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Current practice of physiotherapists in outpatient stroke rehabilitation: a cross-sectional survey in Austria / Arbeitsweise von Physiotherapeut*innen in der ambulanten Schlaganfallrehabilitation: eine Querschnittsumfrage in Österreich

INFORMAZIONI SU QUESTO ARTICOLO

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EINLEITUNG

Seit den 1990-ern wird gefordert, die medizinische Entscheidungsfindung zu optimieren, indem drei Aspekte berücksichtigt werden: externe Evidenz aus systematischer medizinischer Forschung, interne Evidenz basierend auf klinischer Erfahrung sowie Werte und Vorlieben der Patient*innen (Greenhalgh, 1999; Sackett et al., 1996). In diesem Zusammenhang gewinnen Leitlinien zunehmend mehr an Bedeutung, da sie Kliniker*innen die Möglichkeit bieten, effizient aktuelle Literatur zu erfassen, ohne die ständig steigende Zahl an Primärliteratur im Auge behalten zu müssen (Kirchner et al., 2020).

Leitlinien zur Behandlung von Personen nach Schlaganfall sprechen Empfehlungen sowohl für die physiotherapeutische Untersuchung als auch für die Behandlung aus: So wird für die Untersuchung von Mobilitätseinschränkungen nach Schlaganfall die Verwendung von standardisierten Assessments (z. B. 10 m Gehtest, 6 Minuten Gehtest) empfohlen (Veerbeek et al., 2014). Zur Behandlung dieser Mobilitätseinschränkungen werden u. a. aufgabenorientiertes Training, Zirkeltraining, Ausdauertraining und/oder Patient*innenberatung empfohlen (Dohle et al., 2015; Veerbeek et al., 2014).

Im physiotherapeutischen Kontext zeigt sich, dass evidenzbasiertes Arbeiten und das Anwenden von Leitlinien zu einer besseren Wiederherstellung der körperlichen Funktionsfähigkeit (Duncan et al., 2002; Pogrebnoy & Dennett, 2020) und auch zu mehr Patient*innenzufriedenheit (Reker et al., 2002) in der Schlaganfallrehabilitation führt. Dennoch weisen Studien darauf hin, dass Leitlinien nur teilweise in den klinischen Alltag integriert werden (Bernhardsson et al., 2014; Van Peppen et al., 2008). Diese Integration von Leitlinien ist mit setting- und personenabhängigen Barrieren und der Ausgestaltung der Gesundheitssysteme assoziiert (Dannapfel et al., 2013; Lynch et al., 2021; Salbach et al., 2010). Unter anderem geht die Akademisierung der Ausbildung, die im deutschsprachigen Raum unterschiedlich geregelt ist (Bucher, 2021; Mériaux-Kratochvila, 2021), mit einer erhöhten Integration von Leitlinien und evidenzbasiertem Arbeiten einher (Braun et al., 2018; Diermayr et al., 2015). Inwieweit diese unterschiedlichen Regelungen eine Auswirkung auf die Arbeitsweise von Physiotherapeut*innen haben, wurde bisher noch nicht konkret untersucht.

Eine alle klinischen Fachgebiete und Settings umfassende Umfrage aus dem Jahr 2013 zeigte, dass in den Anfängen der Akademisierung in Österreich nur 10 % der österreichischen Physiotherapeut*innen nach Leitlinien arbeiteten (Diermayr et al., 2015). Eine Umfrage in Rehabilitationszentren in Österreich im selben Jahr liefert Daten aus der stationären Neurorehabilitation und ergab, dass 88 % der befragten Physiotherapeut*innen mindestens ein standardisiertes Assessment in der Routine verwenden (Schomberg et al. 2016). Im Gegensatz dazu gibt ein Evaluationsbericht zu einem Projekt zur Implementierung eines Behandlungspfades im ambulanten Bereich für Personen nach Schlaganfall in Tirol Hinweise auf eine ungenügende Verwendung von Assessments durch Physiotherapeut*innen in diesem Bereich: bei nur 36 % der Personen nach Schlaganfall wurde eines von mehreren möglichen standardisierten Assessments für die Evaluation der Therapie verwendet (Geley et al., 2013).

Physiotherapie im ambulanten Bereich gewinnt an Bedeutung, da sich die Rehabilitation von Personen nach Schlaganfall zunehmend in den ambulanten Sektor verlagert (Gyimesi et al., 2016). Ob Physiotherapeut*innen in der ambulanten Versorgung standardisierte Assessments und in Leitlinien empfohlene Maßnahmen zur Behandlung von Personen nach Schlaganfall anwenden, ist aktuell aus einer Umfrage in Deutschland bekannt: Leitlinienbasiertes Arbeiten in der ambulanten Rehabilitation bei Personen nach Schlaganfall findet nur bedingt statt (Diermayr et al., 2021). Aufgrund der unterschiedlichen berufspolitischen Entwicklungen zur Akademisierung der Physiotherapie und der unterschiedlichen Gesundheitssysteme könnte sich die Datenlage in Österreich davon unterscheiden. Daher ist das Ziel dieser Umfrage, die Arbeitsweise von ambulant tätigen Physiotherapeut*innen in Österreich in der Untersuchung und Behandlung von Personen mit Mobilitätseinschränkungen nach einem Schlaganfall darzustellen. Die Ergebnisse können Hinweise auf Optimierungsstrategien in der ambulanten Versorgung von Personen nach Schlaganfall liefern.

METHODEN

Die Umfrage wurde als Querschnittsuntersuchung unter Verwendung eines Online-Fragebogens durchgeführt. Der verwendete Fragebogen wurde für eine Untersuchung in Deutschland entwickelt (Diermayr et al., 2021) und im Rahmen der vorliegenden Arbeit für den österreichischen Kontext adaptiert. Der ursprüngliche Fragebogen aus Deutschland baut auf bisher in der Literatur veröffentlichten Fragebögen zu evidenzbasierter Praxis (EBP) (z. B. Diermayr et al., 2015) auf, berücksichtigt Theorien zur bestmöglichen therapeutischen Arbeitsweise (Sackett et al., 1996) und psychologische Konstrukte zur Verhaltensänderung (Michie et al., 2005). Außerdem wurden internationale Schlaganfall Leitlinien (Dohle et al., 2015; Veerbeek et al., 2014) und der in Deutschland gültige Heilmittelkatalog (Heilmittelkatalog, 2019) bei der Formulierung von Fragen berücksichtig. Der mehrschrittige Entwicklungsprozess beinhaltete Expert*innen-Interviews zur Etablierung der Augenschein- und Inhaltsvalidität, eine darauf basierende Überarbeitung des Fragebogens und eine Pilottestung mittels Fokusgruppe.

Die Adaptierung des deutschen Fragebogens und die Durchführung der Untersuchung in Österreich wurde von der Ethikkommission der Donauuniversität Krems genehmigt (EK GZ 05/2018–2021). Die ethischen Prinzipien der Deklaration von Helsinki (World Medical Association, 2018) wurden berücksichtigt.

Die Darstellung der Methode und Resultate orientiert sich an der „Checklist for Reporting Results of Internet-E-Surveys“ (CHERRIES) (Eysenbach, 2004).

Adaptierung des Fragebogens für den österreichischen Kontext

Für die Adaptierung an den österreichischen Kontext wurden in einem ersten Schritt Teile verändert, die ausschließlich im deutschen Kontext zweckmäßig waren (z. B. Fragen über den Heilmittelkatalog). Außerdem wurden einige Ausdrücke an den österreichischen Sprachgebrauch angepasst. Der überarbeitete Fragebogen wurde in Anlehnung an das Feinstein Sensibility Framework (Feinstein, 1987) bezüglich Inhalts- und Augenscheinvalidität sowie Benutzungsfreundlichkeit, Verständlichkeit und Relevanz bzw. Redundanz der Fragen überprüft. Dafür wurde ein teilstrukturiertes, kognitives Interview per Telefon durchgeführt, aufgezeichnet und von einer Autorin (SM) teil-transkribiert. Die Rekrutierung der Teilnehmer*innen (n=8) erfolgte über Netzwerke der Autorinnen und verfolgte eine bewusste Stichprobenziehung in Bezug auf Alter, Geschlecht, Art des Ausbildungsabschlusses, Bundesland und Stadt versus Land. Die Analyse der Interviewdaten fokussierte auf notwendige inhaltliche und sprachliche Anpassungen an den österreichischen Kontext. Da sich zum Zeitpunkt der Umfrage die Organisation der österreichischen Krankenkassen (Kostenträger für die ambulante Physiotherapie) im Umbruch befand, wurden Fragen zur Verordnungs- und Bewilligungspraxis gänzlich gelöscht. Der finale österreichische Fragebogen bestand aus 35 Fragen (inkl. drei Filterfragen), die auf neun Seiten in der online Umfrage aufgeteilt waren. Die Fragen wurden drei Abschnitten zugeordnet und immer in derselben Reihenfolge abgefragt. Der erste Abschnitt fokussierte auf den Aufbau der physiotherapeutischen Untersuchung und Behandlung bei einer Person mit Mobilitätseinschränkung nach Schlaganfall anhand eines Fallbeispiels (siehe Abb. 1). Die Teilnehmenden konnten in einem offenen Antwortformat drei Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen nennen und wurden anschließend gebeten, diese Auswahl mithilfe vorformulierter Vorschläge bzw. der Möglichkeit, Freitext einzugeben, zu begründen. Der zweite Abschnitt widmete sich dem Arbeitsplatz und dem Arbeitsablauf. Demografische Daten waren Inhalt des dritten Abschnitts. Die Daten des zweiten Teils des Fragebogens sind nicht Inhalt dieses Artikels und werden gemeinsam mit den Daten aus Deutschland für eine internationale Publikation aufbereitet.

Abbildung 1

Fallbeispiel

Jede Frage musste beantwortet werden, um mit der Umfrage fortfahren zu können. Innerhalb des zweiten und dritten Abschnitts des Fragebogens konnten die Inhalte der vorherigen Seiten mithilfe eines Zurück-Buttons eingesehen und korrigiert werden.

Teilnehmende

Personen, die in Österreich als Physiotherapeut*innen berufsberechtigt und tätig waren und mindestens drei Personen nach Schlaganfall pro Jahr betreuten, erfüllten die Einschlusskriterien für die Teilnahme an der Umfrage. Durch dieses relativ niedrige Kriterium sollte es Personen, die in Praxen ohne Schwerpunkt bzw. in kleineren Ortschaften arbeiten, ermöglicht werden, an der Umfrage teilzunehmen.

Datenerhebung

SoSci Survey wurde für die Erstellung der Online-Umfrage verwendet. Um möglichst viele Physiotherapeut*innen zu erreichen, war die Umfrage offen und nicht passwortgeschützt. Der Link zur Teilnahme an der Studie wurde über unterschiedliche Medien verteilt: (1) monatlicher Newsletter des österreichischen Physiotherapie Verbandes PhysioAustria (ausschließlich an Mitglieder), (2) monatlicher Newsletter des Netzwerks Neurologie von PhysioAustria (ausschließlich an Mitglieder des Netzwerks Neurologie von PhysioAustria), (3) Facebook Gruppe von PhysioAustria und (4) Facebook Gruppe „Physiotherapie Österreich“, um auch Nicht-Mitglieder des Berufsverbandes anzusprechen. Die Umfrage war vom 11. bis 30. März 2019 geöffnet und erfolgte anonymisiert und freiwillig. SoSciSurvey speicherte keine IP-Adressen und setzte keine Cookies. Beim Anklicken des Links wurden die Teilnehmenden zuerst über die Studie informiert (Ziel der Datenerhebung, Dauer der Umfrage, Datenmanagement, verantwortliche Personen) und um ihr elektronisches Einverständnis zur Teilnahme gebeten. Bei Erfüllen der Einschlusskriterien wurden die Teilnehmenden zum Fragebogen weitergeleitet.

Datenanalyse

Nur vollständig ausgefüllte Fragebögen waren Teil der Analyse. Der gesamte Datensatz wurde manuell anhand der offenen Antworten auf mögliche Duplikate überprüft. Aufgrund der Rekrutierungsstrategie konnte keine Rücklaufquote berechnet werden. Die Berechnung der Abschlussrate basierte auf folgenden Kennzahlen: Anzahl der Personen, die den Einschlusskriterien entsprachen dividiert durch die Anzahl der Personen, die die Umfrage beendeten (Eysenbach, 2004).

Die Antworten auf die offenen Fragen (favorisierte Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen) wurden vorab definierten Haupt- und zugehörigen Subkategorien zugeordnet. Das Kategoriensystem der deutschen Umfrage (Diermayr et al., 2021) bildete die Basis dafür. Zwei Autorinnen (AG, SM) ordneten unabhängig voneinander die Nennungen den Haupt- und Subkategorien zu. Bei Unklarheiten oder im Fall einer unterschiedlichen Zuordnung wurde eine dritte Autorin (GD) zugezogen. Anschließend wurden die absoluten und relativen Häufigkeiten der Nennungen dargestellt.

Die Kategorien zu den Untersuchungsmethoden bildeten die in der „International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)“ definierten Komponenten Körperfunktionen und -strukturen sowie Aktivitäten und Partizipation. Dafür wurde das Buch von Schädler et al. (2020) sowie die niederländische Leitlinie (Veerbeek et al., 2014) verwendet. Sollten die Untersuchungsmethoden in diesen Quellen nicht aufscheinen, entschieden drei Autorinnen (AG, SM, GD) im Konsens über die Zuordnung.

Die Kategorien zu den Behandlungsmaßnahmen basierten auf der deutschen und niederländischen Leitlinie (Dohle et al., 2015; Veerbeek et al., 2014). Daraus resultierte die Klassifizierung „empfohlen“, wenn die Kategorie in einer der beiden Leitlinien als Maßnahme im chronischen Stadium für die mobilitätsbezogenen Endpunkte „Gehstrecke“, „Gehdistanz“ oder „Balance“ empfohlen wird.

Die soziodemografischen Daten und die Begründungen für die Auswahl der Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen wurden deskriptiv mittels Mittelwerte und Standardabweichungen (standard deviation = SD) bzw. absoluter und relativer Häufigkeit dargestellt. Die Antwortmöglichkeiten für die Begründung der Auswahl wurden vorgegeben. Zusätzlich konnte unter „Sonstiges“ ein individueller Text verfasst werden.

ERGEBNISSE

Der Fragebogen wurde 150-mal geöffnet, 80 Personen gaben ihre Einwilligung, an der Umfrage teilzunehmen. Davon erfüllten 57 Personen die Einschlusskriterien. Von den 27 Personen, die den Fragebogen nicht abschlossen, brachen 12 die Befragung direkt nach den Fragen zu den Einschlusskriterien ab. Dreißig Personen schlossen den Fragebogen ab und wurden in die Analyse aufgenommen (siehe Abb. 2). Die Abschlussrate betrug 53 %. Vierzehn der 30 Teilnehmenden wurden über die Medien (Newsletter und Facebook Seite) von Physio Austria auf die Umfrage aufmerksam.

Abbildung 2

Teilnehmendenfluss

Soziodemografische Daten der Teilnehmenden

Im Durchschnitt waren die Teilnehmenden 39,2 (SD 10,5) Jahre alt und hatten 16,2 (SD 10,6) Jahre Berufserfahrung. Der höchste berufsrelevante Abschluss war bei 53,3 % der Teilnehmenden ein Diplom/eine Ausbildung und 76,7 % hatten eine abgeschlossene neurologische Fortbildung. Genannt wurden dabei mehrheitlich traditionelle neurophysiologische Konzepte wie Bobath oder Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF). Die Teilnehmenden gaben an, verschiedene Funktionsniveaus zwischen selbständig gehfähigen Personen (entsprechend einem Functional Ambulation Categories (FAC) Score von 5) bis zu nichtgehfähigen Personen (entsprechend einem FAC Score 0) zu behandeln. Die detaillierten soziodemografischen Daten sind in Tabelle 1 dargestellt.

Soziodemografische Daten (N=30).

n (°%) MW (SD)
Alter (in Jahren); MW (SD) 39,2 (10,5)
Arbeitserfahrung (in Jahren); MW (SD) 16,2 (10,6)
Gender; n (%)
Frauen 29 (96,7°%)
Männer 1 (3,3°%)
„Möchte mich nicht zuordnen“ 0
Höchster Berufsabschluss; n (%)
Diplom/Ausbildung (PT) 16 (53,3°%)
Bachelor (PT, fachfremd) 6 (20°%)
Master (PT, fachfremd) 8 (26,7°%)
Promotion/PhD (PT, fachfremd) 0
Tätigkeitsort (Mehrfachantworten möglich; n=61); n (%)
Freie Praxis 18 (29,5°%)
Krankenhaus (Ambulanz) 10 (16,4°%)
Rehabilitationseinrichtung 5 (8,2°%)
Tageszentrum 3 (4,9°%)
Hausbesuch 22 (36,1°%)
Gemeinde- &Vereinsarbeit (z. B. Selbsthilfegruppen) 1 (1,6°%)
Ausbildungseinrichtung/Hochschule 2 (3,3°%)
Forschung am Tätigkeitsort; n (%) 6 (20°%)
Betreuung von Studierenden; n (%) 13 (43,3°%)
Klinischer Schwerpunkt (Mehrfachantworten möglich; n=36); n (%)
Neurologie 25 (69,4°%)
Orthopädie/Traumatologie 7 (19,4°%)
Pädiatrie 1 (2,8°%)
Geriatrie 2 (5,6°%)
Kardiologie 1 (2,8°%)
Mobilitätsniveau der betreuten Personen nach Schlaganfall (definiert nach FAC) MW (SD)
FAC 0 Gehen nicht möglich oder nur durch ständige Unterstützung von zwei oder mehr Personen 13,4 (11,9)
FAC 1 Gehen nur mit ständiger Unterstützung von einer Person möglich 20,1 (16,1)
FAC 2 Gehen nur mit ständiger oder intermittierender Unterstützung einer Person für Gleichgewicht oder Koordination möglich 18,7 (10,5)
FAC 3 Gehen nur mit verbaler Anleitung oder Begleitung einer Person ohne physischen Kontakt möglich 16,7 (10,4)
FAC 4 Selbständiges Gehen auf ebenen Boden, Hilfe bei Treppen oder schwierigen Bodenverhältnissen nötig 19,2 (12,7)
FAC 5 Selbständiges Gehen möglich 17,1 (17,4)
Abgeschlossene neurologische Fortbildungen; n (%) 23 (76,7°%)
Art der Fortbildung (Mehrfachantworten möglich; n=40); n (%)
Bobath 18 (45°%)
PNF 10 (25°%)
Hippotherapie 1(2,5°%)
Evidenzbasierte neurologische Fortbildungen z.B. Spiegeltherapie, CIMT 7 (17,5°%)
Allg. Neurologische Fortbildungen 4 (10°%)
Unterricht/Fortbildung in EBP; n (%) 19 (63,3°%)
Größe des Tätigkeitorts; n (%)
Landgemeinde (< 5000 Einwohner*innen) 10 (33,3°%)
Kleinstadt (5000–20.000 Einwohner*innen) 7 (23,3°%)
Mittelstadt (20.000–100.000 Einwohner*innen) 4 (13,3°%)
Großstadt (>100.000 Einwohner*innen) 9 (30,3°%)
Arbeitsposition; n (%)
Angestelltes Arbeitsverhältnis 11 (36,7°%)
Freiberuflich 13 (43,3°%)
Beides 6 (20°%)

EBP = Evidenzbasierte Praxis; FAC = Functional Ambulation Categories; MW = Mittelwert; PNF = Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation; PT = Physiotherapie; SD = Standardabweichung

Untersuchungsmethoden

Alle Teilnehmenden gaben an, Untersuchungsmethoden durchzuführen. Die insgesamt 88 Nennungen konnten den beiden Hauptkategorien „standardisierte Assessments“ (n=30, 34,1 %) und „physiotherapeutische Basisuntersuchung (nicht standardisiert)“ (n=58, 65,9 %) zugeordnet werden. Innerhalb der Nennungen zu den standardisierten Assessments wurden Mobilitätstests und Gehtests mit Zeitnahmen am häufigsten genannt. Der Timed-Up and Go Test war das am häufigsten (n=11) genannte standardisierte Assessment. Siebzehn der 30 Teilnehmenden (56,7 %) nannten zumindest ein standardisiertes Assessment. In der Hauptkategorie „physiotherapeutische Basisuntersuchung (nicht standardisiert)“ wurden der Subkategorie Ganganalyse (n=19) die meisten Nennungen zugeordnet. Die genannten standardisierten Assessments wurden sowohl der ICF Komponente „Körperfunktionen und -strukturen“ als auch der Komponente „Aktivitäten und Partizipation“ zugeordnet. Im Gegensatz dazu wurden die genannten physiotherapeutischen Basisuntersuchungen vor allem den Körperfunktionen und -strukturen zugeteilt. Details zu den angegebenen favorisierten Untersuchungen sind in Tabelle 2 aufgelistet.

Favorisierte Untersuchungsmethoden (n=88).*

n (%) ICF - Einordnung
Standardisierte Assessments n=30 (34,1°%)
Mobilitätstests 13 (14,8°%)
Timed-Up and Go Test 11 AP
5 Times Chair Rising Test 2 KFS & AP
Gehtest mit Zeitnahme 13 (14,8°%)
10-Meter-Gehtest 4 KFS & AP
200-Meter-Gehtest 1 KFS & AP
300-Meter-Gehtest 1 KFS & AP
2-Minuten-Gehtest 3 KFS & AP
6-Minuten-Gehtest 4 KFS & AP
Gleichgewichtstests 4 (4,5°%)
Berg-Balance-Skala 2 KFS & AP
Tinetti Test 1 KFS & AP
Maximum Step Length Test 1 KFS
Physiotherapeutische Basisuntersuchung (nicht standardisiert), inkl. Beispiele für Nennungen n=58 (65,9°%)
Ganganalyse z. B. (visuelle) Ganganalyse, Ganganalyse (mit/ohne Hilfsmittel) 19 (21,6°%) KFS & AP
Testung der Muskelkraft z. B. Krafttest, Mufu, isometrische Krafttest UE 14 (15,9°%) KFS
Testung der Gelenksbeweglichkeit z. B. aktive und passive Bewegungsprüfung der Gelenke, Kniemobilitätsgrade messen 8 (9,0°%) KFS
Testung des Gleichgewichts Z B. Gleichgewichts-/Stellreaktion, Rumpfstabilität 2 (2,3°%) KFS
Testung des Muskeltonus z. B. manuelle Tonusprüfung, Tonustest 6 (6,8°%) KFS
Testung der Muskellänge z. B. Verkürzungstest 1 (1,1°%) KFS
Sensibilitätstests z. B. Sensibilitätsprüfung 4 (4,5°%) KFS
Analyse von Bewegungsübergängen z. B. Lagewechsel 1 (1,1°%) KFS & AP
Sonstiges z. B. Theragnostik, neurologischer Status 3 (3,4°%) NA

AP = Aktivitäten und Partizipation; ICF = International Classification of Functioning, Disability and Health; KFS = Körperfunktionen und -strukturen; Mufu = Muskelfunktionstest; NA = nicht anwendbar; UE = untere Extremität

Mehrfachantworten möglich

Behandlungsmaßnahmen

Zur Behandlung der Person im Fallbeispiel wurden 88 Behandlungsmaßnahmen genannt, die zwei Hauptkategorien zugeordnet wurden: „neurophysiologische Konzepte“ (n=27, 30,7 %) und „andere Maßnahmen“ (n=61, 69,3 %). Die Nennungen der Kategorie „andere Maßnahmen“ waren in Bezug auf die Terminologie breit gefächert. Das am häufigsten genannte neurophysiologische Konzept war das Bobathkonzept mit 21,6 %. Bei den „anderen Maßnahmen“ wurden dem gerätegestützten Kraft- und Ausdauertraining am meisten Nennungen zugeordnet (n=20, 22,7 %). Insgesamt werden 41 genannte Maßnahmen (46,6 %) in Leitlinien empfohlen. Acht der befragten Personen (26,7 %) nannten kein neurophysiologisches Konzept. Vierundzwanzig Personen (80 %) nannten zumindest eine in Leitlinien empfohlene Behandlungsmaßnahme. Die Zuordnung der Nennungen zu den jeweiligen Kategorien ist in Tabelle 3 dargestellt.

Favorisierte Behandlungsmaßnahmen (n=88).*

n (%) Leitlinienempfehlung
Neurophysiologische Konzepte 27 (30,7°%)
Bobath 19 (21,6°%) nein
PNF 8 (9,1°%) nein
Andere Maßnahmen, inkl. Beispiele für Nennungen 61 (69,3°%)
(Gerätegestütztes) Kraft- und Ausdauertraining 20 (22,7°%) ja
Kraft- und Ausdauertraining (z.°B. MTT) 3
Gerätetraining (z.°B. Laufband) 2
(funktionelles) Krafttraining 13
Ausdauertraining 2
Gleichgewichtstraining 7 (8,0°%) ja
Koordinationstraining (z.°B. sensomotorisches Training) 2 (2,3°%) nein
Gangschulung (z.°B. Gehen verstehen, Standbeintraining, Training Gangsicherheit) 8 (9,1°%) ja
Aufgabenorientiertes Training (z.°B. Training alltagsrelevanter Aufgaben) 5 (5,7°%)°%) ja
Repetitives Training 1 (1,1°%) ja
Muskeldehnung und -detonisierung (z.°B. Tonusregulation) 3 (3,4°%) nein
Passive Maßnahmen (z.°B. passive Gelenksmobilisation, Faszientechnik, osteopathische Techniken) 8 (9,1°%) nein
Sonstiges (z.°B. Spiraldynamik, NOWO Balance) 7 (8,0°%) nein

PNF = Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation; MTT = medizinische Trainingstherapie; NA = nicht anwendbar

Mehrfachantworten möglich

Gründe für die Auswahl der Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen

Bei der Auswahl der Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen war die positive Erfahrung mit dieser Untersuchungsmethode bzw. Behandlungsmaßnahme die häufigste Nennung (Untersuchungsmethoden n=20; (22,7 %); Behandlungsmaßahmen n=25 (28,7 %)). Wissen aus Fortbildungen, Praktikabilität und die individuellen Ziele der Patient*innen sind weitere Entscheidungskriterien (siehe Tabelle 4).

Gründe für die Auswahl der Untersuchungsmethoden (n=88)* und Behandlungsmaßnahmen (n=87).*

Untersuchung n (%) Behandlung n (%)
In Grundausbildung gelernt 7 (8,0°%) 7 (8,0°%)
Wissen durch fachlichen Austausch mit Kolleg*innen 5 (5,7°%) 3 (3,4°%)
Vorgaben seitens der Arbeitsstelle 5 (5,7°%) 1 (1,1°%)
Wissen aus einer Fortbildung 10 (11,4°%) 16 (18,4°%)
Positive Erfahrungen mit dieser Untersuchung/Behandlung in meiner bisherigen praktischen Arbeit 20 (22,7°%) 25 (28,7°%)
Empfehlung aus wissenschaftlichen Artikeln bzw. Leitlinien 5 (5,7°%) 5 (5,7°%)
Untersuchung/Test bzw. Behandlung/Konzept ist allgemein üblich in meiner Praxis 4 (4,5°%) 1 (1,1°%)
Gebrauche ich immer bei einer spezifischen Situation bzw. Symptomatik (Routine in der Anwendung) 7 (8,0°%) 3 (3,4°%)
Ich fühle mich sehr kompetent in dieser Untersuchung/Behandlung 3 (3,4°%) 9 (10,3°%)
Wunsch der meisten Patient*innen, die ich behandle 0 2 (2,3°%)
Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse 0 0
Praktikabilität (Untersuchung/Test bzw. Behandlung/Konzept benötigt wenig Zeit und/oder wenig Equipment) 14 (16,0°%) 4 (5,0°%)
Entspricht individuellem Ziel der Patient*innen 7 (8,0°%) 10 (11,5°%)
Sonstiges 1 (1,1°%) 1(1,1°%)

Fett markiert: 3 häufigsten Gründe für Auswahl der Untersuchungsmethoden bzw. Behandlungsmaßnahmen

Mehrfachantworten möglich

DISKUSSION

Etwas mehr als die Hälfte der befragten Physiotherapeut*innen setzen zumindest ein standardisiertes Assessment im Rahmen der Untersuchung ein. Die Mehrzahl der genannten Untersuchungsmethoden werden der physiotherapeutischen, nicht-standardisierten Basisuntersuchung zugeordnet. Dreiviertel der Befragten wenden zumindest ein neurophysiologisches Konzept (Bobath oder PNF) im Rahmen der Behandlung an, obwohl diese nicht in Leitlinien empfohlen werden. Knapp die Hälfte der genannten Behandlungsmaßnahmen werden allerdings auch in Leitlinien zur Behandlung vorgeschlagen.

Charakteristika der Teilnehmenden

Die teilnehmenden Personen in dieser Studie repräsentieren in Bezug auf das Alter die Gesamtheit, der in Österreich registrierten Physiotherapeut*innen: laut Jahresbericht des Gesundheitsberuferegisters (Rappold et al., 2020) liegt das Durchschnittsalter der österreichischen Physiotherapeut*innen bei 39,1 Jahre. Allerdings sind in unserer Umfrage deutlich mehr Frauen (96,7 %) vertreten als in der Gesamtheit der in Österreich registrierten Physiotherapeut*innen (75 %). Dreiviertel der inkludierten Physiotherapeut*innen verfügen über eine neurologische Fortbildung. Die von den Physiotherapeut*innen betreuten Personen nach Schlaganfall entsprechen zu etwas mehr als 50% dem geschilderten Fallbeispiel (FAC 3–5).

Ein Vergleich mit der 2013 durchgeführten Umfrage von Diermayr et al. (2015) zur EBP in der Physiotherapie in Österreich zeigt, dass an unserer Umfrage deutlich mehr Personen mit BSc-Abschluss teilnahmen (8,8 % vs. 20 %). Der Anteil der Personen mit MSc veränderte sich minimal (25,0 % vs. 26,7 %). Dies verdeutlicht den fortschreitenden Akademisierungsgrad, der primär durch die Überführung der Grundausbildung in den tertiären Sektor erklärt werden kann (Mériaux-Kratochvila, 2021). Da Akademisierung und ein höherer Ausbildungsgrad mit einer vermehrten Umsetzung von EBP assoziiert sind (Braun et al., 2018; Diermayr et al., 2015; Leiner et al., 2021; Nilsagård & Lohse, 2010; Salbach et al., 2010), ist anzunehmen, dass sich seit 2006 – dem Beginn der Überführung der Ausbildung in den tertiären Sektor (Aistleithner & Rappold, 2012) – die Arbeitsweise in der österreichischen Physiotherapie verändert hat. Ein Vergleich mit der Umfrage aus 2013 von Diermayr et al. (2015) zeigt, dass eine solche Veränderung hin zu einer evidenzbasierten Arbeitsweise im Sinne eines Anstiegs in der Anwendung von Leitlinien und empfohlener standardisierter Assessments stattfindet. Damals gaben 10 % der Befragten ihre volle Zustimmung zu den Aussagen „Ich orientiere mich in meiner klinischen Arbeit an internationalen Behandlungs-Leitlinien.“ Und „Ich verwende regelmäßig Assessments (>6/10 Patient*innen) in meiner klinischen Arbeit.“ Unsere Umfrage zeigte, dass knapp 60 % der Teilnehmenden zumindest ein standardisiertes Assessment und 80 % zumindest eine in Leitlinien empfohlene Behandlungsmaßnahme nannten. Ein Vergleich mit der Umfrage aus Deutschland (Diermayr et al., 2021) ergibt, dass Teilnehmende in der deutschen Umfrage zu einem wesentlich geringeren Anteil akademisiert waren als in unserer Umfrage (10 % Bachelor- und 5 % Master-Abschluss in der Umfrage in Deutschland vs. 20 % Bachelor- und 27 % Master-Abschluss in der Umfrage in Österreich). Gleichzeitig zeigen die Nennungen bei den favorisierten Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen einen gewissen Trend: Neurophysiologische Konzepte, die in Leitlinien nicht empfohlen werden, wurden in der deutschen Umfrage häufiger genannt (38 % vs. 31 %) und standardisierte Assessments wurden seltener angeführt (15 % vs. 34 %). Hier könnte sich die Annahme bestätigen, dass eine höhere Akademisierungsquote u. a. zu einer vermehrten Integration von Leitlinien in der klinischen Praxis führt (Braun et al., 2018; Diermayr et al., 2015; Jette et al., 2003; Salbach et al., 2007).

Untersuchung

Etwas mehr als die Hälfte der befragten Personen verwendeten zumindest ein standardisiertes Assessment in Bezug zum beschriebenen Fallbeispiel. Die genannten Assessments entsprechen auch mehrheitlich den Empfehlungen in Leitlinien (Dohle et al., 2015; Veerbeek et al., 2014). Anders als z. B. bei der Untersuchung von Personen, die nicht gehfähig sind, stehen Physiotherapeut*innen für die Untersuchung von Personen mit Mobilitätseinschränkungen niederschwellige und praktikable Assessments zur Verfügung (z. B. Timed Up and Go Test, 10 m Gehtest). Dennoch verwenden etwas weniger als die Hälfte der Teilnehmenden keines der zur Verfügung stehenden Assessments. Demgegenüber steht die in Österreich durchgeführte Studie von Schomberg et al. (2016), in der 88 % der Befragten (n=60) in stationären Neurorehabilitationseinrichtungen angaben, standardisierte Assessments zu verwenden. Die von uns befragten Physiotherapeut*innen gaben am häufigsten die Tätigkeitsorte „freie Praxis und Hausbesuche“ an. Die Beobachtung, dass standardisierte Assessments in der freien Praxis weniger verwendet werden als in der stationären Rehabilitation, bestätigt auch die internationale Literatur (Salbach et al., 2011; Van Peppen et al., 2008). Die Gründe dafür sind vielfältig und u. a. vom Arbeitsort abhängig: mangelhafte finanzielle Vergütung, fehlende Erfahrung und Training in der Verwendung von Assessments, fehlendes Equipment zur Durchführung des Assessments und mangelnde Zeitressourcen im Rahmen der Therapie werden angegeben (Braun et al., 2018; Swinkels et al., 2011; Van Peppen et al., 2008). Hier könnte gezielt Abhilfe geschaffen werden, indem z. B. die Verwendung von standardisierten Assessments, dort wo möglich und notwendig, als verpflichtender Teil der physiotherapeutischen Untersuchung als Kassenleistung definiert werden würde. Bei der Österreichischen Gesundheitskasse (die größte gesetzlich verankerte Pflichtversicherung, die für die Refundierung von Leistungen im ambulanten Bereich zuständig ist) wird in der aktuellen Fassung lediglich die Behandlung durch eine*n Physiotherapeut*in als refundierbare Kassenleistung angeführt (ÖGK, 2020).

Behandlung

Dreiviertel der Befragten nannten ein traditionelles, erfahrungsbasiertes, neurophysiologisches Konzept als bevorzugte Behandlungsmaßnahme. Aktuell werden weder das Bobathkonzept noch PNF in Leitlinien empfohlen (Dohle et al., 2015; Veerbeek et al., 2014). In einer Umfrage aus Deutschland aus dem Jahr 2005 setzten 100 % der befragten Physiotherapeut*innen das Bobathkonzept ein (Barzel et al., 2007). Auch 2018, als die dieser Arbeit zugrundeliegende Umfrage in Baden-Württemberg und Thüringen durchgeführt wurde, wurde das Bobathkonzept als häufigste Behandlungsmaßnahme für das präsentierte Fallbeispiel genannt (Diermayr et al., 2021). Frühere Daten zu angewendeten Behandlungsmaßnahmen in der Behandlung von Personen nach Schlaganfall aus Österreich sind uns nicht bekannt. Unsere aktuellen Daten weisen darauf hin, dass auch in Österreich die traditionellen Konzepte nach wie vor weit verbreitet sind, dass diese allerdings mit in Leitlinien empfohlenen Behandlungsansätzen ergänzt werden: Kraft- und Ausdauertraining, Gleichgewichtstraining, Aufgabenorientiertes Training und Repetitives Training werden von den Teilnehmenden ebenfalls genannt. Daten zu den Gründen für die getroffene Auswahl (häufigste Nennung: positive Erfahrung) deuten dennoch darauf hin, dass primär Erfahrungswissen das therapeutische Handeln leitet. Inwiefern externe Evidenz mit dem Erfahrungswissen und mit den Wünschen der Patient*innen im Sinne der EBP abgeglichen wird, kann aus unseren Daten nicht präzisiert werden.

Begründungen für die Auswahl der Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen

Das Einbeziehen externer Evidenz in das physiotherapeutische Handeln ist assoziiert mit der Akademisierung des Berufes (Salbach et al., 2010; Scurlock-Evans et al., 2014). Der Prozess der Akademisierung der Ausbildung in Österreich begann 2006 mit einem ersten Bachelor-Studiengang und dauerte mehrere Jahre bis zur vollständigen Überführung in den tertiären Sektor (Aistleithner & Rappold, 2012). Insofern ist der hohe Stellenwert der persönlichen Erfahrung als Begründung für die Auswahl der Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen in unseren Daten wenig erstaunlich. Eine Untersuchung aus der Schweiz zeigt, dass die Einführung des evidenzbasierten Arbeitens ein langwieriger Prozess ist; 10 Jahre nach Einführung von EBP Workshops war die am häufigsten verwendete Informationsquelle für die klinische Entscheidungsfindung der Austausch mit Arbeitskolleg*innen, an zweiter Stelle Lehrbücher und an dritter Stelle wurden wissenschaftliche Artikel genannt (Suter et al., 2015).

Wissen aus Fortbildungen spielte ebenso eine wichtige Rolle für die Auswahl von Untersuchungsmethoden und Behandlungsmaßnahmen. Hier könnten Strategien ansetzen, um die EBP in Österreich zu fördern, indem in physiotherapeutischen Fortbildungen der Stellenwert der externen Evidenz betont wird. Ein gelungenes Beispiel für die Gestaltung einer derartigen Fortbildung ist die Einrichtung eines EBP Service Centers (Schönthaler et al., 2017) für Ergotherapeut*innen. Im Rahmen eines EBP Workshops wurden Grundprinzipien der EBP erarbeitet; speziell wurde das Formulieren von klinisch relevanten Fragen geübt. Anschließend an diesen Workshop konnten klinische Fragen an das EBP Service Center gerichtet werden. Diese Fragen wurden im Rahmen eines „Critically Appraised Topic“ (CAT) beantwortet. Diese Studie zeigte, dass sich nicht nur die Arbeitsweise, sondern auch die Einstellung der Praktiker*innen zu EBP und Bereitschaft, sich mehr mit EBP auseinanderzusetzen änderte (Schönthaler et al., 2017).

Limitationen

Die größte Limitation unserer Umfrage ist die geringe Teilnehmendenzahl von 30 Personen. Der Vergleich mit anderen Umfragen in Österreich bestätigt, dass wir vergleichsweise wenige Kolleg*innen ansprechen konnten. In der Umfrage von Diermayr et al. (2015) und Leiner et al. (2021) öffneten 708 bzw. 433 Personen die Umfrage, und in einer Umfrage zum Thema „Erfahrungen und Einstellungen von Physiotherapeut*innen zu Wissenschaft“ waren es sogar 1226 Personen (Kulnik et al., 2020). Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen Umfragen und unserer waren die Einschlusskriterien. Während oben genannte Studien den Einschluss nicht auf einen klinischen Bereich oder eine Mindestanzahl von zu behandelnden Personen mit einer bestimmten Diagnose reduzierten, setzen wir diesbezüglich einen engeren Rahmen: Physiotherapeut*innen mussten mindestens drei Personen nach Schlaganfall pro Jahr behandeln. Aufgrund mangelnder Daten kann keine Vermutung angestellt werden, wie viele Physiotherapeut*innen in der ambulanten Schlaganfallnachsorge arbeiten und potentiell in die Studie miteingeschlossen hätten werden können. Laut Gesundheitsberuferegister (Rappold et al., 2020) sind mit Stichtag 31.12.2019 knapp 9000 Physiotherapeut*innen in Österreich (auch) freiberuflich tätig. Eine Eingrenzung auf in der Neurorehabilitation tätige Personen ist im Register nicht möglich. Laut Therapeut*innensuche über die Homepage des Berufsverbandes, in der ausschließlich Mitglieder von Physio Austria gelistet sind, bieten 1439 Personen Physiotherapie im Bereich der Neurologie an. Inwiefern diese Personen auch tatsächlich Personen mit neurologischen Erkrankungen, insbesondere Personen nach Schlaganfall, behandeln, kann nicht festgestellt werden.

Ein weiterer Unterschied zu oben genannten Studien besteht bezüglich der Rekrutierungsstrategie. Wir rekrutierten u.a. im Rahmen eines Newsletters von Physio Austria für unsere Umfrage, Diermayr et al. (2015) und Kulnik et al. (2020) rekrutierten Teilnehmende über eine speziell für die Umfrage erstellte Email. Inwiefern diese direkte Ansprache eine Auswirkung auf die Rekrutierungsrate hat, ist unklar.

Trotz geringer Teilnehmendenzahl ist der Anteil der Bachelor-Abschlüsse in unserer Stichprobe vergleichbar mit den Daten aus dem Gesundheitsberuferegister (Rappold et al., 2020). Ähnlich der Umfrage von Diermayr et al. (2015) scheint der Anteil der Personen, die Studierende im Praktikum betreuen, und derjenigen, die an forschungsaktiven Institutionen arbeiten, oder einen Master-Abschluss haben, überdurchschnittlich hoch. Vergleichsdaten aus dem Gesundheitsregister sind diesbezüglich nicht vorhanden. Sowohl ein höherer akademischer Abschluss als auch eine Anstellung an einer forschungsaktiven Institution und Studierendenbetreuung sind Prädiktoren für die vermehrte Umsetzung von evidenzbasiertem Arbeiten (Diermayr et al., 2015; Salbach et al., 2010). Unsere Daten müssen also aufgrund eines möglichen Selection Bias mit Vorsicht interpretiert werden. Die tatsächliche Anwendung könnte geringer sein.

Zwölf von 57 Personen brachen die Bearbeitung des Fragebogens beim Lesen des Fallbeispiels ab, also noch bevor die erste Frage beantwortet wurde. Da Fallbeispiele eine valide und niederschwellige Methode zur Darstellung der klinischen Praxis darstellen (Peabody et al., 2000), wäre es in zukünftigen Umfragen von Bedeutung, in Pilottestungen konkret nachzufragen, ob die Formulierung oder die Platzierung des Fallbeispiels zum weiteren Ausfüllen des Fragebogens anregen.

Schlussfolgerung

Diese Umfrage gibt Einblick in die Arbeitsweise von Physiotherapeut*innen, die in der ambulanten Schlaganfallrehabilitation in Österreich tätig sind. Obwohl die geringe Teilnehmer*innenzahl und die bezüglich Akademisierung und Forschungsanbindung nicht repräsentative Stichprobe die Aussagekraft limitieren, deuten unsere Daten darauf hin, dass die physiotherapeutische Untersuchung geprägt ist von nicht-standardisierten Methoden, teilweise ergänzt durch standardisierte Assessments. In der Behandlung werden sowohl erfahrungsbasierte als auch evidenzbasierte und in Leitlinien empfohlene Behandlungsmaßnahmen verwendet. Allerdings werden knapp die Hälfte der genannten Maßnahmen nicht in Leitlinien empfohlen. Um gezielt eine Verhaltensveränderung bei Physiotherapeut*innen hin zur stärkeren Anwendung von externer Evidenz zu erreichen, sollten in einem nächsten Schritt Barrieren (z.B. auf persönlicher oder organisatorischer Ebene) und Förderfaktoren zur konkreten Anwendung von EBP erhoben werden.

eISSN:
2296-990X
Lingue:
Inglese, Tedesco
Frequenza di pubblicazione:
Volume Open
Argomenti della rivista:
Medicine, Clinical Medicine, other