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Interprofessionality in the health professions in the transformation of a modern role and profession development. Report on the results of a world café at the Drei-Länder-Tagung on May 5, 2022 in Bern / Interprofessionalität in den Gesundheitsberufen im Wandel einer modernen Rollen- und Professionsentwicklung. Bericht über die Ergebnisse eines World Cafés auf der Drei-Länder-Tagung am 5. Mai 2022 in Bern

INFORMAZIONI SU QUESTO ARTICOLO

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EINLEITUNG

Die Gesundheitsberufe im deutschsprachigen Raum von Deutschland, Österreich und Schweiz, dem sog. D-A-CH-Raum befinden sich aufgrund ihres Wechsels hin zu Ausbildungen an Hochschulen in dynamischen Phasen ihrer Professionalisierung. Zwar zeigen sich diese Tendenzen und Veränderungen in Deutschland, der Schweiz und Österreich verschieden, doch ist zweifelsohne in den Pflege- und Therapieberufen zu Beginn des 21. Jahrhunderts etwas in Bewegung gekommen. In den Berufen werden Chancen genutzt, ihre Kompetenzen sichtbar zu machen und zu erweitern, z.B. durch konsequente Ansiedlung auf hochschulischem Niveau um ihre qualifizierten Beiträge für die Gesundheit der Bevölkerung herauszustellen und sich aktiver in den Transformationsprozess der Gesundheitsversorgung einzubringen. Gemein ist den Gesundheitsberufen allerdings, dass ihre Kompetenz „es zu können“ hin zur Kompetenz, es in den medizindominierten und tradierten Gesundheitssystemen auch „zu dürfen“, bislang nicht per se mit einer Anerkennung ihrer Kompetenzsteigerung einhergeht. Der Wille und die Herausforderung zur aktiven Mitgestaltung und Veränderung der Gesundheitssysteme durch alle Gesundheitsberufe sind jedoch gute Ausgangspunkte für die Entwicklung der Gesundheitsfachberufe.

Der Entwicklungsprozess ist jedoch kritisch u.a. entlang folgender Fragen zu begleiten: wie müssen Berufsprofile, Rollenüberzeugungen und Professionalisierungsstrategien für ein gelingendes Mitwirken an diesem Transformationsprozess durch die Akteur:innen sein, damit am Beginn des 21. Jahrhunderts Berufsbildung und -ausübung nicht in alten Denkstrukturen und -schablonen eines vorwiegend monodisziplinären “Silodenken” verhaften bleiben? Was bedeutet es konkret für die Ausbildung in und für die Professionalisierung von Berufen, dass Gesundheitsfachpersonen vermehrt zusammenarbeiten müssen?

Die Bedarfe aktueller und künftiger Gesundheitsversorgung sind hinlänglich bekannt: komplexe Versorgungsaufgaben fordern die Akteur:innen nicht nur monoprofessionell/-disziplinär heraus. Bereits in der Primärqualifikation (Studium bzw. Ausbildung im Gesundheitsberuf) ist somit ein Bewusstsein der Kooperationswillen und -fähigkeit künftiger Gesundheitsfachpersonen zu initiieren. Doch bedeutet Professionalisierung in bisherigen Denkmustern nicht tendenziell Exklusivität und ist folglich eine stärkere Grenzziehung zwischen den Berufen zu erwarten? Professionalisierung inkludiert exklusive Kompetenzen, spezialisierte Methoden und eigene Handlungswissenschaften. Zielt Hochschulstudium somit nicht tendenziell auf eine stärkere Abgrenzung der Fachdisziplinen und -professionen – im Sinne einer Profilschärfung - ab?

Die Berner Tagung im Mai 2022 gab diesem Thema und Spannungsfeld einen interaktiven Raum. Die Autor:innen dieses Beitrags unterstützen durch die Darstellung des auf der Tagung durchgeführten World Cafés einen notwendigen – auch kritischen Diskurs aktueller Entwicklungen in der Gesundheitsbildung.

Aktuelle Auseinandersetzungen zu Interprofessionalität (IP) zeigen, dass gegenwärtige Rahmenbedingungen für übergreifende Ausbildungen und gemeinsame Arbeit in den Praxisfeldern nicht geeignet erscheinen und sie unzulänglich auf die Ausbildung kooperativer Kompetenz und Performanz setzen. Wer ist jedoch für diese offenkundig bedeutsame Entwicklung verantwortlich? Wer treibt den Prozess voran, dass Kompetenzerwerb für kooperatives, effektives und effizientes Arbeiten im Sinne der Klient:innen – Patient:innenorientierung ausgebaut wird? Es gilt, in den Ausbildungen der Fachleute von morgen ein besonderes Augenmerk auch auf ihre Fähigkeit zu effektiver Zusammenarbeit mit anderen Berufen (erweitert um Angehörige und weitere Netzwerke etc.) zu legen.

Unsere These vorab: Es braucht bei den Verantwortlichen und insbesondere im Kontext hochschulischer Ausbildung und Primärqualifikation ein Bewusstsein dafür, dass die Praxis der Gesundheitsversorgung an der Klient:innen- bzw. Patient:innenorientierung ausgerichtet ist und es künftig die Zusammenarbeit von HPs braucht. Spezialisierung und insbesondere Abgrenzungen hingegen sind im Zuge dessen kritisch zu reflektieren und stehen einem modernen Transformationsprozess entgegen.

HINTERGRUND UND METHODE DES WORLD CAFÈS

Die Drei-Länder-Tagung des Vereins zur Förderung der Wissenschaft in den Gesundheitsberufen (VFWG) in Bern, Schweiz am 5. Mai 2022 (https://www.bfh.ch/de/aktuell/fachveranstaltungen/drei-laender-tagung-des-vfwg/) wurde mit einem World Café eröffnet. Eine Arbeitsgruppe der Fachkommission Interprofessionalität des Hochschulverbundes Gesundheitsfachberufe (HVG) organisierte dieses in internationaler Zusammensetzung mit Vertreterinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Für den Auftakt der Tagung präsentierten vier Referent:innen je eine These zu Interprofessionalität und Rollenverständnis dem Gesamtauditorium. Anschließend moderierten sie in aufeinanderfolgenden Gesprächsrunden á 30 Minuten an vier Thementischen die Diskussion ihrer Thesen. Die Teilnehmenden wechselten nach 30 Minuten den Tisch, wodurch mit jeder Runde neue Impulse in den Diskussionsverlauf hinzukamen. Konstant waren hingegen die Referent:innen, die als Gastgeber:innen an den vier Tischen mit kleinen Impulsen die jeweils neue Diskussionsrunde eröffneten (vgl. Methodenkartei Uni Oldenburg, 2022). Gemäß der Methode „World Café“ wurden die Gespräche im Sinne von alltäglichen Interaktionen, wie in einem Straßen-Café, geführt und stichwortartig auf Papier dokumentiert. Nach Beendigung der Diskussionsrunden präsentierten die Referernt:innen dem Gesamtauditorium eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse an ihren jeweiligen Tischen und zogen noch ein Fazit zu ihren jeweiligen Thesen. Das World Café dauerte insgesamt 120 Minuten. Der vorliegende Beitrag fasst die Ergebnisse und Diskussionen zusammen. Die Zusammenfassungen wurden den jeweiligen Referent:innen zur Absicherung der Richtigkeit der Wiedergabe und für ein Feedback vorgelegt. Die Thesen geben nicht in jedem Fall die persönliche Meinung der jeweiligen Referent:innen wieder. Die zusammenfassende Reflexion verfassten die Autorinnen dieses Berichts.

Die vier Thesen und Kurzprofile der Referent:innen

These 1: Der Gesundheitsmarkt braucht Fachpersonen mit hoch spezialisierten Fach- und sozial-kommunikativen Kompetenzen. Daher sind berufliche Identitäten und «Professionsgehabe» hinderlich.

Dr. Beat Sottas ist seit über 10 Jahren freischaffender Berater, Forscher und Publizist in den Bereichen Bildung im Gesundheitswesen und Gesundheitspolitik. Er hat einen pädagogischen Hintergrund und war u.a. lange für Aus- und Weiterbildung der Medizinalberufe sowie Grundversorgung im Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz zuständig.

These 2: Gesundheitsfachpersonen können erst interprofessionell arbeiten, wenn sie ihre berufliche Rolle beherrschen und Identität gefestigt haben.

Julia Schirmer ist Dipl. Ergotherapeutin, Master der Erwachsenbildung und seit 2018 Vorstandsmitglied für Bildung & Wissenschaft im Deutschen Verband Ergotherapie DVE e.V.

These 3: Interprofessionalität gehört regelhaft ins Studium und sollte vor allem in allen praxisnahen Bildungssettings gelebt werden.

Dr. Sylvia Kaap-Fröhlich hat Biochemie an der Universität Leipzig studiert und im Fach Pharmazie promoviert. Sie verfügt über eine Ausbildung als Laborassistentin, in Erwachsenenbildung und einen MBA-Abschluss in Bildungs- und Wissenschaftsmanagement. Seit 2021 ist sie Studiengangleiterin des Bachelorstudiengangs Biomedizinische Labordiagnostik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW.

These 4: Gesetzliche Vorgaben, das Vergütungssystem, Hierarchisierung und betriebliche Regulierung behindern kooperative interprofessionelle Zusammenarbeit. Die Professionen stehen sich nicht gleichwertig gegenüber, Vergütungen und Kompetenzen sind an Hoheiten und Macht gekoppelt. Die juristische Verantwortung liegt bei der Medizin.

Prof. Dr. Beate Lenk ist Dipl. Sozialpädagogin, Physiotherapeutin und promovierte in der Sonderpädagogik zur Psychomotorik.

ERGEBNISSE DES WORLD CAFÉS
These 1: Der Gesundheitsmarkt braucht Fachpersonen mit hoch spezialisierten Fachund sozial-kommunikativen Kompetenzen, daher sind berufliche Identitäten und „Professionsgehabe“ hinderlich.

Einführung von Beat Sottas: Das Management begegnet dem Personalmangel mit Umbau der Strukturen und Prozessen, um die Effizienz zu steigern und den Betrieb zu sichern. Dabei werden Cure und Care industriell organisiert, wobei auch die Digitalisierung Lösungen verspricht. Gemäß den HPs funktioniert die Versorgung von kranken Menschen allerdings anders: es braucht Empathie, Beziehungsarbeit, Dialog und Reflexion sowie das Verstehen von Zusammenhängen. Da treffen Parallelwelten aufeinander. Braucht es in der industrialisierten Routineversorgung, die nur noch spezialisiertes Knowhow für bestimmte Funktionen benötigt, noch Professionen mit starren Berufsbildern und mehrjährigen Ausbildungen?

Ergebnisse der Diskussionsrunde zu These 1

Abbildung 1 zeigt die schriftlich festgehaltenen Punkte des Tisches, an dem These 1 diskutiert wurden.

Abbildung 1

Schriftliche Diskussionsergebnisse des World Café-Tisch 1 (alphabetisch gelistet).

Die Diskussion am Tisch 1 hat ergeben, dass Fragen zur Identität um die Professionen selbst kreisen und nicht um den Auftrag der besten Patient:innenversorgung. Dieser Fokus ist zu hinterfragen, denn die Zielrichtung und die Motivation sollten am Bedarf/Bedürfnis der Zielgruppe und nicht am «Professionsverständnis - wer bin ich?» ausgerichtet sein.

Die Dokumentation lässt keine Rückschlüsse auf weitere Perspektiven zu. So fehlen Aussagen wie das Interesse der Arbeitgebenden und neue Arbeitsfelder außerhalb klassischer Handlungsfelder im Verständnis von z.B. was brauchen und fordern Arbeitgebende, wie ist deren Perspektive, was nützen ihnen Identitätsdiskussionen der HPs? Die Bedeutung und Lenkungsmacht der Ökonomie ist nicht repräsentiert. In den unterschiedlichen Diskussionsgruppen haben mehrere Protagonist:innen von Hochschulen und Verbänden reflexartig mit Ablehnung auf den Steuerungsanspruch aus ökonomischer Perspektive reagiert. Die Vorstellung, dass (ähnlich wie in der Pflege und auch Medizin) Non-Professionals Deutungshoheit beanspruchen und Entscheidungen treffen, die nicht vom Patient:innenwohl her gedacht sind, stellt das Akademisierungsprojekt, die Selbstbestimmung und auch die sozio-professionelle Position, in Frage. Anstelle einer akademischen Reflexion und Auseinandersetzung mit einem nicht unwahrscheinlichen Szenario - gerade auch im Hinblick auf Resilienz der künftigen Professionals - wird auf Abwehr geschaltet: «was nicht sein darf, das kann nicht sein.» Störende Einflüsse werden hierbei ausgeblendet.

Dies mutet Nähe zu Stufen der Trauer von Kübler-Ross (1970) an. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen und der Zorn dominieren und an Verhandeln wird (noch) nicht gedacht. Dabei wäre genau dieses sich Einbringen-Können und die Dialogfähigkeit mit den Technokrat:innen und Administrator:innen von zentraler Bedeutung.

Es durfte in der Diskussion nicht erscheinen, dass die Gesundheitsprofessionen an Bedeutung verlieren, wenn Substitutionslösungen konzipiert und implementiert werden. Vielmehr dominierte in der Diskussion ein professionsfixierter Blick (auf sich selbst). Vor diesem Hintergrund drifteten die Voten vielfach ab in Richtung Erwartungen an die Reglementierung und an Schutzansprüche sowie vorbehaltene Tätigkeiten. Schutz ist dann die Exklusivität und auch die Ausgrenzung anderer Akteur:innen – was mehr nach Zunft als nach Zukunft klingt.

Die Konstellation ungleicher und ungleich starker Player ist nicht Teil dieses Denkens und des professionellen Diskurses. Hochschulische Bildungsinstitutionen, die bei der Sozialisation der künftigen Professionals nur ihre Intervention an Patient:innen sehen, aber die systemischen Rahmenbedingungen und Dynamiken ignorieren, sind nicht Teil der Lösung – sie sind vielmehr Teil des Problems.

Welche Aufgabe haben also Bildungsinstitutionen für die Formatierung der nächsten Generation? Es geht darum, sie realistisch auf diesen Transformationsprozess und die damit verbundene Herausforderungen im System einzustimmen. Wofür steht das Beharrungsvermögen von Bildungsinstitutionen, die Macht und Einfluss im Gesundheitssystem ausblenden und auf der Mikroebene von „guter Therapie und Pflege“ bleiben? Und ist es nicht ein Widerspruch, wenn Hochschulen, die Reflexivität postulieren, diese Evolutionslinie mit einer Übersteuerung, Rückstufung/tendenzieller Aussortierung nicht mit reflektieren?

Kommentar der Autorinnen zu These 1

Die Dokumentation zu These 1 vermittelt laut Protokoll den Eindruck, dass HPs an diesem Tisch sich zu größeren Fragen und Aspekten eines Gesundheitssystems ausgetauscht haben.

Die Motivation für berufliches Handeln sollte künftig weniger berufsbezogen als stärker an Bedarfs- und Bedürfnis-orientierten Zielgrößen ausgerichtet sein, bei denen die Bedarfe und Bedürfnisse der Patient:innen/Klient:innen im Vordergrund stehen.

Dabei wurden die Themen «juristische Verantwortung» und «erweiterte Autonomie im Handlungsfeld» hervorgehoben. Berufspolitische Forderungen wie in Modellprojekten zur Blankoverordnung oder/zum Direkt-Zugang sind hier angezeigt.

Dem folgt die Forderung nach Anpassung, resp. Aktualisierung der Berufsgesetze für die Legitimierung des stärker autonomen Handelns in einem geklärten Rechtsraum.

Lobby- und Vertrauensarbeit wird als Potential gesehen, damit sich gemeinsame Kompetenzen der Gesundheitsberufe in Netzwerkstrukturen gegenseitig stärken, auch mit Blick auf die Praxis und die sich in die Bildungsstrukturen hineinentwickeln.

Auf einer Metaebene kommt dem wissenschaftlichen Diskurs die Funktion der kritischen Reflexion zu. Bedeutsam ist, out «of the box zu denken» – und die Perspektive der Berufelogik zu verlassen. Wesentliche systemische Einflussgrößen sind zu analysieren und auch in Verbindung mit Macht- und Ohnmacht der Berufe im System zu stellen.

These 2: Gesundheitsfachpersonen können erst interprofessionell arbeiten, wenn sie ihre berufliche Rolle beherrschen und Identität gefestigt haben.

Einführung von Julia Schirmer: Auch wenn gesundheitliche Versorgung eine gemeinsame Perspektive erfordert und die Notwendigkeit interprofessioneller Kooperation als unbestritten gilt, ist die Entwicklung beruflicher Kompetenz ohne eine Identifikation mit der Berufsrolle nicht denkbar. Die Art und Weise aber, wie Ideen über Interprofessionalität und deren Praxis in das individuelle und kollektive berufliche Selbstverständnis eingehen, scheint entscheidend für die Bewältigung der künftigen Versorgungsanforderungen im Gesundheitswesen zu sein.

Ergebnissen der Diskussionsrunde zu These 2

Abbildung 2 zeigt die schriftlich festgehaltenen Punkte des Tisches, an dem These 2 diskutiert wurden.

Abbildung 2

Schriftliche Diskussionsergebnisse des World Café-Tisch 2 (alphabetisch gelistet).

Einigkeit bestand darin, dass kooperatives Arbeiten ein gemeinsames Lernen von Beginn an braucht. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt zum Erlernen und Aneignen interprofessioneller Kompetenzen und interdisziplinärer Perspektiven in der Ausbildung? Die Beiträge in den Diskussionsrunden zu These 2 (siehe Abb. 2) weisen auf ein erkennbares Spannungsfeld zwischen Tendenzen der Abgrenzung zu anderen HPs und dem (An-)Erkennen des Mehrwerts gemeinsamer Zielperspektiven im beruflichen Selbstverständnis. Somit stehen einerseits der Berufsstolz und das Wahren der eigenen beruflichen Identität dem Bedarf des der Entwicklung gemeinsamer Identitäten gegenüber. Tradierte Berufsverständnisse gilt es zu öffnen und eine stärkere Bündnisorientierung zu fördern. Es wird herausgestellt, dass insbesondere die bestehenden Hierarchien im Gesundheitssystem und das Machtgefälle zwischen der Medizin und den anderen Gesundheitsberufen eine starke Berufsidentität und klare Vorstellungen von professionellen Rollen benötigen. Fragen von «wer bist Du, was darfst Du?» sollten sich hin zu «was kannst Du?» verlagern.

Es wurde gefragt, ob künftig das eigene Handeln, Rollenverständnis bzw. das Ausfüllen einer Rolle hinsichtlich einer an Patient:innen/Klient:innen ausgerichteten Versorgung nicht ausschlaggebender sei als die Berufsbezeichnung. Dies gab in der Diskussion den Anstoß, generell die Versorgung neu zu denken. Patient:innen und Klient:innen sind als Dreh- und Angelpunkt des handlungsgeleiteten Denkens jeder Gesundheitsprofession zu sehen. Das Ziel der patient:innen/klient:innenorientierten Gesundheitsversorgung ist outcome-fokussiert und nicht professionsorientiert zu gestalten. Versorgungsstrukturen müssen daher an die Bedarfe von z.B. chronisch erkrankter und multimorbider Patient:innen angepasst und die daraus resultierenden komplexen Kompetenzen HPs im System anerkannt werden.

Neben der Versorgungsperspektive wurde auch die Bildungsperspektive in Bezug auf die These 2 diskutiert. So wird vorgeschlagen, in disziplinspezifischen und gemeinsamen Lehrveranstaltungen ein dynamisch angelegtes setting-bezogenes Fallverständnis zu konzipieren. So wurde sich zu zeitlichen Aspekten des Lernens von IP-bezogenen Inhalten positioniert und für eine Parallelität sowohl gemeinsamer Identitätsals auch berufsspezifischer Professionsentwicklung ausgesprochen. Die Lernentwicklung zu mehr IP erfolgt somit nicht konsekutiv. Identitäts- und Professionsdenken wurde unter den Teilnehmenden eher als statisch wahrgenommen. Eine akademische Entwicklung, wie sie vor allem in den Gesundheitsfachberufen in den letzten Jahren wahrzunehmen ist, sollte dynamisch orientiert an Rollen, Kompetenzen und der Performanz erfolgen. Gleichzeitig blieben auch Fragen, z.B. «wer hat einen Nutzen zu Fragen der Identität?» und «was ist der Zweck bzw. die Gefahr von Transprofessionalität?», deren Beantwortung jedoch erstmal offenbleibt.

Des Weiteren wurden Visionen von Grundfähigkeiten und Spezialisierungen von HPs entworfen, sodass sie z.B. in einem gemeinsamen Basisjahr fusionieren bei anschließender Diversifizierung mit der Option auf künftige Double Degrees z.B. in Pflege/Hebamme, Physiotherapie/Ergotherapie, Gesundheitsförderung & Prävention /Soziale Arbeit, Ergotherapie oder Psychologie. Konkretes Praxishandeln findet Forderungen in IP-Praxisstationen und wird an existierenden Beispielen, wie der Handtherapie, aufgezeigt, die fernab von berufsbezogenen Identitätsfragen Praxiserfolge an Patientenbedarfen bereits vorlebt.

Kommentar der Autorinnen zu These 2

Die Dokumentation zu These 2 liefert Aspekte, die auf Diskussionen hinweisen, die ein Spannungsfeld zwischen den Themen «Abgrenzung der Professionen» zueinander vermuten lassen, bei dem einerseits der Berufsstolz und die Wahrung der eigenen beruflichen Identität Gegenstand des Protokolls wurden und andererseits, dass dieses Bewahren von einem tradierten Berufsverständnis Nachteile gegenüber einer stärkeren Bündnis-, Patient:innen- und Zielgruppen-Orientierung vermittelt (vgl.: «Jede/r hat ein Beet gemeinsam haben wir einen Garten» versus: «zu lange fachliche Perspektive Identitätsentwicklung im eigenen Beruf (Ich bin Ergotherapeut:in, Physiotherpaeut:in …)».

Gleichzeitig vermittelt die Dokumentation den Hinweis auf aufgeworfene Fragen, wie: «ist künftig das eigene Handeln, Rollenverständnis bzw. das Ausfüllen einer Rolle mit der Aneignung von Kompetenzen in Bezug auf Versorgungshandeln, welches sich an veränderten Patient:innen/Klient:innen Bedarfen und Bedürfnisses ausgerichtet nicht zielführender als Berufsbezeichnungen und deren Abgrenzung zu einander?»

Gleichzeitig steht die Frage im Raum: «Wie formen die Zielgruppen und Strukturen wiederum die eigene Identität»? Diesen Überlegungen werden Begriffe gegenübergestellt, wie «die Interprofessionalität, um mit Offenheit Gemeinsames in Rollen zu entwickeln, die Transprofessionalität, gegenübergestellt.

Die Dokumentation zeigt Hinweise auf den Entwurf einer Vision für Lehr- und Entwicklungskonzepte, die von Grundfähigkeiten und Spezialisierungen von HPs handeln könnte, die in einem gemeinsamen Basisjahr fusionieren bei anschließender Diversifizierung mit der Option zum offenen Skills-mix in den Ausbildungen, mit einer vorgelagerten gemeinsamen Philosophie und Wissen – unter einem Leitbild, «Was können wir bieten?». Geleitet von Fragen: «Weniger wer bist Du, was darfst du?», sondern «Was kannst Du?» mit einem klaren Bezug auf ein dynamisch angelegtes setting-bezogenes Fallverständnis, das gemeinsam erarbeitet wird?

Konkretes Praxishandeln findet Forderungen in IPPraxisstationen und wird an existierenden Beispielen wie der Handtherapie aufgezeigt, die fernab von berufsbezogenen Identitätsfragen skizziert.

Auch zeitliche Aspekte zum Lernen von IP-bezogenen Inhalten sind festgehalten. Im Sinne von, nicht zu spät damit beginnen lieber für eine zeitliche Parallelisierung in der Lernentwicklung IP disziplinär.

Gemeinsamkeiten mit These 1

Die Perspektive auf die Patient:innen – Mensch – Zielgruppenorientierung wurde hier breiter in der Dokumentation vermittelt, aber als ein zentrales verbindendes Element zur These 1.

These 2 zeigt zum Thema berufliche Identität, Rollenverständnis und Versorgungshandeln den Aspekt künftiger Kompetenzen an und vermittelt ggf. ein Bild als Spannungsbogen für Entwicklungspotential aus der Versorgung an den Zielgruppen entlang, wenn auch noch offen für neue Gestaltungsmöglichkeiten.

These 2 nimmt Bezug auf Strukturen und Hierarchien, die in These 1 ggf. indirekt über das Streben nach mehr Autonomie über das Blankorezept erkennbar werden könnten.

These 3: Interprofessionalität gehört regelhaft ins Studium und sollte vor allem in allen praxisnahen Bildungssettings gelebt werden.

Einführung von Sylvia Kaap-Fröhlich: Interprofessionelle Ausbildung soll die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe verbessern, die die Versorgung von Patient:innen sichern soll. Um interprofessionelle Bildung managen zu können, kann man auf verschiedenen Ebenen und anhand von Akteur:innen, Räumen, Bildungsmomenten und Ressourcen entgrenzend denken und hin zu Neuem transformieren.

Ergebnisse der Diskussionsrunde zu These 3

Abbildung 3 zeigt die schriftlich festgehaltenen Punkte des Tisches, an dem These 3 diskutiert wurden.

Abbildung 3

Schriftliche Diskussionsergebnisse des World Café-Tisch 3 (alphabetisch gelistet).

In den Beiträgen der Diskussionsrunden von These 3 (siehe Abb. 3) wurde deutlich, dass IP regelhaft in jedem Gesundheitsstudium, inkl. Medizin, implementiert sein sollte, einhergehend mit der Forderung diese in allen Bildungsstufen des Studiums, d.h. von Bachelor bis PhD, mitzudenken und zu gestalten. Auf diesem Weg kann und soll das Selbstverständnis für eine interprofessionelle Zusammenarbeit bei den HPs frühzeitig entwickelt und als Teil der eigenen beruflichen Identität verstanden werden. Die Umsetzung dieser Forderung in den D-A-CH-Ländern wird von den Teilnehmenden einstimmig als «begonnen, aber nicht abgeschlossen» eingestuft. Demzufolge wird eine Bereitschaft interprofessionell zu lernen und zu arbeiten sowohl von Seiten der Lernenden und Lehrenden in den Hochschulen als auch von den verschiedenen Gesundheitsprofessionen in der Praxis wahrgenommen. Zudem liegen erste Evidenzen für IP vor, was weitere Bemühungen interprofessionelle Strukturen im Bereich Bildung und Versorgung aufzubauen, positiv beeinflusst. So werden mögliche Lernsettings, Lernstrategien und Lernarrangements vorgeschlagen und diskutiert. Neben «Shadowing» oder gemeinsamen Lern- und Ausbildungsstationen, wird das gemeinsame und am Fall orientierte Lernen in den Fokus für interprofessionelles Lernen und Lehren gestellt. Es wird deutlich, dass IP nicht ein theoretisches Thema, sondern gleichberechtigt in der Praxis zu verorten und umzusetzen ist. Deshalb werden auch, wie bereits in These 2 die Forderung nach gemeinsamen IP-Praxisräumen und einem Skills-Mix laut. Die Praxis wird als aktive und befähigende Partnerin im Lernprozess angesehen, weshalb besonders das fallorientierte Denken bzw. die Kasuistik als grundlegendes didaktisches Konzept für die interprofessionelle Ausbildung angesehen und dessen Implementierung gefordert wird. Eine Auseinandersetzung mit Fällen bietet die Möglichkeit sich mit verschiedenen Akteursgruppen auseinanderzusetzen und verlangt neben der Spezialisierung auch eine breite Perspektive - ein Systemverständnis.

Des Weiteren braucht es, laut den Teilnehmenden, unter allen HPs eine gemeinsame Philosophie zu dem was Gesundheitsversorgung bedeutet. Hier wird als theoretisches Rahmenmodell die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health; WHO, 2022) mit ihrer umfassenden bio-psycho-sozialen Sichtweise vorgeschlagen.

Letzten Endes wird eine frühe Bewusstseinsschule für IP gefordert, die sich Hand in Hand und damit als Teil der eigenen beruflichen Identität entwickelt und über Rollenmodelle gelehrt wird. Zudem bedarf es die Entwicklung eines Mindsets, welches getragen ist vom bewussten Abbau der Hierarchien innerhalb des Gesundheitssystems und dessen HPs einerseits und gleichzeitig die Verantwortungsübernahme von allen Gesundheitsakteur:innen andererseits. Somit sollte IP im Mittelpunkt von Lehre, Praxis und Forschung stehen, um die Zusammenarbeit aller HPs voranzutreiben und eine adäquate Gesundheitsversorgung der Patient:innen und Klient:innen sicherzustellen.

Kommentar der Autorinnen zu These 3

Die Dokumentation zu These 3 gibt Hinweise darauf, dass IP als fester regelhaft auf allen Bildungsstufen eines Studiums der HPs vom Bachelor Grad bis zum PhDAbschluss verstanden werden soll, der sich aus einer systemischen, einer Public Health Perspektive speist, so dass auf diesem Weg IP als Teil der eigenen beruflichen Identität verstanden werden könnte.

Aspekte wie der Bedarf im Versorgungssystem, die Orientierung an der Perspektive der Betroffenen mit daraus korrespondierenden Veränderungsbedarfen im Bildungssystem dabei Lehre, Forschung und Praxis im Mittelpunkt könnten das künftige Bild der Ausbildung verändern, erneuern.

Im Fokus stehen verschiedene Perspektiven Lernsettings, Lernstrategien mit Vorschlägen zu Lernarrangements wie beispielsweise Shadowing, oder gemeinsame Lernstationen. Das gemeinsame am fallorientierten Lernen steht mehrfach im Fokus. Daran könnte deutlich werden, dass IP kein theoretisches Thema ist, sondern vornehmlich in der Praxis anzutreffen ist.

Unter den Lernperspektiven wird als verbindendes Element ein Systemverständnis gesehen. Diese betont ein fallorientiertes Denken, das sich auf verschiedene Akteursgruppen erweitert lässt und dabei neben Spezialisierung auch eine breite Perspektive ein Systemverständnis (Bildung und Gesundheit) verlangt. Modulares Denken, würde durch vorgeschaltete Rollenmodelle gelehrt, gemeinsame Skills-Labs für HPs und Lernstationen in denen kollaborativ und partnerschaftlich gelernt wird, finden sich in der Dokumentation.

Als mögliches theoretisches Rahmenmodell ist die ICF (WHO, 2022) mit ihrer umfassenden bio-psycho-psychosozialen Sichtweise festgehalten.

Eine frühe Bewusstseinsschule für IP wird gefordert, die sich Hand in Hand und damit als Teil der eigenen beruflichen Identität entwickelt. Ein Mindset, getragen vom bewussten Abbau der Hierarchien einerseits und gleichzeitig der Verantwortungsübernahme andererseits. Vorliegende Evidenz für IP unterstreicht die Outcome-Orientierung. Die Bereitschaft der Studierenden sei da und der Einbezug der Medizin wird gewünscht.

Fixe Strukturen zu schaffen ist die grösste Herausforderung, begleitet von der Abflachung der Hierarchien.

Gemeinsamkeiten mit Thesen 1 und 2

Der Bezug zur beruflichen Identitätsentwicklung wird hergestellt, jedoch und einem zeitlichen und inhaltlichen Aspekt mit Bezug auf seine Bedeutung für das Handeln als HP im System.

Wie bereits in These 2 werden die Forderung nach gemeinsamen IP-Praxisräumen und einem Skills-Mix laut. Hier wurden Konzepte für zukünftiges, gemeinsames Lernen entworfen mit durchlässigen Formaten ausgehend von einer Fall-Orientierung in den Curricula systematisch abgestützt auf Ist-Analysen. Dabei die Studierenden in einer aktiven Rolle mitgedacht, wie bereits in These 1 gezeigt.

These 4: Gesetzliche Vorgaben, das Vergütungssystem, Hierarchisierung und betriebliche Regulierung behindern kooperative interprofessionelle Zusammenarbeit. Die Professionen stehen sich nicht gleichwertig gegenüber, Vergütungen und Kompetenzen sind an Hoheiten und Macht gekoppelt. Juristische Verantwortung liegt bei der Medizin.

Einführung von Beate Lenck: Die Leistungserbringung im Gesundheitssystem erfolgt arbeitsteilig. Sie ist professionell konstituiert und setzt eine weitreichende Koordination und Kooperation der einzelnen Akteurinnen und Akteure voraus.

Im Kerngeschäft differenziert es sich in die Bereiche: Behandlung und Betreuung, wobei die Behandlungsarbeit in der Regel von Mediziner:innen und die Betreuungsarbeit in der Regel von den Fachkräften aus den Gesundheitsberufen geleistet wird. Dieses Verständnis vom eigenen originären Kerngeschäft führt zu einer notwendigen Auseinandersetzung mit dem anderen, das zu einer besseren Versorgung für die einzelne Patientin oder den einzelnen Patienten führen kann.

Die Professionen stehen sich dabei nicht gleichwertig gegenüber, sondern befinden sich in einem historisch gewachsenen und strukturell-hierarchischen Zusammenhang. Die Mediziner:innen verordnen, sie befunden und sie sind vom Gesundheitssystem als Garant und Auslöser der Verrechenbarkeit der Leistung festgelegt. Zudem beanspruchen sie die juristische Verantwortung der gesamten Versorgungsleistung. Daraus ergibt sich, dass sie in der Regel ein höheres gesellschaftliches Prestige haben und wesentlich besser verdienen als die anderen Fachkräfte der Gesundheitsversorgung. Diese Zuschreibung verschafft den Mediziner:innen eine vom System implizierte Machtposition, erlaubt und unterstützt die „medical hegemony“ (Coombs u. Ersser 2004). Wie kann unter diesen Bedingungen eine Begegnung auf Augenhöhe, die eine grundlegende Voraussetzung für eine gelingende Kooperation und Koordination ist, ermöglicht werden?

Ergebnisse der Diskussionsrunde zu These 4

Abbildung 4 zeigt die schriftlich festgehaltenen Punkte des Tisches, an dem These 4 diskutiert wurden.

Abbildung 4

Schriftliche Diskussionsergebnisse des World Café-Tisch 4 (alphabetisch gelistet).

These 4 bündelt in der Zusammenschau (siehe Abb. 4) wesentlich und bisher noch nicht in der Deutlichkeit diskutierte Argumente zu geforderten Reformen der Vergütung und der damit verbundenen Handlungsautonomie und Kompetenzverschiebung. Dabei lassen sich zu den Themen: Rolle vs. Identität, Lernsettings, wie die Fallorientierung, in weiten Bereichen Überschneidungen zu den Thesen 1, 2 und 3 wiederfinden.

Die Diskussionen am Tisch des World Cafés zu These 4 fokussierten sich auf unterschiedliche, eine interprofessionelle Zusammenarbeit behindernde Aspekte. Hierarchischen Strukturen, denen alle Professionen des Gesundheitswesens aktuell unterliegen, sind an verschiedenen Punkten thematisiert. In verschiedenen Ausprägungen zeigte sich, dass es wünschenswert wäre, wenn die wechselseitige Wahrnehmung und Wertschätzung aller Gesundheitsprofessionen untereinander verstärkt würde. Gemeinsame Vorlesungen im interprofessionellen Setting bereits in der Grundausbildung wurden als Beispiel vorgeschlagen. Hier kann auf die Diskussionen an Thesentisch 3 verwiesen werden. Die Möglichkeit eines stärkeren Austausches zwischen den im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen in ihrem Berufsalltages wurde als unabdingbar erklärt. Weiter wurden Möglichkeiten zur stärkeren Vernetzung (ohne große Hürden) auch außerhalb der eigenen Berufsgruppe diskutiert. In der Diskussion stellte sich die Frage heraus, ob berufliche Identität für die Thematik der interprofessionellen Zusammenarbeit essentiell ist. Die Argumente reichten von der hohen Bedeutung der beruflichen Identität bis hin zur Aufgabe dieser zugunsten der Übernahme einer bestimmten kooperativen Funktion und Aufgabe, die das Arbeitsumfeld an die Berufsgruppen stellt.

Bei aller Diversität der Beiträge zeigte sich ein erklärter Tenor zur Reformbedürftigkeit der Strukturen im Gesundheitswesen. Das hierarchische System ist historisch geprägt, hat sich dem Wandel der Zeit nicht angepasst und erscheint den Teilnehmenden am Thesentisch 4 zu träge in der Anpassung. Resümierend kam es zur Ratlosigkeit gegenüber der großen Aufgabe bis hin zu Lösungsvorschlägen eines futuristischen Re-Sets des hierarchischen Gefüges innerhalb der Gesundheitsprofessionen.

Kommentar der Autorinnen zu These 4

Die Dokumentation zu These 4 greift bisher noch nicht in der Deutlichkeit diskutierte Argumente zu geforderten Reformen der Vergütung und der damit verbundenen Handlungsautonomie, Kompetenzverschiebung und Gesetzesänderung auf.

Interprofessionelle Zusammenarbeit wird als Erfordernis zu Überbrückung von Versorgungslücken festgehalten.

Der Begriff der juristischen Verantwortung wurde wie bereits in These 1 notiert und die Grundsatzreformen des Heilberufe-Rechts. Mit der Anschluss- frage nach: «Wer trägt am Ende die Verantwortung?» festgehalten.

Dabei wird Gegenwärtiges mit Entwicklungen in historischen Bezügen angezeigt «Pflege und Therapie als Leichtlohnarbeit».

Stärkere Lobby der HPs – Gegenstimme, Gegengewicht zur Medizin. Sich künftig mehr als bisher auf Augenhöhe begegnen. Innerhalb der eigenen Reihen auch die Forderungen nach Gleichstellungskonzepten, wie «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» und deren Umsetzung. Ein sich berufspolitisch in Kammern zu organisieren, wie am Beispiel Pflege wurde ebenfalls dokumentiert. Weiterführend wurde laut Tischdeckenprotokoll der Frage nachgegangen, «Was hat das mit Gender zu tun?» Damit Aussagen, «wie von fleissigen zu erschöpften Frauen» künftig weniger werden können – gleichzeitig wurde auch gefordert, daraus «keine Winselnummer» zu machen!

Gemeinsamkeiten mit These 1, 2 und 3

Hierzu lassen sich zu den Themen: Rolle vs. Identität, Lernsettings wie die Fallorientierung in weiten Bereichen Überschneidungen zu den Thesen 1,2 und 3 wiederfinden. Die Orientierung an der Patient:innen Perspektive, wie bereits in Thesen 1,2, und 3 gezeigt, wird noch um den Aspekt Patient:innen eine Stimme in Entscheidungsgremien geben, erweitert. Gleichzeitig legt die Dokumentation zu These 4 den Finger in die Wunde zur bestehenden System(in)effizienz.

Lehrende als Role-Models Aspekte der Fallführung finden sich wieder.

Gemeinsame Ausbildung in Form von Lehrveranstaltungen, Grundmodulen zeigen Parallelen zu These 2, wie auch die in These 1 aufgeführte Forderung nach dem Direktzugang für Therapieberufe mit dem Verweis auf die Klärung zum Vorgehen für die Übernahme der juristischen Verantwortung. Dabei halten die Diskutant:innen fest «Delegation liegt in der Verantwortung der medizinischen Berufe – Autonomes Handeln wird beschnitten à Vergütung».

Auch die Themen zur Berufsidentität und Kultur im Arbeitssetting sind zu finden, wie bereits in Thesen 1,2, und 3 mit der Differenzierung, dass «berufliche Identität notwendig ist und nicht notwendigerweise zu ‘Professionsgehabe’ führt“».

DISKUSSION UND AUSBLICK

Welche Gedanken und Ideen gilt es für weitere Diskurse zu bewahren bzw. fortzusetzen? Ausgehend von den dargestellten Ergebnissen lassen sich folgende Schlussfolgerungen zu den formulierten Thesen der Tagungsteilnehmenden zusammenfassen:

Zu These 1: Professionslogik wird unreflektiert fortgesetzt: Die aktuelle Entwicklung der Professionen geschieht aus sich heraus. Kontexteinflüsse und andere treibenden Kräfte, wie Macht und Ökonomie, bleiben unkritisch hinterfragt. Es braucht kritische Perspektiven auf einer Metaebene, die die Entwicklung der Berufe im Kontext erfasst, diese kritisch reflektiert und zu kurzgegriffene Handlungslogiken in Frage stellt bzw. Wege vorschlägt.

Zu These 2: Das Spannungsfeld von Wahrung der eigenen Identität und der Entwicklung gemeinsamer Identitäten im Kontext von Hierarchie und Machtgefälle sollte aufgelöst werden, indem nicht der Frage nach dem «Wer darf was?», sondern «Wer kann was» nachgegangen wird. D.h. die Kompetenzen jedes Einzelnen gilt es in den Blick zu nehmen und neben berufsspezifischen Kompetenzen sind gemeinsame interprofessionelle Kompetenzen zielorientiert aufzubauen. Einig ist man sich: Kooperatives Arbeiten braucht gemeinsames Lernen von Beginn an. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt für die Ausbildung von interprofessionellen Kompetenzen und Interprofessionalität?

Zu These 3: IP sollte im Mittelpunkt von Lehre, Praxis und Forschung stehen, um die Zusammenarbeit aller HPs voranzutreiben und eine adäquate Gesundheitsversorgung der Patient:innen und Klient:innen sicherzustellen. Des Weiteren ist IP regelhaft in jedem Gesundheitsstudium, inkl. Medizin, zu implementierten und muss in allen Bildungsstufen des Studiums, d.h. von Bachelor bis PhD, mitgedacht und gestaltet werden.

Zu These 4: Das hierarchische System in alten Strukturen im Gesundheitswesen verhindert, das große Potential der interprofessionellen Zusammenarbeit ausschöpfen zu können. An einer grundlegenden Reform der Strukturen im Gesundheitswesen wird kein Weg vorbeigehen, wenn auch zum jetzigen Zeitpunkt konkrete Wege zur Umsetzung noch fehlen.

Auf der Basis des World Cafés formulieren die Autorinnen weitere folgende Diskursanregungen:

Wohin des Weges? Gibt es einen Raum für die Reflexion auf einer Metaebene und wo finden Diskurse über die Richtung der Professionalisierung statt? Wie findet die Anpassung an neue Bildungsnotwendigkeiten (z.B. hier vermehrt auch kooperativ arbeiten zu können) statt? Wer trägt Verantwortung und wo sind die treibenden Kräfte im System der Gesundheitsbildung? Wie wird die Kluft zwischen Versorgung und Bildung - zwischen Gesundheitsbildung und Gesundheitsversorgung – wie Sottas et al. es in Umrissen einer neuen Gesundheitsbildungspolitik konstatierten (siehe Careum Stiftung, 2013) – konkret versucht zu überbrücken? Wissen allein reicht nicht. Genügt dann Kompetenzzuwachs auch zur gewünschten Performanz im System oder führen Kompetenzzuwachs in alten Strukturen nur zu weiteren Frustrationen unter Gesundheitsberufen?

Warum das Rad neu erfinden? Es ist bereits viel Wissen vorhanden. Die Erkenntnisse um interprofessionelle Lerneffizienz sind in die und in der Praxis zu vermitteln.

Wir brauchen beides: Theorie und Praxis sind nicht gegeneinander auszuspielen.

Wer, wenn nicht wir? Akademisierung setzt Reflexion, Kritikfähigkeit und Veränderungswillen voraus? Den Vermittelnden (Lehre) und den Wissenschaftler:innen kommt somit große Bedeutung zu.

Assistenz war gestern. Gesundheitsfachleute leisten bereits heute mehr als in ihren zugeschriebenen Rollen. Reformierte Rollen und berufliche Selbstverständnisse werden Entwicklung voranbringen.

Worauf warten wir? Es braucht proaktives Mitgestalten einer patient:innen- bzw. klient:innen- orientierten, kooperativen Versorgung, die im Prinzip nicht auf die Expertise der Gesundheitsfachleute verzichtet. Diese Expertise gilt es auszuhandeln.

Der Diskurs geht bereits in 2023 im Rahmen des Digitalen Salon des Netzwerkes Gesundheit interprofessionell weiter. An vier Terminen werden unter Beteiligung der Gastgebenden die Themen weiterdiskutiert. https://gesundheitinterprofessionell.com/news-und-termine/

Abschließend bleibt zu sagen: Es braucht Räume und Möglichkeiten für Diskussionen und Reflexion über die dynamischen Veränderungsprozesse in den Berufen – dies hat die Dreiländertagung des VFWG in Bern gezeigt. Auf Wiedersehen zur Drei-Länder-Tagung in Linz im September 2024.

eISSN:
2296-990X
Lingue:
Inglese, Tedesco
Frequenza di pubblicazione:
Volume Open
Argomenti della rivista:
Medicine, Clinical Medicine, other