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Evaluation of an APN service in acute inpatient care of patients with a malignant brain tumor: a qualitative study in a Swiss university hospital / Evaluation eines APN-Angebots in der akut-stationären Versorgung von Patienten und Patientinnen mit malignem Hirntumor: eine qualitative Studie in einem Schweizer Universitätsspital

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EINLEITUNG
Diagnose maligner Hirntumor

In der Schweiz werden pro Jahr durchschnittlich 650 Tumore des zentralen Nervensystems diagnostiziert (NICER, 2020). 80 % der primären Hirntumore bei Erwachsenen sind sogenannte maligne Hirntumore, die mit einer stark reduzierten Lebenserwartung und einer eingeschränkten Lebensqualität einhergehen (Parvataneni et al., 2011). Bereits vor der Diagnosestellung erleben PatientInnen häufig Einschränkungen durch erste Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen bzw. Einschränkungen der psychomotorischen Funktionen (Amidei, 2018). Aufgrund der Gefahr eines schnell ansteigenden Hirndrucks müssen Betroffene oft innerhalb kürzester Zeit operiert werden, u. U. mit bleibenden psychomotorischen Einschränkungen (Halkett et al., 2010). Während der Zeit im Krankenhaus bedarf es einer Koordination verschiedener Untersuchungen sowie der Organisation einer individuellen Anschlusslösung nach Entlassung. Dabei führt die Koordination der Bedürfnisse dieser PatientInnen im interprofessionellen Behandlungsteam häufig zu Schwierigkeiten und Schnittstellenproblemen (Geese et al., 2020; Reeves et al., 2017). Auch die Organisation der Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt erfordert eine strukturierte Bedarfserhebung und gezielte Informationen, um PatientInnen und Angehörige auf die erforderliche Pflege vorzubereiten (Hickmann et al., 2017; Parvataneni et al., 2011).

Voraussetzungen von Advanced Practice Nursing

Um den Herausforderungen der Betreuung komplexer PatientInnen zu begegnen, hat sich das Konzept Advanced Practice Nursing (APN) etabliert. APN vereint die erweiterte Pflegepraxis, deren Rollen sowie deren regulativen Kontext (ICN-AANP, 2020). Im deutschsprachigen Raum wird die erweiterte Pflegepraxis vor allem durch PflegeexpertInnen APN, eine sogenannte Advanced Practice Nurse, ausgeübt (SBK ASI, 2013). Vorraussetzungen zur Ausübung dieser Rolle sind eine entsprechende Berufserfahrung als diplomierte Pflegefachperson (in der Regel mindestens 5 Jahre), ein postgradualer Master-Abschluss in Pflege (Master of Science in Nursing, MScN) sowie eine Spezialisierung auf eine Patientengruppe bzw. einen Fachbereich (Tracy & O'Grady, 2018). International sind vor allem drei Rollen verbreitet: 1) die/der Nurse Practictioner (NP) mit Verordnungsrecht in medizinischen Belangen und eigener Fallverantwortung, 2) die/der Clinical Nurse Specialist, mit einem erweiterten pflegerischen Kompetenzprofil, um u. a. evidenz-basierte Pflege in einer Institution bzw. einem Fachbereich zu implementieren, und 3) die/der Advanced Practice Nurse mit einem gemischten Profil aus 1) und 2) (ICN AANP, 2020). Je nach Patientengruppe, klinischem Setting und nationalen Rahmenbedingungen variieren die Rollen hinsichtlich ihrer Ausübung der Kompetenzen und ihren Möglichkeiten, Leistungen eigenständig abrechnen zu können (Sastre-Fullana et al., 2020).

Implementierung und Evaluation von APN-Angeboten

International orientiert sich die Einführung und Evaluation von APN-Angeboten am partizipativen, evidenzbasierten, patienten-fokussierten Prozess (PEPPA), der zudem den theoretischen Rahmen für eine prospektive kontinuierliche Bewertung und Verbesserung sowohl der Rolle als auch des Versorgungsangebots bildet (Bryant-Lukosius & Dicenso, 2004; Bryant-Lukosius et al., 2016). Das PEPPA-Rahmenkonzept besteht aus einem strukturierten Prozess von der Implementierung bis hin zur Evaluation unter Einbezug der PatientInnen- und Stakeholder-Perspektive. Publikationen zur Implementierung von APN-Angeboten verdeutlichten, dass eine fehlende Akzeptanz unter den Gesundheitsfachpersonen, eine mangelnde Kommunikation zu den Zielen oder Unklarheiten über die Kompetenzen und Aufgaben eine erfolgreiche Umsetzung erschweren (DiCenso et al., 2010; Van Soeren et al., 2011). In Bezug auf die Versorgung von Menschen mit einem Hirntumor und ihren Angehörigen fehlt jedoch Evidenz, die die Wirkung der Rolle und ihres APN-Angebots bei dieser spezifischen Patientengruppe aufzeigt (Al-Maqbali, 2013). Eine vorbereitend durchgeführte Literaturrecherche identifizierte nur wenige internationale Publikationen zu APN-Angeboten für PatientInnen mit einem malignen Hirntumor. Hierbei zeigten sich vor allem beschreibende Arbeiten und Praxisentwicklungsprojekte zur Entwicklung von spezialisierten Pflegefachpersonen in der Neuro-Onkologie (Cone & Affronti, 2018; Zwinkels, 2008). Bezogen auf den deutschsprachigen Kontext konnte hingegen eine Studie mit qualitativen Design zur Evaluation eines APN-Angebots in der neurochirurgischen akut-stationären Versorgung identifiziert werden (Heuckeroth & Schmeer, 2018). Wie sich APN-Angebote im akut-stationären Versorgungsbereich einführen lassen und welche Wirkung diese auf PatientInnen mit einem malignen Hirntumor haben, kann aufgrund fehlender Evaluationsstudien mit bspw. longitudinalem Design nicht abschließend beurteilt werden. Bekannt ist jedoch, dass APN-Angebote in der Versorgung von Menschen mit Krebs unter anderem durch die Förderung des Symptommanagements zur Steigerung der Lebensqualität führen sowie durch eine standardisierte Bedürfniserhebung und koordinative Tätigkeiten eine verbesserte interprofessionelle Zusammenarbeit bewirken (Alotaibi & Al Anizi, 2020).

Das neurochirurgische APN-Versorgungsangebot

Zur Versorgung von Menschen mit einem malignen Hirntumor wurde in einer neurochirurgischen Universitätsklinik der Schweiz, im Jahr 2017, ein APN-Angebot mit dem Ansatz eines Nurse Practitioner (NP) Teams eingeführt. Die Einführung erfolgte gemäß dem PEPPA-Rahmenkonzept (Bryant-Lukosius & Dicenso, 2004). Das Angebot umfasst die Erhebung und Koordination der Bedürfnisse von PatientInnen, Angehörigen und involvierten Berufsgruppen in der akutstationären Versorgung. Der/die NP steht den PatientInnen und Angehörigen zudem als zentrale Ansprechperson zur Verfügung. Ferner soll das NP-Team durch die Ausübung erweiterter Kompetenzen die Anzahl der an der Klinik benötigten Assistenzärzten/-ärztinnen reduzieren. Die/der NP arbeitet eng mit dem/der zuständigen Oberarzt/-ärztin zusammen, wobei die APN-Tätigkeiten oberärztlich supervidiert werden. Zudem verfügt sie über einen Master-Abschluss in Pflege, mindestens 5 Jahre Berufserfahrung sowie Expertenwissen zur Patientengruppe. Im Verlauf der Implementierung wurde das Team von initial 0,7 Vollzeitäquivalente auf 2,6 Vollzeitäquivalente vergrößert, um einzelne Abwesenheiten aufzufangen und so eine kontinuierliche Patientenbetreuung sicherzustellen. Das NP-Team wird durch die Klinik für Neurochirurgie finanziert. Das Konzept des APN-Angebots orientiert sich an den in der Literatur beschriebenen Bedürfnissen der PatientInnen und Angehörigen (u. a. Halkett et al., 2010; Hickmann et al., 2017; Renovanz et al., 2019). Da in der Schweiz aktuell keine allgemeingültige rechtliche Verankerung der erweiterten Kompetenzen besteht, wurden diese innerhalb der Klinik definiert und mit dem interprofessionellen Behandlungsteam abgestimmt. Das erweiterte Kompetenzprofil der NP bezieht sich unter anderem auf eine umfassende Austrittsplanung (Entlassungsmanagement), die Verordnung von bestimmten Medikamenten/Interventionen, die Koordination und Organisation von Konsilien sowie das Erstellen von Austritts- und Verlegungsberichten.

Zielsetzung und Fragestellung

Mit dieser Studie wurde die Rolle der NP und deren Angebot in der Versorgung von Menschen mit einem malignem Hirntumor 18 Monate nach ihrer Einführung evaluiert. Im Mittelpunkt stand dabei das Erleben der Fachpersonen des interprofessionellen Behandlungsteams. Es sollten folgende Forschungsfragen adressiert werden:

Wie erlebt das interprofessionelle Behandlungsteam die NP-Rolle und deren Angebot?

Wie akzeptiert ist die NP-Rolle und ihr Angebot innerhalb der Klinik für Neurochirurgie?

Wie soll sich die NP-Rolle und ihr Angebot weiterentwickeln?

METHODE
Studiendesign

Es wurde ein qualitatives Design gewählt. Dieses eignet sich zum Explorieren von individuellen Erlebenswelten und Wahrnehmungen, beispielsweise von Gesundheitsfachpersonen aus einem interprofessionellen Behandlungsteam (Flick, 2011). Der konstruktivistische Bezugsrahmen bildet die Basis eines solchen Studiendesigns (Meyer, 2017). Hierzu wurden Einzelinterviews und ein Fokusgruppeninterview gewählt. Die Triangulation dieser beiden Datenerhebungsansätze bietet die Möglichkeit, sowohl das individuelle Erleben (Einzelinterview) als auch Erfahrungen in einem breiten Kontext (Fokusgruppeninterview) zu erfassen (Carter et al., 2014; Flick, 2011; Meyer, 2017). Im Rahmen der Rollen- und Angebotsimplementierung kann eine Interviewteilnahme unter anderem die Auseinandersetzung mit der „neuen“ Rolle und deren Kompetenzen begünstigen. Insbesondere bei Fokusgruppeninterviews unterstützen sich Teilnehmende gegenseitig, in dem Genanntes die Erinnerungen an eigene Erlebnisse fördern (Carter et al., 2014).

Teilnehmende und Rekrutierung

Für die Interviewteilnahme wurden Gesundheitsfachpersonen rekrutiert, die in die Versorgung der Patientengruppe in der Klinik für Neurochirurgie involviert sind und die dabei Berührungspunkte mit dem NP-Team haben. Eingeschlossen wurden praktisch tätige Fachpersonen der pflegerischen, medizinischen, medizinisch-therapeutischen und seelsorgerischen Berufsgruppe des interprofessionellen Behandlungsteams, die über mindestens 6 Monate Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der NP verfügten. Auszubildende bzw. Studierende wurden ausgeschlossen, da sie während ihres befristeten Einsatzes in der Regel nur eine kurze Zeit (< 6 Monate) mit dem NP-Team zusammenarbeiten. Ein schriftlicher Aufruf zur Interviewteilnahme wurde durch die Projektleitung (FG) zur Verfügung gestellt und durch die leitende NP (SM) durch Aushang im Stationsbüro bekanntgemacht. Zudem wurden Fachpersonen durch die leitende NP gezielt angesprochen. 14 Fachpersonen bekundeten Interesse an einem Interview. Die Kontaktdaten dieser Personen wurden an die Projektleitung (FG) zur Terminvereinbarung übermittelt, die daraufhin mit den Interessierten in Kontakt getreten ist, um anhand der Ein- und Ausschlusskriterien eine gezielte Stichprobenziehung vorzunehmen (Burns, 2009).

Durch das Projektteam (FG, SM, KUS) wurden die Interessierten einem Einzelinterview oder dem Fokusgruppeninterview zugeteilt. Es wurde entschieden, Fachpersonen aus Pflege und Medizin in Form von Einzelinterview zu interviewen, da diese Personen am engsten mit dem NP-Team zusammenarbeiten. Das Fokusgruppeninterview sollte hingegen Erfahrungen von Professionen aufnehmen, die konsultativ in die Behandlung involviert sind.

Datenerhebung

Zuerst wurden die Einzelinterviews, dann das Fokusgruppeninterview durchgeführt. Die Interviews wurden mittels literaturbasierten Interviewleitfadens durch die Projektleitung (FG) geführt. Es wurden Themen, wie die Implementierung und Akzeptanz der NP-Rolle und deren Angebot (DiCenso et al., 2010), die aktuelle Versorgungssituation von Menschen mit einem malignen Hirntumor und ihrer Angehörigen (Hickmann et al., 2017; Renovanz et al., 2019) sowie das daraus abzuleitende Optimierungs- und Entwicklungspotenzial der NP-Rolle und deren Angebot (Bryant-Lukosius et al., 2016), exploriert. Offene Fragestellungen wurden verwendet, um den Erzählfluss zu fördern. Das erste Einzelinterview diente als Pilotversuch, um die Interviewfragen auf ihre Verständlichkeit hin zu testen und um etwaige fehlende Themen, die während des Interviews aufkommen könnten, zu ergänzen. Der Einschluss des Pilot-Interviews in die Auswertung wurde innerhalb des Projektteams (FG, SM, KUS) diskutiert; das Interview ergab keine neuen Themen, die Fragen wurden als verständlich erlebt. Somit wurde das Interview in die Auswertung aufgenommen. Vor der Interviewdurchführung haben alle Teilnehmenden eine Studieninformation, einschliesslich Angaben zum Umgang mit den erhobenen Daten, erhalten und schriftlich ihr Einverständnis zur Teilnahme erklärt. Zu Beginn eines Interviews stellten sich alle Teilnehmenden vor. Zudem bestand die Möglichkeit, Fragen zur Studie zu stellen.

Relevante Inhalte aus den Einzelinterviews sind anschließend in den Interviewleitfaden für das Fokusgruppeninterview eingeflossen. Alle Interviews wurden aufgenommen, wobei die Einzelinterviews transkribiert wurden.

Die Projektleitung (FG) führte alle neun Interviews, wobei sie während des Fokusgruppeninterviews durch eine MitarbeiterIn mit relevanten Kontextwissen unterstützt wurde. Diese MitarbeiterIn dokumentierte im Interview genannte Themen in Form einer Mind-Map; Teilnehmende konnten diese Mind-Map ergänzen und kommentieren und die Inhalte des Genannten dadurch bestätigen (Vindrola-Padros & Johnson, 2020). Die Einzelinterviews dauerten im Durchschnitt rund 40 Minuten, das Fokusgruppeninterview dauerte 125 Minuten.

Datenanalyse

Die Einzelinterviews wurden thematisch nach Braun & Clarke analysiert (Braun & Clarke, 2006). Der thematische Analyseprozess erfolgte mithilfe der Software MAXQDA und umfasste die folgenden Schritte: eine erste Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial, die datengeleitete Codierung, die Themensuche basierend auf den Codes, die kritische Überprüfung der generieten Themen sowie die finale Definition der Themen. Nach Abschluss der vertieften Analyse der Einzelinterviews wurden relevante Inhalte des Fokusgruppeninterviews ergänzt bzw. die Daten konsolidiert. Die Konsolidierung der Interviewdaten (Einzel- und Fokusgruppeninterview) wurde durch die Mind-Map-Methode unterstützt und gewährleistete zudem die Wahrung des Gesagten durch die Teilnehmenden (Carter et al., 2014; Flick, 2011; Vindrola-Padros & Johnson, 2020). Die Datenanalyse wurde durch die Projektleitung (FG, wissenschaftliche Mitarbeiterin, MScN) und eine Mitarbeiterin, die beim Fokusgruppeninterview Protokoll führte, durchgeführt. Beide Personen verfügten neben Erfahrungen in der qualitativen Forschungsmethodik auch über Erfahrungen in der akut-stationären Pflege und erweiterten Pflegepraxis (APN) und waren mit dem Studiendesign vertraut. Uneinigkeiten bei der Themengenerierung wurden unter Beizug einer dritten Person aus dem Projektteam (KUS) diskutiert.

ERGEBNISSE

Im Zeitraum von Mai bis August 2019 wurden acht Einzelinterviews und ein Fokusgruppeninterview durchgeführt. Tabelle 1 fasst die Zusammensetzung der Teilnehmenden zusammen.

Zusammenfassende Beschreibung der Interviewteilnehmenden.

Teilnehmende
Einzelinterviews (n=8) Fokusgruppeninterview (n=4)
Funktion

2 Mitglieder Leitungsteam Pflege

2 Nurse Practitioner

2 Assistenzarzt/-ärztin

2 Oberarzt/-ärztin

Pflegeexpertin APN (Palliative Care)

SeelsorgerIn & psychoonkologische(r) BeraterIn

ErgotherapeutIn

LogopädeIn

Erfahrung mit der NP Zwischen 6 und 18 Monaten

Die Analyse aller Interviews ergab drei übergeordnete Themen: Einführung der NP-Rolle und deren Angebot, Erfahrungen im interprofessionellen Team und Entwicklungspotenziale. Das thematische Kategoriensystem ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1

Thematische Haupt- und Subkategorien.

Einführung der NP-Rolle und deren Angebot
Bedarfsabklärung

Vor Einführung der NP-Rolle und deren Angebot erlebten die Teilnehmenden eine fehlende Behandlungskontinuität in der akut-stationären Versorgung von PatientInnen mit einem malignen Hirntumor und deren Angehörigen. So fehlte beispielsweise eine zentrale Ansprechperson für PatientInnen, Angehörige und Fachpersonen. Zudem mangelte es an der Koordination professionsspezifischer Anliegen und Aufgaben im interprofessionellen Behandlungsteam. Als Grund wurde die Abwesenheit der zuständigen AssistenzärztInnen genannt, da diese tagsüber im Operationssaal tätig waren. Eine Person fasste die Versorgungssituation wie folgt zusammen:

‘Ganz am Anfang war wirklich dieser Patienten-Need. (…) aus der Perspektive der Hirntumor-Patienten gibt es viele Erkenntnisse, dass diese Patienten eine Unterversorgung erfahren. Und das hat sich in suboptimalen Situationen im Rahmen der Angehörigen- und Patientenbetreuung gezeigt. Und dass dann auch keine Klärung für Anschlusslösungen da war.’

(Interview 2).

Aus der Perspektive der Profession Medizin wurde die Arbeitsbelastung der AssistenzärztInnen als problematisch beschrieben. Administrative und koordinative Aufgaben der Patientenversorgung seien zusätzlich zur operativen Tätigkeit zu erledigen. Bei einer zeitnahen Erledigung führe dies zu Überstunden und/oder gehe zulasten des direkten Patientenkontakts. So wurde angemerkt, dass den AssistenzärztInnen für den direkten Patientenkontakt nicht viel Zeit bliebe und dadurch Unzufriedenheit aufkäme:

‘(…) wenn die Arbeitszeiten hoch wären, weil man so viel Zeit in den Patienten selbst steckt, dann ist es ja eine Sache, aber wenn es nur daran liegt, dass man für Anmeldungen, Dokumente x-Stunden am Tag investieren muss, das demotiviert‘

(Interview 7).

Zudem ergänzte ein/e Oberarzt/ärztin, dass die zunehmende Anzahl an neurochirurgischen FachärztInnen problematisch sei, da der Schweizer Markt nur für eine gewisse Anzahl NeurochirurgInnen eine berufliche Perspektive in der stationären Versorgung bietet.

Zielsetzungen

Die Teilnehmenden erläuterten, dass entschieden wurde die Funktion der Nurse Practitioner (NP) mit Stellvertretung (Team) zu implementieren, um den erlebten Versorgungsproblemen entgegenzuwirken. Im Rahmen des Rollen- und Angebot-Implementierungsprozesses wurden Ziele definiert, mit denen fast alle Interviewteilnehmenden vertraut waren. So gaben die Teilnehmenden an, dass beispielsweise interne Prozesse durch die erweiterten Pflegetätigkeiten beschleunigt werden sollten. Die NP sollte Patientenbedürfnisse zeitnah erheben und abdecken. Ferner sollte sie als konstante Ansprechperson für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen zur Verfügung stehen sowie die Schnittstelle zwischen Medizin und Pflege optimieren. Durch die Implementierung der neuen Rolle und deren Angebot sollten Prozesse geklärt und nach Möglichkeit standardisiert werden. Die Implementierung der NP-Rolle wurde durch Pflege und Medizin unterstützt. Auch bereits gemachte (Auslands-)Erfahrungen mit Versorgungsangeboten einer NP unterstützten die Umsetzung. Ein/e OberärztIn berichtete:

‘Ich habe das (Angebot) auch als Student/in in den USA erlebt und das war fantastisch, das war so gut. Also, das war wirklich unglaublich für mich. Ich hatte dann eigentlich Freude, dass es hier, (…) eingeführt wurde’

(Interview 4).

Definition des Rahmenkonzepts

Im Rahmen der Rollen- und Angebotseinführung wurden gemäß Angaben der Teilnehmenden spezifische Aufgaben der NP definiert und mit anderen Berufsgruppen abgestimmt. Diese Aufgaben umfassten die Koordination und Organisation des Austrittsmanagements, die Vermittlung von Hilfs- und Beratungsstellen, das Führen von Gesprächen mit PatientInnen und Angehörigen zum weiteren Procedere sowie zu krankheitsbedingten Symptomen bzw. therapiebedingten Nebenwirkungen. Zudem sollte die NP das Pflegepersonal coachen. Von ärztlicher Seite wurde ergänzt, dass im Vergleich zu Pflegenden mit Diplom-/Bachelor-Abschluss die Kompetenz erweitert werden sollte, unter anderem durch die Übernahme von erweiterten Pflegetätigkeiten, wie dem Anmelden und Vorstellen von PatientInnen im Rahmen des Tumor-Boards, dem Erheben des funktionellen Status, dem Durchführen von Visiten, dem Verschreiben von gewissen Medikamenten sowie dem Ausstellen von Anmeldungen zu Untersuchungen und Konsilien.

Relevante Faktoren bei der Einführung

Interviewteilnehmende berichteten von Faktoren, die sich fördernd und hemmend auf die Implementierung der NP und deren Angebot auswirkten. So wurde beispielsweise eine motivierte und nicht-konfrontative Haltung in der Zusammenarbeit mit anderen Fachpersonen als fördernd erlebt. Weiterhin wurden eine transparente Kommunikation sowie das Adressieren von Unklarheiten bezüglich Aufgaben und Verantwortungen der NP-Rolle geschätzt. So erlebte die medizinische und pflegerische Berufsgruppe fortwährende Informationen zu den Kompetenzen und Aufgaben der NP, was zu einem besseren Verständnis der Rolle beitrug und deren Akzeptanz förderte.

Durch positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der NP wurde Vertrauen aufgebaut. Da die Einführung der neuen Rolle auch die Tätigkeiten anderer Professionen tangierte, wurde berichtet, dass unter den beteiligten Berufsgruppen klar definierte Kompetenzbereiche ausgehandelt werden mussten. Selbstkritisch reflektierte eine NP den weiteren Klärungsbedarf in der interprofessionellen Zusammenarbeit:

‘Ja, (es gibt) so die kleinen Machtkämpfe halt. Und so das Bewusstsein oder Verständnis, dass jede (Profession) ein Teil ist von dieser ganzen Behandlung. Da müsste man wohl noch mehr daransetzen, um zu verstehen, dass wir ergänzend sind und nicht konkurrierend’

(Interview 6).

Hingegen wurden Unklarheiten und Uneinigkeiten bezüglich der Zuständigkeit der NP in der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen durch die Teilnehmenden als hemmend erlebt. Offene Fragen zur Rolle bzw. dem Angebot der NP führte bei zwei Teilnehmenden zu Unbehagen. Eine Teilnehmende der medizinischtherapeutischen Berufsgruppe äusserte in diesem Kontext folgende Erwartungen:

‘Ich erwarte von Personen, wie einer NP, große Sensibilität für andere Berufsgruppen, dass sie ihre Kernkompetenzen kennen und eine große Kommunikationsfähigkeit besitzen, um solche Schnittstellen anzusprechen und zu bereinigen.’

(Interview 9).

Eine fehlende Offenheit, Fehler während der Implementierung anzusprechen, wurde als erschwerend angesehen. Durch Teilnehmende der medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen wurde die NP als zusätzliche Hierarchiestufe erlebt. Dies zeigte sich beispielsweise bei der Verordnung von Therapien. So wurden logo-, ergo-, ernährungs- und physiotherapeutische Verordnungen durch die NP und nicht mehr durch Mediziner ausgestellt.

Erfahrungen im interprofessionellen Team
Zusammenarbeit mit Pflegenden und Ärzten

Rückblickend auf die Phase der Rollen- und Angebotsimplementierung äusserten die Teilnehmenden vorwiegend positive Erfahrungen; die Zusammenarbeit mit der NP wurde vor allem durch das Pflegepersonal sehr positiv bewertet. Geschätzt wurden die Präsenz und Erreichbarkeit einer zentralen Ansprechperson, die verbesserte Schnittstelle zum ärztlichen Dienst bei medizinischen Anliegen, der Gewinn an spezifischem Fachwissen im Behandlungsteam und die Unterstützung bei fachlichen Fragestellungen:

‘Das ist wirklich von Anfang an als sehr großer Gewinn gewertet worden. Sie (Pflegende mit Diplom/Bachelor) haben sich auch sehr gefreut, als dann jemand (…) (NP) gekommen ist. Und am liebsten hätten sie ja für jedes Team jemanden’

(Interview 6).

Von ärztlicher Seite wurde ergänzend von einer Arbeitsentlastung berichtet. Die NP kümmere sich um Anliegen, welche während des stationären Patientenaufenthalts entstehen und könne mehr Zeit in Angehörigengespräche investieren. Auch werden Aufgaben, wie Anmeldungen von Konsilien oder Rücksprachen mit Fachärzten, z. B. Besprechungen mit Infektiologen zur Verschreibung von Antibiosen, von der NP ausgeführt. Auch Fachärzte aus anderen Disziplinen, die an den Besprechungen des Tumorboards anwesend sind, haben positive Rückmeldungen zur Implementierung der NP und deren Angebot gegeben:

‘Frau A (eine NP) hat mir sogar letztens erzählt, dass die Onkologen auch schon einen Unterschied bemerkt haben. Die Patienten kommen, es ist vieles klar, es ist vieles geregelt’

(Interview 7).

Nach einer anfänglichen Skepsis wurde durch positive Erfahrungen der Wunsch nach der Ausweitung des Angebots immer deutlicher. Ein/e Oberarzt/ärztin schilderte ein Erlebnis, wie folgt:

‘Also am Anfang hat jeder gesagt das braucht man gar nicht, das ist schlecht und ist gefährlich. Dann war der nächste Schritt eine kürzere Phase der Ruhe und dann kam eigentlich als nächstes die Reaktion – warum haben wir das (Angebot) nicht?!’

(Interview 5).

Auch der Wunsch nach der Ausweitung des Angebots (z. B. Präsenz an allen Wochentagen) wurde im Verlauf der Implementierung von ÄrztInnen gewünscht. Die Erweiterung der Vollzeitäquivalente (VZÄ) erfolgte dann nach Bedarf und Möglichkeiten von 0,7 auf derzeit 2,6 VZÄ.

Zusammenarbeit mit weiteren Berufsgruppen

Teilnehmende aus den medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen erlebten, dass die Einführung der NP und deren Angebot auch den eigenen Aufgabenbereich veränderte. Unsicherheiten zeigten sich unter anderem beim interprofessionellen Zusammenwirken mit der NP. So erlebten zwei Teilnehmende eine nicht eindeutige Aufgaben- und Zuständigkeitsklärung sowie eine fehlende Berücksichtigung der Kompetenzen anderer Berufsgruppen als bedenklich:

‘Ich finde das ist eine große Schwäche. In der Entwicklung der NP-Rolle wird nicht geschaut was sind Basiskompetenzen von anderen Berufsgruppen. Was können andere Berufsgruppen nach dem Bachelor ausführen (...)’

(Interview 9).

In diesem Kontext wurde von zwei Teilnehmenden darauf hingewiesen, dass eine Klärung der Schnittstellen mit anderen Berufsgruppen notwendig sei:

‘Es geht darum, dass man sie (NPs) besser in das Gesamtsystem einfügen muss. (…) dann geht es auch nicht mehr um Akzeptanz, weil den Sinn, den sehen wir alle’

(Interview 9).

Die Sinnhaftigkeit des Angebots sahen auch Teilnehmende der seelsorgerischen Berufsgruppe und des interdisziplinären Palliative-Care-Dienstes. Diese Personen fühlten sich durch die NP in die Patientenversorgung integriert, wobei das Wissen, um eine kontinuierliche Ansprechperson, beispielsweise bei der Durchführung eines Palliative-Care-Konsiliums, besonders geschätzt wurde:

‘(…) ich weiß, wer für den Patienten zuständig ist und merke auch, dass die Angehörigen wissen, wer zuständig ist und das ist für uns sehr hilfreich, dass wir eine Ansprechperson haben. Dass ich da auch eine Kontinuität erfahre, so lange die Patienten hier sind.’

(Interview 9)

Auswirkungen auf die Patientenbetreuung

Weiterhin berichteten alle Teilnehmenden von positiven Auswirkungen auf die Patientenbetreuung; die Behandlung erfahre mehr Kontinuität, es sei eine Ansprechperson da, die umfassend begleiten konnte und das Unterstützungsund Betreuungsangebot komplettierte. Eine Person der seelsorgerischen Berufsgruppe, welche auch für die psycho-onkologische Betreuung zuständig ist, fasste dies wie folgt zusammen:

‘Noch etwas ganz Positives, ich bin jetzt seit 11 Jahren hier und habe verschiedene Phasen der Neurochirurgie erlebt.(…) Das war immer ein dominantes Thema, dass die Patienten und die Angehörigen zu wenig Informationen hatten und das war jetzt nie mehr der Fall. Die Pflege und Begleitung der Prozesse sind (im Vergleich) wie Tag und Nacht. Es ist immer eine Ansprechperson da auf der Station, die kommt und Informationen geben kann in der Ungewissheit. Das ist sehr viel Wert.’

(Interview 9)

Vor allem Teilnehmende der Professionen Medizin und Pflege erlebten eine verbesserte Betreuung und vermuteten eine gesteigerte Patientenzufriedenheit. Eine Pflegefachperson berichtete:

‘Also es gibt schon onkologische Patienten, oder auch gerade Angehörige, die sagen, sie sind jetzt viel besser betreut. Oder man kümmert sich um sie oder sie wissen, wo sie sich bei Anliegen melden können’

(Interview 6).

Ähnliche Erfahrungen wurden auch von medizinischer Seite gemacht:

‘(…) ich glaube die Patientenzufriedenheit war auch viel höher. Also viele (PatientInnen) haben auch gesagt, ja die Frau B (NP) war schon da, und wir haben mit Frau B gesprochen und, alles ist gut, Frau B hat uns alles erklärt. Also das ist natürlich auch schön für uns zu sehen (...), dass das läuft’

(Interview 7).

Entwicklungspotenziale
Rollenklärung

Potenzial zur weiteren Entwicklung wurde von den Teilnehmenden vor allem in der Aufgaben- und Kompetenzklärung der NP gesehen. Mit dieser Klärung würde ein Beitrag zur besseren Integration der Rolle im interprofessionellen Behandlungsteam geleistet. Zudem würde ein gemeinsames Verständnis der Rolle geschaffen. Dass es noch unterschiedliche Ansichten gibt, welche Verantwortlichkeiten eine NP hat, zeigt das folgende Zitat:

‘(…) ärztliche Anliegen (sollten) beim Arzt, soziale Sachen, administrative Sachen bei der NP (sein), das wäre so ein bisschen meine Traumwelt’

(Interview 7).

Aus pflegerischer Sicht scheint es jedoch klar zu sein, welche Rolle die NP nicht erfüllen sollte: ‘NPs sind (…) nicht die Sekretärinnen der Ärzte’ (Interview 6). Eine NP erläuterte hierbei, dass administrative Prozesse von der NP analysiert und somit optimiert werden können. Bei der Anmeldung von PatientInnen zu Untersuchungen konnte beispielsweise eine Standardisierung erzielt werden. Es wurde definiert, welche Fähigkeiten zur Anmeldung von PatientInnen erforderlich seien und welche Funktion diese Anmeldung entsprechend übernehmen kann. Im Rahmen der Prozessoptimierung wurde die NP diesbezüglich unterstützend wahrgenommen, um Strukturen und Prozesse zu bewerten und zu adaptieren. Das vertiefte medizinische Wissen, aber auch das betriebliche Hintergrundwissen der NP kann so gewinnbringend eingesetzt werden, wie eine NP erläuterte:

‘Auch dieses medizinische Wissen, dass man die Behandlung optimieren kann, aber auch diesen Nachbehandler anrufen kann und sagt, also das (kann) keine Sekretärin machen und ein Arzt nimmt sich diese Zeit übergeordnet nicht. (…) Und da braucht es, glaube ich, ein komplexes Verständnis von medizinischen (Aspekten), wie aber auch Prozessmanagement’

(Interview 2).

Schnittstellenmanagement im interprofessionellen Team

Teilnehmende aus den medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen wünschten sich ergänzende, interprofessionelle Konzepte, die die Schnittstellen mit der NP und die Aufgabengebiete aller involvierter Berufsgruppen regeln:

‘Also absprechen, wer für welchen Teil verantwortlich ist von den Berufsgruppen. Dass klarer abgesprochen werden sollte, wer macht was. Das «Wie» ist dann ein anderes Thema. Aber, dass Inhalte somit besser abgestimmt werden können’

(Interview 9).

Angebotserweiterung

Alle Teilnehmenden beschrieben Ideen und Visionen, wie das Aufgabengebiet der NP und deren Angebot zukünftig erweitert werden könnte. Potenzial wurde u. a. in der Versorgung von weiteren Patientengruppen der Neurochirurgie gesehen. Da ein erweitertes Pflegeangebot meist von einer komplexen Versorgungssituation ausgeht, wurden in diesem Kontext PatientInnen mit einer chronischen Schmerzproblematik sowie mit geriatrischer und/oder multimorbider Problemstellung genannt.

Ferner wurde von den Teilnehmenden eine Vielzahl an möglichen Tätigkeiten genannt, welche zukünftig durch die NP geführt werden könnten: Aufnahmen und Eintritte auf der neurochirurgischen Abteilung durchführen, Unterstützung beim Selbstmanagement (z. B. bei der Deep-Brain-Stimulation), die Übernahme der ärztlichen Visite und der Angehörigengespräche, die Einführung einer Pflegevisite, Verbesserung der Austrittsberatung sowie das Anbieten eines Telefondienstes. Ergänzend wurden von Seite der Profession Medizin Tätigkeiten rund um die Erstellung von Arztberichten oder die Übernahme der post-operativen Nachsorge von Menschen mit einem malignen Hirntumor in der neurochirurgischen Poliklinik genannt.

Rahmenbedingungen

Nach Meinung einiger Teilnehmenden sollte eine Angebotserweiterung an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. So sollte die Ausübung weiterer Aufgaben mit einer adäquaten Ausbildung für NPs bzw. mit der Erweiterung des medizinischen Wissens der NP einhergehen. Hierbei reflektierte eine NP selbstkritisch:

‘Also für mich (braucht es) noch mehr im Rahmen der Ausbildung, gezielt Hintergrundwissen. Ich meine jetzt ganz klar pharmakologisch, pathophysiologisch’

(Interview 2).

Von ärztlicher Seite wurde durch ein/e Oberarzt/ärztin ergänzt, dass die NP gezielt durch ärztliche Supervision unterstützt und gefördert werden könne:

‘Man kann auch sagen, man hat eine NP und ordnet die dem Oberarzt zu. Der ist der Mentor und der schaut mit, wie bei einem Studenten. Wie eine Ansprechperson, und dann kann man einmal pro Woche zusammen schauen, wie es ist oder Feedbacks machen und so ein Betreuungsgespräch machen’

(Interview 8).

Hingegen wurde von Seite Assistenzarzt/ärztin angemerkt, dass „learning-by-doing“ auch ein Ansatz sei, Erfahrungen zu sammeln:

‘Einmal mitmachen. Sieht man, tut man, lernt man. ( ) Wenn ein Assistent neu anfängt zu arbeiten, der hat ja auch von nix eine Ahnung. Der hat keine Ahnung von gar nichts. Und er lernt halt einfach dadurch, dass er es einfach machen muss. Und eigentlich die NPs von mir ausgesehen, das sollte gleich sein, die sollen einfach machen’

(Interview 4).

Aus berufspolitischer Sicht wurde von Teilnehmenden der pflegerischen und medizinisch-therapeutischen Berufsgruppen darauf hingewiesen, dass die rechtliche Verankerung von erweiterten Pflegekompetenzen in der Schweiz noch nicht gegeben ist. Dadurch sind in der Implementierungsphase beispielsweise Probleme bei der Leistungsabrechnung entstanden. Krankenkassen akzeptierten durch eine NP ausgestellte medizinischtherapeutische Verordnungen nicht und forderten, wie gesetzlich reguliert, die Indikationsstellung durch einen Arzt bzw. eine Ärztin.

DISKUSSION

Mit der vorliegenden Studie wurde erstmalig ein Schweizer Angebot für Menschen mit einem malignen Hirntumor in der akut-stationären Versorgung durch einer NP evaluiert. Die Eindrücke involvierter Fachpersonen unterschiedlicher Professionen reflektieren die Implementierung der Rolle und deren Angebot in der klinischen Praxis; aus ihnen können Promotoren und Barrieren zur Implementierung abgeleitet werden.

Die gewählte Methodik erwies sich als zweckmäßig. Nachfolgend werden einzelne Erkenntnisse, die zur Beantwortung der Forschungsfragen beitragen, diskutiert.

Implementierung und Erleben der NP-Rolle und deren Angebot

Die Aussagen der Interviewteilnehmenden lassen sich dahingehend interpretieren, dass die Einführung der NP und deren Angebot auf Basis des PEPPA-Bezugsrahmens grundsätzlich erfolgreich war. Es wurde offensichtlich ein relevantes Bedürfnis identifiziert und durch das Angebot adressiert; der bereits in den ersten 18 Monaten erfolgte Ausbau der Vollzeitäquivalente des NP-Teams bestätigt dies. Auch die Entscheidung für die Implementierung eines NP-Teams und deren Angebot (im Gegensatz zu einer Clinical Nurse Specialist) erwies sich als zweckmäßig, da im derzeitigen Alltag Anliegen durch eine erweiterte Pflegepraxis abgedeckt werden. Wie DiCenso et al. beschreiben, benötigt eine erfolgreiche Implementierung die Klärung der Rolle (Kompetenzen/Aufgaben), die Definition von Projektzielen und -schritten sowie eine begleitende Kommunikation (DiCenso et al., 2010). Die Ergebnisse unserer Studie heben die Relevanz dieser Schritte hervor. Insbesondere die medizinischtherapeutischen Berufsgruppen haben die Einführung der NP und deren Angebot als herausfordernd erlebt; sie waren mit dem Ziel der neuen NP-Rolle bzw. des neuen Angebots nicht ausreichend vertraut und fühlten sich nicht genügend in die Implementierung einbezogen. Eine bessere Unterstützung dieser Stakeholder, über die Grenzen der neurochirurgischen Klinik hinaus, wäre gewinnbringend gewesen. Neben der Kommunikation aus der klinikinternen Projektgruppe hätte eine übergeordnete Information an andere Kliniken, beispielsweise durch das Management, eine weitreichendere Wirkung erzielen können. Eine breite und interprofessionell abgestützte Kommunikationsstrategie kann die beteiligten Berufsgruppen besser in die Implementierung integrieren, um auch die Konsequenzen und Möglichkeiten für diese Professionen zu reflektieren (Carter et al., 2010).

Akzeptanz

Nach einer initialen Skepsis, die wohl vor allem auf Unklarheiten hinsichtlich der Aufgaben der NP und deren Angebot zurückzuführen war, erfährt das Angebot heute eine hohe Akzeptanz. Neben dem Vorteil für PatientInnen und ihre Angehörigen trägt vor allem die Verfügbarkeit der NP als konstante Ansprechperson zur Akzeptanz bei. Insbesondere AssistenzärztInnen nehmen die NP zudem als eine Arbeitsentlastung wahr. Die noch fehlende rechtliche Verankerung der erweiterten Pflegekompetenzen führt hingegen zu einem gewissen Unbehagen mancher Fachpersonen. Van Soeren et al. (2011) beschreiben ähnliche Erkenntnisse. So erzeugt unter anderem die fehlende Rollenklarheit bzw. die Vereinigung von bisher pflegerischen und medizinischen Kompetenzen einer neuen Rolle Verwirrung bei anderen Berufsgruppen. Die NP als ‘Hybrid‘ zwischen Pflege und Medizin benötigt entsprechende Rahmenbedingungen (zum Beispiel eine rechtlich regulierte Verantwortung im Kanton Waadt), um diese Rolle in einem interprofessionellen Team bzw. im Gesundheitssystem nachhaltig zu verankern (Maier, 2019; Van Soeren et al., 2011). Zudem ist bekannt, dass Schwierigkeiten bei der Leistungsabrechnung zu einer reduzierten interprofessionellen Zusammenarbeit führen (Geese et al., 2020; Reeves et al., 2017). Dies konnte auch in der hier untersuchten Implementierung beobachtet werden (z. B. im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Ausstellen von Therapie-Verordnungen durch die NP).

Weiterentwicklung

Die Nachsorge von Menschen mit einem zuvor behandelten malignen Hirntumor wurde als eine Möglichkeit zur Erweiterung des Angebots beschrieben; dies würde eine Betreuung über das derzeitig akutstationäre hinaus in ein ambulantes Setting bedeuten. Eine solche Erweiterung wäre nicht nur mit einer Erweiterung der fachlichen Kompetenzen verbunden, sondern würde wohl auch den Kreis der involvierten Fachpersonen (bspw. Primärversorgende) und damit die Herausforderungen hinsichtlich interprofessioneller Zusammenarbeit nochmals erweitern. Für PatientInnen und Angehörige ist die Aussicht auf eine kontinuierliche Betreuung über das stationäre Setting jedoch sicher attraktiv. Auch wenn die Nachsorge der hier betreuten Patientengruppe, aufgrund der Krankheitsprognose zeitlich limitiert scheint, stellt sich die Frage inwieweit das Angebot einen Beitrag bei der Transition vom „Krebserkrankten“hin zum „Krebsüberlebenden“(Survi vorship Care) bietet (Nekhlyudov et al., 2017). Dossett et al. identifizierten mehrere kommunikationsbezogene Probleme zwischen Onkologie und Primärversorgung. Bedarf zeigte sich bei Schnittstellenrelevanten Themen, wie die Kommunikation, die Koordination der Verantwortlichkeiten und die Rollenklärung (Dossett et al., 2017). APN-Angebote können viel dazu beitragen, die Kommunikation zu verbessern und Wissenslücken in Bezug auf die Implementierung von relevanten Leitlinien (u. a. Survivorship Care Planning) zu schließen, insbesondere in Bezug auf die Lebensqualität, das Symptommanagement und die Gesundheitsüberwachung von an Krebs Erkrankten (Leeper et al., 2018; McCabe et al., 2013; Thom et al., 2019).

Limitationen

Die vorliegende Studie beschränkt sich auf akutstationäre Aufenthalte von PatientInnen mit einem malignen Hirntumor; andere Patientengruppen, die zwar auch in der Klinik für Neurochirurgie behandelt werden, wurden nicht betrachtet. Die Ergebnisse sind daher in erster Linie auf ähnliche klinische Settings übertragbar. Aus pragmatischen Gründen ergaben sich Einschränkungen hinsichtlich der Anzahl der durchgeführten Interviews, der Terminwahl und dadurch auch der teilnehmenden Personen. Zwei Interessierte konnten somit nicht an der Studie teilnehmen. Die Interviews wurden innerhalb der Dienstzeit durchgeführt, die Teilnahme war freiwillig. Ein gewisser Selektionsbias ist daher nicht auszuschliessen. Die dargestellten Ergebnisse geben einen fundierten Einblick aus Sicht der Pflegefachpersonen, ÄrztInnen, LogopädInnen, ErgotherapeutInnen und SeelsorgerInnen. Hierbei kam es zu wiederholenden Rückmeldungen zu den generierten Themen mit Bezug auf die Rollen- und Angebotsimplementierung in der einen ausgewählten Klinik. Von einer vollständigen Datensättigung im Sinne des konstruktivistischen Bezugsrahmens der Studie kann jedoch nicht ausgegangen werden, da jede interviewte Fachperson über eine subjektive Erlebenswelt verfügt (Meyer, 2017). Zudem fehlen weitere Berufsgruppen, die ebenfalls in die Betreuung der untersuchten Patientengruppe involviert sind (z. B. Ernährungstherapie, Physiotherapie). Eine Datensättigung wäre bei größerem Sample, d. h. einer größeren Anzahl an Interviews, denkbar.

Empfehlungen für die Praxis und Forschung

Die Studie berichtet von der erfolgreichen Einführung eines NP-Teams und deren Angebot in der akutstationären Patientenbetreuung; sie zeigt damit auf, dass die Implementierung eines APN-Angebots auch in einem solchen Setting funktionieren kann. Die Orientierung am PEPPA-Rahmenkonzept hilft dabei und trägt zur erfolgreichen Umsetzung bei. Die Konzipierung der Rolle und des Angebots, insbesondere hinsichtlich der Kompetenzen und der Abgrenzung zu anderen Berufsgruppen und Funktionen, ist wichtig. Es zeigte sich deutlich, dass die Akzeptanz der Rolle und des Angebots steigt, wenn diese Aspekte ausreichend berücksichtigt werden. Wie die Interviews verdeutlichten, wurde die Sinnhaftigkeit des Angebots kaum infrage gestellt; den Befindlichkeiten aller Berufsgruppen – insbesondere derjenigen, die eher punktuell in die Patientenbetreuung integriert sind – ist ausreichend Beachtung zu schenken. Durch Einbindung aller Berufsgruppen und durch geeignete Kommunikation können Konflikte frühzeitig erkannt und entschärft werden. Ein interprofessioneller Ansatz fördert das gemeinsame Verständnis gegenüber der NP und deren Angebot.

Aus Forschungsperspektive wäre nach der Evaluation der Rollen- und Angebotsimplementierung eine Untersuchung möglicher Auswirkung auf die klinischen Outcomes indiziert. Hierbei könnten PROMs (patient-reported outcomes measures) bzw. PREMs (patient-reported experience measures) zum Einsatz kommen, um die Effekte auf Seite der PatientInnen und Angehörigen aufzunehmen.

eISSN:
2296-990X
Langues:
Anglais, Allemand
Périodicité:
Volume Open
Sujets de la revue:
Medicine, Clinical Medicine, other