Die digitale Transformation erfasst als gesamtgesellschaftliches Phänomen alle Lebensbereiche, beeinflusst das Miteinander im Privaten wie die Arbeitswelt. Innovative Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie die Weiterentwicklung bestehender Informationssysteme führen zu Veränderungen bereits existierender Prozesse bis hin zur Entstehung völlig neuer Wertschöpfungsketten (Schallmo, 2016). Damit einhergehende grundlegende veränderte Arbeitsprozesse und auch gänzlich neue Berufsfelder erfordern zum einen Anpassungen der Arbeitsorganisation sowie der Zusammenarbeit und stellen zum anderen neue Anforderungen an die Kompetenzprofile der Arbeitenden (Apt et al., 2016; Maier et al., 2019). So wird von einigen Autoren angenommen, dass aufgrund der durch kurze Innovationszyklen geprägten Dynamik der digitalen Transformation und der zunehmenden Speicherung und schnellen Verfügbarkeit von Wissen in digitaler Form, Experten*innenwissen zunehmend an Bedeutung verlieren könnte (Apt et al., 2016). Kompetenzen, die Individuen und Organisationen dazu befähigen, flexibel und schnell auf sich ändernde Anforderungen zu reagieren, dürften hingegen in den Wissensgesellschaften an Bedeutung gewinnen. So gelten u. a. Informationsmanagement, kritisches Denken, Kreativität sowie Kompetenzen im Problemlösen, der Kollaboration und Kommunikation als Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts (van Laar et al., 2017). Diese Schlüsselkompetenzen adressieren zwar nicht direkt den Einsatz von IKT, stehen jedoch in enger Beziehung zum Konzept der digitalen Kompetenz (Ala-Mutka, 2011).
Laut Ilomäki et al. (2016) besteht digitale Kompetenz aus den Fertigkeiten und Fähigkeiten, die erforderlich sind, um die neuen Technologien sinnvoll und als Werkzeug für Lernen, Arbeit und Freizeit zu nutzen, die wesentlichen Phänomene der digitalen Technologien in der Gesellschaft wie auch im eigenen Leben zu verstehen und die Motivation, als aktiver und verantwortungsbewusster Akteur an der digitalen Welt teilzuhaben. Nicht zuletzt durch die Empfehlung des Rates der Europäischen Union die digitalen Kompetenzen, als eine von acht Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen zu fördern (Council of the European Union, 2006, 2018), entstand eine Vielzahl von Modellen der digitalen Kompetenzen (Ferrari, 2012). Diese Modelle konkretisieren, welche Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen es benötigt, um digital kompetent zu sein und dienen als Leitlinie für die Förderung digitaler Kompetenzen. Unter diesen Modellen ist das von Ferrari (Ferrari, 2013) konzipierte und später weiterentwickelte (Carretero et al., 2018; Vuorikari et al., 2016) Framework DigComp hervorzuheben, da dieses verschiedene Niveaustufen berücksichtigt und bereits für verschiedene Anwendungsfälle erprobt wurde (Evangelinos & Holley, 2014; Goppold & Frenz, 2020; Reisoğlu & Çebi, 2020). DigComp 2.0 gliedert sich in vier Dimensionen, wobei die erste Dimension fünf Kompetenzbereiche beschreibt, welche in der zweiten Dimension durch konkrete Kompetenzen spezifiziert werden. Während die dritte Dimension Niveaustufen für diese Kompetenzen umfasst, werden in der vierten Dimension Beispiele für die einzelnen Kompetenzen beschrieben. Bei den Kompetenzbereichen der ersten Dimension handelt es sich um Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Kollaboration mittels digitaler Technologien, Erzeugen digitaler Inhalte, Sicherheit in Bezug auf den Schutz von Endgeräten, Daten und der Gesundheit sowie das Problemlösen mittels digitaler Technologien (Vuorikari et al., 2016).
Vor dem Hintergrund, dass den digitalen Kompetenzen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ein hohes Gewicht zugeschrieben wird, ist es nicht verwunderlich, dass sie auch im Gesundheitswesen an Bedeutung gewinnen. So sollen als Teil der Umsetzungsstrategie „Digitalisierung gestalten“ im Rahmen des Vorhabens „Förderung von digitalen Kompetenzen in Heilberufen“ sukzessive digitale Inhalte in die Ausbildungsangebote der akademischen und nicht-akademischen Heilberufe aufgenommen und in den Approbations-, bzw. Ausbildungs- und Prüfungsordnungen verankert werden (Die Bundesregierung, 2020). Hierbei sollen zum einen digitale Lehr- und Lerntechnologien eingesetzt und zum anderen notwendige digitale Kompetenzen vermittelt werden, um der zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitswesens, welche nicht zuletzt durch das Digitale-Versorgung-Gesetz weiter vorangetrieben wird (Jorzig & Sarangi, 2020), Rechnung zu tragen.
Wie genau die digitale Transformation des Gesundheitswesens verlaufen wird und welche konkreten Anforderungen an berufsspezifische digitale Kompetenzen für die Angehörigen der Heilberufe sich hierdurch ergeben werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht endgültig absehbar. Auf Basis aktueller Ansätze der Digitalisierung im Gesundheitswesen und politischer Initiativen lassen sich nichtsdestotrotz Vermutungen darüber anstellen, wie sich die beruflichen Realitäten der in Heilberufen Tätigen in Zukunft ändern könnten. Generell ist mit einer erheblichen Bedeutungszunahme von E-Health, dem gesundheitsbezogenen Einsatz von IKT im Gesundheitswesen (Blachetta et al., 2016), zu rechnen.
Durch den weiteren Ausbau der Telematikinfrastruktur und dem schrittweisen, teils verpflichtenden, Anschluss der verschiedenen Leistungserbringenden ist zwangsläufig eine zunehmende Vernetzung der Akteure (Personen und Institutionen) im Gesundheitswesen und eine Durchdringung elektronischer Dokumentationssysteme wahrscheinlich (Leyck Dieken, 2021).
Zudem ist eine Zunahme telemedizinischer Angebote zu erwarten. Diese kann die Interaktion zwischen den Leistungserbringenden untereinander und mit Patienten*innen unter Überwindung räumlicher und ggf. zeitlicher Distanzen ermöglich (Jorzig & Sarangi, 2020). In verschiedenen Modellprojekten wurden bereits Formen der Telepflege (Hübner & Egbert, 2017), der Telediagnostik (Augustin et al., 2018) sowie des Telemonitorings (Chan et al., 2019; Koehler et al., 2018) erprobt. Bedingt durch die COVID-19-Pandemie kam es zu einem Anstieg der Nutzung ärztlicher und psychotherapeutischer Videosprechstunden (Mangiapane et al., 2021). Auch Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen und Logopäd*innen war es unter bestimmten Voraussetzungen möglich Teletherapien durchzuführen (Lauer, 2020). Hebammen konnten Teleberatungen abrechnen (Wever, 2020) auch einzelne Leistungen der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege konnten per Videotelefonie erbracht werden (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2020).
Durch die Einrichtung des DiGA-Verzeichnisses und des Fast-Track-Verfahrens (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2020) werden Gesundheits- und Medizin-Apps nicht länger primär auf dem zweiten Gesundheitsmarkt eine Rolle spielen, sondern immer mehr Einzug in die Regelversorgung erhalten (Knöppler et al., 2016; Knöppler & Stendera, 2019).
Digitale Assistenzsysteme, die Verfahren der künstlichen Intelligenz nutzen, um pflegebedürftige Menschen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens oder Leistungserbringende bei ihrer Arbeit zu unterstützen, finden derzeit noch keine breite Anwendung. Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in diesen Bereichen, etwa der Servicerobotik, der klinischen Entscheidungsunterstützungssysteme (KEUS) oder des Ambient Assisted Living (AAL), erfahren jedoch staatliche (Modell-)Förderung, auch hier ist mittel- bis langfristig eine zunehmende Verbreitung anzunehmen.
Als weiterer Aspekt sei angeführt, dass der Speicherung und Verarbeitung von Big Data, also großer, unstrukturierter, schnell wachsender Datenmengen (De Mauro et al., 2016) im Zusammenhang mit E-Health-Anwendungen eine besondere Bedeutung zukommt. So werden zum einen durch E-Health große Mengen digitaler Daten generiert, z. B. Abrechnungsdaten oder Patientendaten in der elektronischen Patientenakte (ePA), zum anderen können Ergebnisse aus Big-Data-Analysen eine Grundlage für E-Health-Anwendungen darstellen (Blachetta et al., 2016). Der durch Auswertungen großer Mengen von Routinedaten gewonnenen, sogenannten Real-World-Evidence, wird darüber hinaus ein hohes Potenzial für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Sinne einer Evidence-Based-Practice zugesprochen (Sherman et al., 2016).
Als Reaktion auf die zunehmende Digitalisierung des Gesundheitswesens sind bereits verschiedene Empfehlungen zu notwendigen berufsspezifischen digitalen Kompetenzen für Heilberufler*innen und Gesundheitsexpert*innen entstanden (Brunner et al., 2018; Hübner et al., 2016; Mantas et al., 2010). Für die hier relevanten akademisierten Gesundheitsfachberufe (der Pflege, Hebammenkunde, Logopädie, Ergo- und Physiotherapie) im Speziellen sind uns hingegen lediglich Empfehlungen für die Berufsgruppe der Pflegenden bekannt. Im deutschsprachigen Raum sind hier insbesondere die Empfehlungen zu Kernkompetenzen in Pflegeinformatik für Angehörige der Pflegeberufe der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Österreichischen Gesellschaft für Pflegeinformatik (ÖGPI) und Schweizerischen Interessensgruppe Pflegeinformatik (IGPI) (Hübner et al., 2017) und die Leitlinien Pflege 4.0 der Gesellschaft für Informatik (GI) (Bendig et al., 2017) zu nennen. So empfehlen GMDS, ÖGPI und IGPI (2017) mindestens fünf der 19 von ihnen identifizierten Kernkompetenzen in Pflegeinformatik zu berücksichtigen. Unter diesen Kernkompetenzen finden sich u. a. Pflegedokumentation, Datenschutz und Datensicherheit, Prozess- und Projektmanagement, Ethik und IT, aber auch Entscheidungsunterstützung durch IT, Assistierende Technologien, eHealth, Telematik und Telehealth wieder. Im Weiteren wird neben Empfehlungen zur Fort- und Weiterbildung für spezifische Berufsfelder und der Pflegepädagog*Innen darauf hingewiesen, auch in managementbezogenen Kompetenzbereichen einen Bezug zu IKT im Gesundheitswesen zu ziehen und technikbezogene, rechtliche und ethische Kernkompetenzen in einem Gesundheitskontext zu lehren. Auch die GI (2017) weist den ethischen und datenschutzrechtlichen Aspekten der Digitalisierung im Gesundheitswesen eine besondere Bedeutung zu, indem sie diesen in ihrer Leitlinie eine zentrale Handlungsempfehlungen widmet. Darüber hinaus stellt die GI heraus, dass bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen sowohl die technische (Wie funktioniert das?) und anwendungsbezogene (Wie nutze ich das?) als auch die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive (Wie wirkt das?) berücksichtigt werden sollten. Pflegekräfte etwa sollen in die Lage versetzt werden, digitale Systeme selbstbestimmt anzuwenden, Wechselwirkungen mit Individuum und der Gesellschaft abzuschätzen sowie ihre professionelle Perspektive in die Weiterentwicklung entsprechender Systeme einzubringen und so die digitale Transformation ihres Berufsfeldes mitzugestalten.
Im Folgenden beschreiben wir ein Lehrveranstaltungskonzept zur Förderung berufsspezifischer digitaler Kompetenzen der akademisierten Gesundheitsfachberufe, welches am Department für Pflege und Management der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg entwickelt wurde. Dieses Konzept soll die Grundlage für eine Lehre darstellen, die die Studierenden der Gesundheitsfachberufe gezielt auf die sich durch die digitale Transformation verändernden professionellen Anforderungen vorbereitet, es ihnen ermöglicht, hierzu eine eigene Wertehaltung zu entwickeln und die die nötigen Kompetenzen vermittelt, um Digitalisierung mitzugestalten.
In Anbetracht der ausstehenden Erprobung und Evaluation unseres Lehrkonzepts ist dieser Artikel als Diskussionsgrundlage zu verstehen, welcher exemplarisch darstellt, wie eine Lehre zur Förderung berufsspezifischer digitaler Kompetenzen konzipiert sein kann.
Das methodische Vorgehen gliedert sich in zwei Phasen (s. Abbildung 1).
In der ersten Phase führte der Erstautor eine systematische Literaturrecherche der internationalen Literatur (s. Tabelle 1) und eine Dokumentenanalyse bestehender Curricula verschiedener Studiengänge an deutschen Hochschulen durch (s. Tabelle 2) und entwickelte ein vorläufiges Lehrkonzept. In der zweiten Phase führte der Erstautor Gespräche mit Expertinnen und entwickelte ein finales Lehrkonzept.
Methodik der systematischen Literaturrecherche.
Initiale Suche Analyse der Titel der Artikel Analyse der Abstracts der Artikel Volltextanalyse der Artikel |
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21.09.2020 | |
Nach 2004 | |
(“digital competence” OR “digital literacy” OR “informatics” OR “computer science” OR “digital health” OR “e-health” OR ehealth OR “big data” OR telemedicine) |
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Zielgruppe der Artikel sind nicht Pflege, Logopädie, Physiotherapie, Ergotherapie oder Hebammenkunde. Artikel ist eine reine Beschreibung von digitalen Kompetenzen. Artikel ist eine reine Beschreibung von digitalen Lernformaten. |
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Ali, N. S., Carlton, K. H., & Ali, O. S. (2015). Telehealth Education in Nursing Curricula. |
Methodik der Dokumentenanalyse.
Vorgehensschritte |
Durchsuchen der Studiengangsbezeichnungen auf hochschulkompass.de mittels regulärer Ausdrücke Entfernung irrelevanter Studiengänge anhand der Studiengangsbezeichnungen Download der Curricula Automatisches Screening der Modulhandbücher/Modulübersichten Extraktion der relevanten Modulbeschreibungen Analyse der Modulbeschreibungen |
Datenquelle | Hochschulkompass.de, Webseiten der Studiengänge |
Reguläre Ausdrücke Auswahl Studiengänge | logo.*, physioth.*, ergoth.*, .*pflege.*, .*gesund.*, hebamm.*, .*therap.*, nurs.*, midwife.*, .*health.* |
Reguläre Ausdrücke Automatisches Screening | digi.*, informatik, computer, e-health, ehealth, mhealth, m-health, robot.*, tele.*, techno.*, ambient, assisted living, aal, app. |
Auf der Basis der Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche und einer Dokumentenanalyse bestehender Curricula wurden relevante Themengebiete und Anforderungen identifiziert und orientiert an der von Anderson et al. (2001) überarbeiteten Bloom'sche Lernzieltaxonomie und der Taxonomie für die affektive Domäne (Krathwohl et al., 1978) Lernziele abgeleitet. Ausgehend von den identifizierten Themengebieten und allgemeinen Lernzielen wurden thematisch strukturierte Lerneinheiten konzipiert. Die Konzeption der Lehr-Lern-Aktivitäten zur Erreichung der Lernziele wurde durch das Vier-Komponenten-Instructional-Design-Modell (4C/ID) (van Merriënboer, 2020) und dem didaktischen Ansatz des problemorientierten Lernens (Wood, 2003) geleitet. Die Prüfungsleistungen wurden in Anlehnung an das Konzept des Constructive Alignements an den formulierten Lernzielen ausgerichtet (Biggs, 1996). Seitens der Veranstaltungsform erfolgte die Konzeption als ein in sich geschlossenes Modul, welches innerhalb eines Hochschulsemesters im Kontext gesundheitsbezogener Studiengänge, unabhängig vom konkreten Fachsemester durchgeführt werden kann.
Die Gespräche mit den Expertinnen dienten in erster Linie der Identifikation fehlender Inhalte und der Reflexion des vorläufigen Lehrkonzeptes. Bei den Expertinnen handelte es sich um sechs Lehrende des Departments „Pflege und Management“ der HAW, welche alle zusätzlich in einem Gesundheitsberuf tätig waren (3 Pflege, 1 Hebammenkunde, 1 Logopädie, 1 Ergotherapie). Die Gespräche wurden als semi-strukturierte Interviews mit folgenden Leitfragen geführt:
Welche Rolle spielen die Themen E-Health und Big Data in der beruflichen Realität des Gesundheitsberufs der Expertin? Wie werden diese Themen in den Studiengängen am Department berücksichtigt? Welche Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen halten Sie für besonders relevant? Vorstellung des vorläufigen Konzeptes mit der Bitte um Feedback.
Um die Studierenden auf die durch die Digitalisierung bedingten Veränderungen ihrer Berufsfelder vorzubereiten, müssen aktuelle Ansätze der Digitalisierung im Gesundheitswesen im Lehrkonzept inhaltlich berücksichtigt werden (Anforderung A1). Da hierbei sowohl die technisch-informatische als auch die rechtlichen Grundlagen sowie die ethischen, sozialen und arbeitsorganisatorischen Aspekte beleuchtet werden müssen, teilt sich die erste Anforderung an das Lehrkonzept in drei Unteranforderungen auf (A1.1, A1.2, A1.3). Neben der inhaltlichen Behandlung digitaler Technologien ist es im Sinne einer praxisorientierten Lehre notwendig, den Studierenden zu ermöglichen, entsprechende Systeme in der Anwendung zu erforschen (A2). Darüber hinaus gilt es, die Studierenden dazu zu befähigen, anwendungsfallspezifische Nutzungsanforderungen an digitale Technologien zu formulieren, deren Einsatz zu planen und so die digitale Transformation ihres Berufsfeldes mitzugestalten (A3, A4). Zudem ergeben sich durch die hochdynamischen Entwicklungen im Rahmen der digitalen Transformation weitere Anforderungen an das Lehrkonzept (A5, A6). Sowohl diese hohe Dynamik als auch die Heterogenität der Zielgruppe in Bezug auf deren Ausgangsniveau und Studienrichtung erschweren die klassische Vermittlung von Wissensinhalten durch die Lehrenden. Nicht zuletzt muss den Studierenden die Möglichkeit gegeben werden, den Einsatz von digitalen Technologien in ihrem Berufsfeld zu reflektieren (A7). Die identifizierten Anforderungen an das Lehrkonzept sind in Tabelle 3 übersichtsartig dargestellt.
Anforderungen an das Lehrkonzept.
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Das Lehrkonzept, welches die aufgeführten Anforderungen adressiert, ist übersichtsartig in Abbildung 2 dargestellt. Es unterteilt sich in vier Lerneinheiten (I–IV), welche jeweils individuelle kognitive und affektive Lernziele adressieren und entsprechend unterschiedliche Lehr-Lern-Aktivitäten sowie Prüfungsformen implementieren. Hierbei schließen die Lerneinheiten I, II und III zeitlich direkt aneinander an und bauen inhaltlich aufeinander auf. Orientiert an der überarbeiteten Bloom'schen Lernzieltaxonomie (Anderson et al., 2001) werden hierbei durch die Lernziele schrittweise höhere kognitive bzw. affektive Niveaustufen adressiert und das Komplexitätsniveau der Lernaufgaben sukzessive erhöht (van Merriënboer, 2020). Parallel dazu wechseln die Lehrenden von einer anleitenden in eine beratende Rolle, in der sie die Studierenden primär bei der Problemstrukturierung unterstützen und ihnen hierdurch eine zunehmend selbstorganisierte Lernerfahrung ermöglichen. Die Lerneinheit IV nimmt insofern eine Sonderrolle ein, als sie primär der Reflexion dient und bis auf die Aufgabenstellung durch die Lehrenden selbstbestimmt durch die individuellen Lernenden absolviert wird. Die in den Lerneinheiten I bis III behandelten Inhalte und erworbenen Kompetenzen bilden hierbei die Grundlage für die Reflexion und die Bearbeitung der Aufgabenstellung.
Aus den oben erläuterten Anforderungen an das Lehrkonzept wurden konkrete Lernziele sowohl für die kognitive und affektiven Prozessdimension nach Anderson et al. (2001) bzw. Krathwohl et al. (1978) und unter Berücksichtigung der entsprechenden Niveaustufen abgeleitet (siehe Tabelle 4).
Kognitive und affektive Lernziele.
Kognitiv | Erinnern Verstehen | Faktisch Konzeptionell | Die Studierenden können wesentliche Ansätze der Digitalisierung im Gesundheitswesen beschreiben und die grundlegenden informatischen Konzepte sowie relevante rechtliche Rahmenbedingungen erläutern. | |
Kognitiv | Anwenden | Prozedural | Die Studierenden können digitale Technologien zielgerichtet und sicher anwenden, um komplexe Probleme ihres Berufsfeldes zu lösen. | |
Kognitiv | Analysieren Beurteilen | Prozedural Metakognitiv | Die Studierenden können Versorgungsprozesse in Hinblick auf Optimierungs- und Digitalisierungspotenziale und mögliche ethische und arbeitsorganisatorische Digitalisierungsfolgen analysieren. | |
Kognitiv | Beurteilen Erschaffen | Metakognitiv | Die Studierenden können der jeweiligen Versorgungssituationen angemessene Nutzungsanforderungen ableiten, folgerichtig unterstützende digitale Technologien auswählen und deren Anwendung planen. | |
Affektiv | Empfangen | - | Die Studierenden entdecken verschiedene Formen des selbstgesteuerten Lernens mittels digitaler Medien. | |
Affektiv | Reagieren | - | Die Studierenden entwickeln ein Interesse am professionellen Einsatz digitaler Technologien. | |
Affektiv | Organisieren | - | Die Studierenden erkennen die Bedeutsamkeit der Partizipation an der Digitalisierung im Gesundheitswesen. | |
Affektiv | Charakterisieren | - | Die Studierenden entwickeln eine individuelle Werthaltung bezüglich des Einsatzes digitaler Technologien in ihrem Berufsfeld. |
Die Anforderungen A1.1 und A1.2 finden sich im kognitiven Lernziel LZK1 wieder, welches vorrangig die Niveaustufen „Erinnern“ und „Verstehen“ abdeckt und sich auf faktisches sowie konzeptionelles Wissen bezieht. Entsprechend steht bei diesem Lernziel die Aneignung der Terminologien relevanter Kategorien sowie Modellen und Theorien im Vordergrund.
Das kognitive Lernziel LZK2 adressiert die Anforderung A2, indem ein Schwerpunkt auf Anwendung und prozedurales Wissen gelegt wird. Voraussetzung, um digitale Technologien sicher und zielgerichtet anwenden zu können, ist indes der vorherige Erwerb des entsprechenden faktischen sowie konzeptionellen Wissens.
Mit dem Lernziel LZK3 ändert sich die Perspektive auf das Themenfeld von der Technologieanwendung hin zum Einsatz digitaler Technologien in ausgewählten Versorgungsprozessen. Das mit LZK1 und LZK2 erworbene Grundlagen- und Anwendungswissen dient hierbei als Basis, um Versorgungsprozesse mit Blick auf Optimierungs- und Digitalisierungspotenziale sowie Digitalisierungsfolgen zu analysieren und den Technologieeinsatz beurteilen zu können. Darüber hinaus benötigt es hierzu neben dem Erwerb der Methoden der Prozessanalyse und der Prozessmodellierung weitere konzeptionelle Grundlagen, etwa ausgewählte ethische, soziologische oder psychologische Modelle. Das LZK3 schließt hiermit an die Anforderungen A1.3, A3 und A4 an. Das vierte kognitive Lernziel LZK4 baut auf den drei vorherigen Lernzielen auf, verlangt die Zusammenführung des zuvor erworbenen Wissens und geht darüber hinaus, indem es metakognitives, insbesondere strategisches Wissen fordert und ein geplantes, hypothesengeleitetes Vorgehen verlangt.
Die affektiven Lernziele LZA1 und LZA2 adressieren insbesondere die motivationalen Aspekte der Anforderungen A6, bzw. A2 und sollen somit unterstützen, die Grundlagen für den Einsatz digitaler Technologien zur Unterstützung des lebenslangen Lernens und beruflicher Aufgaben zu schaffen.
In den Lerneinheiten I bis III wird ein Schwerpunkt auf ein Lernen anhand von Lernaufgaben mit berufspraktischem Bezug gelegt (van Merriënboer, 2020). In der ersten Lerneinheit erarbeiten sich die Studierenden Inhalte zu den verschiedenen Ansätzen der Digitalisierung des Gesundheitswesens und trainieren mittels exemplarischer digitaler Technologien deren Anwendung. Darauf aufbauend werden in der zweiten Lerneinheit die Methoden der Prozessanalyse und Prozessmodellierung inhaltlich behandelt und angewandt. Während der dritten Lerneinheit planen die Studierenden selbstgesteuert den Einsatz digitaler Technologien anhand exemplarischer Versorgungsprobleme. In Lerneinheit IV soll die Reflexion der eigenen Wertevorstellung durch das Verfassen eines kurzen Essays unterstützt werden.
In den folgenden vier Abschnitten sind die Inhalte und Lehr-Lernaktivitäten der drei Lerneinheiten genauer erläutert.
Die in Lerneinheit I behandelten Inhalte gliedern sich in fünf Themenblöcke: Gesundheitstelematik, Telemedizin, Gesundheits- und Medizin-Apps, Robotik und Assistenzsysteme sowie Big Data & Analytics. Im Vergleich zu den folgenden Lerneinheiten ist diese am stärksten durch die Lehrenden organisiert.
Die Lehr-Lern-Aktivitäten werden als integriertes Lernen nach der Methode des Flipped Classroom bzw. Inverted Classroom realisiert (Gilboy et al., 2015). Während in den E-Learning-Sequenzen unterstützende Informationen im Sinne des 4C/ID-Modells vermittelt bzw. durch die Studierenden erarbeitet werden, dienen die gemeinsamen Präsenztermine der Vertiefung sowie Anwendung und geben die Möglichkeit das Niveau der Inhalte auf Basis des Feedbacks der Studierenden anzupassen.
Um die Studierenden in die jeweiligen Themenblöcke einzuführen und sie beim Aufbau faktischen und konzeptionellen Wissens zu unterstützen, werden von den Lehrenden E-Learning-Sequenzen implementiert. Diese E-Learning-Sequenzen umfassen verschiedene Lernmaterialien sowie Rechercheaufträge und schließen jeweils mit einem Self-Assessment ab. Eine besondere Funktion kommt hierbei den Rechercheaufträgen zu. Zum einen sollen diese die Selbstlernkompetenzen der Studierenden fördern. Zum anderen ermöglichen sie eine zielgruppengerechte Lehre und erlauben es, flexibel auf die hohe Dynamik der Digitalisierung zu reagieren. Im Gegensatz zu anderen Lernmaterialien müssen Rechercheaufträge, etwa zu Vergütungsmöglichkeiten telegesundheitlicher Leistungen, nicht bei gesetzlichen Änderungen und für verschiedene Berufsgruppen angepasst werden.
Aufbauend auf den E-Learning-Sequenzen erhalten die Studierenden in den Präsenzveranstaltungen die Möglichkeit, offene Fragen zu klären und ggf. vertiefende Inhalte zu einzelnen Themen. Primär dienen die Präsenzveranstaltungen jedoch der exemplarischen Anwendung von digitalen Technologien auf berufsspezifische Probleme.
In den folgenden fünf Abschnitten wird dargestellt, welche Inhalte mit den jeweiligen Themenblöcken assoziiert sind, aus welchen Perspektiven diese betrachtet werden können und wie die einzelnen Blöcke miteinander verknüpft werden können. Durch eine individuelle Schwerpunktsetzung auf einzelne Themenblöcke, bzw. Perspektiven innerhalb der einzelnen Blöcke, lässt sich so für verschiedene Studiengänge eine zielgruppengerechte Lehre realisieren.
Wie in Tabelle 5 zusammengefasst ist, stehen in diesem Themenblock die Telematikinfrastruktur des Bundes und die der Leistungserbringer insbesondere unter dem Aspekt der elektronischen Dokumentation im Fokus. Hierbei werden die Bedeutsamkeit der Interoperabilität, offener Standards sowie von Klassifikationssystemen für die Unterstützung einer integrierten Versorgung verdeutlicht. Aber auch Aspekte der Finanzierung, der Informationssicherheit und des Datenschutzes werden in den Blick genommen. Im Sinne berufspraxisnaher Lernaufgaben bearbeiten die Studierenden Fallbeispiele mittels elektronischer Dokumentationssysteme. Hierbei können sowohl Routineaspekte, wie etwa die Navigation in Akten oder das Einpflegen von Daten, eingeübt werden als auch komplexere Fähigkeiten, wie das Extrahieren relevanter Informationen, etwa zur Unterstützung der Diagnostik, trainiert werden.
Lerneinheit I – Themenblock „Gesundheitstelematik“.
Inhalte |
Telematikinfrastruktur des Bundes und der Leistungserbringer Medizinische Informationssysteme Elektronische Dokumentationssysteme Elektronische Fall-, Gesundheits- und Patientenakten |
Technische Perspektive |
Grundlagen Rechnernetze Interoperabilität Offene Standards und Klassifikationssysteme IT-Sicherheit |
Ethische, rechtliche & soziale Perspektive |
Finanzierung Informationssicherheit und Datenschutz Patientensouveränität |
Arbeitsorganisatorische Perspektive |
Integrierte Versorgung Einführung von IKT-Systemen (Change-Management) |
Anwendung |
Bearbeitung von Fallbeispielen mittels Open Source elektronischer Dokumentationssystemen (Einpflegen und Auslesen von Informationen, Navigation) |
Da davon ausgegangen werden kann, dass viele Studierende im beruflichen Kontext bereits mit Informations- und Kommunikationstechnologie, u. a. im Rahmen der elektronischen Dokumentation, in Kontakt gekommen und mit der Nutzung des Internets vertraut sind, lässt sich mit diesem Themenblock an bestehendes Vorwissen der Studierenden anknüpfen.
Der Themenblock „Telegesundheit“ behandelt vorrangig den Einsatz von IKT zur Vernetzung von Leistungserbringenden untereinander und mit Patient*innen bzw. deren Angehörigen. Hierbei werden unterschiedliche Anwendungsfälle der Telegesundheit, in Abhängigkeit des Ausgangsniveaus u. a. im Lichte verschiedener Kommunikationstheorien und berufsspezifischer rechtlicher Rahmenbedingungen beleuchtet. Darüber hinaus werden Chancen und Grenzen im Einsatz von Sensorik und Wearables, etwa im Rahmen des Telemonitorings und der personalisierten Medizin, thematisiert. In Simulationen können die Studierenden sich in der Teleberatung oder Telediagnostik üben und so mit den Besonderheiten der IKT-gestützten Versorgung auseinandersetzen (s. Tabelle 6).
Lerneinheit I – Themenblock „Telegesundheit“.
Inhalte |
Telemedizin Telediagnostik Teletherapie, Telereha und Telepflege Telekonsil Telemonitoring |
Technische Perspektive |
Sensorik und Wearables Telekollaborationssysteme Mixed Reality |
Ethische, rechtliche & soziale Perspektive |
Berufsspezifische rechtliche Rahmenbedingungen Personalisierung Consumer Devices vs. Medizinprodukte |
Arbeitsorganisatorische Perspektive |
IKT-gestützte Interdisziplinäre Kollaboration Kommunikationstheorien |
Anwendung |
Planung, Durchführung und Reflexion von Teleberatungen oder Telediagnostik |
Da mittelfristig auch Anwendungen der Telegesundheit an die Telematikinfrastruktur angebunden werden sollen und in diesem Zusammenhang zudem die Themen der IT-Sicherheit und des Datenschutzes relevant sind, bietet es sich an, in diesem Block Inhalte aus dem Themenblock „Gesundheitstelematik“ zu wiederholen bzw. auf diese aufzubauen. Die Ergebnisse der simulierten Teleberatung bzw. Telediagnostik können zudem in dem für die elektronische Dokumentation genutzten System festgehalten werden.
Im dritten Themenblock werden u. a. die technischen und gesundheitspsychologischen Grundlagen von Gesundheitsund Medizin-Apps untersucht und thematisiert, wie diese in die Praxis überführt werden können. Im Weiteren erhalten die Studierenden die Möglichkeit, verschiedene Gesundheitsanwendungen zu testen, anhand gängiger Gütekriterien zu evaluieren und kritisch zu reflektieren (s. Tabelle 7). Am Beispiel der Entwicklung von Apps lassen sich zudem Grundlagen der Softwareentwicklung thematisieren. Um hierbei die technischen Aspekte nicht zu sehr in den Vordergrund zu rücken, liegt der Fokus auf der Rolle der Domänenexperten.
Lerneinheit I – Themenblock „Gesundheits- und Medizin-Apps“.
Inhalte |
Digital Behaviour Change Interventions (Selbst-)Diagnose-Apps |
Technische Perspektive |
Grundlagen der Softwareentwicklung und Systemarchitektur Usability und User Experience |
Ethische, rechtliche & soziale Perspektive |
Präventive Medizin, Information Therapy Veränderungen in der Patientenbeziehung DiGAV (Fast-Track, Vergütung) Gütekriterien |
Arbeitsorganisatorische Perspektive |
Grundlagen der Software-und Produktentwicklung als Domänenexperte |
Anwendung |
Erforschung und kritische Reflexion von Gesundheits- und Medizin-Apps |
Dieser Themenblock lässt sich etwa über einen Vergleich der Anwendungsfälle oder der rechtlichen Rahmenbedingungen an den Themenblock „Telegesundheit“ anknüpfen.
Im Themenblock „Assistenzsysteme“ werden die Studierenden an digitale Systeme herangeführt, die häufig zumindest teilweise auf Verfahren der künstlichen Intelligenz basieren. Neben einer Einführung in die technischen Grundlagen der künstlichen Intelligenz werden im Rahmen dieses Blocks ethische und rechtliche Fragen im Einsatz dieser Systeme thematisiert. Um den Studierenden einen Einblick in die Möglichkeiten der Anwendung von Robotik und Assistenzsystemen zu geben, bietet sich eine Exkursion etwa in ein Living Place Lab oder Makerspace an (s. Tabelle 8).
Lerneinheit I – Themenblock „Assistenzsysteme“.
Inhalte |
Klinische Entscheidungsunterstützungssysteme Servicerobotik Ambient Assisted Living |
Technische Perspektive |
Klassische Künstliche Intelligenz Maschinelles Lernen |
Ethische, rechtliche & soziale Perspektive |
Roboterethik Schuld- und Haftungsfragen Fragen der Autonomie und des Menschenbildes Algorithmischer Bias und Fairness |
Arbeitsorganisatorische Perspektive |
Identifikation und Diskussion möglicher Anwendungsfälle |
Anwendung |
Exkursion (z. B. Living Place Lab, Makerspace) |
Die Themen dieses Blocks lassen sich durch einen Rückblick auf KI-gestützte Gesundheits- und Medizin-Apps, z. B. in Form von Selbstdiagnose-Apps, integrieren.
Lerneinheit I – Themenblock „Big Data und Analytics“.
Inhalte |
Big Data Analytics Sekundär- und Routinedaten |
Technische Perspektive |
Datenbanken Visual Analytics |
Ethische, rechtliche & soziale Perspektive |
Datenschutz bei Big Data Chancen und Risiken von Real-World-Evidence Fehlerquellen bei automatischen Datenausauswertungen |
Arbeitsorganisatorische Perspektive |
Evidence Based Practice |
Anwendung |
Statistische Auswertungen und Datenvisualisierungen |
Im Themenblock „Big Data & Analytics“ erhalten die Studierenden die Gelegenheit, sich mit den Möglichkeiten der Generierung von Evidenzen aus Sekundär- und Routinedaten und deren Anwendung im Sinne einer evidenzgeleiteten Praxis auseinanderzusetzen. Aber auch die besonderen Herausforderungen an den Datenschutz und mögliche Fehlerquellen werden behandelt. In der praktischen Anwendung entwickeln die Studierenden auf Basis einer vorgegebenen Fragestellung Hypothesen und überprüfen diese anhand bestehender Datensätze.
Im Rahmen dieses Blocks bietet sich ein Rückgriff auf die Themen Datenschutz und künstliche Intelligenz aus den Themenblöcken „Gesundheitstelematik“ bzw. „Robotik und Assistenzsysteme“ an. Die Anwendung erfolgt vorzugsweise auf Datensätzen, die in Anlehnung an die Fallbeispiele aus den vorherigen Anwendungen konstruiert sind.
In der Lerneinheit II steht die Analyse ausgewählter Versorgungsprozesse hinsichtlich Optimierungssowie Digitalisierungspotenzialen und möglicher Digitalisierungsfolgen im Fokus. Auch in dieser Lerneinheit sind die Lehr-Lern-Aktivitäten nach dem Ansatz des Flipped Classroom konzipiert.
Hierbei wird jedoch in den E-Learning-Sequenzen zunehmend Material zur Erarbeitung methodischen Wissens bereitgestellt, während der Anteil faktischen Wissens abnimmt. Inhaltlich liegt der Fokus zunächst auf den Grundlagen der Prozessanalyse und Prozessmodellierung mittels gängiger Notationen, etwa der Business Process Model and Notation (Allweyer, 2020) oder der Ereignisgesteuerten Prozessketten (Nüttgens & Rump, 2002). Hierauf aufbauend wird in die Prozessoptimierung eingeführt und anhand von Anwendungsbeispielen mögliche Digitalisierungsfolgewirkungen besprochen.
Während die Lernaufgaben im Rahmen der E-Learning-Sequenzen den Studierenden dabei helfen sollen, sich mit der Vorgehensweise der Prozessanalyse vertraut zu machen und musterhafte Prozessmodellierungen nachzuvollziehen, folgt in den Präsenzphasen die Anwendung auf ausgewählte Versorgungsprozesse. In den Präsenzphasen lernen die Studierenden zunächst mittels ihnen bekannter Versorgungsprozesse diese systematisch zu untersuchen, in Komponenten von angemessener Granularität zu zerlegen und anhand einer geeigneten Notation als Ist-Prozesse zu visualisieren. Auf Basis dieser Modellierungen werden im nächsten Schritt mit Rückgriff auf die Inhalte der Lerneinheit I mögliche Optimierungspotenziale durch den Einsatz digitaler Technologien identifiziert und als Soll-Prozesse visualisiert. Anhand dieser Prozessvisualisierungen werden in der Folge mögliche ethische, soziale und arbeitsorganisatorische Digitalisierungsfolgen diskutiert.
Lerneinheit III findet nach dem Ansatz des problemorientierten Lernens statt und ist durch einen großen Anteil selbstgesteuerten Lernens seitens der Studierenden gekennzeichnet (Wood, 2003). Die Studierenden bearbeiten hierbei in Kleingruppen selbstorganisiert ein komplexes Versorgungsproblem. Die Lehrenden wechseln entsprechend in eine beratende Rolle. Anstelle der asynchronen E-Learning-Sequenzen finden hauptsächlich synchrone Beratungstermine statt.
Lediglich vor dem ersten Termin der Lerneinheit III bietet sich eine asynchrone E-Learning-Sequenz an. Durch diese Sequenz können die Studierenden in die Abläufe des problemorientierten Lernens eingeführt werden. Daraufhin finden Beratungstermine im Sinne eines Jour fixe der Kleingruppen mit den Lehrenden statt, welche wahlweise
Nach dem ersten Präsenztermin, in dem durch die Lehrenden die jeweiligen Versorgungsprobleme vorgestellt, offene Fragen geklärt und mit der Bearbeitung durch die Kleingruppen begonnen wird, finden keine weiteren Präsenzveranstaltungen statt. Die hierdurch freigewordenen Zeitfenster können die Studierenden für die Bearbeitung ihrer Versorgungsprobleme nutzen. Bei der Konstruktion und Kommunikation der Versorgungsprobleme ist darauf zu achten, dass diese das Vorwissen der Studierenden in angemessenem Maße fordern und dass die Studierenden verstanden haben, welche Aspekte ihre Versorgungsplanung beinhalten muss. Um sicherzustellen, dass ausgewählte Inhalte der Lerneinheit I vertieft werden, kann etwa gefordert werden, dass mindestens eine Technologie, welche in dieser Lerneinheit besprochen wurde, berücksichtigt wird. Die Lerneinheit III schließt mit der Präsentation der Versorgungsplanungen durch die Kleingruppen ab.
Bereits zu Beginn der Lehrveranstaltung wird den Studierenden der Arbeitsauftrag erteilt, ein kurzes Essay zu schreiben, indem sie beschreiben, wie die digitale Transformation ihr Berufsbild in den nächsten zehn Jahren verändern wird und wo sie ihre eigene Verantwortung in diesem Prozess sehen. Hierdurch soll bei den Studierenden ein Reflexionsprozess bezüglich der Einflüsse der digitalen Transformation angestoßen und die Entwicklung einer eigenen Wertehaltung mit Blick auf diese Veränderungen gefördert werden.
Das von uns vorgestellte Lehrkonzept für die akademisierten Gesundheitsfachberufe gewährleistet zum einen eine multiperspektivische Behandlung der Digitalisierung im Gesundheitswesen und zum anderen eine gezielte Förderung der digitalen Kompetenzen sowie der Selbstlernkompetenzen der Studierenden. Bei der Konzeption wurden sowohl erprobte Modelle der digitalen Kompetenzen und evidenzbasierte didaktische Ansätze als auch die Empfehlungen relevanter Fachgesellschaften berücksichtigt. Im Detaillierungsgrad ist es indes so beschrieben, dass es zum einen eine rasche Integration in bestehende Curricula erlaubt, zum anderen aber genug Freiheiten für eine zielgruppengerechte Anpassung bietet.
Das Lehrkonzept wurde zwar als ein in sich geschlossenes Modul entwickelt, nichtsdestotrotz kann es auch als Basis für die Entwicklung eines Spiralcurriculums dienen (Harden & Stamper, 1999). So ist es durchaus denkbar, dass Inhalte der Lerneinheit I im ersten Studienjahr in verschiedenen Modulen thematisiert werden. Die Themenblöcke „Telegesundheit“ und „Gesundheits- und Medizin-Apps“ könnten etwa in Modulen mit den Schwerpunkten „Kommunikation“ oder „Gesundheitspolitik und Versorgungsystem“ thematisiert werden. Während Teile des Themenblockes „Assistenzsysteme und Robotik“ in Modulen zur Evidenzbasierten Praxis behandelt werden könnten, bietet sich der Themenblock zu Big Data und Analytics im Rahmen des wissenschaftlichen Arbeitens an. Für fortgeschrittene Semester bieten sich die Inhalte zur Prozessanalyse und -optimierung im Rahmen von managementorientierten Veranstaltungen an und das in Lerneinheit III beschriebene Vorgehen könnte sich als geeignet für Module herausstellen, die die Versorgung komplexer Krankheitsbilder thematisieren. In Modulen zur beruflichen Ethik könnte ein zu Lerneinheit IV analoger Arbeitsauftrag erteilt werden. Unabhängig von einem konkreten Bezug zur Digitalisierung und digitalen Technologien scheint es ratsam, die gesamte Lehre so zu gestalten, dass methodische Kompetenzen im Bereich des selbstgesteuerten Problemlösens und Lernens, dem Prozessmanagement sowie dem Projektmanagement systematisch gefördert werden. Hierdurch kann den Studierenden das notwendige Handwerkzeug mitgegeben werden, das sie benötigen, um zum einen auf die sich dynamisch verändernden beruflichen Realitäten zu reagieren und zum anderen die Digitalisierung in ihrem Sinne mitzugestalten. Eine Förderung dieser Kompetenzen kann allerdings nur unzureichend im Rahmen eines einzelnen Modules stattfinden.
Die Entwicklung des Lehrkonzeptes als ein in sich geschlossenes Modul bringt hingegen andere Vorteile. So wird eine rasche Implementierung, etwa in Form eines Wahlpflichtmodules ermöglicht. Hierdurch kann das Konzept ohne tiefgreifende Änderungen der bestehenden Curricula formativ evaluiert und etwaige notwendige Anpassungen können vorgenommen werden. Vor dem Hintergrund, dass Schulungsbedarfe seitens der Lehrenden als eine Hürde für die curriculare Implementierung digitaler Kompetenzen berichtet werden, scheint daher eine Erprobung als Wahlpflichtmodul ratsam. Für eine zukunftsorientierte Lehre, die die mit der Digitalisierung einhergehenden Herausforderungen umfänglich adressiert, scheint es dennoch notwendig, Schulungsbedarfe in Bezug auf digitale Kompetenzen systematisch zu erfassen und mit geeigneten Weiterbildungsmaßnahmen zu adressieren (Foster & Sethares, 2017).
Zwar fordert das Lehrkonzept von den Studierenden einen hohen Anteil selbstgesteuerten Lernens und befreit dadurch die Lehrenden ein Stück weit von klassischer Wissensvermittlung im Sinne des Frontalunterrichts, durch die Entwicklung und Qualitätssicherung der E-Learning-Sequenzen und Konzeption der Lernaufgaben ergibt sich jedoch ein nicht zu unterschätzender Aufwand. So gilt es etwa bei der Auswahl bzw. der Konstruktion der Lehrmaterialen, verschiedene Ausgangsniveaus und Lernpräferenzen der Studierenden zu berücksichtigen. Bei der Formulierung von Rechercheaufträgen ist darauf zu achten, dass die Studierenden diese in einer angemessenen Zeit bearbeiten können und trotzdem eine Herausforderung für sie darstellen. Gleiches gilt für die Konstruktion der Lernaufgaben und Fallbeispiele, die in den Praxisphasen bearbeitet werden. Sind diese gut gewählt, bieten die Rechercheaufträge und Lernaufgaben die Möglichkeit, sowohl die Fähigkeiten der Studierenden im selbstgesteuerten Lernen als auch deren digitalen Kompetenzen zu fördern. Darüber hinaus können Rechercheaufträge und Lernaufgaben als eine weitere Stellschraube gesehen werden, die es ermöglichen, sowohl auf die individuellen Wissensbedarfe in heterogenen Studierendengruppen als auch auf die dynamischen Entwicklungen im Zuge der digitalen Transformation zu reagieren. Einen Hinweis auf notwendige Anpassungen der Lehrmaterialen und Rechercheaufträge können die Ergebnisse der Self-Assessments bieten. Diese können als eine Säule für eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Qualitätssicherung des Moduls betrachtet werden.
Ob das vorgestellte Lehrkonzept die aufgestellten Anforderungen erfüllt, gilt es in Form formativer und summativer Evaluationen zu prüfen. Zunächst in Bezug auf die Erreichung der formulierten Lernziele sowie die Förderung allgemeiner digitaler Kompetenzen und in einem weiteren Schritt in Bezug auf die Anpassbarkeit der Lehre für verschiedene Zielgruppen.