Identifizieren, Registrieren und Kategorisieren von Personen wird in den Geschichts- und Sozialwissenschaften meist als Set an Praktiken und Technologien konzipiert, durch die, vor allem staatlicherseits, eine Beziehung zwischen Person und Staat konstituiert und dokumentiert wird und die zugleich dazu beitragen, »den Staat«, soziale Tatsachen und Kategorien der Bevölkerung, Gruppen und Personen hervorzubringen. Eine Person als Staatsbürger/in, Arbeiter/in, Steuerzahler/in, Militärpflichtigen etc. zu identifizieren, ist eine fundamentale Operation staatlicher Verwaltung.
Jane Caplan / John Torpey: Introduction, in: Jane Caplan / John Torpey (Hg.): Documenting Individual Identity. The Development of State Practices in the Modern World, Princeton 2001, S. 1–12, hier S. 1. Zu »political and social citizenship« in dem Zusammenhang vgl. Pieter M. Judson: Citizenship without Nation? Political and Social Citizenship in the Habsburg Empire, in: Contemporanea 21/4 (2018), S. 633–646. Es handelt sich dabei auch nicht um eine in dieser Form universell verbreitete oder zwangsläufige Entwicklung. Zu ignoranten Staaten vgl. etwa Dan Slater / Diana Kim: Standoffish States: Nonliterate Leviathans in Southeast Asia, in: TRaNS: Trans-Regional and -National Studies of Southeast Asia 3/1 (2015), S. 25–44; vgl. auch Colin Hoag: Assembling Partial Perspectives: Thoughts on the Anthropology of Bureaucracy, in: Political and Legal Anthropology Review 34/1 (2011), S. 81–94; Barak Kalir / Willem van Schendel: Nonrecording States, Introduction: Nonrecording States between Legibility and Looking Away, in: Focaal 77 (2017), S. 1–7. Vgl. dazu etwa Edward Higgs: Identifying the English. A History of Personal Identification 1500 to the Present, London 2011; Andreas Fahrmeir: Conclusion. Cities and States: Papers and Walls, in: Hilde Greefs / Anne Winter (Hg.): Migration Policies and Materialities of Identification in European Cities. Papers and Gates, 1500s to 1930s, New York 2019, S. 289–306, hier S. 301. Diese Aspekte gehören zu einer Innovation. Ingo Schulz-Schaeffer / Arnold Windeler / Birgit Blättel-Mink: Einleitung: Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Innovation, in: Ingo Schulz-Schaeffer / Arnold Windeler / Birgit Blättel-Mink (Hg.): Handbuch Innovationsforschung Sozialwissenschaftliche Perspektiven, Wiesbaden 2021, S. 3–11, hier S. 4. Um Anachronismen zu vermeiden, spreche ich im Folgenden eher von Neuerung und/oder Veränderung und weniger von Innovation, ein Begriff, der zwar im Untersuchungszeitraum existierte, jedoch eine andere Bedeutung hatte als in der Gegenwart. Zum Innovationsbegriff vs. Innovationsprozess vgl. Marcus Popplow: Die Idee der Innovation – ein historischer Abriss, in: Schulz-Schaeffer / Windeler / Blättel-Mink (Hg.): Handbuch, S. 15–23. Dazu etwa Pierre Bourdieu: Über den Staat. Vorlesungen am Collège de France 1989–1992, hg. von Patrick Champagne et al., Frankfurt am Main 2014, S. 39.
Bein Beitrag nimmt Arbeitsbücher als Ausgangspunkt, um solche Prozesse und Auseinandersetzungen über Änderungen und/oder Innovationen des Identifizierens und Registrierens zu untersuchen. Diese – im Vergleich etwa zu Reisepässen nur wenig untersuchten Dokumente – waren in der Habsburgermonarchie zwischen 1859 und 1919 großen Teilen der Arbeiterschaft als Identitäts-, Reise- und Arbeitsdokumente vorgeschrieben. Sie eignen sich besonders gut, um die Ko-Produktion, Multifunktionalität, Umstrittenheit und Benutzbarkeit von Identitätsdokumenten zu untersuchen.
Vgl. dazu Waltraud Heindl / Edith Saurer (Hg.): Grenze und Staat. Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie (1750–1867), Wien 2000. Vgl. dazu allgemein auch Sebastian Conrad / Elisio Macamo / Bénédicte Zimmermann: Die Kodifizierung der Arbeit: Individuum, Gesellschaft, Nation, in: Jürgen Kocka / Klaus Offe (Hg.): Geschichte und Zukunft der Arbeit, Frankfurt am Main 1999, S. 449–475.
Ich werde in diesem Aufsatz zunächst die historische Entwicklung der gesetzlichen Regelungen kurz skizzieren (Ich beziehe mich hier ausschließlich auf die österreichischen Länder der Monarchie). Welche Kontinuitäten und/oder Neuerungen lassen sich an diesen Dokumenten festmachen? Wie veränderten sich Zuständigkeiten und der Kreis derer, die in die Ausfertigung und Benutzung solcher Dokumente involviert waren? In der Folge werde ich dann die Perspektiven und Interpretationen der wichtigsten involvierten Parteien skizzieren und darstellen, wie die Arbeitsbücher benutzt wurden: von Behörden, Gewerbetreibenden aber auch von den Besitzer/innen dieser Dokumente. Was kann in diesem Zusammenhang als soziale Innovation verstanden werden, was beförderte oder behinderte sie? Zur Rekonstruktion der politischen und praktischen Auseinandersetzungen um diese Dokumente stehen eine Reihe von Quellen zur Verfügung, hier beziehe ich mich primär auf rechtliche Normen, parlamentarische Debatten, die Berichte von Gewerbeinspektoren, zeitgenössische wissenschaftliche Abhandlungen, politische Texte und Zeitungsberichte, amtliche Statistiken über Ausstellung und Streitfälle, Arbeitsbuchprotokolle, die Ausweisdokumente selbst und – hier nur am Rande – autobiografische Texte.
Autobiographische Berichte und Entscheidungen der k.k. Gewerbegerichte stelle ich ausführlicher in folgenden Texten dar: Sigrid Wadauer: Kategorisierung, Kontrolle, Vertrauen? Arbeits- und Identitätsdokumente im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Sigrid Ruby / Anja Krause (Hg.): Sicherheit und Differenz in historischer Perspektive / Security and Difference in Historical Perspective, Baden Baden 2022, S. 265–291; Sigrid Wadauer: Papers and Wages (Habsburg Monarchy/Cisleithania in the 19th and early 20th century), in: Pedro Ramos Pinto / Massimo Asta (Hg.): The Value of Work: Ideas, Measurement, Custom, and Conflict since the 18th Century, London (Erscheint voraussichtlich 2023); Sigrid Wadauer: Contracts under Duress. Work Documents as a Matter and Means of Conflict. (Habsburg Monarchy / Austria in the late 19th and early 20th Century), in: Anamarija Batista / Viola Franziska Müller / Corinna Peres (Hg.): Writing and Visualising Histories of Coercion in Remunerated Labor Relations, London (Erscheint voraussichtlich 2023).
An der Regelung und Gestaltung der Arbeitsbücher lassen sich in historischer Perspektive einige Neuerungen feststellen, manche Aspekte scheinen hingegen eher gleichbleibend und kaum der Veränderung unterworfen. Schriftliche Dokumente, die auf bestimmte Register verweisen, wie Arbeitsbücher (oder die diesen in vielem ähnlichen Dienstbotenbücher)
Dazu etwa Jessica Richter: Die Produktion besonderer Arbeitskräfte. Auseinandersetzungen um den häuslichen Dienst in Österreich (Ende des 19. Jahrhunderts bis 1938), unpublizierte Dissertation, Universität Wien 2017, S. 52–63. Vgl. dazu Valentin Groebner: Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters, München 2004. Klaus Stopp: Die Handwerkskundschaften mit Ortsansichten, Bd.1, Stuttgart 1982; Hannelore Burger: Das Passwesen, in: Heindl / Saurer (Hg.): Grenze, S. 3–87, hier S. 63. Vgl. dazu Sigrid Wadauer: Die Tour der Gesellen. Mobilität und Biographie im Handwerk vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2005, S. 36. Hugo Morgenstern: Gesindewesen und Gesinderecht in Österreich. (= Mittheilungen des k.k. arbeitsstatistischen Amtes im Handelsministerium. 3. Heft.), Wien 1902, S. 22ff. Patent vom 24. Februar 1827. Aufhebung der Kundschaften, Zeugnisse, Wanderpässe für Handwerksgesellen und Arbeiter; Einführung der Wanderbücher, in: Seiner k.k. Majestät Franz des Ersten politische Gesetze und Verordnungen für sämmtliche Provinzen des Österreichischen Kaiserstaates, mit Ausnahme von Ungarn und Siebenbürgen, Wien 1829, S. 231f; Kundmachung 231, in: Seiner k.k. Majestät Franz des Ersten politische Gesetze und Verordnungen für sämmtliche Provinzen des Österreichischen Kaiserstaates, mit Ausnahme von Ungarn und Siebenbürgen, Wien 1828, S. 283–289. RGBl. 1859/227, § 74 und Anhang. Diese wurden länderspezifisch in Gesindeordnungen reguliert. RGBl. 1860/66. John Torpey: The Invention of the Passport. Surveillance, Citizenship and the State, Cambridge 2000, S. 6, S. 60. Die Arbeitsvermittlung in Österreich, verfasst und herausgegeben vom statistischen Departement im k.k. Handelsministerium, Wien 1898 (Kapitel »Arbeitsvermittlung bei den gewerblichen Genossenschaften in moderner Zeit«). Der Buchdrucker Karl Steinhardt betont die Bedeutung des »Quittungsbuchs«, in das die Unterstützungen der Buchdruckerorganisation eingetragen wurden und das auch vor der Polizei als Nachweis galt, dass man kein Vagabund war. Karl Steinhardt: Lebenserinnerungen eines Wiener Arbeiters, herausgegeben und eingeleitet von Manfred Mugrauer, Wien 2013, S. 110. Z.B. LGBl. Steiermark 1871/36, 1897/79; LGBl. Oberösterreich 1871/15, LGBl. Kärnten 1879/14.
Die zunehmende Regulierung betraf auch den Kreis der Personen, die über diese Dokumente verfügen sollten, dieser wurde im Laufe des Jahrhunderts gesetzlich eindeutiger geregelt und deutlich erweitert. Kundschaften waren noch zünftigen Handwerkern vorbehalten. Die Gewerbeordnung von 1859 (§§ 73 und 74)
RGBl. 1859/227. RGBl. 1885/22. RGBl. 1866/72. RGBl. 1902/156. Alfred Ebenhoch / Engelbert Pernerstorfer (Hg.): Stenographisches Protokoll der Gewerbe-Enquête im österreichischen Abgeordnetenhause sammt geschichtlicher Einleitung und Anhang, Wien 1893, S. 144. Auch sie blieben, wie Gelegenheitsarbeiter/innen, bis in die Zwischenkriegszeit von den neuen Versicherungssystemen ausgeschlossen. Vgl. dazu Hannes Stekl: Soziale Sicherheit für Hausgehilfen, in: Ernst Bruckmüller / Roman Sandgruber / Hannes Stekl: Soziale Sicherheit im Nachziehverfahren. Die Einbeziehung der Bauern, Landarbeiter, Gewerbetreibenden und Hausgehilfen in das System der österreichischen Sozialversicherung, Salzburg 1978, S. 174–224, hier S. 196f; Leo Verkauf: Arbeitsvertrag, in: Ernst Mischler / Josef Ulbrich (Hg.): Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, Bd. 1, Wien 21905, S. 149–187, hier S. 159. Die Gewerbeordnung definierte die Rahmenbedingungen für Arbeitsverhältnisse und gab die Richtlinie vor, wenn keine besonderen Vereinbarungen im Arbeitsvertrag z.B. über Lohn, Kündigung etc. getroffen worden waren. Alois Heilinger: Österreichisches Gewerberecht. Kommentar der Gewerbeordnung, Wien 31909, S. 515; vgl. auch Wadauer: Papers and Wages.
Neuerungen lassen sich auch an der äußeren Gestaltung, der Materialität der Dokumente festmachen. Die Wander- und Arbeitsbücher stellten ein neues, gesetzlich definiertes Format und eine neue Form von Dokumenten dar. Handwerkliche Kundschaften waren Urkunden, einzelne Blätter von großem Format, die mit Ortsansichten versehen waren. Arbeitsbücher hingegen hatten die Form kleiner Büchlein im Oktavformat. Sie umfassten 40 paraphierte Blätter, die mit einem Faden gebunden waren, dessen Ende an der inneren Seite eines steifen Einbandes mit einem Siegel der ausstellenden Behörde befestigt war. Die Zahl der Seiten war im Dokument vermerkt, so sollte das Entfernen einzelner Seiten verhindert werden. Die Arbeitsbücher beinhalteten Angaben zur Person, gegebenenfalls Reisebewilligungen und Einträge über die Arbeitsverhältnisse, auch geltende Rechtsnormen waren abgedruckt.
In manchen Büchern finden sich auch Einträge zu Unterstützungen, die der/die Inhaber/in etwa in Naturalverpflegsstationen oder von anderer Seite erhalten hatten. Ebenhoch / Pernerstorfer (Hg.): Stenographisches Protokoll, S. 742; in Hinblick auf Reisepässe etwa: Neue österreichische Pässe in’s Ausland, in: Morgen-Post 30/1 (1.1.1880), S. 3. »Außerdem sind im Arbeitsbuch die Zeugnisse des betreffenden Arbeiters in einer für ihn bequemen und guten Art vereinigt und in einer guten Weise zusammengefasst.« Abgeordneter August Einspinner (Deutscher Nationalverband), Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes (StenProt), XII. Legislaturperiode, XXI. Session, 161. Sitzung, 20.6.1913, S. 8049. Auch Heimtatscheine wurden von manchen Gemeinden mit einer Art festen Umschlag versehen. Ein Beispiel für solch ein Format stellen die Heimatscheine von Klosterneuburg oder Tulln aus der Zwischenkriegszeit da, sie sind etwa im Stadtarchiv Tulln (A213) erhalten.
In Hinblick auf die erfassten Daten zur Person zeigt sich im Vergleich verschiedener Formulare eine Tendenz zur Präzisierung und Normierung, jedoch keine radikale Änderung oder lineare Entwicklung. Die Dokumente konnten, je nach Region, ein- oder zweisprachig sein. Sie enthielten Rubriken für den Namen des Inhabers/der Inhaberin, das Geburtsjahr
Ältere Dokumente, deren Gültigkeit zeitlich stärker beschränkt war, enthalten oft nur das Alter. Beispiele für solche Dokumente sind etwa im Bestand Wiener Stadt und Landesarchiv (WStLA), Versorgungshaus Mauerbach, A6 Arbeitsbücher erhalten. Dazu etwa Karl Renner: Die Rechtsgrundlagen der Amtssprachenfrage, in: Der Kampf 1/3 (1907), S. 102–107, hier S. 106. 22. Den Kundschaften der Handwerksbursche die Persons-Beschreibung beyzurücken. Decret der vereinten Hofkanzley, vom 14. August an sämmtliche Länderstellen (1808), in: Franz des Ersten politische Gesetze und Verordnungen für die österreichischen, böhmischen und galizischen Erbländer, Bd. 31, Wien 1810, S. 34f. Nicht nach dem Anhang des Gesetzes von 1859 (RGBl. 1859/227); allerdings laut der Bestimmungen RGBl. 1860/66 über die Gültigkeit als Reisedokumente; auch die Verordnung über die Formulare für Arbeitsbücher RGBl. 1885/69 sieht ein Signalement vor. RGBl. 1863/104. Wie etwa von Ungarn berichtet wurde, vgl. Reform der Dienstbotenordnung, in: Reichspost 24/479 (16.10.1917), S. 3. Amtsblatt der k.k. Polizei-Direktion in Wien für das Jahr 1896, Nr. 100. Fahr- und Frachtpreisermäßigung für aktive Staatsbedienstete bei Reisen auf den Linien der österreichischen Privatbahnen. H. Minist. Z. 4582, in: Post, und Telegraphen-Verordnungsblatt für das Verwaltungsgebiet des k.k. Handelsministeriums, 20.2.1886, S. 3. RGBl. 1906/179. Inland, in: Wiener Zeitung 33 (11.2.1897), S. 2.
Ab 1885 sollten Arbeitsbücher auch Angaben über Schulbildung, im Fall von Minderjährigen die Einverständniserklärung des Vaters oder Vormundes und dessen Wohnadresse, eventuell auch die Zustimmung der Aufenthaltsgemeinde zum Eingehen eines Lehr- oder Arbeitsverhältnisses enthalten. In Dokumenten für Lehrlinge sollten die Konditionen der Anstellung eingetragen werden. Darüberhinausgehend, das war wohl der umstrittenste Aspekt, sahen Arbeitsbücher (wie bereits davor die Wanderbücher) eine fortlaufende Dokumentation aller Beschäftigungsverhältnisse einer Person vor. Es sollten Arbeitgeber/innen, Arbeitsort, Beschäftigung, Ein- und Austrittsdatum sowie wahrheitsgemäße, aber keine negativen Arbeitszeugnisse
Die Zeugnisse sollten wahrheitsgemäß sein, durften aber auch nicht explizit negativ ausfallen. Eine solche Bestimmung findet sich bereits in Bezug auf Kundschaften, in die aber auch eventuelle Vorstrafen eingetragen werden sollten. Bestimmungen über die Wanderbücher, in: Seiner k.k. Majestät Franz des Ersten politische Gesetze und Verordnungen für sämmtliche Provinzen des Oesterreichischen Kaiserstaates, mit Ausnahme von Ungarn und Siebenbürgen, Wien 1830, S. 283–289, hier Punkt 7, S. 286 und Punkt 12, S. 288. StenProt, VI. Legislaturperiode, IX. Session, Beilage 253, Motive, S. 112.
Arbeitsbücher konstruierten also etwas wie eine Erwerbsbiographie des gewerblichen Hilfsarbeiters/der gewerblichen Hilfsarbeiterin. Die Dokumentation der Arbeitsverhältnisse und des Erwerbsverlaufs sollte nicht nur den Arbeitgeber/innen einen Eindruck geben, sondern Arbeiter/innen als Befähigungsnachweis und zur Arbeitssuche dienen.
Ferdinand Seltsam: Die Rechte und Pflichten der gewerblichen Hilfsarbeiter (Lehrlinge, Gesellen und Fabriksarbeiter) nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung. In populärer Darstellung, Wien 1885, S. 42. StenProt, VI. Legislaturperiode, IX. Session, Beilage 253, Motive, S. 105. Isidor Ingwer: Der sogenannte Arbeitsvertrag. Eine sozialpolitische Studie, Wien o.J., S. 24f. Das Arbeitsbuch, in: Salzburger Wacht, 12/184 (16.8.1911), S. 1. Ebenhoch / Pernerstorfer (Hg.): Stenographisches Protokoll, S. 321. Z.B. Eine sozialistische Volks-Versammlung in Steyer, in: Steyrer-Zeitung 6/23 (20.3.1881), S. 2; Das Arbeitsbuch, in: Salzburger Wacht 12/184 (16.8.1911), S. 1; Arbeiter und der Regierungs-Entwurf einer neuen Gewerbe-Ordnung, in: Wiener Allgemeine Zeitung 312 (12.1.1881), S. 8. Die Berichte der Gewerbeinspektoren erschienen 1884–1901 in Wien unter dem Titel »Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit«; 1902–1916 als “Bericht der k.k. Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit”, 1920–1937 als »Bericht der Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit«. Sie stehen unter Über die Produktion und Kanonisierung sozialer Kategorisierungen durch den Staat, vgl. etwa Bourdieu: Über den Staat, S. 29, S. 33f. Vgl. Ebenhoch / Pernerstorfer (Hg.): Stenographisches Protokoll, z.B. S. 86, S. 154f, S. 209, S. 211, S. 283, S. 306, S. 391f, S. 416f; Sammlungen der Entscheidungen der k.k. Gewerbegerichte. Z.B. Gewerbegerichtsentscheidung Nr. 164 (1899), Nr. 791 (1903); Nr. 934 (1901). Adelheid Popp: Haussklavinnen. Ein Beitrag zur Lage der Dienstmädchen, Wien 1912, S. 19, S. 26, S. 30.
Auch Historiker/innen haben Arbeitsbücher weniger unter dem Aspekt der Normalisierung von Arbeitsverhältnissen denn als Instrument der Disziplinierung
Z.B. Katrin Lehnert: Die Un-Ordnung der Grenze. Mobiler Alltag zwischen Sachsen und Böhmen und die Produktion von Migration im 19. Jahrhundert, Leipzig 2017, S. 207, S. 216. David Lyon: Identifying Citizens. ID Cards as Surveillance, Cambridge 2009; Peter Becker: The Practice of Control and the Illusion of Evidence. Passport and Personal Identification in Cities of Habsburg Austria, in: Greefs / Winter (Hg.): Migration Policies, S. 217–242, hier S. 218. Z.B. Leo Lucassen: A Many-Headed Monster: The Evolution of the Passport System in the Netherlands and Germany in the Long Nineteenth Century, in: Caplan / Torpey (Hg.): Documenting Individual Identity, S. 235–255; Becker: The Practice of Control. Thorsten Keiser beschreibt eine Verschiebung von der Kontroll- zur Marktfunktion der Dokumente: Vertragszwang und Vertragsfreiheit im Recht der Arbeit von der frühen Neuzeit bis in die Moderne, Frankfurt am Main 2013; zum Arbeitsbuch vgl. auch Alessandro Stanziani: The Legal Status of Labour from the Seventeenth to the Nineteenth Century: Russia in a Comparative European Perspective, in: International Review of Social History 54/3 (2009), S. 359–389. Z.B. Kendra Brinken: Gesellschaftliche Bedeutung von Innovation, in: Birgit Blättel-Mink / Raphael Menez: Kompendium Innovationsforschung, Wiesbaden 2006, S. 21–31, hier S. 30; Holger Braun-Thürmann: Innovation, Bielefeld 2005, S. 6.
Die Statistiken des Wiener Konskriptionsamtes weisen darauf hin, dass Arbeitsbücher bis in die 1880er Jahre eigentlich nur relativ selten ausgestellt wurden (siehe Grafik 1), 1869 etwa wurden in Wien weniger als 2000 Arbeitsbücher ausgefertigt. Dies ist, auch wenn die Dokumente gültig blieben, solange Platz für Einträge vorhanden war, und Arbeiter/innen möglicherweise schon mit eigenen Dokumenten zuwanderten, doch insgesamt im Verhältnis zu geschätzt 130.000 Gehilf/innen in Wien
Josef Ehmer: Soziale Traditionen in Zeiten des Wandels. Arbeiter und Handwerker im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main, 1994, S. 255. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien für das Jahr 1901, Wien 1903, S. 68. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre 1912, S. CCIIIf und 1913, S. CLXXVf. Zwischen 1875 und 1891 wurden in Wien jährlich durchschnittlich nur rund 6.230 Dienstbotenbücher pro Jahr von der Polizei ausgestellt. Vgl. dazu: Zum Dienstbotenwesen, in: Morgen-Post, 26/28 (29.1.1876), S. 2; Zur Lage der sogenannten Dienstboten, in: Arbeiterinnen-Zeitung 1/13 (1892), S. 3f, hier S. 4; Die Polizeiverwaltung Wiens im Jahre 1878, zusammengestellt und herausgegeben von dem Präsidium der k.k. Polizeidirektion Wien 1880, S. 27. Dazu Richter: Produktion; Raffaella Sarti: Historians, Social Scientists, Servants, and Domestic Workers: Fifty Years of Research on Domestic Care Work, in: International Review of Social History 59/2 (2014), S. 279–314, hier S. 293; Dirk Hoerder / Elise van Nederveen Meerkerk / Silke Neunsinger: Towards a Global History of Domestic and Caregiving Workers, Leiden 2015. Morgenstern: Gesinderecht, S. 126.
Eine ausgezeichnete Quelle, um die Durchsetzung dieser Identitäts- und Arbeitsdokumente zu untersuchen, stellen die ab jährlich verfassten und publizierten Berichte der Gewerbeinspektoren dar.
Gewerbeinspektoren wurden 1883 etabliert. RGBl. 1883/117. Dazu auch ausführlicher Richter: Produktion, S. 55. Der Gemeindedienst stünde de lege jedem Dilettanten offen, es gebe keine Regelung der Qualifikation, so etwa ein anonymer Autor in der Zeitschrift für Verwaltung. Es würde, »für Beamte der Gemeinden keinen allgemeinen Befähigungszwang« geben, man ließe »in Gemeindediensten dieselben Geschäfte mitunter von ganz unqualifizierten Elementen verrichten«. Der Gemeindedienst und Staatsinteresse, in: Österreichische Zeitschrift für Verwaltung XLV (25.4.1912), S. 67–70, hier S. 68; Jiří Klabouch: Die Lokalverwaltung in Cisleithanien, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 2: Verwaltung und Rechtswesen, Wien 1975, S. 270–305. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1891, S. 306 und 1892, S. 394. Zum Status der Gemeinden in Cisleithanien vgl. John Deak: Forging a Multinational State: State Making in Imperial Austria from the Enlightenment to the First World War, Stanford 2015, S. 151f; Klabouch: Die Lokalverwaltung. Zum Heimatrecht vgl. Ilse Reiter: Ausgewiesen, abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in Österreich vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2000. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1891, S. 159. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1885, S. 470; 1886, S. 161. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1899, S. LVIII. Die Gemeinde-Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1905, Wien 1909, S. 427.
Grafik 1
Ausgefertigte Arbeitsbücher (Wien insgesamt, in absoluten Zahlen)
Quellen: Administrations-Bericht des Wiener Bürgermeisters für den Zeitraum vom 9. April 1861–31. Dezember 1862, Wien 1863, S. 87; für das Jahr 1863, Wien 1863, S. 131; für das Jahr 1864, Wien 1865, S. 208; für die Jahre 1865–1866, Wien 1867, S. 200; Die Gemeindeverwaltung der Reichs-Haupt- und Residenzstadt Wien in den Jahren1867–1870, Wien 1871, S. 73; in den Jahren 1871–1873, Wien 1874, S. 72; in den Jahren 1874–1876, Wien 1878, S. 80; in den Jahren 1877–1878, Wien 1881, S. 88; in den Jahren 1880–1882, Wien 1884, S. 190; Verwaltungsbericht für die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien für das Jahr 1883, Wien 1884, S. 24; für das Jahr 1884, Wien 1885, S. 27; für das Jahr 1885, Wien 1886, S. 35; für das Jahr 1886, Wien 1888, S. 32; für das Jahr 1887, Wien 1889, S. 33; für das Jahr 1888, Wien 1890, S. 32; Die Gemeindeverwaltung der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt in den Jahren 1889–1893, Wien 1895, S. 87; in den Jahren 1894–1896, Wien 1898, S. 76; für 1897, Wien 1900, S. 31; für 1898, Wien 1901, S. 38; für 1899, Wien 1902, S. 27; für 1900, Wien 1903, S. 40; für 1901, Wien 1904, S. 34; für 1902, Wien 1904, S. 37; für 1903, Wien 1905, S. 31; für 1904, Wien 1906, S. 54; für 1905, Wien 1907, S. 44; für 1906, Wien 1908, S. 42; für 1907, Wien, 1909, S. 38; für 1908, Wien, 1910, S. 50; für 1909, Wien, 1910, S. 62; für 1910, Wien, 1911, S. 54; für 1911, Wien 1912, S. 68; für 1912, Wien 1913, S. 86; für 1913, Wien 1914, S. 91; Die Gemeindeverwaltung der Stadt Wien in den Jahren 1914–1919, Wien 1923, S. 91. Diese Texte sind verfügbar unter

Trotz der gesetzlichen Vorschriften gab es also bis ins 20. Jahrhundert gleichermaßen einen Mangel und eine Überzahl an Ausweisdokumenten, darüber hinaus kursierte auch eine Vielfalt an Dokumenten, die Kontrolle und Überprüfung der Echtheit erschwerte. Obwohl die Formulare gesetzlich für alle im Reichsrat vertretenen Länder vorgeschrieben waren, gab es regionale Unterschiede in der Gestaltung. Es gab ein- und zweisprachige Formulare, die ein- oder zweisprachig und nicht immer in der/den vorgesehenen Sprache/n ausgefüllt wurden. Auch ältere Dokumente (z.B. Wanderbücher) blieben, einmal ausgestellt, in Verwendung. Das Vorgehen bei der Ausfertigung variierte. Manchmal verwiesen die Angaben auf andere Ausweisdokumente (Heimatschein, Taufschein, Lehrzeugnis), manchmal auch nicht. Gelegentlich wurden Einträge in den Dokumenten oder in den Arbeitsbuchprotokollen mit »angeblich« versehen, besonders auch während und nach dem ersten Weltkrieg, Geflüchtete besaßen oft nicht die prinzipiell geforderten Dokumente, die für die Ausstellung eines Arbeitsbuchs Voraussetzung waren.
Arbeitsbuchprotokolle sind etwa im Wiener Stadt- und Landesarchiv erhalten. WStLA, Konskriptionsamt B 10. Z.B. StA Klosterneuburg B 13–1 Arbeits- und Dienstbotenbücher-Verzeichnis für Nichtzuständige 1905–1912.
Arbeitsbücher konnten prinzipiell über viele Jahre in Verwendung bleiben. Die Personenbeschreibung stimmte dann, wie kritisiert wurde, oft nicht mehr mit dem Aussehen des Inhabers/der Inhaberin überein.
Dies sprach aus der Sicht der Kritiker gegen die Verpflichtung, solche Dokumente zu besitzen. Bericht des sozialpolitischen Ausschusses betreffend eine über Antrag des Abgeordneten Dr. Freißler im Sinne des § 33 G.O. an das Haus zu stellende Vorfrage, »ob die Regierung aufzufordern sei, eine Vorlage einzubringen, welche den Erlaß des Arbeitsbuches für erwachsene Arbeiter durch eine geeignete Legitimation vorsieht.« StenProt, XII. Legislaturperiode, XXI. Session, Beilage 1860, 1913, S. 2. Die Gemeinde-Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1904, Wien 1906, S. 404.
Bei der Umsetzung der Bestimmungen traten also viele Probleme auf, Gewerbeinspektoren stellten große regionale Unterschiede fest. Den Gemeindeverwaltungen im Galizien und der Bukowina wurde seitens der Gewerbeinspektoren gar vorgeworfen, dass sie in »überwiegender Zahl des Lesens und Schreibens und daher auch gesetzesunkundig« wären »und bureaumässig organisirten Aemtern nicht vorstehen« könnten.
Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1886, S. 418. Vgl. dazu Ernst Mischler: Gewerbeinspektion, in: Mischler / Ulbrich (Hg.): Österreichisches Staatswörterbuch, Bd. 2, Wien 1906, S. 539–549.
Jemanden ohne Arbeitsbuch einzustellen, war gesetzlich verboten. Die Vertreter von Industrie und Gewerbe insistierten auch politisch – etwa im Kontext der 1893 veranstalteten Gewerbe-Enquête – auf der Unverzichtbarkeit der Arbeitsbücher als Information über Qualifikationen, Erfahrung und Tauglichkeit, als Grundlage von Identifizierung, der Kontrolle und des »Vertrauens«.
Ebenhoch / Pernerstorfer (Hg.): Stenographisches Protokoll. Z.B. die Berichte der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1889, S. 327; 1891, S. 18f; 1893, S. 9, S. 22f; 1909, S. CXXff; 1910, S. CXXXIXff etc. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1913, S. CLXXVf. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1889, S. 85. Vgl. Richter: Produktion, Kapitel 4.
Zum Teil wurden gesetzliche Regelungen ignoriert, staatliche Eingriffe und Kontrollen offensichtlich boykottiert und hintertrieben, zum Teil schienen die Vorgaben auch den Strukturen betrieblicher oder genossenschaftlicher Verwaltungen zu widerlaufen.
Arbeitgeber/innen erschwerten – absichtlich oder unabsichtlich – die Kontrolle der Arbeitsbücher seitens der Gewerbeinspektoren indem sie die Dokumente am falschen Ort verwahrten, sie übergaben sie oft auch der Genossenschaft oder der Gemeinde, es wird von Verlust, Zerstörung und Verwechslungen berichtet. Die Gewerbegenossenschaften beharrten immer wieder darauf, die Arbeitsbücher an Stelle der Arbeitgeber/innen zu verwahren oder insistierten auf der Verwendung eigener Dokumente, die ihnen die Kontrolle der Arbeitsvermittlung, der Genossenschafts-Zugehörigkeit und damit verbundener Anspruchsberechtigungen erleichtern sollten. Bericht der k.k. Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre 1908, S. CXXXIIf. Zum Arbeitsbuch im Zusammenhang mit Kontraktbruch vgl. Wadauer: Contracts under Duress. Vgl. Dazu Ingwer: Arbeitsvertrag, S. 17. Diesen Ausdruck verwendet Stöger in Bezug auf die Nicht-Errichtung vorgeschriebener genossenschaftlicher Krankenkassen. Otto Stöger: Arbeiterkrankenversicherung, in: Mischler / Ulbrich (Hg.): Österreichisches Staatswörterbuch, Bd. 1, Wien (2. Auflage) 1905, S. 226–262, hier S. 228.
In der zeitgenössischen Literatur finden sich auch Schilderungen der Probleme aus Sicht der Arbeiterschaft. In vielen Berichten werden Abhängigkeit und existenzielle Bedrohung sowie ein grundlegendes Misstrauen der Arbeiter/innen gegenüber Arbeitgeber/innen deutlich. Mit der Durchsetzung der Dokumente nahm die Möglichkeit der missbräuchlichen Verwendung seitens der Arbeitgeber/innen zu. Dazu waren nicht einmal die vieldiskutierten Zinken, negative Arbeitszeugnisse oder fehlendes explizites Lob notwendig. Schon die Dokumentation des Erwerbsverlaufs für sich erschien als unzulässige Kontrolle und gab den/die Arbeiter/in der willkürlichen Interpretation ihrer Arbeit preis.
Vgl. dazu Isidor Ingwer: Die Rechtsstreitigkeiten vor dem Gewerbegerichte, Wien 1899, 201f; Rudolf Brichta: Das Dienstzeugnis. Eine gewerbepolitische Studie, in: Juristische Blätter XXXV/10 (1906), S. 109–112. Wenzel Holek: Lebensgang eines deutsch-tschechischen Handarbeiters. Mit einem Vorwort herausgegeben von Paul Göhre, Jena 1909, S. 248; Alfons Petzold: Das rauhe Leben. Der Roman eines Menschen, Berlin 1920, S. 271, S. 304, S. 307, S. 332f. Vgl. dazu Sigrid Wadauer: Der Arbeit nachgehen? Auseinandersetzungen um Lebensunterhalt und Mobilität (Österreich 1880–1938), Wien 2021, Kapitel II. 1. Ingwer: Arbeitsvertrag, S. 26. Sammlungen der Entscheidungen der k.k. Gewerbegerichte, Wien 1900–1920.
Korrekte/vorteilhafte Kategorisierung der Tätigkeit, die Dokumentation der ordnungsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, der Nachweis berufsspezifischer Erfahrung war von Bedeutung, wenn es darum ging, eine gleichwertige oder bessere Anstellung zu finden oder das Meisterrecht zu erwerben. Die Kategorisierung und Registrierung von Erwerbsverhältnissen war auch in Hinblick auf neu etablierte Versicherungsleistungen relevant. Dementsprechend wurde über Einträge zu Beruf und Beschäftigung, über Form und Formulierungen der Zeugnisse gestritten. (Siehe Grafik 2 und 3) In dieser Hinsicht waren die Dokumente für Ihre Besitzer wertvoll.
Allerdings sahen nicht alle Arbeiter/innen die Möglichkeit einer beruflichen Verbesserung. Auch die mit dem Status des gewerblichen Hilfsarbeiters/der Hilfsarbeiterin verknüpften rechtlichen Rahmenbedingungen oder Versicherungsansprüche wurden nicht zwangsläufig als Fortschritt und Vorteil betrachtet. Kranken- und Unfallkassen hieß es etwa in den Beschlüssen des ersten Parteitags der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1888, würden die Kosten der Unterstützung von den Gemeinden auf die Arbeiter/innen übertragen, die Möglichkeiten der Mitsprache wären gering.
Verhandlungen des Parteitages der österreichischen Sozialdemokratie in Hainfeld, hg. von Julius Popp / G. Häfner, Wien 1889, S. 49 ff. Zum Beispiel Julius Deutsch: Ein weiter Weg. Lebenserinnerungen, Zürich 1960, S. 49; Holek: Lebensgang, S. 248. Ingwer: Arbeitsvertrag, S. 25f; Die Indolenz gegenüber der Abschaffung wird auch in einem Artikel der Arbeiterinnen-Zeitung thematisiert: Die Modistin am Weg zur Arbeit, in: Arbeiterinnen-Zeitung 28/8 (15.4.1919), S. 5.
Grafik 2
Gewerbeinspektorate – Anzeigen in absoluten Zahlen
Die absoluten Zahlen der Anzeigen auf Grund des Gewerbe-Inspektorats-Gesetzes bzw. der Gewerbeordnung war insgesamt, gemessen an der Zahl der inspizierten Betriebe, sehr gering. Die Zahl der Anzeigen wegen Aufnahme ohne Arbeitsbuch schwankte zwischen 90 und 200/Jahr, dies waren aber immerhin bis zu 28,5% aller Anzeigen. Mit der Etablierung von Gewerbegerichten wurden diese die primäre Anlaufstelle für solche Konflikte. Angaben über Anzeigen, Beschwerden und Parteienverkehr in den Berichten der (k.k.) Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit: für das Jahr 1894, S. 6f; 1895, S. 4f; 1896, S. XXIVf; 1897, S. XXIIIf; 1898, S. XXf; 1899, S. XXXVIf; 1900, S. XXIVf; 1901, S. XLXf, S. LIIf; 1902, S. 74–79; 1903, Tabelle A, S. 56f; 1904, Tabelle A, S. LIV; 1905, Tabelle A, S. LXVII; 1906, S. LXXII, S. LXXVIf; 1907, S. LXXVIIIf, S. LXXXIIf; 1908, S. LXVIII, S. LXXIVf; 1909, S. Lf, S. LIVf; 1910, S. LVI–LIX; 1911, S. LXXIV–LXXVII; 1912, S. CII–CV; 1913, S. XlI, S. LII–LVI; 1914, S. LIV–LIX; 1915, S. XLVI–XLIX, S. LIIIf; 1916, S. LX–LIII, S. LVIIIf; 1919, S. LXIVff; 1920, S. XXVIII–XXXI; 1921, S. XXIV–XXXVII, S. XXX; 1923, S. 26–31; 1924, S. 26–31; 1925, S. XX–XIII.

Grafik 3
Zahl der Streitfälle vor den Wiener Gewerbegerichten das Aushändigen oder den Inhalt des Arbeitsbuches (oder Zeugnisses) betreffend
Quelle: Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1898–1914 (Gewerblich Angelegenheiten, Gewerbliche Gerichte), verfügbar unter

Die Durchsetzung von Arbeitsbüchern begegnete somit zahlreichen Schwierigkeiten: fehlende Klarheit der gesetzlichen Bestimmungen, uneinheitliches, nicht unbedingt regelkonformes, dem Weberschen Idealtypus der Bürokratie entsprechendes Agieren der involvierten Gemeindebehörden und Körperschaften, Widersetzlichkeit oder Widerstand seitens der Arbeiterschaft sowie pragmatisches Agieren, Mängel betrieblicher Verwaltung und unterschiedlichste Gesetzesverstöße seitens der Arbeitgeber/innen. Arbeitsbücher waren für viele Zwecke benutzbar, es gab auch viele Möglichkeiten, sie zu vermeiden. Wenn die Einführung von Arbeitsbüchern als Innovation amtlicher Arbeits- und Identitätsdokumente begriffen werden soll, so wurde diese mit eher mäßigem Erfolg realisiert.
Nicht nur die Einführung, sondern auch die Abschaffung der Dokumente erwies sich als eher langwierig. Sozialdemokratische Abgeordnete brachten dazu wiederholt Anträge zur ersatzlosen Abschaffung im Abgeordnetenhaus des Reichstags ein. Sie führten eine ganze Reihe an Argumenten ins Treffen und bezeichneten dies als Schritt der Modernisierung, der nicht bloß Arbeiter/innen sondern Antrag des Abgeordneten Smitka, Palme und Genossen, betreffend die Beseitigung der Arbeitsbücher (Entlaßscheine, Seedienstbücher). StenProt, XII. Legislaturperiode, XXI. Session, Beilage 70, 1911, S. 1. Antrag des Abgeordneten Smitka, S. 2. Antrag des Abgeordneten Smitka, S. 3. Abgeordneter Seitz, StenProt, XII. Legislaturperiode, XXI. Session, 161. Sitzung, 20.6.1913, S. 8056f.
Bereits 1902 empfahl der Arbeitsbeirat des Abgeordnetenhauses die Abschaffung von Arbeitsbüchern.
Im Zusammenhang mit den Arbeitsverträgen im Eisenbahnbau. Vgl. Antrag des Abgeordneten Smitka, S. 3. Ebenhoch / Pernerstorfer (Hg.): Stenographisches Protokoll, S. 144. Ein solches Kooperieren von Arbeitgebern und Arbeitnehmern war nicht völlig neu, es findet sich schon in Einrichtungen von Genossenschaften oder den Gewerbegerichten. Vgl. dazu Gerald Stourzh: Zur Institutionengeschichte der Arbeitsbeziehungen und der sozialen Sicherung. Eine Einführung, in: Gerald Stourzh / Margarete Grandner (Hg.): Historische Wurzeln der Sozialpartnerschaft, Wien 1986, S. 13–37; Ingwer: Die Rechtsstreitigkeiten, S. 247. Bericht des sozialpolitischen Ausschusses betreffend eine über Antrag des Abgeordneten Dr. Freißler im Sinne des § 33 G.O. an das Haus zu stellende Vorfrage, »ob die Regierung aufzufordern sei, eine Vorlage einzubringen, welche den Erlaß des Arbeitsbuches für erwachsene Arbeiter durch eine geeignete Legitimation vorsieht«. StenProt, XII. Legislaturperiode, XXI. Session, Beilage 1860, 1913, S. 3; Sitzungs-Protokolle des ständigen Arbeitsbeitrates. 1913 und 1914. (33. bis 35. Sitzung), Wien 1914, 34. Sitzung, S. 96. Arbeitsbeirat, 34. Sitzung, S. 96. Abgeordneter Hummer, StenProt, XII. Legislaturperiode, XXI. Session, 161. Sitzung, 20.6.1913, S. 8059. Ein Regierungsvertreter habe überraschenderweise sogar angegeben, man würde sich durch Argumente überzeugen lassen. Allerdings beharrte man auf der Beibehaltung von Entlaßscheinen und Seedienstbüchern. Arbeitsbeirat, 34. Sitzung, S. 97 und S. 94. Abgeordneter Hanusch, StenProt der provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich, Bd. 1, I. Session, 15. Sitzung am 25.1.1919, S. 553. (Dafür spricht auch die geringe Zahl der Anzeigen in dieser Zeit, vgl. Grafik 2). StGBl. 1919/42. Zur Entwicklung der Sozialgesetzgebung vgl. Emmerich Tálos / Karl Wörister: Soziale Sicherung im Sozialstaat Österreich. Entwicklung – Herausforderungen – Strukturen, Baden-Baden 1994.
Ersetzt wurden Arbeitsbücher durch Ausweiskarten, die lediglich den Charakter als gewerblicher Hilfsarbeiter/in bestätigten und nicht mehr dem/der Arbeitgeber/in ausgehändigt werden mussten.
StGBl. 1919/106. Zur Ausfertigung dieser Dokumente, die für Inund Ausländer/innen ausgestellt wurden, war eine Bestätigung des Dienstgebers über die Verwendung, ein Meldezettel und ein Ausweisdokument erforderlich. Konnte der/die Hilfsarbeiter/in Alter oder Heimatrecht nicht durch Dokumente bestätigen, so wurden diese Angaben mit dem Vermerk »laut Angabe« versehen. BGBl. 1928/45, § 1. Nun konnte, wenn trotz der vorgelegten Dokumente ein Zweifel an der Identität bestand, auch ein Zeuge zur Beglaubigung verlangt werden. Die Beschäftigung war nun nur mehr auf Verlangen einzutragen. Auch der Wohnort zur Zeit der Ausstellung war nun anzugeben. StGBl. 1920/101 § 26; StGBl. 1920/144; BGBl. 1926/72. Z.B. für Niederösterreich: NÖ LGBl. 1936/37. Z.B. für Niederösterreich: NÖ LGBl. 1936/37.
Zu den neuen Ausweiskarten für gewerbliche Hilfsarbeiter(innen) ist bemerkenswert wenig in den Quellen zu finden, in der zeitgenössischen Presse wurden sie kaum erwähnt, anders als Arbeitsbücher scheinen sie kaum archivwürdig gewesen zu sein. Mit dem Wegfall der Bezeichnung »Arbeitsbuch«, mit der Separierung der Arbeitszeugnisse und damit, dass sie im Besitz des/der Arbeiter/in verblieben, scheinen die Arbeitsund Identitätsdokumente ihre disziplinierenden, schädlichen und »odiosen« Aspekte tatsächlich eingebüßt zu haben. Allerdings verschwanden Arbeitsbücher mit der gesetzlichen Abschaffung nicht schlagartig. 1919 berichten die Gewerbeinspektoren aus den Aufsichtsbezirken Linz und St. Pölten, dass Arbeiter/innen dieser »Neuerung« »vielfach mit Gleichgültigkeit« begegneten.
30.10.1939, DRGBL. I S. 2180; Stefanie Werner / Harald Degner / Mark Adamo: Hitlers gläserne Arbeitskräfte. Das Arbeitsbuch als Quelle von Mikrodaten für die historische Arbeitsmarktforschung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 52/2 (2011), S. 175–192; Karsten Linne: Von der Arbeitsvermittlung zum »Arbeitseinsatz«. Zum Wandel der Arbeitsverwaltung 1933–1945, in: Marc Buggeln / Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, Berlin 2014, S. 53–70. Bericht der Gewerbe-Inspektoren Österreichs über ihre Amtstätigkeit im Jahre 1919, S. CXXIIf. Z.B. Bundesgesetz vom 11. Juli 1923 über die Wahlordnung zum Nationalrat, BGBl. 1923/367, § 59. Etwa: Bekanntmachung, in: Österreichische Buchdrucker-Zeitung 47/25 (11.12.1919), S. 1. Vgl. dazu Josef Gutmann: Die Wiedereinführung der Dienstbotenbücher, in: Öffentliche Sicherheit, 14/7 (1934), S. 28.
Veränderungen und Innovationen sind stets auch eine Frage der Interpretation, der Auseinandersetzung und des Konsenses. Arbeitsbücher waren amtliche Dokumente mit diversen Funktionen, ihre Benutzung implizierte ein Interaktionsprogramm, das Behörden, Arbeitgeber/innen und Arbeiter/innen in Kontakt brachte und in Beziehung setzte. An ihnen lassen sich durchaus Aspekte der Neuerung feststellen: die klarere Normierung staatlicherseits etwa (vom Personenkreis über die administrative Zuständigkeit bis hin zur Gestaltung), oder ihr Bezug auf die für ganz Cisleithanien geltende Gewerbe- und Arbeitsgesetzgebung, die dadurch vollzogene Formalisierung und Dokumentierung von Arbeitsverhältnissen.
Vgl. Bundesgesetz vom 11. Juli 1974 über die Anpassung von Bundesgesetzen an das Strafgesetzbuch, BGBl. 1974/422 (Strafanpassungsgesetz), Artikel XI, Abs. 2, 6 und 8. Ich habe an anderer Stelle Arbeits- und Dienstbotenbücher unter anderen Perspektiven und Fragestellungen diskutiert und auch verglichen und dabei etwa Fragen von Sicherheit, Zwang oder die (häufig geschlechterspezifischen) Arbeitsverhältnisse in den Mittelpunkt gestellt, siehe Fußnote 11. Kendra Briken: Gesellschaftliche (Be-)Deutung von Innovation, in: Birgit Blättel-Mink / Raphael Menez: Kompendium der Innovationsforschung, S. 21–31, hier S. 30.
Die Benutzbarkeit und Vermeidbarkeit der Dokumente für alle involvierten Parteien waren nicht bloß Hindernis für die konsequente Etablierung der Dokumente, sie erschwerten auch ihre Abschaffung. Letztlich gelang es der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung (als moralisch/politischem Entrepreneur,
Stephan Gruber: Ununterbrochene Evidenz. K.K. Polizeibehörden und die Dokumentation von Identitäten 1782–1867, unpublizierte Dissertation, Universität Wien 2013.
Grafik 1

Grafik 2

Grafik 3

Inhalt The Logic of Simplifying Public Administration in Hungary, 1900–1910 »A stupid dread of innovation«: Wandel, Zeitlichkeit und das Problem der Innovation in frühneuzeitlichen Verwaltungen M-Government: Recht und Organisation mobilen Verwaltens Antonio Serra, Early Modern Political Economist: From Good Government as Individual Behavior to Good Government as Practical Policy An Unbound Prometheus? Bureaucracy, Technology, Technocracy, and Administrative Innovation The Motives for and Consequences of the Introduction of Typewriters and Word Processing in the British Civil Service Die Gestaltung von Wandel und Innovation im Mehrebenensystem der Militärverwaltung Österreich-Ungarns um 1900 Innovation durch Technik? Rohrpostsysteme als Medientechnologien der Verwaltung im 20. Jahrhundert »Typewriting Medicine« – Bürotechnologische Innovationen und klinische Verwaltung am Beispiel der Charité Berlin, 1890–1932 Assessment as innovation: The case of the French administration in the nineteenth century Bürokratie, Wandel und Innovation – verwaltungshistorische Perspektiven McKinsey auf der Hardthöhe: Unternehmensberater im Bundesministerium der Verteidigung 1981/82 Ein neues Gedächtnis für die Verwaltung: born digitals und die Wissenschaft. Ein TagungsberichtEinführung und/oder Abschaffung von Arbeitsbüchern als Innovation. 1 The Only Game in Town? New Steering Models as Spaces of Contestation in 1990s Public Administration