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How can educational support for parents in the care of children with life-limiting illnesses be successful? An empirically-founded and theory-based concept development / Wie kann edukative Begleitung von Eltern in der Versorgung lebenslimitierend erkrankter Kinder gelingen? Eine empirischfundierte und theoriegeleitete Konzeptentwicklung


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EINLEITUNG

Eltern von Kindern mit lebenslimitierenden Erkrankungen

Eine lebenslimitierende Erkrankung ist definiert als Erkrankung, die meist zu einem vorzeitigen Tod führt. Beispiele hierfür sind Muskeldystrophie und Mukoviszidose.

(kurz LLE) sind in vielfältiger Weise herausgefordert. Aufgrund diverser Grund- und Nebenerkrankungen leiden diese Kinder häufig unter gastrointestinalen, respiratorischen und neurologischen Symptomen (Malcolm, Forbat, Anderson, Gibson, & Hain, 2011), die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können und oft in Kombinationen auftreten. Hinzu kommen allgemeine Symptome wie Müdigkeit, Erschöpfung und Schmerzen (Friedrichsdorf & Kang, 2007) sowie mentale Beeinträchtigungen (Wamsler, Friedrichsdorf & Zernikow, 2005). Letztere können sich auf die Beziehung zu den Eltern auswirken und in Verbindung mit deren eigenen Ängsten reaktive Verhaltensänderungen bei den Kindern auslösen (Malcom et al., 2012). Kinder mit LLE partizipieren weniger am sozialen Leben als gesunde Gleichaltrige (Parkes, McCullough, & Madden, 2010), was meist von den Eltern und dem familialen Umfeld kompensiert werden muss.

Da in der Regel keine Heilungsaussichten bestehen, ist eine auf Linderung ausgerichtete, umfassende, mehrdimensionale und vor allem interprofessionelle Versorgungsstrategie angezeigt. Diese umfasst neben ärztlichem Monitoring und medikamentösen Therapien (Führer, 2011; McCulloch & Collins, 2006) eine zeitlich intensive Fachpflege (Büker, 2010), eine hochfrequente therapeutische Versorgung sowie eine psychische, soziale und spirituelle Begleitung (McSherry, Kehoe, Carroll, Kang & Rourke, 2007). Die palliative Versorgung von Kindern mit LLE erfolgt hierzulande prioritär im häuslichen Lebensumfeld (Craig et al., 2008; Thierfelder & Ewers, 2015) – nur in Krisensituationen oder zur kurzfristigen Entlastung kommt es zu stationären Aufenthalten. Dadurch müssen die Eltern dieser Kinder im Alltag neben allgemeinen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben auch zahlreiche pflegerische und therapeutische Funktionen (mit-) übernehmen, was sie mitunter vor große Schwierigkeiten stellt. So ist beispielsweise der Umgang mit Krämpfen, Muskelspasmen und Sekretionen sowie die Durchführung invasiver pflegerischer Maßnahmen für manche Eltern schwer erträglich (Malcolm, Forbat, Anderson, Gibson & Hain, 2011). Anderen bereitet das Handling von Sehund Hörstörungen, von Mobilitätseinschränkungen, Ernährungs- und Verdauungsproblemen sowie kommunikativen und kognitiven Beeinträchtigungen Probleme (Kirk, Glendinning & Callery, 2005). Die Eltern fühlen sich zwischen ihren alltäglichen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben und der Rolle als Pflegende oder Therapierende ihrer Kinder hin- und hergerissen (ebd.). Formelle Dienstleistungen empfinden sie vielfach als defizitär (Rodriguez & King, 2009). Es fehlen Informationen über ihnen zustehende Leistungen sowie praktische Anleitungen, um im Versorgungsalltag sicher und unabhängig handeln zu können (Sawin et al., 2003).

Trotz dieser Widrigkeiten entwickeln sich die Eltern oftmals zu einer tragenden Säule der Versorgung ihrer Kinder, wobei sie – u. a. auch für deren physiotherapeutische Versorgung – ein hohes Maß an Verantwortung übernehmen. Wie sie sich mit der spezifischen Anforderungssituation einer physiotherapeutischen Versorgungsübernahme vertraut machen, wie sie nach und nach Kompetenzen entwickeln und zu der Überzeugung gelangen, die schwierige Situation mit ihren Kindern alleine oder mit Unterstützung Dritter meistern zu können und wie sie in diesem Prozess durch Physiotherapeuten/-innen gefördert und begleitet werden können, ist weitgehend unbekannt. An diesem Desiderat setzt eine Studie an, bei der subjektive Sichtweisen von Eltern von Kindern mit LLE auf die im Speziellen mit der physiotherapeutischen Versorgung in Verbindung stehenden Herausforderungen analysiert wurden (Thierfelder & Ewers, 2015; Thierfelder, Tegethoff & Ewers, 2019). Deren Ergebnisse werden im Folgenden aus der Perspektive der Selbstregulationstheorie (Bandura, 1990) und unter Einbindung des Konzeptes der Selbstwirksamkeit (Bandura, 1977) einer theoriegeleiteten Reflexion unterzogen. Ziel ist es, ein vertieftes Verständnis für den Prozess intraindividueller Handlungssteuerung dieser Eltern zu entwickeln und Anknüpfungspunkte für eine empirisch fundierte Konzeptualisierung physiotherapeutischer Edukation für Eltern von Kindern mit LLE zu identifizieren.

THEORETISCHE PERSPEKTIVE UND FORSCHUNGSSTAND

Aus der Perspektive der Selbstregulationstheorie müssen Eltern von Kindern mit LLE angesichts ihrer vielfältigen Herausforderungen grundsätzlich drei aufeinanderfolgende, sich wechselseitig beeinflussende Phasen durchlaufen, um Selbstwirksamkeit auszubilden: die Selbstbeobachtung, die Selbstbewertung und die Selbstreaktion. Im Rahmen der Selbstbeobachtung werden die eigene Situation, Handlungen, dabei auftretende Gefühle sowie gegebene Rahmenbedingungen reflektiert, wobei Einsichten über das eigene Selbst und die Wirkung auf Andere gewonnen werden. Diese Phase ist zudem durch Selbstmotivationsprozesse gekennzeichnet, beispielsweise indem man sich im Schwierigkeitsgrad langsam ansteigende Ziele setzt. In der Phase der Selbstbewertung wird das eigene Handeln an individuellen, internen Einstellungen entsprechend den Standards gemessen, was zu verschiedenen Selbstreaktionen führen kann. Dabei kann es sich beispielsweise um affektive Reaktionen wie Zufriedenheit oder Ängste handeln. Werden die selbst gesetzten Ziele erfolgreich umgesetzt, kommt es womöglich zu kognitiven Selbstreaktionen. Das Ausmaß der Selbstwirksamkeit wirkt auf die Selbstbeobachtung und die Selbstbewertung zurück, indem sowohl das eigene Anspruchsniveau als auch der Schwierigkeitsgrad der selbst gesetzten Ziele angepasst wird. Selbstwirksamkeit ist – dieser theoretischen Perspektive folgend – das Ergebnis komplexer Selbstregulationsprozesse. Sie wird beschrieben als die subjektive Gewissheit, neue oder auch schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können. Dabei handelt es sich nicht um Aufgaben, die durch einfache Routine lösbar sind, sondern um solche, deren Schwierigkeitsgrad Handlungsprozesse der Anstrengung und Ausdauer für die Bewältigung erforderlich macht (Bandura, 2001).

Ob und inwiefern Eltern gesundheitlich beeinträchtigter Kinder durch edukative Interventionen Selbstwirksamkeit entwickeln, wurde wiederholt beforscht (Kaufman et al., 2018; Lee, Knauer, Lee, MacEachern & Garfield, 2018; Wittkowski, Dowling & Smith, 2016). Im Fokus standen dabei die Selbstwirksamkeit in Bezug auf die Elternschaft allgemein sowie den Umgang mit der kindlichen Erkrankung. Das Erkenntnisinteresse zielte weniger auf die Herausbildung elterlicher Selbstwirksamkeit bei der Übernahme gesundheitlicher Versorgungsleistungen, die vormals durch professionelle Akteure erbracht wurden. Edukationsprogramme, die auf der sozialkognitiven Lerntheorie basieren und eine positive Eltern-Kind-Beziehung in den Mittelpunkt rücken, verbessern demnach die Selbstregulationsfähigkeiten in Bezug auf eine gelingende Elternschaft. Erlernte Grundsätze können zudem über unmittelbare Belange hinaus verallgemeinert und auf andere herausfordernde Situationen – wie die Übernahme gesundheitlicher Versorgungsleistungen – übertragen werden (Sanders, Turner & Metzler, 2019). Häufig werden in der Literatur positive Effekte gruppenbasierter Bildungsprogramme auf die Selbstwirksamkeit von Eltern von Kindern mit körperlichen oder mentalen Gesundheitsbeeinträchtigungen oder von Erstlingseltern und Eltern von Frühgeborenen beschrieben (Enebrink et al., 2015; Willis et al., 2014; Wittkowski et al., 2016). Beispielsweise erhöhen Gruppeninterventionen mit kurzfristigen Folgetreffen über mehrere Wochen signifikant die Selbstwirksamkeit im Umgang mit dem Neugeborenen (Barlow, Smailagic, Huband, Roloff & Bennett, 2014; Ingram et al., 2016; Wittkowski et al., 2016). Eltern von Kindern mit chronischen oder seltenen Erkrankungen zeigten eine höhere Selbstwirksamkeit im Umgang mit der kindlichen Erkrankung, wenn sie an Gruppeninterventionen teilnahmen (Dellve, Samuelsson, Tallborn, Fasth & Hallberg, 2006; Kieckhefer et al., 2014; Mirza, Krischer, Stolley, Magana & Martin, 2018). Neben gruppenbasierten Bildungsprogrammen erhöhen auch Einzelangebote die Selbstwirksamkeit bspw. bei Eltern von Kindern mit Autismus in Bezug auf die Bewältigung täglicher Routine (Kuhaneck, Madonna, Novak & Pearson, 2015). Die mütterliche Selbstwirksamkeit wird zudem bei Einzelsitzungen positiv beeinflusst, bei denen Routinetätigkeiten analysiert und reflektiert sowie neue Strategien erprobt werden. Zudem fördert die Bereitstellung von Information, Beratung und Anleitung die elterliche Selbstwirksamkeit, so etwa im Rahmen der geburtlichen Nachsorge bei Erstlingseltern und Eltern von Frühgeborenen (Haws, Thomas, Bhutta & Darmstadt, 2007; Shetty, 2016). Wissensvermittlung zur Erkrankung und krankheitsbedingten kindlichen Verhaltensweisen erhöht die mütterliche Selbstwirksamkeit (Kuhn & Carter, 2006). Blaiser (2012) stellte fest, dass Eltern ihre gehörlosen Kinder selbstwirksamer unterstützen, wenn sie wissen, wie sich der Hörverlust auf die Sprachentwicklung ihres Kindes auswirkt (Blaiser, 2012). Erfolgversprechend sind auch Edukationsangebote, die Hausbesuche, telefonische Rufbereitschaft und digitale Informationen kombinieren (Abdeyazdan, Shahkolahi, Mehrabi & Hajiheidari, 2014; Aksu, Kucuk & Duzgun, 2011; Gu, Zhu, Zhang & Wan, 2016). Digitale Informationen können die Reichweite von Edukationsangeboten auf weitere Familienmitglieder ausweiten (Ferecini et al., 2009). Die Erkenntnisse aus der Wirkungsforschung liefern jedoch keine Hinweise darauf, wie Selbstregulationsprozesse von Eltern von Kindern mit LLE ablaufen, wenn sie deren physiotherapeutische Versorgung in der Häuslichkeit übernehmen.

FRAGESTELLUNG, ZIELSETZUNG UND DATENGRUNDLAGE

Im Folgenden wird unter Rückgriff auf Erkenntnisse der Selbstregulationstheorie gefragt, wie Eltern von Kindern mit LLE mit den Herausforderungen einer Versorgungsübernahme umgehen, wie sie sich dabei selbst wahrnehmen, wie sie notwendige Kompetenzen zur Bewältigung ihrer komplexen Anforderungssituation ausbilden und ob sie Selbstwirksamkeit im Hinblick auf die physiotherapeutische Versorgung ihrer Kinder entwickeln. Ziel ist es, durch eine theoretische Reflexion zu einem vertieften Verständnis über elterliche Selbstregulationsprozesse zu gelangen und so die empirisch und theoretisch fundierte Konzeptualisierung von anforderungsgerechter physiotherapeutischer Edukation und Unterstützung für diese Zielgruppe zu fördern.

Als Datengrundlage dienen Ergebnisse einer qualitativempirischen Studie, die von 2015 bis 2018 im Rahmen eines Dissertationsprojekts durchgeführt wurde (Thierfelder et al., 2019). Dort wurden 15 Eltern befragt, deren Kind an einer LLE litt und deren physiotherapeutische Versorgung gänzlich oder zeitweise durch sie im häuslichen Umfeld erfolgte. In einem iterativen Vorgehen wurde das Sample um die Differenzierungsmerkmale Kindesalter, Familienstand, Bildungsstand, ethnische Herkunft und Lebensraum ergänzt, bis eine Teilnehmendenauswahl mit maximaler Variation und empirischer Sättigung der Ergebnisse erreicht wurde.

Die Datenerhebung erfolgte in Form qualitativer leitfadengestützter Interviews. Sie sollten Einsichten in die Lebenssituation der Eltern ermöglichen, Erfahrungen mit der physiotherapeutischen Versorgung erfassen, die eigenständige Versorgungsübernahme sowie Alltageinbindung nachvollziehen und elterliche Unterstützungsbedürfnisse identifizieren. Die Datenanalyse erfolgte mittels der dokumentarischen Methode (Bohnsack, 2014), um die Rekonstruktion impliziter Theorien in Form von (Eltern-)Typen zu ermöglichen. Die erarbeiteten Typen geben Aufschluss darüber, wie unterschiedlich Eltern die Ihnen zugewiesene therapeutische Rolle ausfüllen und welche Art von Unterstützung sie dabei benötigen. Die methodische Vorgehensweise und die empirischen Ergebnisse sind an anderer Stelle ausführlich dokumentiert (Thierfelder et al., 2019).

Typ A – Autonomie

Diese Eltern sind bestrebt, Kontakte zum professionellen Hilfesystem gering zu halten, um mehr ungestörte Zeit als Familie zu verbringen. Ihnen reicht es, professionelle Hilfe nur bei ihrerseits angenommenem Bedarf hinzuzuziehen. Das Bestreben nach Autonomie ist für sie handlungsleitend. Sie greifen auf reichhaltige Erfahrungen zurück, sind lern- und wissbegierig, erfassen leicht neues Wissen, zeigen hohen persönlichen Einsatz und besitzen großes Vertrauen in ihre Lernfähigkeit. Sie benötigen wenig Steuerung und emotionale Unterstützung bei ihren Lernprozessen.

Typ B – Verstehen

Bei diesen Eltern erwächst die Motivation zur Versorgungsübernahme, einerseits aus der Unzufriedenheit mit dem Versorgungssystem und andererseits aus dem empfundenen Zwang, die von ihnen erlebten Mängel kompensieren zu müssen. Wichtig ist ihnen die Befriedigung ihres Wissensbedürfnisses. Verstehen dessen, was sie tun und warum sie es tun, ist für diese Eltern handlungsleitend. Auch diese Eltern zeigen hohes persönliches Engagement, Lernprozesse müssen aber stärker unterstützt und insbesondere das stark ausgeprägte Wissensbedürfnis befriedigt werden.

Typ C – Entlastung

Diese Eltern sind ebenfalls unzufrieden mit dem Versorgungssystem, statt selbst zu kompensieren, fordern sie jedoch eine höher frequentierte professionelle Versorgung. Handlungsleitend ist der Wunsch nach Entlastung. Die Hauptverantwortung der physiotherapeutischen Versorgung wird weiterhin den professionell Helfenden zugeschrieben. Übernehmen sie dennoch physiotherapeutische Versorgungsleistungen, bestehen Ängste und Unsicherheiten. Lernprozesse sind durch eine wenig ausgeprägte internale Kontrollüberzeugung gekennzeichnet, weshalb die edukative Begleitung in erster Linie emotionale Unterstützungsarbeit leisten und zum Lernen ermutigen muss.

ERGEBNISSE
Betrachtung der Elterntypen aus Sicht der Selbstregulationstheorie

Die drei empirisch generierten Typen stellen die elterlichen Erfahrungen und die ihre soziale Praxis prägenden Orientierungen in einer verdichteten und abstrahierten Form dar. Sie dienen als Ausgangspunkt, um die Situation der Eltern von Kindern mit LLE und die von ihnen durchlaufene Entwicklung aus der Perspektive der Selbstregulationstheorie reflektieren zu können. Dabei wird deutlich, dass die drei Typen von Eltern auf unterschiedliche Weise mit den Herausforderungen ihres Alltags und der häuslichen Versorgungssituation umgehen. Ihre Selbst- und Situationswahrnehmung, ihre Motivationen und Mitwirkungsbereitschaft, die von ihnen durchlaufenen Prozesse der Kompetenzentwicklung und ihre darauf hin entwickelte bereichsspezifische Selbstwirksamkeit variieren deutlich.

Eltern des Typs A beobachten und kennen ihre Alltagssituation genau. Sie können ihr Versorgungshandeln detailliert beschreiben, auftretende Gefühle und Wünsche artikulieren und situationsgerecht regulieren. Sie sind über Dienstleistungsangebote gut informiert und in der Lage, diese gezielt zu nutzen. Mit der Zeit gelangen sie aber an einen Punkt, wo sie sich durch die Vielzahl professionell Helfender in der Häuslichkeit beeinträchtigt sehen.

„Und das ist oft genug, dass Menschen hier sind, die nicht zur Familie gehören, und dann sozusagen nochmal zwei Stunden in der Woche in diesem Modus zu wechseln, wo Luca nochmal anders betreut ist, ja, das müssten wir dann nochmal, meine Frau und ich miteinander erörtern, ob das überhaupt eine Option ist.“

(Stefan Horn

Im Zuge der Datenaufbereitung würde alle Namen pseudonymisiert.

Zeilen 340–344)

Ihr Wunsch nach weniger Störungen des familiären Alltags drängt in den Vordergrund. Ihr Ziel ist es, möglichst viel Privatsphäre zurückzuerobern – auch im Hinblick auf die begrenzte Lebenszeit ihres Kindes. Dies motiviert sie, die Versorgung weitgehend autonom durchzuführen und nur punktuell professionell Helfende hinzuzuziehen. Eltern des Typs A sind gut in der Lage, ihre Handlungsabsichten in konkretes physiotherapeutisches Versorgungshandeln umzusetzen und dabei Standards zu folgen, die denen der professionellen Physiotherapie ähneln. Die eigene Versorgungsleistung wird vor dem Hintergrund individueller und von ihnen akzeptierter fachlicher Standards kognitiv bewertet und ggf. adaptiert. Eltern dieses Typs reagieren mit hohem Maß an Anstrengungsbereitschaft und Ausdauer, wenn es darum geht, die physiotherapeutische Versorgung zu übernehmen. Sie können ihr Versorgungshandeln auch gegen äußere und innere Widerstände aufrechterhalten und zeigen strategische Flexibilität bei der Suche nach Problemlösungen. Letztlich gelangen sie zu der Überzeugung, dass sie die physiotherapeutische Versorgung ihres Kindes außerhalb der Kontaktzeiten zum professionellen Hilfesystem auch eigenständig bewältigen können. Mit anderen Worten: Eltern des Typs A haben erfolgreich Selbstregulationsprozesse durchlaufen, Kompetenzen ausgebildet und Selbstwirksamkeit in Bezug auf die Übernahme physiotherapeutischer Versorgungsleistungen entwickelt.

Eltern des Typs B beobachten und reflektieren weniger sich selbst, ihre Handlungen und Handlungsmöglichkeiten als vielmehr die Konditionen und Restriktionen, unter denen die physiotherapeutische Versorgung ihres Kindes erfolgt. Mit dieser Versorgung sind sie tendenziell unzufrieden, was sich z. B. in folgendem Interviewauszug niederschlägt:

„Also es ist so, die Physiotherapeutin kommt und wir sagen, so und so ist der Stand und so ist es mit Leon, so war die Nacht, so ist gerade sein Zustand, so schätzen wir das ein. Und dann gehen die Physiotherapeuten entweder irgendwas ausbreiten, lassen sich auf den Boden mit ihm, machen irgendwelche Dinge, die ich meistens nicht verstehe, das ist halt so.“

(Kathrin Pfeiffer Zeilen 132–136)

Die Eltern haben nicht das Gefühl, dass ihre Beobachtungen zur Situation ihres Kindes Wertschätzung erfahren und für die Physiotherapie bedeutsam sind. Zudem fehlt es ihnen an Austausch mit den Physiotherapeuten/-innen. Mit ihrem Wissensbedürfnis bleiben sie allein, was sie hochgradig unzufrieden macht. Aus dieser emotionalen Reaktion heraus, entwickeln sie die Motivation zur eigenständigen Übernahme der physiotherapeutischen Versorgung. Die Versorgungsübernahme geht also auf einen in der Not gründenden Selbstmotivationsprozess zurück und nicht auf die Überzeugung, die aktuelle Lebenssituation ohne oder mit punktueller Hilfe meistern zu können. Das hat Folgen: Sie fordern keine Unterstützung ein und bleiben im Alltag mit ihren Fragen auf sich allein gestellt. Sie wissen wenig über die Standards einer qualitativ angemessenen Physiotherapie und tun sich schwer, angemessene Bewertungsmaßstäbe für ihr eigenes Versorgungshandeln zu entwickeln. Oft sind sie unsicher, ob das, was sie tun, auch „richtig“ ist. Diese Unsicherheit empfinden sie als belastend, was den Umgang mit inneren und äußeren Widerständen weiter erschwert und sie immer wieder auf ihre Unzufriedenheit zurückwirft. Anders ausgedrückt: Eltern des Typs B haben Schwierigkeiten mit der Selbstregulation mit Blick auf ihre spezifische Lebens- und Anforderungssituation. Versorgungsleistungen übernehmen sie notgedrungen, bleiben aber im Unklaren darüber, ob sie diese auch korrekt und wirkungsvoll ausführen. Die Kompetenzaneignung für eine Versorgungsübernahme in der Häuslichkeit und damit die Herausbildung von Selbstwirksamkeit fällt schwer, was auch die häusliche Versorgung insgesamt beeinträchtigt und zuweilen krisenhaft zuspitzt.

Eltern des Typs C empfinden auch eine ausgeprägte Unzufriedenheit. Aber weder entscheiden sie sich bewusst zur Versorgungsübernahme, um ihre Autonomie zu erhalten oder zu erweitern (Typ A), noch wollen sie damit ihrer Unzufriedenheit mit der Versorgungssituation etwas entgegensetzen (Typ B). Vielmehr sehen sie sich durch die prioritär häusliche Versorgung ihres Kindes in eine missliche Lage gebracht:

„Man macht es, aber eigentlich ist man überfordert damit.“

(Julia Thomas, Zeile 203)

Sie fügen sich, fühlen sich der Situation aber kaum gewachsen. Das ist besonders zu beobachten, wenn aus der kindlichen Erkrankung ein technischer Unterstützungsbedarf resultiert bspw. bei Beatmungspflicht. Die Angst, etwas falsch zu machen, begleitet sie ständig und schränkt sie in hohem Maße in ihrer Selbstregulation ein. Es fällt ihnen schwer, sich mit Blick auf eine Versorgungsübernahme realistische Ziele zu setzen und im Zeitverlauf zu der Überzeugung zu gelangen, mit ihrem Handeln etwas Gutes für ihr Kind bewirken zu können. Versorgungsaufgaben erleben sie durchweg als anstrengend, meist werden sie gemieden und nur übernommen, wenn keine Alternative bleibt. Oft beschränken sie sich dann auf zeitlich begrenzte und leichtere Behandlungsmaßnahmen. Eine regelmäßige Versorgungsübernahme und die Möglichkeit zur Kompetenzentwicklung sowie Ausbildung von Handlungsroutinen und -sicherheit liegt außerhalb ihres Blickfeldes. Stattdessen hoffen sie, sich schnell wieder aus der Verantwortung zurückziehen und die professionell Helfenden in die Pflicht nehmen zu können. Im Zuge dieser „Rückdelegation“ formulieren sie zum Teil hohe Erwartungen an eine „gute“ professionelle Physiotherapie. Damit allerdings tritt die Diskrepanz zwischen ihrem eigenen unsicheren, von Ängsten überlagertem Versorgungshandeln und den von ihnen als relevant erachteten Standards einer professionellen Versorgung noch deutlicher zu Tage. Mit anderen Worten: Eltern des Typs C stecken in der Überforderungsfalle. Es gelingt ihnen kaum, zu der Überzeugung zu gelangen, mit Anstrengung und Ausdauer eine für sie schwierige Anforderungssituation kompetent bewältigen zu können. Ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung bleibt begrenzt, was nicht selten zum Scheitern einer informellen Versorgung führt.

Anknüpfungspunkte für die Konzeptentwicklung

Ausgehend von der theoretischen Reflexion der drei Elterntypen stellt sich die Frage, ob und wie elterliche Selbstwirksamkeit bei der physiotherapeutischen Versorgungsübernahme durch Edukation positiv beeinflusst werden kann. Aus Perspektive der Selbstregulationstheorie könnten dabei eigene, positive Erfahrungen der Eltern ein guter Anknüpfungspunkt sein, haben sie doch den stärksten und wirksamsten Einfluss auf die Herausbildung individuellerer Selbstwirksamkeit (Bandura, 1977; Schwarzer & Jerusalem, 2002). Im konkreten Fall müssten Eltern einmal die Erfahrung gemacht haben, dass sie ihr Kind gemessen an eigenen und fachlichen Standards erfolgreich physiotherapeutisch versorgen können. Dieses Erfolgserlebnis könnte sie dann in der Annahme bestärken, dass sie diese Aufgabe auch künftig bewältigen können. Eltern des Typs A beispielsweise, die eine Versorgungsübernahme für sich akzeptierten, haben positive Erfahrungen damit gemacht und nach und nach ein hohes Maß an Selbstsicherheit und Kompetenz ausgebildet. Sie waren in der Lage, selbst komplexe physiotherapeutische Behandlungen auszuführen und in ihren Alltag zu integrieren. Lediglich temporär zeigten sie sich verunsichert, etwa, wenn sich der kindliche Gesundheitszustand änderte. Eltern zu motivieren, sich auf diesen Prozess einzulassen, und ihnen durch schrittweise Anpassung des Schwierigkeitsgrades Erfolgserlebnisse zu vermitteln, könnte sich als erfolgreiche Strategie zur Förderung elterlicher Selbstwirksamkeit erweisen.

Nicht alle Eltern werden diese Bereitschaft zeigen. In diesen Fällen könnte die Beobachtung von statusgleichen Erfahrungsträgern die Ausbildung von Selbstwirksamkeit unterstützen (Bandura, 1977; Schwarzer & Jerusalem, 2002). Tatsächlich finden sich im Datenmaterial einige Hinweise, die in diese Richtung deuten, wie beispielsweise diese Aussage:

„Ich fand es immer viel kreativer und spannender, wenn wir das zu zweit gemacht haben. Also mit einer Freundin … wo wir bei der Förderwoche waren. Da hat mir das viel mehr Spaß gemacht, meine Freundin mit ihrem Sohn, und ich mit meinem. Das fand ich besser. Da konnten wir uns gegenseitig austauschen und auch gegenseitig korrigieren.“

(Martina Pohl Zeilen 597–603).

Ganz im Sinne eines Peer-Teaching Ansatzes (Lockspeiser, O’Sullivan, Teherani & Muller, 2008) scheint hier die wahrgenommene soziale Nähe zur beobachteten Person ein Erfolgsfaktor für den motivationalen Prozess zu sein, der für die schrittweise Versorgungsübernahme erforderlich ist. Bislang ist jedoch üblich, dass Physiotherapeuten/-innen eine Behandlungsmaßnahme routinemäßig demonstrieren und die Eltern diese Techniken dann zunächst imitieren und schließlich eigenständig durchführen sollen. Diese Praxis könnte die Eltern, die nicht über die Ausbildung und z. T. langjährige Erfahrung verfügen, überfordern und entmutigen und sich insofern für den Prozess der Kompetenzentwicklung als kontraproduktiv erweisen. Die Zusammenführung von Eltern mit ähnlichem Kompetenzlevel, vergleichbarem Problemhintergrund sowie die Anregung des Erfahrungsaustausches unter ihnen, könnte dagegen mehr Erfolg versprechen und sollte somit bei der Entwicklung eines Edukationskonzepts bedacht werden.

Neben der Vermittlung eigener oder stellvertretender Erfahrungen ließe sich die elterliche Selbstwirksamkeit in Bezug auf eine Versorgungsübernahme aber womöglich auch durch sprachliche Überzeugung in Form von Zuspruch und Rückmeldungen fördern (Bandura, 1977; Schwarzer & Jerusalem, 2002). Auch hierzu lassen sich im Datenmaterial Hinweise finden:

„Ich finde es ganz wichtig, Eltern nie das Gefühl zu geben, dass da irgendwo eine Glasdecke ist. Eltern immer das Gefühl geben, es kann weitergehen, es kann weitergehen. Das ist unheimlich bestärkend für Eltern.

(Melanie Bergmann Zeilen 476–479).

Die Ermutigung und positive Verstärkung, dass Eltern ihre Situation meistern und den komplexen Anforderungen bei einer häuslichen Versorgung ihrer Kinder auch eigenständig gerecht werden können, ist wichtig für die Entwicklung elterlicher Selbstwirksamkeit. Dies wäre insbesondere für Eltern des Typs C bedeutsam, die zwischen dem Gefühl eigener Unzulänglichkeit und überhöhten Anforderungen an sich selbst und andere hin- und herwechseln. Tatsächlich scheint der Wunsch nach Zuspruch und Rückmeldung in der Versorgungspraxis bislang unzureichend berücksichtigt. Die ohnehin in Frequenz und Dauer unzureichende physiotherapeutische Versorgung in der Häuslichkeit scheint vorrangig zur Durchführung der Therapie genutzt zu werden. Zumindest aus Sicht der befragten Eltern wird während der Hausbesuche wenig bis gar keine Zeit für Rückmeldungen oder Zuspruch aufgewendet. Regelmäßige Feedback- und Motivationsschleifen wären somit ebenfalls ein weiterer Baustein eines auf diese Zielgruppe ausgerichteten Edukationskonzepts.

Neben diesen, von den Physiotherapeuten/-innen steuerbaren Aspekten gibt es aber auch solche, die von außen nur bedingt beeinflussbar sind. Dazu zählen intrapersonelle Aspekte wie die elterliche Gefühlslage (Bandura, 1977; Schwarzer & Jerusalem, 2002). Im konkreten Fall spielt das Stresserleben eine wichtige Rolle, etwa aufgrund von zeitlichen Belastungen durch die alltägliche Versorgung oder aufgrund von individuell empfundener Überforderung. Übertrifft die Belastung eine individuelle Grenze, kann sich dies negativ auf die Selbstwirksamkeit der Eltern auswirken und der Übernahme von Versorgungsaufgaben entgegenstehen. In solchen Fällen stoßen Edukationsmaßnahmen an Grenzen und es wäre ratsamer, auf die Versorgungsübertragung zu verzichten sowie eine höher frequentierte professionelle Versorgung anzubieten. In Abbildung 1 sind mögliche Anknüpfungspunkte zur edukativen Unterstützung von Eltern bei der Übernahme physiotherapeutischer Versorgungsleistungen zusammenfassend dargestellt. Welche der hier aufgezeigten Unterstützungsmöglichkeiten sich vorrangig anbieten, wird mit Blick auf den jeweiligen Elterntyp und die individuelle Lebenssituation zu entscheiden sein.

Abbildung 1

Anknüpfungspunkte für edukative Konzepte.

DISKUSSION DER ERGEBNISSE

Die in einer früheren Studie empirisch generierten Elterntypen (Thierfelder et al., 2019) wurden in diesem Beitrag aus Perspektive der Selbstregulationstheorie betrachtet. Durch diese theoretische Reflexion konnte die Frage beantwortet werden, ob und wie Eltern die für eine physiotherapeutische Versorgungsübernahme notwendige Selbstwirksamkeit entwickeln, um die komplexe Anforderungssituation kompetent und für sich zufriedenstellend zu bewältigen. Zugleich wurden Anknüpfungspunkte für die Entwicklung edukativer Konzepte deutlich, die zur Förderung der Selbstwirksamkeit dieser Eltern eingesetzt werden können.

Ähnlich wie bei Kuhn und Carter (2006) und Blaiser (2012) hat sich auch hier gezeigt, dass Informationen zu kindlicher Erkrankung und Behandlungsmaßnahmen die Selbstwirksamkeit von Eltern positiv beeinflussen. Insbesondere für Eltern des Typs B ist die Befriedigung ihres Wissensbedürfnisses zentral für eine Versorgungsübernahme. Aus dem Diskurs zum Thema Gesundheitskompetenz/Health Literacy ist jedoch bekannt, dass es nicht ausreicht, Information nur bereitzustellen (z. B. in Form von Broschüren), oft wird auch eine Unterstützung bei der Verarbeitung und Nutzung von Informationen benötigt (Schaeffer & Pelikan, 2016). Eltern müssen Informationen in ihr vorhandenes Wissensrepertoire integrieren, auf eigene Problemsituationen übertragen und in konkrete Handlungen überführen können. Dies gelingt nicht automatisch, sondern wird von Seiten der Physiotherapeuten/-innen durch Strategien der kognitiven Wissensvermittlung wie beispielsweise Erklärungen unterstützt werden müssen (ebd.).

Die Ergebnisse dieser Betrachtung zeigen auch, dass elterliche Selbstwirksamkeit durch Instruktion positiv beeinflusst werden kann, das heißt durch gezielte handlungspraktische Unterweisung im Umgang mit den krankheitsbedingten funktionalen Einschränkungen ihres Kindes und anderen Versorgungsaufgaben. Damit Instruktionen von den Eltern auch angenommen werden, ist es jedoch notwendig, vorab die elterliche Motivation zur Versorgungsübernahme zu klären, die Instruktionen auf ein alltagskompatibles Maß zu reduzieren, die Einbindung in den zeitlich hochbelasteten Alltag zu thematisieren, den komplexen Handlungsablauf in sinnvollen Handlungsschritten zu demonstrieren und die eigenständige Umsetzung zu begleiten (Thierfelder et al., 2019). Die Eltern von Kindern mit LLE sollten also durch Instruktion im Versorgungsalltag sukzessive ins (erfolgreiche) Probehandeln gebracht werden. Dabei sollte es den Beteiligten nicht in erster Linie um die Erfüllung von Versorgungspflichten, sondern vielmehr um einen handlungsorientierten Lernprozess gehen, der das eigene Handlungsvermögen für die Eltern erlebbar macht. Im Idealfall sammeln sie dabei erfolgreiche Bewältigungserfahrungen, die ihre spezifische Selbstwirksamkeit positiv beeinflusst (Bandura, 1977).

Nicht alle Eltern werden hierzu bereit und in der Lage sein. Insbesondere wenn die Therapie für das Kind unangenehm oder mit Schmerzen verbunden ist, wird die Rollenübernahme problematisch. Die Diskrepanz zwischen elterlichem Wunsch zu beschützen und systembedingter Notwendigkeit zur Mitwirkung an der Therapie, muss stets sorgfältig ausbalanciert werden (Kirk et al., 2005). Um diese Grenzen erkennen, zugleich aber Handlungshemmnisse bei der Instruktion überwinden und den Eltern erfolgreiche Bewältigungserfahrungen beim Probehandeln ermöglichen zu können, ist emotionaler Zuspruch von Seiten der anleitenden Physiotherapeuten/-innen notwendig. Wichtig ist, dass sie die elterliche Gefühlslage und andere intra- und interpersonelle Aspekte sorgfältig wahrnehmen und angemessen auf emotionalen Stress und elterliche Verletzlichkeit reagieren (McIntosh & Runciman, 2008).

In den meisten Studien, die Auswirkungen edukativer Interventionen auf elterliche Selbstwirksamkeit bei verschiedenen Zielgruppen untersuchten, konnten Gruppeninterventionen über längere Zeit die elterliche Selbstwirksamkeit im Umgang mit ihrem gesunden oder kranken Kind erhöhen (Barlow et al., 2014; Dellve et al., 2006; Wittkowski et al., 2016; Enebrink et al., 2015; Kieckhefer et al., 2014; Mirza et al., 2018; Willis et al., 2014). Solche Angebote bieten die Gelegenheit, andere Eltern mit ähnlichen Attributen und Problemlagen als Erfahrungsträger bei der Versorgungsübernahme zu beobachten und sich von ihrer Selbstwirksamkeitsüberzeugung anregen zu lassen. Problematisch ist dabei, dass Eltern von Kindern mit LLE basierend auf anekdotischen Berichten sowie Äußerungen von Interviewpartner/-innen äußerst selten Gruppenangebote wahrnehmen – eine Beobachtung, die in ähnlicher Weise auch bei pflegenden Angehörigen älterer Menschen gemacht werden kann. Die komplexe Versorgung beansprucht viel Zeit und insbesondere bei lebenslimitierenden Erkrankungen kommt es dann häufig zur Konzentration der sozialen Beziehungen auf die Kernfamilie. Eltern von Kindern mit LLE dennoch solche Begegnungsräume zur Verfügung zu stellen und sie zu motivieren, sich zumindest punktuell mit anderen Personen in ähnlichen Lebenssituationen zusammenzufinden, könnte sich aber lohnen. Es wäre zu prüfen, ob beispielsweise Tandemlösungen mit jeweils zwei Elternpaaren ähnliche Effekte mit Blick auf die Selbstwirksamkeitsförderung haben, wie dies bei Gruppenangeboten bereits nachgewiesen werden konnte. Über die konkrete Umsetzung und die Möglichkeiten von Physiotherapeuten/-innen, derartige Angebote zu entwickeln und umzusetzen, wird sorgfältig nachzudenken sein.

Die Ergebnisse, die hier im physiotherapeutischen Kontext empirisch erhoben und theoretisch reflektiert wurden, sind unserer Auffassung nach ebenso für Angehörige anderer Gesundheitsberufe relevant. Auch bei der pflegerischen, ergotherapeutischen oder logopädischen Versorgung in der Häuslichkeit kommt es zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Versorgungsübernahme. Das Wissen darum, dass Eltern die Anforderungssituation einer partiellen Übernahme gesundheitlicher Versorgung unterschiedlich bewältigen und in diesem Prozess durch professionell Helfende konsequenterweise auch unterschiedlich intensiv unterstützt werden müssen, ist auch im Hinblick auf eine gelingende interprofessionelle Versorgung von Bedeutung.

Limitation und Ausblick

Wie bei der Mehrheit qualitativer Studien ist die Reichweite der hier präsentierten Ergebnisse begrenzt. Interpretationen und Reflexionen zur elterlichen Selbstwirksamkeit der hier betrachteten Eltern von Kindern mit LLE sind nicht ohne Weiteres auf andere Personengruppen oder Kontexte übertragbar. Aufgrund der Konzeption der diesem Beitrag zugrundeliegenden empirischen Untersuchung kann aber vermutet werden, dass die Ergebnisse nicht allein für die hier ausgewählte Zielgruppe bedeutsam sind. Durch die Berücksichtigung verschiedener soziodemografischer Variablen und durch ein iteratives Vorgehen konnte eine maximale Variation der Stichprobe erzielt werden. Die Daten wurden an einer in Bezug auf die kindlichen Diagnosen sehr heterogenen Gruppe erhoben. Gemeinsamkeiten ergaben sich aus dem intensiven physiotherapeutischen Versorgungsbedarf und der Versorgungsübernahme durch Eltern als informell Helfende. Ein physiotherapeutischer Versorgungsbedarf ergibt sich u. a. aufgrund funktioneller Einschränkungen, die auch bei anderen Patientengruppen auftreten und einen ähnlichen Versorgungsbedarf vermuten lassen. Auch beim zweiten Einschlusskriterium – der Versorgungsübernahme durch informell Helfende – kann vermutet werden, dass Eltern von Kindern mit anderen gesundheitlichen Problemlagen und resultierendem therapeutischen oder auch pflegerischem Versorgungsbedarf ähnliche Selbstregulationsprozesse durchlaufen.

Die diesem Beitrag zugrundeliegende empirische Untersuchung zur informellen, physiotherapeutischen Versorgungsübernahme und die anhand der drei Elterntypen vorgenommene Reflexion von deren Ergebnissen aus Sicht der Selbstwirksamkeitstheorie haben interessante Anknüpfungspunkte für die Entwicklung edukativer Interventionskonzepte zu Tage gefördert. Bevor diese jedoch verdichtet, in der Praxis erprobt und auf ihre Wirkungen hin untersucht werden können, wird aber noch die Sichtweise der Physiotherapeuten/-innen als Erbringer solcher Edukationsangebote zu erheben und zu analysieren sein. Durch eine solche multiperspektivische Konzeptentwicklung könnten dann bereits im Vorfeld einer empirischen Wirkungsüberprüfung Grenzen informeller Versorgungsübernahme durch die Eltern aus Sicht professionell Helfender ausgelotet sowie weitere zu berücksichtigende Aspekte auf Seiten der Leistungsanbieter – etwa qualifikatorischer, struktureller oder wirtschaftlicher Art – integriert und mit Blick auf ihre Einflüsse auf das mögliche Ergebnis edukativer Interventionen reflektiert werden.

Fazit

Es hat sich gezeigt, dass Eltern von Kindern mit LLE ein ausgeprägtes Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit brauchen, um den extremen Belastungen in ihrem Alltag gewachsen zu sein. Mit anderen Worten: Sie brauchen die Gewissheit, dass sie mit ihren Handlungen etwas bewirken können – für sich und ihre Kinder. Dabei sind individuelle Erfolgserfahrungen bei der Versorgungsübernahme ebenso von Bedeutung wie das Beobachten von gleichrangigen Erfahrungsträgern/-innen in Paar- oder Gruppenkonstellationen oder der motivierende Zuspruch von Seiten professionell Helfender. Diese wiederum benötigen für die Übernahme dieser edukativen Aufgaben angemessene wirtschaftliche Rahmenbedingungen, edukative Kompetenzen als Bestandteil ihrer Aus- und Weiterbildung sowie wirksame edukative Interventionskonzepte. Deren empirisch fundierte und theoretisch reflektierte Entwicklung zu fördern, war das Anliegen dieses Beitrags und der ihm zugrundeliegenden empirischen Forschung.

eISSN:
2296-990X
Idiomas:
Inglés, Alemán
Calendario de la edición:
Volume Open
Temas de la revista:
Medicine, Clinical Medicine, other