Seehäfen sind regelmäßig in oder in der Nähe von Städten verortet und gleichzeitig über den Handel und das Transportgeschäft überregional vernetzt. Seehafenstädte lassen sich daher als frühe Mikrokosmen der Globalisierung interpretieren, in denen sich – im Sinne einer Kontaktzone
Grdl. zum Konzept Mary Louise Pratt: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation, London 1992, S. 6f.; zur Anwendung auf den maritimen Bereich: Bernhard Klein / Gesa Mackenthun (Hg.): Das Meer als Kontaktzone, Konstanz 2003. Siehe die
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Aufeinandertreffen von Fremdem und Vertrautem im Hafen auch eine Entsprechung im Entscheidungsprogamm der dort die Seefahrt überwachenden Verwaltung findet. Dabei gilt es, verschiedene Rechtsfragen zu unterscheiden: Auf einer vorgelagerten Ebene ist zu klären, ob die Verwaltung im Seehafen Schiffe, die unter einer ausländischen Flagge fahren (fremdflaggige Schiffe), überhaupt überprüfen kann. Erst wenn dies der Fall ist, schließen sich Überlegungen zum normativen Maßstab an. Umfasst dieser das lokale Recht, ausländisches Recht, internationales Recht oder gar eine Mischung aus mehreren oder aus all diesen Normenkomplexen?
Der Beitrag möchte aufzeigen, wie mit der Etablierung der sogenannten Hafenstaatkontrolle, international
Zur Orientierung sei vorweggenommen, dass die administrative Multinormativität im Seehafen eine internationale ist. Damit ist gemeint, dass sie sich auf Konstellationen bezieht, die durch ein Zusammenspiel staatlicher und überstaatlicher Normen charakterisiert sind. Im Kern tritt diese Form der Multinormativität in Gestalt einer Pluralität von Recht in Erscheinung; gleichwohl lässt sie sich nicht auf Rechtsnormen im engeren Sinne beschränken. Denn mit dem für das überstaatliche Recht typischen sogenannten Die überkommene Definition ist eine rein negative. Danach fallen unter (internationales) Christian Tomuschat: Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 36 81976), S. 444, 476; Daniel Thürer: ›Soft Law‹ – eine neue Form von Völkerrecht?, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht 104 I (1985), S. 429, 433f.; Knauff: Der Regelungsverbund, S. 220–226.
Die Hafenstaatkontrolle und die damit einhergehende administrative Multinormativität im Seehafen gelten als ein modernes Phänomen. Das heißt aber nicht, dass Kontrollen fremdflaggiger Schiffe zuvor nicht existent waren; sie haben sich vielmehr in Etappen herausgebildet. Schon um einem allzu schematischen Narrativ entgegenzuwirken, sollen im Folgenden zunächst die Anfänge der Hafenstaatkontrolle skizziert werden. Ein Blick auf ihre seevölkerrechtlichen Grundlagen bedarf es zweitens, um die Brisanz der Multinormativität im Seehafen zu erfassen. Denn es ist zu sehen, dass die Hafenstaatkontrolle nach überkommenem Verständnis nicht vorgesehen ist, da der Flaggenstaat das Primat bei der Regulierung seiner Schiffe hat. Damit gehen, auch wenn die Hafenstaatkontrolle mittlerweile anerkannt ist, schwierige Folgefragen einher. In Bezug auf die administrative Multinormativität ist es die Frage nach den adäquaten Instrumenten der Verwaltung für den Umgang mit ihr, die erst in den letzten Jahren, beflügelt auch durch die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, angegangen werden kann. Das Seerecht kann somit illustrieren, dass Multinormativität, so faszinierend sie zunächst auch erscheint, gleichzeitig eine Herausforderung für den effektiven Verwaltungsvollzug darstellt. Um diese Atypik der Multinormativität im Seehafen in ihrer Gänze zu erfassen, wird in der folgenden Darstellung als Kontrastfolie der völkerrechtliche Normalfall herangezogen.
Die Hoheitsgewalt eines Staates über Schiffe, denen er als sogenannter Flaggenstaat das Recht einräumt, seine Flagge zu führen, wird als Flaggenhoheit bezeichnet.
Marco Núñez-Müller: Die Staatszugehörigkeit von Handelsschiffen im Völkerrecht, Berlin 1994, S. 87; Rüdiger Wolfrum: Hohe See und Tiefseeboden (Gebiet), in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hg.): Handbuch des Seerechts, München 2006, S. 287–346, hier: Rn. 30; dort auch zur streitigen dogmatischen Einordnung (Teil der Gebietshoheit, der Personalhoheit oder dritte Kategorie). Doris König: Flag of Ships, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law (MPEPIL), Volume IV, hg. von Rüdiger Wolfrum, Oxford 2009, Rn. 18. König: Flag of Ships, Rn. 2; Douglas Guilfoyle: Art. 92, in: Alexander Proelß (Hg.): United Nations Convention on the Law of the Sea, München 2017, Rn. 4; Robin Churchill / Alan Vaughan Lowe: The Law of the Sea, Manchester 1999, S. 204f. John N.K. Mansell: Flag State Responsibility, Berlin 2009, S. 13f. Marie Jacobsen: Flag State Perspectives, in: Myron Nordquist / John Norton Moore / Said Mahmoudi (Hg.): The Stockholm Declaration and Law of the Marine Environment, The Hague 2003, S. 299–310, hier: 299f.
Die Flagge eines Schiffes ist demnach ein Mechanismus zur Verteilung von Jurisdiktionen, indem sie bestimmt, welches staatliche Recht an Bord eines Schiffes gilt und welcher Staat gegen diese Zwangsmaßnahmen auf Hoher See ergreifen darf. Es handelt sich um ein auf dem Prinzip der Meeresfreiheit beruhendes Ausschlussrecht, denn anderen Staaten stehen Einmischungsrechte grundsätzlich nicht zu.
Wolfrum: Hohe See und Tiefseeboden, Rn. 37. Die Schranken der Flaggenstaathoheit auf Hoher See sind dementsprechend eng gesteckt. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Gruppen von Eingriffsrechten fremder Staaten: solche wegen Verstößen gegen völkerrechtliche Normen (aus abgeleitetem Recht: Interesse der Staatengemeinschaft) und solche wegen Verstößen gegen nationale Normen (aus eigenem Recht: nationale Belange), dazu Wolfrum: Hohe See und Tiefseeboden, Rn. 44f. Günter Hoog: Deutsche Flaggenhoheit, Hamburg 1979, S. 15.
Von der Ausübung der Hoheitsgewalt auf Hoher See, die den Kerngehalt des Flaggenstaatprinzips bildet, ist allerdings die Inanspruchnahme von Hoheitsrechten in Bezug auf fremdflaggige Schiffe in anderen Meereszonen sowie zu Lande zu unterscheiden.
Von einer solchen Unterscheidung ging auch der StIGH im Lotus-Fall aus, dazu StIGH, PCIJ Series A 10 (1927), 4. Er kam zum Ergebnis, dass aus dem Flaggenstaatprinzip nicht notwendigerweise ein Verbot der Ausübung von Jurisdiktionen anderer Staaten in Bezug auf Vorgänge, die sich an Bord des fremden Schiffs auf Hoher See ereignet haben, folgt. Im Fall ging es um eine Kollision auf Hoher See zwischen einem französischen Schiff (S.S. Lotus) und einem türkischen Schiff. Als die S.S. Lotus im Hafen von Konstantinopel festmachte, wurde der wachhabende Offizier von türkischen Behörden verhaftet und von einem türkischen Strafgericht verurteilt.
Laufen Schiffe ausländische Häfen an, unterliegen sie seit jeher grundsätzlich den lokalen Gesetzen.
M. w. N. Bevan Marten: Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping, Heidelberg 2014, S. 37. Dierk Lindemann: Das Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen, Baden-Baden 1983, S. 152. Zur zwischen der französischen und angelsächsischen Lehre streitigen Frage der rechtsdogmatischen Konstruktion dieser Einschränkung (ausschließliche Jurisdiktion des Flaggenstaates oder konkurrierende Jurisdiktionen) siehe Dieter Dörr: Die deutsche Handelsflotte und das Grundgesetz, München 1999, S. 139f. Nicht zu verwechseln ist dies mit der Immunität fremder Kriegs- und Staatsschiffe, bei der ein fremder Staat über solche Schiffe grundsätzlich keine Hoheitsgewalt ausüben kann. Für die erste Option Rainer Lagoni: Der Hamburger Hafen, die internationale Handelsschiffahrt und das Völkerrecht, in: Archiv des Völkerrechts 26 (1988), S. 261–365, hier: S. 261, 337f. Ferdinand Perels: Das internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart, Berlin 1903, S. 64. Ausführlich Lindemann: Das Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen, S. 157f.; zum Gesundheitsrecht Karl Neumeyer: Internationales Verwaltungsrecht, Bd. 1, München 1910, S. 71f.
Eine Kontrolle fremder Schiffe wurde zu Zeiten und an Orten sich verdichtender weltweiter Verbindungen im Sinne einer frühen Globalisierung
Zu diesem Verständnis von Globalisierung als Prozess Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung, München 2003, insb. S. 9f. Luise Müller: Formen der Abgrenzung und ihre Funktion: Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel, in: Desanka Schwara (Hg.): Kaufleute, Seefahrer und Piraten, München 2011, S. 261, 303f.; Thomas Freller: Der Kampf gegen den »Schwarzen Tod«. Quarantäne und Epidemiebekämpfung der frühen Neuzeit im Mittelmeer aufgezeigt am Beispiel Maltas, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 17 (1994), S. 122–128.
Das Mittelmeer ist seit Jahrhunderten durch ein dichtes Netz von Handelsrouten geprägt, das einen überörtlichen Austausch wirtschaftlicher, technologischer und kultureller Art ermöglicht. Diese Verflechtung und insbesondere das Aneinanderrücken von Ost und West in Verbindung mit einer damals sehr dichten Bevölkerung in der mediterranen Region barg aber auch ein erhöhtes Risiko für Infektionskrankheiten.
Zur besonderen Anfälligkeit von Hafenstädten Jörg Vögele / Hideharu Umehara: Introduction, in: Jörg Vögele / Hideharu Umehara (Hg.): Gateways of Disease. Public Health in European and Asian Port Cities at the Birth of the Modern World in the late 19th and the early 20th century, Göttingen 2015, S. 11–24, hier: S. 11f. Lutz Ehlkes / Jürgen May: Seuchen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65 (2015), S. 3–10, hier: S. 3, 6; Klaus Bergdoldt: Pest, Stadt, Wissenschaft – Wechselwirkungen in oberitalienischen Städten vom 14. bis 17. Jahrhundert, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 15 (1992), S. 201–211. Freller: Der Kampf gegen den »Schwarzen Tod«, S. 123. John Joyce Keevil: Medicine and the Navy, Volume I, 1200–1649, Edinburgh 1957, S. 85; dort auch zum Unverständnis englischer Seeleute, die eine solche rigorose Praxis nicht kannten. Müller: Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel, S. 296. Müller: Maritime Quarantäne auf der Iberischen Halbinsel, S. 320f. Freller: Der Kampf gegen den »Schwarzen Tod«, S. 127.
Schiffsverluste infolge von Überladung – und des dadurch bedingten Tiefgangs des Schiffs – bilden ein altbekanntes Problem, das vielen Seeleuten das Leben kostete.
Zum Spannungsverhältnis Ernst Dehning: Zur Freibordfrage der Tanker, in: Weltwirtschaftliches Archiv 20 (1924), S. 461–467, hier: 461f. Kai Umbach: Grenzüberschreitende Geschäfte in der See- und Transportversicherung von Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre, Marburg 2008, S. 105.
Der Bereich der Beladung unterlag daher schon früh einer administrativen Überwachung. So wurden Ladungsregeln im 15. Jahrhundert durch die Hanse eingeführt und ihre Beachtung durch die Stadtverwaltungen und im Ausland durch die Außenstellen der Hanse ( Theodor Lindner: Die deutsche Hanse, Leipzig 1911, S. 111f. Charles E. Fayle: A Short History of the World's Shipping Industry, London 1933, S. 99f. Für Genua Phillipe Boisson: Safety at Sea. Policies, regulations & international law, Paris 1999, S. 47f.; für Venedig Fayle: A Short History of the World's Shipping Industry, S. 77f.
Die technologischen Neuerungen und der Aufschwung des Seehandels im 19. Jahrhundert
Zu den Änderungen Yrjö Kaukiainen: Growth, Diversification and Globalization. Main Trends in International Shipping since 1850, in: Lewis R. Fischer / Even Lange (Hg.): International Merchant Shipping in the Nineteenth and Twentieth Centuries. The Comparative Dimension, Oxford 2008, S. 1–56, hier: S. 1f. Marten: Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping, S. 40; Boisson: Safety at Sea, S. 52f. Francisco Piniella: Who will give effect to the ILO’s Maritime Labour Convention, 2006?, in: International Labour Review 152 (2013), S. 59–83, hier: S. 59f. Ronald Hope: A New History of British Shipping, London 1990, S. 321f. Nach dem ursprünglichen Merchant Shipping Act 1876, 39 & 40 Vic, c 80, s 13: »Where a foreign ship has taken on board all or any part of her cargo at a port in the United Kingdom, and is whilst at that port unsafe by reason of overloading or improper loading, the provisions of This Act with respect to the detention of ships shall apply to that foreign ship as if she where a British ship, with the following modifications: (1.) a copy of the order for the provisional detention of the ship shall be forthwith served on the consular officer for the State to which the ship belongs at or nearest to the place where the ship is detained (2.) Where the ship has provisionally detained, the consular officer, on the request of the owner or master of the ship, may require that the person appointed by the Board of Trade to survey the ship shall be accompanied by such a person as the consular officer may select, an in such case if the surveyor and such person agree, the Board of Trade shall cause the ship be detained or released accordingly, but if they differ, the Board of Trade may act if the requisition had not been made, and the owner and master shall have the appeal to the Court of Survey touching the report of the surveyor which is before provided by this Act (3.)«. Zwei Eingaben des Vorsteher-Amtes der Kaufmannschaft zu Danzig an den Fürsten Reichskanzler und das Reichskanzler-Amt: Die Britische Merchant Shipping Act, 1876, und ihre Einwirkung auf die Deutschen Handels- und Schiffahrts-Verhältnisse, Danzig October 1876. Entsprechende Kritik gab es auch in anderen Staaten, etwa in den USA, dazu Michael Akehurst: Jurisdiction in International Law, in: British Yearbook of International Law 46 (1972–1973), S. 163, 205 (Fn. 9). Fayle: A Short History of the World's Shipping Industry, S. 285f.; eingehend zu den transnationalen Bezügen des Max Schauseil: Zur Geschichte der See-Berufsgenossenschaft, Hamburg 1925, S. 315. Schauseil: Zur Geschichte der See-Berufsgenossenschaft, S. 315f.; ferner Melanie Sulzer: Soziale Sicherungssysteme in der Seeschifffahrt, Bremen 2012, S. 79.
Eingriffsbefugnisse gegenüber fremden Schiffen in Form von Schiffskontrollen im Seehafen waren somit bis ins 19. Jahrhundert hinein die Ausnahme. Sie dienten der Durchsetzung lokaler bzw. nationaler Belange, die sich oftmals mit wirtschaftlichen Interessen überlagerten und vermengten.
Marten: Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping, S. 39; Hope: A New History of British Shipping, S. 256.
Fragen der administrativen Multinormativität im Sinne eines Geflechts unterschiedlicher Normen wurden daher – soweit ersichtlich – nur am Rande behandelt. Wenn sich potentielle Konflikte zwischen dem lokalen und dem fremden Recht andeuteten, wurden Strategien der Adaption bemüht, etwa wenn im Fall des
Es gilt als der historische Normalfall, dass Schiffe die Flagge des Staates führen, dem auch der Schiffseigentümer angehört. Umgekehrt verhält es sich bei den sogenannten Billig- beziehungsweise Gefälligkeitsflaggen ( Report of the UNCTAD Secretariat: Review of Maritime Transport 1972–73, UN Doc. TD/B/C.4/117, paras. 39–42. UNCTAD benutzt die Begriffe Offenes Register und Flags of Convenience inzwischen synonym, Report of the UNCTAD Secretariat: Economic Consequences of the Existence of Lack of a Genuine Link between Vessel and Flag of Registry, UN Doc. TD/B/C.4/168 v. 10.3.1977, 22 para. 77.
Zwar ist das Ausflaggen, sprich die Abmeldung eines Schiffs aus einem nationalen Schiffsregister und die Eintragung in ein anderes, kein neues Phänomen in der Seefahrt, sondern Flaggenwechsel hat es schon früher aus verschiedenen Gründen gegeben.
Zur Geschichte des Ausflaggens Núñez-Müller: Die Staatszugehörigkeit von Handelsschiffen im Völkerrecht, S. 33f. Ulrich Drobnig: Billige Flaggen im Internationalen Privatrecht, in: Ulrich Drobnig / Jürgen Basedow / Rüdiger Wolfrum (Hg.): Recht der Flagge und »billige Flaggen«. Neuere Entwicklungen im internationalen Privatrecht und Völkerrecht, Heidelberg 1990, S. 31–73, hier: S. 32. Wolfrum: Billige Flaggen im Internationalen Privatrecht, S. 121, 133. Das BVerfG sah in der mit dem deutschen Zweitregister einhergehenden Herabsenkung des Grundrechtsschutzniveaus gleichwohl grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, BVerfG, in: Neue Zeitschrift für das Arbeitsrecht 1995, S. 272, 275f.
Diese tatsächlichen Veränderungen hin zu einem
Die 1948 noch als IMCO gegründete Internationale Seeschifffahrts-Organisation ( Doris König: Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf Hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, Berlin 1989, S. 172f. Zu den Defiziten dieses Verfahrens David W. Abecassis: Prevention, Control and Clean-up, in: David W. Abecassis / Richard L. Jarashow (Hg.): Oil pollution from ships. International, United Kingdom and United States law and practice, London 1985, S. 22, 54. Etwa Art. 5 und 6 MARPOL; Kap. 1, Regeln 6, 11, 19 SOLAS; ausführlich Marten: Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping, S. 45.
Eine umfassende Normierung und Reformierung des Seevölkerrechts, die an die beschriebene Rechtspraxis anknüpfte, erfolgte schließlich durch das Rahmenübereinkommen Núñez-Müller: Die Staatszugehörigkeit von Handelsschiffen im Völkerrecht, S. 267. Núñez-Müller: Die Staatszugehörigkeit von Handelsschiffen im Völkerrecht, S. 284. Guilfoyle: Art. 94 Rn. 13.
Bemerkenswert an den genannten seevölkerrechtlichen Regelungen ist, dass den Hafenstaaten Kompetenzen zugebilligt werden, die nicht – im Sinne der Abgrenzungslehre – von einer Gefährdung und Verletzung eigener Interessen abhängen, sondern die an einen Verstoß gegen internationale Standards knüpfen.
Nikolaos Skourtos: Billig-Flaggen-Praxis und staatliche Verleihungsfreiheit, Köln 1990, S. 239. König: Durchsetzung internationaler Bestands- und Umweltschutzvorschriften auf Hoher See im Interesse der Staatengemeinschaft, S. 251.
Schließlich wurden auch im Bereich des Seearbeitsund Seesozialrechts völkerrechtlich entsprechende Befugnisse der Hafenstaaten zur Kontrolle fremdflaggiger Schiffe anerkannt und somit in einem Sachbereich, der nach der traditionellen Abgrenzungslehre eine rein interne Angelegenheit darstellt, die einem Zugriff im Hafen prinzipiell versperrt ist.
Lindemann: Das Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen, S. 194. Moira L. McConnell / Dominick Devlin / Cleopatra Doumbia-Henry: The Maritime Labor Convention 2006, Leiden 2011, S. 547. Moira L. McConnell / Dominick Devlin / Cleopatra Doumbia-Henry: The Maritime Labor Convention 2006, S. 558.
Parallel zum völkervertraglichen Ausbau der Kontrollbefugnisse der Hafenstaaten im 20. Jahrhundert erfolgte auf einer informellen Ebene deren institutionelle Absicherung durch die sogenannten
Als Konsequenz der Havarie der Siehe online unter:
Die Hafenstaatkontrolle bezeichnet demnach die Kontrolle von Schiffen, die nicht unter der Flagge des jeweiligen Hafenstaates fahren (vgl. § 14 Schiffssicherheitsgesetz, SchSG), in Seehäfen durch Behörden dieses Hafenstaates.
Doris König: Port State Control. An Assessment of European Practice, in: peter N. Ehlers / Elisabeth Mann Borgese / Rüdiger Wolfrum u. a. (Hg.): Marine issues. From a scientific, political and legal perspective, The Hague 2002, S. 37–54, hier: S. 37f.; George Kasoulides: Port State Control and Jurisdiction, Dordrecht 1993; Erik J. Molenaar: Port and Coastal States, in: Donald Rothwell / Alex G. Oude Elferink / Karen N. Scott u.a. (Hg.): Oxford Handbook of the Law of the Sea, Oxford 2015, S. 280–303, hier: S. 280, 291f. Siehe online unter:
Charakteristisch für die sich nach dem 2. Weltkrieg etablierte Hafenstaatkontrolle ist ihre Internationalisierung. Institutionell spiegelt sich diese in der Herausbildung regionaler Behördennetzwerke und materiell-rechtlich im völkerrechtlich determinierten Maßstab der Hafenstaatkontrolle wider.
Siehe, auch zum Unterschied zu
Da die so umrissene Hafenstaatkontrolle auf die Durchsetzung internationaler Standards zielt, ist es auf den ersten Blick zweifelhaft, ob sich an ihrem Beispiel administrative Multinormativität untersuchen lässt. Das Seevölkerrecht ist darauf bedacht, im Interesse der Seefahrt für weltweit einheitliche Standards zu sorgen. Das kommt im SRÜ zum Ausdruck, wenn es in Hinblick auf den Meeresumweltschutz die Flaggenstaaten an die ›allgemein anerkannten internationalen Regeln und Normen‹ bindet (etwa Art. 211 II 2), den Hafenstaaten die Möglichkeit einräumt, die ›anwendbaren internationalen Regeln und Normen‹ gegenüber fremdflaggigen Schiffen durchzusetzen (Art. 218 I) und den Küstenstaaten verbietet, in Bezug auf den Entwurf, den Bau, die Bemannung oder die Ausrüstung von fremden Schiffen Vorschriften zu erlassen, die von den ›anwendbaren internationalen Regeln und Normen‹ abweichen (Art. 21 II).
Die Hafenstaatkontrolle scheint daher keine Form der Vervielfältigung der Normen, sondern allein eine Vervielfältigung der Verwaltungsakteure zu sein, indem nicht nur die Flaggenstaatverwaltung, sondern auch die Behörden von Hafenstaaten in die Seeverwaltungstätigkeit eingebunden werden. Die Internationalisierung der Standardsetzung im maritimen Bereich ist aber keinesfalls eine Absage an Multinormativität im Sinne einer Bindung der Staaten an zwingendes internationales Einheitsrecht, das keine inhaltlichen Abweichungen zulässt. Zum einen bilden die internationalen Standards für die Flaggenstaaten nur Mindestnormen
Zum Verweis auf die sog. GAIRAS Christian Tomuschat: Obligations arising for states without or against their will, Recueil Des Cours 1993-IV, S. 299, 349. Bevan Marten: Port State Jurisdiction, International Conventions, and Extraterritoriality. An Expansive Interpretation, in: Henrik Ringbom (Hg.): Jurisdiction over Ships. Post-UNCLOS Developments in the Law of the Sea, Leiden 2015, S. 103–139, hier: S. 105, 110–113, der daher resümiert, dass die eigentlichen Grenzen der Hafenstaaten ökonomische und politische sind: Ebd., S. 136.
Dass die Hafenstaatkontrolle mit dem Problem administrativer Multinormativität konfrontiert ist, zeigen die Verhandlungen zum ILO-Übereinkommen Nr. 147 aus dem Jahr 1976, das im Bereich des Seearbeitsund Seesozialrechts erstmals die Hafenstaatkontrolle anerkannte. Art. 4 und Art. 2 dieses Übereinkommens knüpfen das Zugriffsrecht im Hafen an zwei Formen der Nichterfüllung der Normen des Übereinkommens, nämlich erstens an das ungünstige Abweichen vom innerstaatlichen Recht des Flaggenstaates, das den im Übereinkommen verankerten Basisrechtsnormen im Wesentlichen gleichwertig ( Diese wesentliche Gleichwertigkeit wird im Übereinkommen Nr. 147 nicht definiert, jedoch nunmehr in der MLC 2006. Zum Ganzen mit Beispielen Lindemann: Das Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Oktober 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen, S. 101f. Lindemann: Das Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. 10. 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen, S. 95, 105. Lindemann: Das Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. 10. 1976 über Mindestnormen auf Handelsschiffen, S. 105. Art. IV (5) S. 2 MLC 2006: »durch Gesamtarbeitsverträge oder durch andere Maßnahmen oder in der Praxis«.
Dieses Problem gibt es aber nicht nur im Seearbeitsund Seesozialrecht. Auch IMO-Konventionen räumen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, Äquivalente (»Equivalents«) zu den völkerrechtlichen Vorgaben vorzusehen.
Etwa SOLAS, Kap. I Teil A Regel 5 (a), MARPOL Annex I Regel 3 (1); STCW Art. IX (1).
Nationale Alleingänge werden auch dadurch ermöglicht, dass die seevölkerrechtlichen Verträge den Vertragsstaaten unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungsmöglichkeiten einräumen. In den IMO-Konventionen erfolgt dies rechtstechnisch über Ausnahmen (»Exemptions«)
Etwa SOLAS, Kap. I Teil A Regel 4. Etwa SOLAS, Kap. II-1, Teil A-1, Regel 3–6, 2.3 und Regel 5, 5.3. Beispiele ILO: Handbook of Procedures Relating to International Labour Conventions and Recommendations, Genf 2012, S. 6. Im Einzelnen ILO: FAQ about the MLC 2006, Genf 2016, A16; Moira L. McConnell / Dominick Devlin / Cleopatra Doumbia-Henry: The Maritime Labor Convention 2006, S. 82f.
Den Hintergrund für all diese Rechtstechniken bilden auch die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der Staaten;
Lawrence Brachue: IMO, the Audit Scheme, and its Role in Global Ocean Governance, in: David Attard / Rosalie P. Balkin / Donald W. Greig (Hg.): The IMLI Treatise on Global Ocean Governance, Volume III, Oxford 2018, S. 250–265, hier: S. 250, 252. ILO: FAQ about the MLC 2006, A16; Moira L. McConnell: The Maritime Labour Convention, 2006. Reflections on challenges for flag state implementation, in: WMU Journal of Maritime Affairs 127 (2011), S. 127–141, hier: S. 127, 135.
Eine Ausdifferenzierung des Maßstabs lässt sich aber nicht nur im vertikalen Verhältnis von internationalem und nationalem Recht beobachten. Der technische Charakter der maritimen Materie und die Internationalität der Seefahrt führen weiter dazu, dass es auf internationaler und regionaler Ebene eine Vielzahl rechtsverbindlicher Vorschriften sowie Vorschriften in der Form von Anne Peters: Völkerrecht, Allgemeiner Teil, Zürich 2016, S. 93. Zur IMO-Publikationsliste siehe online unter: IMO Resolution A.1119(30), 6. 12. 2017.
Bei diesem Aspekt von Multinormativität geht es somit nicht um einen möglichen Konflikt zwischen den Rechtsebenen, sondern die schiere Normenfülle und die Unübersichtlichkeit der Rechtslage stellen gerade in einer Situation wie der Hafenstaatkontrolle, bei der rasch entschieden werden muss, eine Herausforderung für den einzelnen Inspektor dar.
Christer Gulbrandsen: The EU and the implementation of International law. The case of ›sea-level bureaucrats‹, in: Journal of European Public Policy 18 (2011), S. 1034–1051, hier: S. 1034, 1044.
Im Völkerrecht wird dieser Fall der normativen Ausdifferenzierung unter dem Begriff der ›Fragmentierung‹ diskutiert
Study Group of the International Law Commission, finalized by Martin Koskeniemi: Fragmentation of International Law, UN-Doc. A/CN.4/L.682 v. 13. 6. 2020. Study Group of the International Law Commission, finalized by Martin Koskeniemi: Fragmentation of International Law, Rn. 8.
Im maritimen Bereich stellt die administrative Multinormativität eine Reaktion auf eine administrative Ausdifferenzierung dar, da die Hafenstaatkontrolle bedeutet, dass die Dominanz der Flaggenstaaten für die Verwaltung der Seefahrt durchbrochen und durch die Kontrolle seitens der Hafenstaaten komplementiert wird.
Das Normengeflecht, das das Entscheidungsprogramm der Hafenstaatkontrolle begründet, zeichnet sich durch eine Öffnung des Maßstabs nach außen aus, indem das Recht anderer Staaten sowie internationales Recht einbezogen werden. Nicht-staatliche Normen spielen auch eine Rolle, etwa in Form von Standards der Sozialpartner. Im Kern geht es aber um ein Zusammenspiel staatlicher und überstaatlicher Normen. Weiter ist der Einbezug von
Administrative Multinormativität bedeutet für die Hafenstaatkontrolle weitaus mehr als den Umgang mit Normenkollisionen; auf einer vorgelagerten Ebene bereitet bereits die Erfassung des Entscheidungsmaßstabs Schwierigkeiten. Solche vorgelagerten Fragen der Maßstabsfindung betreffen den Zugang der Verwaltung zu und das Verständnis von fremden Rechtsquellen sowie die Auffindbarkeit von Recht.
Administrative Multinormativität im Seehafen zeigt vor diesem Hintergrund weiter, dass der Umgang mit mehrdimensionalen Rechtsmaßstäben eine Herausforderung bildet. Von außen mag sie ein spannendes Phänomen sein, aus Sicht der Verwaltung stellt sie hingegen ein potenzielles Hemmnis für den Normvollzug dar.