In Österreich sind ca. 50.000 Menschen in ihrer Mobilität von einem Rollstuhl abhängig (Statistik Austria, 2007). Trotz nationaler und internationaler Bemühungen, Barrieren in den verschiedensten Lebensbereichen zu reduzieren, sind Menschen mit Mobilitätseinschränkung in ihrem öffentlichen Leben immer wieder in ihrer Partizipation behindert (Smith, Sakakibara & Miller, 2014; LaPlante & Kaye, 2010; UN, 2006). Besonders Rollstuhlnutzern/-innen wird die Fortbewegung im städtischen Raum durch Barrieren häufig erschwert oder unmöglich gemacht (Welage & Liu, 2011). Barrieren finden sich als geographische Gegebenheiten, im öffentlichen Verkehrsnetz und in der städtischen Architektur (Welage & Liu, 2011; Palisano, Shimmell, Stewart, Lawless, Rosenbaum & Russell, 2009). Barrieren wie Gehsteigkanten und unebene Untergründe sind nicht nur Hindernisse, sondern auch Gefahren im Alltag von Rollstuhlnutzern/-innen (Bennett et al., 2009). In der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) (WHO, 2001), welche auf einem biopsychosozialen Verständnis von Gesundheit basiert, wird die Gesundheitssituation eines Menschen als Ergebnis eines dynamischen Zusammenspiels unterschiedlicher Komponenten der Gesundheit (Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Teilhabe, Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren) verstanden. In der ICF (WHO, 2001) wird von fördernden und beeinträchtigenden Umgebungsfaktoren gesprochen. Die beeinträchtigenden Umgebungsfaktoren (Barrieren) werden in dieser partizipativen Studie aus der Perspektive der Rollstuhlnutzer/-innen beschrieben. Obwohl Barrieren primär physikalischen Gegebenheiten zugeschrieben werden, beinhalten sie auch gesellschaftliche und soziale Aspekte (Schönwiese, 2011). Durch Barrieren erfahren Rollstuhlfahrer/-innen Auswirkungen auf ihre Gesundheit und Lebensqualität. Barrieren schränken Partizipationsmöglichkeiten ein, wie z.B. die Ausführung von Aktivitäten im (unmittelbaren) sozialen Umfeld. Zudem bringen sie eine erhöhte Abhängigkeit von anderen Personen mit sich. Weiters können sie Einschränkungen im sozialen Status (z.B. sind Rollstuhlfahrer/-innen vermehrt betroffen von Arbeitslosigkeit und Diskriminierung) und in ökonomischen Möglichkeiten (u.a. geringeres Einkommen und hohe Kosten für Mobilitätshilfen) mit bedingen (Smith, Sakakibara & Miller, 2014; LaPlante & Kaye, 2010; WHO, 2001).
Digitale Technologien wie ein Barriere-Informationssystem (BIS) können Rollstuhlnutzer/-innen im Alltag unterstützen, indem sie relevante Informationen zu Barrieren im öffentlichen Raum bereitstellen (Sheldon, 2003; Müller, Neis, Auer, & Zipf, 2010). Im BIS-Projekt in Wien, in dessen Kontext diese Studie durchgeführt wurde, wird ein Barriere-Informationssystem auf der Echtzeitplattform AnachB für Verkehrsinformationen entwickelt (anachb.at, 20.02.2014). Durch diese technische Hilfestellung können Rollstuhlnutzer/-innen unterstützt werden, im Alltag besser mit Behinderungen im öffentlichen Raum umzugehen. Zum Beispiel ermöglicht ein solches System, Barrieren auch auf unbekannten Wegen zu identifizieren. Das Anzeigen barrierefreier Wege auf einem Stadtplan ermöglicht es, gewählte Ziele ohne ungeplante Umwege und erhöhte Unfallgefahr zu erreichen. Damit können sich Handlungsmöglichkeiten und, damit verbunden, Verwirklichungschancen im Sinne von Chancen- und insbesondere Betätigungsgerechtigkeit erweitern (Costa, 2012 & 2013; Graf, Kapferer, & Sedmak, 2013; Sen, 2000). Betätigungsgerechtigkeit bezieht sich hier u.a. auf die Möglichkeit, auch mit körperlicher Einschränkung tun zu können, was wertvoll und sinnvoll erscheint und was in der jeweiligen soziokulturellen Umwelt von Bedeutung ist. Rollstuhlnutzer/-innen erfahren Einschränkungen hinsichtlich Betätigungsgerechtigkeit, wenn ihnen (unter anderem) durch Barrieren im öffentlichen Raum Chancen zur Teilhabe verwehrt sind bzw. sie nicht frei sind dem nachzugehen, was für sie von Bedeutung ist, was ihren Interessen, Fähigkeiten und ihrem Handlungspotential entspricht (Costa, 2012). Dies kann sowohl Freizeit, Erholung und Selbstversorgung als auch Ausbildung bzw. Beruf (Ranka & Chapparo, 1997) betreffen.
Bezugnehmend auf die Entwicklung digitaler Technologien setzt Sheldon (2003) die Gruppe der Rollstuhlfahrer/-innen in die Position der Experten/-innen, wenn es darum geht, Verbesserungen der eigenen Umwelt hinsichtlich Barrierefreiheit zu entwickeln. Auch Matthews, Beale, Picton, & Briggs (2003) weisen im Kontext einer barrierefreien Routenplanung auf die Wichtigkeit hin, neben technischen Aspekten Sichtweisen und Anforderungen der Zielgruppe – der Rollstuhlnutzer/-innen selbst – zu berücksichtigen. In ihrem MAGUS Projekt wurden folgende Barrieren als Basis für ein Informationssystem zur Routenplanung aus Sicht der Rollstuhlnutzer/-innen in Northhampton, Großbritannien, identifiziert: steile Steigungen, Stufen, hohe Gehsteigkanten, zu tiefe Abwasserrinnen, Kiesflächen, fehlende abgesenkte Gehsteigkanten, zu schmale Gehsteige, abgeschrägtes Bankett, mangelnde Wegewartung und Kopfsteinpflaster (Matthews et al. 2003).
Neben dieser umfangreichen Studie aus Großbritannien gibt es Untersuchungen zu Barrieren u.a. aus der Türkei (Evcil, 2008), Japan (Fukuda, Saito, Tsunomachi & Doutsu, 2010), Zimbabwe (Useh, Moyo & Munyonga, 2001), Kanada (Bennet et. al, 2009), den Arabischen Emiraten (Rivano-Fisher, 2004), aus Deutschland (Müller, Neis, Auer & Zipf, 2003) und den USA (Cooper, Molinero, Souza, Collins, Karmarkar, Teodorski & Sporner, 2012; Frost, Bertocci, Stillman, Smalley & Williams, 2015; Rosenberg, Huang, Simonovich & Belza, 2012). Im Gegensatz zu Matthews et al. (2003) untersuchten diese Studien Teil-Aspekte von Barrieren im öffentlichen Raum; z.B. den Zugang zu öffentlichen Gebäuden (Rivano-Fisher, 2004; Evcil, 2008; Useh et al. 2001; Übersichtsarbeit zu diesem Thema von Welage & Liu, 2011), den Zugang zu öffentlichen Gesundheitseinrichtungen (Frost et al. 2015; Fukada et al. 2010), den Vergleich von realen Gehsteigschrägen mit den laut Leitlinien zu Barrierefreiheit vorgeschriebenen Abschrägungen (Bennett et al. 2009) oder den Effekt von Steigungen und Bodenbeschaffenheit auf die Mobilität von Rollstuhlnutzern/-innen (Cooper et al. 2011).
Umfassende Daten zu Barrieren im öffentlichen Raum in Wien, welche als Basis für ein BIS genützt werden könnten, gibt es derzeit jedoch nicht. Die bisherigen Ergebnisse können aufgrund unterschiedlicher Fragestellungen in den jeweiligen Studien, möglicher struktureller Unterschiede zu Städten/Ländern bisheriger Untersuchungen sowie aufgrund möglicher Unterschiede in der Wahrnehmung von Barrieren in verschiedenen Ländern nicht direkt auf Wien übertragen werden. Im Sinne von Sheldon (2003) und Matthews (2003) ist es außerdem essentiell, die Zielgruppe, nämlich die Rollstuhlnutzer/-innen in Wien, zu befragen und sie in die Entwicklung des Systems als Experten/-innen einzubeziehen. Daher war das Ziel der vorliegenden Studie, die Barrieren im urbanen öffentlichen Raum in Wien aus der Sicht der Rollstuhlnutzer/-innen zu erheben.
Drei jeweils dreistündige Fokusgruppendiskussionen wurden mit Rollstuhlnutzern/-innen aus Wien im Herbst 2012 mit dem Ziel durchgeführt, ihre Erfahrungen in Bezug auf Barrieren im öffentlichen Raum und in Hinsicht auf die Entwicklung eines Barriere-Informationssystems zu erheben. Die Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews wurden in die multiprofessionelle Entwicklungsgruppe des nutzer/-innenorientierten Barriere-Informationssystems (wege-finden.at, 23.01.2015) eingebracht. Für die technische Entwicklung des BIS in Wien war eine Zählung der Nennungen der einzelnen Barrieren wichtig, weshalb die vorliegende Arbeit zusätzlich zu qualitativen auch quantitative Aspekte beinhaltet.
Die Rekrutierung der Teilnehmer/-innen erfolgte über Kontakte zu Institutionen (Wiener Hilfswerk, BIZEPS, Caritas, KWP, Bundessportausschuss/Behindertensport,
Sozialstation Wieden und Meidling), über eine Einladung im Student Point-Forum der Universität Wien und direkt über Mitglieder der Forschungsgruppe. Durch ein maximal variiertes Sampling wurde auf eine heterogene Gruppenzusammensetzung hinsichtlich Geschlecht, Rollstuhltyp, Migrationshintergrund, Level an Betreuung durch Assistenten/-innen und des allgemeinen Aktivitäts-und Partizipationslevels (erhoben mittels adaptierter Physical Activity Scale nach Washburn (Washburn, Zhu, McAuley, Frogley & Figoni, 2002)) geachtet (vgl. Tab. 1).
Informationen zu den teilnehmenden Rollstuhlnutzern/-innen der Fokusgruppendiskussionen
Information zu den Teilnehmern/-innen (N=22) | ||
---|---|---|
Rollstuhlnutzer/-innen | 16 Rollstuhlfahrer/-innen | 6 Assistenten/-innen |
Geschlecht | 14 Frauen | 8 Männer |
Alter | 21-78 Jahre | MW: 47,5 J |
Migrationshintergrund | 9 ja | 13 nein |
Informationen zu den Rollstuhlfahrern/-innen (n=16) | ||
Art des Rollstuhles | 5 elektrisch | 11 manuell |
Unterstützung im Alltag | 5 ja | 11 nein |
Aktivitätslevel im Alltag | selten (1), manchmal (5), oft (10) | |
Krankheit/Verletzungen | Rückenmarksverletzungen, neuromuskuläre | |
Erkrankungen, Multiple Sklerose | ||
Verwendete Verkehrsmittel | öffentliche Verkehrsmittel, eigener Wagen | |
Fahrtendienst für Rollstuhlfahrer/-innen |
Um an der Studie teilnehmen zu können, sollten die Rollstuhlnutzer/-innen mindestens 18 Jahre alt, internetaffin und kommunikationsfreudig sein, in Wien leben und Interesse an der Teilnahme am öffentlichen Leben haben (z.B. in die Arbeit gehen; ein Kino oder Restaurant besuchen und/oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen). Die Teilnehmer/-innen waren Personen, die den Rollstuhl zur eigenen Mobilitätssteigerung nutzten, sowie Assistenten/-innen von Rollstuhlnutzern/-innen.
Drei Fokusgruppen wurden von einem Forscher/-innenteam, bestehend aus Städte- und Landschaftsplanern/-innen, einer Soziologin, einem Rollstuhlfahrer sowie von Physio- und Ergotherapeuten/-innen geplant, begleitet und durchgeführt.
Die Fokusgruppen folgten stets demselben Ablauf: Nach der Begrüßung folgte die Vorstellung des Forschungsprojektes BIS und die Beschreibung der derzeitigen Projektphase. Die Teilnehmer/-innen wurden in der Teilnehmer/-innen-Information zur Studie schriftlich und zusätzlich vor Beginn der Fokusgruppendiskussion mündlich über die Studie sowie diesbezügliche ethische Aspekte aufgeklärt (s. ethische Überlegungen). In der Vorstellungsrunde der anwesenden Personen (Rollstuhlnutzer/-innen und Forscher/-innen) wurden alle Teilnehmer/-innen nach erlebten Barrieren auf deren Weg zur Fokusgruppe befragt. Anschließend wurden den Teilnehmern/-innen in jeder Gruppe 14 beispielhafte Fotos vom öffentlichen Raum in Wien gezeigt. Die Fotos wurden vorab vom Forscher/-innenteam, welchem auch eine Person mit Mobilitätseinschränkung angehörte, erstellt. Auf den Bildern waren verschiedene, für den Wiener urbanen Raum typische Settings zu sehen. Einerseits waren Fotos von Hindernissen wie einer Baustelle, einer Straße mit Pflastersteinen oder Stufen in einem Park dabei; andererseits aber auch Umweltsituationen, in denen keine klar erkennbaren Behinderungen sichtbar waren, wie beispielsweise eine Kreuzung mit Blindenleitsystem, rutschfestem Untergrund und großzügig abgeschrägten Gehsteigen. Alle Teilnehmer/-innen wurden nun aufgefordert, einBildauszuwählen und mögliche Barrieren und Hindernisse auf ihren Bildern zu identifizieren. In den folgenden moderierten Gruppengesprächen (Flick, 2012) konnten die Teilnehmer/-innen jedes präsentierte Bild und die darauf gefundenen individuellen Barrieren in der Gruppe diskutieren. Diese Herangehensweise sollte allen Rollstuhlnutzern/-innen gleichermaßen die Möglichkeit geben, ihre eigene Sicht auf Barrieren im öffentlichen Raum zu benennen.
Im zweiten Teil der Fokusgruppendiskussion nach einer halbstündigen Pause wurde der Schwerpunkt auf Erwartungen und Bedürfnisse der Teilnehmer/-innen in Bezug auf die technische Umsetzung des Barriere-Informationssystem gelegt.
Die Erkenntnisse aus der Fokusgruppendiskussion wurden auf einem Flipchart festgehalten, um so die Ansichten der Rollstuhlnutzer/-innen für die inhaltliche Bezugnahme aufeinander und für die gemeinsame Reflexion in der Gruppe präsent zu haben. In der Abschlussrunde wurden anhand der niedergeschriebenen Notizen und der präsentierten Fotos die diskutierten Inhalte zusammengefasst und den Teilnehmern/-innen abschließend die Möglichkeit gegeben, Ergänzungen einzubringen.
Die Fokusgruppendiskussionen wurden mithilfe eines digitalen Aufnahmegerätes aufgezeichnet. Während des Transkriptionsprozesses wurden die Audiodaten anonymisiert.
Die Datenanalyse erfolgte durch das Autoren/-innenteam im Sinne der Triangulation von Perspektiven auf das Datenmaterial: die Kodierungen und Kategorisierungen wurden unabhängig voneinander durchgeführt und in weiterer Folge in einem gemeinsamen Prozess bis zum Konsens verglichen (Flick, 2012). Anhand qualitativer Inhaltsanalyse wurden die Daten in einem ersten Analysedurchgang vom Erstautor ausgewertet (Flick, 2012). Aus den transkribierten Wortmeldungen der Rollstuhlnutzer/-innen wurden zunächst induktiv Kodes für genannte Barrieren gebildet (Elo & Kyngäs, 2008). Mit Hilfe eines handlungs- und partizipationsorientierten Modells, des Occupational Performance Model (Australia) (OPM(A)) (Ranka & Chapparo, 1997), wurden die Barrieren in einem weiteren deduktiven Schritt den jeweiligen Umwelten (physikalisch, sensorisch, kulturell und sozial) zugeordnet; die Barrieren der physikalischen Umwelt wurden im Detail weiter analysiert und dem multiprofessionellen Projektteam für die Implementierung in das Barriere-Informationssystem zur Verfügung gestellt.
In der Detailanalyse ergaben z.B. die
Aufbauend auf der Kodierung erfolgte eine Kategorisierung der Barrieren nach der Anzahl ihrer Nennungen und verschiedenen Qualitäten, über das für diese Barrieren Typische, d.h. über deren Repräsentanz und nicht über Repräsentativität dargestellt (Lamnek, 2010) (Tab. 2). Die konkrete ebd. dargestellte Gewichtung wurde durch Zählen der Nennungen der einzelnen gefundenen Kodes über alle drei Fokusgruppen hinweg erreicht.
Barrieren in offentlichen Räumen
% | ||
---|---|---|
46 | 9.7 | |
73 | 15.4 | |
47 | 9.9 | |
42 | 8.9 | |
36 | 7.6 | |
32 | 6.8 | |
30 | 6.3 | |
25 | 5.3 | |
23 | 4.9 | |
22 | 4.6 | |
22 | 4.6 | |
21 | 4.4 | |
Barrierefreie Parkplätze (fehlend/blockiert) | 19 | 4.0 |
Abgeschrägtes Bankett (zu hohe Neigung) | 15 | 3.2 |
Tore (Durchgang gesperrt/nicht möglich) | 13 | 2.7 |
Fahrradwege (Breite/fehlende Übergänge) | 7 | 1.5 |
Verkehrsampeln (nicht einsehbar) | 1 | 0.2 |
Anmerkung. Die fettgedruckten Barrieren wurden in allen drei Fokusgruppen thematisiert.
Das thematische Zusammenfassen der Kodes ergab eine Aufiistung von Kategorien (unterschiedliche Barrieren) mit deren qualitativen Beschreibungen (vgl. Tab. 2), welche in Folge durch die Aussagen der Teilnehmer/-innen als Direktzitate ergänzt wurden. Barrieren, die in allen drei Fokusgruppen vorkamen, wurden zusammengefasst, da deren unabhängige Nennung in allen drei Gruppen die Bedeutung dieser Aussagen nochmals verdeutlicht (Tab. 2).
Die Studie ist Teil des, BIS – Barriere-Informationssystem’ Projekts, welches im Rahmen des Forschungsförderungsprogramms ways2go vom bm:vit gefördert wurde. BIS-ProjektpartnerInnen waren PlanSinn, Ovos Media, Verkehrsbund Ost-Region VOR/ IST Vienna Region, Prisma Solutions, Sonja Gruber und Heinrich Hoffer.
Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Wien hinsichtlich der Beachtung sämtlicher ethischer Standards (Helsinki Deklaration (WMA, 2013) wie Anonymisierung der Daten, Freiwilligkeit, Aufwandsentschädigung und der Möglichkeit, jederzeit aus der Studie auszusteigen, begutachtet und genehmigt (04.09.2012, EK Nr.: 1667/2012). Der partizipative Zugang, welcher von der Konzeption der Studie bis zur Darstellung und Diskussion der Ergebnisse umgesetzt wurde, war ein Grundwert der Studie (UN, 2006; Wright, 2012).
Insgesamt konnten 22 Personen für die Teilnahme an der Studie gewonnen werden. Die Teilnehmer/-innen teilten sich in 16 Rollstuhlfahrer/-innen und sechs Assistenten/-innen von Rollstuhlfahrern/-innen auf und werden in weiterer Folge als Rollstuhlnutzer/-innen zusammengefasst angegeben. Details zu den Charakteristika der Teilnehmer/-innen sind in Tabelle 1 ersichtlich.
Die in allen drei Fokusgruppen identifizierten Barrieren betrafen vor allem physikalische, soziale und kulturelle Umweltaspekte. Die
Da in der physikalischen Umwelt jene Barrieren genannt wurden, welche für das BIS relevant sind, wurden diese weiter analysiert und aufgeschlüsselt. Es ergaben sich anhand der Wortmeldungen der Teilnehmer/-innen fünf Subkategorien (siehe Abbildung 2): Erstens die öffentlichen Räumemit 453 Nennungen (86,45 % aller in der physikalischen Umwelt genannten Barrieren); als zweites folgten die
Von den fünf Kategorien der physikalischen Umwelt werden die öffentlichen Räume für die Implementierung in das Barriere-Informationssystem benötigt, um barrierefreie Wege anzeigen zu können. In öffentlichen Räumen wurden
Im Folgenden werden ergänzend zu Tabelle 2 jene Barrieren in öffentlichen Räumen, die in allen drei Fokusgruppen genannt wurden, aus Sicht der Rollstuhlnutzer/-innen beschrieben und mit entsprechenden Zitaten präsentiert.
Die
Weitere Aussagen der teilnehmenden Rollstuhlnutzer/-innen betrafen die Zusammenhänge zwischen Bodenbeschaffenheit und Auswirkungen auf Körperfunktionen und soziale Abhängigkeit. „Zum
Dass Kanten aus der Sicht von Rollstuhlnutzern/-innen de facto schon eine Barriere darstellen, die nur relativ wenig von deren Höhe abhängig ist, zeigt die Wortmeldung einer Teilnehmerin:
Die
„Na
Der Gehsteig mit der Gehsteigkante wurde von den Rollstuhlnutzern/-innen an sich schon als Barriere wahrgenommen. Etwas differenzierter betrachtet, war es dann meist die
Öffentliche Verkehrsmittel sind in Wien häufig barrierefrei benutzbar. Barrieren an den Haltestellen verhindern aber immer wieder das barrierefreie Zu- und Aussteigen: „
Schienen werden nicht nur als gefährlich beschrieben: „
Bei
Bei den
Ein
Die
Das vorliegende Projekt kann als Beitrag zur partizipativen Qualitätsentwicklung durch angewandte Forschung gesehen werden. Durch die aktive Teilnahme der Rollstuhlnutzer/-innen an den drei Fokusgruppendiskussionen konnten Barrieren aus deren Sicht identifiziert und für den Auftraggeber strukturiert werden. Die beschriebenen Erkenntnisse bestätigen und ergänzen jene, die bereits aus der Literatur bekannt sind (Evcil, 2008; Matthews et al. 2003, Rivano-Fischer, 2004). Im Vergleich zum MAGUS Projekt aus Northamptonshire (GB) ergibt sich in der vorliegenden Studie jedoch eine andere Reihung bei der Auflistung der Barrieren. So stehen Treppen bei Matthews et al. (2003) an erster Stelle. In Wien hingegen sind diese hinter Untergründen, Steigungen, Gehsteigkanten, Baustellen und Liften gelistet. Schienen, Aufzüge und Baustellen wurden in Wien als Barrieren identifiziert, in Northamptonshire jedoch nicht. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit, Rollstuhlnutzer/-innen vor Ort als Experten/-innen in die Entwicklung eines regionalen BIS miteinzubeziehen. Die Analyse der erhobenen Sichtweisen unterstreicht weiters die Vielschichtigkeit von Barrieren, denen Rollstuhlnutzer/-innen im öffentlichen Raum begegnen.
In Bezugnahme auf die ICF konnten in dieser Studie Barrieren in den Bereichen Körperstrukturen, Körperfunktionen, Aktivitäten, Partizipation und personenbezogene sowie umweltbezogene Kontextfaktoren (WHO, 2001) benannt werden. Im Folgenden werden exemplarisch Ergebnisse der Studie diskutiert, welche hemmende Umweltfaktoren (physikalisch wie soziokulturell) und Faktoren, die sich negativ auf die Körperfunktions-/Körperstruktur-, Aktivitäts- und Partizipationsebene der Teilnehmer/-innen auswirkten, betreffen.
Eine Teilnehmerin erwähnte einen schwierig zu befahrenden Untergrund, der extra präpariert wurde, um das Befahren der Straße mit einem Skateboard zu erschweren. Der Versuch, eine Gruppe von Nutzern/ -innen des öffentlichen Raumes aus diesem zu verdrängen, wirkt sich auch auf Menschen mit Mobilitätseinschränkung aus. Dies ist ein Beispiel für die unzureichende Berücksichtigung von Rollstuhlnutzern/-innen in der Gestaltung öffentlicher Räume; damit einhergehend sind Einschränkungen in ihrer Mobilität und Partizipation. Ein Teilnehmer erwähnte, dass er bei Wahlen auch auf physikalische Barrieren stößt und somit nicht nur vom öffentlichen Leben, sondern auch von seiner politischen Mitsprache ausgeschlossen wird. Anhand solcher Erfahrungen wird deutlich, dass physikalische Barrieren auch auf Handlungsfreiheit und Mitbestimmung wirken. Zudem schränken sie potentiell in Bereichen der Alltags-/ Lebensgestaltung ein: Wenn rollstuhlnutzende Eltern mit ihren Kindern nicht auf Spielplätze fahren können, da dieser für Rollstuhlfahrer/-innen nicht zugänglich ist, schränkt sie dies in ihrer Teilhabe am sozialen Leben und in ihren Familienaktivitäten aufgrund von behindernden Umgebungsfaktoren ein.
Einschränkungen wurden auch in Verbindung mit körperlichen und ökonomischen Problemstellungen benannt. Eine Teilnehmerin berichtet zum einen über Schmerzen beim Fahren über eine Gehsteigkante; zum anderen bestehen Sorgen, dass durch häufiges Fahren über eine Gehsteigkante der Rollstuhl Schaden nimmt und somit höhere Kosten in Bezug auf den Erhalt des Rollstuhls anfallen.
Barrieren, welche eine soziokulturelle Komponente beinhalten, wurden häufig genannt. Dass Rollstuhlnutzer/-innen die zu hohen Gehsteigkanten in Wien als „natürlich“ benennen, verdeutlicht, dass Barrieren im öffentlichen Raum in der gesellschaftlichen Wahrnehmung verinnerlicht sind. Welche Barrieren den Rollstuhlnutzern/innen als „natürlich“ erscheinen und welche erwähnenswert sind, scheint sich in deren physikalischen Umwelten, in denen sich die soziokulturelle Umwelt widerspiegelt, unterschiedlich darzustellen. Der Naturalisierung von Barrieren gehen demnach sozial konstruierte Effekte voraus (Cloerkes, 2007, Bourdieu, 2010), die einen Einfluss auf die Sicht der Teilnehmer/-innen in Bezug auf deren Barrieren haben können. Auf den sozialen Status bezogen, wirken Barrieren, laut Schönwiese (2011), nicht nur als Behinderung im Sinne einer Mobilitätseinschränkung, sondern als Bedingungen, welche die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen, physikalischen und sozialen Umwelt im negativen Sinne beeinflussen können.
In der Studie konnten konkrete Barrieren im öffentlichen Raum in Wien und deren Qualitäten identifiziert werden. So war es für das Projektteam nicht nur wichtig, dass beispielsweise Gehsteigkanten als Barriere genannt wurden, sondern auch deren Qualitäten wie
Offensichtliche Barrieren wie Treppen, welche auch in der Literatur genannt wurden (Matthews et al., 2003), sind in Wien beispielsweise weniger oft als Barrieren diskutiert worden als die Untergrundbeschaffenheit. Für die Umsetzung eines Barriere-Informationssystems in Wien heißt das, dass Treppen gekennzeichnet werden sollen, es aber mindestens ebenso wichtig ist, ein besonderes Augenmerk auf die Bodenbeschaffenheiten zu legen.
Die Ergebnisse aller drei Fokusgruppen zeigen, dass der Großteil der Barrieren im öffentlichen Raum struktureller Natur ist. Längerfristig sollte das Ziel sein, die identifizierten Barrieren zu beseitigen. Dies würde auch den Gesundheitsanliegen der WHO (WHO, 2001; WHO, 2011) und den ratifizierten UN-Behindertenrechtskonventionen (United Nations Treaty Collection, 2006) entsprechen. Laut Schönwiese (2011) führt die alltäglich erlebbare Schwierigkeit im Überwinden baulicher Barrieren zu einem Naturalisierungseffekt, welcher das Problem „Überwinden einer Barriere“ immer dem/der Rollstuhlnutzer/-in als dessen/deren individuelles Problem zuweist. Damit werden Barrieren als natürliches Problem von Menschen mit besonderen Bedürfnissen gesehen, mit denen diese zurechtkommen müssen. Ein Barriere-Informationssystem ist somit auch ein Hilfsmittel, welches es Rollstuhlnutzern/-innen ermöglicht, mit sozial bedingten, physikalischen Barrieren individuell umzugehen. Eine solche kompensatorische Maßnahme kann laut Schönwiese (2011) jedoch auch negative Auswirkung haben. Wird der architektonische Raum mit Hilfe eines Barriere-Informationssystems erobert, kann dies zur Stabilisierung des
Damit Barrieren durch ein Informationssystem jedoch nicht ausschließlich umfahren und somit gefestigt werden, wurde in der Forschungsgruppe eine „Barriere–Melden–Funktion“ im BIS angeregt. Müller et al. (2010) sehen auch die Verbesserung der Interaktionsmöglichkeiten mit dem Portal als eine wichtige Anregung für die Entwickler/-innen eines Barriere-Informationssystems. Wichtig wäre, dass die gemeldeten Barrieren auch an die verantwortlichen Behörden weitergeleitet werden mit dem Ziel, dass diese Barrieren im öffentlichen Raum entfernt werden. So könnte es zu Veränderungen im Rahmen der Umsetzung der UN-Konventionen im öffentlichen Raum kommen (Ladstätter & Schultz, 2014). Ein BIS könnte damit zu mehr Handlungsfreiheit, Partizipation und Betätigungsgerechtigkeit von Rollstuhlnutzern/-innen führen und somit deren biopsychosoziale Gesundheitssituation verbessern.
Im Sinne partizipativer Forschung und partizipativer Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsversorgung war das Studiendesign so ausgerichtet, dass die Erfahrungswerte und Ideen der Teilnehmer/-innen wesentlicher Bestandteil der Datenerhebung waren. Es ging v.a. darum, die Sichtweise der Betroffenen als Experten/-innen für Barrieren, unterlegt durch Beispiele aus ihrer Alltagserfahrung, als Anhaltspunkt für die Entwicklung eines Barriere-Informationssystems zu untersuchen.
Um die Gruppendiskussion anzuregen, wurden den Teilnehmern/-innen Fotos von Barrieren vorgelegt, auf die sie sich in ihren Wortmeldungen auch beziehen konnten. Trotz sorgfältiger Auswahl und Bezugnahme auf das konkrete Stadtbild bei der Zusammenstellung der fotografierten Situationen wurde die Aufmerksamkeit der Teilnehmer/-innen möglicherweise auf manche Barrieren mehr als auf andere gelenkt. Das Nennen der gleichen Problemstellungen hinsichtlich physikalischer und soziokulturell bedingter Barrieren in allen drei Fokusgruppen unterstützt jedoch die inhaltliche Validität der Aussagen.
Matthews et al. (2003) haben in ihrer Arbeit primär die Anzahl identifizierter (genannter) Barrieren gelistet. Ein Vergleich dieser Studie mit Matthews‘ et al. (2003) Studie wurde durch das Zählen der Nennungen der verschiedenen Barrieren versucht. Eine Gewichtung der Barriere-Arten wurde durch Zählen der Nennungen und deren Zuordnung zu Kodes erreicht und erlaubt einen raschen Überblick über die Barrieren, welche in allen drei Fokusgruppen vorrangig thematisiert wurden. Eine quantitative Information zu den Barrieren, also eine Gewichtung, war auch für die Entwicklungsarbeit der Techniker/-innen im Projektteam von Bedeutung. Die Gewichtung der Barrieren war daher als Teil der Arbeit wichtig, kann aber keinesfalls generalisierend bzw. generalisierbar verstanden werden.
In der vorliegenden Arbeit wurde, auch in der Auseinandersetzung mit anderen internationalen Studien, die Notwendigkeit deutlich, näher auf die unterschiedlichen Beschaffenheiten der Barrieren einzugehen. Je nach Kontext können Barrieren verschiedene Qualitäten besitzen, z.B. ein Untergrund kann als solcher zu rau oder aber zu glatt sein – und wirkt in beiden Fällen als Barriere. Eine derartige Differenzierung trägt maßgeblich zu effektiver Beseitigung von Barrieren bei.
Trotz der Verpflichtung Österreichs, die UN-Behindertenrechtskonventionen bis 2016 umzusetzen, finden sich aus der Sicht der Teilnehmer/-innen der Studie noch viele Barrieren im öffentlichen Raum in Wien. Die Notwendigkeit für ein online Barriere-Informationssystem ist somit gegeben. Durch den partizipativen und interprofessionellen Ansatz konnte die Komplexität und Vielschichtigkeit der von Rollstuhlnutzern/-innen wahrgenommenen Barrieren in Wien dargestellt werden und in ein Nutzer/-innen-orientiertes Barriere-Informationssystem integriert werden. Langfristig ist eine Änderung der Umwelt im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention einer digitalen Hilfestellung vorzuziehen, um die Verwirklichungschancen und damit die Betätigungsgerechtigkeit von Rollstuhlfahrern/-innen zu verbessern.
Das Projektteam bedankt sich bei den Rollstuhlnutzern/-innen für die Teilnahme an der Studie. Weiters danken wir Prof. Dr. Volker Schönwiese von der Universität Innsbruck und PlanSinn für die Unterstützung der Arbeit.