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Studying from the Sofa. Contribution to the HoGe conference 2018 „Digital learning and teaching“ / Studieren vom Sofa aus.Beitrag zur HoGe–Tagung 2018 „Digitales Lernen und Lehren“


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Einleitung

Am 1.10.2018 ging an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin ein neues Online-Studienangebot mit 43 Pilotstudierenden an den Start. Der Bachelorstudiengang „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung – online“ richtet sich an berufserfahrene, dreijährig ausgebildete Logopäden/-innen, Physio- und Ergotherapeuten/-innen und Pflegekräfte incl. Alten- u. Kinderkranken-bzw. Kindergesundheitspflege. Im Rahmen des Forschungsprojektes HCP (Health Care Professionals) wurde der Studiengang von einem sechsköpfigen interprofessionellen Wissenschaftlerinnenteam über drei Jahre an der öffentlichen Alice-Salomon-Hochschule Berlin (ASH) entwickelt. Bis Ende Juli 2020 werden das berufsbegleitende Studienformat, das mediendidaktische online-basierte Konzept und die Inhalte erprobt und evaluiert. Nach Zustimmung des Akademischen Senats der Hochschule wird der Studiengang ab Wintersemester 2020/21 als landesfinanziertes Regelstudium jährlich mit 40 Studienplätzen angeboten.

Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des 2008 gestarteten Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ als Teil der Qualifizierungsinitiative zur Steigerung der Bildungschancen aller Bürgerinnen und Bürger (BMBF, 2018). Eine zweite Wettbewerbsrunde startete im August 2014, an der, neben der ASH, bundesweit insgesamt 69 Zuwendungsempfänger beteiligt sind, darunter 41 Fachhochschulen.

Strukturelle Kernansprüche

Ziel des Wettbewerbs ist es, das „Fachkräfteangebot dauerhaft zu sichern, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu verbessern, neues Wissen schneller in die Praxis zu integrieren und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftssystems durch nachhaltige Profilbildung im lebenslangen wissenschaftlichen Lernen und beim berufsbegleitenden Studium zu stärken“ (BMBF, 2018). Dabei stehen besonders Berufstätige, Personen mit Familienpflichten und Berufsrückkehrer/-innen im Fokus nachhaltiger Bildungskonzepte.

Für die Entwicklung des Studienangebots ergaben sich daraus für das Wissenschaftlerinnenteam vier wichtige strukturelle Kernansprüche:

Akademisierungsangebot für Berufstätige mit Berufsfachschulabschluss

Durchlässigkeit durch Wegfall von Studiengebühren - In Zeit und Ort möglichst flexibles, berufsbegleitendes Studieren

Enge Verzahnung von beruflicher und akademischer Bildung.

Neben einer breit angelegten nationalen wie internationalen Literaturrecherche wurden in der ersten Förderphase standardisierte Online-Befragungen bundesweit unter den Angehörigen der oben benannten Gesundheitsfachberufe durchgeführt. Hier wurden Aspekte der Arbeitssituation und das berufsbegleitende Studieren der Zielgruppe mittels leitfadengestützter Interviews zu studienbegünstigenden Faktoren und Strukturen erfragt (Hollweg, 2019; Blümke et al., 2017; Hollweg et al. 2016).

Des Weiteren wurden Experten/-innen aus der Praxis zu benötigten Kompetenzen und Inhalten in der Praxis befragt und Wissenschaftsexperten/-innen zu ihren Erfahrungen mit Online-Studiengängen interviewt (Beck et al. 2016).

Eine wichtige Säule war und ist im gesamten Entstehungsprozess die Rückkopplung in den gegründeten Praxisbeirat

Bestehend aus Arbeitgeber/-innen der Gesundheitsfachberufe, Pädagogen/-innen, Wissenschaftler/-innen, Krankenkassen- und Verbandsvertreter/-innen.

, der das Projekt begleitet und immer wieder den Aspekt der Theorie mit der Praxisverknüpfung fokussiert.

Interprofessionelle Zusammenarbeit als inhaltlicher Kernanspruch

Die Befragung von Führungskräften aus Pflege und Therapie zu interprofessioneller Zusammenarbeit ergab, dass ein starker Wunsch nach und der Bedarf an interprofessioneller Zusammenarbeit in den Arbeitsteams besteht, dass aber die Realität in den Arbeitsfeldern noch weit davon entfernt ist. Sowohl aus der Gruppe der bereits beruflich qualifizierten Studieninteressierten aus Pflege und Therapie als auch der mittleren Führungsebene besteht, laut Befragung, großes Interesse an Kompetenzweiterentwicklung auf Hochschulniveau (Beck et al., 2017; Räbiger & Beck, 2017).

Retchin (2008) beschreibt, wie die Zunahme von Multimorbidität in der Gesellschaft den Fokus verschiebt von Interventionen bei kritischen Akutsituationen, hin zu chronifizierenden und langwierigen Krankheitsverläufen, die von einer einzelnen Berufsgruppe nicht bewältigt werden können und ein „Ko-Management“ verlangt (Sottas, 2016). Interprofessionelle Zusammenarbeit wird national wie international gefordert (Sachverständigenrat (SVR), 2007; Frenk et al, 2010; Weltgesundheitsorganisation (WHO), 2010; Wissenschaftsrat, 2012), auch wenn sich die Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen interprofessioneller Kooperation – nicht zuletzt durch die Unschärfe im Terminologie-Gebrauch – noch recht divers darstellen (Mahler et al., 2014).

Die WHO (2010) benutzt den Begriff „collaborative practice“ und meint damit, dass Gesundheitsversorgung dann stattfindet, wenn verschiedene Gesundheitsprofessionen gemeinsam flächendeckende Versorgung erbringen und das in höchster Qualität. Nachweisen lassen sich mittlerweile in einigen Übersichtsarbeiten positive Effekte durch interprofessionelle Kooperation, trotz der Vergleichsschwierigkeiten der Studien aufgrund uneinheitlichen Terminologie-Gebrauchs, z. B. hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden und in der Versorgung von Patienten/-innen (Lüdeking, 2016; Sottas & Kissman, 2015; Körner et al., 2014; Zwarenstein et al., 2009).

Für die Entwicklung des Studienangebots ergab sich daraus ein wichtiger inhaltlicher Kernanspruch:

Kompetenzförderung zur interprofessionellen Zusammenarbeit auf Mikro-, Meso- und Makroebene.

Der Bachelorstudiengang Interprofessionelle Gesundheitsversorgung – online

Der auf diesen Grundlagen konzipierte Bachelorstudiengang Interprofessionelle Gesundheitsversorgung – online richtet sich gezielt an ausgebildete Gesundheitsfachkräfte mit und ohne Abitur, die mindestens ein Jahr (bzw. drei Jahre ohne Abitur) Berufserfahrung nachweisen können. Sie sollen so die Möglichkeit erhalten, ihre Berufserfahrung im Hochschulstudium einzubringen. Die Ansiedelung des Studiengangs als grundständiges Regelangebot an einer öffentlichen Hochschule verbessert die Durchlässigkeit durch den Wegfall von hohen Studiengebühren für eine eher geringer verdienende Zielgruppe. Der Studiengang wird als Teilzeitformat angeboten und eröffnet so die Möglichkeit, weiterhin im Beruf tätig zu sein und Geld zu verdienen, neben möglichen familiären oder anderen Verpflichtungen. Die Verbindung zum Arbeitsfeld bleibt dadurch erhalten und Arbeitgeber/-innen können im Zuge von Personalentwicklungsmaßnahmen andere und neue Betätigungsfelder erschließen, mit und für die akademisch weitergebildeten Mitarbeiter/-innen. Die Weiterbeschäftigung während des Studiums ermöglicht eine stärkere Verschränkung und einen schnelleren Austausch zwischen Theorie und Praxis. So werden immer wieder in den unterschiedlichen Modulaufgaben die Praxiserfahrungen der Studierenden eingefordert und die Erprobung im Arbeitsfeld angeregt.

Auch wenn in Deutschland akademische Primärqualifizierungen in den Gesundheitsfachberufen möglich sind, findet deren Ausbildung zurzeit noch primär in Fachschulen statt, in den Therapieberufen sogar zum überwiegenden Teil belegt mit Schulgeld. Der Bachelorstudiengang bietet den schon beruflich Qualifizierten in den Gesundheitsberufen die Möglichkeit, einen akademischen Grad zu erwerben, der auch wissenschaftliche Wege eröffnet und eine evidenzbasierte, interprofessionell ausgerichtete Pflege und Therapie vorantreibt, die in den internationalen Dialog eintreten kann.

Studienformat und inhaltliche Strukturierung

Der Studiengang ist als zeitlich und örtlich unabhängiges Teilzeit-Online-Angebot konzipiert, um sowohl dem Bedarf der Zielgruppe als auch den Anforderungen der Arbeitgeber/-innen gerecht zu werden. Die Streckung der Semester auf 20 Wochen mit intermittierend vorlesungsfreier Zeit und lediglich zwei Präsenzzeiten von Freitag bis einschließlich Sonntag pro Semester wird ebenfalls von beiden Gruppen begrüßt. Wichtig ist hier die zeitliche Planbarkeit für die Arbeitnehmer/-innen. Sämtliche Präsenztermine über den gesamten Studienverlauf liegen bereits zu Studienbeginn fest. Für den Bachelorerwerb sind 180 Credit Points erforderlich. Für die außerhochschulisch erworbene Berufskompetenz werden den Studierenden nach erfolgreichem Abschluss des ersten Semesters 60 Credit Points pauschal angerechnet.

Thematisch werden vier Studienbereiche angeboten, deren Module über die Semester hinweg aufeinander aufbauen:

„Kommunikation“ mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Patienten/-innen-Orientierung, Interprofessionalität, Beratung und Schulung, Selbstsorge)

„Management interprofessioneller Versorgung“, wozu neben der Beschäftigung mit interprofessionellen Versorgungsszenarien auch die strukturelle Einbettung gehört

Der Studienbereich „System Gesundheit und Akteure/-innen“ nimmt die Gesundheit in unterschiedlichen Kontexten in den Fokus (Ethik, gesellschaftliche Vielfalt, Lebenswelten, Epidemiologie)

„Wissenschaftsbereich“ mit den unterschiedlichen Methoden, einschließlich Technik und Innovation im Gesundheitswesen.

Das Studium beginnt mit dem Modul „Lernen im digitalen Zeitalter“ und führt die Studierenden sowohl an die E-Learning-Tools als auch an die Lernprozesse heran. Innerhalb von 10 Wochen werden jeweils zwei Module online bearbeitet, die dann mit einer gemeinsamen 3-tägigen Präsenzphase abschließen. Das Studium beginnt mit einer vorgeschalteten Präsenz zum persönlichen Kennenlernen. Dies erleichtert die spätere Online-Kommunikation in Gruppen, Foren oder Chats.

Online-Umsetzung des Studienkonzepts

Das inhaltlich wichtigste Ziel des Studiengangs ist es, die Weiterentwicklung interprofessioneller Kompetenzen der Studierenden für die Praxis zu fördern. Das beinhaltet, dass sich die Studierenden in ihren diversen Professionen kennenlernen, sich in den Modulen thematisch mit unterschiedlichen Berufsblickwinkeln in kollaborativen Arbeitsszenarien, sog. e-tivities, einbringen und über gemeinsame Fallbearbeitungen interprofessionelle Zusammenarbeit erproben. Die Module sind in Themenwochen aufgeteilt und beinhalten neben Selbstlernzeit immer auch Online-Interaktionen in interprofessionellen Gruppen. Unterschieden wird zwischen synchroner und asynchroner Kontaktzeit online. Synchrone Kontaktzeit bedeutet, dass sich die Studierenden gleichzeitig mit und ohne Lehrende/-n bspw. im Webkonferenzraum (Adobe Connect) treffen oder im Chat zu Gruppenarbeiten und Webinaren zusammenkommen. Asynchron stellen die Studierenden Arbeitsbeiträge ins Forum und kommentieren diese oder begutachten anhand von Peer Reviews ihre Arbeitsergebnisse gegenseitig.

Der Studiengang bedient sich der Lernplattform „Moodle“, deren Oberflächenstruktur für jedes Modul gleich gestaltet wird, damit sich Studierende und Lehrende leicht zurechtfinden. Die Arbeitswochen sind mit entsprechenden Inhalten und aktiven Links, e-tivities und Diskussionsräumen ausgestattet und unterstützen damit die Studienorganisation der Studierenden (vgl. Abbildung 1). Ein eingerichteter Fortschrittsbutton dient der Rückmeldung zum persönlichen Arbeitsstand für die Studierenden.

Abbildung 1

Screenshot einer Arbeitswoche des Studiengangs „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung – online“ auf Moodle

Die Studierenden müssen neben den Präsenzterminen i. d. R. pro Modul einen synchronen Kontakttermin in der Woche einplanen, den die Lehrpersonen zum Austausch und inhaltlicher Impulssetzung nutzen. Die Rückmeldungen der Studierenden zeigen, dass Abendtermine donnerstags bis samstags dafür günstig sind. Der durch Aufgaben gelenkte kollaborative synchrone wie asynchrone Austausch der Studierenden soll die interprofessionelle Kompetenzentwicklung fördern. Inwiefern dies gelingt, wird Teil der Evaluation der Pilotphase sein. Der asynchrone Studienanteil ermöglicht neben der Selbstlernzeit die zeitliche Studierflexibilität neben Beruf und Familie. Die Ausgewogenheit dieser unterschiedlichen Aspekte wird ebenfalls evaluiert.

Unterstützungsangebote

Kamm et al. (2016) beschreiben unterschiedliche Studienprobleme bei beruflich Qualifizierten im Vergleich zu traditionell Studierenden. Beruflich Qualifizierte berichten über mehr Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Studiums, bei Lehrveranstaltungen in englischer Sprache sowie mangelndem Freiraum zur Aufarbeitung von Wissenslücken (ibid. S. 186). Bei den Studierenden dieses Online-Studiengangs kommen die unterschiedlichen Lebensentwürfe (Altersrange = 36 Jahre) und die unterschiedlichen Berufssozialisationen hinzu. Deshalb können die Studierenden neben den allgemeinen Unterstützungsangeboten der Hochschule auf für sie abgestimmte Online–Selbstlernkurse zugreifen und zu jeder Zeit ihres Studiums darin arbeiten. Momentan existieren ein Englischkurs, ein Kurs zum wissenschaftlichen Schreiben und ein Moodlekurs „Journal Club“. Zusätzlich wird über den gesamten Studienverlauf eine Studienlaufbahnberatung angeboten, als Coaching der individuellen Verlaufsentwicklung und der Früherkennung von Studienproblemen.

Digitale Lehr-/Lernformate in Entwicklung

Online zu studieren, ist gerade für berufstätig Studierende ein attraktives Format. Der bisher interaktiv genutzte mediendidaktische Einsatz online-basierter Tools befördert den digitalen Kompetenzzuwachs. Zurzeit ergeben sich noch vielfach Probleme in der Verknüpfung unterschiedlicher Tools oder in der Stabilität von Webkonferenzräumen. Der Einbezug beidseitiger nonverbaler Kommunikation (alle Kameras sind aktiv) reduziert sich momentan noch auf Webkonferenzen mit geringer Teilnehmendenzahl.

Zukünftig können Lehr/Lernsituationen ergänzend unterstützt werden (Bruns, 2003) z. B. durch ‚Augmented Reality‘, also die Verknüpfung von realen Situationen mit digitalen Informationen, die den Selbstlernprozess zielgerichtet anleiten, z. B. beim Entdecken und Erlernen von anatomischen Strukturen. Die technische Einbindung realer Lebenswelten (Goertz, 2018) in eine computergeschaffene ‚Virtual Reality‘ ermöglicht direkte Interaktionen zwischen den Teilnehmenden in der virtuellen Umgebung. Simulierte Lehr-/Lernsituationen, in denen sich die Teilnehmenden sowohl sprachlich als auch physisch bewegen und zukünftig auch direkt nonverbal kommunizieren können, werden den Lernalltag sinnvoll ergänzen (Esser, 2018). In der Medizinforschung und Medizinausbildung werden Simulationen bereits erfolgreich eingesetzt (Voelker et al., 2011).

Fazit

„Immersion“, das Eintauchen in ein virtuelles Szenario, eröffnet ein interessantes zusätzliches Potenzial. Eingebunden in eine entsprechende didaktische Konzeption, erweitert sie die qualitativen Möglichkeiten online ausgerichteter Studiengänge und das „Studieren vom Sofa aus“.

Die fortschreitenden Entwicklungen technologiegestützter Lern-/Lehrszenarien werden in die Weiterentwicklung des Online-Studienangebots ebenso einfließen wie die Evaluationsergebnisse aus der Pilotphase des Studiengangs „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung – online“.

eISSN:
2296-990X
Languages:
English, German
Publication timeframe:
Volume Open
Journal Subjects:
Medicine, Clinical Medicine, other