Ein Themenheft zu »Verwaltung und Emotionen« – ist Fritz Morstein Marx (1900–1969) Klaus König: »Morstein Marx, Fritz«, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 159. Margrit Seckelmann: »Jurist im Porträt: Fritz Morstein Marx (1900–1969) – Inspirator einer ›vergleichenden Verwaltungswissenschaft‹«, in: Recht und Politik. Zeitschrift für deutsche und europäische Rechtspolitik 2/2017, S. 207–215, hier S. 211.
Während er seine eigenen Gefühle also eher hinter einer Form distanzierenden Humors verbarg, der sich mit einer großen Menschenfreundlichkeit verband, Margrit Seckelmann: »Die Geburt der Verwaltungswissenschaft aus dem Geiste der Demokratie. Fritz Morstein Marx (1900–1969)«, in: Carsten Kremer (Hg.): Die Verwaltungsrechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik (1949–1977), Tübingen 2017, S. 89–105, 89f. Fritz Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, Berlin 1965; S. 7: »Dies Buch handelt vom Verwalten.« Fritz Morstein Marx: »Freiheit und Bürokratie. Über die Natur des Amtsschimmels«, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 42 (1956), S. 351–382. Niklas Luhmann: Der neue Chef, hg. von Jürgen Kaube, Berlin 2016; S. 7: »Der Wechsel des Vorgesetzten gehört zu den wenigen aufregenden Ereignissen im Verwaltungsalltag.« Zum (Nicht-)Verhältnis von Morstein Marx und Luhmann vgl. Seckelmann: »Die Geburt der Verwaltungswissenschaft«, S. 98–99.
Daher lohnt es sich, auf Morstein Marxʼ Schrift »Das Dilemma des Verwaltungsmannes« näher einzugehen, die im Jahr 1965 bei Duncker und Humblot in der Schriftenreihe der Hochschule Speyer erschien und die auf drei zuvor in den USA veröffentlichte Aufsätze zurückgeht. Ein Hinweis auf drei solche Aufsätze als Vorläufer findet sich bei Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 8; leider werden die fraglichen Aufsätze aber weder dort noch im Literaturverzeichnis genau bezeichnet. Es handelt sich vermutlich um: Fritz Morstein Marx: »The Mind of the Career Man«, in: Public Administration Review 20 (1960), S. 133–138, ders.: »Control and Responsibility in Administration: Comparative Aspects«, in: Ferrel Heady / Sybil Stokes (Hg.): Papers in Comparative Public Administration. Ann Arbor 1962, S. 145–162; und ders.: »The Higher Civil Service as an Action Group in Western Political Development«, in: Joseph La Polombara (Hg.): Bureaucracy and Political Development, Princeton 1963.
In diesem Band beschäftigt sich Morstein Marx mit dem »Verwalten«, Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 7. Ebd., S. 7f. Ebd., S. 8. Gabriel Almond / Sidney Verba: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1963; dazu u. a. Bettina Westle: »Politische Kultur«, in: Hans-Joachim Lauth (Hg.): Vergleichende Regierungslehre. Eine Einführung, Wiesbaden 2002, S. 319–341, insbesondere S. 319–322. Vgl. etwa Luther Gulick: »Notes on the Theory of Organization«, in: ders. / Lyndall F. Urwick (Hg.): Papers on the Science of Administration, New York 1937, S. 1–45. Seckelmann: »Jurist im Porträt«, S. 214. Vgl. insbesondere Herbert A. Simon: »The Proverbs of Administration«, in: Public Administration Review 6 (1946), S. 53–67. Stephan Kirste: »Carl Joachim Friedrich (1901–1984)«, in: Peter Häberle / Michael Kilian / Heinrich Amadeus Wolf (Hg.): Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland – Österreich – Schweiz, Berlin 2015, S. 555–572. Jörg Bogumil / Werner Jann: Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland. Wiesbaden 22009, S. 39-41. Woodrow Wilson: »The Study of Administration«, in: Political Science Quarterly 2 (1887), S. 197–222.
Die hier vorzustellende Schrift ist in neun Kapitel gegliedert. Diese beziehen sich eher »verwaltungsübergreifend« auf das, was zumindest in den westlichen Demokratien die Themen der Verortung von Verwaltung waren: 1. »Entscheidung und Apparat«, 2. »Umwelt und Verwaltung«, 3. »Vorrichtungen und Verhalten«, 4. »Status und Funktion«, 5. »Bereiche des Verwaltungshandelns«, 6. »Zwischen Wollen und Müssen« (mit der Sowjetorganisation als einer Art Negativfolie), 7. »Bestand und Wandel«, 8. »Sachgerechtigkeit und Rechtmäßigkeit« und – gleichsam als Summe der Überlegungen zuvor – 9. »Zwischen Stehen und Fallen«.
Die zentrale Aussage ist diejenige: Verwalten muss auch immer eine gestalterische Komponente innehaben. Tut es das nicht, kann eine Beschränkung auf den bloßen Normvollzug langfristig zu Politikverdrossenheit führen, die der auf das Gemeinwohl verpflichtete »Verwaltungsmann« eigentlich nicht dulden kann. Jedoch droht der »Verwaltungsmann« bei einer gestalterischen Politikausführung seine Kompetenzen zu überschreiten, weswegen er Nachteile erleiden könnte. Diese beziehen sich zum einen auf dienstrechtliche Konsequenzen, zum anderen aber auch auf die Zeit, die der »Verwaltungsmann« (wohl eine Übersetzung von Herbert A. Simons Herbert A. Simon: Administrative Behavior. A Study of Decision-Making Processes in Administrative Organizations, New York 1947, 241.
Manches an dem, was Morstein Marx beschreibt, erinnert auf den ersten Blick an das, was Niklas Luhmann mit dem Konzept »brauchbarer Illegalität« beschreibt. Luhmann hat dieses Konzept in seiner Schrift »Funktionen und Folgen formaler Organisationen« entwickelt, dessen Vorwort wiederum von Fritz Morstein Marx stammt. Niklas Luhmann: Funktionen und Folgen formaler Organisationen, Berlin 41995, S. 304–314. Niklas Luhmann: Verantwortung und Verantwortlichkeit. Vortrag am 1. 12. 1961 in Speyer, wieder abgedruckt in: ders.: Schriften zur Organisation. Bd. 1: Die Wirklichkeit der Organisation, hg. von Veronika Tacke / Ernst Lukas, Wiesbaden 2018, S. 47–58, hier S. 55.
Morstein Marxʼ Lösung des »Dilemmas des Verwaltungsmannes« heißt daher auch: das »Pflichtgefühl« Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 68. Ebd., S. 92. Fritz Morstein Marx: »Beamtenethos und Verwaltungsethik«, in: Verwaltungsarchiv 54 (1963), S. 323–344. Hans Ryffel: »Eigenverantwortlichkeit«, in: Fritz Morstein Marx (Hg): Verwaltung. Eine einführende Darstellung, Berlin 1965, S. 456–471.
Während bei Morstein Marx der Amtsethos grundsätzlich positiv konnotiert ist und dem Beamten gleichsam Halt auf schwankendem Grund zu verleihen vermag, bezeichnet das Wort »Gefühl« bei ihm nicht unbedingt Positives. Es wird im vorliegenden Buch immer dann verwandt, wenn es sich um das handelt, was Max Weber mit » Max Weber: »Politik als Beruf, Zweiter Vortrag im Rahmen einer Vortragsreihe ›Geistige Arbeit als Beruf‹«, gehalten im Revolutionswinter 1918/1919 vor dem Freistudententischen Bund in München, wieder abgedruckt in: Johannes Winckelmann (Hg.): Gesammelte politische Schriften, Tübingen 1971, S. 505–560, hier S. 512. Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 69. Ebd.
Anders als Max Weber, dessen Sympathien eher dem (Verantwortung übernehmenden) Berufspolitiker galten als dem Beamten, dessen höchste Kunst diejenige der ausführenden »Selbstverleugnung« Weber: Politik als Beruf, S. 512. Etwas zuspitzend formuliert. Genaueres zum Verhältnis Morstein Marxʼ zu Weber bei Margrit Seckelmann: »Postheroische Verwaltung: Fritz Morstein Marx«, in: dies. / Johannes Platz (Hg.): Remigration und Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945. Ordnungsvorstellungen zu Staat und Verwaltung im transatlantischen Transfer, Bielefeld 2017, S. 130–152, hier 146–151. Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 70. Ebd.
Der »Verwaltungsmann« wird hier gezeichnet als eine Art postheroischer Held des Alltags, Seckelmann: »Postheroische Verwaltung«, S. 151f.
Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 143.
Verfahren und Organisation spielen eine große Rolle, »um Kontrolle zu erzielen und Verantwortlichkeit zu verwirklichen«. Ebd.
Ebd., S. 153 (sic!).
Die Lösung sieht Morstein Marx vor allem in dem bereits beschriebenen Amtsethos, einer Mischung aus Alltags- und Berufsethik. Er spricht insoweit vom »Sinn des Verwaltungsmilieus«. Ebd., S. 194. Harold Stein: »The British Administrator’s World«, in: Public Administration Review 22 (1962), S. 227–236. Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S.197. Ebd., S.198. Ebd., 199. Ebd. Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. 3 Bde., Berlin, 11923–1929. Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 200.
»Gefühle« – das Wort hätte Morstein Marx, der es verabscheute, seinen Geburtstag zu feiern, sicherlich einen Schauer über den Rücken gejagt. Warum war das so?
Dieses ging sicherlich auf seine harte Auseinandersetzung mit sich selbst zurück. Er, der sich noch begeistert als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg gemeldet hatte und nichts sehnlicher (vergebens) erhofft hatte, als an die Front zu kommen, hatte im sogenannten »Hamburger Rathaussturm« erlebt, wie es ist, dem Tod Auge in Auge gegenüberzustehen. Margrit Seckelmann: »›Mit Feuereifer für die öffentliche Verwaltung‹. Fritz Morstein Marx – Die frühen Jahre (1900–1933)«, in: Die Öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften 66 (2013), S. 401–415. Dazu ebd. sowie Margrit Seckelmann: »›Mit seltener Objektivität‹. Fritz Morstein Marx – Die mittleren Jahre (1934–1961)«, in: Die Öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften 67 (2014), S. 1029–1048, hier S. 1045f. Seckelmann: »Mit Feuereifer für die öffentliche Verwaltung«, S. 413 und 415. Auf dem Vorsatzblatt findet sich gedruckt die Widmung »Dem Andenken an einen aufrechten Mann – Bürgermeister Carl Petersen 1868–1933«.
Als Petersen von seinem Bürgermeisteramt zurücktrat und Perels und Mendelssohn Bartholdy demütigende Fragen zu ihrer jüdischen Herkunft beantworten mussten (Perels sollte diese Schmach nicht überleben und auch Mendelssohn Bartholdy wurde schwer krank und starb 1936), Seckelmann: »Mit Feuereifer für die öffentliche Verwaltung«, S. 405–407. Vgl. aber Seckelmann: »Mit seltener Objektivität« sowie dies.: »Mit Verständnis für den ›Verwaltungsmann‹: Fritz Morstein Marx – Die späten Jahre (1934–1962)«, in: Die Öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften 70 (2017), S. 649–668. Seckelmann: »Mit Verständnis für den ›Verwaltungsmann‹«, S. 667.
Warum sollte man das »Dilemma des Verwaltungsmannes« wieder einmal lesen?
Zum einen, weil es unglaubliche Freude bereitet. Wir lernen hier einen Autor kennen, der mit viel Liebe und ebenso viel Humor verwaltungsanthropologische Vignetten wie diejenige vom Beamten als Wärter eines Goldfischglases zeichnet, an dem der Beamte geduldig Algen züchte, Morstein Marx: Das Dilemma des Verwaltungsmannes, S. 66.
Morstein Marx, der seine theoretischen Grundlagen zumindest in seinen späten Jahren eher verschleiert, lässt sich aber keinesfalls auf die Rolle eines Verwaltungshumoristen reduzieren. Dagegen spricht nicht nur die Geschichte seiner Emigration aus Gewissensgründen im Jahr 1933 und seiner Remigration. Wie auch in seinen persönlichen Handlungsmaximen geht es Morstein Marx insgesamt um einen aufklärerischen Appell hinsichtlich einer demokratisch gesinnten Verwaltung, die als Corps durch einen hohen Verwaltungsethos zusammenzuhalten sei. Entgegenzuwirken sei hingegen der Tendenz, dass »im Zeitalter der funktionalen Expertise die Verwaltung häufig durch die Vielheit der Stimmen der Spezialisten übertönt wird, die sich in ihre eigenen Dinge verbeißen, ohne sich einer allgemein orientierten Verwaltwortlichkeit unterwerfen zu wollen«. Ebd., S. 153. Ebd.