Die Arzneimittelversorgung gehört zu den zentralen Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege. Obschon dieser Bereich seit dem späten Mittelalter relativ stark reglementiert ist,
Siehe überblickshalber: Rudolf Schmitz: Geschichte der Pharmazie, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters, Eschborn 1998, S. 507–548. Zur medizinischen Modernisierung: Wolfgang U. Eckart: Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Berlin 82017, S. 171–298; zur Institutionalisierung und Professionalisierung medizinischer Berufsstände: Claudia Huerkamp: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten: Das Beispiel Preußens, Göttingen 1985; zur Entstehung des Sozialversicherungssystems: Gerhard A. Ritter: Sozialversicherung in Deutschland und England. Entstehung und Grundzüge im Vergleich, München 1983. Gut einführend in die pharmazeutischen Zusammenhänge: Christoph Friedrich / Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Geschichte der Pharmazie, Bd. 2: Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Eschborn 2005.
Der vorliegende Beitrag beleuchtet vor diesem Hintergrund die behördliche Regulierung des Arzneimittelwesens im Deutschen Reich von 1871 bis 1945. Diese Zeitspanne ist in der Forschung bisher kaum eingehender betrachtet worden, bietet sich aber aus zwei Gründen besonders an: Zum einen beschleunigte sich in dieser Zeit der wirtschaftliche Umbruch des Pharmasektors, der vor allem im Siegeszug der industriellen Arzneifertigware zum Ausdruck kam. Dieser Umbruch war Mitte des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen. Auch wenn wirtschaftliche Aspekte nach 1945 wichtig blieben, rückten nun andere Prozesse (etwa europäische Integration) und Probleme (etwa Arzneimittelsicherheit) in den Fokus – Aspekte, die bereits intensiver erörtert worden sind.
Siehe für die Zeit nach 1945: Niklas Lenhard-Schramm: Arzneimittelregulierung in der Bundesrepublik. Das Problem teratogener Medikamente in den 1950er und 1960er Jahren, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 37 (2019), S. 85–112, mit weiteren Nachweisen. Zustandekommen und Inhalt der Arzneimittelgesetze von 1961/76 eingehend thematisiert bei: Konrad Rotthege: Die Entstehung des Arzneimittelgesetzes vom 16. Mai 1961 unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung arzneimittelrechtlicher Bestimmungen und des Verkehrs mit Arzneimitteln, Frankfurt am Main 2011; Ute Stapel: Die Arzneimittelgesetze 1961 und 1976, Stuttgart 1988. Bis zum AMG 1961 existierten keine Bestimmungen, die die Arzneimittelherstellung außerhalb der Apotheken von einer behördlichen Erlaubnis abhängig machten. Auch existierte bis 1943 kein Genehmigungsverfahren für neue Arzneifertigwaren, sodass behördliche Prüfungen im Untersuchungszeitraum nur in einigen Sonderbereichen (etwa bei Impfstoffen) eine Rolle spielten. Obgleich mit dem Arzneimittelwesen untrennbar verwoben, muss die behördliche Apothekenregulierung, die bis heute vom Arzneimittelrecht separiert ist, hier außen vor bleiben. Siehe dazu: Joe Weingarten: Staatliche Wirtschaftsaufsicht in Deutschland. Die Entwicklung der Apothekenaufsicht Preußens und Nordrhein-Westfalens von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Opladen 1989; Rudolf Schiedermair/Günther Blanke: Apothekengesetz. Kommentar und Materialien zum Bundesgesetz über das Apothekenwesen, Frankfurt am Main 1960.
Die Arzneimittelregulierung geht freilich nicht in behördlichem oder, etwas weiter gefasst, in staatlichem Wirken auf. In Anlehnung an die einschlägige Forschung meint dieser Begriff hier alle Normen, Institutionen und Maßnahmen, die die Verfügbarkeit und Anwendung von Medikamenten regeln sollen.
Siehe dazu und zum Folgenden Lenhard-Schramm: Arzneimittelregulierung, S. 87–88; Jean-Paul Gaudillière / Volker Hess: General Introduction, in: Jean-Paul Gaudillière / Volker Hess (Hg.): Ways of Regulating Drugs in the 19th and 20th Centuries, Basingstoke 2013, S. 1–16; Arthur Daemmrich: Pharmacopolitics. Drug Regulation in the United States and Germany, Chapel Hill 2004, S. 3–5; Nils Kessel: Umstrittene Expertise. Der Beirat »Arzneimittelsicherheit« in der bundesdeutschen Arzneimittelregulierung 1968–1976, in: Medizinhistorisches Journal 44 (2009), S. 61–93, hier S. 61.
Die folgenden Ausführungen thematisieren daher, wie die zuständigen Behörden im Deutschen Reich mit den verschiedenen Ordnungsvorstellungen und Regelungsansprüchen umgegangen sind, die aus der Transformation des vormodernen Arzneimittelwesens in einen modernen Industriesektor resultierten. Nach der Reichsgründung 1871 wandten sich zahlreiche Akteure an die Behörden, um rechtlichen Regelungsbedarf aufzuzeigen, legislative Lösungsvorschläge zu präsentieren oder gesetzliche Gegenvorstellungen vorzubringen. Da die Adressaten dieser Vorstöße in der Regel Organe des Reichs waren, richtet sich der Blick hier auf die zuständigen Reichsbehörden, namentlich auf das Reichsministerium des Innern (RMI), das Reichsgesundheitsamt (RGA) und deren Vorläufer. In der Auseinandersetzung dieser Behörden mit den relevanten Akteuren und Berufsgruppen schlugen sich die disparaten Regelungsvorstellungen deutlich nieder. Interessenkollisionen waren und blieben dabei untrennbar mit unterschiedlichen Normen und Normvorstellungen verbunden: Vor allem Gesundheitsund wirtschaftspolitische Maximen und Rationalitäten standen oft im Widerspruch, blieben aber zugleich aneinander rückgekoppelt, da allen beteiligten Kreisen klar war, dass ein funktionsfähiges Gesundheitswesen nicht ohne eine intakte Wirtschaft auskommen kann – und umgekehrt. Die gesetzesvorbereitende Arzneimittelregulierung der obersten Reichsbehörden agierte insofern stets im Angesicht multipler normativer Settings.
Wie, weshalb und mit welchen Folgen sich die rechtlichen Normierungsansätze der staatlichen Arzneimittelaufsicht von 1871 bis 1945 veränderten und welchen Konjunkturen sie unterlagen, sollen die folgenden Ausführungen chronologisch nachzeichnen und erklären. Dabei geht es besonders um das behördliche Management (auch Missmanagement) verschiedener Normierungsvorstellungen. Argumentativer Ausgangspunkt ist der Befund, dass eine umfassende Reform des Arzneimittelrechts in diesem Zeitraum nicht gelang, obwohl sie wiederholt eingefordert wurde. Das Arzneimittelwesen war dabei zunächst durch eine von nicht-staatlichen Akteuren (Ärzte, Apotheker, Hersteller) dominierte Expertenregulierung geprägt, als sich die Notwendigkeit intensiverer regulatorischer Eingriffe aufgrund des angesprochenen Wandels immer deutlicher zeigte. Der Staat agierte dabei aus einer traditionell schwachen Regulierungsposition und war mit völlig verschiedenen Akteursgruppen konfrontiert, die ihrerseits durch diesen Wandel selbst stark tangiert (Apotheker) oder überhaupt erst hervorgebracht wurden (pharmazeutische Industrie) und dabei teils diametrale Ansprüche verfochten. Die Anpassung des Arzneimittelrechts an die dynamischen Wandlungsprozesse wurde dabei – so argumentiert dieser Aufsatz – zum einen blockiert und verzögert, weil die Behörden keine adäquaten Antworten fanden, um die konträren Interessen der stark positionierten Akteure zu überwölben und in ein umfassendes rechtliches Regelsystem einzubinden. Zum anderen wirkten auch äußere, nicht primär aus dem Gesundheitswesen stammende Ordnungsideen und Sachzwänge auf den Problemkreis ein. Dies erschwerte administrative Lösungen zweifelsohne. Wie sich zeigen wird, entzündeten sich die Konflikte vor allem am regulatorischen Antagonismus zwischen Gesundheits- und Wirtschaftspolitik, der über den Untersuchungszeitraum zwar nicht gänzlich, aber im Grunde weitgehend konstant blieb und der auch den roten Faden der folgenden Ausführungen bilden soll.
Bereits kurz nach der Reichsgründung 1871 waren Forderungen nach einer umfassenden Rechtsordnung für das Arzneimittelwesen laut geworden. Die ersten Impulse dazu kamen aus der organisierten Apothekerschaft.
Eine erste Initiative kam vom Deutschen Apotheker-Verein (DAV), der 1876 in einer Eingabe an den Bundesrath die Beschränkung der Gewerbefreiheit bei der industriellen Arzneimittelherstellung forderte. Siehe: Heinrich Hornung: Apotheken- und Arzneimittelgesetzeskunde. Mit geschichtlicher Rückschau, Stuttgart 1955, S. 98. Stapel: Arzneimittelgesetze, S. 10–13; Weingarten: Wirtschaftsaufsicht, S. 118–121. GewO = Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 21.06.1869, in: BGBl. 1869, S. 245 (bis 1872 im gesamten Deutschen Reich eingeführt: RGBl. 1871, S. 392; RGBl. 1872, S. 170, 350). Siehe auch: Stapel: Arzneimittelgesetze, S. 16, 35, 80–84; Axel Murswieck: Die staatliche Kontrolle der Arzneimittelsicherheit in der Bundesrepublik und den USA, Opladen 1983, S. 268. Lediglich die Herstellung von Impfstoffen, Sera und Betäubungsmitteln wurde mit der Zeit unter staatliche Aufsicht gestellt: Runderlass des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt, 15.07.1929, in: VMBl. 1929, Sp. 664; Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln, 10.12.1929, in: RGBl. I 1929, S. 215. Stapel: Arzneimittelgesetze, S. 38–42.
Daraus erwuchs eine grundsätzliche Spannungslage zwischen Ordnungswünschen der medizinischpharmazeutischen Professionen einerseits und wirtschaftsliberalen Maximen andererseits. Dieser Gegensatz war keineswegs problemlos aufzulösen, zumal er nicht in einer politisch-administrativen Hand lag, denn in der stark föderativen Verfassung des Deutschen Reichs waren die »medizinalpolizeilichen« Kompetenzen stark zersplittert.
Gemäß Art. 4 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.04.1871 (RGBl. 1871, S. 63) fiel die Gesetzgebung bei der Medizinalpolizei (= Gesundheitsaufsicht) in die Zuständigkeit des Reiches, jedoch nicht ausschließlich. Zum KGA Axel C. Hüntelmann: Hygiene im Namen des Staates. Das Reichsgesundheitsamt 1876–1933, Göttingen 2008. Das Gesundheitswesen in der Ministerialbürokratie des Kaiserreiches ist dagegen bisher noch kaum erforscht.
Indes blieb das Gesundheitswesen von einer Logik des Nachtwächterstaates geprägt. Unter Politikern, Beamten und den Fachprofessionen hatte sich ein teils expliziter, teils impliziter Ordnungskonsens ausgeformt, der dem Staat nur beschränkte Steuerungsund Eingriffsmöglichkeiten in die medizinische Welt zugestand und ihn im Kern auf polizeiliche Funktionen der Gefahrenabwehr reduzierte.
Niklas Lenhard-Schramm: Das Land Nordrhein-Westfalen und der Contergan-Skandal. Gesundheitsaufsicht und Strafjustiz in den »langen sechziger Jahren«, Göttingen 2016, S. 88–100; Hüntelmann: Hygiene, S. 74: »Bismarck hatte […] eine Behörde empfohlen, die allein den Reichskanzler in Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheitspflege beraten und weniger eine aktiv handelnde Wirkung entfalten sollte.« Tobias Weidner: Die unpolitische Profession. Deutsche Mediziner im langen 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2012. Siehe mit weiteren Nachweisen Lenhard-Schramm: Land, S. 88–100; Daemmrich: Pharmacopolitics, S. 10–11; zur ärztlichen Emanzipation von staatlichen Eingriffen und der Etablierung eigener Standesvertretungen Thomas Gerst: »Freiheit von beamtlicher Einmischung«. Auf dem Wege zur Professionalisierung ihres Berufsstandes strebten die Ärzte im 19. Jahrhundert zunächst in eine Gewerbeordnung, die sie von staatlicher Reglementierung befreite, in: Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), S. 2495–2497; Huerkamp: Aufstieg, S. 254–279.
Die verschiedenen Interessen und Rollenverständnisse waren mit verschiedenen normativen Vorstellungen und Ansprüchen verbunden, was enormes Konfliktpotenzial schuf und die Lösung zentraler Probleme im Arzneimittelwesen erschwerte. Dies galt namentlich für die Geheimmittel-Frage. Dabei handelte es sich um Präparate, die ohne Inhaltsangabe außerhalb der Apotheken verkauft wurden: oft als Universalheilmittel angepriesen und in großer Zahl den Markt flutend, aber nicht selten von minderwertiger Qualität.
Dazu eingehend Elmar Ernst: Das »industrielle« Geheimmittel und seine Werbung. Arzneifertigwaren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Würzburg 1975; ferner: Stapel: Arzneimittelgesetze, S. 34–37. Beschluss § 409, 23.05.1903, in: Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs 1903; Beschluss § 612, 27.06.1907, in: Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs 1907. Pharmazeutische Zeitung (PZ) 1903, S. 568, 995. Siehe diverse Intervention von Unternehmen und Landesregierungen in: Bundesarchiv (BArch), R 86/1688. Siehe zur Problematik der Regelungen aus Sicht der Apotheker auch: PZ 1906, S. 771–773, 781–783, 791–792. PZ 1906, S. 791. Aufstellungen einschlägiger Urteile in: PZ 1904, S. 253–255; PZ 1907, S. 885–887. Murswieck: Kontrolle, S. 271. Bereits im Januar 1908 hatte die Reichsregierung einen vorläufigen Gesetzentwurf veröffentlicht (in: PZ 1908, S. 115–117), der Beschränkungen und Verbotsmöglichkeiten für den Geheimmittelverkehr vorsah. Eingang in die parlamentarischen Beratungen fand dann der Entwurf eines Gesetzes gegen Mißstände im Heilgewerbe, 18.11.1910, in: Verhandlungen des Reichstags 227 (1911), Nr. 535. In der Begründung des Entwurfs wurden gesundheitspolitische und volkswirtschaftliche Argumente miteinander verbunden. So habe das Geheimmittelwesen »schwere wirtschaftliche und gesundheitliche Nachteile im Gefolge. Große Mengen Geldes werden alljährlich für meist wertlose Zubereitungen, denen fälschlicherweise geheimnisvolle Heilwirkungen beigelegt werden, vergeudet. […] Zu den finanziellen Verlusten kommen schwerwiegende gesundheitliche Benachteiligungen. Wenn auch vielfach die Geheimmittel nur aus unschädlichen Bestandteilen zusammengesetzt sind, so enthalten sie doch auch häufig Stoffe, die arzneilich nicht bedeutungslos sind, ja sogar stark wirkende Eigenschaften besitzen.« Zu den Gesetzen: Cornelia Regin: Selbsthilfe und Gesundheitspolitik. Die Naturheilbewegung im Kaiserreich (1889 bis 1914), Stuttgart 1995, S. 404–423. Diverse Stimmen aus der Apothekerschaft, Industrie und Politik sind wiedergegeben in: PZ 1910, S. 963–966, 973–974, 983–986, 993–994; PZ 1911, S. 136–137, 236–239; PZ 1912, S. 671. Zu Reichstagsdebatte und zum Scheitern des Gesetzes eingehend Regin: Selbsthilfe, S. 423–442.
Obgleich in der Folgezeit wiederholt ein Arzneimittelgesetz gefordert wurde,
Otto Anselmino: Apotheken-Betriebsordnungen, Berlin 1912, S. 2. Armin Linz: Entwicklung der Arzneimittelgesetzgebung bis 1947, in: PZ 89 (1953), S. 508–512, hier S. 509. Ulla Meinecke: Apothekenbindung und Freiverkäuflichkeit von Arzneimitteln. Darstellung der historischen Entwicklung bis zur Kaiserlichen Verordnung von 1901 unter besonderer Berücksichtigung des Kurfürstentums Brandenburg und des Königreiches Preußen, Marburg 1971, S. 83–84. Dass die Regelungen zur Apothekenpflicht auch die Apotheken wirtschaftlich schützen sollten, wurde später höchstrichterlich festgestellt: RG, VI 373/29, Urteil v. 20.03.1930, in: RGZ 128, S. 298. § 6 Abs. 2 GewO 1869: »Eine Verordnung des Bundespräsidiums wird bestimmen, welche Apothekerwaaren [sic] dem freien Verkehr zu überlassen sind.«
Bereits am 25. März 1872 erließ die Reichsregierung eine entsprechende Rechtsverordnung. Demnach waren die in Verzeichnis A aufgeführten Zubereitungen (etwa Salben oder Pillen), sofern sie »zu Heilzwecken« dienten, und die in Verzeichnis B gelisteten Stoffe (etwa Morphium oder Chloroform) vom freien Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen.
Verordnung, betreffend den Verkehr mit Apothekerwaaren [sic], 25.03.1872, in: RGBl. 1872, S. 85. Bei den Drogisten handelte sich um einen Berufsstand, der sich inzwischen fest etabliert hatte, der zahlreiche industriell gefertigte chemische und pharmazeutische Produkte vertrieb und der überwiegend von examinierten Apothekern betrieben wurde, denen aufgrund der strikten Regulierung der Apotheken eine entsprechende Apothekenkonzessionen verwehrt geblieben war. Meinecke: Apothekenbindung, S. 145–149, 159–168. Meinecke: Apothekenbindung, S. 154–155, zum Berufsstand allgemein S. 150–157. Verhandlungen des Reichstages, 1/IV, Bd. 1 (1873), S. 184–188; Drucksache Nr. 28, in: Verhandlungen des Reichstages Reichtages, 1/IV, Bd. 3 (1873), S. 151–153. Dazu: PZ 1873, S. 297–298, 353–354. Zur Öffentlichkeitsarbeit der Drogisten: Meinecke: Apothekenbindung, S. 156–157.
Wie sehr die Reichsgesundheitsverwaltung an einer konsensualen Regelung interessiert war, die die völlig konträren Normierungsinteressen zumindest teilweise harmonisieren sollte, wurde bald deutlich. Bereits 1874 berief das Reichskanzleramt eine Kommission ein, die unter Vorsitz des Medizinalbeamten Carl Louis Kersandt (1821–1892) und Beteiligung der betroffenen Interessengruppen eine Neuregelung ausarbeiten sollte.
Zu den Hintergründen: PZ 1874, S. 657. Die Kommission tagte in 4 Sitzungen vom 26.10. bis 28.10.1874 im RKA. Siehe die abgedruckten Protokolle in: PZ 1874, S. 753–754 (Zitate 753), 767–68, 773–774, 783–784. Verordnung, betreffend den Verkehr mit Arzneimitteln, 04.01.1875, in: RGBl. 1875, S. 5. Aus Verzeichnis B wurden etwa 42 gestrichen, während zugleich 49 neue Artikel aufgenommen wurden. Dazu und zu den Begriffspräzisierungen: Meinecke: Apothekenbindung, S. 188–194.
Die grundsätzlichen Probleme waren mit der neuen Verordnung nicht gelöst, weshalb auch die Kritik nicht abebbte. Unterdessen zeichnete sich ein tiefer Wandel des Arzneimittelsektors immer deutlicher ab. Während die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1883 die Zahl der Medikamentenverbraucher erheblich erhöhte,
§ 6 des KVG 1883 (RGBl. 1883, S. 73) gewährte erkrankte Versicherten die Versorgung mit Arzneien. Dazu Meinecke: Apothekenbindung, S. 188–194, allgemein auch Ritter: Sozialversicherung. Zum Aufstieg der Pharmaindustrie: Stapel: Arzneimittelgesetze, S. 20–50; Friedrich / Müller-Jahncke: Geschichte, S. 977–1076. BArch, R 86/2555, fol. 1, Einladungsschreiben KGA, 19.09.1887. Die nichtveröffentlichten Protokolle der Kommission, die vom 24.10. bis 29.10.1887 unter Vorsitz Köhlers im KGA tagte, finden sich in: BArch, R 86/2555, fol. 55–282, Mitgliederliste fol. 47–50. Siehe auch: BArch, R 86/2556. Verordnung, betreffend den Verkehr mit Arzneimitteln, 27.01.1890, in: RGBl. 1890, S. 9. Dazu auch: BArch, R 86/1579. Die VO wurde mehrfach aktualisiert (RGBl. 1895, S. 1, 455; RGBl. 1897, S. 707).
Allerdings blieben die Vorschriften ebenso unzureichend wie umstritten. Nicht nur waren die Listen bei ihrem Inkrafttreten längst überholt, vielmehr boten sich auch rechtliche Schlupflöcher.
Zum Beispiel konnten apothekenpflichtige Heilmittel, wenn sie als Vorbeugungsmittel deklariert waren und keine apothekenpflichtigen Substanzen enthielten, auch außerhalb von Apotheken legal verkauft werden. Zu diesen Problemen Stapel: Arzneimittelgesetze, S. 73–76, 83. Siehe zur Debatte im Reichstag: Verhandlungen des Reichstages, 9/IV, Bd. 4 (1896), S. 2521–2525; zur Petition der Drogisten vom 04.07.1896: Meinecke: Apothekenbindung, S. 202; BArch, R 86/1579. PZ 1898, S. 639–640. Zur Haltung Boettichers gegenüber den Drogisten Verhandlungen des Reichstages, 9/IV, Bd. 4 (1896), S. 1300. Die Kommission tagte am 08. und 09.09.1898 und am 13.06.1899; siehe: PZ 1898, S. 639–640. PZ 1899, S. 835–836, Apotheker-Zeitung (AZ) 1899, S. 715–716. Diverse Stellungnahmen in: AZ 1899, S. 716, 769–770; AZ 1900, S. 33–35; PZ 1899, S. 856, 865–866; PZ 1900, S. 253–254; zur Petition der Drogisten an den Reichstag: Verhandlungen des Reichstages, 10/II, Anlageband 3 (1901), Aktenstück Nr. 269.
Je mehr sich die Forderungen von außen verstärkten und sich dabei die Interessen und Begründungsmuster auffächerten, desto mehr setzte sich im KGA das Bestreben durch, am bestehenden System festzuhalten. Diesem Ansatz folgte auch die neue Verordnung, die am 22. Oktober 1901 erlassen wurde, in der Fachwelt bald nur noch als »Kaiserliche Verordnung« firmierte und letztlich bis 1969 gültig blieb. Während auch diese strukturell den vorigen Regelungen entsprach und die Verzeichnisse sowie einige Begrifflichkeiten anpasste, enthielt sie im ersten Teil eine wichtige Änderung. So ermächtigte die Vorschrift den Reichskanzler, »weitere, im Einzelnen bestimmt zu bezeichnende Zubereitungen, Stoffe oder Gegenstände von dem Feilhalten und Verkaufen außerhalb der Apotheken auszuschließen«.
Verordnung, betreffend den Verkehr mit Arzneimitteln, 22.10.1901 = KVO, in: RGBl. 1901, S. 380, § 4. Dazu auch: Meinecke: Apothekenbindung, S. 200–207. Bis 1918 wurde die KVO nur noch einmal geändert: am 31.03.1911 (RGBl. 1911, S. 181).
Neben der Apothekenpflicht wurde der Arzneimittelverkehr auch durch die Verschreibungspflicht reguliert. Seit dem 19. Jahrhundert erließen die Länder nach Übereinkunft im Bundesrat wiederholt Vorschriften über die Abgabe stark wirkender Arzneimittel, die nur gegen ärztliches Rezept an den Verbraucher abgegeben werden durften.
Mangels reichsgesetzlicher Grundlage wurde die Verschreibungspflicht durch landesrechtliche Vorschriften geregelt. Um eine reichseinheitliche Durchführung zu gewährleisten, stimmten sich die Länder seit 1891 im Bundesrat über »Vorschriften, betreffend die Abgabe stark wirkender Arzneimittel« ab. Siehe: Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs 1891, Drucksache Nr. 63, 23.06.1891; Beschluss § 410, 02.07.1891. Erste Überlegungen zur Vereinheitlichung waren bereits 1879 diskutiert worden, siehe: BArch R 1501/110205. Eine eingehende Anpassung der Vorschriften erfolgte auf 1896 (Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs 1896, Drucksache Nr. 37, 04.03.1896; Drucksache Nr. 48, 23.04.1896; Beschluss § 159, 12.03.1896; Beschluss § 293, 13.05.1896). Der Beschluss des Bundesrates wurde in Preußen im Ministerialblatt verkündet (MBliV 1896, S. 123). An dieses System wurde nach 1918/19 im Reichsrat angeknüpft, siehe dazu: Lenhard-Schramm: Land, S. 116–117; insgesamt auch: BArch R 1501/110380–110388. Die rechtliche Grundlage für die zuständigen Minister, die Verordnungen zur Verschreibungspflicht zu erlassen, bildete in Preußen § 136 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung, 30.07.1883, in: PrGS 1883, S. 195–236. Von einigen Ausnahmen abgesehen, wurde die Verschreibungspflicht in Deutschland erst mit einer Verordnung der Bundesregierung von 1968 (BGBl. I 1968, S. 914–938) einheitlich geregelt. Dies lässt sich am Beispiel des Schlafmittels Veronal nachvollziehen, das 1903 von der Firma Merck auf den Markt gebracht, aber erst 1908 der Verschreibungspflicht unterstellt wurde; siehe: BArch, R 1501/110392. Wie der Fall Contergan zeigt (dazu Lenhard-Schramm: Land, S. 120–121, 249–305), blieb dieses Problem im Prinzip bestehen, bis 1964 eine automatische Rezeptpflicht für neue Arzneistoffe eingeführt wurde (BGBl. I 1964, S. 365).
Wenngleich die Verschreibungspflicht der gleichen Regulierungsstruktur wie die Apothekenpflicht unterlag, war sie relativ unumstritten. Dieser Unterschied hing einerseits mit einer anders gelagerten gesundheitspolitischen Bedeutung der Verschreibungspflicht zusammen, ging es hier doch um potenziell gefährliche Stoffe, in deren Regulierung mit der Ärzteschaft ein machtvoller Akteur eingebunden war, der seine Kompetenzen keineswegs geschmälert sehen wollte. Nicht weniger relevant war andererseits die deutlich geringere wirtschaftliche Bedeutung verschreibungspflichtiger Mittel, die einen insgesamt deutlich kleineren Teil des Arzneimittelmarktes ausmachten. Aber auch hier hielten die Regierungen am Status quo fest, der ohne Gesetzesnovellen angepasst werden konnte, aufgrund der landesweisen Regelungen aber nicht unproblematisch blieb. Da sich mit diesen Regelungen nur der Vertrieb, nicht jedoch die Herstellung kontrollieren und regulieren ließ,
Stapel: Arzneimittelgesetze, S. 82–83.
Mit welcher Wucht die verschiedenen Ansprüche und Normierungsvorstellungen zur Arzneimittelregulierung aufeinanderprallen konnten und dadurch die administrative Erarbeitung einer neuen Gesamtregelung erschwerten, zeigte sich besonders deutlich ab 1919. Die demokratische Neuorganisation des Staatswesens bewirkte zunächst eine Pluralisierung der politischen wie administrativen Entscheidungsinstanzen, die durchaus unterschiedliche Interessen verfolgten. Während der Reichstag in Fragen der Arzneimittelregulierung erstaunlich still blieb, gewannen die obersten Reichsbehörden, die nun Verfassungsrang erhielten, weiter an Bedeutung. Auch die Lobbyverbände konnten ihren Einfluss ausbauen und erwirken, dass die Geschäftsordnung der Reichsministerien 1924 ein Anhörungsrecht der Fachverbände festschrieb.
Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien. Besonderer Teil (GGO II). Hrsg. v. RMI. Berlin 1924, § 27. Exemplar in: BArch, R 43-I/1957, fol. 46–62; zur Ausarbeitung derselben: BArch, R 1501/117047–117049. Gottfried Plumpe: Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft, Technik und Politik 1904–1945, Berlin 1990; Helmuth Tammen: Die I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft (1925–1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer Republik, Berlin 1978. Eingehend beschrieben von Wilhelm Bartmann: Zwischen Tradition und Fortschritt. Aus der Geschichte der Pharmabereiche von Bayer, Hoechst und Schering von 1935–1975, Stuttgart 2003.
Dies bedingte einen erhöhten Regelungsbedarf, denn die Arzneimittelherstellung außerhalb der Apotheken war nach wie vor rechtlich ungeregelt. Anstatt das Arzneimittelwesen direkt einer gesetzlichen Globallösung zuzuführen, wählte das RMI zunächst die bestehenden Regelungen als Ansatzpunkt und beschränkte sich darauf, die bereits existierende Liste apothekenpflichtiger Arzneimittel – jeweils einem Votum des nunmehrigen RGA entsprechend – punktuell zu ergänzen.
Die KVO von 1901 wurde in der Weimarer Republik 11 Mal geändert: am 18.02.1920 (RGBl. 1920, S. 253), 21.04.1921 (RGBl. 1921, S. 490), 31.07.1922 (RGBl. I 1922, S. 710), 13.01.1923, 23.06.1923, 16.11.1923 (RGBl. I 1923, S. 68, 511, 1117), 09.12.1924, 24.12.1924 (RGBl. I 1924, S. 772, 966), 27.03.1925 (RGBl. I 1925, S. 40), 26.01.1929 (RGBl. I 1929, S. 19) und 30.09.1932 (RGBl. I 1932, S. 492). Eine größere Änderung erfuhr die KVO dabei am 09.12.1924, als ihr ein weiteres Verzeichnis C zugefügt wurde, das dem Verzeichnis der »Vorschriften über den Verkehr mit Geheimmitteln« entsprach, die der Bundesrat 1903 erstmals auf Reichsebene erlassen hatte (siehe oben). Siehe zu den Änderungen die RGA-Vorgänge: BArch, R 86/5050–5055. BArch, R 1501/110457, fol. 2–3, Hauptverband deutscher Ortkrankenkassen an RMI, 14.05.1923. BArch, R 1501/110457, fol. 9–10, Deutscher Drogisten-Verband (DDV) an Reichstag, Juli 1923, mit Anlagen.
Hintergrund waren Pläne für ein Apothekengesetz, die seit den frühen 1920er Jahren von verschiedener Seite verstärkt ventiliert worden waren. Da dieses Vorhaben wegen der Komplexität der Materie vorerst nicht zu verwirklichen war,
Weingarten: Wirtschaftsaufsicht, S. 59. Die Probleme scheinen auch in den Regierungsakten des Öfteren auf. Siehe etwa: BArch, R 1501/110457, fol. 7, 24, 42–43. Da die reichsgesetzliche Regelung des Apothekenwesens nicht rasch realisierbar war, bat das RMI das RGA am 28.05.1923 um Einschätzung, ob eine Änderung der KVO »notwendig oder dringlich« sei: BArch, R 1501/110457, fol. 7. In einem Bericht an das RMI hatte das RGA bereits am 01.08.1921 die Schaffung eines »Mantelgesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln« angeregt: BArch, R 1501/110457, fol. 24, 65. BArch, R 1501/110457, fol. 19–24, RGA an RMI, 26.07.1923.
Das RMI reagierte auf diesen Vorstoß skeptisch bis abwartend. Erst einige Monate später, am 13. November 1923, bat es das RGA um »gefällige Äußerung, in welcher Richtung eine Abänderung der zur Zeit bestehenden Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln« befürwortet werde. Ziel war eine Beratungsgrundlage für ein Projekt, das von zahlreichen unterschiedlichen Interessen und Ansprüchen konterkariert zu werden drohte. Auch das RMI ging dabei von einem Mantelgesetz aus, das »im wesentlichen nur eine Ermächtigung für den Reichsminister des Innern zu enthalten hat, den Verkehr mit den vorgenannten Mitteln mit Zustimmung des Reichsrats zu regeln.«
BArch, R 1501/110457, fol. 25, RMI an RGA, 13.11.1923. Dazu zählten etwa so zentrale Bereiche wie die Herstellung von und der Verkehr mit Arzneimitteln (auch im Großhandel, mit Impfstoffen usw.), aber auch Fragen der Verschreibungspflicht, des Arzneibuchs oder der Arzneitaxe. Siehe: BArch, R 1501/110457, fol. 65–69, RGA an RMI, 19.05.1924; ferner: BArch, R 1501/110458, fol. 239–240, RGA an RMI, 04.10.1924. BArch, R 1501/110457, fol. 41, 73–75, Deutscher Industrie- und Handelstag an RMI, 28.11.1923; PZ an RMI, 02.09.1924. Das RGA lehnte diesen Entwurf der PZ ab, zumal er wegen detaillierter Regelungen der Idee eines allgemeinen Mantelgesetzes widersprach: BArch, R 1501/110458, fol. 239–240, RGA an RMI, 04.10.1924.
Doch angesichts gegensätzlicher Normierungsansprüche bremste das RMI den Plan einer gesetzlichen Gesamtlösung bald wieder aus und richtete den Blick erneut auf eine Änderung der Kaiserlichen Verordnung von 1901. Das RMI sandte am 9. September 1924 ein Rundschreiben an die Länder, das vom RGA entworfen worden war, welches sich auch grundsätzliche »Fingerzeige« über die Haltung der Länder zur künftigen Entwicklung des Arzneimittelrechts erhoffte.
BArch, R 1501/110457, fol. 83, RGA an RMI, 07.08.1924, mit Anlagen. BArch, R 1501/110457, fol. 90–92, RMI an die Landesregierungen, 09.09.1924. Dementsprechend war das RMI (BArch, R 1501/110457, fol. 90) zunächst davon ausgegangen, »einer Änderung der Verordnung nicht nähertreten zu sollen.«
Das Rundschreiben wurde bald auch den Fachverbänden bekannt, die nunmehr ihre Einwirkungsversuche auf das RMI forcierten.
In der PZ 1924, S. 983–985, wurde der Inhalt des Rundschreibens deutlich kritisiert, da man in ihm vor allem die Positionen der Nicht-Apotheker vertreten sah. Da dies »unter dem Drucke der rührigen Agitation der Gegenparteien« zustande gekommen und »die Initiative den Händen der Apotheker längst entglitten« sei, bat der DAV, ihm die Umfrageergebnisse zugänglich zu machen und dazu gehört zu werden. Das RMI wies dieses Ansinnen mit dem Hinweis zurück, dass »eine Anhörung der Interessenten in dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht beabsichtigt« sei: BArch, R 1501/110457, fol. 93, 94, DAV an RMI, 16.10.1924; RMI an DAV, 20.10.1924. Vor allem aber sah sich das RMI mit einer regelrechten Flut von Eingaben von Drogisten und »biochemischer Vereine« konfrontiert, die ebenfalls Vorschläge für rechtliche Reformen übersandten (BArch, R 1501/110457, fol. 95–312). BArch, R 1501/110458, fol. 226–227, Vermerk RMI, 19.04.1926. BArch, R 1501/110458, fol. 242–243, RMI an RGA, 23.04.1926. Dort auch Hinweise auf Standpunkte der Länder. RMI an die Landesregierungen, 09.09.1924, abgedruckt in: PZ 1926, S. 931–933.
Im RGA wurde daraufhin vor allem durch Oberregierungsrat Armin Linz (1889–1982) ein Gesetzentwurf erarbeitet.
Siehe zu Armin Linz: Deutsche Apotheker-Zeitung (DAZ) 1959, S. 570–571; PZ 1982, S. 968; NDB 14, S. 639. Siehe etwa BArch, R 1501/110458, fol. 474–475, RGA an RMI, 20.08.1926. Siehe im Vorgang des RMI (BArch, R 1501/110458) etwa die Eingaben des DDV (Bl. 332–333), des DAV (Bl. 452–453) oder des Zentralverbandes der chemisch-technischen Industrie (Bl. 466–467). Diverse weitere Eingaben in selbiger Akte. Hinzu kamen auch informatorische Gespräche den Fachverbänden (Bl. 471–472). Siehe etwa BArch, R 1501/110458, fol. 452–453, RGA an RMI, 28.06.1927. Zum Reichsgesundheitsrat: Thomas Saretzki: Reichsgesundheitsrat und Preußischer Landesgesundheitsrat in der Weimarer Republik, Berlin 2000. So RGA-Präsident Carl Hamel (1870–1949) vor dem Reichstag am 26.03.1928, in: Verhandlungen des Reichstags 395 (1928), S. 13740; Linz: Entwicklung, S. 509. Siehe etwa: BArch, R 86/5054, Eingabe des DDV, 29.05.1929; Eingabe des Reichsverbandes des pharmazeutischen Großhandels, Okt. 1929, in: AZ 1929,
Nach der grundsätzlichen Zustimmung durch die Länder ging der Entwurf an die Reichsministerien. Im Reichswirtschaftsministerium (RWM), bis dahin noch kaum involviert, stieß der Entwurf auf Ablehnung, da er dort als nicht hinnehmbares Industriehemmnis galt. Durch eine bewusste Indiskretion des RWM gelangte er Ende 1930 an die Öffentlichkeit und wurde in diversen Fachorganen abgedruckt.
Zuerst (16.12.1930) abgedruckt in: Süddeutsche Apotheker-Zeitung (SAZ) 1930, S. 704–706. Bald folgten auch andere Fachzeitschriften: PZ 1930, S. 1471–1473; AZ 1930, S. 1628–1630. Zur Indiskretion des RWM: Hornung: Arzneimittelgesetzeskunde, S. 99; Linz: Entwicklung, S. 509. Zitat in: Chemisch-technische Zeitschrift 1931, Nr. 15/16. Siehe auch vielstimmige Kritik in: AZ 1931, S. 100–101, 117–118, 182–183, 220 und passim, eine erste Zusammenfassung der Debatte S. 1043–1045. Linz: Entwicklung, S. 510.
Das RMI geriet nun zusehends unter Druck. Nachdem es den tatsächlichen Gesetzentwurf bereits den Ländern zur Stellungnahme übersandt hatte, ließ es diesen Entwurf auch in der pharmazeutischen Fachpresse veröffentlichen.
Der amtliche Entwurf eines Reichsarzneimittelgesetzes, in: PZ 1931, S. 73–75; SAZ 1931, S. 54–56. Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln und Giften (Arzneimittelgesetz), in: 2. Beiheft zum Reichs-Gesundheitsblatt 6 (1931), S. 63–77 (Beilage zu Nr. 34); SAZ 1931, S. 490–498; BArch, R 86/3078, RMI an RGA, 11.12.1931. Zu Stellungnahmen von Industrie, Apothekern und Drogisten siehe die vielen Äußerungen: AZ 1931, S. 1220, 1265–1266, 1450–1451, 1532–1533, 1557–1558, 1589, 1622–1623; PZ 1931, S. 1045–1046, 1059, 1087–1088, 1261–1263, 1281–1282, 1352–1353, 1394–1395, 1436–1437; SAZ 1931, S. 652. Siehe auch Linz: Entwicklung, S. 510. BArch, R 86/3078, RMJ an RMI, 19.08.1931; Vermerk RMI, 28.08.1931; RMI an RGA, 28.08.1931.
Angesichts des energischen Widerstandes ließ das RMI den Entwurf vom RGA abermals überarbeiten.
BArch, R 86/3078, RMI an RGA, 11.12.1931. BArch, R 86/3078, RMI an die Landesregierungen, 02.02.1932. Siehe dort den Entwurf (Anlage 1) samt Begründung der wichtigsten Änderungen (Anlage 2). Auch abgedruckt in: PZ 1932, S. 219–221 (siehe auch S. 327, 367); SAZ 1932, S. 110–113. BArch, R 86/3078, RMI an die Landesregierungen, 02.02.1932; Verfügung RGA, 09.03.1932: »Ich bitte, die Angelegenheit vertraulich zu behandeln, was nicht ausschließt, daß der Entwurf in einem engeren Kreise der Interessenten zur Erörterung gestellt wird. Keineswegs aber darf der Entwurf der Presse zum Abdruck, auch nicht auszugsweise, oder zur Besprechung übergeben werden.« BArch, R 86/3078, Vermerk RGA, ohne Datum; Niederschrift über die Beratung des Reichsgesundheitsrates vom 07.04.1932. Siehe auch: Hornung: Arzneimittelgesetzeskunde, S. 99. Die waren der Verband der chemisch-pharmazeutischen Großindustrie (Cepha) und der Verband pharmazeutischer Fabriken; deren Stellungnahmen in: BArch, R 86/3078, Beratungen des Reichsgesundheitsrates vom 21. und 22.03.1932. Siehe auch: Wolfgang Wimmer: »Wir haben fast immer was Neues«. Gesundheitswesen und Innovationen der Pharma-Industrie in Deutschland, 1880–1935, Berlin 1994, S. 71, mit Anm. 181; Ernst Urban: Gedanken über den Arzneimittelgesetzentwurf, in: PZ 1932, S. 425–427, hier S. 425 (siehe auch S. 367). Kritik kam dagegen vom Zentralverband der chemisch-technischen Industrie, siehe die zitierten Beratungen sowie: PZ 1932, S. 237–238, 327. Am 07.04.1932 folgte eine weitere Beratung mit Vertretern von Interessengruppen, die von sekundärer Bedeutung für das Gesetz waren (etwa Werbe-Branche, Kosmetik-Industrie usw.). BArch, R 86/3078, Niederschrift über die Sitzungen des Reichsgesundheitsrates vom 21. und 22.03.1932. Siehe neben weiterem Material in dieser Akte auch Ernst Sontag: Entwurf eines Arzneimittelgesetzes (Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln und Giften), Berlin 1932; Wimmer: Neues, S. 71. Diverse Petitionen und Widerstände, unter anderem der Süßwaren-Industrie und von Konsum- und Handelsverbänden, sind dokumentiert in: BArch, R 86/3078. So wurde zumindest der Zentralverband der chemisch-technischen Industrie informiert, siehe dessen Rundschreiben Nr. 18/32, 23.03.1932, in: BArch, R 86/3078. Zum Fortgang der Arbeiten in der zweiten Jahreshälfte 1932, die sich im Wesentlichen auf Frage der Berücksichtigung von Arzneimittelmustern beschränkte, siehe: BArch, R 86/3078.
Dass die Reichsgesundheitsbehörden in der Weimarer Republik gewillt und prinzipiell auch in der Lage waren, reichsgesetzliche Vorschriften im Arzneimittelwesen einzuführen, zeigt das Opiumgesetz von 1929.
Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Opiumgesetz), 10.12.1929, in: RGBl. I 1929, S. 215.
Im NS-Regime änderten sich seit Januar 1933 die nicht nur allgemeinen politischen, sondern auch die administrativen Rahmenbedingungen. Trotz Gleichschaltung der Bürokratie und Einführung des »Führerprinzips« mutierte das Gesundheitswesen nun schrittweise zu einem polyzentrisch strukturierten Kräftefeld, auf dem diverse Akteure (Staat, Partei, Sonderbevollmächtigte, Fachverbände usw.) in bisweilen unscharfer Kompetenzabgrenzung teils gemeinsame, teils gegensätzliche Interessen und Normierungsziele verfolgten.
Dazu umfassend Winfried Süß: Der »Volkskörper« im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939–1945, München 2003, S. 43–178. Armin Linz: Arzneimittelgesetzentwurf in der Fassung von 1933, in: Die Pharmazeutische Industrie 12 (1950), S. 57–61, hier S. 57.
Der im RGA zuständige Referent Linz wies die »Schuld« für das Scheitern in der Rückschau dem vorgesetzten Ministerium zu. Die Verbitterung über die ideologisch motivierte Obstruktion von oben trat dabei klar hervor:
Linz: Arzneimittelgesetzentwurf, S. 57.
Vor diesem Hintergrund kam es vorerst zu einem arzneimittelrechtlichen Stillstand.
Zwar wurde die KVO am 04.10.1933 noch einmal geringfügig geändert (RGBl. I 1933, S. 721), doch war dies die letzte Änderung bis zu ihrem Außerkrafttreten im Jahr 1969. Reichsapothekerordnung, 18.04.1937, in: RGBl. I 1937, S. 457. Siehe zur NS-Gleichschaltung und Verdrängung jüdischer Apotheker: Gerald Schröder: NS-Pharmazie. Gleichschaltung des deutschen Apothekenwesens im Dritten Reich, Stuttgart 1988; Frank Leimkugel: Wege jüdischer Apotheker. Die Geschichte deutscher und österreichisch-ungarischer Pharmazeuten, Frankfurt am Main 1991; insgesamt auch: Caroline Schlick: Apotheken im totalitären Staat. Apothekenalltag in Deutschland von 1937 bis 1945, Stuttgart 2008. Alfred Haug: Die Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde (1935/36). Ein Beitrag zum Verhältnis von Schulmedizin, Naturheilkunde und Nationalsozialismus, Husum 1985. Gerald Schröder: Die »Wiedergeburt« der Pharmazie. 1933 bis 1934, in: Herbert Mertens / Steffen Richter (Hg.): Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie. Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des Dritten Reichs, Frankfurt am Main 1980, S. 166–188. Ulrich Meyer: Pharmazeutische Industrie und NS-Staat, in: Akten des 35. Internationalen Kongresses für Geschichte der Pharmazie Luzern, 19.–22.9.2001, Liebefeld 2004 (CD); Ulrich Meyer: Pharmazeutische Industrie und »Neue Deutsche Heilkunde«, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 23 (2005), S. 165–182. Bereits 1933 hatte sich die Reichsfachschaft der pharmazeutischen Industrie (Reipha) gebildet, die noch im gleichen Jahr eine verbandseigene Zeitschrift (»Die Pharmazeutische Industrie«) und die Erstauflage der Roten Liste herausgegeben hatte. Siehe dazu allgemein: Friedrich/Müller-Jahncke: Geschichte, S. 568–570, 1036–1039. Am 20.04.1934 kam es in der Reichskanzlei zur Gründung eines Ständigen Ausschusses, der bestehende und künftige Gegensätzlichkeiten zwischen Apothekern, Industrie und Ärzten beseitigen sollte, siehe: Meyer: Pharmazeutische Industrie und NSStaat, o. S.
In der Reichsverwaltung wurde dennoch weiter an einem Arzneimittelgesetz gearbeitet. 1938 legte das RGA einen neuen (fünften) Gesetzentwurf vor, der insgesamt sehr allgemein gehalten war.
BArch, R 86/4054, Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln und Giften (Arzneimittelgesetz). Abgedruckt in: PZ 1950, S. 682–683; Rotthege: Entstehung, S. 288–292 (dort auf 1939 datiert, siehe zur Erläuterung des Entwurfs S. 96–105). Siehe auch dessen Verfasser: Linz: Arzneimittelgesetzentwurf, S. 57–58. BArch, R 86/4054, Entwurf der Begründung zum Arzneimittelgesetz. Linz: Entwicklung, S. 511. Laut Hornung: Arzneimittelgesetzeskunde, S. 99, erhob auch das preußische Finanzministerium Einspruch gegen den Entwurf. Über die Hintergründe ist nichts bekannt.
Eine Zäsur auch für die Arzneimittelregulierung bedeutete der Zweite Weltkrieg, der hier große Dynamisierungseffekte schuf. Die Verknappung kriegswichtiger Ressourcen und die damit verbundenen Zwänge zur Wirtschaftslenkung hatten ihren institutionellen Ausdruck im Ministerrat für die Reichsverteidigung gefunden, der seit 1939 als eine Art »Kriegskabinett« fungierte und mittels Umlaufverfahren faktisch die Gesetzgebungsmacht übernommen hatte, die nach dem Ermächtigungsgesetz der – nicht mehr tagenden – Reichsregierung zukam.
RGBl. I 1939, S. 1539. Mit Verordnung vom 13.03.1941 (RGBl. I 1941, S. 136) durften verschreibungspflichtige Arzneimittel nur noch in Apotheken »feilgehalten oder verkauft« werden. Zudem legte eine Polizeiverordnung vom 29.09.1941 (RGBl. I 1941, S. 587) fest, dass sich ein Großteil der Werbung nur an ein Fachpublikum richten durfte (zur Gültigkeit nach 1945: BArch, B 142/1433, 1437–1438). Bereits am 23.12.1939 hatte der Ministerrat die Gewerbeordnung dahingehend geändert, dass Änderungen der Apothekenpflicht künftig »im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister« zu beschließen seien (RGBl. I 1940, S. 21; dazu auch: BArch, R 43-II/737, fol. 34–43). Süß: Volkskörper, S. 185. BArch 1501/3809, Leonardo Conti: Die Arzneimittelversorgung. Süß: Volkskörper, S. 184–187
Infolgedessen griffen die staatlichen Instanzen, teils in Konkurrenz, teils in Kooperation, seit 1942/43 immer tiefer in die Arzneimittelherstellung ein. Bereits Anfang 1942 hatte der RMI Wilhelm Frick (1877–1946) in seiner Funktion als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung (GBV) eine Verordnung für die Herstellung von Arzneifertigwaren ausarbeiten lassen. Laut Frick war diese Verordnung »kriegswichtig, da sie dazu dient, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Deutschen Volkes und seines Tierbestandes während des Krieges sicher zustellen [sic].« Frick leitete den Regelungsbedarf hier also von Beginn aus einer gesundheitspolitischen Normativität her. Nach dem Entwurf wurde die Herstellung neuer Arzneifertigwaren »mit sofortiger Wirkung verboten.« Die Regelung sollte grundsätzlich nicht für bereits im Verkehr befindliche Präparate oder in den Apotheken hergestellte Arzneimittel gelten. Des Weiteren war die Möglichkeit vorgesehen, die Verordnung im Einzelfall auch auf bereits im Verkehr befindliche Mittel auszudehnen. Für die Herstellung neuer Arzneifertigwaren war ferner die Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen vorgesehen.
BArch, R 43-II/737, fol. 45, GBV an den Ministerrat für die Reichsverteidigung, 18.02.1942.
Während dem GBV die Zustimmung der anderen Ministerratsmitglieder als bloße Formsache erschien,
BArch, R 43-II/737, fol. 45, GBV an den Ministerrat für die Reichsverteidigung, 18.02.1942. BArch, R 43-II/737, fol. 47, Der Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches an den Herrn Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, 25.02.1942. BArch, R 43-II/737, fol. 47, RMEL an den Herrn Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, 28.02.1942. BArch, R 43-II/737, fol. 54–55, RWM an den Herrn Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, 28.02.1942.
Der GBV hatte inzwischen eine Stellungnahme aus der Abteilung Volksgesundheit des RMI eingeholt. Darin wies das Ministerium den Einwand zurück, es gebe seit 1939 andere rechtliche Bewirtschaftungsvorschriften, um die Arzneimittelherstellung zu regulieren. Diese ermöglichten es nämlich allein dem Wirtschaftsminister, hier regelnd einzugreifen, ihr Sinn sei also
Unverkennbar standen hier wirtschafts- und gesundheitspolitische Normen in Konflikt: Während das Wirtschaftsressort hier vor allem ein Problem der Ressourcenverteilung erkannte (die bereits durch andere Vorschriften weitgehend geregelt war), betonte die oberste Reichsgesundheitsbehörde die »abwegige Entwicklung« des deutschen Arzneimittelwesens, die sich nun »katastrophal« zuzuspitzen drohe, zumal bald »selbst die kriegswichtigen Arzneimittel nicht mehr vorhanden« sein werden.
BArch, R 43-II/737, fol. 53, GBV an den Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches, 24.03.1942, darin die Stellungnahme des RMI. BArch, R 43-II/737, fol. 53, GBV an den Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches, 24.03.1942.
Der RMI versuchte nun, Druck zu machen. Er bestand auf der »sofortigen Inkraftsetzung« der Verordnung und bat um »die persönliche Entscheidung des Herrn Reichsmarschalls, an den ich mich direkt gewandt habe«. Beiläufig erwähnte das Schreiben, »daß der Reichsführer SS die vorgeschlagene Verordnung sehr begrüßt hat.«
BArch, R 43-II/737, fol. 53, GBV an den Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches, 24.03.1942
Trotz aller Beschleunigungsversuche des RMI scheiterte die rasche Durchsetzung der Verordnung an den unterschiedlichen Normierungsvorstellungen der involvierten Verwaltungsstellen. Nachdem der Reichsmarschall seine Bedenken zurückgestellt hatte, konnte auch der RMEL nach einigen formalen Änderungen für einen neu gefassten Entwurf gewonnen werden. Erst als die Bestimmung gestrichen wurde, das Herstellungsverbot auch auf einzelne, bereits im Verkehr befindliche Arzneifertigwaren ausdehnen zu können, erhob auch der RWM keine Bedenken mehr.
BArch, R 43-II/737, fol. 56, GBV an den Ministerrat für die Reichsverteidigung, 26.11.1942. BArch, R 43-II/737, fol. 58, GBW an GBV, 14.12.1942. BArch, R 43-II/737, fol. 60–61, Reichskanzlei, Verfügung, 16.01.1943, siehe auch fol. 62–65. Verordnung über die Herstellung von Arzneifertigwaren, 11.02.1943, in: RGBl. I 1943, S. 99.
Die Durchführungsvorschriften der Stoppverordnung legte der RMI vom 17. Mai 1943 im Einvernehmen mit den anderen Ressorts fest. Sie enthielten Begriffspräzisierungen, konkretisierten den Geltungsbereich der Verordnung und regelten die Modalitäten der Ausnahmegenehmigung. So hatten Pharmahersteller ihren Anträgen
Runderlass RMI, 17.05.1943, in: MBliV 1943, Sp. 865, Zitate Sp. 867f.
Auch wenn der Gesundheitsverwaltung damit gewisse Richtlinien an die Hand gegeben waren, war der behördliche Ermessensspielraum letztlich nicht weiter begrenzt, denn ein Anspruch auf Ausnahmegenehmigung bestand nicht – mit Blick auf die Verwaltungsvorschriften verblieb das Handeln der Beamten zu wesentlichen Teilen in einem nur schwach normativierten Rahmen.
Über den Gegensatz zwischen wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Ansprüchen waren sich auch diejenigen Beamten klar, die die Stoppverordnung in der Praxis durchführten. Während die formale Erteilung von Zulassungs- und Ablehnungsbescheiden dem RMI oblag, fiel die (letztlich entscheidende) fachliche Prüfung und Beurteilung dem RGA zu, namentlich der Abteilung für Physiologie und Pharmakologie. Wie deren Leiter Gerhard Kärber (1901–1989) nach dem Krieg darlegte, habe das RGA die Prüfung als »gesundheitspolitische Aufgabe« gesehen.
Gerhard Kärber: Die Durchführung der Ministerratsverordnungen über die Herstellung von Arzneifertigwaren (1943–1945), in: PZ 1951, S. 376–382, hier S. 377. So wies Kärber: Durchführung, S. 381, etwa darauf hin, dass die formale Erteilung der Bescheide durch das RMI für das RGA eine »gewisse Entlastung« brachte. Kärber: Durchführung, S. 381. Nicht ohne unterschwelligen Stolz hob Kärber den »Ruhm der Unbestechlichkeit« hervor, den das RMI dem RGA attestiert habe (S. 377).
Die Arzneimittelregulierung im Deutschen Reich war zwischen 1871 und 1945 von tiefen Gegensätzen geprägt. Einerseits handelte es sich um ein Feld, auf dem von Beginn an ein enormer Reformbedarf gesehen wurde, weil ein grundlegender Wandel der pharmazeutischen Welt das zunächst noch vormoderne Regulierungsgefüge zusehends als unzulänglich erscheinen ließ. Andererseits gelang eine wirkliche Reform dieses Gefüges nicht, obwohl sich alle beteiligten Akteure über die Notwendigkeit einer Anpassung an die Strukturen des sich modernisierenden und industrialisierenden Pharmasektors im Klaren waren. Die Arzneimittelregulierung war und blieb dabei ein komplexes System, in dem verschiedene Akteure widerstreitende Ziele mit unterschiedlichen Mitteln verfolgten – also stets aus anderen normativen Kontexten heraus agierten. Dabei entfaltete sich vor allem ein normativer Grundantagonismus. Auf der einen Seite stand das gesundheitspolitische Normengebäude, das sich vornehmlich an medizinischen Maßstäben ausrichtete und insbesondere mit ärztlichen Argumenten operierte. Hiernach war die Volksgesundheit das oberste Gut, dessen Schutz nicht zuletzt durch eine striktere Regulierung erreicht werden sollte. Demgegenüber stand ein ökonomischmarktliberales Normengebäude, das seine rechtliche Entsprechung in der Gewerbefreiheit fand. Demnach war die Einschränkung von Arzneimittelherstellung und -abgabe nur insoweit akzeptabel, wie es unumgänglich notwendig war.
Auch wenn dieser Gegensatz durch querliegende Konfliktlinien (Reich vs. Länder, Fachamt vs. Regierungsbehörde, Schulmedizin vs. Alternativmedizin usw.) unterlaufen wurde, traten die Gesundheits- und die Wirtschaftspolitik mit ihren je eigenen Zielen und Ordnungslogiken als die beiden prägenden und weitgehend konstanten normativen Zugänge deutlich hervor. Freilich waren auch sie nicht scharf voneinander zu trennen. Typisch war vielmehr eine wechselseitige Durchdringung gesundheitspolitischer und wirtschaftlicher Maximen. Auch medizinischpharmazeutische Professionen argumentierten ökonomisch, wenn sie die Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeit als unumgängliche Voraussetzung für medizinisch einwandfreies Handeln reklamierten. Umgekehrt argumentierten auch primär wirtschaftliche Akteure, namentlich die Drogisten und die Industrie, medizinisch, wenn sie betonten, dass (volks-)wirtschaftliche Ziele nur auf einem soliden gesundheitspolitischen Fundament zu verwirklichen seien.
Aufs Ganze gesehen, zeigten sich die Reichsbehörden mit dem administrativen Management dieses Normenund Interessenkonfliktes völlig überfordert. Dies galt vor allem für die gesetzesvorbereitende Verwaltung: das primäre Handlungsfeld der Reichsbürokratie. Diese folgte traditionell einer nachtwächterstaatlichen Regulierungslogik, nach der sich der Staat (auch) aus der Arzneimittelregulierung weitgehend herauszuhalten und diese den Fachkreisen zu überlassen hat. Damit einher ging eine konsensuale Ausrichtung des staatlichen Amtshandelns. Rechtliche Normsetzung sollte allein im Einklang mit den involvierten Fachkreisen erfolgen, ja bestenfalls nur Anregungen der Experten in Gesetze übertragen. Doch mit dem Wandel der pharmazeutischen Sphäre, insbesondere mit dem Aufkommen neuer, verstärkt wirtschaftlich orientierter Professionen (Drogisten, Industrie), kam es zu einem normativen Patt zwischen ökonomischen und medizinischen Maximen, der auch deshalb kaum aufzulösen war, weil sich beide Normativitäten gegenseitig durchdrangen. Eingewoben in diesen widersprüchlichen Anspruchskontext konnten die Reichsbehörden in ihrem traditionell passiven Rollenmodus kaum mehr adäquat auf die gegensätzlichen Normierungsansprüche reagieren. Dadurch wurde die bürokratisch-legislative Neuregelung des Arzneimittelwesens, obgleich dringend eingefordert, weitgehend gelähmt. Um einen Weg aus dieser regulativen Sackgasse zu finden, behalfen sich die Reichsbehörden zunächst damit, bestehende Regelungen zur Apothekenpflicht geringfügig zu modifizieren. Damit provozierten sie aber weiteren Widerstand und prolongierten den grundsätzlichen Normenkonflikt zwischen Gesundheit und Wirtschaft.
Das Ziel einer gesetzlichen Gesamtlösung war vor diesem Hintergrund kaum zu verwirklichen. Alle Versuche des RGA und des RMI, ein tragfähiges Arzneimittelgesetz zu schaffen, waren von dem Bemühen geleitet, es auf einen allseitigen Minimalkonsens zu gründen. Doch die verschiedenen Ziele und Ordnungsvorstellungen aller beteiligten fachlichen und staatlichen Akteure blieben derart widersprüchlich, dass man sich bei den Entwürfen nur zu einem Mantelgesetz durchringen konnte, das sich neben einigen Legaldefinitionen zentraler Begriffe auf Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen beschränkte. Damit sollte der rechtliche Status quo einstweilen beibehalten und nur behutsamevolutionär weiterentwickelt werden. Jedoch war den Versuchen, den disparaten Normierungsansprüchen mit Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen zu begegnen, kein Erfolg beschieden, zumal sich mit der Zeit auch die Vorstellungen in der Reichsbürokratie immer weiter auseinanderdividierten. Während das RGA als Gesundheitsbehörde eher der medizinischen Normativität verhaftet blieb, war das RMI eher auf einen Ausgleich mit der Wirtschaft bedacht, zumal sich seit den 1930er Jahren mit dem RWM ein mächtiger Akteur auf interministerieller Ebene einschaltete. Im NS-Regime kamen dann alternativmedizinische Ordnungsideen hinzu, die einen Regulierungskonsens zunächst in weite Ferne rückten. Erst die mit dem Weltkrieg verbundenen Regulierungszwänge ermöglichten dann 1942/43, was in den sieben Jahrzehnten zuvor stets gescheitert war: eine gesetzliche Regelung des Arzneimittelwesens außerhalb der Apotheken.
Nach 1945/49 sollte der Konflikt zwischen Wirtschafts- und Gesundheitspolitik in der Arzneimittelregulierung wiederaufflammen. Dies führte dazu, dass Bund und Länder an der rechtlich fragwürdigen Stoppverordnung von 1943 festhielten, weil sich eine rechtliche Gesamtlösung als nur schwer durchführbar erwies.
Die »Stoppverordnung« wurde am 08.01.1959 vom Bundesverfassungsgericht als nichtig erklärt, siehe: BVerfGE 9 (1959), S. 83. Zur Fortgeltung nach 1945 und den damit verbundenen Problemen: BArch, B 142/1432. Lenhard-Schramm: Arzneimittelregulierung.