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Interprofessional education – structural and didactical challenges / Interprofessionelles Lehren, Lernen und Handeln – Strukturelle und didaktische Herausforderungen


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Ausgangslage

In Gutachten und Empfehlungen, die sich mit dem Veränderungsbedarf im Gesundheitswesen für die kommenden Jahre beschäftigen, wird der interprofessionellen Versorgung eine herausragende Position zugesprochen (Robert Bosch Stiftung, 2013, 2011; Wissenschaftsrat, 2012; Frenk et al., 2010; Sachverständigenrat, 2007). Orientiert an der Nutzerperspektive sollen neue Strategien und Konzepte für die Gesundheitsversorgung entwickelt werden, die sich besonders an den Stellschrauben „Neuordnung der Aufgabenverteilung, Kompetenzzuweisungen und Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe“ (Robert Bosch Stiftung, 2013, S. 9) ausrichten. Die veränderte Bedarfslage, die vor allem aus dem demografischen und sozialen Wandel resultiert, fordert sowohl für die Versorgung als auch konsequenterweise für die Bildungslandschaft Innovationen (s. Abb. 1). Die Zunahme an chronischen Erkrankungen und Komorbiditäten ist mitverantwortlich für die steigende Komplexität in der Gesundheitsversorgung und fordert von Berufsangehörigen neue und erweiterte Kompetenzen. Parallel dazu halten moderne Technologien zunehmend Einzug in die Versorgung, aber auch in die Kommunikationsstrukturen (Harrison & Lee, 2006; Robert Bosch Stiftung, 2013). Infolge der Digitalisierung nutzen immer mehr Patienten bzw. Klienten das Internet um sich über Diagnosen, Untersuchungsverfahren und Behandlungsansätze zu informieren. Durch die Auseinandersetzung mit Gesundheitsfragen und -entscheidungen entwickelt sich der Patient/Klient zunehmend zu einem mündigen Partner (Robert Bosch Stiftung, 2013). In dieser Dynamik der veränderten Ansprüche und Bedarfslage sowie der modernen technischen Möglichkeiten sind systemimmanente Veränderungen notwendig. Die Lancet Kommission postuliert, dass zur Verbesserung der Versorgungsqualität positive Effekte besonders in der Optimierung der interprofessionellen Kooperationen und ihrer Verankerung in Bildungskonzepten liegen (Frenk et al., 2010). Professionelle Bildungssilos sollen aufgebrochen, interprofessionelle Ausbildungen initiiert und die Ausbildung mehr mit der lokalen Grundversorgung verknüpft werden (Sottas, 2012).

Abbildung 1

Gesellschaftliche und demografische Veränderungen, ihre Wechselwirkung mit Versorgungsstrukturen und daraus resultierenden Anforderungen an interprofessionelle Bildungsansätze

Aufbauend auf den o.g. Ansätzen integriert die Hochschule für Gesundheit (hsg) seit ihrer Gründung 2009 das interprofessionelle Lehren und Lernen (Interprofessional Education, IPE) als gemeinsamen Bestandteil in die Ausbildungsprogramme für die primärqualifizierenden Bachelorstudiengänge Ergotherapie, Hebammenkunde, Logopädie, Pflege und Physiotherapie. Die Forderungen nach einer festen curricularen Verankerung von IPE wird in der internationalen Literatur ausdrücklich formuliert (u.a. WHO, 2010; Frenk et al., 2010; S. Reeves et al., 2008; Oandasan & Reeves, 2005a, 2005b; Barr et al., 2005). So wurden 2010 sechs IPE-Module entwickelt, die früh in die Studienverlaufspläne der fünf Studiengänge integriert wurden. Die IPE-Module wurden über die ersten vier Semester verteilt, je nach Studienbereich mit einem Gesamtumfang von 34 bis 40 Kreditpunkten (Credit Points, CP; fünf oder sechs Module). Dabei entstand ein verdichtetes Angebot von IPE-Modulen im 1. Semester mit einem Umfang von 18 CP

Eine Ausnahme bildet der Studiengang Physiotherapie, welcher 12 CP IPE im ersten Semester anbietet.

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Nach fünf Jahren Erfahrungen wird die IPE-Lehre der hsg einer Revision unterzogen. Ergebnisse aus Literaturstudien, einem Klausurtag, Experteninterviews und unterschiedlichen internen und externen Evaluationen führten zur Weiterentwicklung des IPE-Ansatzes, der die Herausforderungen für die Lehrstruktur, den Zeitpunkt und den Rahmen für das methodische Handeln zur Förderung von interprofessionellen Kompetenzen neu zusammenführt. Hierzu wurde im Herbst 2014 ein Ausschuss IPE gegründet, der das Potenzial und den Optimierungsbedarf innerhalb der ursprünglichen Ausrichtung (IPE 1.0) aufgreift und in eine konzeptionelle Weiterentwicklung (IPE 2.0) überführt.

Drei Gesichtspunkte – Interprofessionelles Lehren, Lernen und Handeln

Die am meisten verbreitete und allgemein in der Literatur akzeptierte Definition für IPE (z.B. Thistlethwaite et al., 2010; S. Reeves et al., 2008; Oandasan & Reeves, 2005a, 2005b; Freeth et al., 2005) wurde vom Centre for the Advancement of Interprofessional Education (CAIPE, 2002) aufgestellt (s. Abb. 2). Durch die Differenzierung in ein mit-, von- und übereinander Lernen wird in diesem Ansatz davon ausgegangen, dass die wesentlichen Lernerfahrungen zwischen den Berufen zwangsläufig zu einer Verbesserung in der Gesundheitsversorgung führen. Analog spricht die WHO (2010) die zwei Seiten der Interprofessional Education (IPE) und die Collaborative Practice zur Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung an. Thistlethwaite (2012) weist allerdings darauf hin, dass es nicht ausreicht, verschiedene Professionen in einem gemeinsamen Setting zusammenzubringen, sondern dass interprofessionelle Prozesse in unterschiedlichen Kontexten explizit gefördert werden sollten. Die unterschiedlichen Ansatzpunkte von IPE führten zur Verbreitung von zwei weiteren Definitionen (Thistlethwaite, 2012), die hilfreich für didaktische Überlegungen sein können, weil sie einerseits die interprofessionellen Lernprozesse fokussieren und andererseits das Handeln für eine effektive kollaborative Zusammenarbeit hervorheben (s. Abb. 2). Letztendlich sollen beide Ansätze dazu führen, die Versorgungsqualität zu verbessern (z.B. S. Reeves et al., 2013; Zwarenstein et al., 2009). Diese verschiedenen Gesichtspunkte waren für die konzeptionellen Weiterentwicklungen des IPE 2.0-Konzepts des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften von großer Bedeutung. Gestützt auf diese Schlüsseldefinitionen hat sich der Ausschuss IPE für eine Handlungsausrichtung entschieden, die einerseits die interprofessionelle Lehre im hochschulischen Kontext sowie die Förderungen von interprofessionellen Lernprozessen in den Blick nimmt und andererseits den Transfer ins Arbeitsfeld berücksichtigt.

Abbildung 2

Definitionen interprofessionelles Lehren, Lernen und Handeln

Der Ausschuss IPE setzte sich zunächst mit zwei zentralen Fragen auseinander:

Welche Aspekte sollten aufgrund der fünfjährigen Erfahrung für eine Optimierung des IPE-Konzepts berücksichtigt werden?

Wie soll eine konzeptionelle Weiterentwicklung des IPE-Konzeptes ausgestaltet werden?

Hierzu wurden Experteninterviews mit zehn lehrenden Professoren/-innen und allen fünf Studiengangsleitern/-innen durchgeführt. Diese Interviews wurden transkribiert und qualitativ nach der Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) ausgewertet. Die identifizierten Aspekte aus der Perspektive der Lehrenden wurden im Anschluss mit unterschiedlichen internen und externen Evaluationsergebnissen aus Befragungen der Studierenden abgeglichen. Die herausgearbeiteten Veränderungsbedarfe wurden in einem gemeinsamen Klausurtag mit IPE-Lehrenden und Studierenden diskutiert und hieraus ein Rahmen für IPE 2.0 konstruiert. Im Folgenden werden die wichtigsten Chancen und Herausforderungen vorgestellt und zusammenfassend diskutiert.

Chancen und Herausforderungen

An der Hochschule für Gesundheit hat IPE eine zentrale Bedeutung, die sich aus den o.g. gesundheitlichen Versorgungsanforderungen ergeben. Zudem bieten sich durch den gemeinsamen hochschulischen Lernort für die fünf Gesundheitsberufe und den Prozess der Akademisierung der Berufsbilder besondere Chancen der Weiterentwicklung, diesen Bedarf aufzugreifen. Um einen solchen Schwerpunkt als Querschnittsthematik in allen Studienbereichen und über das gesamte Studium hinweg umzusetzen, bedarf es einer fundierten Verankerung auf allen Arbeitsebenen. Insbesondere muss Interprofessionalität sich auf ein gemeinsames Grundverständnis der Lehrenden und Studierenden stützen, das in seiner Entwicklung und Implementierung hohe Anforderungen an alle Beteiligten stellt. In diesem Aufsatz werden primär die strukturellen und didaktischen Herausforderungen hervorgehoben.

Geeigneter Zeitpunkt für die IPE Lehre

Vorurteile gegenüber anderen Gesundheitsprofessionen gelten als große Barriere für ein effektives Zusammenarbeiten innerhalb der Versorgung (Oandasan & Reeves, 2005a; Gilbert, 2005; Hall, 2005). Angenommen wird, dass die professionsbezogene Identitätsbildung, die eher auf eine Spezialisierung und Abgrenzung gegenüber anderen Professionen ausgerichtet ist, schwer mit Arbeitsweisen, die sich auf kollaborative Ansätzen stützen, zu vereinbaren seien. Vorgeschlagen wird, das sog. Silo-Denken der einzelnen Professionen aufzubrechen und Interprofessionalität früh anzubahnen (Frenk et al., 2010; Sottas, 2012). Die hsg wählte deshalb ein Modell, in dem die IPE-Idee und -Kompetenzen besonders am Anfang der fünf Bachelor-Studiengänge betont werden. Im internen Evaluationsbericht der hsg (Schüler, 2015, S. 66) wird jedoch darauf hingewiesen, dass eine frühe interprofessionelle Ausrichtung zu Überforderung führen kann, wenn eine eigene berufliche Identität – als Voraussetzung für eine interprofessionelle Orientierung – noch nicht hinreichend entwickelt wurde. Auch in den durchgeführten Interviews mit den Studiengangleiter/-innen und Lehrenden zur aktuellen Umsetzung von IPE wird der Gedanke unterstützt, zu Beginn des Studiums mehr Raum für die Herausbildung der professionsbezogenen Identität zu schaffen.

„Wir finden es auch ungünstig, dass die Studierenden geballt in den ersten vier Semestern massiv IPE haben. So viel, dass teilweise nicht einmal Platz ist für eine fachspezifische Identifikation und dann kommt nichts mehr ….“

„Bei den anderen IPE Modulen, die fangen ja zum Teil sehr früh an, da habe ich eigentlich gehört von den Studierenden, dass sie eigentlich den IPE Gedanken noch nicht so richtig verstehen. Sie wollen eigentlich ihre eigene Profession kennenlernen im ersten Semester …“

Diese kritischen Aussagen und weiterführenden Analysen und Diskussionen führten zu der Entscheidung, interprofessionelle Angebote als immanenten Strang über möglichst das gesamte Studium auszudehnen. Dabei sollte am Anfang des Studiums das Lernen miteinander im Vordergrund stehen und im Laufe des Studiums durch einen zunehmenden Praxisbezug die Aspekte des mit- und voneinander Lernens zunehmend an Bedeutung gewinnen. Zudem sollte das Verständnis interprofessioneller Lehre sich dahingehend entwickeln, dass es neben der Verankerung in explizit interprofessionell ausgerichteten Modulen auch in fachspezifischen Veranstaltungen berücksichtigt wird, wo dies sinnvoll und inhaltlich geboten ist.

Angemessener Umfang für die IPE-Lehre

Zum Umfang der Kreditpunkte in den interprofessionellen Modulen finden sich in den Auswertungen keine nennenswerten kritischen Angaben. Unterstützend wird im internen Evaluationsbericht von Schüler (2015, S. 64) dokumentiert, dass die interprofessionelle Kompetenz der Studierenden in ihrer Selbsteinschätzung und der Einschätzung der Lehrenden in hohem Maße ausgeprägt ist. Ergänzt wird dies durch die Einschätzung der befragten Praxispartner, die insbesondere die Kompetenzen der hsg-Studierenden bei der Entwicklung von interdisziplinären Konzepten, der Bearbeitung von Schnittstellenproblematiken, der kooperativen Entwicklung von Assessments sowie der Perspektivenerweiterung positiv feststellen (Schüler, 2015, S. 34). Es wird somit davon ausgegangen, dass mit diesem Umfang eine interprofessionelle Kompetenzentwicklung in einem ausreichenden Maß aufgebaut werden kann. Bei einer Klausurtagung der Lehrenden im Oktober 2014 wurde die Vereinheitlichung des ursprünglichen Umfangs von 34-40 CP je nach Studiengang auf 36 CP für alle Studienbereiche beschlossen. Diese Entscheidung bildete eine Grundlage für die weitere Konzeptentwicklung.

Organisation und Umgang mit Gruppengrößen

Eine Herausforderung für die Studienorganisation besteht in der Festlegung gemeinsamer Zeitfenster für die IPE-Lehrveranstaltungen, an denen alle Studienbereiche beteiligt sind. Die in den Studienverlaufsplänen der einzelnen Studiengänge verankerten IPE-Lehrveranstaltungen werden als erste in der Semesterplanung berücksichtigt, was sich bewährt hat. Herausfordernd im Bochumer Konzept sind dabei die praktischen Studienphasen, da Studierende in den verschiedenen Studiengängen eine unterschiedliche Anzahl gesetzlich vorgeschriebener Praxisstunden in externen Einrichtungen leisten müssen und dementsprechend unterschiedliche Praxis- Zeitfenster benötigen. Neben der Schwierigkeit der Stundenplanung ist die Lehre im Gegensatz zu den professionsspezifischen Veranstaltungen zu einem bestimmten Anteil auch auf große Gruppen ausgelegt. In Abhängigkeit von der Aufnahmekapazität der fünf Studiengänge sind die Vorlesungen für die interprofessionellen Veranstaltungen teilweise mit einer Gruppengröße von bis zu 230 Studierenden zu gestalten. Dies erfordert eine andere methodisch-didaktische Ausgestaltung als die interprofessionellen Seminare oder als die professionsspezifischen Veranstaltungen. Aspekte der Nutzung vorhandener Kapazitäten und didaktischer Fragen einer kompetenzorientierten Lehre sollen in diesem Zusammenhang mit der Einbindung von neuen Medien für die Ausgestaltung der neuen curricularen Strukturen weiterentwickelt werden.

Förderung interprofessioneller Kompetenzen

Für die Modulentwicklung IPE 1.0 wurden Kompetenzdomänen aus internationalen Frameworks als Grundlagen verwendet, dazu zählen z.B. “interprofessional communication, patient/client/family/ community-centred care, role clarification, team functioning, collaborative leadership, interprofessional conflict resolution“ (u.a. Canadian Interprofessional Health Collaborative, 2010; WHO, 2010). In den Modulhandbüchern finden sich diese international genutzten Kompetenzdomänen als Bezüge in den Kompetenzbeschreibungen wieder. Auch in den Interviews der Experten/-innen sind implizite Rückschlüsse zu interprofessionellen Kompetenzdomänen zu erkennen. In den Interviews wurde hierzu die Bedeutung der gegenseitigen Wertschätzung und des gegenseitigen Respekts, das Kennen der eigenen Rolle und möglicher Grenzen für das eigene Handeln genannt. Außerdem wurde die Notwendigkeit betont, konstruktive Ansätze der Kommunikation und Kooperationsfähigkeit mit den anderen Berufen zu fördern und lösungsorientierte Ansätze aus einer patienten-/klientenzentrierten Versorgungsperspektive zu generieren.

Methodik

Um eine Einschätzung der Studierendensicht zu erhalten, wurden die Studierenden im Rahmen der internen Modulevaluationen mittels eines schriftlichen Fragebogens zu den Bereichen Methodik / Didaktik / Kommunikation und Interprofessionelle Kompetenzentwicklung befragt. Sie konnten Ihre Einschätzungen auf einer Skala von 1 („trifft voll und ganz zu“) bis 6 („trifft überhaupt nicht zu“) ausdrücken, wobei im Folgenden die Werte 1 und 2 als klare Zustimmung gewertet werden, 3 und 4 als mittlere Wertung und 5 und 6 als klare Ablehnung. Im Zeitraum von Sommersemester 2013 bis Wintersemester 2014/15 wurde jeweils zu Semesterende über insgesamt vier Semester die Modulevaluation der IPE-Module durchgeführt. Dabei wurden 1272 ausgefüllte Fragebögen für die 6 IPE-Module ausgewertet. Dies entspricht innerhalb der Evaluationszeiträume einer Rücklaufquote von 51,6% bezogen auf 2464 befragte Studierende.

Ergebnisse

Insgesamt zeigen die Ergebnisse eine meinungsbildende Sichtweise der Studierenden zur interprofessionellen Kompetenzentwicklung. Der Aussage „Ich habe gelernt, respektvoll und wertschätzend die anderen Studiengänge zu betrachten.“ stimmten 88% der Studierenden klar zu (10% mittlere Wertung; 2% klare Ablehnung) (s. Abb. 3). Innerhalb der Kompetenzentwicklung ist das Verstehen der eigenen Rollen und die der anderen Professionen auf eine respektvolle Art und Weise ein wichtiger Baustein. Sie soll dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und konstruktiv zusammenarbeiten zu können (z.B. Panel, 2011; WHO, 2010; Canadian Interprofessional Health Collaborative, 2010).

Abbildung 3

Ergebnisse der Modulevaluationen zur Einschätzung der Förderung interprofessioneller Kompetenzen

Die Einschätzung zur positiven Auswirkung der angebahnten interprofessionellen Kompetenz auf Kommunikationsstrukturen und Zusammenarbeit wurde dagegen nur von einem Drittel der Studierenden klar geteilt. Eine Aussage, die mehr auf das unmittelbare Zusammenarbeiten verschiedener Professionen Bezug nimmt: „Ich habe erste Kommunikationsstrukturen mit anderen Professionen im Gesundheitssystem entwickelt und erste Konsequenzen für die Zusammenarbeit abgeleitet.“, ergab beispielsweise bei 34 % der Studierenden eine deutliche Zustimmung, bei 45% eine mittlere Wertung und bei 21% eine klare Ablehnung. Auch die Aussagen „Die Lehrveranstaltungen haben mich darin unterstützt, besser in multiprofessionellen Teams arbeiten zu können.“ und „Ich kann meinen Standpunkt in interprofessionellen Kontexten formulieren, reflektieren und argumentieren.“, ergaben vergleichbare Einschätzungen.

Auch in den freien Antworttexten der internen Evaluation merkten Studierende an, dass das Potential der interprofessionellen Zusammenarbeiten noch deutlicher ausgeschöpft werden kann.

Schlussfolgernd aus diesen Ergebnissen wurde als Konsequenz ein interprofessioneller Kompetenzrahmen entwickelt, der die Gestaltung der Module in der neuen Studienstruktur unterstützen sollte. Aus der Sicht des begleitenden Ausschusses IPE sollen dadurch auch die inhaltliche Darstellung und die Entwicklung studentischer Kompetenzen nachvollziehbar gemacht und Ansatzpunkte zur nachträglichen Steuerung identifiziert werden. Insbesondere kann daraus der Bedarf abgeleitet werden, eine transparente Zielsetzung und eine Betonung des mit- und voneinander Lernens in interprofessionellen Praxismodulen herauszustellen.

Praxisbezug

Studierende sehen offenbar den Bedarf einer intensiveren Abstimmung der Inhalte interprofessioneller Veranstaltungen mit ihrer praxisbezogenen Ausrichtung. Von Studierenden wurde häufig angemerkt, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit noch stärker hätte gefördert werden können. Sie besuchten gemeinsame Lehrveranstaltungen und haben miteinander, aber wenig von- und übereinander gelernt. Dies zeigt die Wertung des Items „Die Zusammenarbeit von Studierenden unterschiedlicher Studiengänge wurde durch die Lehrenden gut angebahnt und begleitet.“ (s. Abb. 4). Dieser Aussage stimmen in der Modulevaluation 25% der Studierenden klar zu. Der Aussage „Das Arbeiten in der interprofessionellen Gruppe brachte für mich keinen Erkenntnisgewinn.“, wurde durch ca. die Hälfte der Studierenden zugestimmt (s. Abb. 4). Die Studierenden sind sich der Bedeutung der interprofessionellen Zusammenarbeit durchaus bewusst, allerdings sollte das Potential noch stärker genutzt werden, die angebotenen Inhalte und den Transfer auf die Handlungsebene noch deutlicher in den Fokus zu nehmen.

Abbildung 4

Ergebnisse der Modulevaluationen zur Einschätzung des Praxisbezuges

Herausbildung einer interprofessionellen Identität

Interprofessionelles Handeln erfordert eigentlich ein neues und erweitertes Selbstverständnis der Professionsangehörigen, d.h. es ist eine berufliche Identität herauszubilden, in welcher die berufsbezogene und die interprofessionelle Identitätsbildung integral verknüpft werden. In curricularen Konzepten der Gesundheitsberufe wird die berufliche Sozialisation in der Regel aus dem Blickwinkel der eigenen Profession betrachtet und damit eher zu einer sog. „uniprofessionellen Identität“ ausgebildet (Gilbert, 2005; Khalili et al., 2013). In der interprofessionellen Zusammenarbeit und Kommunikation wird diese professionseigene Kultur mit ihren eigenen normativen Werten vielmehr als eine Barriere der Kooperation angesehen (Koch & Horn, 2013; Hammick et al., 2007; Oandasan & Reeves, 2005a; Thistlethwaite, 2012; Thistlethwaite & Moran, 2010). Es wird davon ausgegangen, dass die interprofessionelle Auseinandersetzung stark durch stereotypisches Denken der professionsbezogenen Berufsidentität geprägt wird (Cameron, 2011). Berufliche Sozialisation im Gesundheitswesen wurde bislang vornehmlich durch eine einflussreiche professionsspezifische Zugehörigkeit geformt. Deshalb gilt es als sinnvoll, innerhalb eines Studiums kollaborative Kompetenzen zu fördern, um Abgrenzungen, die das Zusammenarbeiten zwischen den Professionen erschweren, früh abzubauen (Oandasan & Reeves, 2005a, 2005b). Um eine Verbesserung der Kooperation zu erreichen, geht dies nach Sieger (2008) nicht ohne einen berufsstrukturellen Wandel einher. „Änderungen der Arbeitsorganisation sind nicht möglich ohne ein gewandeltes Verständnis vom Verhältnis der beteiligten Berufe zueinander und auch nicht ohne eine Reflexion des Selbstverständnisses der Einzelberufe.“ (Sieger, 2008, S. 54). In den Gesundheitsberufen ist demnach neben der existierenden uniprofessionellen Identität ein interprofessioneller Habitus aufzubauen. Interprofessionelle Werte, Verhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sollen in die individuelle professionelle Identitätsentwicklung integriert werden. Das Kooperieren mit anderen soll ein integraler Bestandteil des Selbst- Konzepts werden (Khalili et al., 2013). Inwieweit dies für die ersten Absolventen/-innen der Studiengänge gelungen ist, kann zurzeit nicht vollständig geklärt werden, weil die Modulevaluationen nur indirekt auf diese Thematik schließen lassen.

Eckpunkte für die Weiterentwicklung

Im IPE Ausschuss führte die Identifizierung der Chancen und Herausforderungen zu der Weiterentwicklung des konzeptionellen Rahmens für IPE 2.0. Im folgenden Abschnitt werden die Eckpunkte dieses Konzeptes vorgestellt.

Kompetenzrahmen für IPE

Um das Outcome für IPE umfassend und zielgerichtet definieren zu können, wurde durch den Ausschuss IPE ein Kompetenzrahmen für das Departement für Angewandte Gesundheitswissenschaften erarbeitet. In Anlehnung an internationale interprofessionelle Frameworks (Panel, 2011; CIHC, 2010) entstand ein erster Entwurf des Kompetenzrahmens für interprofessionelles Lehren, Lernen und Handeln. In mehreren Feedbackschleifen bekamen die Lehrenden des Departments die Möglichkeit, eine strukturierte Rückmeldung sowie Ergänzungen und alternative Formulierungsvorschläge zu dem Kompetenzrahmen zu geben. Dieses Feedback wurde im Ausschuss diskutiert und bei Übereinstimmung in den Kompetenzrahmen eingebaut und anschließend im Department verabschiedet (s. Abb. 5).

Abbildung 5

Interprofessionelle Kompetenzdomänen für die Gesundheitsberufe im Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften im engeren (Studiengänge Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften der hsg) und im erweiterten Streichen (Medizin und andere Bereiche, grau hinterlegt)

Wie in Abb. 5 dargestellt, ließen sich fünf Kompetenzdomänen ableiten: 1) Patienten-/Klientenzentrierte Versorgung, 2) Werte und Ethik, 3) Rollen und Verantwortung, 4) Kommunikation und 5) Zusammenarbeiten. Diese fünf Kompetenzdomänen sind als ein verzahntes Konstrukt zu betrachten, wobei jede Domäne in Interdependenz zu den anderen steht. Erst in ihrer Gesamtheit kann von interprofessioneller Kompetenzentwicklung gesprochen werden. Zu den Kompetenzdomänen wurden Deskriptoren aus einer Outcome-Perspektive formuliert und die Befähigung oder das Verhalten, welches erzielt werden sollte, beschrieben. Mit dem Kompetenzrahmen soll implizit die Ausrichtung der interprofessionellen Lehre im engeren Sinn der Studienbereiche des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften, aber auch im erweiterten Sinn aller Professionen im Gesundheitswesen, die an einer klientenzentrierten Versorgungssituation beteiligt sind, dargestellt werden. Zudem soll er leitend bei der systematischen Evaluation sein.

Zeitpunkt, Umfang und struktureller Rahmen von IPE

Um die interprofessionelle Kompetenzentwicklung sukzessiv anzubahnen, wurden die IPE-Module über die gesamte Studienphase (in den Therapieberufen über sieben Semester, in der Hebammenkunde und Pflege über acht Semester) mit insgesamt 36 CP je Studiengang verteilt (s. Abb. 6). Interprofessionelles Lehren, Lernen und Handeln wird demnach aufgeteilt in Gesundheitswissenschaftliche Grundlagen (GwG) und Interprofessionelle Praxis (IPP). Die Gesundheitswissenschaftlichen Grundlagen stellen je nach inhaltlicher Ausrichtung eher den Aspekt des miteinander Lernens in der ersten Studienhälfte in den Vordergrund. In Veranstaltungen der Studienbereiche werden interprofessionelle Aspekte dann aus einer professionsspezifischen Perspektive aufgegriffen. Einen explizit interprofessionellen Schwerpunkt mit der Betonung des mit- und voneinander Lernens bilden dann die Module zur Interprofessionellen Praxis.

Abbildung 6

Struktur IPE 2.0 in den Studienverlaufsplänen der Gesundheitsberufe an der hsg

Die GwG-Module werden als Pflichtmodule für die gesamten Studienbereiche angeboten. Die hier erworbene Wissensbasis fließt zum einen in die professionsspezifischen Denk- und Handlungsweisen und zum anderen in das Denken und Handeln im interprofessionellen Kontext ein. Medizinische Grundlagen wurden nicht in ein gemeinsames Modul für alle fünf Studiengänge implementiert, da die medizinischen Schwerpunkte in den verschiedenen Studiengängen sehr unterschiedlich gelagert sind und eine professionsbezogene Anbindung sinnvoller erscheint. Vier GwG-Module werden parallel für alle Studienbereiche angeboten:

GwG01: Forschungsmethoden und wissenschaftliches Arbeiten

GWG02: Evidenzbasierte Forschung und Praxis

GwG03: Inter- und intrapersonelle Prozesse (Kommunikation)

GwG04: Gesundheitspolitik und -versorgung

Zwei Module zu Ende des Studiums betonen die interprofessionelle Praxis:

IPP 05: Interprofessionelle Fallkonferenzen

IPP 06: Interprofessionelles Projekt

Ausblick

Aus unterschiedlichen Perspektiven (Lehrende, Studierende, Praxispartner, Sichtweisen von Akteuren im Gesundheitswesen mittels Literaturanalysen) wurde die bestehende IPE-Lehre an der Hochschule für Gesundheit in Bochum einer Revision unterzogen. Die Potenziale und Herausforderungen wurden identifiziert und in einer Neustrukturierung des IPE-Ansatzes sowie zur Entwicklung eines interprofessionellen Kompetenzrahmens genutzt. Die Evaluationen haben gezeigt, dass kollaborative Kompetenzen angebahnt werden; inwieweit ihre Ausprägung sich in einer interprofessionellen Identität niederschlägt, sollte Gegenstand weitergehender Untersuchungen sein. Die Orientierung an den unterschiedlichen Ausprägungen von IPE im Sinne des mit-, von- und übereinander Lernens bzw. des Interprofessionellen Lernens und Handelns führt dabei zu einer stringenten Umsetzung eines entsprechend aufgebauten Kompetenzerwerbs in der neuen Modulstruktur. Deutlich geworden ist auch, dass sich eine interprofessionelle Schwerpunktsetzung nicht ausschließlich in einzelnen Modulen verorten lässt, sondern interprofessionelle Kompetenzen sowohl aus einer fachspezifischen Perspektive als auch aus einer fachübergreifenden Sicht angestrebt werden sollten. IPE wird damit zum immanenten Bestandteil der hochschulischen Qualifizierung und ist so auch Ausdruck einer patienten- bzw. klientenzentrierten Ausrichtung für eine bessere gesundheitliche Versorgung. Weitere Entwicklungsschritte stehen noch aus. Zu nennen sind hier die Weiterentwicklung von kompetenzorientierten interprofessionellen Prüfsystemen, Integration der Medizin bei Fallkonferenzen und Projekte sowie die Entwicklung und Integration von geeigneten interprofessionellen Projekten mit externen Praxispartnern.

Danksagung

Die Autoren/-innen haben den Artikel stellvertretend für den Ausschuss IPE des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften der Hochschule für Gesundheit verfasst. Der Dank des Departments gilt daher allen Mitgliedern des IPE-Ausschusses und Lehrenden, die an der Revision mitgewirkt haben.

eISSN:
2296-990X
Languages:
English, German
Publication timeframe:
Volume Open
Journal Subjects:
Medicine, Clinical Medicine, other