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Vom unwilligen, unfähigen Schulzen zum kompetenten Bürgermeister?


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Wer nun Bürgermeister sei, Ist mir so ziemlich einerlei, Nur soll er im Gewissen rein, Vernünftig, treu und ehrlich sein, Soll redlich denken, menschlich fühlen, G’en Bürger nicht den Großhans spielen, Soll Ordnung lieben, Tugend pflegen, Nicht Feindschaft schüren, Lumpen hegen, Soll sorgen, sparen insgemein, Und Jedem Freund und Vater sein, Verträglich, freundlich, gutgesinnt, Wie wack’re Bürgermeister sind.

Franz X. Wagner: Bürgermeisterbüchlein, das ist Wegweiser und Rathgeber für Landbürgermeister und solche, die es werden wollen, sowie für deren Wähler, Kempten 31893, S. 13f.

So formulierte der Geistliche Franz X. Wagner im späten 19. Jahrhundert die Anforderungen, die an einen Landbürgermeister in Bayern (angeblich) gestellt wurden.

Für Diskussionen, Hinweise, Korrekturen und Kritik danke ich den Organisatoren, Mitwirkenden und Diskutant/inn/en des Panels »Raum und Staat« beim Österreichischen Historikertag in Linz im September 2015, außerdem dem/r Gutachter/in von Administory sowie Thomas Etzemüller, David Kuchenbuch, Eva Külkens und Timo Luks.

Aus dieser Schilderung, die Wagner noch dazu einem ›einfachen Gemeindemitglied‹ in den Mund legte, könnte man schlussfolgern, dass jeder charakterlich einigermaßen gefestigte Mann problemlos das Amt des Bürgermeisters zur Zufriedenheit aller ausfüllen und dabei gleichzeitig »Freund und Vater« für alle Gemeindemitglieder sein konnte. Es ist charakteristisch, dass dies die Haltung eines Geistlichen war, denn die staatliche Bürokratie, zum Teil auch die Dorfbewohner im 19. Jahrhundert sahen das häufig anders. In ihren Augen genügte kaum jemals ein ländlicher Gemeindevorsteher den Anforderungen, die das Amt an ihn stellte, nämlich als sprichwörtliches ›kleinstes Rädchen‹ im Getriebe des Staates zu funktionieren.

Patrick Wagner: Bauern, Junker und Beamte. Lokale Herrschaft und Partizipation im Ostelbien des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2005, S. 93. Wagner nennt diese Beobachtung durch die Bürokratie »die Fiktion eines mit der Einsicht in diese Zusammenhänge intellektuell überforderten Bauern«.

Dabei waren die Aufgaben, die ein Gemeindevorsteher im Alltag zu erfüllen hatte, einzeln besehen meist die einfachsten Verwaltungsschritte; erst in einen größeren Kontext gestellt wird deutlich, wie wenig trivial sie sich für die Amtsinhaber tatsächlich gestalteten. Denn sie waren maßgeblich mit dem Prozess der Herrschaftsverdichtung verbunden, der für die Geschichte des Staates seit der ausgehenden Frühen Neuzeit von besonderer Bedeutung ist und im 19. Jahrhundert besondere Dynamik entfaltete.

Zur Expansion der Staatsgewalt vgl. Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 32002. ›Herrschaftsverdichtung‹ dient dabei als Begriff, um den Staat als Ergebnis dieses Prozesses nicht zu sehr an den Anfang zu stellen, sondern die vielfältigen Übergangsformen genauer in den Blick zu nehmen, wie es beispielsweise Stefan Brakensiek vorschlägt; Stefan Brakensiek: »Verwaltungsgeschichte als Alltagsgeschichte. Zum Finanzgebaren frühneuzeitlicher Amtsträger im Spannungsfeld zwischen Stabsdisziplinierung und Mitunternehmerschaft«, in: Michael Hochedlinger / Thomas Winkelbauer (Hg.): Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung. Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit, Wien 2010, S. 271–290, hier S. 290. Zur besonderen Dynamik moderner Staatlichkeit seit 1850 vgl. Charles S. Maier: »Leviathan 2.0. Die Erfindung moderner Staatlichkeit«, in: Emily S. Rosenberg (Hg.): Geschichte der Welt, Bd. 5: 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege, München 2012, S. 34–286.

Ergebnis dieses lang andauernden Prozesses war in Mitteleuropa ein moderner Staat mit einem staatlichen Territorium, der Einfluss auf viele, wenn nicht sogar alle Bereiche des menschlichen Lebens hatte.

Wolfgang Reinhard stellt die Kontingenz dieses Prozesses besonders heraus; es handle sich nicht um den natürlichen Schlusspunkt einer Normalentwicklung, sondern um eine historische Einzigartigkeit, für die viele Faktoren zusammenkommen mussten; Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt, S. 16.

Diese Staatsentwicklung ist lange Zeit als eine Expansion von oben nach unten, vom Zentrum in die Peripherie, dargestellt worden, doch immer mehr Forschungsarbeiten haben auf die Bedeutung der Interaktion zwischen staatlichen und lokalen Akteuren für den Wandel von Herrschaft und Staat hingewiesen. Asymmetrische Aushandlungsprozesse, Konflikte und Kooperationen prägten diesen Prozess; dabei kam den Akteuren in der Peripherie eine große Bedeutung zu, denn ihr Verhalten zwischen Akzeptanz und Widerstand entschied mit über Erfolg und Misserfolg staatlicher Expansionsprozesse.

Thomas Ellwein bezeichnet die Entstehung des Staats im 19. Jahrhundert in Ostwestfalen-Lippe als »zähes Ringen« lokaler, regionaler und staatlicher Akteure; Thomas Ellwein: Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungsentwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen-Lippe, Bd. 1: Die öffentliche Verwaltung in der Monarchie 1815–1918, Opladen 1993, S. 238. Siehe zudem die Ausführungen in der Einleitung dieses Bandes sowie Jörg Ganzenmüller / Tatjana Tönsmeyer: »Einleitung: Vom Vorrücken des Staates in die Fläche. Ein europäisches Phänomen des langen 19. Jahrhunderts«, in: Jörg Ganzenmüller / Tatjana Tönsmeyer (Hg.): Vom Vorrücken des Staates in die Fläche. Ein europäisches Phänomen des langen 19. Jahrhunderts, Köln 2016, S. 7–31 (jeweils mit weiterer Literatur).

Im ländlichen Raum spielten Vermittler zwischen der professionalisierten Administration und den agrarischen Lebenswelten eine große Rolle. Das waren häufig die lokalen Unterbeamten wie Amtmänner, Landräte oder sonstige Funktionsträger, die sowohl den einen wie auch den anderen Interaktionszusammenhang kannten und entsprechend zwischen den verschiedenen Welten vermitteln konnten – wenn auch unter erheblichen Anstrengungen.

Stefan Brakensiek: Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger. Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten in niederhessischen Kleinstädten (1750–1830), Göttingen 1999.

Aber auch die ehrenamtlichen Gemeindevorsteher, Bürgermeister oder Schulzen,

Je nach Gemeindeordnung wurden die Vorsteher der Landgemeinden unterschiedlich genannt; erst im 20. Jahrhundert setzte sich in Deutschland die Bezeichnung ›Bürgermeister‹ auch für die Vorsteher von Landgemeinden endgültig durch.

die staatliche Funktionen übernahmen, prägten den Prozess der Staatsexpansion mit.

Ausführlich dazu Patrick Wagner: »Landräte, Gutsbesitzer, Dorfschulzen. Zum Wandel der ›Basisposten‹ preußischer Staatlichkeit in Ostelbien im 19. Jahrhundert«, in: Bärbel Holtz / Hartwin Spenkuch (Hg.): Preußens Weg in die politische Moderne. Verfassung – Verwaltung – politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade, Berlin 2001, S. 249–283; Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 111–157.

Sie waren für die meisten Dorfbewohner der alltäglichste Kontakt in Verwaltungsdingen, lokale Vertreter der Obrigkeit und im Idealfall Türöffner für weitere Kontakte mit administrativen Stellen.

Darüber hinaus waren sie auch noch häufig Vertreter der lokalen ökonomischen Elite; Gunter Mahlerwein: Die Herren im Dorf. Bäuerliche Oberschicht und ländliche Elitenbildung in Rheinhessen (1700–1850), Mainz 2001. Allerdings gibt es für die deutschen Staaten keine systematische Untersuchung über die soziale Herkunft, den Bildungsstand und die ökonomische Stellung der Bürgermeister. In Frankreich wurde dagegen bereits in den 1980er Jahren ein großes, vor allem prosopografisch orientiertes Forschungsprojekt durchgeführt; Jocelyne George: Histoire des maires de 1789 á 1939, Paris 1989; Maurice Agulhon et al.: Les Maires en France du Consulat á nos jours, Paris 1986. Siehe dazu die Relektüre von Bettina Severin-Barboutie in diesem Band.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts nahmen die Anforderungen an die Gemeindevorsteher sowohl quantitativ als auch qualitativ weiter zu. Das hatte vor allem damit zu tun, dass sich die Zwitterposition, die die Gemeindevorsteher zwischen der lokalen, zunehmend sozial fragmentierten Agrargesellschaft und der staatlichen Bürokratie einnehmen mussten, immer weiter ausprägte. Die rein rechtlichen Veränderungen durch Agrar- und ländliche Gemeindereformen bewirkten keineswegs, dass die Gemeindevorsteher problemlos dieser gesteigerten Komplexität gewachsen waren.

An diesem Problem setzt dieser Aufsatz an und fragt, wie, wann und wodurch sich die »Verhaltenslehren«

Zum Begriff vgl. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt am Main 1994. Den Ansatz, mit dem Begriff der Verhaltenslehren die Genese staatlicher Positionierungen zu greifen, übernehme ich von Timo Luks: Der Dienst der Polizei. Eine Sozial- und Alltagsgeschichte bayerischer Polizeidiener im neunzehnten Jahrhundert, unpublizierte Habilitationsschrift, TU Chemnitz 2017.

eines ländlichen Gemeindevorstehers so ausdifferenzierten und verbreiteten, dass sie tatsächlich Anleitungscharakter bekamen, dass also Gemeindevorsteher in die Lage versetzt wurden, die komplexen Anforderungen, die an sie gestellt wurden, zumindest einigermaßen zu erfüllen.

Vgl. Christine Mayr: Zwischen Dorf und Staat. Amtspraxis und Amtsstil französischer, luxemburgischer und deutscher Landgemeindebürgermeister im 19. Jahrhundert. Ein mikrohistorischer Vergleich, Frankfurt am Main 2006.

Zudem wird der Frage nachgegangen, wie die Rolle des Gemeindevorstehers zwischen Staatlichkeit und lokaler Agrargesellschaft ausbuchstabiert wurde. Wie wurden die Gemeindevorsteher zu kompetenten »Mitspielern«

Der Begriff des ›Mitspielens‹ verweist darauf, dass zumindest die Anregungen für diesen Aufsatz, wenn auch nicht die komplette Durchführung der Untersuchung, an den Überlegungen zur Subjektivierung orientiert ist, wie sie interdisziplinär am Oldenburger Graduiertenkolleg »Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive« angestellt werden. Zur Metapher des ›Mitspielens‹ in diesem theoretischen Kontext vgl. Thomas Alkemeyer / Gunilla Budde / Dagmar Freist: »Einleitung«, in: Thomas Alkemeyer / Gunilla Budde / Dagmar Freist (Hg.): SelbstBildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, Bielefeld 2013, S. 9–30, hier S. 18.

zwischen Dorf und Staat?

Damit schließt dieser Aufsatz an viele Überlegungen an, die etwa im Trierer Forschungsprojekt zum »Staat im Dorf« formuliert worden sind; vgl. Norbert Franz / Bernd-Stefan Grewe / Michael Knauff (Hg.): Landgemeinden im Übergang zum modernen Staat. Vergleichende Mikrostudien im linksrheinischen Raum, Mainz 1999.

Welche Anforderungen wurden an sie gestellt, wie wurden diese Anforderungen an die Gemeindevorsteher kommuniziert, und welche Möglichkeiten hatten sie, sich diesen Erwartungen gegenüber zu verhalten?

Damit frage ich auch nach dem Verhältnis von Staat und Raum im 19. Jahrhundert, genauer gesagt nach der Rolle, die die Gemeindevorsteher als Verbindungsglieder zwischen staatlichen (administrativen) Räumen und lokalen, gemeindlichen Räumen spielten, wie sie möglicherweise dazu beitrugen, die beiden Raumtypen miteinander zu harmonisieren beziehungsweise zu verknüpfen. Dabei gehe ich davon aus, dass Räume vor allem sozial geprägt waren, also ihren spezifischen Charakter nicht zuletzt durch die hier ausgeübten sozialen Praktiken erhielten. Geht man davon aus, dass die sich wandelnden Staaten im 19. Jahrhundert immer mehr in die Fläche, in die Peripherie ausgriffen, bedeutet das entsprechend auch, dass staatliche, in diesem Fall vor allem bürokratische Praktiken im lokalen Raum immer häufiger, immer selbstverständlicher wurden. Dies passierte nicht von selbst, sondern war Ergebnis von Aneignungsund Lernprozessen, die hier am Beispiel der Gemeindevorsteher analysiert werden. Wurden die Gemeindevorsteher in einem staatlichen oder in einem davon unterschiedenen gemeindlichen Raum verortet? Wie verorteten sie sich selbst? Wurden Verhaltensanforderungen an sie gestellt, die genauso in staatlichen Räumen, etwa der Bürokratie, die Norm waren? Diese Fragen ermöglichen es, Informationen darüber zu erlangen, ob der Staat die Dörfer zunehmend durchdrang oder ob Landgemeinden als differente Räume geschaffen wurden oder erhalten blieben.

Die Untersuchung nimmt diese Lern- und Verstaatlichungsprozesse in zwei deutschen Teilstaaten, Preußen und Bayern, in den Blick, die gerade für das 19. Jahrhundert oft als Kontrastfälle behandelt worden sind.

Zur staatlichen Herrschaftspraxis vgl. Marita Krauss: Herrschaftspraxis in Bayern und Preußen im 19. Jahrhundert. Ein historischer Vergleich, Frankfurt am Main 1997. Zu den verfassungsrechtlichen Unterschieden zwischen Preußen und den Rheinbundstaaten (hier vor allem Bayern) im Zeitalter der Reformen Paul Nolte: Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800–1820, Frankfurt am Main 1990.

Ein wirklich symmetrischer Vergleich der beiden Staaten ist jedoch schwierig: Zu unterschiedlich sind die Chronologien der Gemeindegeschichte, die rechtlichen Rahmenbedingungen, aber auch die Quellenbestände, auf die zurückgegriffen werden kann, während sich manche Problemdiagnosen doch sehr ähnelten. Das rechtsrheinische Bayern hatte seit 1818 bereits eine Kommunalverfassung, die den Landgemeinden Selbstverwaltungsbefugnisse – wenn auch stark überwachte – übertrug; im ostelbischen Preußen und damit in der Provinz Brandenburg, die hier im Zentrum des Interesses steht, wurde erst 1891 eine einheitliche Landgemeindeordnung eingeführt. Die Provinz Brandenburg war vor allem durch eine enorme Heterogenität der Gemeindeverhältnisse geprägt. Während die Umlandgemeinden der Hauptstadt Berlin häufig noch nach landgemeindlichem Recht verwaltet wurden, hatten sie doch oft bereits sehr urbanen Charakter angenommen oder waren zumindest in einem Übergang zur Suburbanisierung begriffen, was zu erheblichen inneren und äußeren Spannungen führte. Jenseits der großen Stadt jedoch existierten weiterhin viele sehr kleine Gemeinden, die über kaum eine Handvoll wahlberechtigte Grundbesitzer verfügten. Dazu kamen die selbstständigen Gutsbezirke, die für diesen Aufsatz keine Rolle spielen, da es keine Gemeindevorsteher gab, sondern alle gemeindlichen Rechte und Pflichten vom Gutsherrn übernommen wurden. Diese Heterogenität spiegelt sich in den Aufsichtsakten und den hier herangezogenen Beispielen stark wider, während Bayern, vor allem Oberbayern, insgesamt noch deutlich ländlicher geprägt war. Hier waren auch die Diskrepanzen zwischen Großgrundbesitz und Kleinbesitz längst nicht so scharf ausgeprägt wie im ostelbischen Preußen.

Dennoch wird hier der Versuch eines Vergleichs gemacht, der nicht dazu dienen soll, zwei Staaten als solche zu kontrastieren, sondern relevante Faktoren ausfindig zu machen, die die Rolle der Gemeindevorsteher für das Verhältnis von Staat und Gemeinde betrafen. Im Folgenden wird der Fokus der Untersuchung für beide Staaten auf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegen, als sich die kommunalen Strukturen langsam aneinander anzugleichen begannen; dennoch blieben, wie ich im Weiteren ausführen werde, die Verhältnisse zwischen staatlichem Zentrum und Peripherie in Bezug auf die Landgemeinden recht unterschiedlich.

Das verwendete Quellenmaterial ist heterogen; die Quellen, die die bürokratische Perspektive privilegieren, sind deutlich in der Überzahl. Vor allem für die preußische Provinz Brandenburg gibt es eine Vielzahl von Aufsichtsakten der Provinzregierung und der Landkreise, die Aufschluss über die administrative Problematisierung der Gemeindevorsteher sowie die Interaktionen zwischen den Vorstehern und den vorgesetzten Behörden geben. Zusätzlich bieten sich gedruckte Quellen für die Untersuchung an; neben den Gesetzestexten und Ausführungsbestimmungen, die den Rahmen der lokalen Verwaltung festlegten, ist eine Vielzahl von Hilfsmitteln für die Bürgermeister überliefert: Amtsblätter und Verbandszeitschriften, Instruktionsbücher und Ähnliches, die einen Einblick in die Normen und Anforderungen geben, die den Gemeindevorstehern gegenüber formuliert wurden. Diese Instruktionen unterschiedlicher Art sind insofern hilfreich, als sie auf unterschiedlichen Ebenen ausgewertet werden können: Sie dienen der Aufklärung von Problemdiagnosen seitens der Autoren, sie waren Medien der Wissensvermittlung an die Gemeindevorsteher und geben Einblick in die alltäglichen Anforderungen und Aufgaben der Vorsteher in den Landgemeinden – zumindest, was die normative Seite anbelangt. Punktuell wurden zusätzlich lokale Quellen ausgewertet, die eine Vorstellung von der Amtspraxis der lokalen Amtsträger geben können.

Bei diesen lokalen Quellen handelt es sich um die Überlieferung aus dem Gemeindearchiv Bernried am Starnberger See in Oberbayern, eine der Untersuchungsgemeinden der Studie, aus deren Kontext dieser Aufsatz stammt.

Individuelle Aneignungsprozesse oder gar Selbstaussagen der untersuchten Gemeindevorsteher sind hingegen quellenmäßig kaum zu fassen.

Zunächst werde ich kurz skizzieren, welche Probleme die staatliche Bürokratie mit den Gemeindevorstehern hatte: Das reichte von vollständiger Verweigerung über ausgeprägte Passivität bis hin zu behaupteter oder praktizierter Unfähigkeit. Damit verweise ich vor allem auf die Situation um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als aus der Perspektive der vorgesetzten Behörden, also der Landrats- und Bezirksämter,

In Preußen waren es die Landratsämter, die die unterste Ebene der staatlichen Verwaltung darstellten, also die Verwaltung der Landkreise. Die Landräte waren bis weit über 1848 hinaus in der Regel Gutsherrn aus dem jeweiligen Landkreis, die sich vor allem auf die Unterstützung der anderen Rittergutsbesitzer stützen konnten; Patrick Wagner hat jedoch nachgezeichnet, wie das Amt des Landrats und damit die Kreisverwaltung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr ›verstaatlicht‹ wurde, die Amtsinhaber nicht nur zunehmend Berufsbeamte, sondern auch die verbliebenen Vertreter der lokalen Eliten immer stärker von staatlichen Machtressourcen abhängig waren; Wagner: Bauern, Junker und Beamte. In Bayern wurden die Aufgaben der Justiz und der Verwaltung auf der untersten Ebene erst 1862 getrennt; vorher waren die Landgerichte als unterste Verwaltungs- und Justizbehörden auch für die Gemeindeaufsicht zuständig. 1862 entstanden dann die Bezirksämter als unterste Verwaltungsbehörden, die den Kreisbehörden, also etwa der Regierung von Oberbayern, untergeordnet waren. Der Vorstand des Bezirksamts war der Bezirksamtsmann. Die Sprengel entsprachen aber weiterhin den Landgerichten; Wilhelm Volkert: »Bayern«, in: Kurt G. A. Jeserich / Hans Pohl / Georg-Christoph von Unruh (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Stuttgart 1983, S. 503–550, hier S. 528–533.

die Landgemeinden ganz offenbar als sehr andere Räume wahrgenommen wurden, die nur schwer staatlich zu durchdringen waren. In einem zweiten Schritt gehe ich genauer darauf ein, welche Position zwischen diesen verschiedenen Räumen die Gemeindevorsteher als Vermittler, Koordinatoren und Kommunikationsorgane wahrnehmen sollten; es wird deutlich, wie herausfordernd diese Positionierung für die Landbürgermeister war. In einem dritten Schritt analysiere ich die konkreten Anforderungen und Aufgaben der Gemeindevorsteher. Was mussten sie leisten, und wie sollten sie in die Lage versetzt werden, diese Aufgaben auch zu erfüllen? Dabei lege ich ein besonderes Augenmerk darauf, welche administrativen Praktiken von den lokalen Akteuren verlangt wurden und wie sie in die Lage versetzt werden sollten, diesen Transfer staatlicher Praktiken in die lokale Sphäre zu leisten. Abschließend führe ich die Ergebnisse zusammen und stelle die Frage, welche Faktoren dazu beitrugen, dass die Lernprozesse der Landbürgermeister erfolgreich waren – oder eben auch nicht. Dabei werde ich auch auf das Verhältnis zwischen staatlichem und landgemeindlichem Raum im späten 19. Jahrhundert zurückkommen und einen Vorschlag zur Interpretation machen, der nicht primär von einer territorialen Durchdringung und einer Expansion des Zentralstaats ausgeht.

Zwischen Weigerung, Passivität und Unfähigkeit: Gemeindevorsteher im Blick der vorgesetzten Behörden

Schulze Willmann ließ sich im Herbst 1849 im brandenburgischen Alt-Schöneberg zur Amtsübernahme überreden. Nach einem Jahr allerdings wollte er von dem Amt wieder entbunden werden; ein Attest bescheinigte ihm, kränklich zu sein und daher das Amt nicht genügend ausfüllen zu können. Überhaupt habe er bereits bei Amtsantritt kundgetan, höchstens für ein Jahr einspringen zu können, »um mich nicht abzuschließen und meine Bereitwilligkeit zu einem Opfer für die Gemeinde zu zeigen«.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam) [BLHA], Regierung Potsdam [Rep. 2a], Kommunalabteilung [I Kom], Fasz. 2329, fol. 80, »Gesuch des Dorfschulzen Willmann um Entlaßung vom Amte«, 11. 9. 1850.

Ein Jahr Amtsdauer für einen Gemeindevorsteher – das fanden die Vorgesetzten Stellen aber viel zu kurz, und außerdem verlagerte es das Problem nur. Denn innerhalb dieses Jahres musste jemand gefunden werden, der das Amt länger, möglicherweise dauerhaft übernahm. Aber immerhin war der Schulze Willmann noch kooperativ und verweigerte sich nicht vollständig. Da gab es durchaus extremere Fälle: In Böhmisch Rixdorf ging einer der drei für dieses Amt überhaupt nur infrage kommenden Kandidaten so weit, »daß er«, wie das Rentamt

Rentämter waren Einrichtungen der Finanzverwaltung, die in erster Linie für die Einnahme gutsherrlicher Abgaben zuständig waren, zum Teil hatten sie aber auch Aufsichts- und Gerichtsfunktionen. In Preußen handelte es sich zumeist um Domänen-Rentämter, die bis 1872 die gutsherrlichen Aufgaben dort übernahmen, wo sie beim Staat lagen.

Mühlenhof an die Bezirksregierung in Potsdam berichtete, »droht, lieber seinen Wohnsitz verlegen zu wollen, als sich zur Annahme des Schulzenamts zwingen zu lassen«.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2329, fol. 14f., hier fol. 15v, »Bericht des Rentamt Mühlenhof in Betreff der Besetzung des Schulzenamtes zu Böhmisch Rixdorf«, 2. 10. 1849. Allerdings weigerte sich auch der nun Auserkorene noch weiter, tatsächlich auch über die Verhängung einer empfindlichen Geldstrafe hinaus.

Solche Weigerungen waren um die Mitte des 19. Jahrhunderts gar nicht so selten. Sie deuten darauf hin, dass die lokalen Akteure das Amt des Gemeindevorstehers als mühselige Pflicht wahrnahmen, und zwar auch in denjenigen Gemeinden, die wie Alt-Schöneberg und Böhmisch Rixdorf nur wenige Jahrzehnte später als Vororte Berlins von politischen Konkurrenzkämpfen auch in der Kommunalpolitik geprägt sein sollten. Eine Vielzahl solcher Problemfälle ist in den Akten zu greifen, etwa die, in denen die Obrigkeiten Dorfbewohner zur Übernahme des Amtes zwangen. Das Allgemeine Landrecht von 1794, das bis zum Ende des 19. Jahrhunderts für die meisten Aspekte des Gemeindevorsteheramtes die maßgebliche gesetzliche Grundlage war, sah für den Weigerungsfall kleinere Strafzahlungen vor. Lediglich einige wenige Gründe machten die Ablehnung des Amts möglich, etwa Krankheit, die Vollendung des sechzigsten Lebensjahres, häufige geschäftliche Abwesenheit vom Heimatort oder die bereits erfolgte Übernahme eines Staatsamtes.

Dies waren auch die Gründe, aus denen eine Vormundschaft abgelehnt werden konnte. Die Parallelisierung von Gemeinden und Minderjährigen, die hier zu Tage tritt, ist auch in anderen Territorien nachweisbar. In Bayern etwa besaßen die Gemeinden die Vorrechte der Minderjährigen; dies wurde nach langer Diskussion erst mit der Gemeindeordnung von 1869 abgeschafft. Die Ablehnungsgründe blieben in Preußen auch nach der Einführung der Kreisordnung und der Landgemeindeordnung von 1891 bestehen, wurden aber nun einzeln aufgezählt: »Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen«, 13. 12. 1872, in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (1872), Nr. 41, S. 661–713 [KO 1872], § 8 (bzw. für die Gemeinden: § 25). Auch die Landgemeindeordnung von 1891 sah diese Regelungen noch vor, ergänzt durch die Verpflichtung, ein solches Amt mindestens drei Jahre lang zu übernehmen. Damit sollte der starken Fluktuation ein Riegel vorgeschoben werden: »Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie vom 2. 7. 1891«, in: Christian Engeli / Wolfgang Haus: Quellen zum modernen Gemeindeverfassungsrecht in Deutschland, Stuttgart 1975, S. 543–578 [LGO 1891], § 65. Vgl. Conrad Bornhak: Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts, Bd. 2: Bis zum Frieden von Tilsit, Berlin 1885, S. 284.

Mit der Kreisordnung von 1872 wurden die Maßnahmen zur Bestrafung unwilliger Kandidaten standardisiert und ausgeweitet; nun waren es nicht mehr nur kleine Strafen, die gezahlt werden mussten, sondern im Extremfall der Ausschluss von allen kommunalen Mitwirkungsrechten, gekoppelt an eine Erhöhung der kommunalen Abgaben für den widerspenstigen Kandidaten.

KO 1872, § 8 bzw. 25. Diese Zwangsmaßnahmen blieben auch in der LGO 1891, § 65, bestehen.

Noch im Jahr 1891 appellierte Landrat Erich von Saucken in seinem Instruktionsbuch zur neuen preußischen Landgemeindeordnung an die potenziellen Gemeindevorsteher:

Es wäre zu wünschen, daß Niemand es hierauf [auf die Zwangsmittel] ankommen lasse. Möge Jeder, dem ein Amt übertragen wird, diejenige Zeit, welche ihm sein sonstiger Beruf und seine Familie übrig läßt, zu dauernder ersprießlicher Thätigkeit im Dienste der Gemeinde verwenden!

Erich von Saucken: Führer durch die neue Gemeindeordnung für Gemeindevorsteher und Gemeindeangehörige. Allgemein verständlich dargestellt, Frankfurt an der Oder 1892, S. 31.

Es gab aber auch solche Gemeindevorsteher, die zwar das Amt übernommen hatten (ob freiwillig oder gezwungenermaßen, bleibt häufig im Dunkeln), dann aber nicht mehr in Erscheinung traten. Für einen ganz anderen Untersuchungsraum, nämlich den französisch-luxemburgisch-preußischen Grenzraum an Rhein und Maas, hat Christine Mayr herausgearbeitet, dass ein Gutteil der ländlichen Bürgermeister im 19. Jahrhundert keine besondere Energie bei der Amtsführung zeigte.

Mayr: Zwischen Dorf und Staat, S. 275f.

Solche passiven Gemeindevorsteher sind kaum individuell zu fassen, denn sie hinterließen keine Spuren, die heute noch auswertbar wären. Sie führten keine Amtsbücher und schrieben keine Berichte, machten auch nicht durch Beschwerden auf sich aufmerksam und traten generell nicht mit der staatlichen Bürokratie in Kontakt. Auch im kleinen oberbayerischen Dorf Bernried hat es offenbar solche Bürgermeister gegeben, die nur über die Lücken in den Amtsbüchern zu greifen sind.

So beispielsweise in den 1830er Jahren, wovon nur eine ex-post-Eintragung zeugt: »Anmerkung. In den Jahren 1830/31 31/32 32/33, 1833/34 34/35 35/36 wurden Vergleiche nicht mehr in das Gemeindebuch eingetragen. Nachdem aber bei der Gemeindewahl 1835/36 die Fortsetzung im Gemeindebuche durch die Wahlkommission strengstens befohlen wurde, so beginnt diese mit dem Jahr 1836/1837«; Gemeindearchiv Bernried [GAB], B2/0: Protokollbuch für Gemeindesachen 1822–1854, S. 19, Eintrag vom 19. 12. 1836.

Wer der zuständige Bürgermeister in dieser Zeit war, wie es möglich war, dass er seinen Pflichten – zumindest den schriftlichen – nicht nachkam, warum er zunächst gewählt wurde, nach einigen Jahren das Amt wieder sang- und klanglos verließ – auf diese und andere Fragen können keine Antworten gefunden werden, denn die Überlieferung ist schlichtweg nicht vorhanden. Vergleichsweise typisch scheint diese Passivität, also das Unsichtbarbleiben der individuellen Gemeindevorsteher, für das frühe und das mittlere 19. Jahrhundert zu sein; auch Mayr hat festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen passiven Amtsstil mit fortschreitendem 19. Jahrhundert im Rhein-Maas-Raum extrem abnahm. War es im ersten Drittel des Jahrhunderts offenbar noch opportun, das Amt des Gemeindevorstehers nicht auszufüllen, wurde das im Laufe des Jahrhunderts immer mehr als Problem wahrgenommen, das die vorgesetzten Behörden abzustellen versuchten – und ab diesem Moment hinterließ auch ein passiver Amtsstil seine Spuren in den Akten.

Mayr: Zwischen Dorf und Staat, S. 363.

Ein ganz anderes Problem tauchte im brandenburgischen Freidorf im Jahr 1858 auf: Für die Volkszählung musste der Schulze Listen und Tabellen ausfüllen. Als er diese ans Rentamt übersandte, zeigte sich aber, dass er nicht verstanden hatte, was er damit machen sollte. Die Listen wurden zurückgegeben – nicht an ihn, sondern an den Dorflehrer, der seine Aufgabe offenbar gut erledigte. Dem Schulzen sei letztlich die mangelhafte Ausführung aber deshalb nicht anzulasten, da »er an übergroßem Mangel geistiger Fähigkeiten leidet. Eine andere zum Schulzen mehr geeignete Persönlichkeit ist trotzdem in Freidorf nicht zu finden«, urteilte der Landrat in einem Schreiben an die Regierung in Potsdam.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2330, fol. 439v, »Schreiben des Landrats an die Regierung in Potsdam, betrifft die Erledigung der Erinnerungen gegen die statistischen Aufnahmen des Jahres 1858, Erlaß vom 26. Mai 1859. I.2054/3«, 30. 4. 1860.

Eine solche beinahe fatalistische Haltung der Bürokratie gegenüber den Gemeindevorstehern hat Patrick Wagner als typische Haltung für das mittlere 19. Jahrhundert im ostelbischen Preußen herausgestellt. Die Klagen über die Unfähigkeit der Schulzen seien »ebenso stereotyp wie negativ« gewesen; die Fähigkeiten der Schulzen, den schriftlichen Kommunikationsgepflogenheiten des bürokratischen Staates zu genügen, seien generell als nicht existent beschrieben worden.

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 122f.

Doch nicht immer waren es nur die Landräte, die über die Unfähigkeit der Gemeindevorsteher klagten. Im Falle der ebenfalls brandenburgischen Gemeinde Böhmisch Rixdorf war es der Schulze Maresch selbst, der um seine Entlassung bat. Er sei nicht dazu in der Lage, die Amtsgeschäfte ordentlich zu führen, vergesse dauernd etwas und müsse daher ständig Strafen zahlen.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2330, fol. 29, »Schreiben des Rentamts Mühlenhof an die Regierung in Potsdam, betr.: das Gesuch des Schulzen Maresch zu Böhmisch Rixdorf um Entlassung vom Schulzenamte«, 17. 2. 1850; BLHA, Rep. 2a, I Kom 2330, fol. 14f., »Schreiben des Rentamts Mühlenhof an die Regierung in Potsdam«, 2. 10. 1849.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es also für die Gemeindevorsteher unterschiedliche Weisen, den Ansprüchen der Bürokratie nicht zu genügen: Sie konnten sich offen weigern, das ihnen übertragene Amt zu übernehmen, sie konnten durch Passivität auffallen (beziehungsweise eben nicht auffallen, sondern für die bürokratische Aufsicht unsichtbar bleiben), oder sie zeichneten sich durch Inkompetenz aus – entweder indem sie selbst ihre Unfähigkeit betonten oder mangelnde Sorgfalt bei der Erledigung der ihnen übertragenen Aufgaben an den Tag legten. Wichtig ist aber: Vor allem bei der offenen Verweigerung und der Inkompetenz, eigentlich aber auch bei der Passivität handelt es sich um Auffälligkeiten, die nur durch die Konfrontation der Gemeindevorsteher mit bürokratischen Normen und Erwartungen entstanden. Das Nichtfunktionieren der Gemeindevorsteher zeigte sich also vor allem in Hinblick auf ihre staatlichen Funktionen. Das hat mit der Dominanz der administrativen Quellen zu tun und mit der spezifischen Beobachtungsperspektive der professionellen Akteure, also der Landräte, Regierungsvertreter und anderen. Diese beobachteten das Verhalten der Gemeindevorsteher durch ihre eigene Brille, nahmen es nur in den eigenen Schemata wahr. Dann wichen die Gemeindevorsteher von der bürokratischen Norm ab, sie entsprachen nicht den staatlichen Anforderungen. Ob die Gemeindevorsteher allerdings zur gleichen Zeit ihrem Amt innerhalb des Dorfes, als »Sprecher« der dörflichen Korporation, als Streitschlichter und Mediatoren, möglicherweise durchaus nachkamen, bleibt in dieser Perspektive unsichtbar. Deutlich wird aber: Die bürokratischen Anforderungen waren es, die das Amt des Gemeindevorstehers in beiden Regionen zunehmend dominierten. Und das hatte mit einem gewandelten Verhältnis von staatlichen und gemeindlichen Räumen zu tun.

Die Herausforderungen der Zwitterstellung: Gemeindevorsteher zwischen Staat und Gemeinde

Gemeindevorsteher werden in der Forschung in der Regel als Vermittler zwischen ländlicher Gesellschaft und staatlicher Bürokratie angesprochen, als »Broker«

Den Begriff des ›Brokers‹, der aus der soziologischen Netzwerkanalyse stammt, hat Patrick Wagner in die Diskussion um die Herrschaftspraxis im ländlichen Raum eingebracht, und seitdem ist er aus der Diskussion nicht wegzudenken; Patrick Wagner: »Gutsherrn – Bauern – Broker. Die ostelbische Agrargesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«, in: Journal of Modern European History 2 (2004), S. 254–278; vgl. Ira Spieker: Kapital – Konflikte – Kalkül. Ländlicher Alltag in Sachsen im 19. Jahrhundert, Dresden 2012, S. 79f.; Ganzenmüller / Tönsmeyer: »Einleitung«, S. 15.

zwischen den noch häufig getrennten Räumen von Dorf und Staat im 19. Jahrhundert. Der Vermittlungsaufwand stieg in diesem Jahrhundert deshalb stark an, weil sich die Welten von Gemeinde und Staat stärker verzahnten; dabei wurden die beiden Bezugsräume allerdings nicht einfach synchronisiert, sondern in ein hochkomplexes Verhältnis zueinander gesetzt. Denn die verfassungsrechtliche Durchstaatlichung

Zur Kritik des idealtypischen Begriffs ›Durchstaatlichung‹ vgl. Ganzenmüller / Tönsmeyer: »Einleitung«, S. 13. Zur weniger idealtypischen Füllung des Forschungskonzepts vgl. Lutz Raphael: »Staat im Dorf. Transformation lokaler Herrschaft zwischen 1750 und 1850: Französische und westdeutsche Erfahrungen in vergleichender Perspektive«, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 51 (2003), S. 43–61.

der Gemeinden ging (mal gleichzeitig, mal zeitlich versetzt) mit einer staatlicherseits angestoßenen (Teil-)Autonomisierung der Gemeinden einher, mit der Etablierung der Selbstverwaltung der Gemeinden.

In Bayern wurden die Gemeinden 1808 radikal verstaatlicht, die individuellen Ordnungen abgeschafft und die Verwaltung der Gemeindevermögen zentralisiert. Die Autonomie der Gemeinden, die in der Frühen Neuzeit trotz des zunehmenden Machtanspruchs des Staates bestanden hatte, wurde also zunächst radikal beseitigt; die Grenze zwischen den Räumen des Staates und jenen der Gemeinden wurde – zumindest in der Theorie

Die Verstaatlichung der Gemeinden wurde nicht zuletzt auch deshalb 1818 wieder teilweise revidiert, weil sie zu gravierenden praktischen Schwierigkeiten geführt hatte; Hans-Joachim Hecker: »Bayerisches Kommunalrecht von 1818 bis 1919: Historische Einführung«, in: Bayerisches Kommunalrecht 1818-1919 mit Reprint der Originale und einer Einführung von Archiv-Oberrat Hans-Joachim Hecker, München 1998, S. 3–9, hier S. 4.

– aufgehoben. Dadurch wurden die Kommunen auf einen Schlag in den Raum des modernen bürokratischen Staates eingereiht, die intermediären Gewalten, vor allem die bislang teilautonomen und freien Städte, wurden dem Staat einverleibt. Doch bereits das Gemeindeedikt von 1818 setzte die Gemeinden wieder als Korporationen mit gewissen Selbstverwaltungsrechten ein, die nun jedoch nicht mehr aus eigener Tradition, sondern durch staatliche Gewährung begründet waren.

Vgl. Werner K. Blessing: »Staatsintegration als soziale Integration. Zur Entstehung einer bayerischen Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert«, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 41 (1978), S. 633–700.

Für die Selbstverwaltungsangelegenheiten der Landgemeinden war nun der Gemeindeausschuss mit dem Vorsteher an der Spitze verantwortlich. Der Gemeindeausschuss hatte etwa das Gemeinde- und kommunale Stiftungsvermögen zu verwalten, über die Aufnahme von Bürgern zu befinden oder bei der Kirchen- und Schulverwaltung mitzuwirken – das waren die Aufgaben im sogenannten eigenen Wirkungskreis, also Selbstverwaltungsaufgaben. Dem Gemeindevorsteher wurden zudem bestimmte Aufgaben der staatlichen Verwaltung übertragen, etwa bestimmte beschränkte Befugnisse der Ortspolizei.

Emma Mages: »Gemeindeverfassung (19./20. Jahrhundert)«, in: Historisches Lexikon Bayern, online unter: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gemeindeverfassung_(19./20._Jahr-hundert) (31. 1. 2017).

Damit war bereits die Doppelstellung zwischen Staats- und Gemeindeaufgaben angedeutet, die sich in der neuen Gemeindeordnung von 1869 noch verstärken sollte. Nun wurde die strikte Kuratel durch den Staat, die die Gemeinden in die Rolle von Minderjährigen gezwungen hatte, zugunsten einer Fach- und Rechtsaufsicht durch die Bezirksämter aufgegeben. Die weitere Autonomisierung der Gemeinden, die an erweiterten Selbstverwaltungsrechten abzulesen war, sollte sie in die Lage versetzen, Aufgaben vor allem im Bereich der Sozialpolitik, etwa der Armenfürsorge, besser wahrnehmen zu können und dadurch die zentrale Staatsverwaltung zu entlasten.

Die Gemeindeordnung von 1869 war Teil der Sozialgesetzgebung, die die bayerische Politik in den 1860er Jahren in Atem hielt; vgl. Horst Hesse: Die sogenannte Sozialgesetzgebung Bayerns Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der bürgerlichen Gesellschaft, München 1971.

Die Ausweitung der Selbstverwaltung diente also dazu, die Gemeinden zu aktivieren und als öffentliche Leistungsträger im Interventionsstaat zu installieren. Die Gemeinden sollten also teilautonome Räume innerhalb des Staates sein, nicht etwa selbstständige Korporationen außerhalb der staatlichen Einflusssphäre.

Im ostelbischen Preußen fand der Doppelprozess von Verstaatlichung und (Teil-)Autonomisierung im ländlichen Raum deutlich später statt und war viel weniger ausgeprägt. Die Ausweitung des staatlichen Einflusses auf den ländlichen Raum wurde in Ostelbien lange Zeit durch die Interessen des Landadels blockiert. Das gescheiterte Gendarmerieedikt von 1812, das gegenüber einer eigentlich geplanten Landgemeindeordnung nur noch im Bereich der Polizei die ländlichen Gebiete dem Staat unterzuordnen plante, war für längere Zeit der letzte Versuch der Integration der ostelbischen Landgemeinden in den preußischen Staat.

Zu den unterschiedlichen Wegen Preußens und der Rheinbundstaaten, besonders aber Bayerns, im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts vgl. Nolte: Staatsbildung, der eine stark modernisierungstheoretisch geprägte Darstellung bietet.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Durchstaatlichung der Gemeinden wieder vorangetrieben, ohne dass von einer planmäßigen Gesamtreform des staatlichen Aufbaus die Rede sein könnte.

Im Jahr 1850 traten in Preußen neue Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnungen in Kraft, die jedoch 1853 wieder kassiert wurden, bevor die Gemeindeordnung auf dem Land im östlichen Preußen überhaupt annähernd umgesetzt worden war. Stattdessen wurde 1856 faktisch das Allgemeine Landrecht in Bezug auf die Landgemeinden wieder in Kraft gesetzt; Günther Grünthal: Parlamentarismus in Preußen 1848/49 – 1857/58. Preußischer Konstitutionalismus – Parlament und Regierung in der Reaktionsära, Düsseldorf 1982, S. 181–187.

Nach der schnell wieder rückgängig gemachten Gemeindeordnung von 1850 waren es zunächst dezentrale Versuche, die Landgemeindeverwaltung zu vereinheitlichen und an staatlich-bürokratische Standards anzupassen; 1872 trat schließlich die neue Kreisordnung für die östlichen Provinzen in Kraft, die zwar noch nicht die Gemeinden in ihrer Gänze, aber doch zumindest die Kreise zu Staatsorganen machte und aus der patrimonialen Herrschaft herauslöste.

Dazu ausführlich Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 291–375.

Zwar blieben die meisten Regelungen für Landgemeinden weiterhin dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 überlassen, das die Gemeinden als bäuerliche Korporation fasste. Da nun aber zumindest der Gemeindevorsteher stärker an die anderen Kreisämter, Amtsvorsteher und Landrat, gekoppelt war, fanden auch hier Delegationen staatlicher (nun nicht mehr patrimonialer) Autorität statt. Erst 1891 trat dann die Gemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie in Kraft, mit der die Stellung der Landgemeinden als öffentliche Körperschaften festgeschrieben wurde, denen »das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nach den Vorschriften dieses Gesetzes [der Landgemeindeordnung 1891]« zugestanden wurde.

LGO 1891, § 5.

Allerdings sahen die meisten konservativen preußischen Politiker dieser Zeit die wahre Selbstverwaltung auf der Ebene der Kreise realisiert, während die liberale Minderheit sich von der Landgemeindeordnung die Umformung der ländlichen Untertanen in aktive Staatsbürger erhoffte, mithin eine Aktivierung durch die Gewährung von Selbstverwaltungsrechten intendierte.

Karlheinz Kitzel: Die Herrfurth’sche Landgemeindeordnung, Stuttgart 1957.

In beiden Staaten fand also ein Doppelprozess aus Verstaatlichung der Gemeinden einerseits und ihrer Ausstattung mit Selbstverwaltungsrechten andererseits statt, wodurch das Verhältnis von Staat und Gemeinde nicht einfacher wurde. Um die Komplexität dieses Prozesses zu unterstreichen, schlage ich vor, ihn mit dem an Foucault angelehnten Terminus der ›Gouvernementalisierung‹

Zum Begriff der Gouvernementalisierung des Staates vgl. Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität, Bd. 1: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France 1977–1978, hg. von Michel Senellart, Frankfurt am Main 2004, S. 164. Zur Autonomisierung (nicht nur von Gemeinden) als Technik des gouvernementalen Regierens vgl. Nikolas Rose / Peter Miller: »Political Power Beyond the State. Problematics of Government« [1992], in: British Journal of Sociology 43 (2010), S. 271–303.

zu benennen, um klarzustellen, dass es sich bei beiden Regierungsweisen, der staatlichen Strukturierung, Standardisierung und rechtlichen Kodifizierung der Gemeinden auf der einen Seite und der Autonomisierung, der Verleihung von Selbstverwaltungsrechten und der Etablierung von lokal spezifischen Räumen der Verwaltung auf der anderen Seite, gleichermaßen um Regierungstechniken handelte. Anders formuliert: Auch die autonomisierten Gemeinden blieben eben (Teil-)Räume des Staates, die gerade durch die lokale Selbstverwaltung als solche funktionieren sollten. Allerdings handelte es sich bei diesen Regierungstechniken keineswegs um widerspruchslose Vorgänge, vielmehr wurden auch Reibungen und Konflikte durch die unterschiedlichen Techniken erzeugt. Zudem veränderten sich die kulturellen Codes, sprachlichen Formen und politischen Rationalitäten auf den unterschiedlichen gesellschaftlichen und staatlichen Ebenen nicht gleichzeitig, wofür nicht zuletzt dieser Band vielfältige Beispiele bietet.

Siehe die Einleitung zu diesem Band mit einer Fülle weiterer Literatur.

Die Verzahnung von Staat und Gemeinden war also keine Synchronisation der beiden Ebenen, sondern ein Prozess voller Übersetzungsschwierigkeiten. Vor allem Forschungen zu Frankreich haben darauf hingewiesen, dass lokale Verwaltungsakteure zunehmend dazu in der Lage gewesen seien, zwischen unterschiedlichen Sprachen hin- und herzuspringen, um die lokale und die nationale Ebene zu koordinieren.

Als Überblick zu dem hier angesprochenen Übersetzungsproblem vgl. Lutz Raphael: »›Die Sprache der Verwaltung‹ Politische Kommunikation zwischen Verwaltern und Landgemeinden zwischen Maas und Rhein (1814–1880)«, in: Norbert Franz / Bernd-Stefan Grewe / Michael Knauff (Hg.): Landgemeinden im Übergang zum modernen Staat. Vergleichende Mikrostudien im linksrheinischen Raum, Mainz 1999, S. 183–205; zum ›Springen‹ zwischen unterschiedlichen Sprachen vgl. Jean-Luc Mayaud: »Pour une communalisation de l’histoire rurale«, in: La politisation des campagnes au XIXe siècle: France, Italie, Espagne et Portugal, Roma 2000, S. 153-167, hier S. 167. Allgemeiner zur Rolle der Sprache in der Verwaltung Peter Becker (Hg.): Sprachvollzug im Amt. Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2011.

Diese Koordinationsleistung (beziehungsweise die Anforderung an die lokalen Akteure) bezog sich dabei nicht nur auf sprachliche, sondern auch auf andere soziale Praktiken. Wie sollte ein Gemeindevorsteher in dieser Situation problemlos zwischen den unterschiedlichen Welten hin- und herschalten können, wie in beiden Welten gleichermaßen anerkannt sein? Das Scheitern an dieser Aufgabe scheint zunächst sehr viel wahrscheinlicher als das Reüssieren im problematischen Austarieren der beiden Welten.

Diese Schwierigkeit wurde dadurch verstärkt, dass der Gemeindevorsteher selbst eine problematische, oftmals sogar widersprüchliche Stellung zwischen Staat und Gemeinde einnahm. So hatte er einerseits die Obrigkeit im Dorf zu vertreten und damit der dörflichen Bevölkerung gegenüberzutreten, etwa indem er Beschlüsse der Gemeindeversammlung, der er selbst vorstand, auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren und gegebenenfalls zu kassieren hatte. Andererseits war er Vertreter des Dorfes und entsprechend von der Unterstützung seiner Nachbarn abhängig. Sozialhistorische Forschungen haben wiederholt darauf hingewiesen, dass für das 19. Jahrhundert kaum noch von einer einheitlichen Dorfgesellschaft gesprochen werden kann, zu sehr verschärften sich die Konflikte zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen innerhalb des Dorfes, sodass der Gemeindevorsteher in der Regel nur noch Vertreter seiner eigenen Gruppe, nicht mehr aber des gesamten Dorfes war.

Dieser Fragmentierungsprozess wurde vor allem durch die Agrarreformen, die steigende Marktabhängigkeit und den wachsenden Einfluss bürgerlicher Rechtsnormen vorangetrieben, ohne dass damit impliziert wäre, dass vormoderne Dörfer durch harmonische Sozialordnungen geprägt gewesen wären. Auf den konfrontativen Charakter dörflicher Gesellschaften hat Josef Mooser mit der Einführung des Begriffs der »ländlichen Klassengesellschaft« verwiesen; Josef Mooser: Ländliche Klassengesellschaft 1770–1848. Bauern und Unterschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen, Göttingen 1984. Auch Patrick Wagner legt dar, wie stark die Dorfgesellschaften in Preußen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch soziale Polarisierungen und daraus resultierende Konflikte geprägt waren; Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 125–135. Niels Grüne verweist hingegen darauf, dass es unter wirtschaftlich günstigen Bedingungen vor allem in Gebieten mit Sonderkulturen (hier: der badischen Rheinpfalz) möglich war, die »ländliche Zwei-Drittel-Gesellschaft« zu reintegrieren; Niels Grüne: Dorfgesellschaft – Konflikterfahrung – Partizipationskultur. Sozialer Wandel und politische Kommunikation in Landgemeinden der badischen Rheinpfalz (1720–1850), Stuttgart 2011, S. 69–202.

War also eine wichtige Machtressource des Gemeindevorstehers im Idealfall der Rückhalt in einer möglichst einflussreichen sozialen Gruppe im Dorf, so war er doch auch maßgeblich von der staatlichen Bürokratie abhängig.

Der bayerische Gemeindevorsteher wurde seit 1818 von den Gemeindebürgern in der Gemeindeversammlung gewählt. Die Gemeindebürger waren allerdings nur die kleine Gruppe der dörflichen Einwohner (im 19. Jahrhundert circa fünf Prozent der Einwohner bayerischer Gemeinden), die über volle Partizipationsrechte verfügten, das waren vor allem die besitzenden, volljährigen und wirtschaftlich selbstständigen Männer in der Gemeinde, die seit Längerem ihren Wohnsitz im Dorf hatten.

Vgl. Reinhard Heydenreuter: »Heimatrecht, Heiratserlaubnis und Ansässigmachung. Die Gesetzgebung zum Heimat- und Ansässigmachungsrecht im Königreich Bayern«, in: Forum Heimatforschung 16 (2013), S. 120–138, hier S. 120.

Ab 1869 wurden die Bürgermeister auch außerhalb der turnusmäßigen Wahl von der Gemeinde stärker kontrolliert, denn die Gemeindeversammlungen hatten nun nicht mehr nur beratende Funktion, sondern konnten Beschlüsse fassen, die für den Bürgermeister bindend waren.

»Gesetz, die Gemeindeordnung diesseits des Rheins betr.«, 29. 4. 1869, in: Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern (1869), Nr. 51, Sp. 8651006 [GO 1869], Art. 146–147.

Zudem setzte die Gemeindeversammlung auch das Gehalt für die Bürgermeister fest, die zwar ehrenamtlich tätig waren, aber doch einen »angemessenen Functionsbezug« erhalten sollten.

GO 1869, Art. 125.

Doch auch die staatlichen Behörden hatten ihre Möglichkeiten, den Bürgermeister zu kontrollieren und zu disziplinieren. Das Bezirksamt musste den Bürgermeister bestätigen und ins Amt einführen, außerdem in regelmäßigen Abständen seine Amtsführung in Visitationen überprüfen.

GO 1869, Art. 125–126. Die Bestätigung wurde (im Vergleich zu Preußen relativ) kulant gehandhabt; noch zu Zeiten des revidierten Gemeindeedikts, das in der Literatur als besonders starke Einschränkung der gemeindlichen Autonomie gilt, betonte das k. Ministerium des Innern: »Einem in gesetzlicher Form gewählten Mann ist nur bey Vorwalten eines absolut gesetzlichen Ausschließungsgrundes die Bestätigung zu versagen. Bei etwaigem Zweifel gegen die Befähigung des Erwählten zu verrechnenden Amtes [sic!] ist lediglich durch erhöhte Curatel-Aufsicht, dann durch wohlbemessene Controll-Maaßregeln für Wahrung des Gemeinde-Interesses zu sorgen«; Staatsarchiv München [StAM], Regierung von Oberbayern [RA], Fasz. 64980, »Zusammenstellung des k. Ministeriums des Innern zu allen Vorschriften, Gesetzen, Entschließungen etc., die die Verwaltung der Gemeinden betreffen« (Abschrift), 31. 10. 1837, S. 74.

In Preußen setzte sich seit den 1850er Jahren zunehmend durch, dass die Landgemeinden ihre Vorsteher wählten oder doch zumindest der Obrigkeit – das war der Gutsherr als Inhaber der ortspolizeilichen Rechte – Kandidaten präsentierten. Erst mit der Kreisordnung ab 1872 wurde die Wahl des Gemeindevorstehers allen Landgemeinden im östlichen Preußen selbst zugestanden. Nun waren auch die Lehn-, Erb- und Freischulzengüter abgeschafft, die die Übernahme des Amtes an den Besitz oder die Nutzung einer bestimmten Hofstelle gebunden hatten.

War der Besitzer oder Pächter des Schulzenguts nicht für das Amt geeignet, zum Beispiel weil es sich um eine Witwe oder einen minderjährigen Erben handelte, musste für einen Ersatz gesorgt werden, der dann vom Besitzer beziehungsweise Pächter auch entlohnt werden musste; Wagner: »Landräte«, S. 262. Vgl. BLHA, Rep. 2a, I Kom 2331, fol. 108f., »Bericht des Landrats des Kreises Teltow an die Regierung in Potsdam, betrifft die Beschwerde des Schulzen Brenz zu Nächst Neuendorf wegen der von ihm geforderten Fortverwaltung des Schulzenamtes«, 8. 3. 1862. Zur Abschaffung der Schulzengüter vgl. Paul Nolte: »Repräsentation und Grundbesitz. Die kreisständische Verfassung Preußens im 19. Jahrhundert«, in: Klaus Tenfelde / Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Wege zur Geschichte des Bürgertums. Vierzehn Beiträge, Göttingen 1994, S. 78–101, hier S. 89f.

Das Problem bestand zunächst jedoch darin, dass zwischen 1872 und 1891 keine eindeutige Wahlordnung für die Gemeindevorsteher existierte; vielmehr sollten die Gemeinden in jeweils gewohnter Weise, also nach dem Stimmrechtsmodus in der Gemeindeversammlung, einen Schulzen wählen. Dies führte – kaum überraschend – zu Problemen und Konflikten, denn in vielen Gemeinden gab es solche Regelungen nicht, oder sie waren zumindest nicht unumstritten. Erst die Gemeindeordnung von 1891 legte eine Wahlordnung fest, die sich bei größeren Gemeinden am Dreiklassenwahlrecht, bei kleineren ebenfalls an der Steuerleistung, aber durch Stimmenkumulation bemaß.

In der Regel waren hier die steuerpflichtigen (fast immer männlichen) Einwohner oberhalb eines gewissen Zensus stimmberechtigt, aber auch juristische Personen, die in der Gemeinde steuerpflichtig waren; LGO 1891, §§ 40–45.

Mit der obligatorischen Wahl durch die Gemeinde wurde gleichzeitig das Recht des Landrats, den Gemeindevorsteher zu bestätigen, endgültig festgelegt, nachdem die Landräte bereits seit dem Vormärz dieses Recht nach und nach an sich gezogen hatten.

Vor allem im Fall der Berliner Vorortgemeinden wuchs sich die Bestätigungsfrage im späten 19. Jahrhundert gelegentlich zu einem Kleinkrieg zwischen konservativem Landrat und liberalen bürgerlichen Einwohnern aus. Im Landkreis Teltow war diese Regelung Auslöser für einen wahren Machtkampf zwischen den Vorortgemeinden Berlins und dem Landrat. Im Zuge der vom Landrat forcierten Professionalisierung der Vorort-Verwaltungen eskalierte der Streit beispielsweise in Tempelhof Mitte der 1880er Jahre. Dort brauchte es sechs Wahlgänge, bis die Tempelhofer einen Mann wählten, der die Bestätigung des Landrats bekam. Nachdem sie lange Zeit darauf beharrt hatten, einen Bauern zu wählen, den aber der Landrat für nicht ausreichend qualifiziert hielt, wurde es nun ein Dr. Greve, der zwar Arzt (und damit zumindest Akademiker), aber auch ehemaliger freisinniger Abgeordneter war. Vermutlich bestätigte der Landrat diesen Kandidaten dann auch nur mit Zähneknirschen. – Die Angelegenheit in Tempelhof ist auch deshalb interessant, weil sich einige, auch überregionale Zeitungen dafür interessierten. Die Wahl des Gemeindevorstehers der Gemeinde Tempelhof wurde Anlass, um über die Rolle der Selbstverwaltung der Gemeinden für die Demokratisierung der Gesellschaft auf der einen, über die notwendige Professionalisierung der Lokalverwaltung auf der anderen Seite zu diskutieren. Vgl. BLHA, Rep. 2a, I Kom 2334, z. B. fol. 39f.

Da das Bestätigungsrecht des Landrats in Preußen deutlich rigider gehandhabt wurde als in Bayern, waren auch Spannungen hier viel häufiger. Kam kein Kompromiss zwischen Gemeinde und Landrat zustande, war der Landrat sogar ermächtigt, bis zu einer erneuten Wahl einen Interims-Vorsteher zu ernennen.

KO 1872, § 26; LGO 1891, § 84.

Die Gemeinden waren also in der Regel gut beraten, einen Kandidaten zu wählen, der Chancen auf Bestätigung durch die konservative Bürokratie hatte, so sie denn nicht gewillt waren, von einem durch den Landrat (von außen) eingesetzten Amtsinhaber verwaltet zu werden.

In beiden Staaten war der Gemeindevorsteher für seine Autorität auf die Gemeinde wie auf die staatliche Bürokratie angewiesen, die aber oft im Widerstreit miteinander lagen. Auch die ausschließliche Anerkennung durch die bürokratischen Instanzen nützte einem Gemeindevorsteher, selbst vor der Einführung der obligatorischen Wahl in Ostelbien, nichts, denn ohne dörfliche Autorität konnte er seine Aufgaben im Ort nicht erfüllen.

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 101.

Die rechtlichen und praktischen Probleme machen deutlich, dass sich die Zwitterstellung des Gemeindevorstehers zwischen Staat und Gemeinde im Laufe des 19. Jahrhunderts immer stärker ausprägte. Doch sie stellte enorme Anforderungen an den Amtsinhaber, denn noch waren die Räume von Staat und Gemeinde durch sehr unterschiedliche Verhaltensanforderungen und Machtressourcen geprägt, sodass der Gemeindevorsteher seiner Aufgabe, die beiden Räume miteinander zu koordinieren und zu harmonisieren, nur schwer nachkommen konnte. Eine Erleichterung seiner Aufgaben und die Verbesserung seiner Fähigkeiten konnte nur durch strukturelle, aber langwierige Veränderungsprozesse erreicht werden, die in Bayern früher einsetzten als in Preußen und daher längere Lernprozesse ermöglichten. Welche Dinge aber musste ein Gemeindevorsteher lernen? Bislang sind vor allem abstrakte Fähigkeiten wie das Agieren zwischen zwei unterschiedlichen Welten angesprochen worden. Welche praktischen Dinge musste ein Gemeindevorsteher beherrschen? Und trug die alltägliche Einübung dieser praktischen Verwaltungstätigkeiten möglicherweise dazu bei, dass sich staatliche Praktiken in den lokalen Raum einschrieben, dass also die beiden Räume anfingen, sich in der Praxis zu überschneiden?

Herausforderungen: Was musste ein Gemeindevorsteher können?

Allgemein kann man sich den Anforderungen an das Amt des Gemeindevorstehers mithilfe der Mindestanforderungen an die Kandidaten nähern. Diese waren erstens sozialer, zweitens moralischer und drittens intellektueller Natur. Vor allem in den älteren Ordnungen wurden sie explizit ausgeführt, im Allgemeinen Landrecht von 1794 und der Bayerischen Gemeindeordnung von 1818. Voraussetzung war in beiden Fällen, dass der Gemeindevorsteher (außer in gravierenden Ausnahmen, etwa wenn kein Kandidat zu finden war) aus dem Kreise der Gemeindebürger stammen musste, was in der Regel bedeutete, dass er zumindest Haus-, wenn nicht Grundbesitzer im Dorf und wirtschaftlich selbstständig sein musste. Häufig sollte er auch aus der Gruppe der Höchstbesteuerten stammen, doch bei der Unbeliebtheit des Amtes gerade in Preußen waren die Vorgesetzten Behörden manchmal auch dazu gezwungen, auf die Gruppe der Kleinbauern zurückzugreifen.

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 136.

Doch in der Regel stammte der Gemeindevorsteher aus der dörflichen Oberschicht; je nach sozialer Struktur der Gemeinden konnte das aber sehr Unterschiedliches bedeuten, vom wohlhabenden Großbauern bis zur (immerhin noch bäuerlichen) Mangelexistenz. Allerdings gab es auch berufliche Ausschlussgründe; in Preußen durfte man etwa nicht Schulze werden, wenn man im Hauptberuf ein Schankgewerbe betrieb;

Vgl. den Fall des ehemaligen Schulzen Richter in Sperenberg; BLHA, Rep. 2a, I Kom 2333, fol. 88, »Schreiben des Landrats des Kreises Teltow an die k. Regierung in Potsdam, betrifft die Besetzung des Schulzenamtes in Sperenberg«, 26. 10. 1870. Auch die Versammlungen der Gemeinde sollten nicht im Gasthaus stattfinden. Zu den unterschiedlichen Auffassungen über Rahmen der Gemeindeversammlung und Verhalten der versammelten Bauern vgl. Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 111f.

und wer die Steuern einzog (was häufig der Gemeindevorsteher war), sollte keinen Handel treiben – wohl eine Maßnahme, um Veruntreuung zu verhindern.

Vgl. Carl Parey: Die Neue Kreis-Ordnung vom 13. December 1872 nebst Erläuterungen. Ein Hand- und Hilfsbuch für die nach derselben zu bestellenden neuen Amtsvorsteher und Ortsschulzen oder Gemeindevorsteher, Magdeburg 31875, S. 10, wo die unterschiedlichen Ministerialentschließungen diesbezüglich detailliert aufgelistet werden.

Die moralischen Anforderungen waren im Allgemeinen Landrecht ebenso knapp wie klar formuliert. Der Gemeindevorsteher hatte »von untadelhaften Sitten [zu] seyn«.

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert, Neuwied 31996 [ALR 1794], Zweyter Theil, Siebenter Titel, Zweyter Abschnitt, Titel 7, § 51.

Diese Anforderung schränkte den Kreis der möglichen Kandidaten manchmal ganz erheblich ein, denn der mögliche Gemeindevorsteher durfte nicht das kleinste Vergehen begangen haben; das war vor allem in Hinblick auf den Holzdiebstahl ein schwerwiegendes Problem.

Im Falle des (bereits interimistischen!) Schulzen von Töpchin urteilte die Bezirksregierung in Potsdam, dass auch ein einmaliger Holzdiebstahl, der noch dazu zeitlich vor der Übernahme des Schulzenamtes lag, nicht zu akzeptieren sei und der Dorfschulze daher aus dem Amt genommen werden müsse. Er habe sich »des Vertrauens und der Achtung, die sein Beruf erfordert, unwürdig gezeigt«; BLHA, Rep. 2a, I Kom 2329, fol. 172f., »Marginalverfügung der Bezirksregierung in Potsdam, zurück an das Rentamt Zossen«, 25. 9. 1852. Laut Kesper-Biermann wurde in Preußen in der ersten Hälfte der 1860er Jahre jeder vierzigste bis fünfzigste Einwohner wegen Holzdiebstahls verurteilt; Sylvia Kesper-Biermann: Einheit und Recht. Strafgesetzgebung und Kriminalrechtsexperten in Deutschland vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871, Frankfurt am Main 2009, S. 39.

Daneben waren Trunk- oder Streitsucht regelmäßige Ausschlussgründe.

Doch noch eine Anforderung machte es der Bürokratie zumindest in der Mitte des 19. Jahrhunderts schwer, überhaupt einen Gemeindevorsteher zu küren: »Wer zum Schulzenamte bestellt werden soll, muß des Lesens und Schreibens nothdürftig kundig […] seyn«.

ALR 1794, Zweyter Theil, Siebenter Titel, Zweyter Abschnitt, § 51.

Damit wurde gerade in kleinen Gemeinden der Kreis der möglichen Kandidaten sehr übersichtlich, in Ostelbien war unter den Erwachsenen der Anteil der Analphabeten noch erheblich.

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 86–90, zum Volksschulbesuch und den Lücken der Schulpflicht. Wehler ist optimistischer, was die Analphabetenrate in Preußen angeht: Laut der preußischen Volkszählung von 1871 waren in ganz Preußen 13,7 Prozent der Bevölkerung des Lesens und Schreibens nicht mächtig; in Brandenburg waren es nur 6,8. Doch weist er auf eine gravierende Stadt-Land-Differenz hin, so dass diese Zahlen nicht für die Landgemeinden Brandenburgs gelten dürften; Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der ›Deutschen Doppelrevolution‹ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, S. 400.

Doch reichte es, nur notdürftig lesen und schreiben zu können? Schon Mitte des 19. Jahrhunderts formulierte das Rentamt Potsdam in einem Streit um die Ernennung eines Dorfschulzen das Problem, dass diese Mindestanforderungen nicht mehr zeitgemäß seien. Es müsse ein Schulze her, »welcher mit Energie einzugreifen verstand, und mit den nöthigen moralischen und intellectuellen Befähigungen auch den nöthigen Eifer verband, Ordnung und Sitte in der bisher von Seiten der Schulzen verwahrlosten Gemeinde wieder herzustellen«.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2330, fol. 67-71, Zitat fol. 67v, »Bericht des Rentamts Potsdam an die Bezirksregierung in Potsdam, den Schulzen von Philippsthal betr.«, 17. 11. 1856.

Die gewachsenen Ansprüche an die intellektuellen Fähigkeiten der Gemeindevorsteher oder zumindest an deren grundsätzliche Beherrschung der Kulturtechniken waren eng mit den steigenden fachlichen Anforderungen und dem gestiegenen Zeitaufwand für die Verwaltung der Landgemeinden verbunden. Dies wurde zum Gegenstand der Remunerationsverhandlungen, also des Versuchs, die Amtsentschädigungen der Gemeindevorsteher im Ostelbien der 1860er Jahre nach und nach zu standardisieren. Die Landräte, die die Umwandlung der bisherigen Remunerationen (häufig Naturalien oder Boden) in Geldzahlungen vorantrieben, formulierten immer wieder die gestiegenen Anforderungen an die Dorfschulzen. So seien es »die gesteigerten Ansprüche, welche sowohl in communaler, wie in polizeilicher Beziehung an den Schulzen von der Ortsobrigkeit und dem Landraths-Amt, sowie auch von den Einwohnern gemacht werden und täglich sich mehren«, die eine erhöhte Entschädigung für die Gemeindevorsteher nötig machten.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2330, fol. 409–410, »Bericht des Landrats des Kreises Teltow an die Königliche Regierung, Abteilung des Innern, Betrifft: die Erhöhung der Schulzenamts-Remuneration zu Gr. Kienitz, Verfügung vom 5. Mai«, 1. 6. 1860. Ein weiterer Faktor, der in den Remunerationsverhandlungen häufig zur Sprache kam, war die oft weite Entfernung zwischen Gemeinde und Landratsamt bzw. Gutsherrschaft.

Vor allem in den Berliner Vorortgemeinden, so argumentierte der Landrat des Kreises Teltow bezugnehmend auf den Schulzen von Neu-Schöneberg, sei die Amtsverwaltung des Schulzen so zeitraubend, »daß er neben der Amtsverwaltung so gut, wie gar nicht, daran denken kann, irgend wie ein Geschäft zu betreiben«.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2330, fol. 338f., »Schreiben des Landrats des Kreises Teltow an die Königliche Regierung, Abtheilung des Inneren zu Potsdam, betrifft die Erhöhung der Schulzenamts-Remuneration in Neu Schöneberg vom 4. August 1859«, 23. 12. 1859.

Wie aber muss man sich die Belastung der Gemeindevorsteher vorstellen? Die kleine oberbayerische Gemeinde Bernried dient hier als Untersuchungsfall. Die Gemeinde bestand vor allem aus dem zentral gelegenen Dorf, einer alten Hofmarksgemeinde, die bis 1806 unter der Herrschaft des lokalen Klosters gestanden hatte. Neben dem ehemaligen Kloster, das im 19. Jahrhundert von wechselnden Besitzern als Gut bewirtschaftet wurde, war die Gemeinde kleinbäuerlich geprägt, zudem gab es Fischer und viele kleine Handwerker im Dorf am Ufer des Starnberger Sees. Im Jahr 1871 zählte die Gemeinde 468 Einwohner und war nicht besonders wohlhabend, aber auch nicht durch extreme Armut geprägt. In den 1870er Jahren wurde in der Gemeindeverwaltung mehr oder weniger sorgfältig ein Amtsjournal geführt, das über die zeitliche Belastung, aber auch die Spannbreite der Tätigkeiten Aufschluss geben kann, die der Bürgermeister auszuführen hatte.

Im März 1872 landete einiges auf dem Tisch von Bürgermeister Wörle.

Vermutlich handelt es sich beim Bürgermeister um Mathias Wörle, einen kleinen Landwirt, der als »Gütler« bezeichnet wurde; GAB, A02/5: Gemeindeverwaltungswahlen pro 1894/99, »Protokoll«, 28. 12. 1893 [in diesem Protokoll wird vermutlich sein Sohn genannt].

Er leitete eine Gemeindeausschusssitzung, bei der beschlossen wurde, einen Zimmermann nicht nur als Gemeindebürger aufzunehmen, nachdem er die Gebühr von 12 Gulden bezahlt hatte, sondern ihm auch die Verehelichung zu gestatten – vermutlich eine kurze Gemeindeausschusssitzung.

GAB, B2/2: Tagebuch für Beschlüsse der Gemeindeverwaltung 1870–1875.

Zusätzlich war ein ganzer Schwung von Schreibarbeiten zu erledigen, im Amtsbuch sind für den März 1872 zwölf Einträge vermerkt. So musste Wörle das Bezirksamt oder andere Behörden über Vorgänge in der Gemeinde informieren, etwa über den Verbleib eines Mädchens aus dem Gemeindeteil Karra sowie über die Anwesenheit eines Landwehrsoldaten, über den Gewinn des Gutes Höhenried, den Tod eines Gemeindemitglieds, die ortsübliche Bauweise einer Schiffshütte, die Namen der Geschworenen sowie des Beauftragten für die Hebung der Rinderzucht. Ebenso musste er die Gemeinde über verschiedene Dinge in Kenntnis setzen, so über neue Regelungen bezüglich der gewerblichen Fortbildungsschule und über die Heirat von Gemeindemitgliedern. Schlussendlich übernahm er auch Kommunikationsaufgaben für Gemeindemitglieder, wenn er etwa die nötigen Unterlagen für die Eheschließung an andere Gemeindeverwaltungen sandte oder einen Geldtransfer von der Gutsverwaltung an einen in Not geratenen Brauer übernahm.

GAB, B1/1: Geschäftsjournal 1872-1876, eigene Auswertung des Monats März 1872.

Immerhin wurde das gemeindliche Vermittlungsamt im gesamten Quartal nicht angerufen, sodass Wörle nicht auch noch Streitigkeiten zwischen den Dorfbewohnern schlichten musste – oder zumindest fertigte er kein Protokoll darüber an.

GAB, B9/1: Protokollbuch des Vermittlungsamtes der Gemeinde Bärnried 1855–1882.

Der Bürgermeister erscheint vor dem Hintergrund dieser Tätigkeiten vor allem als örtliche Servicestelle, sowohl für die Einwohner der Gemeinde als auch für andere Gemeinden, in erster Linie aber für staatliche Stellen, denen er verschiedene Auskünfte geben musste. Der Bürgermeister wurde im ganzen Jahr 1872 (zumindest laut Amtsjournal) nur zweimal von sich aus oder auf Aufforderung des Gemeinderats tätig; einmal ging es darum, dass die Gemeinde mit dem Jagdpächter und Besitzer des ehemaligen Klosterguts Probleme hatte und dieser Konflikt an das Bezirksamt überwiesen wurde, das andere Mal um den Ausbau der dörflichen ›Infrastruktur‹ – die Debatten um den Neubau des Schul-, Feuerwehr- und Gemeindehauses begannen ebenfalls 1872, zogen sich aber noch eine ganze Weile hin.

Waren diese Aufgaben für einen ehrenamtlichen Gemeindevorsteher, der sein Amt in den Abendstunden und am Wochenende versehen musste, schon ein recht umfangreiches Programm, so erscheint der Bürgermeister regelrecht faul, wenn man die tatsächlich von ihm durchgeführten Arbeiten mit den in einem Dienstkalender vorgeschriebenen Tätigkeiten vergleicht. Im »Bayerischen Dorfbürgermeister« von 1895 sind immerhin 163 Positionen aufgeführt, die der Gemeindevorsteher im Laufe des Jahres zu erledigen hatte: von der Nachbestellung der Amtsblätter über die Pflege der Wählerlisten und Stammrollen bis hin zu Berichten über den Sittlichkeitszustand in der Gemeinde, die es abzufassen galt.

Adam Eichner: Der Bayerische Dorfbürgermeister mit Berücksichtigung des linksrheinischen Bayerns. Praktisches Handbuch für die Bürgermeister in den Landgemeinden, Märkten und kleineren Städten, für die Beigeordneten, Standesbeamten, Adjunkten der Pfalz, sowie für die Gemeindeschreiber, Bamberg 1895, S. 267–280.

Dabei waren die innergemeindlichen Aufgaben, die nicht regelmäßiger Natur waren (Gemeindeausschusssitzungen, Entscheidungen über gemeindliche Investitionen, das gemeindliche Schiedsamt und so fort), noch gar nicht angesprochen. Besonders interessant ist hier, eine genauere Auswertung vorzunehmen, welcher Art die Aufgaben waren. Die 163 Aufgaben splitteten sich wie folgt auf.

Die Kategorien wurden nach den Regeln der Grounded Theory gebildet; Mehrfachzuordnungen gab es nur in sehr seltenen Fällen. Einführend Jörg Strübing: Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung, Wiesbaden 22008.

Posten
Informationserhebung und/oder-weiterleitung nach außen111
Überprüfungen und Kontrollen im Dorf28
Bekanntmachungen und Anweisungen innerhalb des Dorfes25
Sonstiges2

Der absolut überwiegende Teil der Aufgaben, die der Gemeindevorsteher über das Jahr verteilt zu erledigen hatte, bestand also darin, nach den Vorgaben der staatlichen Bürokratie, das heißt in Tabellen, Berichten, Karteien oder Listen, Informationen zu erheben, diese auf dem neuesten Stand zu halten und an die unterschiedlichen Stellen – das Bezirks- oder Rentamt, an Genossenschaften, Versicherungsgesellschaften und andere – weiterzuleiten. Die Aufgaben, die er innerhalb des Dorfes zu erledigen hatte und von denen die Dorfbewohner etwas mitbekamen – die Verkündung von Anordnungen, die Bekanntgabe von Terminen, die Überprüfung von Maßen, Gewichten oder Feuerlöschgerätschaften, die Auslage von Listen –, machten demgegenüber nicht einmal ein Drittel aus. Deutlich wird, wie stark die Gemeindevorsteher in die Erhebung staatlichen Wissens eingebunden waren: In Anlehnung an die Überlegungen, die Patrick Wagner zu den Informationserhebungsstrategien des modernen Staates mit dem Begriff des »informationellen Kapitals« des Staates (Bourdieu) formuliert,

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 23.

können diese alltäglichen Praktiken der Informationserhebung nicht nur als Wissenstransfer vom lokalen in den staatlichen Raum begriffen werden, sondern auch als ein Lernprozess, der die Bürgermeister in die Grundzüge staatlichen Wissens einübte. Die staatlichen (und staatsnahen) Stellen waren auf das lokale Wissen der Akteure im Dorf angewiesen, es konnte nur innerhalb des Dorfes gesammelt werden. Doch es musste nach staatlichen Kriterien erhoben werden. Dazu gehörte die äußere Form, die bürokratisch verwertbar sein musste, eben als Tabelle, schriftlicher Bericht oder sauber geführte Liste. Aber auch die innere Form, die Qualität der Information und die Unterscheidungen, die durch die Erhebung getroffen wurden, mussten den staatlichen (objektivierten) Kriterien entsprechen, quantifizierbar sein oder auf klare Merkmalsunterscheidungen abheben. Damit wurden die lokalen Amtsträger, so meine These, notwendigerweise in die Denkart und Wissensorganisation des bürokratischen Staates eingeführt. Sie lernten, welche Faktoren aus staatlicher Perspektive für die Regierung des Dorfes relevant waren, während andere, möglicherweise traditionellere Formen lokalen Wissens (Traditionen, familiäre Netzwerke, alte Rechte) irrelevant wurden.

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 35; Peter Collin / Thomas Horstmann (Hg.): Das Wissen des Staates. Geschichte, Theorie und Praxis, Baden-Baden 2004; Pierre Rosanvallon: Der Staat in Frankreich von 1789 bis heute, Münster 2000, S. 29–35.

Aber diese Lernprozesse brauchten Zeit, auch deshalb, weil die Normen, wie sie etwa von den Dienstkalendern gesetzt wurden, keineswegs lokal immer genau so umgesetzt wurden. Die Amtsinhaber mussten erst einmal darüber aufgeklärt werden, was genau ihre Pflichten waren und wie sie diesen nachkommen konnten. Dafür waren zwei Dinge notwendig: eine nicht zu kurze Amtszeit und Hilfe von außen. Gerade weil die Einarbeitung der Gemeindevorsteher vor allem über ›learning by doing‹ funktionierte, wurde in den Reformprozessen Wert darauf gelegt, dass die Amtszeit des Gemeindevorstehers nicht zu kurz bemessen war. Um 1850 war in Bayern eine neue Gemeindeordnung in Planung, die nur noch eine dreijährige Amtszeit der Bürgermeister vorsah. Dies sei jedoch viel zu kurz, denn so lange bräuchten die Betreffenden schon, »um sich für den Dienst einzuschulen«, wie der Landrichter aus Bruck in seiner Stellungnahme an die Regierung von Oberbayern schrieb.

StAM, RA 64981, »Bericht des Bezirksamts Bruck an die Regierung von Oberbayern, Kammer des Innern, die Revision des GemeindeEdikts betr.«, 17. 9. 1850.

Und auch die Reformen in Preußen zielten darauf ab, die Fluktuationen im Amt so gering wie möglich zu halten. Vor 1872 hatten in manchen Orten die Vorsteher ständig gewechselt; dies schien für die professionalisierte Bürokratie unhaltbar, während manche Gemeinden sogar jährliche Rotationsverfahren offenbar lange Zeit praktiziert hatten.

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 137f.

Die Hilfe von außen bestand zunächst in der Verfügbarkeit bestimmter Hilfsmittel. Grundlage der Amtsführung waren in der Regel die umfangreichen Instruktionen, die als Ausführungsbestimmungen zu den jeweiligen Gemeindegesetzen von den Ministerien oder Kammern des Innern gegeben wurden; diese wurden entweder als separate Drucksachen an die Gemeinden ausgegeben (häufig gegen Druckkostenerstattung), oder die Gemeinden wurden angehalten, Verordnungssammlungen wie den bayerischen »Döllinger«

Diese Sammlung druckte die Verordnungen der inneren Verwaltung des Königreichs Bayern in verschiedenen Themenblöcken in der Regel unkommentiert wieder ab. Der elfte Band beschäftigte sich mit dem Gemeinde- und Stiftungswesen; Georg Ferdinand Döllinger: Sammlung der im Gebiete der inneren Staats-Verwaltung des Königreichs Bayern bestehenden Verordnungen, aus amtlichen Quellen geschöpft und systematisch geordnet, 20 Bde., München 1835–1839.

anzuschaffen. Zudem mussten die Gemeinden die regulären Amtsblätter abonnieren und Gesetzessammlungen vorhalten.

StAM, RA 65034, »Schema nach welchem die Gemeindevisitationen im Bezirksamts-Sprengel Friedberg pro 1874 vorgenommen worden sind« (Abschrift), 11 Blatt [sic!], o. D.

Die Pflege dieser Dokumentsammlung, die regelmäßige Durchsicht der eingehenden Amtsblätter, das Verkünden der Verordnungen sowie die Anpassung der eigenen administrativen Praxis an die sich ständig ändernden Verwaltungsvorschriften gehörten zu den Anforderungen, die an die Gemeindevorsteher gestellt wurden. Viele dürften bereits von der schieren Menge der Verordnungen und der ungewohnten rechtlich-administrativen Sprache überfordert gewesen sein.

Darauf reagierten extra für Gemeindevorsteher ländlicher Gemeinden abgefasste Instruktionsbücher, die nicht nur in Bayern und Preußen im 19. Jahrhundert immer häufiger wurden.

In Frankreich gab es bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele dieser Instruktionen, wie beispielsweise das offizielle Periodikum »Répertoire administratif des maires et des conseillers municipaux«, Grenoble 1834ff. Immerhin 400 Seiten umfasst das kleinformatige Büchlein von Paul Cére: Code de la Mairie. Nouveau manuel du maire, de l’adjoint et du conseiller municipal, Paris 1852.

Sie formulierten alle ein ähnliches Defizit. Die Vorsteher ländlicher Gemeinden, meist Bauern, verfügten nicht über das notwendige Wissen und die Erfahrung, um die vielfältigen Anforderungen an die Führung einer lokalen Behörde zu erfüllen. Daher müssten sie für diese Aufgaben fit gemacht werden. Häufig wurden diese Bücher von Praktikern geschrieben, beispielsweise von professionalisierten städtischen Bürgermeistern oder von Beamten aus den Landrats- oder Bezirksämtern. In manchen Fällen wurde auch direkt diese Perspektive eingenommen:

Durch dasselbe [das Buch] hofft der Verfasser sich auch den Distrikts-Verwaltungsbehörden nützlich zu machen, welche keinen geringen Theil ihrer Geschäftslast dem Umstande zuzuschreiben haben, daß die Gemeindebehörden aus Unkenntniß der einschlägigen Bestimmungen häufig Zwischen-Verfügungen veranlassen, welche erspart werden können, wenn die Letzteren in den Stand gesetzt sind, sich mit dem ihnen außerdem schwer zugänglichen Material vertraut zu machen und für die Behandlung ihrer Berufsgeschäfte eine passende Form zu finden.

Wilhelm Stadelmann: Handbuch für Landgemeinde-Verwaltungen, Armenpflegschaftsräthe, Kirchen- und Schulverwaltungen, Verwalter des Gemeinde- und Stiftungs-Vermögens und Gemeindeschreiber, Bamberg 1870, S. III.

Dabei richteten sich nicht alle dieser Bücher exklusiv an Bürgermeister. Der »Bayerische Staatsbürger« etwa versprach, allen Bürgern Bayerns das notwendige Handwerkszeug für die ›neue Zeit‹ an die Hand zu geben. Unter verschiedenen Lemmata – von einer Übersicht, wie die verschiedensten Amtsträger korrekt anzusprechen und anzuschreiben seien, bis hin zu den Regelungen der Zuchtstierhaltung – bieten diese Bücher heute einen Einblick in die vielfältigen Herausforderungen, denen sich nicht nur die Bürgermeister, sondern eben auch immer mehr ›normale‹ Bürger im Zuge der Staatsexpansion gegenübersahen. Das bereits eingangs zitierte »Bürgermeisterbüchlein« von Franz X. Wagner dagegen richtete sich einerseits an »Landbürgermeister und solche, die es werden wollen«, andererseits an »deren Wähler«; Wagner gab zum Beispiel Ratschläge, woran ein geeigneter Kandidat zu erkennen sei.

Dieses Buch führte damit zumindest ansatzweise in die politische Mitbestimmung ein; dass Wagner als katholischer Geistlicher dabei besondere Schwerpunkte, zum Beispiel zur Unterordnung des Bürgermeisters unter den Dorfgeistlichen gab, steht dabei auf einem anderen Blatt; Wagner: Bürgermeisterbüchlein.

Zum Teil warben die Verlage über die Aufsichtsbehörden für ihre Bücher, sandten Leseproben oder Anzeigen ein, um von den Landräten oder Bezirksamtsvorstehern an die lokalen Behörden weiterempfohlen zu werden.

Wie weit diese Bücher verbreitet waren, bleibt allerdings im Dunkeln. Verpflichtend waren vor allem diverse Amtsblätter zu halten, in Bayern etwa das »Gesetzblatt« (vermutlich das Bayerische), das »Kreisamtsblatt« (von Oberbayern), das »Amtsblatt« (des Bezirksamtes), das Reichsgesetzblatt sowie das Amtsblatt des Staatsministeriums des Innern. Zudem mussten das Reichsstrafgesetzbuch und das Militärstrafgesetzbuch in der Gemeinde vorhanden sein; StAM, RA 65034, »Schema nach welchem die Gemeindevisitationen im Bezirksamts-Sprengel Friedberg pro 1874 vorgenommen worden sind« (Abschrift), 11 Blatt [sic!], o. D.

Außerdem spielten die periodischen Gemeindevisitationen in Bayern eine wichtige Rolle für die Einübung einer richtigen Amtspraxis.

Zur Bedeutung von Gemeindevisitationen siehe auch die Beiträge von Rüdiger von Krosigk und Birgit Näther in diesem Band.

In welcher Form diese Visitationen jedoch durchgeführt wurden, hing sehr stark von der jeweiligen Person des vorgesetzten Beamten ab; manche von ihnen waren überfordert, andere nahmen offenbar ihr Amt nicht ernst oder versuchten lediglich, so mutmaßte die Regierung von Oberbayern, einen privaten Nutzen aus diesem zu ziehen.

Das zog eine ausführliche Kontrolle der kontrollierenden Behörden durch ihre jeweiligen Vorgesetzten nach sich; vgl. StAM, RA 65034, »Verfügung des königlichen Ministeriums des Innern an die kgl. Regierung, K.d.I. von Oberbayern, die Visitation der Gemeinden betreffend«, 2. 7. 1853.

Schließlich wurde die Visitationspflicht der Landgerichte von zunächst zweimal jährlich auf einmal in drei Jahren herabgestuft; dennoch sollten die Landrichter und (ab 1862) Bezirksamtsvorsteher sowie ihre Mitarbeiter (soweit vorhanden) jede Gelegenheit nutzen, um mit den Gemeindevorstehern zu sprechen und in den Gemeinden nach dem Rechten zu sehen. In der Neufassung der bayerischen Visitationsordnung von 1863 wurde der Nutzen der Gemeindevisitationen unterstrichen und mit einem Appell an die Bezirksamtsvorsteher verbunden:

Gründlich vollzogene Gemeinde-Visitationen werden den Verwaltungsbeamten mit den Zuständen und Bedürfnissen der Gemeinden und Gemeinde-Verwaltungen völlig vertraut machen; auf dem kürzesten Wege zur Beseitigung von Mißverständnissen, Unregelmäßigkeiten oder Uebelständen führen; die Gemeinde und ihre Organe in geordneten Zuständen erhalten oder zu solchen erheben. Die unterzeichneten k. Staatsministerien geben sich daher dem Vertrauen hin, daß sämmtliche Verwaltungsbeamte die Gemeinde-Visitationen mit jenem lebhaften Interesse und mit jener Umsicht vollziehen werden, wie solches der Wichtigkeit der Sache und dem Berufe des Verwaltungsbeamten entspricht.

»Vom k. Staatsministerium des Innern beider Abtheilungen unterm 23. Juni 1863 erlassenes höchstes Rescript, die Visitation der Gemeinden betr.«, in: Königlich Bayerisches Kreis-Amtsblatt von Oberbayern (1863), Nr. 61, Sp. 1309–1313, hier Sp. 1312.

In einer weiteren Anpassung, die wohl der tatsächlichen Amtspraxis entsprach und weitere Erleichterungen für die Bezirksämter vorsah, hieß es, die Visitationen sollten auf wenige Bereiche beschränkt werden. In der Aufzählung zeigt sich jedoch, wie umfangreich der Verwaltungsbereich der Landgemeinden inzwischen geworden war:

Die Visitation hat sich namentlich auf das Kassenund Rechnungswesen der Gemeinde, der gemeindlichen Stiftungen und der Kirchenstiftungen, auf die Beschaffenheit der gesetzlich erforderlichen Gemeindeanstalten, insbesondere der Anstalten für Erziehung und Unterricht, Gottesdienst, Armen-, Kranken-, Gesundheitspflege, Verkehrs- und Feuerlöschwesen, auf die Handhabung der Orts- und Feldpolizei, die Unterstützung der Hilfsbedürftigen, die inneren Schulverhältnisse, Schulbesuch, Schuldisziplin p. p. zu erstrecken.

StAM, RA 65034, »Entschließung des Bayerischen Staatsministerium des Innern beider Abtheilungen. Betreff: die Gemeindevisitationen«, 23. 4. 1876.

Durch Instruktionen, Kontrollen und die regelmäßige Interaktion mit den vorgesetzten Behörden (vor allem durch die ständige schriftliche Korrespondenz) wurden die Gemeindevorsteher also mit wachsenden Aufgaben immer näher an die staatliche Administration angebunden. Sie konnten sich, je mehr Aufgaben ihnen zur Pflicht gemacht wurden, umso weniger von den Anforderungen an ihr Amt frei machen. Alltägliche Einübungen, die Ermahnungen und Kritik der Aufsichtsbehörden sowie die zahlreichen schriftlichen Instruktionen trugen dazu bei, dass sie ihre Aufgaben sicher nicht perfekt erfüllten, aber immer stärker in die administrativen Abläufe eingeführt und darin geschult wurden.

Vor allem in Preußen aber scheint der Verdacht nahezuliegen, dass die Vorgesetzten Stellen, vor allem die Landräte, in vielen Fällen gar nicht so sehr an der Schulung und Ausbildung ›ihrer‹ Gemeindevorsteher interessiert waren. Sie verteidigten die Gemeindevorsteher zum Teil in Konflikten damit, dass sie nun einmal keine professionellen Beamten seien. Es sei doch klar, dass in der Regel »ein im Schreibwerk unerfahrener Bauer«, der viel Zeit in die ihm übertragenen Aufgaben investieren musste, das Amt verwaltete.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2331, fol. 11–13, »Bericht des Landrats des Kreises Teltow an die Königliche Regierung, Abteilung I, zu Potsdam, betrifft die Erhöhung der Remuneration für die Verwaltung des Schulzen-Amtes zu Rudow«, o. D. [1861].

Und auch wenn die Amtsführung des Gemeindevorstehers von den anderen Gemeindemitgliedern kritisiert wurde, wurde mal ein Auge zugedrückt. Im Falle des Schulzen Brückmann von Nudow, der immer wieder von seinen Gemeindemitgliedern kritisiert wurde, versuchte der Teltower Landrat den Schulzen gegenüber der Regierung in Potsdam in Schutz zu nehmen:

Wenn durch die Beschwerden Manches aus der Verwaltung des Brückmann zur Sprache gekommen ist, was als inkorrekt bezeichnet werden muß, so dient zur Entschuldigung des vielverfolgten Mannes, daß an ihn nicht die Anforderungen, wie an einen büreaukratisch [sic] ausgebildeten Beamten gemacht werden können. Brückmann macht den Eindruck eines ehrlichen Menschen und die vorliegenden Verhandlungen haben dies nicht widerlegt.

BLHA, Rep. 2a, I Kom 2333, fol. 72f., »Bericht des Landrats des Kreises Teltow an die Königliche Regierung zu Potsdam in der Beschwerdesache mehrerer Gemeindemitglieder von Nudow gegen den Schulzen Brückmann«, 25. 8. 1870. Auch vor Gericht wurde diese Argumentation ins Feld geführt. Vgl. BLHA, Rep. 2a, I Kom 2334, fol. 102f., »Abschrift des Gerichtsurteils; Verfahren gegen Gotlieb Tesche in Senzig wg. Beleidigung«, 5. 3. 1908: »Dass an die Kassen- und Buchführung einer Landgemeinde in der Regel nicht der Massstab [sic] angelegt werden kann, der sonst die selbstverständliche Voraussetzung behördlicher Tätigkeit bildet, bedarf bei Berücksichtigung der ländlichen Verhältnisse und der nicht mehr oder minder nur ehrenamtlichen Tätigkeit der in Frage kommenden Personen und ihrer meist geringen Vorbildung und Geschäftsgewandheit [sic] keiner weiteren Erörterung«.

Patrick Wagner vermutet sogar, dass die Landräte gar nicht daran interessiert gewesen seien, die Gemeindevorsteher zu kompetenten Mitspielern zu machen, sondern sie lieber kleinhielten, um ihre eigene Position, auch gegenüber den ihnen vorgesetzten Stellen, zu stärken.

Wagner: Bauern, Junker und Beamte, S. 123.

Schlussfolgerungen

Auch wenn ein symmetrischer Vergleich der beiden Staaten Preußen und Bayern wenig sinnvoll erscheint, da die Quellenüberlieferung eine wirkliche Symmetrie gar nicht zulässt, so bieten sich doch einige Schlussfolgerungen an, die die unterschiedliche Stellung, Einbindung und auch Erfolgsaussichten der lokalen Gemeindevorsteher im sich wandelnden Staatsgefüge zu erhellen vermögen. Während die preußische Administration weiterhin damit kämpfte, dass Dorfschulzen sich weigerten, ihre Aufgaben zu erfüllen oder gar erst zu übernehmen, waren die bayerischen Dorfbürgermeister im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts damit beschäftigt, eine große Menge administrativer Aufgaben auszuführen, die staatliche Bürokratie mit detaillierten Informationen über die unterschiedlichsten Aspekte des Dorflebens zu versorgen und innerhalb des Dorfes öffentliche Anordnungen bekanntzumachen, durchzusetzen und Konflikte zu schlichten.

Warum, so könnte man nun fragen, waren die Bürgermeister in Bayern erfolgreich, obwohl sie weniger überwacht und weniger strikt von der Bürokratie ausgewählt waren, während die preußischen Landräte weiterhin häufig und stereotyp darüber klagten, dass die ihnen unterstellten Ortsvorsteher ungeeignet für ihre Aufgaben waren? Nach den Überlegungen, die ich in diesem Aufsatz angestellt habe, könnte man zwei Faktoren für den größeren ›Erfolg‹ verantwortlich machen: erstens Dauer und Frequenz der Kontakte mit den übergeordneten administrativen Ebenen, zweitens die Eigenverantwortung, die den Gemeinden gleichzeitig übertragen wurde.

Der erstere Punkt ist der sichtbarste im Vergleich zwischen Bayern und dem ostelbischen Preußen. Die bayerischen Gemeindebürger hatten in meinem Untersuchungszeitraum bereits den Großteil oder ihr vollständiges Erwachsenenleben in einer Gemeinde zugebracht, die zumindest über eingeschränkte Selbstverwaltungsrechte verfügte, sie waren seit ihrer Aufnahme als Bürger Mitglieder der Gemeindeversammlung, mussten dort Entscheidungen treffen oder zumindest durchwinken und wurden immer wieder mit administrativen Logiken in Kontakt gebracht, sodass die Bürgermeister bereits vor ihrer aktiven Amtszeit immer wieder in administrativen Rationalitäten geschult wurden. Auch die anderen administrativen Akteure, also die Bezirksamtsvorsteher und ihre Mitarbeiter, aber auch die Akteure in den Kreisregierungen, hatten Zeit, Erfahrungen mit den bäuerlichen Akteuren auf Gemeindeebene zu sammeln. In Preußen hingegen stellt mein Untersuchungszeitraum erst den Beginn des intensivierten Kontakts zwischen professionalisierter Bürokratie im ländlichen Raum und den Gemeindevorstehern dar; zudem kam hier die Einbindung der lokalen Gemeindevorsteher sehr viel schleppender in Gang und wurde noch sehr lange über patriarchale Verhältnisse vermittelt. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eroberten sich die zunehmend ›verstaatlichten‹ Landräte die Hoheit über den ländlichen Raum. Nun waren die Landgemeinden nicht mehr in erster Linie vom Gutsherrn, sondern vom Landrat abhängig – abhängig blieben sie aber. Eine weitreichende Autonomie (und damit Verantwortung für die übertragenen Aufgaben) wie in Bayern setzte sich nicht im gleichen Maße durch, auch nicht mit der Landgemeindeordnung von 1891.

Der damit zusammenhängende zweite Punkt scheint zumindest für die Einbindung der lokalen Verwaltungen eine große Rolle gespielt zu haben. Die starke Eigenverantwortung, die die bayerischen Landgemeinden übertragen bekamen, hatte eine Fülle von administrativen Aufgaben zur Folge, wodurch die Gemeindevorsteher folglich mehr Übung in der administrativen Praxis bekamen. Gleichzeitig waren die vorgesetzten Stellen, hier also die Bezirksämter, personell nicht ausreichend ausgestattet, um die gemeindeeigenen Aufgaben im Zweifel mit zu übernehmen; die bayerischen Beamten hatten also gar nicht die Möglichkeit wie die preußischen Landräte, die Gemeindevorsteher in inkompetenter Abhängigkeit zu halten. Die Autonomisierung der Gemeinden stand, so zeigt sich am Beispiel der Gemeindevorsteher und Landbürgermeister, gar nicht in einem Widerspruch zur Verstaatlichung der Gemeinden; vielmehr griffen beide Regierungsweisen stark ineinander und verstärkten wechselseitig ihre Wirkung, sodass es sinnvoll ist, beide mit dem Begriff ›Gouvernementalisierung‹ zu fassen. Das macht noch einmal deutlich, dass es falsch wäre, von zwei Polen der gemeindlichen Traditionen zwischen Verstaatlichung und Selbstverwaltung zu sprechen, wie dies in heutigen Debatten zur Lage der Gemeinden häufig der Fall ist. Die hier dargestellte Analyse hat hingegen ebenso wie andere Forschungen zur Aneignung bürokratischer Strukturen im ländlichen Raum gezeigt, dass das Ineinandergreifen von staatlicher Intervention und staatlich regulierter lokaler Selbstverwaltung dazu beitrug, dass die Gemeinden – Stadtwie Landgemeinden – zu wichtigen Elementen des modernen europäischen Staates wurden.

Dazu etwa die Ausführungen von Langewiesche zur Rolle der Kommunen bei der Entstehung des Wohlfahrtsstaats; Dieter Langewiesche: »›Staat‹ und ›Kommune‹. Zum Wandel von Staatsaufgaben in Deutschland im 19. Jahrhundert«, in: Historische Zeitschrift 248 (1989), S. 621635; außerdem die in Anm. 6 zitierte Literatur.

Allerdings ist die Frage von ›Erfolg‹ und ›Misserfolg‹ immer eine perspektivische. Denn für die bürokratischen Akteure bemaß sich der Erfolg von Gemeindevorstehern vor allem daran, ob die lokalen Gemeindevertreter zunehmend in der Lage waren, den bürokratischen Anforderungen zu genügen, und im Sinne des Anleitungsbuchs von Wilhelm Stadelmann

Stadelmann: Handbuch, S. III.

nicht allzu viel »Umstände« machten. Woran sich Erfolg oder Misserfolg der Gemeindevorsteher innerhalb der Gemeinde oder gar aus der Perspektive der Vorsteher selbst feststellen ließ, ist auf der Grundlage des hier verwendeten Quellenmaterials deutlich schwieriger auszumachen. Dafür müssten andere Verhaltenslehren, auch andere Problemfälle analysiert werden, etwa das Verhalten von Gemeindevorstehern in lokalen Auseinandersetzungen oder bei Streitigkeiten zwischen Gemeinde und bürokratischer Ebene.

Bezogen auf das Verhältnis von Staat und Raum ist in der Analyse deutlich geworden, dass kaum die Rede davon sein kann, dass der Raum des Staates sich bis in die entfernteste Peripherie ausweitete. Stattdessen blieben die Gemeinden auch über die Reformen der Gemeindeordnungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hinaus als deutlich differente Räume markiert; auch die Praxis der Gemeindevorsteher blieb von der der professionalisierten Bürokratie deutlich unterscheidbar. Ob das an einer stärkeren Nachsicht gegenüber lokalen Praktiken wie in Bayern lag oder an einem gewissen Fatalismus gegenüber den Gemeindevorstehern, die als nur begrenzt lernfähig angesehen wurden, wie in Preußen, bleibt zunächst dahingestellt. Nichtsdestotrotz veränderte sich das Verhältnis zwischen den hier unterschiedenen staatlichen und gemeindlichen Räumen, nicht zuletzt dadurch, dass mit der verstärkten Zwitterstellung der Gemeindevorsteher zwischen diesen Räumen Verknüpfungen dieser Räume entstanden. Die Gemeinde(selbst)verwaltung kann als »Kontaktzone«

Den Begriff verwende ich im Sinne von Mary Louise Pratt: »Arts of the Contact Zone«, in: Profession 91 (1991), S. 33–40.

verstanden werden, in der lokale und staatliche Logiken aufeinandertrafen. Durch die Verstetigung der Tätigkeiten des Gemeindevorstehers, das Alltäglichwerden des Verwaltens in den Gemeinden wurde diese Kontaktzone selbst immer stärker stabilisiert und bildete damit ein Bindeglied zwischen staatlichen und lokalen Räumen. Sie war allerdings keineswegs ein neutraler Boden, auf dem staatliche und lokale Akteure mit ihren jeweiligen Interessen in einen Austausch treten konnten, sondern maßgeblich durch asymmetrische Machtpositionen gekennzeichnet. Die lokalen Akteure nahmen nicht in jeder Situation die schwächere Position ein, auch wenn die Kontaktzone Gemeindeverwaltung durch bürokratische Akteure und ihre Normen stärker geprägt wurde. Insgesamt bleibt also festzuhalten: Der staatliche Raum breitete sich nicht im Sinne einer einfachen Expansion bis in die lokalen Gemeinden hin aus, vielmehr blieben die Gemeinden als differente Räume auch im späten 19. Jahrhundert erhalten. Dennoch sind Konvergenzen, Annäherungen und verstetigte Kontaktzonen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilräumen zu beobachten.

So wird noch einmal unterstrichen, dass die Verbreitung von staatlichen Logiken in vormals staatsferne Räume ein langwieriger und schwieriger Prozess war, der durch viele Faktoren beeinflusst wurde. Von einem problemlosen Funktionieren einer gut geölten Staatsmaschinerie, in der kleine und große Rädchen reibungslos ineinandergriffen, kann auf keinen Fall gesprochen werden. Die Ausweitung staatlicher Einflüsse und Normen war nicht einfach über verfassungsrechtliche Veränderungen oder härteres Durchgreifen schnell zum Abschluss zu bringen, sondern basierte darauf, dass alle beteiligten Akteure – von den höchsten Staatsstellen bis hin zu den lokalen Amtsinhabern – an die neuen Rahmenbedingungen gewöhnt und in die neuen Aufgaben eingeführt werden mussten. Neben rechtlichen und strukturellen Veränderungen müssen auch diese (inter)subjektiven Prozesse noch genauer beachtet werden.

Publikationen mit Quellencharakter

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert, Neuwied 31996. »Gesetz, die Gemeindeordnung diesseits des Rheins betr.«, 29. 4. 1869, in: Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern (1869), Nr. 51, Sp. 865–1006. »Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen«, 13. 12. 1872, in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (1872), Nr. 41, S. 661–713. Répertoire administratif des maires et des conseillers municipaux, Grenoble 1834ff. »Vom k. Staatsministerium des Innern beider Abtheilungen unterm 23. Juni 1863 erlassenes höchstes Rescript, die Visitation der Gemeinden betr.«, in: Königlich Bayerisches Kreis-Amtsblatt von Oberbayern (1863), Nr. 61, Sp. 1309–1313. BORNHAK, Conrad: Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts, Bd. 2: Bis zum Frieden von Tilsit, Berlin 1885. CÉRE, Paul: Code de la Mairie. Nouveau manuel du maire, de l’adjoint et du conseiller municipal, Paris 1852. DÖLLINGER, Georg Ferdinand: Sammlung der im Gebiete der inneren Staats-Verwaltung des Königreichs Bayern bestehenden Verordnungen, aus amtlichen Quellen geschöpft und systematisch geordnet, 20 Bde., München 1835–1839. EICHNER, Adam: Der Bayerische Dorfbürgermeister mit Berücksichtigung des linksrheinischen Bayerns. Praktisches Handbuch für die Bürgermeister in den Landgemeinden, Märkten und kleineren Städten, für die Beigeordneten, Standesbeamten, Adjunkten der Pfalz, sowie für die Gemeindeschreiber, Bamberg 1895. PAREY, Carl: Die Neue Kreis-Ordnung vom 13. December 1872 nebst Erläuterungen. Ein Hand- und Hilfsbuch für die nach derselben zu bestellenden neuen Amtsvorsteher und Ortsschulzen oder Gemeindevorsteher, Magdeburg 31875. SAUCKEN, Erich von: Führer durch die neue Gemeindeordnung für Gemeindevorsteher und Gemeindeangehörige. Allgemein verständlich dargestellt, Frankfurt an der Oder 1892. STADELMANN, Wilhelm: Handbuch für Landgemeinde-Verwaltungen, Armenpflegschaftsräthe, Kirchen- und Schulverwaltungen, Verwalter des Gemeinde- und Stiftungs-Vermögens und Gemeindeschreiber, Bamberg 1870. WAGNER, Franz X.: Bürgermeisterbüchlein, das ist Wegweiser und Rathgeber für Landbürgermeister und solche, die es werden wollen, sowie für deren Wähler, Kempten 31893.

Sekundärliteratur

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