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Formalization of informally acquired competences as part of academic certificate programs in healthcare – “prototype” of a model / Formalisierung informell erworbener Kompetenzen im Rahmen akademischer Zertifikatsprogramme im Gesundheitsbereich – „Prototyp“ eines Modells


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Einleitung und Ausgangslage

Im Bereich der Gesundheitsforschung geht unter anderem das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) der Fragestellung nach der Gesundheitsversorgung der Zukunft, vor dem Hintergrund vielfach beschriebener aktueller und zukünftiger Herausforderungen, im Rahmen zahlreicher Forschungsprojekte nach. Diese Herausforderungen sind beispielsweise der demografische Wandel, die Veränderung von Versorgungsstrukturen oder der technologische Fortschritt mit Auswirkungen auf Aufgabenprofile und Kompetenzen, der Qualifikationsmix sowie die Notwendigkeit zu einer verstärkten multiprofessionellen Zusammenarbeit.

http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/Gefoerderte%20Projekte.php

Auch der Sachverständigenrat (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2014) beschäftigt sich mit der bedarfsgerechten Versorgung im Gesundheitswesen, die zuvor genannten Faktoren markieren dabei nur exemplarische Herausforderungen und Veränderungstendenzen. Aus Sicht der Hochschulen erlangen insbesondere die Aspekte des Lebenslangen Lernens (Benning & Müller, 2008, p. 346), der Offenen Hochschule (Arens-Fischer et al., 2015, p. 69; Wolter & Banscherus, 2013, p. 1), der Akademisierung (Walkenhorst, 2011, p. 1) sowie die Rolle der eigenen Institution in diesem Kontext (Hanft, 2015, p. 21) eine besondere Bedeutung.

Auf Seiten der Hochschulen stellt sich neben den fachlichen Aspekten entsprechender zukünftiger Kompetenzprofile verstärkt die Frage nach einer höheren systemischen Durchlässigkeit (Benning & Müller, 2008, p. 349) und damit auch nach einer optimalen Vernetzung hochschulischer und außerhochschulisch erworbener Kompetenzen (Seger & Waldeyer, 2015, p. 34). Nach Ansicht des Wissenschaftsrates gilt dies im besonderen Maß für das gesamte Feld der Gesundheitsfachberufe. Demnach reiche die bisherige Ausbildung der Gesundheitsberufe nicht aus, „um angemessen auf bereits stattfindende und absehbare Veränderungen der Versorgungsbedarfe im Gesundheitswesen reagieren zu können und die Qualität der Gesundheitsversorgung zu sichern.“ (Wissenschaftsrat, 2012, p. 7). Dies kann jedoch „durch hochschulische Ausbildungsangebote und Qualifikationen“ erreicht werden (Wissenschaftsrat, 2012, p. 7).

Spezifischer Hintergrund: Das Forschungsprojekt KeGL

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderlinie „Aufstieg durch Bildung“ geförderte Forschungsverbundprojekt „Kompetenzentwicklung von Gesundheitsfachpersonal im Kontext des Lebenslangen Lernens“ (KeGL) unter der Beteiligung der Hochschulen Ostfalia, Hannover, Jade, Universität Osnabrück sowie der Hochschule Osnabrück zielt darauf ab, bedarfsgerechte und modularisierte Zertifikatsangebote zur kompetenzorientierten Weiterbildung von Gesundheitsfachpersonal zu erforschen, zu entwickeln, pilothaft zu erproben und gegebenenfalls in das Studienangebot zu integrieren.

Eine Verbundprojektbeschreibung findet sich unter www.kegl.ostfalia.de

Die Teilprojekte der Hochschule Osnabrück haben innerhalb des Verbundvorhabens zum Ziel, Weiterbildungsbedarfe in den Bereichen Patientensicherheitsmanagement und Gesundheitsinformatik zu identifizieren, in entsprechende akademische Zertifikatsprogramme umzusetzen und perspektivisch in bestehende Studienprogramme im Bachelor- und Masterbereich münden zu lassen. Gleichzeitig wird in zwei weiteren kontextuellen Ansätzen eine höhere Durchlässigkeit im Sinne einer offenen Hochschule (Benning & Müller, 2008, p. 351) sowie eine optimale Übergangsgestaltung von Fachschule zu Hochschule (Banscherus & Pickert, 2013, p. 17) beforscht und umgesetzt.

Eine Detaildarstellung der einzelnen Teilprojekte der Hochschule Osnabrück findet sich unter www.kegl.hs-osnabrueck.de.

Ein Projektziel: Holistische Würdigung berufsbezogener Kompetenzen

Angehörige der Gesundheitsfachberufe erlangen im Laufe ihres Berufslebens vielfältige Kompetenzen auf verschiedene Arten und Weisen. (Kirchhof, 2007, pp. 343 – 345) Sei es in Form einer fachschulischen Ausbildung, vielfältiger (Fach-)Weiterbildungen, einer akademischen Ausbildung, sowie in ihrem täglichen Berufsfeld. Somit findet der Aufbau entsprechender Kompetenzen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hochschulen statt.

Viele Hochschulen stehen dabei vor der Frage, wie sie außerhalb hochschulischer Institutionen erworbene Kompetenzen in verstärktem Maße würdigen können (Schürmann, 2012, p. 13). Das organisatorische Mittel und der damit verbundene Prozess, der den Hochschulen dafür zur Verfügung steht, ist die Anerkennung gleichwertiger Qualifikationen mit einer folgenden Anrechnung auf Studieninhalte (Hanak & Sturm, 2015, p. 19). Hierbei ist die Anrechnung eben dieser Kompetenzen für die teilnehmenden Verbundpartner als niedersächsische Hochschulen gemäß des niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) verpflichtend, wobei das NHG nur allgemein auf beruflich erworbene Kompetenzen abhebt. Die Verpflichtung zur Anrechnung ist landesrechtlich jedoch unterschiedlich geregelt (Cendon et al., 2015, p. 8). Zudem besteht seitens der Akkreditierungsagenturen seit Januar 2015 die Auflage, für anstehende Neu- oder Re-Akkreditierungen, explizit Regelungen für Anrechnungen außerhochschulischer Kompetenzen in den Zulassungs- und Prüfungsordnungen zu verankern (Grimm, 2014, p. 2). Bei der Anerkennung und Anrechnung wird i.d.R. nach der Art des Erwerbes der Kompetenzen unterschieden in formal, non-formal und informell erworbene Kompetenzen (Martens, Diettrich, & Wolfgramm, 2014, p. 3). Formal erworbene Kompetenzen werden in strukturierter intentionaler Form bei staatlichen oder staatlich anerkannten Trägern erworben, sind rechtlich eindeutig geregelt und mit entsprechenden Urkunden belegbar (Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, 2009, p. 86). Das gilt z.B. für fachschulische Abschlüsse, sowie für bestimmte Fachweiterbildungen, soweit diese (landes-)rechtlich eindeutig geregelt sind. Non-formal erworbene Kompetenzen werden ebenfalls strukturiert intentional erworben, allerdings außerhalb staatlicher oder staatlich anerkannter Träger. Sie können durch eine entsprechende Dokumentation

z.B. folgende Weiterbildungen: Manuelle Therapie, Lymphdrainage, Medizinische Trainingstherapie, CMD, Wundmanagement

belegt werden, müssen es aber nicht. Eine eindeutige und einheitliche rechtliche Ausgestaltung existiert nicht (Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, 2009, p. 87). Informell erworbene Kompetenzen werden in keiner festen Bildungsträgerschaft und nicht in strukturiert intentionaler Form erworben, sie werden vielmehr akzidentiell während bestimmter Aktivitäten des normalen Lebens oder des Berufslebens erworben (Gutschow, 2010, p. 10). Sie können explizit oder implizit durch entsprechende Dokumentationen, wie z.B. durch Arbeitszeugnisse oder anhand eines Weiterbildungspasses belegbar sein, oftmals fehlen diese Nachweise jedoch komplett. Im Gegensatz zu den anderen Kompetenzarten können informell erworbene Kompetenzen durch die betroffene Person selbst mithilfe verschiedener Instrumente festgehalten und dokumentiert werden. Beispielhaft sind hier zu nennen das Portfolio (Häcker, 2005, p. 5), Lerntagebücher zur Praxisreflexion (DQR, 2011, p. 6) oder auch Arbeitsproben (Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, 2009, pp. 67 – 68). Diese können dann von bestimmten Stellen anerkannt werden, so z.B. von Hochschulen im Zuge eines Anrechnungsprozesses.

Das Ziel von Anerkennung und folgender Anrechnung ist es, sich bestimmte einmal erworbene Kompetenzen nicht zum wiederholten Male aneignen zu müssen (Benning & Müller, 2008, p. 352; Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2012, p. 160). Wird eine Gleichwertigkeit einer Kompetenz festgestellt, muss gem. §7 NHG eine Anrechnung vorgenommen werden. Diese erfolgt prinzipiell auf ein konkretes Zielmodul eines spezifischen Curriculums (Freitag, 2011, p. 94). Der Begriff der Gleichwertigkeit wird innerhalb der Bologna Signatarstaaten in einem erweiterten Verständnis definiert als „keine wesentlichen Unterschiede“ (KMK & BMBF, 2012, p. 17). Im Falle der Feststellung einer etwaigen Nicht-Gleichwertigkeit trägt jedoch die feststellende Hochschule und nicht der Antragsteller die Beweislast (Hanak & Sturm, 2015, p. 69).

Die Umsetzung der beschriebenen Zielsetzungen und Vorschriften stellt viele Hochschulen vor unterschiedlich gelagerte und ausgeprägte Herausforderungen (Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, 2009, p. 23; Wolter & Geffers, 2013, p. 33). Dieses betrifft sowohl die Bewertungsaspekte (p. Zängl, 2013, pp. 145–146), die prozessualen Aspekte (Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, 2009, p. 26), Ressourcenausstattungen und Zuweisungen (Hanft, Knust, Müskens, & Gierke, 2008, p. 311) sowie einen in Deutschland fehlenden „verbindlichen Rechtsrahmens für die formale Anerkennung non-formalen und informellen Lernens“ (Gaylor, Schöpf, & Severing, 2015, p. 30). Die Herausforderungen sind je nach anzuerkennendem erworbenem Kompetenzaspekt (formal, non-formal, informell) unterschiedlich stark ausgeprägt (Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung, 2009, p. 23).

Konkrete Fragestellung

Im Zuge eines KeGL-Teilprojektes steht grundsätzlich die Frage im Fokus, wie die Ausgestaltung eines hochschulischen Zertifikatsprogrammes erfolgen kann, das zum einen eine Qualifizierung auf akademischem Niveau in einem dedizierten Themenfeld bietet und gleichzeitig die bestehenden non-formal sowie die bereits informell im Berufsfeld erworbenen Kompetenzen der Studierenden erfassen, bewerten und entsprechend zertifizieren kann. Zielstellung ist es also letztendlich, die Gesamtkompetenz einer Person in einem klar umgrenzten thematischen Umfeld zu erfassen, zu bewerten und gezielt weiter zu entwickeln, wobei außerhochschulische Kompetenzen eine wichtige Rolle spielen. Die in diesem Rahmen zertifizierten Kompetenzen stehen in einem möglichen Folgeprozess für eine entsprechende Anrechnung zur Verfügung.

Zielsetzung der ersten Entwicklungsphase ist ein „Prototyp“, der die Vermittlung akademischer Inhalte mit der Würdigung außerhochschulischer Kompetenzen (insbesondere informell erworbener) verbindet. Primär geht es dabei um eine Formalisierung informell erworbener Kompetenzen, welche dann für eine spätere Anrechnung zur Verfügung stehen. In einer folgenden Operationalisierung findet dieser dann Anwendung auf verschiedene fachliche Kontexte. Im ersten Schritt in Form konkreter Zertifikatsprogramme in den Bereichen Patientensicherheitsmanagement und Gesundheitsinformatik, perspektivisch in weiteren akademischen Formaten.

Dieser neu zu entwickelnde Ansatz stellt noch keine Anrechnung im eigentlichen Sinne dar, erweitert die entsprechenden Denkansätze aber auf eine entscheidende Vorstufe dessen, nämlich dem Vorgang der Sichtbarmachung und Bewertung entsprechender Kompetenzen.

In weiteren Entwicklungsstufen geht es darum, die Denkweisen und methodischen Ansätze auf konkrete Anrechnungsmechanismen zu übertragen und dabei stärker zu generalisieren.

Dabei stellen sich vielfältige Fragen in verschiedenen Phasen und auf verschiedenen Ebenen des Anrechnungsprozesses.

Auf struktureller Ebene: Wie stark kann / soll eine Verzahnung des akademischen Inhaltes mit Aspekten der Anrechnung ausgeprägt sein? Welche Aufhängung eines entsprechenden Mechanismus ist sinnvoll? Wie soll dieser ausgeprägt sein: Generalistisch als Querschnittsfunktion oder spezifisch bereichsabhängig? Welche Einflussfaktoren wirken hier? Wie gestaltet sich eine Durchlässigkeit? Wo bestehen Adjustierungsbedarfe?

Auf Seiten der Studierenden bzw. Studieninteressierten exemplarisch: Wie bekannt ist die generelle Möglichkeit einer Anrechnung außerhochschulischer Kompetenzen? Welche Haltung besteht hierzu? Welche Bedeutung und Wichtigkeit wird einer generellen Würdigung entsprechender Kompetenzen beigemessen? Aus welchen Motivationslagen heraus wird eine Anrechnung angestrebt? Welche Unterschiede existieren zwischen formal, non-formal und informell erworbenen Kompetenzen? Wie bewusst sind sich die Personen ihrer (Gesamt-) Kompetenz? Welche Wichtigkeit spielt eine entsprechende Beratung? Und welche Rolle kann eine mögliche Verzahnung von Theorie und Praxis einnehmen?

Auf Seiten der Hochschule(n) stehen politische, prozessuale und organisatorische Fragen im Fokus wie z.B.: Wie wird die derzeitige politische Situation bzgl. Anrechnung, insbesondere außerhochschulischer Kompetenzen, wahrgenommen? Wie schlägt sich diese an den Hochschulen nieder? Was bedeutet das auf prozessualer und organisatorischer Ebene? Was sind die wichtigsten Einflussfaktoren? Wie ist der Kenntnisstand beteiligter Akteure und welche Haltung legen diese an den Tag? Welche Einflussfaktoren wirken hier? Und welche möglichen Umsetzungen sehen die verschiedenen Beteiligten?

Angewandte Methodik

In einer multiperspektivischen Herangehensweise wurde gemäß der beschriebenen Zielsetzung ein „Prototyp“ entwickelt, den es zu validieren und zu testen galt, um auf Basis der gesammelten Felderfahrungen entsprechende Anpassungen vorzunehmen.

Dafür wurde eine stufenweise Vorgehensweise gewählt. Damit sollte gewährleistet werden, dass auf jeder Entwicklungsstufe ein offener Diskurs über den jeweiligen Stand geführt werden konnte, dessen Resultate bei der Ausgestaltung des finalen Mechanismus Berücksichtigung fanden. Der gesamte Entwicklungsprozess ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1

Darstellung des Entwicklungsprozesses eines Prototypen zur zertifikatsbasierten Formalisierung informell erworbener Kompetenzen

Ausgehend von einer initialen Literaturrecherche erfolgte die grundlegende Analyse des kontextuellen Umfeldes sowie der wichtigsten Einflussfaktoren auf den verschiedenen Ebenen zur Stützung der primären Hypothese, dass non-formal und informell erworbene Kompetenzen derzeit in nur geringem Maße wertgeschätzt und im Rahmen von Anrechnungsprozessen berücksichtigt werden.

Es folgten leitfadengestützte Experteninterviews (Kaiser, 2014, p. 35) an der Hochschule Osnabrück in vier dedizierten Personengruppen (Anzahl Interviews in Klammern): Studiengangbeauftragte (2) relevanter gesundheitsbezogener Studiengänge, Studiendekane (1), Geschäftsbereichsleiter (1) sowie ein Professor in der Funktion eines Bologna-Promoters (1). Alle Interviews erfolgten in Form eines persönlichen Gespräches auf Basis eines offenen Leitfadens. Auf Seiten der Interviewer waren grundsätzlich zwei Personen involviert, wobei eine Person das Interview geführt hat, während die andere eine beobachtende und protokollierende Funktion eingenommen hat. Alle Interviews wurden elektronisch aufgezeichnet, transkribiert und anonymisiert. Es folgte eine qualitative Inhaltsanalyse, wobei die weitere Verarbeitung mithilfe der Software MAXQDA© vorgenommen wurde.

Auf Seiten der Lernenden wurde eine Umfrage unter Studierenden und Alumni von 20 Studiengängen mit Gesundheitsbezug an fünf Hochschulen durchgeführt. Tabelle 1 zeigt die befragten Studiengänge an den jeweiligen Hochschulen.

Befragte Studiengänge

Bachelorstudiengänge (Berufsbegleitend, berufsintegrierend, dual)Hochschule
PfegewissenschafHochschule Osnabrück
PfegemanagementHochschule Osnabrück
MidwiferyHochschule Osnabrück
Ergotherapie / Logotherapie / PhysiotherapieHochschule Osnabrück
Angewandte PfegewissenschafenOstalia Hochschule
Angewandte Pfegewissenschafen im PraxisverbundOstalia Hochschule
Augenoptk im PraxisverbundOstalia Hochschule
Pfege berufsbegleitendHochschule Hannover
HeilpädagogikHochschule Hannover
Heilpädagogik berufsintegrierendHochschule Hannover
Management im Sozial- und GesundheitswesenFachhochschule der Diakonie Bielefeld
Mentoring im Sozial- und GesundheitswesenFachhochschule der Diakonie Bielefeld
Psychische Gesundheit/Psychiatrische PfegeFachhochschule der Diakonie Bielefeld
PfegeFachhochschule der Diakonie Bielefeld
HeilpädagogikFachhochschule der Diakonie Bielefeld
Masterstudiengänge (MA, MSc, MBA)Hochschule
GesundheitsmanagementHochschule Osnabrück
Manuelle TherapieHochschule Osnabrück
Public HealthJade Hochschule
Bildungswissenschafen und Management für Pfege- und GesundheitsberufeHochschule Hannover
Organisatonsentwicklung und SupervisionFachhochschule der Diakonie Bielefeld
PersonalmanagementFachhochschule der Diakonie Bielefeld

Vier der fünf befragten Hochschulen bzw. 14 der 20 befragten Studiengänge sind in Niedersachsen angesiedelt, die restlichen im angrenzenden Bundesland Nordrheinwestfalen. Bei den genannten Studiengängen handelt es sich um berufsbegleitende, duale oder berufsintegrierende Formate, die in hohem Maße von berufserfahrenen Studierenden besucht werden. Die Umfrage wurde, wo möglich, in einer personalisierten Onlineform mit der Software ESF Questback© durchgeführt. In Fällen, in denen dieses aufgrund von Datenschutz nicht möglich war (insbesondere im hochschulübergreifenden Kontext), wurde auf eine anonymisierte Form gewechselt. Bestimmte Fragen mit spezifischem Bezug zu einzelnen Studiengängen oder Hochschulen wurden entsprechend individualisiert, um durch eine entsprechende Identifikation der Befragten eine Erhöhung der Rücklaufquote zu erzielen. Die Ergebnisse wurden zusammengefasst und mithilfe IMB SPSS Statistics 23 © ausgewertet.

Insgesamt wurden 3.262 Studierende bzw. Alumni aktiv kontaktiert. Die Betreuer bzw. die Geschäftsstellen der jeweiligen Studiengänge wurden in die Kommunikation integriert, um so eine Erhöhung der Responsequote zu erzielen.

Die gesamtheitlichen Ergebnisse stellen die Basis für die Entwicklung des „Prototyps I dar.

Bisherige Ergebnisse
Expertenbefragung: Die Anerkennung nicht formal erworbener Kompetenzen ist gewünscht, bringt aber Herausforderungen

Im Ergebnis bestätigten die Experten in den Interviews, dass der generelle politische Wille bei unterschiedlichen Organen, z.B. der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) oder der Kultusministerkonferenz (KMK), zu einer verstärkten Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen und der damit verbundenen Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung vorhanden ist. Dieser ist in Niedersachsen stark ausgeprägt und entsprechend verankert, z.B. im niedersächsischen Hochschulgesetz (NHG), sowie durch die Gründung der Servicestelle Offene Hochschule Niedersachsen gGmbH im Jahre 2012

http://www.offene-hochschule-niedersachsen.de/site/offene-hochschule/die-servicestelle/

.

In der konkreten Umsetzung an den Hochschulen im Allgemeinen und der Hochschule Osnabrück im Speziellen bestehen allerdings verschiedene Herausforderungen.

So wird aus Sicht einiger Experten der politische Wille von einer Ebene zur nächsten „weitergereicht“ (Politik > Hochschulleitung > Fakultäten > Studiengänge), jedoch ohne eine entsprechend klare Operationalisierung in den betreffenden Organisationen sicher zu stellen. Dieses führt aus ihrer Sicht unter anderem zu einer gewissen Intransparenz der verankerten Prozesse, z.B. in Bezug auf Ablaufprozesse, Zuständigkeiten und Bewertungsinstrumente.

Unabhängig von der prozessualen Verankerung stellt die Übersetzung des Tatbestandes einer „Andersartigkeit, aber trotzdem Gleichwertigkeit“ in die praktische Anerkennung bzw. Anrechnung eine komplexe Evaluationsaufgabe dar, weil dem jeweiligen Gutachter ein großes Erfahrungswissen und hohe interpretative Kompetenz abverlangt werden, um eine valide Äquivalenzprüfung durchzuführen. Die Probleme einer solchen Äquivalenzprüfung beginnen bei einer nicht durchgängig vorhandenen Definition der einzelnen Module auf Basis von Lernergebnissen bzw. Kompetenzen und reichen bis hin zu nicht verankerten Methoden der Validierung bestimmter Kompetenzen, insbesondere informell erworbener.

Neben der beschriebenen prozessualen Intransparenz konstatierten die befragten Experten mehrheitlich eine Intransparenz der externen Kommunikation, denn oft fehlten den Studieninteressierten relevante Informationen bzgl. bestehender Möglichkeiten einer Anerkennung und Anrechnung generell sowie über konkrete Auswirkungen auf ihren Studiengang und damit ihren individuellen Studienverlauf.

Dabei vermuteten die Experten durchgehend ein hohes Interesse auf Seiten der Studieninteressierten, entsprechend erworbene Kompetenzen (formal, non-formal, informell) anerkennen und anrechnen zu lassen. Wobei interessanterweise die Praxis zeige, dass die Studierenden mit relativ geringerer Berufserfahrung wesentlich „euphorischer“ seien, sich Kompetenzen anrechnen lassen zu wollen, um ihr Studium möglichst zügig zu beenden. Ob diese dabei einer realistischen Selbsteinschätzung folgen, zogen einzelne Experten jedoch in Zweifel, zumal die Erfahrung zeige, dass oftmals die notwendige Transferfähigkeit zwischen dem vorhandenen Fachwissen und der Fähigkeit, „über den Tellerrand“ zu schauen, fehle.

In Ergänzung dazu vermuteten die Experten geschlossen eine überwiegend unterstützend positive Haltung auf Seiten der Arbeitgeber, sofern das Qualifikationsziel des Studiums erreicht wird und die Mitarbeiter dem Unternehmen damit schneller wieder Vollzeit zur Verfügung stehen.

Zwei weitere Gründe für die beschriebenen Herausforderungen der Umsetzung sah eine Mehrheit der befragten Experten in der bisher oft fehlenden Auseinandersetzung der Lehrenden mit diesem thematischen Kontext sowie in einer heterogenen bis hin zu ablehnenden Haltung bezüglich der Anerkennung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen. Zwei Experten vermuteten dabei, dass die positive Ausprägung der persönlichen Haltung mit der Menge an Erfahrung der jeweiligen Lehrperson im Bereich berufserfahrener Studenten korreliert.

Überwiegend wurde in den Interviews eine abnehmende prozessuale Konsistenz und Qualität von der Anrechnung formal erworbener hin zur Anrechnung informell erworbener Kompetenzen bestätigt.

In den geführten Interviews wurden zahlreiche Vorschläge für eine Verbesserung der geschilderten Situation genannt. Einigkeit bestand darin, dass eine Bewertung der Gesamtkompetenzen einer Person im Mittelpunkt stehen müsse und eine Trennung in formal, non-formal und informell erworbene Kompetenzen hierbei keine Rolle spielen dürfe.

Weiterhin sollte die Beurteilung perspektivisch in einem konsolidierten Gesamtprozess abgebildet werden. Die überwiegende Mehrheit der befragen Experten sah hier ein entsprechendes Einstufungsgespräch als zentrales Element. Dieses könne gemäß einzelner Experten noch flankiert werden durch weitere standardisierte Tests, ohne spezifische Beispiele zu nennen. Auch könne man hier in die Zukunft gerichtet durchaus weiter denken als in den bekannten Mustern der Anrechnung einzelner Module, nämlich im Sinne eines individualisierten Studienverlaufes.

Eine Herausforderung sahen die Experten dabei in der bestehenden Ressourcenausstattung sowohl auf administrativer Ebene als auch auf der Ebene involvierter Lehrender. So bestehe weder eine explizite Ressourcenzuweisung in den administrativen Einheiten, noch erfolge eine Würdigung des Aufwandes beteiligter Lehrender, z.B. durch Anrechnung auf ein bestehendes Lehrdeputat.

Hierbei käme es auch auf „kreative Lösungen“ an, bei denen beispielsweise eine Ressourcenumverteilung im Gegensatz zu einer Ressourcenaufstockung im Fokus stehen könnte. Auch wenn dieser Ansatz schon sehr weit führen kann, sahen die meisten Experten die Notwendigkeit, die entsprechenden Ressourcen hier aufzustocken. Eine entsprechende Flankierung des bestätigten politischen Willens könnte hier durch eine entsprechende budgetäre Zusatzausstattung erreicht werden.

Einigkeit bestand darin, dass die Bedeutung der Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen und damit auch die Fallzahl entsprechender Anträge zunehmen werden.

Die Mehrheit der befragten Experten riet dazu, dass die Hochschule sich diesem Thema pro-aktiv stellt und hieraus ggf. sogar eine entsprechende Profilierung ableitet. Gegenwärtig wird die Auseinandersetzung durch hohe Studierendenzahlen überlagert. Aber spätestens nach Auslaufen des Hochschulpakts würden diese Themen wieder stärker zum Tragen kommen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anerkennung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen einen hohen Stellenwert auf Seiten der Hochschulen einnimmt, diese aber gleichzeitig in der Umsetzung vor große Herausforderungen stellt, insbesondere in Bezug auf informell erworbene Kompetenzen. Dieses betrifft vor allem eine prozessuale Verankerung, Implementierung valider Verfahren sowie eine erhöhte Ressourcenausstattung der prüfenden Instanzen.

Befragung Studierende und Alumni: Die Anrechnung informell erworbener Kompetenzen ist wenig bekannt und genutzt

Von den insgesamt 3.262 angeschriebenen Studierenden bzw. Alumni beantworteten 520 Personen den Online-Fragebogen, wovon 443 Fragebögen final verwertet wurden. Die Ergebnisse stellen sich wie folgt dar:

Wie erwartet sind die Anrechnungsmöglichkeiten formal erworbener Kompetenzen bei den Studieninteressierten deutlich bekannter als die Anrechenbarkeit non-formal und informell erworbener Kompetenzen (vgl. Abb. 2). Überraschend ist, wie deutlich sich der beschriebene Unterschied abzeichnet.

Abbildung 2

Darstellung des Kenntnisstandes bestehender Anrechnungsmöglichkeiten

Die Daten legen entweder den Schluss nahe, dass die individuelle Informationssuche nicht intensiv genug ist, oder aber dass entsprechende Informationen in nicht ausreichendem Maße vorhanden sind bzw. nicht zur Verfügung gestellt werden.

Welche Quellen die Interessenten für die allgemeine Informationsgewinnung über das Zielstudium benutzten, ist in Tabelle 2 aufgeführt (Mehrfachnennungen möglich).

Genutzte Medien für die Informationsgewinnung über das Zielstudium (Mehrfachnennungen möglich)

Homepages der jeweiligen Hochschulen76,9%
Allgemeine Internetrecherche56,8%
ArbeitskollegInnen29,8%
Spezifsche Beratungsangebote der Studiengänge / Fakultäten19,8%
Zentrale Studienberatung19,8%
Fachschulen18,9%
Fachzeitschrifen7,0%
Sonstge Quellen12,3%

Die Suche der Interessenten/-innen hat somit eine große Breite, über ihre Intensität hingegen lässt sich keine Aussage treffen. Die geringe Bekanntheit der Anrechnungsmöglichkeiten non-formal und informell erworbener Kompetenzen könnte zum Anlass genommen werden, den Umfang, die Art und Qualität der bereitgestellten Informationen, insbesondere in den hochschuleigenen Quellen (genannte Hauptquelle), zum Thema Anrechnung zu hinterfragen. Letztendlich haben die Angaben jedoch eine beschränkte Aussagekraft, da nur die Nutzung generell, aber nicht die Intensität und Qualität dieser abgefragt wurde. Ein faktischer Grund für die geringe Bekanntheit der beiden Anrechnungsmöglichkeiten non-formal und informell erworbener Kompetenzen kann somit nicht eruiert werden, da er nicht explizit abgefragt wurde. Das Ergebnis wird jedoch zum Anlass genommen, eine strukturierte Analyse der Internetpräsenzen der beteiligten Hochschulen zum Thema Anrechnung durchzuführen (Folgephase).

Generell zu hinterfragen ist die Kommunikation und Funktion einer entsprechenden Anrechnungsberatung. Nur 11,5 % der Befragten gaben an, diese im Laufe Ihrer Informationssuche genutzt zu haben. 68,4 % verneinten die Frage, 20,1 % machten keine Angaben.

Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Rolle der Anrechnungsberatung und Informationsbereitstellung auf Seiten der Hochschule im Sinne einer aktiveren Kommunikation sämtlicher Anrechnungsmöglichkeiten hinterfragt werden sollte.

Unter den Interessenten, die eine erhaltene Anrechnungsberatung angaben, wurden Fachberatungen der jeweiligen Studiengänge/Fakultäten (63,5 %) sowie zentrale Studienberatung (25,0 %) als entsprechende beratende Instanzen genutzt. Lediglich 3,8 % der Befragten gaben an, die Servicestelle Offene Hochschule in Niedersachsen für diesen Zweck genutzt zu haben, obwohl 4 der 5 befragten Hochschulen und 14 der 20 abgefragten Studiengänge in Niedersachsen angesiedelt sind. Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass der Studienbeginn für viele der Befragten vor Gründung der Servicestelle lag. Weiterhin nutzten 19,2 % sonstige Quellen, meist Professoren/-innen, Dozenten/-innen oder Studiengangbeauftragte der jeweiligen Studiengänge.

Aufgrund der geringen Bekanntheit bestehender Anrechnungsmöglichkeiten im Bereich der non-formal und informell erworbenen Kompetenzen verwundern die von den Befragten genannten geringen Zahlen der tatsächlich gestellten Anträge auf Anrechnung nicht

Wobei hier explizit nach Anrechnungen gefragt wurde, die über bestehende pauschale Anrechnungen hinausgehen, die fester Bestandteil einiger Studiengänge sind, z.B. durch eine entsprechende Ausbildung.

: 36,1 % der Befragten stellten einen Antrag auf Anrechnung formal erworbener Kompetenzen, lediglich 14,4 % auf non-formale und nur 2,9 % auf informelle.

Die Befragten äußerten konkrete Gründe für die gestellten/nicht gestellten Anträge

Hierbei wurde keine Differenzierung nach den verschiedenartig erworbenen Kompetenzen vorgenommen.

. Abbildung 3 verdeutlicht die Gründe für eine faktisch erfolgte Antragstellung.

Abbildung 3

Darstellung der Beweggründe für eine Antragstellung auf Anrechnung

Die Beweggründe für das Unterlassen einer Antragstellung auf Anrechnung zeigt Abbildung 4.

Abbildung 4

Darstellung der Beweggründe für eine nicht erfolgte Antragstellung auf Anrechnung

Ob die Feststellung, dass sich keine Vorteile ergeben hätten, auf fundierten Kenntnissen bzw. Rechercheergebnissen beruht oder aus einer Unkenntnis heraus resultiert, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten.

Mit Blick auf die weniger bekannten Anrechnungsmöglichkeiten der non-formal und informell erworbenen Kompetenzen schätzte die Mehrheit der Befragten (unabhängig von einer faktischen Antragstellung) die generelle Möglichkeit einer entsprechenden Anrechnung als wichtig ein (siehe Abbildung 5).

Abbildung 5

Darstellung der empfundenen Wichtigkeit einer Anrechnungsmöglichkeit non-formal und informell erworbener Kompetenzen

Von den 53,7 %, die eine Anrechnung informell erworbener Kompetenzen wichtig fanden, nannten 63 % explizite Gründe dafür. Diese Einzelstatements können folgenden Kategorien zugeordnet werden (vgl. Abb. 6):

Abbildung 6

Darstellung der empfundenen Wichtigkeit einer Anrechnungsmöglichkeit non-formal und informell erworbener Kompetenzen

Die mit einer möglichen Anrechnung verbundene „Wertschätzung“ sowie das „Vermeiden doppelten Lernens“ in Verbindung mit „Zeitersparnis“ waren die beiden Hauptnennungen und repräsentieren den Kerngedanken von Anerkennung und Anrechnung. Auch die Wichtigkeit einer Verbindung von Theorie und Praxis stellte einen interessanten Aspekt dar, der die spezifische Positionierung von Fachhochschulen zusätzlich betont. In vielen Einzeläußerungen kam zum Ausdruck, wie wichtig insbesondere die informell erworbenen Kompetenzen seitens der Befragten in den Gesundheitsfachberufen eingeschätzt werden.

Von den Befragten, die eine Anrechnung der informell erworbenen Kompetenzen als unwichtig einstufen (31,8 %), nennen 78 % spezifische Gründe hierfür. Die Einzelstatements können folgenden Kategorien zugeordnet werden (vgl. Abbildung 7).

Abbildung 7

Darstellung der empfundenen Unwichtigkeit einer Anrechnungsmöglichkeit non-formal und informell erworbener Kompetenzen

In der häufigsten Kategorie („Schwierigkeit der Bewertung und Vergleichbarkeit“) kommt wahrscheinlich weniger eine ablehnende Haltung zum Ausdruck; vielmehr zeigten die Einzelstatements, dass sich die Befragten eine objektive, transparente und valide Methode der Bewertung schlicht nicht vorstellen konnten. Ob sich diese Einschätzung durch ein entsprechendes objektives Verfahren ändern würde, kann aus den Daten heraus nicht beantwortet werden. Diese Aussagen bestätigen somit die Wichtigkeit, einen einfachen, transparenten und vor allem nachvollziehbaren Prozess für die Bewertung informell erworbener Kompetenzen und einer folgenden Anrechnung zu definieren. Ein entsprechender Prozess würde mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf einer anderen Ebene Wirkung entfalten, denn die mit dem Anrechnungsprozess verbundene Reflexion der eigenen Kompetenzen würde deren Selbsteinschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv beeinflussen und komplettieren. Abbildung 8 zeigt, dass sich die Befragten ihrer Kompetenzen nur teilweise bewusst sind.

Abbildung 8

Darstellung des Bewusstseins der Befragten bzgl. eigener, verschiedenartig erworbener, Kompetenzen

Von einem klaren Selbstbild der Befragten bezüglich ihrer gesamtheitlichen Kompetenz kann also nur eingeschränkt gesprochen werden.

Prototypenbildung der Kompetenzanrechnung als Projektziel

Auf Basis der oben geschilderten Ergebnisse wurde ein erster Prototyp (Prototyp I) entwickelt, der eine Vermittlung akademischer Inhalte mit einer gezielten Sichtbarmachung, Bewertung und Formalisierung insbesondere informell erworbener Kompetenzen verbindet.

Für die Parametrisierung des Prototypen I wurden folgende Prämissen als Ableitung der festgestellten Ergebnisse definiert:

Fokussierung auf einen dedizierten, abgrenzbaren Themenbereich, um eine iterative Auseinandersetzung mit den bislang wenig bekannten Themenfeldern der Anrechnung (insbesondere informell erworbener Kompetenzen) auf Seiten der Studierenden / Studieninteressierten, der Lehrenden und der Beteiligten in der Administration zu ermöglichen.

Integration der Sichtbarmachung, Bewertung und Formalisierung der genannten Kompetenzen in das Zertifikatsprogramm an sich zur Betonung einer engen Verzahnung von akademischen Inhalten und beruflicher Praxis. Damit wird ein klarer thematischer Bezug des gesamten Prozesses hergestellt, im Gegensatz zu einer Aufhängung als allgemeiner Querschnittsprozess.

Unterstützung des Bewusstwerdens bestehender Kompetenzen auf Seiten der Studierenden in gesamtheitlicher Sichtweise durch einen entsprechenden Reflexionsprozess auf akademischem Niveau in einem klar abgegrenzten thematischen Bereich.

Herstellen einer hohen Passgenauigkeit im Sinne einer Anrechnung, um möglichst wenige Kompetenzaspekte in einem dedizierten Themen- / Berufsfeld ungewürdigt zu belassen.

Formalisierung informell erworbener Kompetenzen zur Unterstützung einer „evolutionären Akademisierung“.

Aktive direkte Einbindung der Lehrenden in den Formalisierungsprozess, um so etwaig vorhandene Vorbehalte gegenüber außerhochschulisch erworbenen Kompetenzen gezielt abzubauen.

Umfassende Integration notwendiger Anrechnungsaspekte im Sinne eines niederschwelligen Prozesses in die Vermittlung neuer theoretischer Inhalte; somit keine Belastung zentraler oder dezentraler Instanzen, die ansonsten entsprechende Vorgänge begleiten und umsetzen würden.

Durch eine Untersetzung des Zertifikates mit Credit Points erfolgt entsprechende Würdigung der Gesamtkompetenz einer Person durch die beschriebene Integration informell erworbener Kompetenzen.

Würdigung des Aufwandes beteiligter Lehrender durch den Ausweis von SWS, die alle Aspekte inklusive der Reflexion und Formalisierung der Kompetenzen abdecken

Ein prototypisches Modell eines entsprechenden Zertifikatskurses beinhaltet daher folgende Elemente:

Vermittlung der akademischen Inhalte dem jeweiligen Bereich in angepasster, didaktisch geeigneter Form (konkrete Ausgestaltung themen- und bereichsabhängig)

Vergabe bestimmter themengeleiteter modulorientierter Aufgabenstellungen im jeweiligen Theoriekontext zur praktischen Umsetzung/Anwendung im Berufsfeld.

Reflexion der Bewältigung der gestellten Aufgabe auf individueller sowie Gruppenebene unter methodischer Begleitung der lehrenden Person.

Formalisierung der identifizierten informell erworbenen Kompetenzen durch standardisierten Prozess.

Belegung mit Credit Points, die sowohl die entwickelten theoretischen als auch die „formalisierten“ informell erworbenen Kompetenzen berücksichtigen. Dadurch erfolgt sowohl eine Würdigung der entwickelten Gesamtkompetenz als auch eine Würdigung des Aufwandes der lehrenden Person im Zuge des Bewertungs- und Formalisierungsprozesses.

Eine entsprechende Ausgestaltung erfolgt anhand des faktischen Modulinhaltes des jeweiligen Zertifikatsprogrammes.

Abbildung 9 stellt die Kernelemente des zertifikatsbasierten Formalisierungsprozesses informell erworbener Kompetenzen dar.

Abbildung 9

Darstellung der Kernelemente eines zertifikatsbasierten Formalisierungsprozesses informell erworbener Kompetenzen

In einer konkreten Ausgestaltung der genannten Kernelemente stellt sich der Ablauf eines solchen Zertifikatsprogrammes für die Studierenden wie folgt dar:

Das akademische Zertifikatsprogramm ist i.d.R. fokussiert auf einen bestimmten, klar abzugrenzenden, thematischen Kontext. In einer ersten Phase erfolgt die Vermittlung erster theoretischer Inhalte, Konzepte, Modelle und Theorien im besagten Themenfeld sowie eine Reflexion möglicher bestehender theoretischer und berufspraktischer Erfahrungen und Kompetenzen auf Seiten der Studierenden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer machen sich somit initial mit diesem Thema vertraut und leiten eine erste persönliche Reflexion ein.

Die hieran anschließende Phase vertieft die theoretischen Inhalte, projiziert gezielt theoretisch vermittelte Aspekte auf die allgemeine Praxis und leitet die teilnehmenden Personen dann an, die bis dahin erlernten theoretischen Inhalte gezielt auf ihre individuelle Arbeitssituation zu beziehen und zu reflektieren. Diese Reflexion geschieht in dieser Phase zwar in einem spezifischen individuellen Umfeld, aber noch in einem theoretischen Setting. Es erfolgt zusätzlich eine Reflexion der individuellen Situationen in der Gruppe. Die Studierenden haben so die Möglichkeit, sich in einem thematisch klar definierten Bereich mit ihren eigenen informell erworbenen Kompetenzen auseinanderzusetzen und so in kleinen Schritten eine realistischere Einschätzung ihrer Gesamtkompetenz zu erlangen.

Die dritte Phase läuft nach einem ähnlichen Schema wie Phase zwei ab, verlässt aber das theoretische Setting und taucht in die Berufspraxis ein. Hierzu wählen die Studierenden individuelle berufssituative Herausforderungen / Aufgaben im jeweiligen thematischen Kontext. Diese gilt es nun im Praxisfeld unter Anwendung der theoretisch erlernten Konzepte zu bewältigen. Über die verschiedenen Phasen der Bearbeitung der gestellten Aufgaben hinweg wird eine kontinuierliche Reflexion methodisch angeleitet und begleitet. Die Sichtbarmachung, Dokumentation und Bewertung der vorhandenen bzw. sich neu entwickelnden Kompetenzen erfolgt auf Basis einer entsprechenden Portfolioarbeit in einem standardisierten Raster.

Die Lehrenden sind integraler Bestandteil dieses Prozesses, lernen die Vorzüge kennen und können etwaige Vorbehalte schrittweise abbauen. Mit Abschluss des Zertifikates werden die erworbenen Gesamtkompetenzen (inklusive der informell erworbenen) der Absolventinnen und Absolventen durch ein Hochschulzertifikat und den Ausweis entsprechender Credit Points zertifiziert. Diese sind für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer identisch. Durch heterogene Eingangsvoraussetzungen kann sich der individuelle Workload aber unterscheiden. Ein Zertifikatsprogramm kann dabei aus nur einem oder aus mehreren Modulen, die dann aufeinander aufbauend durchlässig gestaltet sind, bestehen. Eine grundsätzliche Anrechnungsmöglichkeit besteht durch die Belegung mit entsprechenden Credit Points. Den Zusammenhang der einzelnen Elemente sowie den Ablauf eines zertifikatsbasierten Formalisierungsprozesses verdeutlicht Abbildung 10.

Abbildung 10

Darstellung des Ablaufes einer Formalisierung informell erworbener Kompetenzen im Zuge eines akademischen Zertifikatsprogrammes

Das Resultat – ein weiterer Baustein einer evolutionären Akademisierung

Durch die Entwicklung entsprechender hochschulischer Zertifikatsangebote, die den hier vorgestellten Mechanismus berücksichtigen, entsteht ein weiterer Baustein einer akademischen Weiterbildung, der den Trend zur Akademisierung im Sinne eines evolutionären Ansatzes bereichert, vermehrt Wissenschaft in die Praxis bringt und der Idee des Lebenslangen Lernens in besonderer Weise entspricht. Die Entwicklung, Bewertung und vor allem Würdigung der Gesamtkompetenz einer Person in einem dedizierten thematischen Umfeld stehen hier im Fokus. Durch die gesamtheitliche Formalisierung der Kompetenzen in Form eines standardisierten Prozesses wird eine Basis für eine Belegung mit entsprechenden Credit Points geschaffen. Eine Durchlässigkeit durch eine mögliche folgende Anrechnung auf weitere Studienformate ist somit generell gewährleistet.

Der Ressourcenbeschränkung zentraler Stellen, sowohl auf Seiten der Administration als auch auf Seiten der Lehrenden, wird Rechnung getragen. Die Bewertung entsprechender Gesamtkompetenzen ist dezentralisiert und im Sinne eines niederschwelligen Prozesses in das reguläre Zertifikatsprogramm integriert.

Einer unter Umständen negativen Haltung zu außerhochschulisch erworbenen Kompetenzen aufgrund möglicher Qualitätsbedenken wird durch die umfassende Integration des Lehrenden in den Reflexionsprozess auf akademischem Niveau entgegengewirkt.

Letztendlich kann dieses Modell im Sinne eines Leuchtturmprojektes in verschiedene Richtungen eine Wirkung entfalten und somit weitere Mehrwerte in der Gruppe berufserfahrener Studierender bzw. Studieninteressierter erzeugen. So gilt es, den beschriebenen Mechanismus in verschiedene Anrechnungsszenarien zu integrieren und im Sinne einer Weiterentwicklung stärker zu generalisieren, um ihn letztendlich auch prozessual als Querschnittsfunktion verankern zu können.

Diskussion und Ausblick
Prototypenlimitierung und Modellbeschränkungen

Das dargestellte Modell fußt auf den erhobenen situativen, strukturellen und prozessualen Gegebenheiten und bietet somit einige zielführende Aspekte. Trotzdem mangelt es auch diesem Ansatz an einer universellen Einsatzbarkeit. Mögliche Problemfelder können in folgenden Aspekten bestehen:

Der hier angedachte Mechanismus spiegelt insbesondere die Situation Studierender in den Gesundheitsfachberufen wider. Inwieweit eine Übertragung auf weitere Felder möglich ist, steht noch zu beantworten. Ebenfalls zu überprüfen ist die Machbarkeit einer Generalisierung der engen Verzahnung von anrechnungsbezogenen Aspekten mit den curricularen Inhalten. Ein wichtiger Kernaspekt dieses Prototypen, das Berufsfeld, schließt bestimmte Gruppen derzeit aus. Das sind zum einen Personen, die derzeit nicht in einem Beruf stehen (z.B. durch Erziehungszeiten, Arbeitslosigkeit usw.) sowie Gruppen, die eine Weiterbildung bewusst ohne das Wissen ihres Arbeitgebers belegen möchten. Eine entsprechende Übertragung der vorgestellten Logik auf diese Gruppen steht aus. Abschließend stellt das zertifikatsbasierte Modell noch keine Lösung für eine zugangsorientierte Anrechnung dar, bei der im Zuge oder nach erfolgter Zulassung eine Anrechnung auf Zielmodule erfolgt, die dann nicht mehr besucht werden müssen.

Nächste Schritte

Die genannten Beschränkungen werden in den nächsten Schritten gezielt adressiert. Die Stadien der einzelnen Prototypen dienen dazu, einen breiten offenen Diskurs führen zu können. In den nächsten Schritten ist eine Ausweitung der Erhebung auf Studierende bzw. Alumni gesundheitsbezogener Studiengänge weiterer Hochschulen sowie zusätzliche Expertengespräche im Sinne einer weiteren Fundierung der bisherigen Erkenntnisse geplant. Daran anschließend erfolgt eine Erhebung unter den Lehrenden relevanter Fakultäten der beteiligten Hochschulen in Form einer anonymisierten Onlinebefragung. Ziel ist es, den Prozess der Anrechnung, die Beteiligung der Lehrenden, deren Wissensstand bezüglich Anrechnung sowie deren generelle Haltung im beschriebenen Kontext weiter zu durchdringen.

Der über die Stufen entwickelte finale Mechanismus findet in einem ersten Schritt Anwendung in zwei dedizierten Zertifikatsprogrammen im thematischen Umfeld des Patientensicherheitsmanagements sowie der Gesundheitsinformatik mit einer folgenden Evaluation. Ein erklärter Wunsch im Kontext des Forschungsverbundes ist es, perspektivisch alle akademischen Zertifikate der einzelnen Hochschulen umfänglich gegenseitig anzuerkennen, um eine maximale Durchlässigkeit für Studierende bzw. Studieninteressierte zu gewährleisten. Dieses wäre ein weiterer Baustein der gemeinsamen Idee der fünf beteiligten Hochschulen: Gesundheitsberufe stärken – Gesundheitsversorgung neu gestalten!

eISSN:
2296-990X
Idiomas:
Inglés, Alemán
Calendario de la edición:
Volume Open
Temas de la revista:
Medicine, Clinical Medicine, other