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Blicke in eine europäische Kulturgeschichte der öffentlichen Schwimm- und Freibäder als Teil der Krankheitsvorsorge. Interview mit Dr. Matthias Oloew (29.11.2021)

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SYMPOSIUM CULTURE@KULTUR
Vom Umgang mit Krankheit im öffentlichen Raum. Ein internationaler Blick. De la gestion de la maladie dans l’espace public.Un regard international

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Herr Oloew, schön, dass Sie da sind. Wir würden gern mit der Frage beginnen, welches heute hier in Berlin Ihre Funktion ist. Wir kennen Sie als Autor einer Kulturgeschichte der öffentlichen Schwimmbäder und insofern gleich anschließend die Frage: Wie lässt sich denn beides miteinander verbinden?

– Ich bin Leiter der Unternehmenskommunikation der Berliner Bäder-Betriebe, einem Unternehmen des Landes Berlin. Dort bin ich seit 2009 tätig und bin verantwortlich für alle Bereiche der Kommunikation, von der Presse und Öffentlichkeitsarbeit bis zur politischen Kommunikation, oder Lobbyarbeit, wenn man so will. Das alles gehört dazu.

Ja. Und Sie sind Autor einer Kulturgeschichte.

– Mit dem Beginn meiner Tätigkeit bei den Berliner Bädern begann ich, mich für die Infrastrukturgeschichte des Schwimmbades zu interessieren. Ich stellte fest, dass man anhand der Architektur oder der Infrastruktur der Bäder – es geht nicht nur um Hallenbäder, sondern auch um Freibäder –, sehr gut kultur-, wie mentalitäts- und gesellschaftsgeschichtliche Aspekte nachzeichnen kann. Und deswegen kam die Idee auf, mit meiner Professorin Kerstin Wittmann-Englert von der TU Berlin, eine Doktorarbeit über die Kultur- und Architekturgeschichte des öffentlichen Schwimmbads der letzten 200 Jahre zu verfassen.

Man hatte den Eindruck, dass die Funktionen der Schwimmbäder sich in der Geschichte geändert haben. Ist das richtig?

– Teils, teils würde ich sagen. Einerseits geht es bei der Entstehung der öffentlichen Bäder im 19. Jahrhundert vornehmlich darum, dass die Menschen ihren hygienischen Bedürfnissen nachkommen konnten, also dass sie sauber wurden.

Allerdings gab es auch damals schon den Aspekt der – wie wir es heute nennen – Freizeit. Also die Frage: Was ist nötig, damit die Menschen in angenehmer Art und Weise nicht nur baden, sondern gleichzeitig auch als soziale Wesen agieren können? Die Baumeister fragten sich: Wie motivieren wir die Menschen, diese öffentlichen Bäder zu besuchen? Ist ein dezentrales Netz mit möglichst einfachen Anstalten aber dafür kurzen Wegen ratsam? Oder ist es besser, ein zentrales Netz, vielleicht auch nur eine Einrichtung pro Stadt zu bauen, die größer und opulenter ist und deswegen mehr Anzie-hungskraft auf die Menschen ausübt?

Es sind exakt die gleichen Gedanken, die man bis heute für diese Bauaufgabe hat: Ist es wichtig, möglichst viele Menschen zu erreichen, indem die Wege bis zum nächsten Schwimmbad kurz sind? Oder ist es besser, die Leute zu motivieren und davon auszugehen, dass sie aufgrund der hohen Attraktivität des Angebots bereit sind, längere Wege in Kauf zu nehmen, etwa, weil ihnen etwas geboten wird im Sinne von möglichst vielen schönen und unterschiedlichen Becken und einer ansprechenden Architektur?

Die Reihenfolge historischer Funktionen: erst Hygiene, dann Sport, dann Freizeit ist eigentlich gar nicht so richtig?

– In dieser Ausschließlichkeit ist sie nicht richtig. Bisherige Darstellungen der Architekturgeschichte fokussierten sich darauf, dass die Entwicklung genau so war: erst die Hygiene, dann der Sport, dann die Freizeit. Ich stellte jedoch fest: Gedanken der Freizeitgestaltung spielten schon von Anfang an eine zentrale Rolle, auch wenn man sie damals nicht so nannte. Es ging schon damals darum sich zu fragen: Welche Architektur, welches Ambiente und welches Angebot ist nötig, um alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen anzusprechen.

Das ist sehr interessant. Schwimmbäder sind natürlich auch teuer. Der wirtschaftliche Aspekt wird ja immer eine Rolle gespielt haben. Können Sie dazu eventuell etwas sagen? Gerade bei öffentlichen Bädern ist das auch eine Entscheidung. Gibt es da im Laufe der Geschichte bestimmte Prioritäten oder Typen vielleicht von Bädern, die man eher nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten unterscheiden könnte?

– Der wirtschaftliche Aspekt spielte immer eine zentrale Rolle. Es war stets klar: Die öffentlichen Bäder waren nur dann wirtschaftlich zu betreiben, wenn es Menschen gab, die für bestimmte Bäderarten oder Anwendungen bereit waren, mehr zu bezahlen.

Auch deshalb war es nötig, dass die öffentlichen Bäder keine alleinige Versorgung der materiell schlechter gestellten Bevölkerungsteile darstellten, sondern für alle gleichermaßen da sein sollten. Denn das Schwimmbad, also das gemein-same Baden in einem großen Becken, wurde immer gesehen als das volkstümliche Bad, dessen Nutzung über alle Klassenschranken hinweg gleichberechtigt allen Menschen unabhängig vom Einkommen möglich sein sollte. Tatsächlich war es jedoch das, materiell betrachtet, teuerste Bad, denn es verbrauchte viel Wasser und Kohlen für die Beheizung, sollte aber – politisch gewollt – für die Menschen immer das günstigste sein.

Die Kosten dafür wurden erwirtschaftet durch Reinigungsbäder mit Extra-Anwendungen, oft gab es auch Salonbäder mit opulenter Ausstattung, aber auch die Schwitzbäder und vor allem die medizinischen Bäder trugen einen großen Teil zur Finanzierung der öffentlichen Badeanstalten bei.

Die Herausforderungen stiegen, je größer die Schwimmbecken in den Stadtbädern wurden. Je mehr also der Fokus gelegt wurde auf die sportliche Nutzung der Schwimmbecken, desto höher wurden die Kosten, weil die Becken immer größer wurden, also in der Regel 25, oder 33,3 oder 50 Meter, in Freibädern in den 1920er-Jahren sogar oft 100 Meter lang.

Diese Kosten auszugleichen wurde in den 1920ern immer schwieriger, weil die Hyperinflation in Deutschland weite Teile der Bevölkerung verarmen ließ und gleichzeitig die Nachfrage nach Reinigungsbädern abnahm. Das stellte die öffentlichen Bäder insbesondere in Deutschland und ganz besonders nach der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre vor fast nicht mehr zu lösende Aufgaben.

Damals war allen klar: Wenn der Versorgungsauftrag der öffentlichen Bäder kein Äquivalent findet, also teilweise neu definiert wird, dann werden öffentliche Schwimmbäder dauerhafte Zuschussbetriebe sein. Das ist natürlich schwierig für Kommunen und verlangte ein neues Bekenntnis zu dieser Aufgabe. Seit Mitte der 1930er-Jahre gelten öffentliche Bäder daher als Teil der Daseinsvorsorge, also einem wichtigen Teil der kommunalen Leistungsverwaltung, den sich die Städte auch etwas kosten lassen.

Und heute bei der Renovierung gibt es auch diese wirtschaftlichen Probleme?

– Zunächst: An der wirtschaftlichen Herausforderung hat sich seither nichts geändert. Bäder, vor allem solche mit großen, sportgerechten Schwimmbecken, kosten mehr als sie erwirtschaften.

Die Sanierung historischer Bäderbauten ist eine besondere Herausforderung. Denn um historische Stadtbäder mit den modernen Betriebserfordernissen in Einklang zu bringen, sind mitunter schwere Eingriffe in die historische Bausubstanz nötig. Ein Beispiel: Um die moderne Anforderung an Heizung und Lüftung im Schwimmbad zu erfüllen, braucht es heute viel komplexere Lüftungssysteme, deren Kanäle und Schächte größere Querschnitte haben als ihre historischen Vorgänger.

Solche Sanierungen und Modernisierungen erfordern große Kompromisse zwischen Denkmalschutz und den Bad-Betreibern, die zeitgemäße Angebote machen wollen, damit das Bad auch künftig seinen Versorgungsauftrag voll erfüllt. Das sind mitunter sehr lange Diskussionen.

Gleichzeitig kommen Fragen der Energieeinsparung und der Nachhaltigkeit hinzu, die z. B. eine Wärmedämmung erfordern und ebenfalls die Bausubstanz beeinträchtigen. Wir haben bei diesem Thema also eine Schnittmenge von konkurrierenden Themen und es gilt, immer einen guten Kompromiss zu finden.

Aber ist es denn ein Wert für sich genommen, solche Bäder zu erhalten? Das würde auch heißen, dass es tatsächlich bei Bädern um ein Kulturgut geht.

– Das ist auf jeden Fall so. Das sieht man daran, dass die historischen Stadtbäder bis heute, wenn sie noch erhalten sind, Aushängeschilder für die Städte sind.

Ich denke da an das Karl-Müllersche-Volksbad von München, mustergültig saniert, bestens geführt, top in Schuss und nach wie vor sehr beliebt. Das gilt auch für die Stadtbäder in Berlin, wie das Stadtbad Neukölln z. B. Keine Stadt in Deutschland hat übrigens so viele denkmalgeschützte Bäder wie Berlin.

Das gilt aber auch für wirklich herausragende und singuläre Bauten der Fünfziger-Jahre-Architektur, wie die „Schwimmoper“ in Wuppertal. Bei der Beurteilung, dass öffentliche Bäder aber nicht nur Versorgungsbauten, sondern eben auch herausragende Zeugnisse der Kulturgeschichte sind, stehen wir jedoch noch am Anfang. Ich möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass sich diese Sichtweise ändert und damit auch die Wertschätzung für die Bäder.

Sie sagen Berlin. Können Sie vielleicht kurz etwas sagen, ob es zwischen Ost und West Unterschiede gibt?

– Es gibt einerseits große Unterschiede zwischen Ost und West, also zwischen Ost- und Westdeutschland natürlich, und das natürlich in Berlin am besten, wie unter einem Brennglas. West-Berlin und die westdeutschen Bundesländer waren nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich viel früher in der Lage, Hallenbäder zu bauen, auch, weil die Materiallage eine ganz andere war.

Die DDR und Ost-Berlin waren flächendeckend erst in den 1970er Jahren in der Lage, ein Netz aus Hallenbädern zu bauen. Und damals galt schon in der DDR die Prämisse des seriellen, industriellen Bauens. Das heißt, die Hallenbäder, die wir hier in Ost-Berlin haben, die sogenannten Volksschwimmhallen, waren alle Industrieprodukte, und sie waren letztendlich, was das Tragwerk und die Bauweise angeht, ähnlich wie Kaufhallen und Sporthallen. Man hatte einen universellen Gebäudetyp entworfen.

Mit dieser Idee war man in den westdeutschen Städten um Längen voraus. Auch in Hamburg und Düsseldorf z. B. hatte man sich um serielle Hallenbadtypen bemüht, war damit aber nicht so konsequent und letztlich nicht so erfolgreich wie Ost-Berlin beispielsweise. Denn der Typ Berlin C, den es bis heute gibt, z. B. in Berlin-Mitte auf der Fischerinsel, war ein sehr gut durchdachtes, sehr funktionales und sehr ökonomisches Hallenschwimmbad, das eine moderne Sachlichkeit ausstrahlt, die bis heute zeitgemäß ist.

Im Vergleich dazu sind die Hallenbadtypen in West-Berlin nicht ganz so konsequent: weder in ihrer seriellen Art, noch in ihrer Ökonomie, noch in ihrer Funktionalität. Das heißt, wir haben hier interessanterweise eine Diskrepanz zwischen dem ehemals kommunistischen Teil Berlins, in dem sehr viel ökonomischer gebaut wurde, wenn man so will kapitalistischer gebaut wurde, und im West-Berliner Teil, in dem man etwas opulenter gebaut hat. Und diese Bäder sind mitunter, weil die Raumkubatur größer ist, mit einem größeren Aufwand zu betreiben, was schließlich höhere Kosten bedeutet.

Und dann gibt es aber viele Gemeinsamkeiten. Der ehemalige Eiserne Vorhang hat nicht dazu geführt, dass man nicht genau hingeschaut hat, was in anderen Ländern gebaut worden ist. Architekten der DDR ließen sich z. B. von Hallenbadbauten in Karlsruhe und Dortmund inspirieren oder von der Form eines Sprungturms in Böblingen. Andererseits verfolgten westdeutsche Vertreter genau die Ambitionen im Schwimmbadbau in der DDR.

Eine Frage zur Kunstgeschichte: Sie haben geschrieben, dass das Schwimmbad zwischen Funktionalismus und Rationalismus zu verorten ist. Können Sie dies genauer erklären?

– Schwimmbäder sind ebenso funktionalistische wie rationalistische Bauten, weil die inneren Abläufe des Schwimmbades die Form der Gebäude vorgeben. Wenn aber, wie wir vorhin festgestellt haben, nicht nur die betrieblichen Abläufe den Versorgungsauftrag abbilden, sondern auch Themen wie Emotionalität, soziale Interaktion oder die Verbindung zu möglichst viel natürlichem Licht im Gebäude, dann wirkt sich das auf die Architektur aus. Damit folgt die Planungsmaxime zwar immer noch dem Funktionalismus, aber ein Stück weit im Widerspruch zum Rationalismus. Im Spannungsfeld dieser beiden Pole hat die Entwicklung in Deutschland stattgefunden.

Sie haben gerade gesagt Deutschland. Wenn man jetzt an öffentliche Bäder denkt, ist man geneigt, auch außerhalb Deutschlands zu gucken, auf Europa und darüber hinaus. Wie lassen sich diese Bäder kulturgeschichtlich verorten?

– Die Entstehung der Kultur des öffentlichen Schwimmbads, wie wir sie kennen, ist klar verortet in Zentraleuropa. Mit leichten Abstrichen könnte man auch Nordamerika, also die USA und Kanada, dazuzählen. Darüber hinaus werden die Veränderungen im Versorgungsverständnis der öffentlichen Bäder so stark, dass man nicht mehr von derselben Architektur bzw. Infrastrukturgeschichte sprechen kann. Ich denke da an Bäder in der muslimischen Welt oder in Fernost etwa.

Die öffentlichen Bäder der Moderne in Europa nehmen zwar ein Stück weit die antike Badekultur der römischen Thermen z. B. auf; sie grenzen sich jedoch auch klar davon ab. Vor allem in Deutschland, wo man in den römischen Thermen auch die Brutstätten der Dekadenz sah, an der das römische Imperium zu Grunde gegangen war. Dieser – historisch so nicht haltbaren – Gefahr wollte man das gerade gegründete Deutsche Kaiserreich nicht aussetzen.

In Deutschland nahm man sich daher im 19. Jahrhundert viele Vorbilder aus dem öffentlichen Badewesen in England, aber auch Italien – hier vor allem in Bezug auf Freibäder. Man setzte sich aber auch bewusst ab von England, indem man entschied, bei den Schwimmbädern in der Regel keine Klassenunterschiede zu machen, was auf der Insel indes gang und gäbe war.

Bis etwa in die 1930er-Jahre waren die Bäderbauten in Deutschland oder Österreich durchaus beispielgebend für die Baumeister in anderen europäischen Ländern, den Niederlanden und Frankreich beispielweise. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann eher umgekehrt.

Interessant ist, dass diese zentrale Überschneidungsge-schichte zwischen den Nationen als solche noch nicht wirklich wahrgenommen wird. Bis heute. Es gibt kein oder ein eher marginal ausgeprägtes Verständnis dafür, dass wir hier eine gemeinsame Kulturgeschichte der Bäder haben, die sich gegenseitig befruchtet hat. Also Ideen, die in Deutschland geboren worden sind, sind dann z. B. in Österreich oder in der Schweiz weiterentwickelt worden.

Wenn wir dann in die 1970er-Jahre schauen und dem Trend zum Freizeitbaden, zur Ausbildung sogenannter Badelandschaften, dann kommt wieder die DDR in den Blick.

Bei Freizeitbändern denken wir heute eher an Kommerz, weil die Menschen bereit sind, für solche Bäder höhere Eintrittspreise zu zahlen. Eine der ersten Badelandschaften, die in Deutschland geplant worden ist, ist jedoch ein Werk zweier Architekten aus der DDR. Für Berlin schlugen Heinz Graffunder und Achim Felz eine Badelandschaft vor, einen Vorgängerentwurf für das spätere Sport- und Erholungszentrum, das SEZ.

Ach so

– Das Haus der Körperkultur nannte sich das. Entstanden auf Beschluss eines staatlichen Planungsauftrags mit dem Ziel: Macht mal ein Freizeitbad! Zu dem Zeitpunkt war man in Westdeutschland noch nicht so weit.

Im Schwimmbad von Roubaix (bei Lille) gab es viele Symbole: der Architekt Albert Baert hatte ja den Plan und Aufbau einer Art Abtei verwendet. Ist das anderswo der Fall? Und wieso eine solche laizistische Sakralisierung? Sind Kunstbeziehungen zu anderen Staaten auf diesem Gebiet festzustellen oder waren die Entwürfe der Architekten eher national?

– Anleihen zu sakraler Architektur sind eher die Ausnahme. Wenn wir z. B. die basilikale Struktur der Schwimmhalle des Stadtbads Neukölln in Berlin als Beispiel nehmen, dann ist das eher ein loser Bezug zur Antike, aber eher nicht zu einer sakralen Architektur. Anders ist das bei den Schwimmhallen der Stadtbäder von Ludwig Hoffmann in Berlin, die schon eher an ein Kirchenschiff denken lassen.

Hallenbäder der 1950er und 1960er-Jahre, wie das sehr schöne Bad in Ludwigshafen mit seinem umbauten Innenhof, lassen auch Assoziationen zu einem Kreuzgang entstehen. Das aber eher ungewollt.

Konstruktiv nehmen die Schwimmhallen vor allem Bezug auf andere Hallenbauten, also Stadthallen, Markthallen oder auch Fertigungshallen für die Industrie.

Ganz allgemein: Inwiefern ist es möglich, jene Vergangenheit zu benützen, um sich der Zukunft zuzuwenden?

Z. B. viele ehemalige Bäder wurden in letzter Zeit in Museen verwandelt: Was heißt das bezüglich des Kulturerbes?

– Colmar ist ein gutes Beispiel. Herzog und de Meuron haben das alte Stadtbad als Teil des Musée Unterlinden umgebaut, was zeigt: Es ist möglich, historische Schwimmbadbauten neu zu nutzen.

Und es zeigt, worauf es bei einer Sanierung eines historischen Badgebäudes immer ankommt, nämlich sich zu fragen: Was ist uns wichtiger, das historische Bad in seiner ursprünglichen Nutzung zu erhalten und alle Einschränkungen zu akzeptieren, die das womöglich mit sich bringt. Ich denke da z. B. an historische Schwimmbeckenmaße, die nichts mit sport- oder wettkampfgerechten Becken zu tun haben.

Oder ist es wichtiger, ein modernes Bad mit allen zeitgemäßen Anforderungen zu haben und dann zu entscheiden, dass ein Neubau die bessere Lösung ist. Das historische Bad erhält dann eine neue Funktion. In Colmar war das sicherlich ein glücklicher Zufall.

Wichtig ist jedoch, dass bei der Umnutzung die Spuren des Stadtbades von einst erhalten bleiben. Aus der kulturgeschichtlichen Perspektive ist aus meiner Sicht nichts gewonnen, wenn das verlorengeht.

Bei dem Hallenbad in Ludwigshafen, das ich eben erwähnte, ist es so, dass ein Teil des Gebäudes heute als Innovation, Lab für Start-Ups genutzt wird. Im ehemaligen Lehrschwimmbecken finden Meetings statt und die Seifenschalen von einst sind heute Ladestationen für Mobiltelefone.

Manchmal ist es besser, um der Erhaltung der historischen Bausubstanz willen, lieber dem Gebäude eine neue Nutzung zu geben. Es gibt historische Stadtbäder, die zu Galerien geworden sind, auch zu Kindertagesstätten oder auch zu Pflegeeinrichtungen. Oder zu Markthallen, z.B. in Heidelberg.

Wir würden trotzdem gern ein bisschen nachhaken, was dieses Europäische angeht. Sie haben wunderbar gezeigt, wie das Ganze eine Transfergeschichte ist. Das ist wirklich sehr interessant. Und es bleibt sicher sehr viel zu untersuchen. Man denke aber an die türkischen Bäder … die uns sagen, es kann nicht rein europäisch sein. Anders gefragt: Das, was Sie jetzt beschrieben haben, ist das tatsächlich der europäische Kern sozusagen der Kulturgeschichte der Bäder oder wie würden Sie das Verhältnis sehen zu außereuropäischen Phänomenen?

– Das ist eine sehr gute Frage. Denn die ursprüngliche Idee in Europa, ein öffentliches Badewesen zu etablieren, das der Gesunderhaltung der Bevölkerung dient, ist im Wesentlichen inspiriert durch die türkischen Bäder. Nach dem Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten Iren und Briten die Traditionen der Osmanischen Bäder neu. Dieses sogenannte türkische Bad nahm ein irischer Arzt mit auf die irische Insel und etablierte dort ein Schwitzbad, das er römisch-irisches Bad nannte. Diese Bezeichnung etablierte sich dann auch in Deutschland etwa.

Diese Schwitzbadtradition hat ein großes Echo erfahren, in allen zentraleuropäischen Ländern und war dann tatsächlich einer der Anlässe für die Ausbildung einer zentraleuropäischen Bädergeschichte. Wo sie sich dann wiederum loslöst von dieser Badetradition ist bei der Ausbildung von Schwimmbädern. Wir sehen: Einer ihrer Antriebe kommt aus der islamisch geprägten Welt, aber die Idee etabliert sich oder emanzipiert sich davon komplett.

Islamische Traditionen bildeten darüber hinaus einen Nährboden zur Entwicklung des Interieurs im Stadtbad Stuttgart, Ende des 19. Jahrhunderts. Es erhielt ein islamisierendes Interieur, das Bezug nimmt auf die Mezquita in Cordoba. Während man heute eher Zurückhaltung kennt gegenüber der islamischen Kultur, hat man sie damals eher bewundert. Man fand das exotisch. Die Baumeister des Stadtbades Stuttgart waren ganz klar der Überzeugung, dass der öffentliche Versorgungsauftrag dieses Schwimmbades nicht nur die Reinlichkeit, die Hygiene ist, sondern auch ein eskapistisches Moment hat. Das Eintauchen in eine fremde Kultur, in eine andere Welt, um dann wieder in den Alltag von Stuttgart zurückzukehren.

Vielleicht eine allerletzte Frage. Sie sprechen immer von Zentraleuropa. Sparen Sie da ganz bewusst irgendetwas aus oder ist das eine Art Oberbegriff für Sie für Europa?

– Nein, ich spare nicht wirklich etwas auf. Es ist nur so, dass die spezielle Ausprägung des öffentlichen Schwimmbads als eine kommunale Versorgungsarchitektur sehr stark ist in den Ländern Mitteleuropas, also Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, den Niederlanden, auch in den skandinavischen Länder. In den mediterranen Ländern wird es deutlich weniger.

Und weiter im Osten?

– Auch dort ist diese spezielle Architekturgeschichte des kommunal betriebenen öffentlichen Schwimmbads weniger ausgeprägt als in Mitteleuropa, sodass dieser Fokus gerecht-fertigt ist.

Vielen Dank, Wir fanden das sehr spannend.

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