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Der verwaltete Souverän. Kleists Michael Kohlhaas und die preußischen Reformen

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09 juil. 2025
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Zur preußischen Verwaltung unterhielt Heinrich von Kleist ein verwickeltes Verhältnis. Führten andere deutsche Dichter um 1800 eine Art »Doppelleben von ›Schriftstellern als Staatsbeamten oder Staatsbeamten als Schriftstellern‹«, misslang Kleist »die Einheit der Person beider«. (1) Und dennoch entwickelte sich seine Autorschaft in Auseinandersetzung mit dem Staatsdienst. In Briefen, die er 1800 an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge schrieb, begründete er umständlich, warum für ihn eine Ämterlaufbahn nicht in Frage kam:

Ich will kein Amt nehmen. Warum will ich es nicht? [...] Ich soll thun was der Staat von mir verlangt, u doch soll ich nicht untersuchen, ob das, was er von mir verlangt, gut ist. Zu seinen unbekannten Zwecken soll ich ein bloßes Werkzeug sein — ich kann es nicht.

(DKV IV, 150) (2)

Was Kleist eine Beamtenkarriere unmöglich machte, scheint das Anforderungsprofil des alten, absolutistischen Staats gewesen zu sein, wie er nicht selten als Maschine metaphorisiert wurde – der Staat, den Kant in seiner Aufklärungsschrift besprochen hat und in dessen Dienst Beamte lediglich »Privatgebrauch« von ihrer Vernunft machen sollten, während der öffentliche, auf »Fortschritt« zielende Vernunftgebrauch dem aufgeklärten Gespräch vorzubehalten war, den sie als Mitglieder der Gelehrtenrepublik zu führen hätten. (3) Nach 1804 und nach dem Scheitern seines Guiskard-Projekts, nach dem Versuch, sich Napoleons Armee bei der Invasion Englands anzuschließen und nach Monaten, über die wenig bekannt ist, aber viel spekuliert wird, bemühte sich Kleist doch um eine Anstellung in der preußischen Verwaltung. Diese reformierte sich damals zu einer Agentur zunehmender »Etatisierung« oder »Durchstaatlichung«, (4) in deren Zuge die Gelehrtenrepublik untergehen und ›Fortschritt‹ – unter den Vorzeichen eines ökonomischen Liberalismus und seiner »Bewegungsbegriffe« (5) Reform und Revolution – zur neuen Räson des Staates avancieren sollte.

Kleist ist gerade zu jener Zeit (nämlich zwischen 1804 und 1806) zum literarischen Prosaautor geworden, da er sich im Büro des Reformers Karl Freiherr von Stein zum Altenstein und dann in Königsberg auf den Staatsdienst vorbereitete. (6) Hans Kiefner hat darauf hingewiesen, dass Kleists Schreibweise und insbesondere seine Erzählanfänge unübersehbar beeinflusst sind von der Relationaltechnik, die in den noch kollegial organisierten preußischen Gerichts- und Kameralbehörden dominierte und wichtiger Bestandteil der kameralistischen Ausbildung war: In Stil und Darstellung nimmt sie Eigenheiten von Relationen oder Berichten auf, mit denen Referenten dem Kollegium einen Fall vorstellten, indem sie zunächst in einer »Geschichtserzählung« (den Species Facti) die Fakten des Falls zusammentrugen, dann Aktenauszüge zusammenstellten und schließlich in einem Gutachten einen Vorschlag dafür formulierten, wie in dem Fall zu entscheiden sei. (7) Mit der preußischen Verwaltung, ihren Eigenarten und Defiziten hat sich Kleist ebenso gelehrig wie kritisch beschäftigt, was sich freilich, mehr noch als in praktischen Beobachtungen oder theoretischen Stellungnahmen, hauptsächlich in seiner erzählenden Prosa und insbesondere in seiner Novelle Michael Kohlhaas niederschlagen sollte.

Vor diesem Hintergrund soll hier mindestens zweierlei gezeigt werden: zum einen, dass Kleist in seiner literarischen Auseinandersetzung mit älteren administrativen Schriftformen (insbesondere dem Medium der Supplik) die Erosion der um die Person des Fürsten zentrierten symbolischen Ordnung untersuchte, den Wirkungs- und Wirklichkeitsverlust der Sprachregelungen absolutistischer Verwaltung und der von ihr gestifteten sozialen Verhältnisse; zweitens, dass Kleists Figur des Michael Kohlhaas als Sprachrohr jener Verwaltungskritik verstanden werden kann, die um 1800 in den Kreisen der preußischen Reformer vorgebracht wurde. Wenn Kohlhaas die marode, intransparente und von Günstlingswirtschaft geprägte Verwaltung insbesondere des sächsischen Kurfürsten aufschreckt und ihr die ›redliche‹, zudem mit allen Eventualitäten kalkulierende Besorgung, Buchhaltung oder Verwaltung seiner eigenen (kaufmännischen) Geschäfte entgegensetzt, veranschaulicht dieses Szenario jene eigentümliche Rechtslage, die man im späteren 18. Jahrhundert mit dem »Preußischen Allgemeinen Landrecht« (1794) verband: dem Nebeneinander von mannigfaltigen, aus der feudalen Vergangenheit überkommenen Rechtsbeständen und von Reformversuchen zur Etablierung einer verfassungsrechtlich gestützten Staatsbürgergesellschaft. (8) Zugleich wird damit in historischer Brechung und im narrativen Modus gerade jene Kritik ausbuchstabiert, die die preußischen Reformer an Friedrich Wilhelms III. Regierungsweise ›aus dem Kabinett‹ übten.

Nicht nur als literarische Mit- und Umschrift der administrativen Textformen Supplik und Relation soll hier Kleists Prosa verstanden werden, sondern vielmehr als ein Erzählen, das den Übergang von einem zeremoniellen und ›darstellenden‹, Sachen und Personen »in einem strikt hierarchischen Universum« platzierenden Sprachgebrauch hin zu einer Schreibart dokumentiert, welche im Sinne der preußischen Reformverwaltung auf Effektivität und Erledigung setzt. (9) Und mehr noch: Sein Michael Kohlhaas soll als eigentümliche Weise literarischer Beobachtung begriffen werden, die die administrative Kommunikation, deren Institutionen, Netzwerke und Entscheidungsrationalitäten ins Zentrum rückt und hierbei eine historische und zugleich systematische Bruchstelle zutage fördert: einerseits den Versuch der preußischen Reformer, die Monarchie zu ›bürokratisieren‹, d. h. den Souverän in eine »umfassende Struktur von Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflicht« einzubinden, (10) womit sein rechtsetzendes ›Walten‹ entpersonalisiert und ›verwaltet‹ werden sollte, was zwangsläufig den Widerstand des Monarchen hervorrufen musste; andererseits das Betriebsgeheimnis und die Aporie administrativer Entscheidungsmacht, die auf der unauflöslichen Verbindung, zugleich aber der unvermeidlichen Trennung von Verwaltung und Souveränität beruht. Anders als es insbesondere dem Kohlhaas gerne attestiert wird, geht es in Kleists Texten gerade nicht um ›Bürokratie-Kritik‹, sondern vielmehr um eine Analytik der älteren Verwaltung unter den Vorzeichen der preußischen Reformprogramme. Zwar geisterte der Spott- oder Kampfbegriff bureaucratie seit seiner Prägung durch Vincent de Gournay Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Staatstheorie und Publizistik Frankreichs wie auch Preußens. Doch während er dort die schleichende Übertragung absolut souveräner Entscheidungsgewalt in die Hände subalterner, weil durch etliche Regularien gebundener Schreiber meinte, wurde hier vielmehr die Willkürherrschaft vieler kleiner, unbehelligter und unbefugter Souveräne beklagt. Was in Preußen allererst geschaffen werden musste, war eine ›Bürokratie‹. Sie von der Warte drangsalierter Bürger oder enttäuschter Beamter aus zu ›kritisieren‹, sollte einer späteren Epoche vorbehalten bleiben.

Zugänge zum Machthaber

Vielleicht trifft auch auf Kleist und sein Schreiben zu, was Gilles Deleuze und Félix Guattari einmal zu Kafka und seiner Literatur festgestellt haben: dass er »Experimente protokolliert, daß er nur Erfahrungen berichtet, ohne sie zu deuten, ohne ihrer Bedeutung nachzugehen.« (11) Wenn die Kohlhaas-Novelle ein narratives ›Experiment‹ zu Problemen preußischer Regierungskunst und Verwaltung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist, dann gibt es womöglich (und wie bei Kafka) auch Texte, die ihr als Erfahrungsberichte zugrunde liegen. Tatsächlich verfasste Heinrich von Kleist im Juni 1804, nach längerem Schweigen, einen Brief an seine Schwester Ulrike, der in der Forschung nur wenig beachtet worden ist, Günter Blamberger zufolge aber das Zeug hätte, in Walter Benjamins Brief-Anthologie »Deutsche Menschen« aufgenommen zu werden. (12) Nachdem er noch wenige Jahre zuvor in Briefen auseinandergesetzt hatte, warum eine Beamtenlaufbahn für ihn nicht infrage kommt, berichtet Kleist hier von seinem Vorstellungsgespräch im Schloss Charlottenburg, mit dem er den Versuch wagte, in den preußischen Staatsdienst aufgenommen zu werden. Der Bericht handelt von Kleists Unterredung mit Karl Leopold von Köckritz, einem engen Vertrauten des Königs und einer entscheidenden Figur in der (von den Reformern heftig kritisierten) Kabinettsregierung. Friedrich Wilhelm hat ihn in einer »Instruktion« von 1797, in der es um Köckritz' Rolle bei dem Versuch geht, die »Zerrüttung in den Finanzen wieder herzustellen und ein auf Ordnung ruhendes festes System der Staatsverwaltung einzuführen«, (13) für seine Sekretärstugenden gelobt: für seinen »Biedersinn, richtige Beurtheilung, natürlichen Verstand, festen Charakter und die erprobteste Rechtschaffenheit«. (14) Der Reformer Freiherr von Stein sollte ihn hingegen als einen »eingeschränkte[n] ungebildete[n] Kopf von einem gemeinen Charakter und Denkungsart« beschreiben, »die ihm einen unwiderstehlichen Hang zur Plattheit in Ansichten, Beschlüssen und Auswahl der Umgebung gibt, und womit er eine höchst schädliche und unverständige Geschwätzigkeit verbindet«. (15) An Köckritz schieden sich die Geister des Monarchen und der Reformer.

Der Erfahrungsbericht vom Vorstellungsgespräch bei Köckritz, dem Kleist insbesondere seine vormaligen Bemühungen plausibel zu machen hatte, sich der Armee Napoleons anzuschließen, ist schon dadurch bemerkenswert, dass es von Kleist nur wenige Briefe gibt, in denen er überhaupt ins Erzählen kommt. Vor allem aber scheinen hier bereits etliche jener Stil- und Ausdruckskomponenten erkennbar, die dann auch seine Erzählungen kennzeichnen sollten – Erzählungen, die allesamt während oder nach Kleists Versuchen entstanden, im Staatsdienst Fuß zu fassen: die strenge Äußerlichkeit der Darstellung; (16) der dramatische Modus; das Schreiben unter den Vorzeichen des Verdachts; oder etwa die für Kleists Prosa immer wieder festgestellte Bedeutung der minutiae, der unscheinbaren Umstände und Beiläufigkeiten, die zum Initial ungeheurer und plötzlicher Wendungen werden können. (17)

Wie im Fall der Schlagbaum-Szene aus Kleists Kohlhaas, in der dem Rosshändler wegen eines angeblich fehlenden Passierscheins seine Pferde abgenommen werden, geht es auch hier um jene Kontaktstelle, an der Behörden oder Agenten der Obrigkeit mit Bürgern oder Untertanen in direkte Konfrontation geraten. Hier wie dort tritt souveräne Macht in Erscheinung, indem deren Vertreter ihres Amtes walten. Und hier wie dort schreibt Kleist an einer spezifischen ›Ästhetik‹ souveräner Macht, nämlich an einer Erscheinungs- und Wirkungslehre, die hinter dem Rollen- und Handlungsspiel der Verwaltung eigenmächtige, obschon bloß delegierte Handlungsmacht enthüllt. Schon der Beginn seines Briefs (hier und im Folgenden: DKV IV, S. 322–324) weist das Verhältnis zwischen dem Souverän und der Verwaltung des Kleist'schen Stellengesuchs als ein verwickeltes aus:

Ich kam Dienstag Morgen's mit Ernst u Gleißenberg hier an, mußte, weil der König abwesend war, den Mittwoch u Donnerstag versäumen, fuhr dann am Freitag nach Charlottenburg, wo ich Kökritzen endlich im Schlosse fand.

Der Versuch, den Souverän selbst zu adressieren, führt unweigerlich zu seinem Sekretär, der nur im günstigsten Fall einen Zugang zum König bahnen wird:

Ich käme, fuhrt ich fort, ihn in meiner wunderlichen Angelegenheit um Rath zu fragen. Der Marquis von Lucchesini hätte einen sonderbaren Brief, den ich ihm aus St. Omer zugeschickt, dem König vorgelegt. Dieser Brief müsse unverkennbare Zeichen einer Gemüthskrankheit enthalten, und ich unterstünde mich, von Sr. Majestät Gerechtigkeit zu hoffen, daß er vor keinen politischen Richterstuhl gezogen werden würde. Ob diese Hoffnung gegründet wäre? Und ob ich, wiederhergestellt, wie ich mich fühlte, auf die Erfüllung einer Bitte um Anstellung rechnen dürfte, wenn ich wagte, sie Sr. Majestät vorzutragen?

Bei Köckritz hofft Kleist also herauszubekommen, welche »Hoffnungen« er sich beim König machen und welche Erfolgsaussicht eine »Bitte um Anstellung« haben kann. Zwar wurde schon Anfang der 1790er- Jahre der Begriff des ›Staatsdiensts‹ deutlich von dem des ›Fürstendiensts‹ geschieden, sei die Amtsvergabe doch keine Gnadensache, sondern erfolge allein auf Grundlage einer wissenschaftlichen und moralischen Prüfung. (18) Doch folgt Kleists Anstellungsgesuch noch ganz der Logik des Fürstendiensts: »Ich hätte Lust meinem Könige zu dienen, keinem Andern.« Und obschon man bereits im 18. Jahrhundert versucht hatte, den Zugang zur Administration durch die Einrichtung geregelter Verfahren unabhängiger zu machen vom Verwaltungspersonal und ihren, mit Hegel gesprochen, »Leidenschaften«, (19) besetzt die Person Köckritz hier unverkennbar jene Position des Türhüters, jenen neuralgischen Punkt der Entscheidung, von dem aus sich auch Kleists Leben in diese oder jene Richtung entwickeln wird:

Er nahm das Schnupftuch aus der Tasche und schnaubte sich. »Wenn er mir die Wahrheit gestehen solle«, fieng er an, und zeigte mir jetzt ein weit besseres Gesicht, als vorher, »so könne er mich nicht verhehlen, daß er sehr ungünstig von mir denke. Ich hätte das Militair verlassen, dem Civil den Rücken gekehrt, das Ausland durchstreift, mich in der Schweiz ankaufen wollen, Versche gemacht (o meine theure Ulrike!) die Landung mitmachen wollen, & & & Überdies sei des Königs Grundsatz, Männer, die aus dem Militair in's Civil übergiengen nicht besonders zu protegiren. Er könne nichts für mich thun.« – Mir traten wirklich die Thränen in die Augen. Ich sagte, ich wäre im Stande, ihm eine ganz andere Erklärung aller dieser Schritte zu geben, eine ganz andere gewiß, als er vermuthete.

(Hervorh. i. O.)

In Friedrich Wilhelms Instruktionen wurde Köckritz noch als eine ideale »Mittelsperson« beschrieben, die sich, bei der Rekrutierung der königlichen Beamtenschaft, »ohne Geräusch und ohne besondere Absichten merken zu lassen, nach braven, rechtschaffenen und einsichtsvollen Männern umsehen« wird. (20) In Kleists Bericht ist von diesem unpersönlichen Dienst an der Sache (des Königs und seiner Verwaltung) nur wenig zu merken. Entsprechend unklar scheint es hier, inwiefern durch die ›Mittelsperson‹ der König oder Köckritz spricht. Der Wechsel vom »finstern Gesichte«, dann »weit bessere[n] Gesicht«, mit dem Köckritz Kleist begegnet, zum »mit Einemmale« »wieder hervor[geholten]« »alte[n] Gesicht« belässt Kleist bis zuletzt im Ungewissen. Wenn er also über die Begegnung mit der Verwaltung schreibt, dann unter der Voraussetzung, dass er es weniger mit einer Agentur oder einer Wirkungsdomäne des Staates selbst zu tun hat als vielmehr mit einem schwer durchschaubaren Interface königlicher Macht, das es offenlässt, ob die Signale und Zeichen persönlicher Interaktion auf eine Begegnung mit dem König schließen lassen – oder nur auf eine solche mit einem subalternen Fürstendiener und dessen unberechenbaren Idiosynkrasien. Kleists Aufmerksamkeit für vermeintlich nebensächliche Umstände wie Köckritz' »Schnauben« in sein »Schnupftuch« und seine dauernden Mutmaßungen über dessen Gewogenheit (»Er schien mich nicht ganz ohne Theilnahme anzuhören«) reduzieren die Sache der Verwaltung auf einen Fall der Devotion und Bittstellerei, und die literarische Annäherung an die Administration verlegen sie in den dramatischen Modus.

Kleists Vorstellungsgespräch endet mit Köckritz' Versprechen, »nicht entgegen zu wirken«, sollte es Kleist gelingen, den König mit einem Brief »zu einer Anstellung geneigt [zu] machen«. Kleist bittet ihn »förmlich um diese Gnade«. Auf der Fahrt von Charlottenburg nach Berlin liest er dann, wie er Ulrike schreibt, noch einmal jenen Brief, in dem Wieland über das »Meisterwerk« schreibt, das Kleist mit seinem Guiskard unbedingt vollenden sollte. Kleist hebt sich damit »ein wenig wieder aus der Demüthigung«, die er »so eben erfahren hatte«. Hier und auch, wenn er Ulrike berichtet, dass er an den König geschrieben und das »in einer Sprache« getan habe, »welche geführt zu haben, mich nicht gereuen wird«, wird deutlich, dass für Kleist gerade an der Schwelle zum Fürsten- oder Staatsdienst und im Kontakt mit einer »Mittelsperson« des Königs die Frage nach dem eigenen Schreiben dringlich wird. Die Episode mit Kleists (gescheiterter) Bewerbung um eine Anstellung im preußischen Staatsdienst führt seinen Durchbruch als Erzähler ebenso wie die Stilistik seines künftigen Erzählens auf eine Konstellation zurück, in der zum erlebten Scheitern als Dramatiker sein Wunsch nach Mitwirkung im preußischen Fürstenstaat hinzukommt und sein Interesse an der Funktionsweise, dem Status und den Defiziten der zeitgenössischen Verwaltung.

Die Adresse des Königs

Kleists Novelle Michael Kohlhaas berichtet im ersten Teil von einem Untertanen, der vergeblich versucht, seinen Souverän zu adressieren, alsbald selbst souveränen Status beansprucht und als »Statthalter Michaels, des Erzengels«, (DKV III, 73) der Obrigkeit den »gerechten«, (DKV III, 65) Krieg erklärt. In ihrem Schlussteil wechselt sie das Register, als eine Zigeunerin Kohlhaas einen »wunderbaren Zettel« (DKV III, 136) übergibt, auf dem das Schicksal eines Kurfürsten und seiner Macht beschlossen ist. (21) Fortan wird von einem Souverän erzählt, der verzweifelt eines Untertans (und dessen Wissen) habhaft zu werden sucht. Zuletzt erreicht der Souverän seinen Untertanen so wenig, wie dieser jenen anfänglich zu adressieren vermochte. Wenn man so will, hat sich in dieser Handlung Kleists eigene Erfahrung mit der preußischen Verwaltung niedergeschlagen, schließlich war seinem eigenen Bittgesuch an den preußischen König über Wochen kein Erfolg beschieden, wurde er aber seinerseits wiederholt auf ›absolutistische‹ Weise mittels einer Kabinettsordre adressiert. Im Stile eines Gedankenexperiments pointiert und invertiert die Novelle eben diese Konstellation, wenn des Rosshändlers Supplik, wenn also sein Versuch, vom Kurfürsten von Sachsen Gerechtigkeit und »Genugtuung« (DKV III, 132) für eine Rechtsverletzung zu erreichen, scheitert und er deshalb zuletzt seinen Status als adressierbarer und gehorsamer Untertan aufkündigt.

Die (allererste) Rechtsverletzung, von der ausgehend die Novelle ihre – mit Kleists »Erdbeben in Chili« gesprochen – »ungeheure Wendung« (DKV III, 191) nehmen wird, hat Kohlhaas durch die Person des Junkers Wenzel von Tronka erfahren. Von Tronka könnte man insofern als administrative Figur verstehen, als er – oder sein Burgvogt (22) – die Macht des Kurfürsten von Sachsen in einem beschränkten Bezirk und Maß verwaltet. Mit administrativ ist allerdings eigentlich die Treue zu jenem Dienst bezeichnet, der der weltlichen Macht, der potestas oder potentia, nämlich dem Walten des Souveräns gilt. Im Falle Wenzel von Tronkas kann in diesem Sinne von einem Dienst an der sächsischen Souveränität nicht wirklich die Rede sein, eher von einer bloßen Partizipation an ihrer potestas. Mehr als ihn sein administratives Amt verpflichtet, »reizt« ihn »der mächtige Schweißhengst« von Kohlhaas (DKV III, 17). Verwaltung bezeichnete in deutschen Landen seit dem 15. Jahrhundert nicht nur ein schieres »in der Gewalt haben«, sondern das pflichtbewusste Versehen eines Amts als Aufsicht und Sorge über eines anderen Sachen oder Güter. Die vermeintliche Verwaltung im Namen des Souveräns ist im Falle von Tronkas jedoch nur ein Mittel zu dem Zweck, mit dem Amtstitel (auf seinem begrenzten Terrain) souveräne Macht (zum eigenen Vorteil) auszuüben. (23)

Verwaltung ist, wie es H.G. Adler beschrieben hat, ihrem Wortsinne nach »eine gebannte, eine getilgte Gewalt«, (24) die das schiere ›Walten‹ zugunsten kommunikativer Umwege, die Gewalttätigkeit zugunsten von Verwaltungstätigkeit zurückstellt. Wenzel von Tronka aber – und mit ihm eine ganze Reihe ›administrativer‹ Figuren – ist nur dem Namen nach Verwalter, dem Handeln nach aber bloßer Nutznießer und Parasit von Souveränität. Dem Begriff und Amt des ›Verwaltens‹ leisten sie allesamt nicht Genüge. Und unter eben diesen Vorzeichen entfaltet sich in Kleists Novelle – zwischen Kohlhaas' Supplizieren und dem Kampf des Kurfürsten um den ominösen Zettel, zwischen Kohlhaas' Begehren nach dem Souverän und dessen Begehren nach dem Untertan – ein von verschiedenen Souveränen, von vermeintlichen Verwaltern und von zahlreichen Subalternen beherrschter und bevölkerter erzählerischer und imaginärer Raum: Kaiser, Kurfürsten, Kämmerer, Staatskanzler, Staatsräte, Junker, Magistrate, Geheimräte, Geheimschreiber, Gerichtsräte, Gerichtsboten, Polizeichefs oder Zöllner — eine Unzahl von ›Machthabern‹ und ihren Stellvertretern, die ›machtvolle‹ Papiere verschiedenster Art ausgeben und die an keiner Stelle sichtbar ›waltende‹ Macht im schlechten Sinne ›ver-walten‹, d. h. eher zersetzen als verwirklichen, indem sie eine Unzahl mehr oder weniger klar adressierter Schriftstücke kursieren lassen: Suppliken, Briefe, Mandate, Resolutionen, Noten, Berichte.

Zum Thema wird dieses Problem persönlicher und schriftlicher Verwaltung nur deshalb, weil zwei Pferde des Rosshändlers Kohlhaas von – in der Begrifflichkeit des »Allgemeinen Landrechts« – Dingen mit vergleichbarem Wert zu »unschätzbaren Sachen« werden, deren Beschädigung nicht abgeglichen werden kann, sondern die wieder »in ihren alten Stand« versetzt werden müssen. (25) ›Unschätzbar‹ und somit unersetzbar sind die Pferde dadurch, dass mit ihnen nichts Geringeres als die Rechtssicherheit auf dem Spiel steht – nicht nur für Kohlhaas die Bedingung der Möglichkeit dafür, seinen, wie es in der Erzählung mehrfach heißt, »Geschäften« nachgehen zu können. Nur deshalb gerät die unzureichende, durch persönliche Interessen, Privilegien und Begünstigungen korrumpierte Verwaltungspraxis, die eigentlich die Sicherheit und Durchsetzung des Rechts zu garantieren hat, ins Licht der Erzählung. Kohlhaas' Kampf um sein Recht ist – und man kann hier an den von den preußischen Reformern proklamierten Vorrang von Verwaltungsreformen gegenüber Wirtschafts- und schließlich Verfassungsreformen denken (26) – ein Widerstand gegen die Art und Weise, wie Souveränität und ein von ihr abhängiges Recht verwaltet wird. Eine Formulierung Michel Foucaults abwandelnd könnte man sagen: In Kohlhaas' Krieg eskaliert eine Regierungskritik, die darin besteht, ›nicht auf diese Weise verwaltet‹ werden zu wollen. (27)

Während etwa Carl Schmitt den Kampf von Kleists Kohlhaas als »rein kriminell« verstanden hat, »weil er nicht politisch wurde und ausschließlich für sein eigenes verletztes privates Recht kämpfte«, (28) kann man in ihm auch einen, mit Marx gesprochen, »negativen Repräsentanten« einer zu verwirklichenden Gesellschaft erkennen, der in sich den »völlige[n] Verlust des Menschen« erlebt und in seiner Sache unmittelbar die Sache der Allgemeinheit beschädigt sieht. (29) Deshalb setzt Kleists Kohlhaas auch die gestörte »Ordnung« seiner »eigne[n] Brust« umstandslos in ein Verhältnis zur »ungeheuren Unordnung« der »Welt« (DKV III, 47) und betrachtet er sich als »mit seinen Kräften der Welt in der Pflicht verfallen […], sich Genugtuung für die erlittene Kränkung, und Sicherheit für zukünftige seinen Mitbürgern zu verschaffen« (DKV III, 27). ›Negativer Repräsentant‹ oder Vorkämpfer und Vorbote ist er allerdings nur für eine Gesellschaft der Verträge und für eine Welt, in der die rechtssichere Möglichkeit, »Geschäfte« zu machen, unbedingt gegeben sein soll, um hier offene kaufmännische Zukünfte möglichst gut verwalten zu können. Kohlhaas ist ein Kosmopolit zweier Welten. Mit dem einem Bein steht er in einer alten, merkantilistisch geordneten, und mit dem anderen in einer neuen, dem ›freien‹ Markt und Wirtschaften übereigneten Welt.

Weil Kohlhaas' Feldzug zwar auf sein ›gutes‹ Recht und auf künftige Rechtssicherheit zielt, diese aber weniger theoretisch bestritten als im Zuge ›schlechter‹ Verwaltungspraxis unterschlagen werden; weil die Handlung um Kohlhaas im 16. Jahrhundert angesiedelt ist, da der mittelalterliche Staat der Gerichtsbarkeit sich zum Verwaltungsstaat transformierte; und weil zur Entstehungszeit von Kleists Novelle der Kampf gegen die patrimoniale Herrschaft und gegen den Absolutismus sowie der Aufbau eines liberalen Rechtsstaats und mit ihm die kategoriale Trennung von Justiz und Verwaltung auf der Agenda standen (30) – aus all diesen Gründen liegt es nahe, Kleists Novelle nicht so sehr als eine Auseinandersetzung mit rechtstheoretischen Problemen zu lesen, sondern vielmehr als einen Text, in dem es um neuzeitliche Probleme der Administration geht, insbesondere um die Ausübung und Transformation (souveräner) Gewalt über die Kanäle ihrer Verwaltung. In Anlehnung an die Traktatliteratur des 18. Jahrhunderts könnte man auch sagen, Michael Kohlhaas handle von der ›Kunst‹, der techne und Praxis des Regierens an der Schwelle zur modernen ›Bürokratie‹.

Welche grundsätzlichen Probleme um 1800 unter dem Titel der ›Regierungskunst‹ verhandelt werden, offenbart vielleicht schon ein flüchtiger Blick auf die Probleme von Friedrich Wilhelms III. »Gedanken über die Regierungskunst« von 1796/97: Was sichert die gute Ordnung eines Gemeinwesens? Über welche Tugenden müssen Regenten verfügen? Wie entstehen Aufstände und wie lassen sie sich abwenden? Wie hat man den Warenverkehr an den Territorialgrenzen zu regeln? Ausführlich traktiert werden in den Gedanken nicht umsonst die zwei folgenden Fragen: die der Ämterbesetzung und daher die des Verhältnisses zwischen dem ›ersten Diener des Staats‹ und seinen Verwaltern; und, hiermit verbunden, die Frage danach, wie man mit den Suppliken, den Gnadengesuchen der Untertanen umzugehen habe, wie also derjenige Kanal beschaffen sein soll, der im absolutistischen Kommunikationsraum (nach dem Vorbild Frankreichs und der dortigen Ausschaltung der Ständeherrschaft) eine außer- oder metarechtliche Direktverbindung zwischen Regent und Regierten stiften sollte. (31) An diesem Kanal hängt, zumindest bis 1800, nicht weniger als der Begriff des Regierens, des Regenten und der Regierten – und dies auf eine weniger vertragstheoretische als kommunikationspraktische Weise.

Kleists Kohlhaas suppliziert, nachdem er feststellen muss, dass ihm in Sachsen der Rechtsweg, auf dem er gegen das ihm widerfahrene Unrecht klagen will (gegen die falsche Forderung nach einem Passschein, gegen die Zurichtung seiner Pferde, gegen die Misshandlung seines Knechts), schlicht und ergreifend verstellt ist. Obwohl in der brandenburgischen »Schreiberei des Stadtgerichts« »ganz nach den Forderungen« aufgesetzt (DKV III, 43), erreicht die Supplik den Kurfürsten von Brandenburg nicht, sondern wird sie zum Zweck, »nähere Information« einzuholen, zunächst umgeleitet und dann vom Verwaltungsapparat der Justiz unterschlagen. Kohlhaas' Frage, »warum man also verfahre« (DKV III, 45), bleibt ohne befriedigende Antwort. Seine Frau Lisbeth wird später versuchen, die Supplik der »Person« des Kurfürsten selbst zu überreichen, indem sie ihre guten Beziehungen zu dessen Kastellan spielen lässt. Auch das misslingt. Statt Abhilfe zu schaffen für den ›Papierstau‹ im Verwaltungsapparat, kehrt sie selbst – und angeblich selbstverschuldet – mit tödlichen »Quetschungen« nach Kohlhaasenbrück zurück: »Es schien, sie hatte sich zu dreist an die Person des Landesherrn vorgedrängt, ohne Verschulden desselben, von dem bloßen rohen Eifer einer Wache, die ihn umringte, einen Stoß, mit dem Schaft einer Lanze, vor die Brust erhalten. Wenigstens berichteten die Leute so« (DKV III, 58f.), heißt es im Stile eines narrativen Vorbehalts, so als sei im Zeitalter diffus, korrupt und intransparent ›verwalteter‹ Souveränität auch und gerade Berichten über dieselbe zu misstrauen.

Suppliken sind rhetorische Medien einer stratifizierten Gesellschaft und damit Medien einer »art of positionality in address«. (32) Im Fall von Kohlhaas' Supplizieren werden indes Positionierungen, Nähe- und Distanzverhältnisse unsicher und unzuverlässig, die genretypische Redesituation scheint in seinem Fall nicht mehr so einfach herzustellen. Mindestens bis zu Kleists Zeit galten primär rhetorisch geformte Texte wie die Suppliken als Texte, (33) die zwar einem Paradigma der Mündlichkeit und also der Kommunikation unter Anwesenden zugehören, dabei aber das Ich des Supplikanten und das Aussage-Ich der Supplik auf charakteristische Weise auf Distanz bringen; rhetorisch figurieren bedeutet schließlich, »sich als fingierte Person in seine eigene Rede« einzuführen. (34) Im Supplikations-Akt der Novelle scheitern jedoch alle Stellvertretungen – sowohl auf der Seite des Senders (wo Kohlhaas das gescheiterte Rollen-Ich der Supplik in den völligen Verlust des Menschen Kohlhaas übersetzt) als auch auf der des Empfängers (wo es zwischen adressiertem und realem Empfänger aus dem gegenteiligen Grund zu keiner Spaltung kommt, dass die Supplik keinen Empfänger haben soll).

Das Scheitern von Kohlhaas' Supplikationsversuch lässt sich sicherlich auch auf das Unbehagen beziehen, das man um 1800 der Textform der Supplik entgegenbrachte. Vielleicht aber lässt sich auch behaupten, dass Kleists Novelle eine generelle Störung im politischen Begehrensgefüge um 1800 zum Ausdruck bringt – ein Gefüge, innerhalb dessen die Supplik eine wesentliche Funktion einnimmt, sodass ihr Scheitern auf eine grundlegende Verunsicherung der politischen und administrativen Ästhetik hinweist.

In den »Gedanken über die Regierungskunst« Friedrich Wilhelms III. heißt es zum Supplizieren:

Wäre es [...] nicht besser, wenn man ein Publicandum ergehen ließe, in welchem man dem Lande bekannt machte: daß, obgleich sich der Landesfürst gewiß von Herzen geneigt fände, allen und jeden Klagen seiner Unterthanen abzuhelfen, es jedoch die menschlichen Kräfte überträfe, bei der großen Anzahl von Suppliquen aller Art selbige persönlich zu untersuchen und zu entscheiden; es würden daher alle und jede ermahnt, hiervon abzustehen, sobald nicht ganz besondere Fälle eintreten, und könnten sie sich im Gegentheil mit Vertrauen an die respective Kammern-Departements etc. ihres Bezirks melden, welche mit aller Strenge dazu angehalten sein würden, nicht allein diese ihre Klage-Sachen anzunehmen und nach ihrer Pflicht und Gewissen genau zu prüfen, sondern auch ihre Bescheide auf das deutlichste und prompteste auszufertigen. Friedrich Wilhelm III.: Gedanken über die Regierungskunst, S. 118.

Statt vom Regenten entschieden zu werden, sollten Klagesachen besser von der lokalen Verwaltung beschieden und sollte bei Bedarf von dort aus der Zug durch die Instanzen angetreten werden: »Sollten sie jedoch mit diesem ihren Bescheide sich nicht begnügen wollen, so bliebe ihnen nach wie vor die zweite und dritte Instanz offen«. (35) Womit eine derartige, auf den Schriftweg verwiesene Verwaltung von souveränen Entscheidungen bald einhergehen wird, ist eine Sozial- und Affektfigur, als welche auch Kleists Kohlhaas in der Novelle denunziert wird: der Querulant. (36) Die »Gedanken über die Regierungskunst« ermahnen deshalb künftige Supplikanten, »sich vor unnützem Queruliren zu hüten und sich nicht muthwillig Processe auf den Hals zu laden, deren günstiger Aussgang ungewiß und unwahrscheinlich ist«. (37)

Schon in den frühen 1790er Jahren, also noch als Kronprinz, war Friedrich Wilhelm III. mit Friedrich Leopold Kircheisen und Carl Gottlieb Svarez von zwei einflussreichen Staatsrechtlern zur Frage des Supplizierens beraten worden. (38) Svarez wie Kircheisen rieten Friedrich Wilhelm, sich den Gesetzen und dem juristischen Apparat zu unterstellen, den Eingriff in Rechtsangelegenheiten auf die Begnadigung von Verurteilten zu beschränken und überhaupt nur in Ausnahmefällen Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Von »Machtsprüchen«, also einem Eingriff in laufende Verfahren, rieten sie ab: »Die gesittete Welt, dieß mächtige Tribunal, ist dahin übereingekommen, sich mit dem Worte MACHTSPRUCH, – UNGERECHTIGKEIT als verschwisterte Idee, zu denken.« Ein Machtspruch würde »mit Recht das Vertrauen des Volks auf Ihre Gerechtigkeit entziehen, auf welchem Vertrauen doch ein so großer Theil der Glückseligkeit eines Königs beruht.« (39) Stehen in den Gedanken über die Regierungskunst verfahrenspraktische Überlegungen im Vordergrund, wird ein neues Verhältnis zwischen Monarch und Untertan hier aus einem veränderten Gerechtigkeitsempfinden, aus einer, wie man mit Blick auf Kleists Kohlhaas sagen kann, Eigenheit des Rechtgefühls begründet. (40)

Dieses neue Verhältnis schlägt sich nicht nur in der Perspektive einer Verwaltung nieder, die mit ihren Regeln und Routinen weitestgehend Rechtssicherheit gewährleisten soll. Es offenbart sich auch an einem Publikandum Friedrich Wilhelms und an einer Anekdote zur Reform des preußischen Kanzleistils. Unter Friedrich II. war es noch gängige Praxis gewesen, dass sich Supplikanten an der Bittschriftenlinde am Potsdamer Schloss versammeln konnten. Der König hatte sie von seinem Arbeitszimmer aus direkt im Blick. (41) In einem räumlichen Arrangement kam mithin das Phantasma unmittelbarer absolutistischer Herrschaft zur Geltung – eine Vorstellung von Herrschern, die, wie es im Anti-Machiavel Friedrichs II. heißt, »alles mit eignen Augen sehen und ihre Staaten selbst regieren«. (42) Friedrich Wilhelm III. brach mit dieser Praxis. Wie in seinen »Gedanken über die Regierungskunst« angekündigt, erschien am 17. März 1798 ein Publikandum, das die immediaten Beschwerden betraf und seinem Inhalt nach, weil die Supplikations-Praxis der königlichen Aufforderung nicht folgte, 1799, 1801, 1804, 1808, 1810 und 1814 wiederholt werden sollte. (43) Um der bisherigen »übertriebenen Zudringlichkeit« zu wehren, verwies es Supplikanten an die zuständigen Instanzen; und es verlangte, statt in personam zu supplizieren, den Postweg zu wählen. (44)

Am Beispiel des Supplizierens lässt sich gut nachvollziehen, wie sich die »auf dem Niveau des Alltags ausgeübte Macht« (45) transformierte; wie sich also jene Herrschaft veränderte, die hinter dem Schicksal auch der »infamen Menschen« stand. Statt der Macht eines Monarchen, der »nahe ist und fern, allmächtig und launenhaft, Quelle aller Gerechtigkeit und Gegenstand beliebiger Verführung«, etabliert sich eine kapillare Macht, die nicht zuletzt in Form von Schriftstücken und auf dem Weg des Schriftverkehrs, die mithin in Gestalt einer neuen Verwaltung wirkt. (46) Einerseits stellten die bis um 1800 massenhaft eingegangenen Suppliken eine erhebliche Arbeitsbelastung für die Verwaltung dar, weshalb das Querulieren auch unter Strafe gestellt war. Andererseits verschafften sie der Verwaltung einen erheblichen Machtzuwachs. Denn nicht nur, dass man Bittschriften, seitdem sie hauptsächlich Verwaltungssache geworden waren, zur Kontrolle der sachbearbeitenden Unterbehörden einsetzen oder an ihnen die Tragfähigkeit und Akzeptanz gewisser Gesetzes- oder Regierungsvorhaben ablesen konnte. (47) Den in ihnen rhetorisch eingerichteten Zugang zum Machthaber selbst adressierte die Verwaltung einfach um: Nicht mehr der in seiner Gerechtigkeit waltende Souverän war nun ihr Empfänger, sondern die depersonalisierte, weil verwaltete Souveränität oder vielmehr: eine souveräne, weil überpersönliche Verwaltung.

Der trübe Glanz des Souveräns

Im Aktenlauf dieser neuen Administration stand der Platz in Frage, den der Name des Königs in offiziellen Schreiben bisher eingenommen hatte. Das zeigt auch eine verwaltungsinterne Diskussion des Jahres 1800: Diese ging aus von einem Immediatgesuch, das der Berliner Formschneider Johann Lorenz Has am 12. März 1800 eingereicht hatte. Gebeten hatte er darin um das Privileg, auf Ausfertigungen der Kanzleischriften von Landeskollegien den königlichen Titel durch einen Holzschnitt ersetzen zu dürfen. Die Kollegien verfügten zu dieser Zeit Nomine Regis, im Namen des Königs: »Wir Friedrich Wilhelm…« Zugleich mussten Eingaben an die Behörden an den König gerichtet sein. (48) Friedrich Wilhelm nahm das Gesuch des Formschneiders zum Anlass, in einer Kabinettsorder das Staatsministerium zur Prüfung der bisherigen Praxis aufzufordern. Es sollte einen Bericht zu der Frage ausarbeiten, ob nicht der Gebrauch des königlichen Titels den obersten Landesbehörden vorzubehalten ist. In ihrer Antwort, einem von mehreren Ministern unterschriebener Immediatbericht, gaben diese zu bedenken, dass

das Recht zum Gebrauch des Landesherrlichen Nahmens ein wichtiger Vorzug ist, dessen Einschränkung auf gewisse Behörden solchem für diese zwar einen noch höhern Werth geben, dagegen aber auf diejenigen, welchen er entzogen werden soll, den Schein werfen würde, als ob sie dieses Vorzuges und E. K. M. allerhöchsten Vertrauens sich unwerth gemacht hätten. (49)

Was also zur Debatte stand, war, welcher »Schein« auf die Verwalter souveräner Macht fiel. Im Verwaltungsparadigma, dem hier noch das Wort geredet wurde, gehörte der Name des Königs wesentlich zur Verwaltungsästhetik, zur Art und Weise, wie Verwaltungsautorität anschaulich werden sollte:

Es ist abzusehen, daß hierdurch die Authorität dieser Behörden empfindlich leiden würde, und gleichwohl sind gerade die mediat= und provincial-Kollegien diejenigen, durch welche zunächst die öffentlichen Geschäfte verwaltet, eingeleitet, auch mit den Unterbehörden und den öfters muthwilligen, unbedeutsamen und unbescheidenen Parteien und Einsassen verhandelt werden, und welche daher vorzüglich bei der ihnen verliehenen Authorität geschützt werden müssen. (50)

Der Schriftverkehr zwischen König und Ministern sollte noch eine Weile hin- und hergehen, bis Friedrich Wilhelm den Reformversuch vorerst einstellte. Dennoch zeigte sich schon hier, dass die langue der preußischen Verwaltungssprache ins Gleiten geraten war; und dass Fürsten, sobald sie in die Verwaltung und ihr paperwork eingebunden und derart administrativ depotenziert wurden, sich zumindest noch auf der Ebene der Sprachregelungen, Schriftkonventionen oder Organisationsprogramme mit quasi-souveränen Akten zur Geltung bringen konnten. (51) Am 27. Oktober 1810 schaffte dann ein Gesetz endgültig das nomine regis ab. Es trug die Unterschrift des Königs – und die des Staatskanzlers Hardenberg. (52)

In direkt an den König adressierten Suppliken oder im persönlichen Supplizieren wurde, so könnte man sagen, jene virtuelle Präsenz des Königs aktualisiert, die das nomine regis der Behördenkommunikation signalisierte. Aber ebenso wie diese Unmittelbarkeit in der Verwaltungsrealität hochgradig vermittelt war, war auch die Unmittelbarkeit des supplizierenden Anschreibens eine durch und durch vermittelte: Einerseits wurden die meisten Suppliken von professionellen Schreibern verfasst, die die diffizile Form dieser Textsorte beherrschten. Andererseits erreichten die wenigsten Suppliken tatsächlich den König selbst, sondern wurden an anderer Stelle bearbeitet. (53) Auch die Supplik von Kleists Kohlhaas an den brandenburgischen Kurfürsten wird, wie oben schon bemerkt, »in der Schreiberei des Stadtgerichts« und dort »ganz den Forderungen gemäß« verfaßt, dann nicht von Kohlhaas selbst, sondern von einem Dritten überbracht und zuletzt nicht vom Kurfürsten persönlich, sondern von seinem Kanzler bearbeitet.

Indem sie den Herrscher in seiner Gerechtigkeit und damit in seiner Allgemeinheit vor Augen stellte, zielte eine Supplikation darauf, ihr anfängliches Rollenspiel und den in Frage stehenden Einzelfall im Allgemeinen des gerechten Gesetzes und dessen evidenter Verkörperung aufzuheben. (54) In genau diesem Sinne verstand sich die Supplik als paradigmatische rhetorische Form: Sie drängt auf die Verwirklichung der in der Person des Fürsten zentrierten Allgemeinheit des gerechten Gesetzes. Woran Kohlhaas deshalb sein erstes Bittgesuch richtet, ist »Der Herr selbst«, der, in »Person« adressiert, unbedingt »gerecht« sei (DKV III, 53).

Aus dieser rhetorischen Anlage erklärt sich die besondere »Schönheit«, die Johann Heinrich Gottlob von Justi der Gnadensupplik als geglückter Herrscheradresse zuschrieb. In seiner Abhandlung über die »Deutsche Schreibart« hielt er zu dieser Form fest, sie könne das, »worauf der Monarch, oder eine andre hohe Person oder Collegium, zu gewährung unsrer Bitte Betracht machen soll«, »in der Kürze anführen«, kurz und »gleichsam erläuterungsweise, als wenn der Monarch von selbst darauf zu sehen gewohnt wäre«. In diesem Sinne »kurz« und »deutlich« zu schreiben, in der Gewissheit, dass die Bittschrift »der Monarch selbst lieset«, darin bestehe die »besondere Schönheit« der Gnadensupplik. (55) Schön kann die Supplik aber auch dadurch sein, dass sie in ihrer Form und Figuration als wirklich zeigt, was zu verwirklichen sie fordert; und dadurch, dass sie – ganz nach den klassischen Maßgaben Quintilians (56) – durch den hohen Grad ihrer Ausbildung oder ›Künstlichkeit‹ zuletzt wieder ›natürlich‹ wirkt.

Letztlich baute Justis »Deutsche Schreibart« auf die – im Monarchen verkörperte – Koinzidenz guter polizeylicher und guter sprachlicher Ordnung, auf den Gleichklang zwischen einem wohlbestellten Gemeinwesen einerseits, einem bestens geregelten Sprachgebrauch andererseits. Denn in beiden Fällen gäbe es einen inneren Zusammenhang von »Ordnung und Kräftigkeit«. Oder, anders gesagt: Die gute Ordnung oder ›Polizey‹ garantiert den Bestand und die Mehrung all jener »Vermögen des Staats«, zu denen neben materiellen »Güthern« auch »die Geschicklichkeiten und Fähigkeiten aller Unterthanen, und in gewissem Betracht ihre Personen selbst« gehören. (57) Justis »Deutsche Schreibart« dient also insofern als ›Sprachpolizey‹, als sie die ›Unterthanen‹ und ihr sprachliches Vermögen dazu anhält, den ›Reichtum‹ der deutschen Sprache einzusehen, ihn auszuschöpfen und dann, vermittelst der Regeln und Gesetze des rechten Sprachgebrauchs, ihre Kraft zugunsten der übergreifend ›guten Ordnung‹ wirksam werden zu lassen. Zwar arbeitet diese ›Schreibart‹, wenn es um Kontakt mit der Obrigkeit geht, bereits einem rhetorisch abgerüsteten und entzeremonialisiertem ›Geschäftsstil‹ (mit seiner Maxime der Deutlichkeit und, davon abgeleitet, der Gründlichkeit, Eindeutigkeit, Klarheit und Kürze) zu; der Verwaltungskommunikation gewährt sie jedoch keinen Eigensinn und keine Autonomie, sondern unterstellt sie den allgemeinen ›polizeylichen‹ Maßgaben im Fürstenstaat.

Ein in diesem Sinne geglücktes Vermittlungs- und Ausdrucksverhältnis zwischen Herrschaft und wohlpolizierter Einzelheit wird in Kleists Michael Kohlhaas durch einen unscheinbaren, aber doch wesentlichen Signifikanten angezeigt: »Glanz«. Die Koppel Pferde, die Kohlhaas mit sich führt, um sie in Sachsen zu verkaufen, wird beschrieben als: »wohlgenährt alle und glänzend« (DKV III, 13) – zwei Begriffe, die im Griechischen noch in derselben Vokabel gefasst werden konnten, von der sich auch der Begriff der en-argeia herschreibt: argos. Auf dem Schloss des Junkers von Tronka, wo die Erzählung vom ›Breaking Bad‹ des Michael Kohlhaas beginnt, prangen zunächst noch »glänzende[] Zinnen« (DKV III, 15). Der splendor der Herrschaft und die Kräftigkeit oder Wehrhaftigkeit des Herrschaftsbezirks fallen im selben epitheton ornans zusammen. Und wenn sich Kohlhaas später gegen die Herrschaft gewandt haben wird und der Kurfürst von Sachsen seine Berater um sich versammelt, um zu entscheiden, wie sich wieder Ordnung herstellen lässt, dann wird die Rede sein vom gefährlichen »Glanz«, der auf Kohlhaas' »gottverdammtes Haupt« fiele, würde der Kurfürst direkt mit ihm verhandeln (DKV III, 83). Auch Kohlhaas' Pferde verlieren ihren Glanz bekanntlich zwischenzeitlich. Am Ende der Erzählung, wenn Kohlhaas hingerichtet wird, werden sie ihm allerdings wieder zugeführt, als die »von Wohlsein glänzenden, die Erde mit ihren Hufen stampfenden Rappen« (DKV III, 140).

›Glanz‹, darauf hat Michel Foucault hingewiesen, begegnet in polizeywissenschaftlichen Texten des 17. und 18. Jahrhunderts als Inbegriff der Einheit von Ordnung und Kräftigkeit eines Staats. (58) Nach Turquet de Mayerne hat man unter dem Namen der police, im Deutschen: der ›Polizey‹ oder ›Policey‹ all das zu verstehen, »ce qui peut donner ornement, forme & splendeur à la Cité« (59) . Und auch bei Hohenthal findet man den Begriff: Die Polizey ist diejenige Institution, die neben der »felicitas« der Bürgerschaft für den »splendor« der res publica zu sorgen hat. (60) Ordnung und Kraft eines Gemeinwesens manifestieren sich gemeinsam in offenbarem Glanz. Es ist also sicher kein Zufall, dass in Kleists Novelle – spätestens seit seiner Königsberger Zeit war er mit der Kameral- und Polizeywissenschaft vertraut – ›Glanz‹ als Signum von Herrschaft und zugleich als Beweis ökonomischen Vermögens gilt. ›Glanz‹ ist ein ästhetischer Begriff innerhalb der (preußischen) Regierungskunst des 18. Jahrhunderts, ein Begriff, der die Anschaulichkeit guter Regierung meint – und der deshalb auch die Logik des Supplizierens prägt.

Doch setzt Kleists Erzählung genau in dem Moment ein, da dieser Glanz der Regierungskunst gefährdet ist, nämlich in dem Moment, da, mit Hegel gesprochen, »die Gesetze und Entscheidungen der Regierung die Einzelheit berühren und in der Wirklichkeit geltend gemacht werden«. (61) Auf der Burg des Junkers Wenzel von Tronka wird der aus Brandenburg kommende Rosshändler mit seinen Pferden, die er in Sachsen verkaufen will, an einem »Schlagbaum« aufgehalten. Wie Hegel von einem »Punkt« oder einer »Stelle« spricht, wo die Berührung zwischen »Regierung« und »Einzelheit« stattfindet, (62) ist auch der Kontakt zwischen Kohlhaas und dem Zöllner, der für den Junker das »[l]andesherrliche[] Privilegium« (DKV III, 13) geltend macht, der Anlage nach momentan und abstrakt: Worum es geht, ist eine zu passierende Grenze und eine anstehende Geldzahlung. In der amplificatio des Erzählberichts findet der Grenzverkehr in Sturm und Regen statt, muss Kohlhaas seine »Groschen […] mühselig unter dem im Winde flatternden Mantel hervor[holen]«. Und schon unter dem Schlagbaum stehend, wird sein Grenzübertritt gestört von einer »Stimme«, die »hinter ihm vom Turm erscholl« und auf die hin der Burgvogt erscheint, der Kohlhaas auf einen vorgeblich fehlenden Passschein hinweist (DKV III, 15). So wird aus der abstrakten Kontaktstelle zwischen dem Einzelnen und den vermeintlichen Verwaltern souveränen Rechts der Schauplatz einer konfliktträchtigen Konfrontation – konfliktträchtig, weil sich in der Undurchsichtigkeit und Unübersichtlichkeit der Verfahren und Zuständigkeiten jede Begegnung mit der Obrigkeit als unbegründet, willkürlich oder auch (wie im Falle des Passschein-Episode) als bloßes »Märchen« (DKV III, 21) entpuppen könnte.

Wie die Regierungsagentur, von der hier erzählt wird, im Kontakt mit der »Einzelheit« und im unbegründeten Handeln ihrer Organe ihre Unordnung zeigt, wirft auch die Erzählung der Szene ungeordnete Einzelheiten und Umstände auf und entsichert damit das ordentliche Verhältnis von Ursache und Folge: (63) die Stimme, die Kohlhaas ruft, und der keine Figur zugeordnet ist; das »unendliche Gelächter«, das ausbricht, »als« Kohlhaas sich dem Junker nähert, und das dem Rosshändler zu gelten scheint, tatsächlich aber auf einen zuvor erzählten »Schwank« folgt (DKV III, 17); die in einem bloß temporalen oder doch kausalen Verhältnis zum Zufall des schlechten Wetters stehende und wenig später wieder kassierte Aufforderung des Junkers, Kohlhaas ziehen zu lassen, »da eben das Wetter wieder zu stürmen anfing« und die »dürren« Glieder des Junkers »durchsauste« (DKV III, 19); oder die Vielzahl nicht ausgedeuteter Gesten. Die in den »glänzenden Zinnen« und den als »glänzend« eingeführten Pferden zunächst vorgestellte gute Ordnung – hier geht sie in einer unordentlichen und aufgrund der vielen Rahmenbrüche in sich gebrochenen, unanschaulichen Szene zugrunde, in der erzählerisch prägnant, anschaulich und bildhaft nur das ist, dessen Sinn sich nicht erschließt. Doch betrifft solche Erosion nicht nur diese Stelle. Geradezu fundamental ist für Kleists Erzählkosmos jene »gebrechliche Einrichtung« (DKV III, 27), die Kohlhaas der ganzen Welt zuschreibt, die jedoch zuallererst und auch zuletzt in der Verwaltung deutlich wird. Dem entsprechen die Gelenkstellen dieser Prosa, ihre Satzanschlüsse, ihre Subjunktionen oder Satzzeichen. An ihnen stellt sich der Wirksamkeits- und Wirklichkeitsverlust jener Ordnung dar, die vormals noch im »Glanz« des Ausdrucks und der Dinge bei sich schien.

»Unendliches Gelächter« wird in der Novelle ein zweites Mal erschallen, nämlich als Kohlhaas' Pferde, die zwischenzeitlich verloren gegangen waren, über den »Wilsdrufer Schäfer« und den »Schweinehirten von Hainichen« schließlich an den »Abdecker von Döbbeln« geraten, der sie auf den Dresdner »Schloßplatz« führt, »auf wankenden Beinen, die Häupter zur Erde gebeugt«, beobachtet von einem »von Augenblick zu Augenblick sich vergrößernden Haufen Menschen [...] unter unendlichem Gelächter einander zurufend, daß die Pferde schon, um derenthalben der Staat wankte, an den Schinder gekommen wären« (DKV III, 92f.). Obschon die erzählerische Darstellung der Szene die Merkmale dessen trägt, was die klassische Rhetorik unter dem Stichwort der enargeia und der evidentia versammelt – klare Rahmung der Szene durch die Verortung auf dem Schloßplatz und detaillierte, umständliche Schilderung –, handelt es sich hier gerade nicht mehr um das Vor-Augen-Stellen einer Wirklichkeit, die sich in der Art ihrer Verwirklichung als von dieser Verwirklichung unabhängig zeigen würde. Das ›Hohnlachen‹ der auf dem Schloßplatz versammelten Menge signalisiert die, mit Kant gesagt, »plötzliche Verwandlung« einer »gespannten Erwartung« glänzender Dinge, in denen sich die Funktionalität einer fürstenstaatlichen Ordnung manifestieren soll, »in nichts«. (64) Im »unendlichen Gelächter« zeigt sich der merklich getrübte Glanz jener Ordnung, die sich einst noch im Medium der Supplik behauptete. Komisch (65) oder karnevalesk ist diese Szene dadurch, dass sie die Nichtigkeit der gültigen (polizeylichen oder administrativen) Ordnung vor Augen führt, zugleich aber dadurch, dass sie das phantastische Novellenende mit den ›glänzenden‹ Rappen antizipiert und damit die Gültigkeit von Kohlhaas' (angeblich) nichtigen Ansprüche suggeriert.

Lässt sich Kleists Novelle auf die Situation des Regierens um 1800 beziehen, dann weil sie angesiedelt ist zwischen zwei Imaginationen fürstlicher Gewalt: einerseits der Vorstellung »selbstständig« regierender absolutistischer Fürsten, die, wie das Friedrich II. in seinem »Anti-Machiavel« formuliert, »ihre Länder selbst [regieren]« und damit »die Seele ihrer Länder« sind, die »die beschwerliche Cabinetsarbeit aushalten« und ihre Minister »unmittelbar vor [ihren] Augen« arbeiten lassen; (66) und andererseits dem Konzept eines konstitutionellen Monarchen, der, wie Hegel in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts schreibt, ein nur mehr formaler Zurechnungspunkt von Entscheidungen ist. In diesem zweiten Sinne kommt es auf die Persönlichkeit des Fürsten nicht mehr an: »Es ist bei einer vollendeten Organisation nur um die Spitze formellen Entscheidens zu tun, und man braucht zu einem Monarchen nur einen Menschen, der ›Ja‹ sagt und den Punkt auf das I setzt; denn die Spitze soll so sein, daß die Besonderheit des Charakters nicht das Bedeutende ist.« (67) Der Monarch ist formal an die Konstitution und zudem an »den konkreten Inhalt der Beratungen gebunden«, und je vollkommener die Einrichtung des Staats, desto eher hat er »nicht mehr zu tun, als seinen Namen zu unterschreiben.« (68) Hatte vormals also die Supplik mit ihrer Rhetorik der Hypotypose noch einen – mehr oder weniger – direkten Zugang zum Machthaber versprochen, den die Verwaltung zu unterstützen hatte, wird dieser nun, seitdem der Amtsverkehr entpersonalisiert und formalisiert wurde, (69) zum bloßen Namen – oder vielmehr zu einer schlichten Systemadresse innerhalb des Verwaltungsgeschehens.

Die Meuterei der Reformer

Kleists zu Beginn erwähnter Brief lässt sich ebenso wie seine Kohlhaas-Novelle als Erfahrungsbericht verstehen: als persönliches Zeugnis vom Zeitenwechsel zwischen dem Paradigma absolutistischer Regierungskunst und dem einer verwalteten Monarchie, in dem die unergründliche Verfügungsgewalt von souveränen Entscheidungsträgern in die formalisierten Prozeduren der Administration und, entsprechend, die zeremoniöse Adressierung von Würdenträgern in einen effizienten Schriftverkehr mit Funktionsträgern übergehen sollte. (70) Im preußischen Kabinettssystem, das 1806 noch in Kraft war, standen die höheren Organe der – zumeist informell und intransparent betriebenen – Entscheidungsfindung unverbunden neben den lokalen Behörden, für die Verwaltung hauptsächlich die Durchsetzung dieser Entscheidungen bedeutete – oder, im Falle der zahlreichen ungeregelten oder uneinheitlich geregelten Fragen, die Durchsetzung persönlicher Interessen. Sobald man indes erkannt hatte, dass etliche administrative Bereiche noch vereinheitlicht und formalisiert werden mussten und dass die Verwaltungsarbeit auch der unteren Behörden mehr als bloße Rechtsanwendung, dass sie stets ebenso Entscheidungsfindung ist, nahm man sich vor, »ein neues Prinzip des Verhältnisses zwischen Entscheidendem und seiner Entscheidung«, festzulegen, »das nicht nur an der Staatsspitze, sondern für die Zukunft in jeder Behörde Anwendung finden konnte.« (71)

Die Verwaltung, die man jetzt aufzubauen versuchte, sollte, nicht zuletzt unter dem Druck französischer Kontributionsforderungen, einer wirtschaftsliberalen Grundausrichtung dienen. Sie sollte den Rahmen setzen für eine Gesellschaft selbständig wirtschaftender und miteinander ›frei konkurrierender‹ Bürger, in der nicht nur einige wenige Gutsbesitzer, sondern alle Bürger mit beträchtlichem Eigentum sich an der Provinzial- und Lokalverwaltung beteiligen konnten. (72) Als beispielhaftes Projekt galt dabei jenes »Befreiungs-Geschäft der Zünfte«, das Kleist in Königsberg als seinen »Lieblings-Gegenstand« bezeichnet hat (DKV III, 354). Bei diesem »Befreiungs-Geschäft« – nicht anders als bei etlichen anderen Wirtschaftsreformen, die die neu organisierte Verwaltung anbahnen sollte – ging es darum, sämtliche Kräfte des Staats gerade dadurch in ›freie Wirksamkeit‹ zu setzen, dass man »die Nation an die Administration zu fesseln« suchte, wie es Karl vom Stein zum Altenstein, zeitweilig Kleists Vorgesetzter, in einer Denkschrift formulierte. (73) Die ›Kräfte‹ oder ›Vermögen‹ des Staates, ein »lebendiger, fortstrebender, schaffender Geist«, wie es Stein, oder der »Geist der Freiwilligkeit, des Gemeinsinns und des politischen Pflichtgefühls«, wie es später Otto Hintze nannte, sollten dabei wohlgemerkt nicht mehr im Sinne einer merkantilistisch orientierten Polizey angeregt, sondern gemäß der neuen liberalen Wirtschaftslehren entfesselt werden. (74) Daher stand zuvorderst die Beseitigung der damals in den diversen Provinzen noch gültigen unterschiedlichen Zolltarife (um 1800 ganze 67 an der Zahl) auf der Agenda; und daher beschäftigte sich Kleist (vermittelt durch seinen Königsberger Lehrer Christian Jakob Kraus) intensiv mit den nationalökonomischen Lehren Adam Smiths. (75)

Der Freisetzung und Stimulation ökonomischer Kräfte (und der erst danach in Angriff zu nehmenden Verfassungsreform) vorangehen musste allerdings die Lösung jener kommunikativen Blockaden, die die Reformer innerhalb der preußischen Verwaltung mit ihrem überkommenen »Formenkram« und starren »Dienst-Mechanismus« ausgemacht hatten. (76) Gehemmte Wirtschaftskraft und blockierte, weil schlecht eingerichtete Kommunikationswege der Verwaltung sah man in unmittelbarem Zusammenhang – nicht anders als es Kleists Novelle nahelegt, wenn hier der Rosshändler Kohlhaas von einem blockierten Handelsweg auf undurchsichtige, blockierte Kommunikationswege geführt wird, auf denen er sein Recht und die Sicherheit seines »Geschäfts« vergeblich wiederherzustellen versucht. Unter diesen Vorzeichen wurde einerseits das Kabinettssystem, mit dem Kleist ja in der Person von Köckritz seine Erfahrungen gemacht hatte, zum wichtigsten Ansatzpunkt der Verwaltungskritik. Andererseits versuchten die Reformer, für sämtliche Entscheidungsfindungen – auf höchster ebenso wie auf lokaler Ebene – nachvollziehbare Verfahren einzuführen. »Der Staat muß das Ganze seiner Verwaltung mit gleicher Aufmerksamkeit umfassen«, lautete Hardenbergs Motto. (77)

Im Zuge dieser neuen Organisation von Entscheidungswegen bildete sich ein geschlossenes Kommunikationssystem der Verwaltung heraus, in dem die Verwaltungsbehörden der unterschiedlichsten Ebenen innerhalb der diversen Territorien allesamt einheitlich aufgebaut und ausgestaltet waren; das sich mehr und mehr auf professionalisierte Beamte und eine nunmehr penibel geregelte Akten-, Registratur- und Archivführung stützte; und das mit seinen rasch etablierten Aufbewahrungs- und Dokumentationsroutinen die Möglichkeit zur rekursiven oder reflexiven Selbstbeobachtung und damit zur dauernden Selbstreform einräumte. (78) Erst unter diesen Vorzeichen bildet sich auch in Preußen heraus, was man in Frankreich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts polemisch als ›bureaucratie‹ bezeichnet hatte – eine Herrschaft der Schreiber und Schriftstücke, die, wie das hier Karl Marx formulieren sollte, als »›bürgerliche Gesellschaft des Staats‹ dem ›Staat der bürgerlichen Gesellschaft‹« entgegentritt. (79)

Im Vorschlag für ein neues administratives Entscheidungssystem ging es, nicht anders als in Kleists Kohlhaas, um Zugangsfragen. Wenn Carl Schmitt unter den Vorzeichen seiner politisch-theologischen ›Souveränitätstheorie‹ behauptet, dass »auch der absoluteste Fürst auf Berichte und Informationen angewiesen und von seinen Beratern abhängig ist« (80) und dass sich vor »jedem Raum direkter Macht [...] ein Vorraum indirekter Einflüsse und Gewalten, ein Zugang zum Ohr, ein Korridor zur Seele des Machthabers« bildet, (81) so beschreibt dies Mitte des 20. Jahrhunderts vielleicht nur noch eine restaurative Wunschphantasie. Auf die Zeit um 1800 bezogen trifft es jedoch ziemlich präzise die Zielrichtung jener Kritik, die von den preußischen Reformern an der Kabinettsregierung und ihrer spezifischen Einrichtung dieser Kanäle geübt wurde. Statt eines privilegierten Kreises von Kabinettssekretären sollten, so eine konkrete Forderung, nunmehr fünf Minister direkten Zugang zum König erhalten, die sachlich unterschiedene Ministerien vorstanden (Inneres, Äußeres, Finanz, Krieg und Justiz). Begründet wurde diese Forderung etwa in einer Denkschrift zur »Darstellung der fehlerhaften Organisation des Cabinets und der Nothwendigkeit der Bildung einer Ministerial Conferenz«, die der Freiherr von Stein 1806 verfasste. In der Schärfe ihrer Verwaltungsanalyse, in ihrer Aufmerksamkeit für den Vorhof der Macht, ihrer ständigen Frage nach der »öffentlichen Meynung« (82) , ihrem projektiven Charakter und in ihrer interventionistischen Absicht liest sie sich wie ein Pendant zu Kleists Kohlhaas.

Dass die Einrichtung der Regierung und die Verfertigung souveräner Entscheidungen aus der Verwaltung heraus und im Rekurs auf allgemeine Prinzipien guter Regierung kritisiert wurde, entsetzte den Monarchen. In einer Tagebuchnotiz Hardenbergs heißt es zu Friedrich Wilhelms Reaktion, als ihm die Inhalte der Denkschrift vorgetragen wurden: »Le Roi a pris la chose pour une démarche révolutionnaire, l'appelle Meuterey«. (83) Im Kern ist die Denkschrift eine Kritik daran, dass die Praxis der Kabinettsregierung in Preußen »Gewalt« und »Verantwortung« auseinanderfallen lässt; dass also souveräne Macht von Personen verwaltet wird, die dafür nicht verantwortlich gemacht werden können. Für Stein war die eigentliche Regierung Preußens unterwandert von einer gänzlich unbehelligten Schattenregierung. Der Staatsrat, eigentlich der »Vereinigungs Punkt« sämtlicher »Haupt Departements«, sei tatsächlich »nahezu wirkungslos« und könne als »nicht existierend« betrachtet werden, hieß es in seiner Bestandsaufnahme, und dies, weil das Kabinett des Königs von einem bloßen Apparat zur Verschriftlichung des souveränen Willens zu einer machtvollen Instanz avanciert sei und sich zwischen die Minister und den König geschoben habe. Steins Denkschrift illustriert diesen Missstand mit einer kurzen Geschichte der preußischen Regierungstechnik: Friedrich Wilhelm I., so heißt es hier, »herrschte selbstständig« und beratschlagte mündlich mit seinen Ministern. Friedrich II. »regierte selbstständig«, bei ihm war aber der Kontakt zu seinen Ministern rein schriftlicher Natur, und die »Cabinets Räthe« folgten einfach seinem »Willen und waren ohne Einfluss«. (84) Friedrich Wilhelm II. hingegen »regierte unter Influenz eines Favoriten, seiner (männlichen und weiblichen) Umgebungen, sie traten zwischen den Thron und seine ordentlichen Rathgeber.« Und Friedrich Wilhelm III. »regiert unter der Influenz seines Cabinets«, (85) wie das Resümee lautet:

Es hat sich also unter Friedrich W. III. eine neue Staatsbehörde gebildet, und es entsteht die Frage, ist diese Anstalt nützlich? und ersetzt ihre subjective Zusammensetzung das Fehlerhafte ihrer Einrichtung? Diese neue Staatsbehörde hat kein gesetzliches und öffentlich anerkanntes Daseyn; sie verhandelt, beschliesst, fertigt aus in der Gegenwart des Königs und im Namen des Königs.

Sie hat alle Gewalt, die endliche Entscheidung aller Angelegenheiten, die Besetzung aller Stellen, aber keine Verantwortlichkeit, da die Persohn des Königs ihre Handlungen sanctionirt. (86)

›Im Namen des Königs‹ agierte also eine Behörde, deren Handeln zwar entscheidend, ihr aber nicht zuzurechnen war, weil sie sich hinter der Person des Königs verbarg. Aus einer Institution, deren Zweck die bloße Verschriftlichung sein sollte, war – Steins Darstellung nach – eine so unbefugte wie uninformierte Entscheidungsagentur geworden. Einen guten Einblick in die Macht der Kabinettssekretäre gibt jene Beschreibung des königlichen Arbeitsumfelds, die von einem der Kabinettssekretäre selbst stammte, nämlich von Johann Wilhelm Lombard:

Die eingetroffenen Schriftstücke wurden morgens in den Arbeitsraum des Königs gelegt, wo Köckritz und einer der älteren Sekretäre die Briefschaften öffneten und lasen. Der König war dabei, oder er trat mehrmals hinzu, betrachtete das eine oder andere Stück selbst, las aber nicht alles. Köckritz und einem Gehilfen war es vorbehalten, die Sachen zu sortieren und gleichsam zuzuteilen. Formell ließ dann der König die Vorgänge den drei Kabinettsräthen für das Kriegsdepartement, das innere und das politische Fach zustellen. Diese machten sich damit bekannt, und legten am folgenden Tage über jede Angelegenheit besonders beim König Rechenschaft ab; es fand dann eine Beratung mit dem Berichterstatter ab. Bei Ministerialberichten erging eine königliche Resolution als Antwort, nach wie vor Kabinettsordern und -dekrete. (87)

Die Macht der Kabinettssekretäre bestand also, neben der mündlichen Beratung, vor allem darin, Schriftstücke zu sortieren und zuzuteilen, einigen davon Priorität einzuräumen und sie dem König vorzulegen, andere zurückzuhalten und vor ihm zu verbergen. Statt des, wie es bei Stein heißt, »selbstständigen« Regierens früherer Monarchen hatte sich im Schatten des Königs eine unkontrollierte und willkürliche Macht der Sekretäre herausgebildet. Als solche einmal erkannt und benannt, stellten sich ihr die Reformer entgegen mit dem Ziel, Verwaltungsprozeduren als geregelte Entscheidungsverfahren durchzusetzen. Diese sollten nach Möglichkeit schriftlich vonstatten gehen oder doch zumindest schriftlich dokumentiert, nämlich penibel protokolliert und veraktet werden. Entscheidungsträger sollten nicht mehr in erster Linie Günstlinge oder Privilegierte sein, sondern diejenigen, die sich einer ordentlichen Ausbildung und Fachprüfung unterzogen und sich zudem im Sinne eines professionellen Lebenslaufs bewährt hatten.

Einerseits konnten die Reformer für diese Forderung auf Friedrich Wilhelms I. eigenhändige Denkschrift bauen. Denn in Übereinstimmung mit zeitgenössischen Theorien des Staatsdiensts, denen zufolge das »Wohl und Wehe« des Staates ganz entschieden von den Beamten abhängt und es »theure Regentenpflicht sey«, sie »mit der äußersten Behutsamkeit zu wählen«, (88) hatte es Friedrich Wilhelm in seinen »Gedanken über die Regierungskunst« als fürstliche Aufgabe verstanden, »einen jeden auf seinen rechten Fleck zu setzen und nicht Gunst oder Empfehlung allein den würklichen Verdiensten vorzuziehen«. Die Notwendigkeit, die Auswahl der Staatsdiener geregelten Auswahlprozeduren anheimzustellen und folglich auch nur ausnahmsweise höchstpersönlich vorzunehmen, hatte er damit begründet, dass ein Fürst nicht »allwissend« sei und nicht alle »Bürger seines Staates zu kennen vermögend ist«. (89) Andererseits bahnten die Reformer – egal, ob sie nun wie Stein noch Elemente der Kollegialverwaltung konservieren wollten oder, wie Hardenberg, auf ein Direktoralsystem mit monokratischen Entscheidungsabläufen setzten (90) – den Weg zu einer entpersönlichten, regelgeleiteten und professionalisierten Verwaltung, die in Preußen dann zuletzt nicht mehr spöttisch, sondern (am prominentesten bei Max Weber) mit sachlicher Anerkennung ›Bürokratie‹ genannt wurde.

Kohlhaas, Repräsentant des Zeitgeistes

Als Novelle, bei der, wie ein Vergleich des Phoebus-Fragments mit der Buchfassung vor Augen führt, das Weitererzählen bedeuten kann, neue Schriftverkehrswege einzuführen, (91) und als Novelle, in der sich auch und gerade das Ereignis der Rechtsprechung als komplexer, oftmals umwegiger Prozess enthüllt, bei dem es unweigerlich um »Zustellen, Ankommen, Übertragen« geht, (92) teilt Kleists Kohlhaas mit der Kritik der preußischen Reformer die Aufmerksamkeit für Verfahrensordnungen und -unordnungen, für die vielfältigen Modalitäten der Verwaltungsmacht und dafür, wie die Vorbereitung und Ausfertigung von Entscheidungen abhängig ist von Kommunikationskanälen und deren Einrichtung. Wie sich dabei die Reformer einem König gegenübersehen, der in ihrer Kritik des Kabinettssystems schlichtweg Meuterei wittert, sieht sich auch Kohlhaas mit einer intransparenten Entscheidungslogik konfrontiert, deren Anfechtung illegitimer Anmaßung, Querulanz oder gar Rebellion gleichkommt.

Nachdem Kleists Kohlhaas daran gescheitert ist, seine Sache über die Kanäle des Rechts vorzubringen, sodass er nunmehr seinen Krieg gegen die Obrigkeit mit »Mandat[en]«, »Resolutionen« und öffentlich angeschlagenen Bekanntmachungen als einen Papier- und Informationskrieg (93) führt, versucht ihm Martin Luther mit einem Plakat Einhalt zu gebieten, das seiner Sache mit einer bemerkenswerten Begründung jedwede Legitimität abspricht: Die Obrigkeit sei nicht dafür verantwortlich zu machen, dass »eine Bank voll Gerichtsdienern und Schergen« dem Rosshändler sein Recht verweigert hat. Sie sei dadurch entlastet, dass sie »von [s]einer Sache nichts weiß«, ja, dass der Kurfürst von Sachsen, gegen den sich Kohlhaas auflehnt, »[s]einen Namen nicht kennt« (DKV III, 75). Der Souverän hat offenkundig keine Aufsichtspflicht und sieht sich auch nicht verantwortlich für jene Personen, die seine Macht verwalten. Als Luther dann Kohlhaas gegenübertritt, wiederholt er dieses Argument: »Wenn Staatsdiener hinter seinem Rücken Prozesse unterschlagen, oder sonst seines geheiligten Namens, in seiner Unwissenheit, spotten; wer anders als Gott darf ihn wegen der Wahl solcher Diener zur Rechenschaft ziehen, und bist du, gottverdammter und entsetzlicher Mensch, befugt, ihn deshalb zu richten?« (DKV III, 78) Nicht nur, weil in ihrer Mitte ein mit Schriften beladenes Pult steht und hier Luther sich immer wieder »seinen Papieren« (DKV III, 79f.) zuwendet, dreht sich diese Szene explizit um die Verwaltung und ihren Status. Luthers Lehre war für die Ausbildung einer preußischen Beamtenethik von größter Wichtigkeit, (94) was es umso triftiger und programmatischer erscheinen lässt, wenn er hier staatsbürgerlicher Verwaltungskritik jedwede Berechtigung abspricht.

Wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass sich in dieser Szene verschiedene rechtshistorische Diskurse überlagern, sind Kohlhaas' Argumente doch in einem rousseauistischen Vokabular gehalten, das Martin Luther, dieser Apologet der Gehorsamspflicht gegenüber jedem Widerstandsrecht, (95) natürlich nicht kennen konnte: Gewährt der Staat einem Bürger nicht den »Schutz der Gesetze«, dessen Garantie überhaupt der Grund dafür ist, in eine staatliche Gesellschaft einzutreten, dann ist ihm gleichsam die »Keule« (DKV III, 78) der »naturzuständlichen Gewalt« (96) dessen in die Hand gegeben, der sich jenseits der Gesellschaft befindet. Rechten der Staatsbürger stehen Pflichten des Staats gegenüber, die ein Staat verletzen kann und Bürger einfordern können. Dieses Verständnis findet sich auch in Konzeptionen des Staatsdiensts wieder und lässt den Fürstendiener, dessen Logik Kleists Luther das Wort redet, zu einer »peinliche[n] Erscheinung« werden. (97) Schon Friedrich II. hatte gefordert, dass »Klagen von den Untertanen gegen die Beamten [...] jedesmal unparteiisch zu untersuchen« sind. (98) Einemnaturrechtlichen Verständnis entsprechend werden sich bald die Beamten als Diener des Staats – und nicht irgendeines Fürsten – verstehen, die vom Staat berufen werden. Sie folgen dem »großen Rufe des Staates«. (99) Und deshalb sind die Pflichten, die Beamte dem Staat gegenüber erfüllen, indem sie einen besonderen »Staatszweck« verfolgen, Pflichten der Allgemeinheit; sie helfen letztlich, »Freiheit und Eigentum« aller Staatsmitglieder zu schützen. Verletzen Beamte ihre Pflichten, dann auch die Rechte aller. In Missständen der Verwaltung ist nichts weniger gefährdet als der Gesellschaftsvertrag.

Mit einer Formulierung aus der Rigaer Denkschrift Altensteins gesprochen, kann man in Kohlhaas einen »Repräsentanten des wahren Zeitgeistes« sehen, für den sich all diejenigen Verfassungen überlebt haben, in denen »der Mensch nicht als solcher geachtet, sondern als Sache anderer Menschen im Staat« betrachtet wird. (100) Entsprechend gilt für Kohlhaas: »Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein Mensch!« (DKV III, 53) Und ebenso, wie es Altenstein in seinem »Überblick des Zustandes des Preußischen Staates in der letztverflossenen Zeitperiode« festhält, sieht sich Kohlhaas einem administrativen System gegenüber, auf das Adelige »feindliche, sich wechselseitig lähmende Kräfte« ausüben und in dem die »Rechte der Privilegierten« die Administration hemmen. (101) Kohlhaas, mit seinen Besitzungen in Brandenburg und Sachsen, seinen weitverzweigten Geschäftskontakten, seinem bürgerlich passionierten Nahverhältnis zu seiner Frau Lisbeth, seinem nach der Empfehlung Kantscher Pädagogik auf dem Boden spielenden Kind und seinen gut eingerichteten Vertragsverhältnissen, unterscheidet sich von diesem System, indem er seine eigenen »Geschäfte« weitaus besser verwaltet als der Staat die seinen. Während sächsische Staatsdiener, wie es Kleists Luther formuliert, des Namens des Kurfürsten »spotten« (DKV III, 78), während dem Junker Wenzel von Tronka Kohlhaas' Pferde »abhanden« kommen und dann zwischenzeitlich »gänzlich verschollen« (DKV III, 91) sind, und während das Schicksal des sächsischen Kurfürsten letztlich an einem schlichten Zettel und der Willkür einer Zigeunerin hängen wird, vermag Kohlhaas stets Rechenschaft abzulegen über seine oikonomia, seine familiären, rechtlichen und Geschäftsverhältnisse.

Er kann aufzählen, wie viele Male er bisher nach Dresden geritten ist, ohne den Passschein zu benötigen, den man jetzt von ihm verlangt (nämlich 17-mal). Er kann ein »Verzeichnis der Sachen« anfertigen, die sein Knecht in einem Schweinekoben gelassen hat, als man ihn von der Tronkenburg gejagt hat, und er kann, um seine Forderungen anzubringen, den »Wert derselben« spezifizieren (DKV III, 36). Er führt Unterlagen mit sich, die anzeigen, wie viel sein Besitz in Dresden wert ist. Er kann anhand von Papieren die »Kriminalverhandlungen« (DKV III, 103) belegen, die er gegen ein vormaliges Mitglied seiner Truppen geführt hat, um nachzuweisen, mit dessen Geschäften nichts zu tun zu haben. Kohlhaas' Aufstand gegen die Obrigkeit ist von Anbeginn eine Sache geordneter Aktenführung. In seiner Welt sind Nähe- und Distanzverhältnisse sicher eingerichtet, während die Obrigkeit einerseits unadressierbar fernbleibt und andererseits Kohlhaas' Knecht und seiner Frau gewalttätig auf den Leib rückt. Und während die Entscheidung des vom sächsischen Kurfürsten privilegierten Junkers Wenzel von Tronka, Kohlhaas aufzuhalten und seine Pferde an sich zu nehmen, von meteorologischen und anderen Zufällen motiviert scheint, trifft Kohlhaas seine Entscheidungen mit aller Bestimmtheit und nach der Maßgabe einer wohlüberlegten Vorsorge. Deshalb schließt er, bevor er sein »Geschäft der Rache« (DKV III, 60) aufnimmt, über den Verkauf seines Hofs in Kohlhaasenbrück einen »eventuelle[n] [...] Kaufkontrakt« (DKV III, 49) ab, der es ihm erlaubt, nach vier Wochen den Verkauf zu annullieren.

Kohlhaas' sorgfältiger Verwaltung der eigenen Unternehmungen korrespondiert die Kontrolle der eigenen Affekte: Nachdem er in einer Geheimschreiberei seinen Verdacht bestätigt findet, dass die Forderungen nach einem Passschein beim Grenzübertritt unbegründet gewesen ist, kann Kohlhaas »ohne irgend ein bitteres Gefühl« (DKV III, 21) zur Tronkenburg zurück reiten, um seine Pferde wieder an sich zu nehmen. Als er dort erfahren muss, dass sein Knecht verprügelt und davongejagt wurde, und er seine Pferde heruntergewirtschaftet sieht, unterdrückt er seinen Zorn: »Dem Roßhändler schlug das Herz gegen den Wams. Es drängte ihn, den nichtswürdigen Dickwanst in den Kot zu werfen, und den Fuß auf sein kupfernes Antlitz zu setzen. Doch sein Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich, wankte noch; er war, vor der Schranke seiner Brust, noch nicht gewiß, ob eine Schuld seinen Gegner drücke« (DKV III, 25). Als er seinen Knecht zu den Vorgängen auf der Tronkenburg befragt, trägt er sorgfältig ein Indiz nach dem anderen zusammen, obwohl ihm dabei »das Herz emporquoll« (DKV III, 31). Als er dann seine rechtliche »Beschwerde« gegen den Junker Wenzel von Tronka einleitet, »beruhigt« (DKV III, 39) ihn die Aussicht auf den Erfolg seiner Klage. Und auch nachdem sie »auf höhere Insinuation« niedergeschlagen worden ist und er nun statt in Sachsen beim Kurfürsten von Brandenburg suppliziert, dämpft das Vertrauen in das schriftliche Verfahren (bei dem er nun allerdings schon auf die persönliche Gunst eines Vermittlers der Supplik angewiesen ist) seinen Zorn, sodass er »beruhigter über den Ausgang seiner Geschichte, als je, nach Kohlhaasenbrück« zurückkehren kann (DKV III, 45).

Kohlhaas' Affekte entsprechen dem Verlauf des ordentlichen Verfahrens, in Erwartung einer ordentlichen Entscheidung lassen sie sich jederzeit zurückhalten oder beruhigen. Erst als ihm die Aussicht auf einen ordentlichen Prozess genommen wird und ihm nach der Verschleppung und »Verzögerung« (DKV III, 41) seiner Klage der Rechtsweg verstellt wird, »schäumt[]« er »vor Wut« (DKV III, 47) – und wird er zu einem nunmehr ›negativen‹ Repräsentanten des Zeitgeistes. Wenn er sich dann selbst zur Recht setzenden Instanz und sogar zu einem »Statthalter Michaels, des Erzengels«, erklärt (wobei der Erzähler distanziert von der Figur berichtet, auf die er zunächst intern fokalisiert hatte), treiben ihn seine nun entfesselten Affekte in einen enthegten Krieg um »Genugtuung«; seine Schriftstücke sind nunmehr nicht mehr ordentlich adressiert und gehen nicht mehr den Weg des ordentlichen Instanzenzugs; sie werden zu Kampfmitteln, zu zielgerecht proklamierten Mandaten und wirkungsvoll gehängten Plakaten, die nicht mehr auf den alten Souverän und seine Stellvertreter zielen – sondern auf den neuen Souverän der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung. Selbst in der Eskalation der Kohlhaas-Handlung entspricht Kleists Novelle noch der zeitgenössisch reformistischen Perspektive. Denn insbesondere auf Hardenberg geht ein neues Konzept von Öffentlichkeit zurück, das diese nicht mehr der Kant'schen Konzeption einer rationalen Deliberation aufgeklärter Eliten (der ›gesitteten Welt‹) verpflichtet oder einfach als jenes Volk (der ›Untertanen‹) versteht, das sich vom ›Glanz‹ der Herrschaft blenden lässt; Öffentlichkeit begreift er vielmehr als ein medial aufgerüstetes Kampfgeschehen, in dem die Presse mit der Verwaltung koaliert, um einerseits den Sinn von Gesetzes- und Verwaltungsmaßnahmen zu kommunizieren, andererseits die Publikation von politischer und schöner Literatur weniger zu zensieren, als sie im Sinne der Reformprogrammatik zu steuern. (102)

Schluss: An der Grenze der Bürokratie

In ihrem Schlussteil, als Kohlhaas' Versuche, die Obrigkeit um seiner Sache willen zu adressieren, allesamt fehlgegangen sind und die Ver-Waltung von souveräner Ordnung zu allseitiger Gewaltsamkeit und Verwirrung geführt hat, nimmt Kleists Novelle ihre Wendung ins Ungeheure. Sie vollzieht einen Registerwechsel – und wird von einer historischen oder rechtskasuistischen zu einer Schauererzählung. Die gothic fiction hatte sich im späteren 18. Jahrhundert als ein eigentümlich populäres Genre etabliert, dessen öffentliche Wirksamkeit Kleist selbst in seinen Berliner Abendblättern, v. a. mit dem »Bettelweib von Locarno« erprobte (das wie die Endfassung des Kohlhaas 1810 erschienen ist). Schauererzählungen drehen sich bevorzugt um das Zutagetreten von verborgen gehaltenen Machenschaften (mit oft genealogisch weitreichenden Folgen) oder latent wirksamen Netzwerken (etwa Schattenkabinetten oder Geheimbünden), weshalb sie Michel Foucault auch als politische Genres charakterisiert hat, die an der Zeitenwende zur bürgerlichen Herrschaft den Feudalismus und Absolutismus nochmals in imaginärer Verzerrung auferstehen ließen. (103) ›Gotisch‹ ist an ihnen, neben ihrem oft düsteren, aus Sicht der Aufklärung vorzeitigen Ambiente, insbesondere die Figur des Barbaren, der als – ignorantes, ungezähmtes oder grausames – ›Sittenmonster‹ die Zivilisation in Brand setzt, sich auf keinen Tausch oder Kontrakt einlässt, um statt dessen durch seine Plünderungen und Brandschatzungen gegen das korrupte Recht eine neue Kraft zur Geltung zu bringen. (104)

In Kleists Novelle übernimmt ganz offensichtlich der zornige Kohlhaas diese Rolle, während seine zuletzt Alliierte, die Zigeunerin, als jene – genretpyisch – mysteriöse Instanz verstanden werden kann, die mit ihrer Wahrsagekunst oder ihrem ›Wahr-Sprechen‹ die Brücke schlägt zwischen der Weisheit oder auch dem Aberglauben des Volks einerseits, einem höheren oder Mehr-Wissen andererseits, das allein das Walten des Schicksals zu kennen scheint. (105) Weil sich diese Figur am Ende der Erzählung jeder souveränen Adressierung entzieht, weil sie heimatlos, verfemt oder gar vogelfrei zu nennen ist, hat man sie mit »der Kunst« und ihrer ›gebrechlichen Einrichtung‹ identifiziert. (106) ›Gebrechlich‹ ist die gothic fiction sicherlich darin, dass sie oftmals auf phantastische Weise erzählt, d. h. von instabilen Konstellationen zwischen dem Wirklichen und dem Wunderbaren ausgeht; und darin, dass es sich bei ihr zumeist um ein ›liminales Genre‹ handelt, (107) welches sich (wie Kleists Kohlhaas mit seinen Grenzübertritten, Schlagbäumen und Pässen) an geographischen und rechtlichen Grenzverläufen ansiedelt und dabei die Logik und Dynamik der Transgression durchspielt. Zudem stellt die gothic fiction immer wieder Kontakt her zwischen unterschiedlichen narrativen Domänen wie der etablierten Literatur und der populären Überlieferung oder der ›realistischen‹, der Gespenster- oder Märchenerzählung.

Man kann vielleicht auch in der Hinsicht von einem ›liminalen‹ Genre sprechen, dass Schauererzählungen systematisch am Rande der guten Form und des guten Geschmacks operieren. Unter diesen Vorzeichen wäre der Kohlhaas in dem doppelten Sinne ›monströs‹ zu nennen, dass hier – ähnlich wie im »Bettelweib« – eine kleine Ursache (dort der Platzverweis der Bettlerin, hier das dem Rosskamm verweigerte Passieren) eine offenkundig überdimensionierte Wirkung, nämlich eine Art Weltenbrand, nach sich zieht; und dass hier eine kleine Manifestation von ›Gebrechlichkeit‹ als Ankündigung eines künftigen Unheils (im Sinne von monere, »warnen«) zu deuten ist. Kontingenz kann – gerade im Schlussabschnitt des Texts (108) – jederzeit in Providenz, Zufall in Schicksal übergehen, was dem ›Zettel‹ auch seine prognostische oder prophetische Kraft zu verleihen scheint: Er und mit ihm die Schauererzählung steht, wie man glauben soll, an der Grenze zweier Zeitalter. Der Untergang einer alten Welt – nämlich der des ›gotischen‹ Feudalismus – vollzieht sich in der Schauerliteratur nicht selten auf Ebene des Ökonomischen, worauf in Horace Walpoles Castle of Otranto (1764), gewissermaßen dem Gründungsdokument des Genres, eine riesenhafte Hand (als Präfiguration von Smiths invisible hand) oder im Bettelweib die Liquidierung und Monetarisierung (eines alten Schlosses und Stammsitzes) hinweist. Im Kohlhaas betrifft der Umbruch zwar nicht minder das Ökonomische, zuvorderst aber steht er für die Sphäre der Verwaltung an; durch sie nämlich und ihre Entscheidungskunst ist allein jener folgenreiche Bruch zu heilen, der sich im Kohlhaas an der Grenze zwischen idealer und realer Ordnung, zwischen Gerechtigkeit und Recht ereignet hat.

Dass hier das Thema der verwalteten Souveränität zum Zentrum einer Schauerhandlung geworden ist, signalisiert schon die Rolle des »so wichtigen Zettels« (DKV III, 137): Was dieses »Wunderblatt« (DKV III, 136) eigentlich enthält, bleibt unklar, weil, was die Zigeunerin dem sächsischen Kurfürsten verrät, auch rein strategischer Natur sein kann, und weil ihn Kohlhaas zu guter Letzt, um sein Mehr-Wissen dem Kurfürsten vorzuenthalten, einfach verschlingt. Als wohlkalkulierte Leerstelle gewährt der Zettel also einigen Interpretationsspielraum: Wird mit ihm die überkommene, im Fall von Kohlhaas gescheiterte Logik des Supplizierens invertiert? Demonstriert er einfach die nun heraufziehende Macht des paperwork? Oder kann man in ihm gar eine Allegorie des preußischen Reformprogramms sehen, das, sobald dem fürstlichen Widerspruch ein für allemal entzogen, sobald inkorporiert und regelrecht verdaut, zu einer Verwaltung führen wird, die (zumindest auf brandenburgisch-preußischem Terrain) Willkür, Nepotismus und Korruption überwunden hat und künftig rechtssicheres Wirtschaften möglich macht? Egal, wie man diese ›Zettelwirtschaft‹ interpretieren will: Sie wurde im Register eines populären Genres eingeführt, das, so vielleicht Kleists Hoffnung, der Sache der Reformer dienlich sein konnte. Denn womöglich bekam die Öffentlichkeit im Schauer allererst ein Gefühl für sich selbst – ein Selbstgefühl für sich als neuen ›Souverän‹, der so wie bisher einfach nicht verwaltet werden will. Erst in den 1830er-Jahren und also jenseits der Grenze zur ›Bürokratie‹, diesseits derer Kleists Text (und das preußische Reformprogramm) noch steht, wird sich ein anderer Unwille regen: der über eine allzu souverän gewordene Verwaltung.

Friedrich Kittler: Das Subjekt als Beamter, in: Manfred Frank u.a. (Hg.): Die Frage nach dem Subjekt, Frankfurt/Main 1988, S. 401–420, hier S. 414; Maximilian Karl Friedrich Wilhelm Grävell: Der Staatsbeamte als Schriftsteller oder der Schriftsteller als Staatsbeamter im Preußischen. Actenmäßig dargethan von Regierungs=Rath D. Grävell, Stuttgart 1820, S. 5. Kleists Zeitgenosse Graevell, der 1816 Regierungsjustitiar in Merseburg, bald aber suspendiert und wegen Verstoßes gegen das Gebot der Amtsverschwiegenheit sowie wegen Beamtenbeleidigung inhaftiert wurde, bezweifelte, dass diese – von Kittler einfach gesetzte – Doppelexistenz substantiell, und nicht nur der Bezeichnung nach, möglich sei: »Wem steht die Entscheidung darüber zu, ob etwas in der einen oder andern Qualität geschehen sey?« (ebd.) Die Endfassung des Artikels wurde im April 2023 eingereicht.

Kleist-Zitate jetzt und im Folgenden im fortlaufenden Text aus: Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, hg. v. von Ilse-Marie Barth et al., Frankfurt/Main 1987–1997.

Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Ders., Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Band IX, Darmstadt 1983, S. 51–61, hier S. 55.

Michel Foucault: Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits, Band I 1954–1969, hg. v. Daniel Defert/François Ewald, Frankfurt/Main 2001, S. 90.

Reinhart Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 1975, S. 13.

Vgl. hierzu Kleists Brief an Christian von Massenbach vom 23.4.1805: »Die Absicht, die man bei meiner Sendung nach Königsberg hat, ist wirkliche keine andere, als mich zu einem tüchtigen Geschäftsmann auszubilden, und die musterhafte Einrichtung der preußischen Kammern, durch meine Beihülfe einst, wenn ich angestellt sein werde, auf die fränkische zu übertragen« (DKV IV, 337).

Als derlei Spuren des Relationierens in Kleists Prosa erwähnt Kiefner, neben der Versammlung der wesentlichen Fakten und Koordinaten des betreffenden Falls gleich zu Beginn, die »historische Schreibart«, also den Gebrauch des Imperfekts, des Perfekts oder des praesens historicum; das ›umständliche‹ Erzählen, d.h. die (rechtskasuistische) Würdigung der circumstantiae, selbst wenn diese zur Fabel zunächst nichts beizutragen haben; den Versuch, durch syntaktische Konstruktionen Kausalzusammenhänge zu bekräftigen, zu behaupten oder zumindest vorstellbar zu machen; eine Interpunktion, die den Eigenarten eines mündlichen Vortrags (vor einem Kollegium) Rechnung trägt; zudem die Fokussierung auf wahrnehmbare, ›äußere‹ Geschehensabläufe, wohingegen das ›Innere‹ und ›Psychische‹, nämlich der Kenntnisstand der Figuren, ihre Motive, Absichten oder Wünsche eher zurückgestellt werden. – Vgl. Hans Kiefner: Species Facti. Geschichtserzählung bei Kleist und in Relationen bei preußischen Kollegialbehörden um 1800, in: KJb 1988/1989, S. 13–39, hier S. 17f., 26f., 30f., 34f., 37.

Vgl. Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 143, 154.

Allgemein zu diesem Übergang vgl. Juliane Vogel: Zeremoniell und Effizienz. Stilreformen in Preußen und Österreich, in: Inka Mülder-Bach/Jens Kersten/Martin Zimmermann (Hg.): Prosa schreiben. Literatur – Geschichte – Recht, Paderborn 2019, S. 39–54, hier S. 42.

Christopher M. Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, München 2007, S. 376.

Gilles Deleuze/Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur, Frankfurt/Main 2014, S. 12, Hervor. i. O.

Günter Blamberger: Heinrich von Kleist. Biographie, Frankfurt/Main 2011, S. 223.

Friedrich Wilhelm III.: Instruktion König Friedrich Wilhelms III. für Oberstleutnant von Köckritz. Übergeben den 16. November 1797, in: Georg Küntzel (Hg.): Die politischen Testamente der Hohenzollern, nebst ergänzenden Aktenstücken, 2. Bd., Leipzig 1920, S. 146.

Friedrich Wilhelm III: Instruktion König Friedrich Wilhelms III. für Oberstleutnant von Köckritz, S. 144.

Freiherr vom Stein: Darstellung der fehlerhaften Organisation des Cabinets und der Nothwendigkeit der Bildung einer Ministerial Conferenz, in: Freiherr vom Stein: Briefwechsel, Denkschriften und Aufzeichnungen, Bd. 2, hg. v. Erich Botzenhart, Berlin 1936, S. 75–81, hier S. 79.

Hierzu auch Blamberger: Heinrich von Kleist, S. 225.

Hierzu Christiane Frey: Zur Poetik der Abkürzung: Leibniz, Kleist, etc., in: Albrecht Koschorke (Hg.): Komplexität und Einfachheit: DFG-Symposion 2015, Stuttgart 2017, S. 339–356, hier S. 353.

Johann Michael Seuffert: Von dem Verhältnisse des Staats und der Diener des Staats gegeneinander im rechtlichen und politischen Verstande, Würzburg 1793, S. 49.

Stefan Haas: Die Kultur der Verwaltung: die Umsetzung der preußischen Reformen 1800–1848, Frankfurt/Main 2005, S. S. 208f.; G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: G. W. F. Hegel: Werke. Bd. 7, hg. v. Eva Moldenhauer und Karl M. Michel, Frankfurt/Main 1989, S. 295f.

Friedrich Wilhelm III.: Instruktion König Friedrich Wilhelms III. für Oberstleutnant von Köckritz, S. 145f.

Zur Rolle der Schriftstücke im Kohlhaas vgl. Friedrich Balke: Kohlhaas und K. Zur Prozessführung bei Kleist und Kafka, in: ZfdPh 130 (2011), S. 503–529; Rupert Gaderer: Michael Kohlhaas (1808/10). Schriftverkehr – Bürokratie – Querulanz, in: ZfdPh 130 (2011), S. 531–545; Arndt Niebisch: Kleists Medien, Berlin 2019, S. 286–294.

Streng genommen ist der Burgvogt, anders als der ›Verwalter‹ mit seinem rein wirtschaftlichen Zuständigkeitsbereich, der Beauftragte für die rechtlichen Angelegenheiten auf der Burg.

Vgl. H. G. Adler: Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland, Tübingen 1974, S. 880–882.

Adler: Der verwaltete Mensch, S. 957.

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Erster Theil, Zweyter Titel § 119, Berlin 1794.

Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 169.

Vgl. Foucaults Charakterisierung der kritischen Haltung als »Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden« in Michel Foucault: Was ist Kritik?, Berlin 1992, S. 12.

Carl Schmitt: Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963, S. 92.

Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: MEW, Bd. 1, Berlin 1981, S. 389f. Hervorh. i. O. Gegen Schmitts Einschätzung argumentiert auch Robinson, der mit Ernst Bloch in Kohlhaas' Kampf einen Kampf um »Naturrecht und menschliche Würde« erkennt, der sich nur deshalb in einer »passion for positive right« ausdrücke, weil es unter gegebenen juridisch-bürokratischen Bedingungen unmöglich sei »to find the terms with which to formulate the just [...] object of its feeling«: Benjamin Lewis Robinson: Bureaucratic Fanatics: Modern Literature and the Passions of Rationalization, Berlin 2019, S. 51.

Vgl. hierzu Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, hg. v. Michel Sennelart, Frankfurt/Main 2004, S. 163; Karl Kroeschell: Deutsche Rechtsgeschichte 3 (seit 1650), 2. Aufl., Wiesbaden 1993, S. 203f.

Vgl. Friedrich Wilhelm III.: Gedanken über die Regierungskunst zu Papier gebracht im Jahre [17]96–97, in: Georg Küntzel (Hg.): Die politischen Testamente der Hohenzollern, nebst ergänzenden Aktenstücken, 2. Bd., Leipzig 1920.

John Bender/David E. Wellbery: Rhetoricality: On the Modernist Return of Rhetoric, in: Dies. (Hg.): The Ends of Rhetoric. History, Theory, Practice, Stanford 1990, S. 3–42, hier S. 7.

Zum rhetorischen Aufbau von Suppliken, zur Übersetzung der rhetorischen »art of positionality in address« in das Layout dieser Texte und zur allmählichen Bürokratisierung der Textform siehe Strunz, Lebenslauf und Bürokratie. Kleine Formen der preußischen Personalverwaltung, 1770–1848, Berlin 2022, S. 64–79.

Rüdiger Campe: Im Reden handeln. Überreden und Figurenbilden, in: Heinrich Bosse/Ursula Renner (Hg.): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel, Freiburg i. Breisgau 1999, S. 123–139, hier S. 135.

Friedrich Wilhelm III.: Gedanken über die Regierungskunst, S. 118.

Vgl. hierzu Rupert Gaderer: Querulieren. Kulturtechniken, Medien und Literatur 1700–2000, Berlin 2021, S. 63ff.

Friedrich Wilhelm III.: Gedanken über die Regierungskunst, S. 119.

Vgl. zur Situation um 1800 Birgit Rehse: Die Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen. Eine Untersuchung am Beispiel der Kurmark unter Friedrich Wilhelm II. (1786–1797), Berlin 2010, S. 127ff.

Zum ganzen Absatz siehe Rehse: Supplikations- und Gnadenpraxis, S. 122f. Zitat ebd. S. 123.

Zum Begriff des Rechtgefühls in Kleists Erzählung siehe Johannes F. Lehmann: Im Abgrund der Wut. Zur Kultur- und Literaturgeschichte des Zorns, Freiburg im Breisgau 2012, S. 266–296.

Wolfgang Neugebauer: Das preußische Kabinett in Potsdam. Eine verfassungsgeschichtliche Studie zur fürstlichen Zentralsphäre in der Zeit des Absolutismus, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 44 (1993), S. 69–115, hier S. 98.

Friedrich II.: Anti-Machiavel, oder der Versuch einer Critik über Nic. Machiavels Regierungskunst eines Fürsten, Frankfurt u. a. 1745, S. 351.

Rehse: Die Supplikations- und Gnadenpraxis, S. 127.

Neugebauer: Das preußische Kabinett, S. 98.

Michel Foucault: Das Leben der infamen Menschen, Berlin 2001, S. 41.

Foucault: Das Leben der infamen Menschen, S. 41. Zur Entwicklung der Verwaltungssprache siehe Peter Becker: »Das größte Problem ist die Hauptwortsucht«. Zur Geschichte der Verwaltungssprache und ihrer Reformen 1750 bis 2000, in: Ders. (Hg.): Sprachvollzug im Amt: Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2011, S. 219–244.

Vgl. Esteban Mauerer: Suppliken und Rekurse. Bayern im frühen 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Supplikationswesen und Petitionsrecht im Wandel der Zeit und im Spiegel der Publikationen der Historischen Kommission, Göttingen 2020. S. 59–83, hier: S. 63f., 71.

Die Darstellung folgt: Herman Granier: Ein Reformversuch des preußischen Kanzleistils im Jahre 1800, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 15 (1902), S. 168–180.

Zit. n. Granier: Ein Reformversuch des preußischen Kanzleistils, S. 169.

Zit. n. Granier: Ein Reformversuch des preußischen Kanzleistils, S. 170.

Vgl. hierzu Martin Haß: Über das Aktenwesen und den Kanzleistil im alten Preußen, in: Otto Hintze (Hg.): Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 22.2, Leipzig 1909, S. 201–255, hier: S. 204.

Clark: Preußen, S. 398f. – Ungeachtet der zunächst gescheiterten Abschaffung des nomine regis.

Rehse: Die Supplikations- und Gnadenpraxis, S. 129ff.

Vgl. Rüdiger Campe: Vor Augen Stellen. Über den Rahmen rhetorischer Bildgebung, in: Helmut Lethen/Ludwig Jäger/Albrecht Koschorke (Hg.): Auf die Wirklichkeit zeigen. Zum Problem der Evidenz in den Kulturwissenschaften: ein Reader, Frankfurt 2015, S. 106–136, hier: S. 107f., 121f.

Johann Heinrich Gottlob von Justi: Anweisung zu einer guten Deutschen Schreibart und allen in den Geschäften und Rechtssachen vorfallenden schriftlichen Ausarbeitungen, zu welchen Ende allenthalben wohlausgearbeitete Proben und Beyspiele beygefüget werden, Leipzig 1769, S. 207, unsere Hervorh.

In einem Bild Quintilians: die Muskulatur eines Ringers, die vollständig natürlich ausgebildet ist, so dass sich in ihrer Ausbildung ihre Zweckmäßigkeit erfüllt. – Quintilian: Institutio Oratoria, VIII, 4, 10ff.

Johann Heinrich Gottlob von Justi: Gesammlete Politische und Finanzschriften über wichtige Gegenstände der Staatskunst, der Kriegswissenschaften und des Cameral= und Finanzwesens, 3 Bde., Koppenhagen und Leipzig 1761–1764, Bd. 2, S. 350f.

Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I, S. 452.

Louis Turquet de Mayerne: La monarchie aristodémocratique, ou Le gouvernement composé et meslé des trois formes de légitimes républiques: aux Estats-généraux des provinces confédérées des Pays-Bas, Paris 1611, S. 17.

Peter Karl Wilhelm Hohenthal: Liber de Politia. Adspersis observationibus de causarum politiae et iustitiae differentiis, Leipzig 1776, S. 10.

Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 295.

Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 295.

Hierzu aus anderer Perspektive Frey: Zur Poetik der Abkürzung, S. 353.

Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, in: Ders: Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Band VIII, Darmstadt 1983, A 222.

»Komisch ist [...], was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden läßt«. – Odo Marquard: Exile der Heiterkeit, in: Ders.: Aesthetica und Anaesthetica. Philosophische Überlegungen, München 2003, S. 47–63, hier: S. 54.

Friedrich II.: Anti-Machiavel, S. 351f., 356.

Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 451.

Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 449. Hierzu Slavoj Žižek: The Limits of the Semiotic Approach to Psychoanalysis, in: Ders.: Interrogating the Real, hg. v. Rex Butler/Scott Stephens, London 2005, S. 97–125, hier S. 111ff.

Zur »depersonalization of power« v.a. im Kontext der Verwaltung als revolutionäre Errungenschaft vgl. Ben Kafka: The Demon of Writing. Powers and Failures of Paperwork, New York 2012, S. 47.

Vgl. Vogel: Zeremoniell und Effizienz, S. 41.

Haas: Kultur der Verwaltung, S. 185.

Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 168.

Karl vom Stein zum Altenstein: Denkschrift v. 11.9.1807, in: Georg Winter (Hg.): Die Reorganisation des Preussischen Staates unter Stein und Hardenberg, Teil 1: Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform, Leipzig 1931, S. 364–566, hier S. 406; Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 174.

Freiherr vom Stein: Nassauer Denkschrift vom Juni 1807, in: Georg Winter (Hg.): Die Reorganisation des Preussischen Staates unter Stein und Hardenberg, Teil 1: Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform, Leipzig 1931, S. 189–206, hier S. 202.

Vgl. Christiane Schreiber: »Was sind dies für Zeiten!« Heinrich von Kleist und die preußischen Reformen, Frankfurt/Main u. a. 1991, S. 111, 116.

Stein: Nassauer Denkschrift, S. 202; Otto Hintze: Stein und der preußische Staat, in: Historische und politische Aufsätze, Bd. 3, Berlin 1907, S. 69–108, hier S. 105.

Karl August von Hardenberg: Denkschrift v. 12.9.1807, in: Georg Winter (Hg.): Die Reorganisation des Preussischen Staates unter Stein und Hardenberg, Teil 1: Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform, Leipzig 1931, S. 302–363, hier S. 355.

Vgl. Haas: Kultur der Verwaltung, S. 296, 299, 432, 445.

Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, S. 247.

Carl Schmitt: Gespräch über Macht und den Zugang zum Machthaber. Gespräch über den Neuen Raum, Berlin 1994, S. 17.

Schmitt: Gespräch über Macht, S. 18.

Stein: Darstellung der fehlerhaften Organisation des Cabinets, S. 77.

Abgedruckt in: Freiherr vom Stein: Briefwechsel, Denkschriften und Aufzeichnungen, Bd. 2, hg. v. Erich Botzenhart, Berlin 1936, S. 105.

Stein: Darstellung der fehlerhaften Organisation des Cabinets, S. 76.

Stein: Darstellung der fehlerhaften Organisation des Cabinets, S. 76f.

Stein: Darstellung der fehlerhaften Organisation des Cabinets, S. 77.

Zitiert bei Neugebauer: Das preußische Kabinett, S. 99.

Seuffert: Von dem Verhältniss des Staats und der Diener des Staats, § 29. Hierzu Hans Hattenhauer: Geschichte des Beamtentums, Köln ua. 1980, S. 173ff.

Friedrich Wilhelm III.: Gedanken über die Regierungskunst, S. 116.

Als dritte, spezifisch preußische Variante, die in den ersten Jahren der Reformzeit die Vorzüge der primär schriftgestützten Verwaltung – v. a. deren Selbstreferentialität und autonome, von außen unbeeinflussbare Steuerung – im Modus der mündlichen Verhandlung zu realisieren suchte, wurde der ›Vorgang‹ beschrieben. Vgl. hierzu Angelika Menne-Haritz: Akten und Entscheidungsfindung in der Verwaltung, Vortragstyposkript, November 2022.

So im ersten Fall der oben ausführlich beschriebenen Supplikation an den brandenburgischen Kurfürsten, die eine Ergänzung der Buch- im Vergleich mit der Phoebus-Fassung darstellt: vgl. DKV III, 40–45.

Cornelia Vismann: Medien der Rechtsprechung, hg. v. Alexandra Kemmerer und Markus Krajewski, Frankfurt/Main 2011, S. 97; auch zitiert in Balke, Kohlhaas und K., S. 505.

So Gaderer: Querulieren, S. 91ff.

Hattenhauer: Geschichte des Beamtentums, S. 149f.

Wie von Foucault beschrieben, begründet Luthers Obrigskeitskonzept die Souveränität letztlich »zirkulär: Es verweist auf die Ausübung der Souveränität selbst; das Wohl besteht im Gehorsam gegenüber dem Gesetz, folglich besteht das Wohl, das die Souveränität sich zum Ziel setzt, darin, daß die Leute der Souveränität gehorchen.« – Foucault, Geschichte der Gouvernementalität I, S. 149; zur zeitgenössischen, Kleist bekannten naturrechtlichen Diskussion in Preußen vgl. auch Ingo Breuer: Kleist-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2009, S. 99.

Gideon Stiening: Zwischen gerechtem Krieg und kluger Politik. Naturrecht, positives Recht und Staatsraison in Kleists Michael Kohlhaas, in: Frieder von Ammon, Cornelia Rémi u. Gideon Stiening (Hg.): Literatur und praktische Vernunft, Berlin 2016, S. 485–522, hier S. 515.

Hattenhauer: Geschichte des Beamtentums, S. 174.

Hattenhauer: Geschichte des Beamtentums, S. 164.

Seuffert: Verhältnis des Staats und der Diener des Staats, S. 14.

Altenstein: Denkschrift v. 11.9.1807, S. 391.

Altenstein: Denkschrift v. 11.9.1807, S. 392 u. 395.

Vgl. etwa Andrea Hofmeister: Der Reformstaatskanzler und die Öffentlichkeit, in: Thomas Stamm-Kuhlmann: »Freier Gebrauch der Kräfte«. Eine Bestandsaufnahme der Hardenberg-Forschung, München 2001, S. 125–140, hier S. 125; Clark: Preußen, S. 398.

Vgl. Michel Foucault: In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt/Main 1999, S. 247.

Vgl. Michel Foucault: In Verteidigung der Gesellschaft, S. 233f.

Vgl. Klaus-Michael Bogdal: Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung, Berlin 2011, S. 74, 80.

Vgl. Roland Reuß: »Michael Kohlhaas« und »Michael Kohlhaas«. Zwei deutsche Texte, eine Konjektur und das Schicksal der Kunst, in: Berliner Kleist-Blätter 3 (1990), S. 37f.

Vgl. hierzu allgemein Manuel Aguirre: Liminal Terror: The Poetics of Gothic Space, in: Jesús Benito und Ana Ma Manzanas (Hg.): The Dynamics of the Threshold, Madrid 2006, S. 13–38.

Die Formel »Es traf sich« tritt im hinteren Teil der Erzählung mit auffälliger Häufung auf. Vgl. hierzu die Passagen im Kohlhaas auf S. 17, 43, 64, 94, 108, 113, 115, 118, 123, 131, 134, 136.