzieren (vgl. auch Beaton et al., 2000). Die Interviews und der Vergleich der drei Sprachversionen zeigen, dass der Umweg vom niederländischen Original über die englische zur deutschen Übersetzung mit ein Grund für die aufgedeckten Verständnisprobleme war.

Wir empfehlen strukturelle Anpassungen des iPCQ, um Produktivitätsverluste bei Teilzeit-Arbeit, bei finanziell nicht kompensierter («freiwilliger») Reduktion des Arbeitspensums und bei unbezahlter Arbeit präziser erfassen zu können. Angesichts der Häufigkeit von Teilzeitarbeit im deutschsprachigen Raum (vgl. Bundesamt für Statistik, 2021) erscheint dies eine Notwendigkeit.

Probleme der Abbildbarkeit der krankheitsbedingten «freiwilligen» Reduktion des Arbeitspensums und der Teilzeit-Arbeitsunfähigkeit wirken auf die Berechnung der Produktivitätsverluste und die Konstruktvalidität des iPCQ aus. Der iPCQ sollte diese Dimension von Produktivitätsverlust abdecken können, wenn er bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Krankheiten in der Schweiz eingesetzt wird. Dasselbe gilt für die unbezahlte Arbeit: So ist es für die Konstruktvalidität und die Genauigkeit der Antworten zentral, dass die Frage 12 korrekt verstanden wird. Unsere Hinweise und Vorschläge können helfen, die Abbildbarkeit der krankheitsbedingten «freiwilligen» Reduktion des Arbeitspensums, der Teilzeit-Arbeitsunfähigkeit und der unbezahlten Arbeit zu verbessern und dadurch zu einer besseren Konstruktvalidität und einer präziseren Berechnung der Produktivitätsverluste beitragen. Zudem sind Frageformulierungen zu überarbeiten, die davon ausgehen, dass Arbeitsplatz und das private Zuhause getrennte Orte sind, damit auch Menschen, die im Home-Office arbeiten, die Fragen adäquat beantworten können (z. B. zur Arbeit gehen, am Arbeitsplatz, etc.).

Schlussfolgerungen

Die vorliegende Studie ist ein erster Schritt zum Schließen von Forschungslücken zur Validität des iPCQ für den Einsatz bei Personen mit chronischen Erkrankungen im deutschschweizerischen Sprachraum. Die aus unseren Ergebnissen abgeleiteten Vorschläge sind als erster Schritt für weitere Validierungsarbeiten zu verstehen. Ein nächster Schritt besteht in einer sprachkompetenten Übersetzung ins Deutsche aus der niederländischen originalen Sprachversion. Darauf kann in Anlehnung an Beatons Empfehlungen für transkulturelle Übersetzungen von Erhebungsinstrumenten (cross-cultural translations) beispielsweise die kritische Diskussion in einer Experten/-innengruppe folgen, um die unterschiedlichen Versionen zu konsolidieren (Beaton et al., 2000; Schulze et al., 2013). Die (Weiter-)Entwicklung von Instrumenten und deren Anpassung an neue Kontexte ist dabei als gemeinsames Projekt der Autoren/-innen des Instruments, von Forschenden und Anwender/-innen zu verstehen (AERA et al., 2014). Darum sollten die nächsten Schritte mit Einbezug der Entwickler/-innen erfolgen. Das Resultat wäre eine überarbeitete, konsolidierte und validierte deutsche Version des iPCQ für Menschen mit chronischen Erkrankungen in interprofessionellen Settings (z. B. Klinische Sozialarbeit, Ergotherapie, Physiotherapie, Medizin) für die deutschsprachige Schweiz.

Einschränkungen

Wir haben diese Studie überwiegend mit Personen aus der Deutschschweiz durchgeführt. Es könnte sein, dass Personen mit anderen, dem Hochdeutschen näherstehenden Dialekten einige Fragen anders verstanden und interpretiert hätten. Außerdem haben wir mehrheitlich Menschen mit chronischen Schmerzen interviewt. Es könnte sein, dass durch den vermehrten Einbezug von Menschen mit weiteren chronischen Krankheiten andere Resultate zustande gekommen wären.

Die Interviews wurden vom Erstautor durchgeführt und vorwiegend durch diesen ausgewertet. Zur Kontrolle wurden zwei Interviews von der Zweitautorin analysiert und die Ergebnisse miteinander verglichen. Die Übereinstimmung war sehr hoch, was als Hinweis für die Trustworthyness gewertet werden kann (Brinkmann & Kvale, 2014; Polit & Beck, 2017). Eine unabhängige Analyse aller 24 Interviews durch zwei Forscherinnen und Forscher hätte vielleicht weitere Ergebnisse hervorgebracht.

eISSN:
2296-990X
Languages:
English, German
Publication timeframe:
Volume Open
Journal Subjects:
Medicine, Clinical Medicine, other