Dass Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrer Kür zur CDU-Vorsitzenden im Sommer 2019 die Nachfolge von Ursula von der Leyen im Verteidigungsministerium bewusst für sich beanspruchte, überraschte manche Beobachter. Gilt doch das Amt des Bundesverteidigungsministers gemeinhin nicht als Traumjob für Ministerinnen oder Minister mit Kanzlerambitionen. Als »Schleudersitz«
o. A.: Schleudersitz Verteidigungsministerium, in: Spiegel Online, online unter: Hans Rühle: Das Verteidigungsmysterium, in: Die Zeit, vom 11. 7. 2013, online unter:
Der Einsatz externer Berater im Bundesverteidigungsministerium (BMVg), der jüngst Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses wurde, ist jedoch kein exklusives Phänomen der Berliner Republik. Auch auf der Bonner Hardthöhe, wo das Bundesverteidigungsministerium auch noch nach dem Umzug nach Berlin seinen Hauptsitz hat, suchten die politischen Führungen schon in der ›alten Bundesrepublik‹ wiederholt außerhalb des militär-bürokratischen Apparates nach externen Lösungskompetenzen für Reformen und Innovationen für die als behäbig, intransparent und dysfunktional wahrgenommenen Strukturen. Seit der Amtszeit Helmut Schmidts zieht sich deshalb eine Tradition der Implementationsversuche von Innovationen speziell innerhalb des Rüstungs- und Beschaffungsbereiches mithilfe externer Akteure durch die Geschichte des Bundesverteidigungsministeriums, welche ebenso regelmäßig scheiterten.
Hans Rühle: Von der Leyens Physikerin betritt vermintes Gelände, in: Die Welt, vom 27. 10. 2014, online unter:
Nach dem Höhepunkt der bundesdeutschen Reform- und Planungseuphorie in den 1960er-Jahren hatte sich im Laufe der 1970er-Jahre das Zutrauen in die Gestaltungsmacht bürokratischer Verfahren und Akteure stark eingetrübt. Gerade bei den politisch Verantwortlichen innerhalb der sozialliberalen Bundesregierung stellte sich eine Ernüchterung ein in Bezug auf die unzureichende Gestaltungsmacht des bürokratischen Instrumentariums angesichts der Folgen von Strukturbruch und Ölpreiskrisen. Im Gegensatz zu den staatlichen Bürokratien schienen stattdessen zunehmend global operierende Unternehmen und ihre umtriebigen Unternehmensberater über das Wissen über zeitgemäße Strukturen und Arbeitsabläufe zu verfügen. Das Leistungsangebot global operierender Unternehmensberater erschien so auch für bürokratische Organisationen als eine mögliche Quelle für Innovation, mit der die Gestaltungsfähigkeit bürokratischer Organisationen (wieder-)hergestellt werden sollte.
Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag die versuchte Einführung eines Controlling-Apparates im Bonner Verteidigungsministerium mithilfe eines McKinsey-Beraterteams im Spätherbst der sozialliberalen Koalition in den Jahren 1981–1982. Im Fokus stehen dabei die Rolle von externen Unternehmensberatern bei der Einführung organisatorischer Innovationen und insbesondere ihr Verhältnis zu den verschiedenen Akteuren innerhalb der Ministerialverwaltung.
Grundlegende wirtschaftshistorische Forschungen zur Consulting-Industrie stammen von Matthias Kipping und Christopher Wright.
Matthias Kipping / Christopher Wright: Consultants In Context. Global Dominance, Societal Effect, And The Capitalist System, in: Matthias Kipping / Timothy Clark (Hg.): The Oxford Handbook of Management Consulting, Oxford 2012, S. 165–186. Sebastian Schöttler: Internalizing external experience. Perspektiven auf kommerzielle Beratung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, in: H-Soz-Kult, online unter: Alina Marktanner: Kompetenzen im Widerstreit. Unternehmensberater als Personalplaner der Deutschen Bundespost 1983–1985, in: Felix Selgert (Hg.): Externe Experten in Politik und Wirtschaft, Berlin 2020, S. 167–195, hier S. 195. Alina Marktanner: Wie viel darf Schule kosten? Unternehmensberater als Erfüllungsgehilfen staatlicher Haushaltssanierung, 1980er und 1990er Jahre, in: Rüdiger Graf (Hg.): Ökonomisierung. Debatten und Praktiken in der Zeitgeschichte, Göttingen 2019, S. 117–138, hier S. 136.
In der Professionssoziologie
Vgl. Tim Seidenschnur et al.: Berater im Spiegel des Feldes. Eine professionssoziologische Rekonstruktion ihrer Legitimierung in Verwaltungen und Universitäten, in: SozW 69/1 (2018), S. 6–32. Vgl. Andreas Huchler: Behördenberatung in Deutschland. Erklärungen und Befunde zur Beraternachfrage in Stadtverwaltungen, Wiesbaden 2009. Vgl. Matthias Kipping / Timothy Clark (Hg.): The Oxford Handbook of Management Consulting, Oxford 2012. Robin Finchman / Timothy Clark: Introduction. The Emergence of Critical Perspectives on Consulting, in: Robin Finchman / Timothy Clark (Hg.): Critical Consulting. New perspectives on the Management Advice Industry, Oxford 2002, S. 1–20, hier S. 3. Rüdiger Graf: Einleitung, in: Rüdiger Graf (Hg.): Ökonomisierung: Debatten und Praktiken in der Zeitgeschichte, Göttingen 2019, S. 9–28, hier S. 9. Graf: Einleitung, S. 11–12. Graf: Einleitung, S. 15.
Die »Ökonomisierung« der Verwaltung wird dabei häufig mit dem Konzept des »New Public Management« verbunden.
Vgl. z. B. Edwin Czerwick: Die Ökonomisierung des öffentlichen Dienstes. Dienstrechtsreformen und Beschäftigungsstrukturen seit 1991, Wiesbaden 2007; oder Allessandro Pelizzari: Die Ökonomisierung des Politischen. New Public Management und der neoliberale Angriff auf die öffentlichen Dienste, Konstanz 2001. Alexander Nützenadel: Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949–1974, Göttingen 2014, S. 361. Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, S. 52. Marcel vom Lehn: Geschichte eines Sachzwangs. Privatisierung als historischer Prozess, in: Neue Politische Literatur 58 (2013), S. 59–76, hier S. 75. Boris Gehlen: Rezension. Thomas Handschuhmacher, Was soll und kann der Staat noch leisten? Eine politische Geschichte der Privatisierung in der Bundesrepublik 1949–1989, Göttingen 2018, in: Historische Zeitschrift 309 (2019), S. 835–836, hier S. 835.
Die äußerst komplex aufgebaute Verwaltung von Bundeswehr und Verteidigungsministerium mit ihrem chronisch intransparenten Beschaffungsbereich war und ist dabei ein besonderes »Sorgenkind« innerhalb der bundesdeutschen Verwaltungslandschaft. In Folge technisch und institutionell hochkomplexer, internationaler Rüstungsaufträge kam es auch und gerade innerhalb der Beschaffungspraxis wiederholt zu Überforderungserfahrungen. Auch die wiederholten Reorganisationsversuche durch die politische Führung hatten kaum erkennbare Erfolge. Besonders augenfällig wurden diese Defizite als sich im Jahr 1980 die Beschaffung des neuen Tornado-Flugzeuges enorm verteuerte. In den Augen des SPD-Verteidigungsministers Hans Apel hatte der Expertenstatus der Beamten, bzw. die Zuschreibung entsprechender Lösungs- und Gestaltungskompetenz, dabei nachhaltig Schaden genommen. Auch vor der breiteren Öffentlichkeit konnten die Mängel des undurchsichtigen Beschaffungswesens nicht mehr verborgen werden – im Bundestag untersuchte ein parlamentarischer Untersuchungsauschuss die politischen und bürokratischen Versäumnisse. Die Namensgebung des »Tornados« eröffnete dabei für die öffentliche Berichterstattung die ganze Bandbreite der Sturm- und Unwetter-Metaphorik.
Angesichts dieser auch persönlich prekären politischen Lage riet Bundeskanzler Helmut Schmidt, der als Verteidigungsminister bereits selbst mit Ernst Wolf Mommsen einen Manager mit der Reform des Rüstungsbereichs beauftragt hatte, seinem Nachfolger Apel: »Hol dir industriellen Sachverstand ins Haus.«
o. A.: Am Ende Krach, in: Der Spiegel, vom 2. 3. 1981, online unter: o. A.: Am Ende Krach. o.A.: Nur Klarheit, in: Der Spiegel, vom 13. September 1982, online unter:
Kern dieser organisatorischen Innovation sollte die Einführung eines betriebswirtschaftlichen Controlling-Apparates und eines direkt dem Minister unterstellten Controllers sein, dem das Rechnungswesen, die Zentralplanung, das Berichtswesen, die Datenverarbeitung und die Innere Revision unterstünden. Die Implementierung dieser organisatorischen Innovation hätte für die Beamten und Militärs des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB)
Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung wurde 2012 mit dem Bundesamt für Informationsmanagement und Informationstechnik der Bundeswehr vereinigt und firmiert seitdem als Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw).
In der in diesem Beitrag untersuchten Episode verbanden sich letztlich zwei Elemente zu einer zweistufigen politisch-institutionellen Machtstrategie. Durch den Einsatz von internationalen Unternehmensberatern wollte Minister Hans Apel seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit innerhalb der Ministerialbürokratie ausgleichen. Daneben stellt die »Verbetriebswirtschaftlichung«, also die Übertragung von »manageriellen« und betriebswirtschaftlichen Strukturen und Verfahren auf die Verwaltung einen umfassenden Innovationsansatz dar, der in den Folgejahren und -jahrzehnten eine breite Rezeption finden sollte. Aber auch der Einsatz von Unternehmensberatern selbst war eine innovative Machtstrategie, bei die Problemlösungsstrategien durch den Einsatz von externen Experten entwickelt und implementiert werden sollten. Die vorliegende Studie macht besonders deutlich, dass organisatorische oder methodische Innovationen mit Neuverhandlungen von Macht und Zuständigkeiten einhergehen. Inner-institutionelle Konflikte können sowohl Ausgangspunkt, Begleiterscheinung und Folge von Innovationen sein. Sowohl der Einsatz der Unternehmensberater als auch die Einführung des Controllings sollten die inner-institutionellen Machtverhältnisse zugunsten der Leitung verschieben.
Und obwohl der Einsatz der Unternehmensberater auch als Machtstrategie gedeutet werden kann, die im vorliegenden Fall – mehr noch als bei der Konzeption der Reorganisationspläne – ihren eigentlichen Zweck in der Verschiebung der inner-institutionellen Machtverhältnisse hatte, scheiterte die Implementierung eines betriebswirtschaftlichen Controllings im Verteidigungsministerium letztlich angesichts des organisierten Widerstandes innerhalb der Verwaltung. Der Widerstand innerhalb der Verwaltung nahm die Form einer organisierten Beharrungsstrategie im Sinne einer systematischen Abwendung von Veränderungen und Innovationen an. Dieser Beitrag beleuchtet also nicht nur, welche Problemkonstellationen mit der Macht- und Innovationsstrategie aus Beratereinsatz und »Verbetriebswirtschaftlichung« der Verwaltung bewältigt werden sollte, sondern auch und gerade warum diese Innovationen letztlich scheiterte.
Die Einschätzung der Bürokratie war im 20. Jahrhundert oft ambivalent und reichte von der Wertschätzung der geregelten Verfahrensabläufe bis zur Wahrnehmung als hemmende und ineffiziente Einrichtung.
Jannes Bergmann: Tagungsbericht. Armee und Bürokratie – Organisationsgeschichtliche Perspektiven auf das Militärische im 20. Jahrhundert, 26. 3. 2019 Potsdam, in: H-Soz-Kult, online unter: Bergmann: Armee und Bürokratie.
Mit ca. 483.000 Soldaten und 183.000 zivilen Angestellten im Jahr 1982 war das Bundesverteidigungsministerium der größte Arbeitgeber, bzw. die größte Dienstherrin, der Bundesrepublik. Entsprechend umfangreich stellten sich die Aufgabenund Ausgabenseite dar. Im Jahr 1982 lag der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt bei 18,1 %. Der Verteidigungshaushalt war damit regelmäßig der zweitgrößte Ausgabenposten des Bundes. Die zunehmend angespannte Haushaltslage ab der zweiten Ölpreiskrise 1979 führte auch beim Verteidigungsressort zur Erhöhung des Kostendrucks. Nach einer langen Periode stetiger Erhöhungen erreichten die Ausgaben Anfang der 1980er-Jahre ein Plateau.
Hans-Günter Bode: Militärische und zivile Verwaltung, in: Hans Pohl / Georg-Christoph Unruh / Kurt Jeserich (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5: Die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1987, S. 518–563, hier S. 542. Bundesarchiv (Freiburg) [BArch], BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke, 6. 10. 1981, S. 13.
In Hinblick auf die Zukunftsplanung waren die Verwaltungsakteure an die haushaltsrechtlichen Regelungen des 1969 verabschiedeten Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG) gebunden.
Karl-Heinrich Hansmeyer / Rolf Caesar: Die finanzwirtschaftliche Entwicklung seit 1949, in: Hans Pohl / Georg-Christoph Unruh / Kurt Jenisch (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5: Die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1987, S. 919–953, hier S. 923. Wolfgang Eggert: Fälligkeitsprinzip, in: Gebaler Wirtschaftslexikon, online unter:
Spätestens ab den 1970er-Jahren hatte sich zwischen der zunehmenden Komplexität der Aufgaben und dem beschränkten Leistungs- und Anpassungsvermögen bürokratischer Strukturen eine »Modernisierungs- beziehungsweise Leistungslücke«
Thomas Armbrüster / Johannes Banzhaf / Lars Dingemann: Unternehmensberatung im öffentlichen Sektor. Institutionenkonflikt, praktische Herausforderungen, Lösungen, Wiesbaden 2012, S. 22. Bode: Militärische und zivile Verwaltung, S. 553. Bode: Militärische und zivile Verwaltung, S. 553. Eberhard Schmidt-Aßmann: Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, Heidelberg 2006, S. 199.
Besonders war auch die strukturelle Trennung zwischen Streitkräften und der »Wehrverwaltung«. Damit ergab sich, dass Rüstungsverträge nicht von den Teilstreitkräften abgeschlossen werden konnten, sondern dass hier zivile Zuständigkeiten beim BMVg, beziehungsweise bei dessen nachgeordneten, zivilen Beschaffungsbehörden wie etwa dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) lagen.
Bode: Militärische und zivile Verwaltung, S. 540; Seit 2012: Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw). Bode: Militärische und zivile Verwaltung, S. 540. In Fragen des Preisund Auftragswesens waren diese wiederum an die engen Vorgaben des Wirtschaftsministeriums gebunden. BArch, BW 1/190959, Pressereferat, Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung am 6. 9. 1982 zur Reorganisation im BMVg, S. 4. Stefanie van de Kerkhof: Waffen und Sicherheit im Kalten Krieg. Das Marketing der westdeutschen Rüstungsindustrie 1949–1990, Berlin 2019, S. 61.
Im Beschaffungsbereich lag im Grunde sogar eine vierfache Kompetenzüberschneidung vor; zwischen dem Generalinspekteur der Bundeswehr, der als oberster Soldat die strategische Ausrichtung der Bundeswehr verantwortete, der jeweiligen Teilstreitkraft (Heer, Luftwaffe oder Marine), die die Bedarfe bestimmen und das Material letztlich benutzen sollte, dem Koblenzer BWB als zentraler Beschaffungsbehörde und größter Oberbehörde des Bundes sowie der Rüstungsabteilung im BMVg.
Bode: Militärische und zivile Verwaltung, S. 552. BArch, BW 1/251011, McKinsey & Company, Organisationskonzept. Controlling, Zwischenbericht/Bestandsaufnahme BMVg, 27. 4. 1982, Schaubild 9. BArch, BW 1/251359, Dokumentation, Untersuchung des Planungssystems und Rüstungsmanagaement im BMVg, S. 23.
Neben dem mangelnden Informationsfluss in Richtung der Spitze des Hauses und der »mangelnden Einbindung der obersten Entscheidungsebene in den Planungsprozess«
BArch, BW 1/251359, Dokumentation, Untersuchung des Planungssystems und Rüstungsmanagaement im BMVg, S. 20. BArch, BW 1/251359, Dokumentation, Untersuchung des Planungssystems und Rüstungsmanagaement im BMVg, S. 16.
Auch die Schwierigkeiten bei der Entwicklung des Tornados resultierten aus Abstimmungs- und Planungsproblemen, Zuständigkeitsüberschneidungen, unterschiedlichen Interessen sowie den komplizierten und teils unterschiedlichen Anforderungen der Teilnehmerländer Italien, Großbritannien und Westdeutschland.
Bernd Lemke: Eine Teilstreitkraft zwischen Technik, Organisation und demokratischer Öffentlichkeit. Waffensysteme der Luftwaffe, in: Frank Nägler (Hg.): Die Bundeswehr 1955–2005, Berlin 2007, S. 369–396, hier S. 388.
Die technische Komplexität führte zu einer Verlagerung der Kostenschwerpunkte, weg von Entwicklung und Produktion, hin zur Nutzungsphase. Dies machte auch Neuerwägungen zum Beispiel in Hinblick auf zukünftige Instandhaltungs- und Reparaturkosten notwendig. Für derartige zu prognostizierende Kosten-Nutzen-Erwägungen fehlte jedoch das Problembewusstsein. Neben dem Tornado wurden seit der Amtszeit des Verteidigungsministers Georg Leber (1972–1978) außerdem einige weitere besonders ambitionierte und kostspielige Rüstungsprojekte für die Bundeswehr in Auftrag gegeben; allein zwischen 1976 und 1978: Der »Kampfpanzer Leopard 2, der [Flugabwehrpanzer] Gepard, 6 Fregatten, die Schnellboote der Klasse 143A, das Flugzeug Alpha Jet, der Flakpanzer Roland, die Panzerabwehrrakete Milan, der Panzerabwehrhubschrauber und […] das fliegende Frühwarnsystem Awacs.«
Hans Apel: Der Abstieg. Politisches Tagebuch 1978–1988, Stuttgart 1991, S. 138.
Diese starke Häufung großvolumiger Beschaffungsvorhaben, in denen jeweils hohe Mehrkosten auftraten, führte zu Beginn der 1980er-Jahre angesichts einer veränderten gesellschaftlichen Atmosphäre dazu, dass der Druck auf die politischen Akteure stieg. In der Endphase der sozialliberalen Koalition dominierten die erneuerte Anspannung der Ost-West-Beziehungen und die Auseinandersetzungen um den NATO-Doppelbeschluss die bundesrepublikanische Außen- und Innenpolitik. Der Prozess der »innergesellschaftlichen Selbstverständigung«
Philipp Gassert: Rüstung, Bündnissolidarität und Kampf um Frieden. Lernen aus dem NATO-Doppelbeschluss von 1979?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (2019), online unter:
Die Annahme, dass innerhalb der bürokratischen Strukturen, wie im Weber’schen Ideal nach dem Grundsatz der »Rationalität« gehandelt würde, wurde durch außer Kontrolle geratene Kostenexplosionen wie beim Tornado erschüttert. Dies untergrub auch in der Öffentlichkeit den bürokratischen »Rationalitätsanspruch«.
Heinrich Mäding: Verwaltung und Planung, in: Hans Pohl / Georg-Christoph von Unruh / Kurt Jeserich (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5: Die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1987, S. 1043–1067, hier S. 1048. Gassert: Lernen aus dem NATO-Doppelbeschluss?
Bei dem gerade für die sozialdemokratische Regierungspartei ohnehin schwierigen Vorhaben, Haushaltskonsolidierung, gesunkene Steuereinnahmen und Konjunkturprogramme zu vereinbaren, wirkten die Preissteigerungen bei der Rüstung als politischer Sprengsatz. Gerade die Beratungen um die Haushalte 1981 und 1982 wurden dementsprechend ungewöhnlich scharf geführt. In der ersten Fraktionssitzung nach dem gewonnenen Wahlkampf 1980 kassierte SPD-Finanzminister Hans Matthöfer viele der kurz zuvor noch angestrebten sozialstaatlichen Expansionsprojekte. Die Möglichkeit, Mehrkosten und Planungsdefizit im Rüstungsbereich schlicht mit neuen Haushaltsallokationen zu überdecken, war somit aufgrund der politisch-gesellschaftlichen Stimmungslage und zunehmend knapper Kassen im Jahr 1981 nicht mehr möglich.
In der Folge des »Strukturbruchs« als eines »sozialen Wandels von revolutionärer Qualität«
Doering-Manteuffel / Raphael: Nach dem Boom, S. 10f. Anselm Döring-Manteuffel: Der Epochenbruch in den 1970er-Jahren. Thesen zur Phänomenologie und den Wirkungen des Strukturwandels »nach dem Boom«, in: Anselm Döring-Manteuffel (Hg.): Konturen von Ordnung: Ideengeschichtliche Zugänge zum 20. Jahrhundert, Berlin 2019, S. 424–441, hier S. 425. Stefanie van de Kerkhof: »Business is War«. Zur Kontinuität militärstrategischen Denkens in Management und Consulting, in: Tim Müller / Klaas Voß / Bernd Greiner (Hg.): Erbe des Kalten Krieges, Hamburg 2013, S. 383–400, hier S. 397. Werner Plumpe: Das kalte Herz. Kapitalismus. Die Geschichte einer andauernden Revolution, Berlin 2019, S. 557, zit. n. Marktanner, Kompetenzen im Widerstreit, S. 170.
Vor dem Hintergrund stetig wachsender Haushaltsdefizite und beschränkter Gestaltungsfähigkeit seit Mitte der 1970er-Jahre übertrug sich ein vergleichbarer kriseninduzierter Anpassungsdruck zunehmend auch auf den öffentlichen Sektor. Die Bürokratie, die eigentlich selbst als Problemlöser fungieren sollte, wurde ihrerseits zum Problem und die Neuorganisation ihres inneren Aufbaus selbst zur politischen Aufgabe. Selbst die Fähigkeit, ihre eigenen Abläufe in einem zufriedenstellenden Maße zu gestalten, wurde infrage gestellt. Im Gegensatz zu dem etablierten Handeln auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften, schienen die auf dem zunehmend globalen Markt agierenden Wirtschaftsunternehmen und ihre umtriebigen Berater besser in der Lage zu sein, sich auf die neuartigen Herausforderungen einzustellen.
Mit Beginn der 1980er-Jahre wurde auch in staatlichen Zusammenhängen zunehmend Wissen nachgefragt, welches sich in der mehr oder weniger direkten Markterfahrung gebildet hatte, vor allem aus der Betriebswirtschaftslehre. Unter dem Schlagwort »New Public Management« baute etwa das Großbritannien Margaret Thatchers die bürokratischen Strukturen nach »manageriellen« Grundsätzen um. Bei der Ausgestaltung dieser Reformpläne spielten kommerzielle Unternehmensberater eine entscheidende Rolle.
Vgl. Denis Saint-Martin: Building the New Managerialist State. Consultants and the Politics of Public Sector Reform in Comparative Perspective, Oxford 2004.
Anlässlich der neuartigen Rechtfertigungszwänge und seiner zusehends prekären politischen Stellung in Folge der »Tornadokrise« begann Hans Apel nach Lösungsmöglichkeiten für eine Reform des Beschaffungsbereichs zu suchen, die sich vor allem auch als deutliche Botschaft des Reformwillens kommunizieren lassen sollten. Auch Bundeskanzler Helmut Schmidt empfahl einen »Industriemanager« zu Rate zu ziehen, wie Schmidt dies 1970 mit Ernst Wolf Mommsen selbst bereits praktiziert hatte.
Apel: Der Abstieg, S. 143. Apel: Der Abstieg, S. 144.
In den 1970ern hatte Emcke, wie schon oben erwähnt, das Wuppertaler Unternehmen Vorwerk und den Hamburger Zigarettenkonzern Reemtsma geleitet und sich dabei einen Ruf als »harter Sanierer«
o.A.: Nur Klarheit. Ralf Ahrens / Boris Gehlen / Alfred Reckendrees: Die Deutschland AG als historischer Forschungsgegenstand, in: Ralf Ahrens / Boris Gehlen / Alfred Reckendrees (Hg.): Die »Deutschland AG«: Historische Annäherungen an den bundesdeutschen Kapitalismus, Essen 2013, S. 7–30, hier S. 7.
Als ministerieller Sparringpartner wurde ihm das noch im Entstehen begriffene Referat »Interne Revision« zur Seite gestellt, das zu diesem Zeitpunkt erst aus einer Handvoll Beamter bestand, die in dem Außenseiter Emcke eine Konkurrenz für ihre noch nicht konsolidierten Zuständigkeiten sahen. In letztlich etwa 90 Einzelgesprächen,
BArch, BW 1/251359, Untersuchung des Planungssystems und Rüstungsmanagement im BMVg, Vorwort. NAMMA = NATO Multi-Role Combat Aircraft Development and Production Management Agency. BArch, BW 1/251012, Anlage zum Schreiben H I 4 vom Oktober 1981.
Im September 1981 stellte Emcke seine Veränderungsvorschläge vor, die sich zu einer umfassenden und innovativen Neuorganisation des Beschaffungswesens summierten:
BArch, BW 1/190946, Entwurf Pressemitteilung vom September 1981.
Die zentrale Innovation sollte die Einführung eines direkt dem Minister unterstellten »Controllers« als zentrale Kontrollinstanz nach betriebswirtschaftlichem Vorbild darstellen, dem das Rechnungswesen, die Zentralplanung, das Berichtswesen, die Datenverarbeitung und die Innere Revision unterstehen sollten. Zusätzlich sollten bei den »Bedarfsträgern« und den »Bedarfsdeckern«, also den Teilstreikräften und den zivilen Rüstungsstellen, Bereichscontroller geschaffen werden, die gemeinsam die verschiedenen Planungsaktivitäten in Übereinstimmung bringen sollten.
Die Zusammenfassung der bisher dezentralen Rüstungsstellen des BMVg und des Bundeswehr-Beschaffungs-Amtes (BWB) in einem neuen »Rüstungsamt«. Einem verantwortlichen Staatssekretär sollten so informierte Entscheidungen ermöglicht und damit Verantwortlichkeit sichergestellt werden. Dadurch sollten Doppelstrukturen und Kompetenzüberschneidungen abgebaut werden. Auch eine Einsparung von etwa 200 Mitarbeitern sollte so möglich werden.
Die Preis- und Vertragsgestaltung bei Rüstungsgütern sollte reformiert werden. Nachträgliche Änderungen an den Produkten durch die Industrie sollten eingeschränkt werden, um so zu einer höheren Planungssicherheit und Kostenkontrolle zu gelangen. Beschaffungsaufträge sollten also erst dann vergeben werden, wenn die Entwicklungs- und Konzeptionsphase im Wesentlichen abgeschlossen sei. Außerdem sollten die Preise so gestaltet werden, dass sie zur Schaffung von Anreizen zur Rationalisierung auf Seiten der Industrie und zur Weitergabe dieser Rationalisierungseffekte an den staatlichen Auftraggeber führen würden.
Die Gründung einer »Rüstungs-Finanz-Abwicklungs-Gesellschaft«, die die im Haushalt genehmigten Mittel unter privatrechtlichen Bedingungen verwalten sollte. Im Grunde sollten durch diesen privatrechtlichen Umweg alle verwaltungsund haushaltsrechtlichen Vorgaben und Einschränkungen umgangen werden. Außerdem sollte so ermöglicht werden, »auf veränderte Verhältnisse im wirtschaftlichen Umfeld, Währungsrelationen und Verschiebungen in einzelnen Rüstungsprojekten so zu reagieren, wie es der Industrie möglich ist.«
BArch, BW 1/190946, Entwurf Pressemitteilung vom September 1981.
An den Hochschulen der Bundeswehr sollten betriebswirtschaftliche Weiterbildungsmöglichkeiten für die Verwaltungsbeamten geschaffen werden, damit diese sich regelmäßig »auf dem Organisationsund betriebswirtschaftlichen Sektor«
BArch, BW 1/190946, Entwurf Pressemitteilung vom September 1981.
Sowohl die Motivation Hans Apels zur Hinzuziehung »externen Sachverstandes«, als auch die schlussendlichen Reformvorschläge Manfred Emckes hatten in ihrem Kern eine anti-bürokratische Stoßrichtung. Apel wollte die »Neigung einer Ministerialbürokratie Konsens zu finden« durchbrechen, »bürokratische Hemmnisse« ausräumen und die gesamte Organisation kritisch »abgeklopft«
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke, 6. 10. 1981, S. 3. BArch, BW 1/190959, Pressereferat, Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung am 6. 9. 1982 zur Reorganisation im BMVg, S. 2. BArch, BW 1/190946, Kurzbeschreibung des Auftrages an Herrn Emcke.
BArch BW 1/190946, § 1 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Manfred Emcke vom 5. 5. 1981.
Ganz in diesem Sinne zielten Emckes Vorschläge auf eine Zurückdrängung bürokratischer beziehungsweise verwaltungs- und haushaltsrechtlicher Handlungsweisen zugunsten betriebswirtschaftlicher Verfahren beziehungsweise eines am Markt orientierten Handelns. Unter den insgesamt fünf Reformvorschlägen Emckes war das Herzstück die Einführung eines betriebswirtschaftlichen Controllings, das die bürokratischen »z. T. vorsintflutlichen Verfahren«
BArch, BW 1/190959, Pressereferat, Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung am 6. 9. 1982 zur Reorganisation im BMVg, S. 18.
»Controlling« umfasst grundsätzlich ein »Subsystem der Führung, das Planung und Kontrolle sowie Informationsversorgung systembildend und systemkoppelnd ergebniszielorientiert koordiniert«
Peter Horvath: Controlling, München 2011, S. 56., zit. n. Hans Jung, Controlling, München 2014, S. 7. Hans Jung: Controlling, München 2014, S. 8. Jung: Controlling, S. 5.
Im Anschluss an die öffentlichkeitswirksame Vorstellung der Reformvorschläge durch Apel und Emcke im September 1981 sollte ein Team der amerikanischen Unternehmensberatung McKinsey eine »Detail-Durchführungs-Konzeption«
BArch, BW 1/190946, Entwurf Pressemitteilung September 1981.
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 3.
Zwar war die Einbeziehung kommerzieller Unternehmensberater in der Bundesrepublik der frühen 1980er-Jahre noch nicht sonderlich verbreitet, allerdings hatte gerade die Unternehmensberatung McKinsey & Company schon einige Aufträge von Bundesministerien erhalten. In der Unternehmensgeschichte der 1926 gegründeten Beratungsfirma scheint die Erschließung des öffentlichen Sektors in Westdeutschland ein folgerichtiger Schritt in einer fortwährenden Expansionsentwicklung gewesen zu sein. 1964 hatte die erste deutsche McKinsey-Dependance in Düsseldorf eröffnet, wo Deutsche Bank, Volkswagen und BASF bald zu den ersten bundesdeutschen Großkunden gehörten.
Duff McDonald: The Firm. The Story of McKinsey and its Secret Influence on American Business, New York 2013, S. 79. Matthias Kipping: American Management Consulting Companies in Western Europe, 1920 to 1990. Product, Reputation, and Relationships, in: Business History Review 73/2 (1999), S. 190–220, hier S. 191.
Durch den globalen Maßstab ihrer Aktivitäten trugen sie so zunächst zu Innovationen in Unternehmensstrukturen und Geschäftspraktiken entlang eines amerikanischen Vorbildes bei, was letztlich zu einer tendenziellen »globalen Konvergenz«
Kipping / Wright: Consultants In Context, S. 165. McDonald: The Firm, S. 79. BArch, BW 1/190959, McKinsey, McKinsey. Berater des Top-Managements, November 1981, S. 1. BArch, BW 1/190959, McKinsey, McKinsey. Berater des Top-Managements, November 1981, S. 4. McDonald: The Firm, S. 164.
Die starke Vernetzung des Beratungsunternehmens innerhalb global operierender Wirtschaftsunternehmen war eine Voraussetzung für die Legitimation der Berater. Das Zutrauen in die Fähigkeit, Innovationen formulieren und implementieren zu können, stammte zu wesentlichen Teilen aus dem Verweis darauf, Zugriff auf das Expertenwissen zu haben und über die Lösungsstrategien der bereits beratenen Unternehmen und Institutionen zu verfügen.
Saint-Martin: New Managerialist State, S. 36. Neben der Boston Consulting Group und Bain & Company war und ist McKinsey & Company der größte und älteste Triumvir dieser sogenannten »Big Three«-Managementberatungen.
Auch aufgrund des dementsprechenden Auftretens und der kulturellen Unterschiede fanden die McKinsey-Berater im Bundesverteidigungsministerium auf der Bonner Hardthöhe zumeist eine ablehnende Haltung vor. Die Berater benutzten bewusst Jargon, um die Exklusivität der eigenen Kompetenzen zu kommunizieren. Nach Niklas Luhmann war gerade die betriebswirtschaftliche Unternehmenstheorie ein Feld, das sich für eine solche Sprache eignete, da in ihr
Niklas Luhmann: Kommunikationssperren in der Unternehmensberatung, in: Niklas Luhmann (Hg.): Schriften zur Organisation 4, Wiesbaden 2020, S. 437–452, hier S. 439.
Durch das Sammeln von »Best Practices« in den beratenden Unternehmen, die entsprechend auch auf andere Kunden übertragen wurden,
McDonald: The Firm, S. 5. Saint-Martin: New Managerialist State, S. 41.
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 3.
Dieses Zitat zeigt auch, dass den Beratern die Fähigkeit zugesprochen wurde, Innovationen in Organisationen zu importieren. Statt auf ein Expertenwissen im eigentlich Sinne begründeten sie ihre Zuständigkeitsansprüche mit dem Verweis auf den universalen »gesunden Menschenverstand«
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 171.
BArch, BW 190946, Anlage zum Kurzprotokoll der 45. Sitzung des Verteidigungsauschuss am Freitag, dem 30. 10. 1981, Ausführungen von Bundesminister Dr. Apel und Wirtschaftsberater Emcke mit anschließender Aussprache, S. 5.
Anstatt selbst über konkretes Fachwissen in dem jeweiligen Geschäftsbereich zu verfügen, welches sie ihren Klienten zur Verfügung stellten, boten die Unternehmensberater die Fähigkeit an, das Organisations- und Prozesswissen aus den Arbeitsebenen zu extrahieren, mit betriebswirtschaftlichem Wissen und Erfahrungen aus vorhergegangenen Aufträgen aufzubereiten und so Innovationsstrategien zu generieren und zu implementieren.
Ausgehend von den Vorschlägen Manfred Emckes entwickelte ein Beraterteam von McKinsey in der ersten Jahreshälfte 1982 ein grundlegendes Reorganisationsprogramm für weite Teile des Bundesverteidigungsministeriums und seiner nachgeordneten Bereiche. Am 8. März 1982 begannen die McKinsey-Berater mit der Arbeit auf der Bonner Hardthöhe. Das Projekt war auf eine viermonatige Dauer ausgelegt, in der zwei Partner und zwei Berater von McKinsey in einem Umfang von 220 Manntagen
BArch, BW 190946, Anlage zum Kurzprotokoll der 45. Sitzung des Verteidigungsauschuss am Freitag, dem 30. 10. 1981, Ausführungen von Bundesminister Dr. Apel und Wirtschaftsberater Emcke mit anschließender Aussprache, S. 1. BArch, BW 190946, Anlage zum Kurzprotokoll der 45. Sitzung des Verteidigungsauschuss am Freitag, dem 30. 10. 1981, Ausführungen von Bundesminister Dr. Apel und Wirtschaftsberater Emcke mit anschließender Aussprache, S. 1.
Die erste Phase diente einer »Bestandsaufnahme«. In dieser Phase fand ein Wissenstransfer von der Verwaltung in Richtung der externen Berater statt. Dieser war nötig, da die externen Berater eben explizit über kein Expertenwissen im Hinblick auf die Arbeit im BMVg verfügten. Es war deshalb zunächst die Aufgabe der Fachabteilungen, die entsprechende Wissensgrundlage für die externen Berater zu schaffen, indem sie ihnen »alle relevanten Richtlinien, Planungserlasse und Vorschriften«
BArch, BW 1/190944, McKinsey, Organisationskonzept für die Controlling-Funktion, Anlage zum Schreiben vom 7.12.1981, S. 7. BArch, BW 1/251005, B. Fallsammlung / aufbereitete Unterlagen für McKinsey, S. 111.; selbiges auch in BW 1/251007.
Das generelle Urteil der Berater über die praktizierten Planungsmethoden der Bundeswehr fiel geradezu vernichtend aus. Diese seien »unzureichend«, »unrealistisch« und »nur zum Teil transparent«.
BArch, BW 1/251007, Schaubild 14. BArch, BW 1/251357, Dokumentation, Vorbereitung und Durchführung der McKinsey-Untersuchung im BMVg vom 1. 3. bis 30. 6. aus der Sicht der Internen Revision, Juni 1982, S. 2. BArch, BW 1/251357, Dokumentation, Vorbereitung und Durchführung der McKinsey-Untersuchung im BMVg vom 1. 3. bis 30. 6. aus der Sicht der Internen Revision, Juni 1982, S. 1. BArch, BW 1/251357, Dokumentation, Vorbereitung und Durchführung der McKinsey-Untersuchung im BMVg vom 1. 3. bis 30. 6. aus der Sicht der Internen Revision, Juni 1982, S. 4.
Gegenstand der zweiten Phase und Herzstück der Innovationsstrategie war die »Entwicklung eines Controlling-Organisationskonzeptes«
BArch, BW 1/190944, McKinsey, Organisationskonzept für die Controlling-Funktion, Anlage zum Schreiben vom 7. 12. 1981, S. 7. BArch, BW 1/190959, Pressereferat, Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung am 6. 9. 1982 zur Reorganisation im BMVg, S. 1.
Aber auch das zukunftsgerichtete Reorganisationskonzept machte sich Apel zu Eigen: »Die vorgestellten Vorschläge entsprechen weitgehend den Vorstellungen des Bundesministers der Verteidigung.«
BArch, BW 1/190959, Pressereferat, Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung am 6. 9. 1982 zur Reorganisation im BMVg, Vortrag Dr. Hans Apel, S. 1.
Bei der Untersuchung von Innovationsvorhaben in der Verwaltung müssen auch die Gründe betrachtet werden, warum diese so oft – wie auch in diesem Fall – scheiterten. Eine Hauptursache ist die Tatsache, dass der Wille der jeweiligen Leitung zur Umsetzung bestimmter organisatorischer Innovationen von den Akteuren innerhalb der Verwaltung nicht geteilt beziehungsweise sogar aktiv unterlaufen wird.
Der betont zivile und kleinbürgerliche Hans Apel hatte von Anfang an ein schwieriges Verhältnis zu seinem von der militärischen Kultur dominierten Ministerium. In Folge der politischen Affäre rund um die Tornado-Beschaffung hatte Apel öffentlich eine »Überbürokratisierung«
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 15. Luhmann: Kommunikationssperren, S. 441. Luhmann: Kommunikationssperren, S. 441.
Untere Hierarchieebenen hatten und haben schon strukturell kaum eine Möglichkeit ihrerseits Beratungsfirmen gegen die eigene Leitung ins Feld zu führen. Auch im vorliegenden Fall war die Entlastung des Ministers sowie dessen binnen-institutionelle Stärkung das maßgebliche Ziel. Dementsprechend sahen die Berater ihre Leistung nicht nur darin, dass sie Innovationsmaßnahmen erarbeiteten, sondern auch und gerade in deren Durchsetzung: »In jedem Fall ist die erfolgreiche praktische Verwirklichung der Beratungsergebnisse wesentlicher Bestandteil der Beratungsaufgabe.«
BW 1/190959, McKinsey, McKinsey. Berater des Top-Managements, November 1981, S. 7.
BArch, BW 190946, Anlage zum Kurzprotokoll der 45. Sitzung des Verteidigungsauschuss am Freitag, dem 30. 10. 1981, Ausführungen von Bundesminister Dr. Apel und Wirtschaftsberater Emcke mit anschließender Aussprache, S. 5.
Durch ihren extra-institutionellen Status konnten der Expertise der Berater dennoch die Merkmale Neutralität, Objektivität und Rationalität zugeschrieben werden. Dieser Verweis auf die vermeintliche Objektivität der Berater ist seinerseits eine diskursive Machttechnologie, die die Durchsetzung der jeweiligen Leitungsinteressen befördern sollte. Auch bei der öffentlichen Legitimierung des Einsatzes externer Berater durch Manfred Emcke spielte deren vermeintliche Neutralität und Objektivität eine entscheidende Rolle.
BArch, BW 1/190944, Manfred Emcke an Bundesminister der Verteidigung vom 26. 3. 1982.
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 5.
Dabei machten alle Beteiligten mehr oder weniger direkt deutlich, dass kein neutrales Gutachten, sondern die Stärkung der Position des Ministers im Verhältnis zu seinem Haus das eigentliche Ziel der Bemühungen war. Manfred Emcke war seinerseits nicht Berater des Bundesverteidigungsministeriums, sondern »persönlicher Berater des Ministers« und verstand seine Aufgabe explizit darin, Wege zu suchen, um dessen inner-institutionelle Position zu stärken:
BArch, BW 1/190959, Manfred Emcke an Manfred Wörner vom 8. 11. 1982, S. 3.
Es überrascht deswegen nicht, wenn auch das Controlling-Konzept selbst die Machtverhältnisse innerhalb des Ministeriums auf Kosten der unteren und mittleren Hierarchieebenen verschieben sollte. Möglichst viele Entscheidungen sollten »so nahe wie möglich an die Exekutive«
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 10f. BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 12.
Die Installation eines »Wirtschaftsexperten«, »der dem Minister direkt untersteht und bei dem alle Fäden zusammenlaufen«
o.A.: Controller im Katasteramt, in: Der Spiegel, vom 12. 10. 1981, online unter: o.A.: Controller im Katasteramt, in: Der Spiegel, vom 12. 10. 1981, online unter: Wolfgang Hoffmann: Rüsten für Papierkrieg, in: Die Zeit, vom 10. 9. 1982, URL: BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981, S. 5.
Schon während der Vorstellung der Vorschläge Emckes erwartete Minister Apel eine Abwehrreaktion durch die militärischen und bürokratischen Funktionsträger: »Ich weiß allerdings was mir spätestens ab Morgen/Übermorgen von Seiten des örtlichen Personalrats ins Haus steht.«
BArch, BW 1/190946, Unkorrigierte Tonbandabschrift, Pressekonferenz mit BM Dr. Hans Apel und Herrn Emcke am 6. 10. 1981 Teil II, S. 3. BArch, BW 1/190946, Emcke an Apel vom 26. 11. 1981, S. 2. BArch, BW 190946, Anlage zum Kurzprotokoll der 45. Sitzung des Verteidigungsauschuss am Freitag, dem 30. 10. 1981, Ausführungen von Bundesminister Dr. Apel und Wirtschaftsberater Emcke mit anschließender Aussprache, S. 10. BArch, BW 1/251012, Leiter OrgStab an Sts Leister und Sts Leister vom 8. 4. 1981.
Stattdessen organisierten einige Referate und Abteilungen eine gemeinsame Beharrungsstrategie um die Implementierung der Innovationspläne zu verzögern und angesichts des sich bereits abzeichnenden Machtwechsels hin zur Union endgültig zu verhindern. Der besondere Widerstand der Rüstungsabteilung ist dabei leicht verständlich, befanden die Berater sie doch für »praktisch überflüssig«
BArch, BW Pressereferat, Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung am 6. 9. 1982 zur Reorganisation im BMVg, S. 5. BArch, BW Pressereferat, Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung am 6. 9. 1982 zur Reorganisation im BMVg, S. 5. BArch, BW 1/159540, Abteilungsleiter Rü an StS Dr. Leister vom April 1981, S. 2. BArch, BW 1/159540, Abteilungsleiter Rü an Unterabteilungsleiter Rü VIII vom 22. 4. 1982.
Ganz im Gegenteil bestand auf Seiten der Verwaltungsakteure kaum eine Motivation zu Einsparungen. Stattdessen war es erklärtes Ziel, »die im Haushalt bewilligten Mittel entsprechend den Zweckbestimmungen voll in Anspruch zu nehmen, da nach geltendem Haushaltssystem nicht ausgegebene Mittel für den Verteidigungshaushalt verloren sind.«
BArch, BW 1/159540, Abteilungsleiter Rüstung an Sts Dr Leister vom April 1981. BArch, BW 1/159540, Abteilungsleiter Rüstung an Sts Dr Leister vom April 1981. BArch, BW 1/159540, Abteilungsleiter Rüstung an Sts Dr Leister vom April 1981. Apel: Der Abstieg, S. 168.
Um die Innovationspläne des Ministers und seiner Berater abzuwehren und damit die eigene Kompetenz und Zuständigkeit zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen, wurde auch systematisch Wissen aggregiert und präsentiert. Als Gegenprogramm zu den Innovationsvorschlägen der externen Ministerberater organisierte der Organisationsstab beispielsweise ein Seminar zu »Organisationslehre – Organisationspraxis«
BArch, BW 1/190946, Ergebnisprotokoll über das 4. Org-Seminar »Organisationslehre – Organisationspraxis« am 12. 11. 1981 im BMVg. BArch, BW 1/190946, Ergebnisprotokoll über das 4. Org-Seminar »Organisationslehre – Organisationspraxis« am 12. 11. 1981 im BMVg. Wolfgang Hoffmann: Die falsche Sparsamkeit, in: Die Zeit, vom 16. 10. 1981, online unter:
Laut Berichten des Organisationsstabes sei im ganzen Haus »eine gewisse Unruhe durch Mangel an Information nicht zu übersehen«
BArch, BW 1/190944, Leiter OrgStab an Minister vom 5. 11. 1981. BArch, BW 1/190944, Leiter OrgStab an Minister vom 5. 11. 1981. BArch BW 1/190946, Leiter OrgStab an Abteilungsleiter H vom 2. 10. 1981.
Die Beamten wussten also bewusst politische Spannungen, z. B. die zwischen Verteidigungsminister Apel und Finanzminister Matthöfer, in ihrem Interesse zu nutzen. Die Suche nach politischen Verbündeten außerhalb des eigenen Apparats wurde besonders von weiten Teilen der Spitzenbeamten und Militärs praktiziert, die eine besondere Nähe zu den Unionsparteien hatten.
BArch, BW 1/190946, Leiter OrgStab an BM Apel vom 6. 11. 1981. BArch, BW 1/190959, Bild am Sonntag vom 18. 4. 1982, Feiner Posten für Minister-Freund.
Die Unionsfraktion nahm den Beratungsprozess ihrerseits als günstigen Anlass, die von den Beratern diagnostizierten Fehlentwicklungen auf »die Führungsschwäche und Entscheidungsunfähigkeit des Verteidigungsministers«
BArch, BW 1/190944, Pressereferat, Dokumentation vom 15. 10. 1981.
Der Personalrat warf dem Minister vor, mit der Beauftragung externer Unternehmensberater gegen das Bundesbeamtengesetz und das Grundgesetz verstoßen zu haben. Die Beauftragung von Unternehmensberatungen und die mangelnde Beteiligung der »zuständigen Fachabteilungen und Stäbe« sei rechtlich unzulässig, weswegen der Personalrat Klage beim Verwaltungsgericht einzulegen plante.
BArch, BW 1/251358, Mittelungen des Personalrates vom 23. 9. 1982, S. 1f. BArch, BW 1/251358, Mittelungen des Personalrates vom 23. 9. 1982, S. 4.
BArch, BW 1/190959, Mittelungen des Personalrates vom 23. 9. 1982, S. 3.
Im ganzen Ministerium breitete sich »zunehmend Unruhe«
BArch, BW 1/190959. Mitteilungen des Personalrates vom 7. 4. 1982, S. 2. BArch, BW 1/190959, Mittelungen des Personalrates vom 23. 9. 1982, S. 3. BArch, BW 1/190959, Mittelungen des Personalrates vom 23. 9. 1982, S. 3.
Letztlich war diese Blockade- und Beharrungsstrategie der Verwaltungsakteure erfolgreich. Das Controlling-Konzept, welches die McKinsey-Berater erarbeitet hatten, konnte vom Minister zwar noch publikumswirksam vorgestellt werden, allerdings vereitelte das Ende der sozialliberalen Koalition im Herbst 1982 jede Chance auf Implementation. Den Beamten und Militärs war es gelungen, das vom Minister angestoßene und von den externen Beratern formulierte Innovationsvorhaben zu durchkreuzen.
In der in diesem Beitrag untersuchten Episode verbanden sich letztlich zwei Elemente zu einer Innovations-und Machtstrategie. Zunächst sollte durch die »Verbetriebswirtschaftlichung«, also der Übertragung von »manageriellen« und betriebswirtschaftlichen Strukturen und Verfahren auf die Verwaltung, ein neuartiger Ansatz zur Bewältigung der bürokratischen Überforderungserfahrung beitragen. Aber auch der Einsatz von Unternehmensberatern selbst war eine innovative Machtstrategie, bei der organisatorische Neuordnung im Rahmen eines »Controllings« durch den Einsatz von externen Experten entwickelt und implementiert werden sollten.
Der vorliegende Beitrag macht besonders deutlich, dass gerade die Implementierung von Innovationen innerhalb von Verwaltungsstrukturen die eigentliche Herausforderung darstellte. Der Einsatz von externen Unternehmensberatern sollte dabei auch als Machtstrategie gedeutet werden, die nicht nur die organisatorische oder methodische Bewältigung konkreter Problemstellungen zum Gegenstand hat, sondern auch explizit die Neuverhandlung inner-institutioneller Machtverhältnisse. Im vorliegenden Fall war es gerade die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und die persönliche Frustrationserfahrung des Verteidigungsministers Hans Apel, die den Anlass zur Hinzuziehung von Manfred Emcke und der McKinsey-Berater gab.
Und obwohl der Einsatz der Unternehmensberater auch als Durchsetzungsstrategie gedeutet werden kann, die gerade hier – mehr noch als bei der Konzeption der Reorganisationspläne – ihren eigentlichen Zweck hatte, scheiterte die Implementierung eines betriebswirtschaftlichen Controllings im Verteidigungsministerium letztlich angesichts der organisierten Resilienz innerhalb der Verwaltung. Insgesamt lässt sich ein hohes Maß an Widerstandsfähigkeit innerhalb der Militärbürokratie gegenüber den ministeriellen Innovationsplänen zur Neuordnung institutioneller Verantwortlichkeiten und Abläufe feststellen. Die als Einmischung wahrgenommene Arbeit der externen Experten bei der Konzeption neuer Zuständigkeiten und Verfahren führte auf Seiten der Verwaltungsakteure zu starker (und wirksamer) Ablehnung.
Die organisatorischen Innovationen, die aus einer Verbetriebswirtschaftlichung der gewohnten Strukturen, Verfahren und Zuständigkeiten durch die Einführung eines »Controllings« zielte, wurden durchwegs abgelehnt. Im historischen Rückblick kann also die Ministerialverwaltung und das Verwaltungshandeln keineswegs als bloße Verlängerung des politischen Willens des Ministers betrachtet werden. Stattdessen eröffnen sich hier allgemeine Fragen zur Autonomie und Pluralität der Verwaltungsakteure, deren komplexe Binnenstrukturen oft übersehen werden. Wie beschrieben schlossen Teile der Bürokratie inner- und sogar außerhalb des Ministeriums Bündnisse, um die Durchsetzung der ministeriellen Innovationsvorhaben gezielt zu unterlaufen und waren damit letztlich erfolgreich.
Der nachfolgende Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) wurde im Anschluss auf der Hardthöhe »mit offenen Armen«
Bald: Bundeswehr, S. 110.
o.A.: Nur Klarheit.
Auf den ersten Blick erstaunlich ist, dass hier der Regierungswechsel hin zur unionsgeführten Bundesregierung die »Verbetriebswirtschaftlichung«, also die Übernahme betriebswirtschaftlicher Handlungsgrundsätze und Strukturen innerhalb der Verwaltung, zunächst stoppte, während die »Wende« von 1982 oft als Auftakt zu einer Ära des »Neoliberalismus« und der »Entstaatlichung« gilt.
Vgl. Handschuhmacher: Privatisierung. Wolfgang Hoffmann: Bonner Kulisse, in: Die Zeit, vom 20. 11. 1981, online unter: Wolfgang Hoffmann: Bonner Kulisse, in: Die Zeit, vom 2. 8. 1985, online unter:
Für die vorliegende Episode muss letztlich konstatiert werden, dass der Versuch einer Innovation durch »Verbetriebswirtschaftlichung« scheiterte und sich damit zunächst auch keine Entwicklung hin zu einer Angleichung der staatlichen Strukturen an unternehmerische Vorbilder ergab. Auch der Einsatz der externen Berater als Machtstrategie im inner-institutionellen Konflikt konnte den Umbau der Verwaltung letztlich nicht garantieren. Dies lag vor allem daran, dass die politische Leitungsebene des Ministeriums den bürokratischen Funktionsträgern, die die Beharrungskräfte gegenüber den externen Beratern organisieren konnten, in der inner-institutionellen Konstellation unterlagen.
Durch eine Beharrungsstrategie konnten Letztere die Implementierung der Reformvorschläge bis zum Regierungswechsel im Herbst 1982 erfolgreich verzögern und eine Diffusion »managerieller Fragmente« verhindern. Obgleich die interne Implementation der Vorschläge der Berater auf ganz erhebliche Widerstände stoß, konnte die Tatsache der Hinzuziehung externer Berater für Minister Hans Apel zur Grundlage einer politisch-kommunikativen Strategie genutzt werden, mit der der Minister dem öffentlichen Legitimationsdruck im Zusammenhang mit dem Tornado-Untersuchungsausschuss erfolgreich begegnen konnte.
Das Engagement von McKinsey im BMVg war zwar eine Premiere, aber keine Zäsur. Die Einbeziehung von externen, kommerziellen Unternehmensberatern in die Entscheidungsfindung über die innere Struktur der staatlichen Verwaltung war zunächst einer besonderen, an den spezifischen Kontext des Beschaffungsbereichs im Verteidigungsministerium gebundenen, Problemwahrnehmung geschuldet. Gleichwohl war es Teil des Beginns einer Entwicklung, in deren Verlauf sich die Hinzuziehung externer und kommerzieller Unternehmensberatung zu politischen und administrativen Entscheidungsfindungsprozessen enorm verbreitete und normalisierte. Die Einführung eines betriebswirtschaftlichen Controllings, wie von Emcke und McKinsey 1982 gefordert, wurde von Bundeswehr und Ministerialbürokratie zunächst noch weitere drei Jahrzehnte erfolgreich »abgewehrt«. Erst in Folge der Bundeswehrreformen 2011 wurde ein Controlling eingeführt, nachdem jahrzehntelange Implementierungsversuche »von Führungskräften vehement bekämpft, bestenfalls ignoriert«
Holger Morick / Christopher Kaatz: Wie Controlling in die Bundeswehr einzog, in: Controlling und Management Review, Sonderheft 3 (2014), S. 82–89, hier S. 82.
Johannes Löhr studied law, history and business administration at the universities of Leipzig, Mannheim and Exeter. As a research assistant at the Chair of Contemporary History at the University of Mannheim, his main research interests centered on the history of administrative and political affairs in the Federal Republic of Germany. Since 2021, Johannes Löhr is manager for information and policy at the National Centre for Charging Infrastructure (“Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur”) of the Federal Ministry for Digital and Transport in Berlin.
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