Museen sind nicht nur diejenigen Institutionen, die kulturelles Erbe sammeln, bewahren, erforschen, ausstellen und vermitteln – wie es in der derzeitigen Museumsdefinition des Deutschen Museumbunds heißt (Deutscher Museumsbund 2006: 6). Sie sind, in der Quintessenz dieser Tätigkeiten, vor allem maßgeblich daran beteiligt, das kulturelle Erbe überhaupt erst zu selektieren und zu konstituieren. Welche Objekte in die Sammlung gelangen und welche Sammlungsobjekte in der Dauerausstellung gezeigt werden, ist das Ergebnis von Entscheidungsprozessen, die von den historischen, gesellschaftlichen und kulturpolitischen Rahmenbedingungen, aber auch von institutionellen und individuellen Positionierungen bestimmt sind.
Kunstmuseen präsentieren ihre Sammlungen zumeist chronologisch nach kunsthistorischen Kategorien – aufgeteilt nach Kunstströmungen, Schulen oder geografischen Räumen. Die Werke sind ferner nach Format, Gattung, Material, Sujet oder Künstler*in zusammengestellt. Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch haben in ihrem Buch
Jahrhundert immer stärker werdenden Selbstverständnis der Kunstmuseen, als Bildungseinrichtungen für die Vermittlung der Kunstgeschichte an eine breite Öffentlichkeit verantwortlich zu sein. Vergleicht man die Präsentation der Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in größeren Kunstmuseen, die auf eine lange Institutionsgeschichte zurückblicken können und über umfangreiche Sammlungen verfügen, werden dem Publikum, zumeist der Reihe nach, Räume zu Impressionismus, Expressionismus, Kubismus, Bauhaus, Neuer Sachlichkeit und Nachkriegsmoderne dargeboten. Die Sammlungsschwerpunkte der Museen variieren, aber sie sind zugleich einem kunsthistorischen Kanon verpflichtet.
Obgleich der Begriff „Kanon“ im kunsthistorischen Kontext selbstverständlich erscheint – ob normativ oder kritisch verstanden –, ist die Forschungsliteratur dazu, anders als im Bereich der Literaturwissenschaften, überschaubar. Einen guten Forschungsüberblick zum Terminus „Kanon“ bietet Hoffmann (2013: 136–140). Überdies sei insbesondere auch auf Locher (2013) und Langfeld (2018) hingewiesen.
Lange hat sich die Kunstgeschichte mit der Kunst, die zwischen 1933 und 1945 entstand und mit der offiziellen Kunstpolitik des NS-Regimes einherging, nicht beschäftigt. Sie wurde als Propaganda, Kitsch oder „Unkunst“ Den Begriff der „Unkunst“ prägte Georg Imdahl (1988).
Dass die Dichotomie – die guten Künste der Moderne auf der einen, die bösen Künste des NS-Regimes auf der anderen Seite – nicht weiter haltbar ist, wurde in den letzten Jahren in mehreren Sonderausstellungen aufgezeigt. Im Frühjahr 2019 eröffneten in Berlin die Schau „Emil Nolde – eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart und die Ausstellung „Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im National-sozialismus“ im Brücke-Museum. Die Ausstellungen und ihre umfassenden Begleitpublikationen rückten in den Fokus der Öffentlichkeit, dass auch Künstler der Moderne – hier des Expressionismus – von der antisemitischen Ideologie überzeugt sein konnten, wie etwa Emil Nolde (Soika/Fulda/Ring 2019), oder sich mit dem neuen Regime zumindest zu arrangieren versuchten, wie Max Pechstein (Soika/Hoffmann 2019: 118ff.). Es galt, die Handlungsspielräume der Künstler während des Nationalsozialismus differenziert zu analysieren und das „Verfemungs- und Verfolgungsnarrativ“ (ebd.: 14), welches die ästhetische Moderne nach 1945 pauschal mit NS-Widerstand gleichsetzte, als ein Konstrukt der Nachkriegszeit aufzuzeigen. Tatsächlich bedeutete die Einstufung von Kunstwerken als „entartet“ nicht automatisch, dass deren Produzenten die rassistisch-antisemitische Ideologie ablehnten. Mit diesem Themenkomplex befasste sich im Mai 2019 auch das Kolloquium „Unbewältigt? Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunst, Kunsthandel, Ausstellungspraxis“, dessen Vorträge im gleichnamigen Sammelband erschienen sind (siehe Hoffmann/Scholz 2020).
Diese beiden Ausstellungen repräsentieren gewissermaßen den heutigen Status quo im Umgang mit der Kunst, die zum kunsthistorischen Kanon gehört, aber im Hinblick auf die Weltanschauung ihrer Produzenten im Nationalsozialismus einer Kontextualisierung bedarf. Ihnen gingen jedoch jahrzehntelange Debatten voraus. Die zentrale Frage lautete: Darf die Kunst aus dem Nationalsozialismus in musealen Räumen präsentiert werden und wenn ja wie? Im Fokus stand allerdings lange nur diejenige Kunst, die in der Nachkriegszeit jenseits des Kanons verortet wurde und seitdem als problematisch galt – die Kunst, die regimekonform produziert und präsentiert wurde.
Die erste Ausstellung zur Kunst aus dem Nationalsozialismus wurde 1974 vom Frankfurter Kunstverein unter dem Titel
Zur Frankfurter Ausstellung erschien nicht nur ein begleitender Katalog, sondern ein weiterer, nach der Laufzeit der Schau veröffentlichter Band mit dem Titel
Nach dieser Schau folgten bis heute zwar etliche weitere Ausstellungen zur Kunst aus dem Nationalsozialismus, doch
Auf dieser Grundlage wurde in Deutschland in den 1980er-Jahren eine hitzige Debatte geführt, ob die Kunst aus dem Nationalsozialismus öffentlich gezeigt werden sollte oder nicht. Zum „Kulminationspunkt in der Rezeptionsgeschichte der NS-Kunst“ (Berswordt-Wallrabe 2016: 11) wurde Klaus Staecks Veröffentlichung Nazi-Kunst von künstlerischer Qualität ist uns nicht bekannt […]. Die deutschen Museen werden deshalb das fortsetzen, was sie in den letzten 40 Jahren in ihrem Wirken für die Kunst getan haben: sie werden Maßstäbe setzen. Kunst hat auch mit Ethik zu tun. Deshalb rufen wir erneut öffentlich auf: Nazi-Kunst gehört nicht in unsere Museen (ebd.).
Die Haltung, von der diese Argumentation getragen wurde, bringt Sonja Weishaupt kritisch auf dem Punkt: „Dieser Vorstellung von einem beschützen- und bewahrenswerten (und offenbar objektiv evidenten), Kanon ‚wahrer‘ Kunst stünden die Werke von 1933–45 entgegen, nicht einmal gegenüber, da sie als ‚Un-Kunst‘ mit ersterem nicht in Bezug gebracht werden können“ (Weishaupt 2005: 32). Dass diese Kategorien die Kunstproduktion während des Nationalsozialismus nicht hinreichend erfassen, wurde nicht zuletzt in den erwähnten Ausstellungen zu Emil Nolde und den Brücke-Künstlern 2019 evident: Kunst, die als qualitativ hochrangig gilt, kann auch von einem mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Künstler geschaffen worden sein, wodurch die Kategorie „Ethik“ jeglicher Grundlage beraubt wird. Die Kunsthistorikerin Marlies Schmidt bemerkt in ihrer Forschung zur Kunst im Nationalsozialismus zudem treffend: Als über das Thema „NS-Kunst ins Museum“ gestritten wurde, gab es diese Kunst bereits längst in musealen Sammlungen (Schmidt 2012: 130). Teils, weil die Museen während des Nationalsozialismus Werke zeitgenössischer Künstler gekauft, teils, weil sie nach Kriegsende umfassende Konvolute zur Aufbewahrung bekommen hatten. Die Kunst aus dem Nationalsozialismus war in den Museen vorhanden, nur ausgestellt wurde sie lange Zeit nicht.
Die Dauerausstellung ist die „Visitenkarte“ eines Museums, denn in ihr werden „repräsentative Objekte einer musealen Sammlung dauerhaft […] einem größtmöglichen Publikum zugänglich gemacht“ (Habsburg-Lothringen 2012: 9). Während Sonderausstellungen einzelne Fragestellungen sowie Kontexte – und in Kunstmuseen auch einzelne Künstler*innen und Kunstströmungen – fokussieren, sind dauerhafte Präsentationen häufig durch einen Überblickscharakter gekennzeichnet.
Bis vor wenigen Jahren war Kunst aus dem Nationalsozialismus ausschließlich in den Dauerausstellungen von historischen und kulturhistorischen Museen zu sehen. In einem (kultur-)historischen Ausstellungsdisplay werden Exponate wie Gemälde, Zeichnungen oder Plastiken aus dem Nationalsozialismus jedoch weniger als autonome Kunstwerke präsentiert, sondern vielmehr als Beispiele für die Bildpropaganda in einen breit gefassten Kontext der nationalsozialistischen (Kultur-)Politik eingebettet. Meistens werden Kunstwerke und andere Objektgattungen – wie Objekte der Alltagskultur, Militaria, Schriftstücke oder Filmaufnahmen – gleichberechtigt in eine Erzählung einbezogen und miteinander verschränkt. Anders verhält es sich mit Kunstwerken aus dem Nationalsozialismus in einem Kunstmuseum, dessen Exponate hauptsächlich nach formalästhetischen Kategorien vermittelt und rezipiert werden.
In ihren Überblickskatalogen und auf den Websites betonen die drei hier betrachteten Museen die Qualität und Bandbreite ihrer Sammlungen. Auf der Website des Städel Museums ist zu lesen: „Unter einem Dach bietet die Sammlung des Städel Museums einen nahezu lückenlosen Überblick über 700 Jahre europäische Kunstgeschichte.“
Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg ist das größte kulturhistorische Museum Deutschlands. Der 1997 kuratierte Ausstellungsbereich zum 20. Jahrhundert hat es zum Ziel, wie bereits zitiert, „ein umfassendes Bild der Kunstund Stilgeschichte der letzten 100 Jahre“
In diesen chronologischen, kunsthistorischen Erzählfaden ist der Saal zum Thema „Kunst im Nationalsozialismus“ eingeflochten (Abb. 1–3). Darin werden, wie das Publikum aus dem einführenden Wandtext erfährt, Werke aus den „Großen Deu tschen Kunstausstellungen“ gezeigt. Diese offiziellen Leistungsschauen der zeitgenössischen Kunst fanden zwischen 1937 und 1944 im eigens für sie errichteten Haus der Deu tschen Kunst in München statt. Im Germanischen Nationalmuseum sind hauptsächlich Motive des Bauern- und Landlebens sowie Frauendarstellungen zu sehen: Bis auf das Gemälde von Elvira Bauer, welches 2010 als Geschenk aus Privatbesitz in den Bestand des Museums aufgenommen wurde, sind sämtliche in diesem Saal ausgestellten Werke Leihgaben. Sie stammen aus dem Konvolut „Ehemaliger Reichsbesitz“, welches seit 1999 im Deutschen Historischen Museum verwahrt wird. Diese Provenienz ist auf den Objektschildern ausgewiesen. Sie huldigen dem Heimatidyll und dem „arischen“ Frauentypus, während Juden mit antisemitischen Klischees diffamiert werden. Diese „völkischen“ Ideale sollten die Gesellschaft erziehen. Zeitgleich wurde die internationale Moderne als „entartet“ aus den Museen konfisziert, die Künstler wurden verfemt.
Abb. 1
Blick in den Saal „Kunst im Nationalsozialismus“ im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. Linke Wand:

Abb. 2
Blick in den Saal „Kunst im Nationalsozialismus“ im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. V.l.n.r.:

Abb. 3
Blick in den Saal „Kunst im Nationalsozialismus“ im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. V.l.n.r.: Tafeln von Jochen Gerz, wie Abbildung 2;

Die Objekttexte neben den einzelnen Exponaten setzen sich mit einigen der leitenden Ideen des Nationalsozialismus mit Blick auf das jeweilige Werk auseinander: Rasseideologie und Antisemitismus, „Blut-und-Boden“-Ideologie oder – wie bei den beiden im Nationalsozialismus populären Frauendarstellungen von Sepp Hilz und Adolf Ziegler – der Rolle der Frau als „Behüterin der Rasse“.
Was aus den erläuternden Wandtexten nicht hervorgeht, ist die Tatsache, dass alle hier gezeigten Werke – bis auf das Bild von Elvira Bauer, das auf keiner der „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ ausgestellt worden war – von Adolf Hitler angekauft wurden. Zu den ausgestellten Werken der „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ siehe die Online-Datenbank GDK-Research unter Ich danke Tilo Grabach, Leiter der Sammlung Kunst und Kunsthandwerk 19. bis 21. Jahrhundert, für den freundlichen Hinweis, dass Elvira Bauers Gemälde nicht mehr ausgestellt ist und dass an dessen Stelle seit November 2020 das Werk As he walks on, remembering that he must keep in mind not to turn around and look back, knowing too well that he is going in a direction… It hurts he says to know this, it makes me sick. He hears a whispering voice inside of him speak: That is the beauty of knowing, flowering on this distance you cannot bridge. If someone saw him at this moment he would find a laughing man and say: I found a laughing man walking in the other direction.
Jochen Gerz setzt sich in dieser Arbeit mit dem Nationalsozialismus auseinander, wie er selbst dem Germanischen Nationalmuseum mitteilte. Begriffe, welche unmittelbar darauf verweisen könnten, kommen auf den Tafeln jedoch nicht vor. Der Künstler nähert sich der Vergangenheit vielmehr assoziativ und poetisch über den Begriff der Schönheit und setzt sich auf diese Weise mit den Handlungsspielräumen von Kunst auseinander, aber auch mit der Rolle Nürnbergs und den dort aufwendig inszenierten Reichsparteitagen (Peters 2001: 8). In dem Objekttext zu Gerz’ Werk ist die Interpretation derweil unmissverständlich formuliert:
Gerz’ Arbeit fordert zum Nachdenken über die Instrumentalisierung der „Schönheit“ als Werbeträger „völkischer“ Ideale in der Kunst des Dritten Reichs auf. Gegenüber der Moderne, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert und verfolgt wurde, griff die NS-Kunst auf vertraute und entsprechend leicht eingängige Vorbilder zurück. […] Die Arbeit von Gerz berührt die Schnittstelle zwischen Vollkommenheitswunsch und Unmenschlichkeit.
Interventionen zeitgenössischer Künstler*innen sind ein verbreitetes Instrument, wenn es um die Präsentation von „schwierigem Erbe“ geht. Der künstlerischen Arbeit von Jochen Gerz kommt im Germanischen Nationalmuseum eine vergleichbare Rolle zu. Auch die Chronologie der Dauerausstellung ist durchbrochen, um auf diese Weise den Werken aus den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ einen künstlerischen Kommentar der Gegenwart, also der späten 1990er-Jahre, entgegenzusetzen. Zwangsläufig drängt sich die Frage auf: Würde das Publikum die in diesem Saal gezeigte Kunst sonst missverstehen? Die Bilder einfach schön finden? Oder wie es Einen gelungenen Überblick über die Erforschung des Themenkomplexes Kunst(politik) im Nationalsozialismus der letzten 20 Jahre bietet Zuschlag (2020).
Wie im Germanischen Nationalmuseum ist der Rundgang des Städel Museums chronologisch konzipiert. Von Dezember 2018 bis November 2019 wurde in einem Saal Kunst aus dem Nationalsozialismus ausgestellt. Der Raum trug den Titel „Instrumentalisierung von Kunst“. Später sollte der Saal zugunsten von Sonderausstellungen thematisch anders bespielt werden.
Abb. 4
Blick in den Saal „Instrumentalisierung von Kunst“ im Städel Museum, Frankfurt am Main. Linke Wand:

An der rechten Wand waren die Gemälde Um die nationale Identität zu fördern, vereinnahmten die neuen Machthaber allegorisch aufgeladene Bildthemen verstorbener Künstler wie Hans Thoma für staats- und kulturpolitische Zwecke. Auch Friedrich Boehles muskulöse, der klassischen Antike entlehnte Männergestalten lobte die Kunstkritik des NS-Regimes als Ausdruck höchster Kampfbereitschaft und eines gesunden Volkskörpers. Der Künstler Richard Scheibe griff auf dieselben klassizistischen Vorbilder zurück und legitimierte damit sein Kunstschaffen.
Abb. 5
Blick in den Saal „Instrumentalisierung von Kunst“ im Städel Museum, Frankfurt am Main. Rechte Wand:

Auf der linken Wand wurden die Gemälde
Abb. 6
Blick in den Saal „Instrumentalisierung von Kunst“ im Städel Museum, Frankfurt am Main:

Das Konzept des Ausstellungssaals zielte mit der Auswahl der Werke darauf ab, Vorbilder, Kontinuitäten und Brüche in der Bildpolitik des Nationalsozialismus aufzuzeigen. Anders als in Nürnberg, wo es nur programmatisch aufgeladene Kunst zu sehen gibt und diese von anderen in den 1930er-Jahren existierenden Kunstkonzeptionen stark isoliert gezeigt ist, lag der Fokus im Städel Museum auf der Vereinnahmung älterer Kunst und auf der Verfolgung von Künstlern der ästhetischen Moderne. Dieser formalästhetische Zugang kontrastierte die zeitgleich existierenden Kunstauffassungen einerseits, wie auch die klassizistischen Traditionslinien andererseits.
Der
Der jüngste noch bestehende Saal zur Kunst aus dem Nationalsozialismus in der Dauerausstellung eines deutschen Kunstmuseums befindet sich in der Pinakothek der Moderne in München. Innerhalb der chronologischen Erzählung ist der Saal 13 dem Thema „Künstler im Nationalsozialismus“ gewidmet. Im Mai 2015 eröffnete das Haus zunächst die als Sonderausstellung konzipierte Präsentation „GegenKunst“, in der Werke von Otto Freundlich, Max Beckmann sowie der im Nationalsozialismus erfolgreichen Künstler Josef Thorak und Adolf Ziegler gezeigt und in ihrem kulturhistorischen Kontext diskutiert wurden (Kase 2017). Aus der Erfahrung dieser temporären Schau entstand die Konzeption der dauerhaften Präsentation zu Künstlern im Nationalsozialismus, die seit 2016 bereits zum zweiten Mal umgehängt wurde. In dem ausführlichen Raumtext, in welchem einige der im Saal präsentierten Werke kontextualisiert werden, wird das kuratorische Konzept der aktuellen Werkauswahl ersichtlich: Der Fokus liegt auf den Handlungsmöglichkeiten und Lebenswirklichkeiten der Künstler*innen.
Gleich neben dem Einführungstext hängen drei abstrakte Gemälde –
Abb. 7
Blick in den Saal „Künstler im Nationalsozialismus“ in der Pinakothek der Moderne, München, v.l.n.r.:

Abb. 8
Blick in den Saal „Künstler im Nationalsozialismus“ in der Pinakothek der Moderne, München, v.l.n.r.:

Die Gemälde
Abb. 9
Blick in den Saal „Künstler im Nationalsozialismus“ in der Pinakothek der Moderne, München, v.l.n.r.:

Abb. 10
Blick in den Saal „Künstler im Nationalsozialismus“ in der Pinakothek der Moderne, München:

In der allegorischen Darstellung repräsentieren die nackten, in altmeisterlicher Manier ausgeführten Frauenkörper die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft (Hoffmann-Curtius 1989; Mittig 2014). Obwohl der Künstler insgesamt nicht einmal ein Dutzend Gemälde öffentlich ausstellte ( Fuhrmeister 2015b: 65), war er einer der einflussreichsten Akteure im nationalsozialistischen Kunstbetrieb und so ist es wenig überraschend, dass seine Werke in mehreren Ausstellungen stellvertretend für die Kunst aus dem Nationalsozialismus gezeigt werden. Werk und Autor haben in diesem Fall besonders herausragende Relevanz im Hinblick auf die Kunstproduktion und -rezeption während des NS-Regimes. In seiner Funktion als Präsident der Reichskammer der bildenden Künste wurde Adolf Ziegler auch mit der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ betraut. In diesem Saal wird er somit nicht (nur) als Maler einer altmeisterlich anmutenden – man könnte auch sagen: einer altmodischen – Aktkomposition präsentiert, sondern als ein machtvoller Akteur der nationalsozialistischen Kulturpolitik, der einen großen Einfluss darauf ausüben konnte, wer als Künstler*in tätig sein durfte und wer nicht.
Mag die Kontrastierung der jeweils verfemten und geförderten Künstler das Narrativ bisher dominiert haben, wird es durch die letzten beiden Exponate um einige Graustufen erweitert (Abb. 11). Die beiden Gemälde wie deutsche Künstler ihr Werk nach 1933 teilweise in den Dienst des NS-Regimes stellten. Während
Abb. 11
Blick in den Saal „Künstler im Nationalsozialismus“ in der Pinakothek der Moderne, München: Die einsame Straße (1932) und

Protzens So die Kunsthistorikerin Anke Gröner auf der Tagung „Kunst im Nationalsozialismus. Forschungsfragen, Forschungsperspektiven, Forschungsinfrastrukturen“ am 12. Oktober 2021 am Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Ihr Vortrag „Zu Gemälden der Reichsautobahn von Carl Theodor Protzen“ resümierte die Forschungsergebnisse ihrer noch unveröffentlichten Dissertationsschrift zur Carl Theodor Protzens Œuvre.
Gibt es heute, im Jahr 2022, überhaupt einen Konflikt, wenn es um die Präsentation NS-konformer Kunst in den Kunstmuseen geht? Mit Blick auf die teils polemischen und tabuisierenden Debatten der 1970er- bis 1990er-Jahre, die den Diskurs über diese Kunst und ihre öffentliche Zurschaustellung dominierten, lässt sich im 21. Jahrhundert eine auf viele Ursachen zurückzuführende Ausdifferenzierung beobachten. Eine Selbstverständlichkeit ist die regimekonforme Kunst aus dem Nationalsozialismus in einem Kunstmuseum aber deshalb noch lange nicht. Das zeigt nicht zuletzt das umfassendere Vermittlungsangebot: Sowohl im Germanischen Nationalmuseum als auch in der Pinakothek der Moderne wurde für die Präsentation der Kunst aus dem Nationalsozialismus auf eingehende Kommentierung zurückgegriffen – durch eine künstlerische Arbeit in Nürnberg und durch zusätzliche Text- und Bildmaterialien in München. Begreift man Ausstellungen als Vermittlungsmedien, welche durch die Auswahl der Künstler*innen sowie die Anordnung ihrer Werke im Raum „Wissensordnungen konstituieren“ (Hoffmann 2013: 135), wird die Diskrepanz in der Präsentation der Kunst aus dem Nationalsozialismus und derjenigen der ästhetischen Moderne evident. Da die nationalsozialistische Kulturpolitik und die künstlerischen Lebenswirklichkeiten zwischen 1933 und 1945 bislang nicht oder nur selten zum „Repertoire“ von Kunstmuseen zählten, müssen die in den Ausstellungen gezeigten Werke, Akteure und Kontexte einer breiten Öffentlichkeit überhaupt erst vorgestellt werden.
Ausstellungen sind aber nicht nur Räume der Wissensproduktion, sondern in ihnen spiegeln sich der Wissensstand und der Kunstbegriff der jeweiligen Zeit wider. Die „Kunst im Nationalsozialismus“, wie der Saal im Germanischen Nationalmuseum betitelt ist, auf die Ankäufe Adolf Hitlers auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ zu beschränken, ist aus heutiger Sicht zwar verkürzt, doch gilt es zu bedenken, dass zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Ausstellungsdisplays kaum Grundlagenforschung zu diesem Themenkomplex vorlag. Keine einzige Monografie widmete sich ausschließlich den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“, während sie in so gut wie jedem Überblickswerk zum Thema NS-Kulturpolitik wie selbstverständlich erwähnt wurden. Zudem galt in der Kunstgeschichte lange – und dies nicht zuletzt in Folge der Ausstellung „Kunst im 3. Reich“ und der zeitgleich erschienenen Monografie von Berthold Hinz (Hinz 1974) – diejenige Kunst, welche die NS-Publizistik stark popularisierte, als die NS-Kunstproduktion schlechthin (Fuhrmeister 2013: 194).
Im Städel Museum wurde ein anderer Erzählmodus gewählt. Richard Scheibe stand gleichsam für die Vereinnahmung der neoklassizistischen Vorbilder im Nationalsozialismus und als Gegenpol zu den verfemten Künstlern. Die Komplexität seiner künstlerischen Biografie wurde indes nicht ausgeführt: Scheibe war vor, während und nach dem Nationalsozialismus als Künstler und Kunstprofessor erfolgreich. 1925 erhielt der Bildhauer einen Ruf an das Städelsche Kunstinstitut (die Kunsthochschule in Frankfurt am Main) und war dort als Professor tätig. Nach zunächst einer Entlassung im März 1933, sollte er bereits im Oktober des Jahres wieder in sein Amt eingesetzt werden und wechselte 1935 nach Berlin an die Preußische Akademie der Künste. Während des NS-Regimes wurde Scheibe mit Aufträgen bedacht, stellte kontinuierlich auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ aus und wurde in die Liste der „Gottbegnadeten“ Künstler aufgenommen, die vom Kriegseinsatz befreit bleiben sollten (Eckstein 2005: 323f.; Brauneis/Gross 2021: 93). Nach 1945 erhielt Scheibe eine Professur an der Berliner Hochschule für bildende Künste und wurde durch Ämter und Ehrungen (u.a. 1953 mit dem Bundesverdienstkreuz) ausgezeichnet. Die Kontinuität seines Schaffens ist beispielhaft für eine Reihe von Künstlern, die insbesondere im Bereich der Bauplastik tätig waren (Brauneis 2020). Scheibes vielschichtige Künstlerbiografie hätte dem Frankfurter Ausstellungskonzept ermöglicht, weitere Traditionslinien aufzugreifen: im Hinblick auf die klassizistische Formensprache, die Scheibes Œuvre über die Grenzen politischer Systeme hinaus aufweist, aber auch mit Blick auf die personellen Kontinuitäten der Kunstproduzent*innen.
Der Kurator des besprochenen Ausstellungssaals in der Pinakothek der Moderne, Oliver Kase, schreibt in einem Aufsatz: „An der Frage des Umgangs mit NS-Kunst wird das Kunstmuseum mehr denn je belegen müssen, ob es sich nur mehr als ästhetisches Institut der Geschmacksbildung und der Präsentation eines exklusiven Kanons der Moderne versteht oder auch als demokratische Einrichtung des kritischen gesellschaftlichen Diskurses“ (Kase 2017: 323). Die Auffächerung der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der Künstler*innen ist eine wichtige Grundlage für diesen Diskurs. Dies gilt sowohl für die Künstler*innen, die während des NS-Regimes erfolgreich waren, als auch für diejenigen, die zum etablierten Kanon der Moderne zählen. Mit Blick auf die Werkauswahl in der Pinakothek der Moderne, ist mit Carl Theodor Protzen ein Künstler vertreten, der in Sujet wie Darstellungsweise den Erwartungshaltungen des neuen Regimes nachkam und dadurch im offiziellen Kunstbestrieb vertreten war. Solche bewussten Selbstverortungen und stilistischen Neujustierungen eines Künstlers innerhalb der nationalsozialistischen Kulturpolitik sind eine Facette, anhand derer die Komplexität des künstlerischen Schaffens während des NS-Regimes greifbar wird.
Auch am Beispiel der beiden im selben Saal präsentierten Bildhauer Hermann Blumenthal und Gerhard Marcks ließen sich solche Grauschattierungen diskutieren. Die ambivalenten Biografien dieser Künstler enthalten sowohl Momente der Verachtung wie der Beachtung ihres Schaffens in der NS-Zeit. Hermann Blumenthal hatte seinen vorläufigen Höhepunkt noch vor der Machtübernahme erlebt: 1930, mit 25 Jahren, erhielt er den renommierten Großen Staatspreis der Preußischen Akademie der Künste, der ihm einen Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom ermöglichte. Nach 1933 änderte sich die Situation des aufstrebenden Künstlers. Er wurde nicht mehr zu Akademie-Ausstellungen zugelassen, seine Bronzeplastik Siehe den Datensatz zu Hermann Blumenthals Bronzekopf „Porträt Ruth Gernholtz“ in der Online-Datenbank GDK-Research:
Gerhard Marcks, der in der Pinakothek der Moderne – wie Hermann Blumenthal – stellvertretend für die Berliner Künstlergemeinschaft Klosterstraße und deren „Sehnsucht nach einem idealen Arkadien“ steht, musste ebenfalls erleben, wie seine Werke 1937 als „entartet“ diffamiert wurden. Nachdem er mit der Machtübernahme als Leiter der Bildhauer-Werkstatt an der Burg Giebichenstein in Halle entlassen worden war, bedeutete die Verfemung seiner Werke einen weiteren immensen Einschnitt für den Bildhauer. Doch bemühte er sich während des Regimes fortwährend um öffentliche Aufträge: Er bewarb sich unter anderem um die Mitwirkung an der bauplastischen Ausstattung des Berliner Reichssportfelds und gestaltete, wie er selbst schrieb, „Porzellanvasen für die Reichskanzlei“ (Bushart 1993: 110). Wie die Kunsthistorikerin Magdalena Bushart bereits 1993 darlegte, war Marcks’ künstlerischer Werdegang während des Nationalsozialismus ein „Taktieren zwischen Verweigerung und der Suche nach Anerkennung“ (ebd.). Zwar wurden dem einstigen Leiter der Bauhaus-Töpferei die meisten Aufträge während des Nationalsozialismus verwehrt (auch die Vasen wurden ihm 1938 entzogen) und die Lehrtätigkeit als Nachfolger von seinem Freund Richard Scheibe erhielt er an der Städelschule aufgrund seiner politischen Bewertung nicht, doch noch 1936 schrieb er von „guten Grundideen des Nationalsozialismus“ (Bushart 1993: 105). Diese kursorisch beschriebenen Lebensstationen von Hermann Blumenthal und Gerhard Marcks erscheinen widersprüchlich und doch sind sie Teil ihrer künstlerischen Biografien.
Mit Blick auf Künstler wie Carl Theodor Protzen, Richard Scheibe, Hermann Blumenthal und Gerhard Marcks stelle ich außerdem fest, dass der Konflikt in der musealen Präsentation von Kunst aus dem Nationalsozialismus nicht nur darin besteht, dass das Gros der im NS-Regime prominenteren Akteure einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist und einer intensiveren Vermittlung bedarf. Auch den Biografien von Künstlern der ästhetischen Moderne während des Nationalsozialismus wird weniger Aufmerksamkeit zuteil. Wie positionierten sich die Künstler*innen der Moderne zum neuen politischen System und dessen Ideologie? An welchen offiziellen Wettbewerben nahmen sie teil, wo stellten sie aus? Die eingangs erwähnten Ausstellungen zu Emil Nolde und den Künstlern der Brücke zeigten eindrücklich, wie sich einige der Maler innerhalb des neuen politischen Rahmens einrichteten.
Die Chronologie der drei vorgestellten Ausstellungsräume ist zugleich ein Spiegel der Forschungstendenzen. Bezieht man auch die erwähnten Sonderausstellungen in die Betrachtung mit ein, zeigt sich, dass die kuratorischen Konzepte sich von dem Ziel, die vermeintlich typische „NS-Kunst“ aufzuzeigen, in den vergangenen Jahren zugunsten der Ambivalenzen in der NS-Kunstpolitik verschoben haben. Am Beispiel Emil Nolde konnte auch einer breiten Öffentlichkeit verdeutlicht werden, wie komplex dieses Themenfeld ist und wie ungenügend die Kategorien „NS-Kunst“, „Unkunst“, „Propaganda“ oder „Kitsch“ den Gegenstand erfassen, wenn es um die Integrität der Künstler*innen ging. Daran offenbart sich erst die Notwendigkeit, Werk und Biografie der Künstler*innen in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen, um die (Un)Möglichkeiten ihres künstlerischen Daseins während des Nationalsozialismus mit all den Paradoxien zu erfassen. Solange jedoch nur die Museumsräume, welche explizit die Kunst aus dem Nationalsozialismus thematisieren, sich solchen Grauschattierungen und Paradoxien widmen, bleibt der Konflikt mit dem Kanon bestehen: Hier die Qualität, die Meisterwerke und der ästhetische Genuss – dort die „schwierigen“ Werke und die kulturhistorische Kontextualisierung.
Welches Narrativ in einer Ausstellung präsentiert werden kann, hängt in erster Linie aber natürlich auch von den vorhandenen Sammlungsbeständen ab. So entstammen die beiden Werke
Abb. 1–3, 10: Foto: Darja Jesse, mit freundlicher Genehmigung des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg, und der Pinakothek der Moderne, München.
Abb. 4–6: © Städel Museum, Frankfurt am Main.
Abb. 7–9, 11: Pinakothek der Moderne „Künstler im Nationalsozialismus“. Seit 2018. Foto: Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen.
Für alle abgebildeten Kunstwerke wurden die Urheberrechte bei VG Bild-Kunst, Bonn, eingeholt.
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Dimitri Almeida, ein Europäer mit mehreren wissenschaftlichen Heimaten Glossaire: Aperçu de I’abondance lexicale Tribune La pendémie de Covid-19: de la tension entre science, politique et médias 1 Ansichten der Pandemie: Die Rezeption des Sarg-Konvoi-Fotos in der deutschen und italienischen Presse Décès de Heinz Thoma (29.12.1944 – 27.11.2022) Les caricatures comme manifestations de solidarité collective face au virus. Enjeux et perspectives de leur valeur référentielle „Wir sind im Krieg”: Macht, Polarisierung und Protest während der Covid-19-Pandemie in Frankreich Baden-Baden, « Capitale d’été de l’Europe ». Eine deutsch-französische Beziehungsgeschichte, 1840-1870. [Une histoire des relations franco-allemandes, 1840-1870] Bericht: Deutsche und französische Schulen in der Corona-Pandemie Blicke in eine europäische Kulturgeschichte der öffentlichen Schwimm- und Freibäder als Teil der Krankheitsvorsorge. Interview mit Dr. Matthias Oloew (29.11.2021)