In der Vergangenheit wurde der Einfluss der Anbautechnik auf die ernährungsphysiologische Qualität von Lebensmitteln untersucht, im Zuge dessen weckten die sekundären Pflanzeninhaltsstoffe das Interesse der Forschung. In der vorliegenden Arbeit wird auf die Bedeutung der Cyanogenese von Futterpflanzen und deren mögliche anti-nutritive Wirkung auf Wiederkäuer eingegangen. Laut Gleadow und Woodrow (2002) bezeichnet die Cyanogenese einen Prozess, bei dem es zur Freisetzung von Blausäure aus cyanidhaltigen endogenen Substanzen kommt. Blausäure (HCN) ist ein starkes Atmungsgift, welches in Pflanzen gebunden in Form von cyanogenen Glykosiden vorkommt. Diese cyanogenen Glykoside sind stabil und nicht giftig, solange das Glykosid nicht von der erforderlichen Glykosidase gespalten wird (Heldt, 1999; Verdoucq et al., 2004). Ziel dieser Arbeit ist es, den aktuellen Wissensstand zur Thematik der Cyanogenese in der Wiederkäuerernährung aufzuzeigen. Dabei soll erläutert werden, welche Futterpflanzen mit Blausäure in Verbindung gebracht werden. Wie viel Blausäure enthalten Futterpflanzen? Welche Funktion(en) erfüllt/en die Blausäure für die Pflanze und ändern sich die Blausäuregehalte unter bestimmten physiologischen oder klimatischen Bedingungen? Des Weiteren soll die vorliegende Arbeit auf die Wiederkäuer eingehen: Wie und wann nehmen Wiederkäuer diese Pflanzen auf, welche Probleme ergeben sich daraus für das Tier? Von besonderem Interesse ist die Frage, ob Wiederkäuer über Entgiftungsmechanismen verfügen und welche Grenzwerte aufgestellt werden können.
Cyanogene Glykoside entstehen in der Pflanze aus den unterschiedlichen L-Aminosäuren (Vetter, 2000; Sun et al., 2018), wie z. B. L-Phenylalanin, L-Valin, L-Tyrosin, L-Isoleucin und L-Leucin, welche als Vorstufen der meisten cyanogenen Glykoside auftreten (Poulton und Li, 1994). Die Bildung von cyanogenen Glykosiden (Abbildung 1) beginnt mit der Hydroxylierung und der Decarboxylierung der Aminosäuren, wobei aus der Carboxyl- und der Aminogruppe sowie der
Zu den am häufigsten vorkommenden natürlichen cyanogenen Glykosiden zählen nach Harborn (1995) Linamarin und Lotaustralin. Nach Kakes (1990) kommen diese beiden Glykoside häufig zusammen in Pflanzen vor (z. B. in Maniok, Flachs und Weißklee). Kakes (1990) schlägt eine Unterscheidung der cyanogenen Substanzen nach ihrem Aglykon sowie der Zuckerkomponente vor. Die cyanogenen Substanzen können laut Kakes (1990) größtenteils auch nach ihrem Aglykon und ihrer Zuckerkomponente unterschieden werden. Da es sich bei den Aglykons in den meisten Fällen um
Laut Kakes (1990) wurde kein ungebundener HCN in einer intakten Pflanze gefunden, sodass die Freisetzung des HCN an das Vorhandensein der jeweiligen Speicherform gebunden ist. Cyanogene Glykoside, die in einer intakten Pflanze als Speicherform von HCN vorliegen können, sind ungiftig. Erst die freigesetzte Blausäure, explizit die Cyanidionen, entfalten die toxische Wirkung. Freie Cyanidionen weisen eine hohe Schwermetallaffinität auf, was die Ursache dafür ist, dass die Cyanidionen eine Komplexbildung mit den Fe3+-Zentralatomen der Cytochrom-Oxidase eingehen. Die Cytochrom-Oxidase ist ein Enzym der Atmungskette, und durch Komplexbildung kann kein Sauerstoff mehr aktiviert werden (Eichner und Karel, 1972). Dadurch wird die Zellatmung blockiert, wodurch wiederum ein Energiedefizit ausgelöst wird, welches speziell auf das Zentralnervensystem Auswirkungen hat und schlussendlich zu tödlicher Atemlähmung führen kann (Melzig et al., 2004). Für die Behandlung einer Cyanidvergiftung ist entscheidend, dass die von dem Cyanid eingegangene Komplexbildung vollständig reversibel ist. So wird bei Cyanidvergiftungen (vor allem beim Menschen) schnellstmöglich zu einem Antidot, wie Natriumthiosulfat und 4-Dimethylaminophenol, gegriffen (Melzig et al., 2004).
Wie bereits im vorherigen Kapitel beschrieben, versteht man unter der Cyanogenese die Fähigkeit eines Organismus, Blausäure freizusetzen. Cyanogene Substanzen wurden auch von einer Vielzahl von Organismen isoliert, wobei die Glykoside nur bei Pflanzen und Insekten festgestellt wurden. Verschiedene Pflanzen synthetisieren eine oder mehrere cyanogene Glykoside, wobei das Spektrum der gebildeten Verbindungen und deren Konzentrationen stark von der Pflanzenart und vom Entwicklungsstadium abhängig sind (Frehner et al., 1990). Die Cyanogenese beruht auf der Existenz von Cyaniden, welche wiederum in natürlichen Verbindungen in begrenzter Anzahl vorhanden sind. Cyanide können u. a. durch die Hydrolyse von Glucosinolaten entstehen und sind in der Lage, Blausäure bei ihrer Degeneration freizusetzen. Bei den dokumentierten cyanogenen Glykosiden handelt es sich laut Poulton und Li (1994) um
Der Vielzahl an cyanogenen Pflanzenarten steht nur eine relativ geringe Anzahl an cyanogenen Substanzen gegenüber. Da die Entstehung von Blausäure in höheren Pflanzen aber häufig aus dem Abbau von cyanogenen Glykosiden resultiert (Poulton und Li, 1994), wird überwiegend über die cyanogenen Glykoside berichtet. Cyanogenese wurde in über 3000 Pflanzenspezies, aus 110 unterschiedlichen Familien, beobachtet (Poulton und Li, 1994). In den Familien von
Wenn Pflanzengifte sich als Verteidigungsmechanismus auf verschiedenen Wegen entwickelt haben, beinhalten sie möglicherweise Funktionen wie hohe Toxizität oder andere giftige Eigenschaften. Zentraler Aspekt ist die Minderung der Schmackhaftigkeit. Eine aversive Konditionierung von Tieren führt dazu, dass diese gelernt haben, dass bestimmte Pflanzen für sie nachteilig sind und sie diese deshalb meiden. Es besteht eine enge Beziehung zwischen hoher Blausäure-Bildung/-Freisetzung und verringerndem Insekten- bzw. Tierfraß. Nachdem die Rolle von sekundären Pflanzenstoffen bei den Pflanzen-Tier-Interaktionen entdeckt wurde, änderte sich nach Meinung von Kakes (1990) die Ansicht, es handele sich bei den cyanogenen Glykosiden um Abfallprodukte des Primärstoffwechsels der Pflanze. Diese Entdeckung und die voneinander getrennte Lokalisation der cyanogenen Glykoside und der Enzyme in der Pflanzenzelle führten dann dazu, dass den cyanogenen Glykosiden häufig eine Schutzfunktion gegen Fraßfeinde zugeschrieben wurde (Kakes, 1990; Harborne, 1995; Heldt, 1999). Laut Hruska (1988) gibt es aber viele Studien, die diese Hypothese nicht unterstützen. Harborne (1995) verwies auf Jones‘ (1988) Untersuchungen, in denen gezeigt werden konnte, dass z. B. bei Klee nicht unbedingt HCN die abschreckendste Verbindung ist. Untersucht wurden die Wechselbeziehungen zwischen Klee und Nacktschnecken, wobei man zur Erkenntnis kam, dass die Schnecken eher durch das freigesetzte Keton als durch HCN vom Fressen abgehalten wurden. Michelangeli und Rodriguez (2005) konnten für die
Pflanzenarten, die auch Linamarin und Lotaustralin als cyanogene Glykoside aufweisen, sind: Weiß- (
Eine Menge wirtschaftlich bedeutender Futterpflanzen sind cyanogen und haben Cyanidvergiftungen bei Tieren, aber auch beim Menschen, verursacht (Poulton und Li, 1994). Ein gesundheitliches Risiko für Menschen und Haustiere ist allerdings nur bei Nutzpflanzen gegeben, die hohe Gehalte von cyanogenen Glykosiden in den essbaren Teilen aufweisen (Nelson, 1953; Oluwole et al., 2000). In der Literatur stößt man auf sehr unterschiedliche Angaben, was die Anzahl der cyanogenen Pflanzen betrifft: Gleadow und Woodrow (2002) geben an, dass mehr als 2500 Pflanzen die Kapazität zum Freisetzen von Blausäure besitzen und beziehen sich mit dieser Aussage auf Conn (1980), Jones (1988) sowie Seigler (1998). Laut Baltes (2007) treten über 1000 cyanogene Pflanzen auf. Bereits Poulton und Li (1994) gaben an, dass in mehr als 3000 Pflanzenarten aus 110 Familien Cyanogenese betrieben wird. Die Cyanogenese ist demnach von den Farnen bis hin zu den Angiospermen überall anzutreffen. Bereits Erb et al. (1981) berichteten von der Identifizierung der cyanogenen Glykoside aus den Samen von Dinkel, den Blütenständen von Bergroggen und den Samen von Mohrenhirse. Durch die verschiedenen örtlichen Gegebenheiten ergeben sich unterschiedliche Präferenzen und Möglichkeiten (Poulton und Li, 1994). Viele cyanogene Vorzeigepflanzen werden als Nahrungsmittel, die speziell in den Tropen eine größere Bedeutung erlangt haben, genutzt. Darunter befinden sich zum Beispiel Maniok, Yamswurzel, Süßkartoffel, Zuckerhirse sowie Zuckerrohr, Bambus, Leinsamen und Limabohne.
Diesen Pflanzen kommt in Europa allerdings eine geringere Bedeutung zu. In Europa spricht man vor allem bei
Auch Mais (
Aufgrund der Bedeutung von Hirse (
Die Mohrenhirse wird systematisch in die Familie der
Sowohl in den Samen als auch in der älteren
Cheeke und Shull (1985) gehen davon aus, dass aus
In Weißklee wurde die Cyanogenese besonders intensiv untersucht (Conn, 1980; Taylor, 2008). Die Ursache dafür, dass diese Pflanzen oft für Studien herangezogen wurden, liegt zum einen in ihrer Bedeutung als Weidepflanzen der gemäßigten Breiten, zum anderen stellt die Cyanogenese bei diesen Arten ein genetisch variables Merkmal dar (Harborne, 1995). In Weißkleepflanzen liegen Linamarin und Lotaustralin vor (Melville und Doak, 1940; Keller et al., 1999; Bjarnholt et al., 2008). Genetiker erkannten früh den in Weißklee auftretenden chemischen Polymorphismus und konnten durch verschiedene Züchtungsexperimente die Kontrolle der Cyanogenese durch zwei Gene aufzeigen (Harborne, 1995). Die entsprechenden Gene sind in der Literatur unter der Bezeichnung
Harborne (1995) weist darauf hin, dass laut den Ergebnissen von Daday (1954; 1958) ein enger Zusammenhang zwischen der Winterisotherme und der Häufigkeit der Cyanogenese besteht. Je höher demnach die Januarisotherme liegt, desto häufiger trifft man in einer Population auf Cyanogenese. Bei höheren Januarisothermen sind auch die Pflanzenfresser das ganze Jahr über aktiv, was eine Begründung für die häufigere Cyanogenese sein kann. Dagegen dominieren bei Standorten mit niedriger Januarisotherme die nicht cyanogenen Kleepopulationen, was wiederum durch die kalten Winter und die damit verbundene geringere Anzahl aktiver Pflanzenfresser erläutert werden kann (Vickery et al., 1987). Die Cyanogenesehäufigkeit bei mitteleuropäischen Populationen beträgt 20–50 %, wodurch die mitteleuropäischen Populationen eine Zwischenstellung einnehmen (Vergleich mit England und Zentralrussland) (Harborne, 1995). Innerhalb der verschiedenen Weißkleesorten treten allerdings auch starke Schwankungen bei den Gehalten von Linamarin und Lotaustralin auf (Keller et al., 1999). Der höhere Gehalt an Linamarin und Lotaustralin kennzeichnet eine stärker ausgeprägte Resistenz gegenüber Insektenbefall (Ellsbury et al., 1992).
Cheeke und Shull (1985) unterstellen Weißklee moderate Linamaringehalte, sodass man nicht generell davon ausgehen kann, dass es aufgrund der cyanogenen Aktivität zu Problemen im Viehbestand kommt. Lehmann et al. (1990) wiesen für Zuchtsorten in der Schweiz variierende HCN-Gehalte aus, die von 15–400 mg HCN/kg TM bis zu hohen Werten von 900 mg HCN/kg TM bei Weißklee reichten. Stochmal und Oleszek (1997) erforschten die Veränderung der Gehalte von cyanogenen Glykosiden während der Vegetationsperiode in Polen. Durchgeführt wurden die Untersuchungen im Zeitraum 1993 bis 1995 an sieben polnischen Weißkleesorten und der Referenzsorte Milkanova. Das Ziel der Autoren bestand darin, die Auswirkungen der Jahreszeit auf die cyanogene Syntheserate zu demonstrieren und damit aufzuzeigen, wie wichtig der Zeitpunkt der Probennahme ist. Die Ergebnisse zeigen, dass HCN-Variation in einem Bereich von 200–500 mg HCN/kg TM für Weißklee zwischen Winter und spätem Frühling möglich ist. Die sieben Weißkleesorten wiesen alle eine ähnliche Art der Akkumulation der cyanogenen Glykoside auf. Die Autoren beobachteten die höchsten Konzentrationen in den Monaten Mai bis Juni, anschließend eine schnelle Abnahme im Juli und darauffolgend einen allmählichen Anstieg im Monat August. Im Herbst wurden mit dem Frühling vergleichbare Konzentrationen festgestellt. Laut Stochmal und Oleszek (1997) wurde bei Temperaturschwankungen in einem Bereich von 5–15 °C keine Beeinflussung des cyanogenen Gehaltes der Pflanzen festgestellt. Die Autoren konnten damit vorhergehende Untersuchungen von anderen Forschern bestätigen. Laut Hayden und Parker (2002) treten bei moderaten, konstanten Temperaturen die höchsten cyanogenen Glykosidgehalte auf, bei extremen Temperaturwerten, d. h. sowohl bei höheren als auch bei kälteren Bedingungen, treten dagegen niedrigere Gehalte auf. Vermutet wurde, dass die Verringerung der Cyanogenese bei niedrigen Temperaturen einen adaptiven Nutzen haben könnte, außerdem war es für die Autoren denkbar, dass Weißklee die Verringerung minimiert, wenn durch Kälte Belastungen entstehen. Hayden und Parker (2002) konnten außerdem das Verteilungsmuster von Kleepflanzen, aufgrund einer Temperatur-Höhenlage-Korrelation, bestätigen. Es wurde übereinstimmend zu vorhergehenden Untersuchungen festgestellt, dass Weißklee-Populationen bei ansteigender Höhenlage eine geringere Expression der Cyanogenese aufweisen. Kakes (1987) konnte diese Korrelation allerdings für die Niederlande nicht bestätigen. Cheeke und Shull (1985) haben berichtet, dass Weißklee im Hochsommer häufig von den Tieren gemieden wird. Dieses Verhalten führen sie auf die entwickelte verminderte Schmackhaftigkeit (vermutlich aufgrund von Bitterkeit) zurück, für deren Entstehung die cyanogenen Glykoside verantwortlich sein könnten. Hayden und Parker (2002) fanden im Zuge ihrer Untersuchungen heraus, dass es sich bei Weißklee nicht um eine induzierte Verteidigung im klassischen Sinne handelt, da kein intrazellulärer Anstieg der entsprechenden Verbindungen als Antwort auf Herbivorie nachweisbar war. Im Gegenteil, die Cyanogenese findet in vielen Geweben der Pflanze als Signalstoff statt, welcher an der Regulierung der Stressresistenz beteiligt ist (Siegień und Bogatek, 2006; Kooyers et al., 2014).
Beim Vergleich dieser Ansicht von Cheeke und Shull (1985) und den Untersuchungen von Stochmal und Oleszek (1997) mit den Untersuchungsergebnissen von Hayden und Parker (2002) erscheint es zunächst so, als ob Widersprüche vorliegen würden. Hayden und Parker (2002) haben ihre Untersuchungen an einer kalifornischen Weißkleeart vom Straßenrand durchgeführt. Wenn man nun die Verteilung der Cyanogenese anhand der mittleren Jahrestemperaturen zugrunde legt, liegt die Vermutung nahe, dass für die Untersuchungen eine Weißklee-Population gewählt wurde, die aufgrund ihres natürlichen Ursprunges bereits über ein hohes HCN-Bildungspotenzial verfügte. Somit könnten Hayden und Parker (2002) gar keinen Anstieg nachweisen, da die Pflanze kontinuierlich über eine hohe Konzentration verfügt, um sich zu schützen. Zudem wurden die Untersuchungen unter Temperaturen durchgeführt, die keine zuverlässige Grundlage darstellen. Im Gegensatz dazu konnten Schubiger et al. (1997) anhand eines Versuchs in der Schweiz mit 24 untersuchten Sorten die geringere Freisetzung cyanogener Glykoside durch großblättrige Ladino-Typen nachweisen. Außerdem wurde ebenfalls die Korrelation zwischen freigesetzter Blausäure, Jahreszeit und Sorte nachgewiesen. In der folgenden Tabelle 1 sind die Resultate dieses Versuchs festgehalten. Tabelle 1 verdeutlicht die Korrelation zwischen den Gehalten und der Jahreszeit. Zum Zeitpunkt des dritten Aufwuchses weisen alle Sorten die geringsten Gehalte auf, was auf die höhere Temperatur zurückzuführen ist. Angesichts der gravierenden Sortenunterschiede werden z. B. in der Schweiz die Blausäuregehalte bei der Sortenprüfung berücksichtigt (Keller et al., 1999; Boller et al., 2007).
Für die Schweiz empfohlene Sorten mit ihrer Blausäurebildung (Mittelwerte von zwei Jahren, nach Schubiger et al., 1997)
Table 1. Recommended cultivars for Switzerland including content of cyanogenic glycosides (mean values of two years, according to Schubiger et al., 1997)
Sorte | Blausäurebildung (mg HCN/kg TM) | ||
---|---|---|---|
1. Aufwuchs | 3. Aufwuchs | 5. Aufwuchs | |
Scarvasi 4 | 14 | 10 | 22 |
Regal | 143 | 70 | 176 |
Merit | 253 | 83 | 255 |
N.F.G. Gigant | 493 | 257 | 458 |
Alban | 511 | 275 | 455 |
Milkanova | 627 | 227 | 507 |
Milo | 671 | 254 | 503 |
Osceola | 649 | 309 | 606 |
Sonja | 824 | 423 | 640 |
Die Möglichkeit, im Pflanzenreich wirksame und natürliche Alternativen zum Verbot antibiotischer Futterzusatzstoffe mit leistungsfördernder Wirkung aufzufinden, führen zu wiederkehrendem Interesse an den sekundären Pflanzenstoffen, welche als Futterzusatzstoffe den Weg in die Ernährung der Nutztiere finden. Aufgrund der Vielzahl von existierenden Substanzen sind die Wirkungen auf den Tierkörper auch sehr unterschiedlich.
Die Gesundheit eines Weidetieres muss nicht immer von der Aufnahme einer giftigen Pflanze beeinflusst werden. Laycock (1987) führte als mögliche Adaptionen für größere Herbivore folgende Punkte auf: 1. eine „generalisierte“ Ernährung (die Möglichkeit, toxische oder giftige Pflanzen aufzunehmen, ist gering); 2. giftige Pflanzen können entdeckt und gemieden werden; 3. die Fähigkeit, Pflanzengifte zu entgiften, ist vorhanden. Bei Wiederkäuern geht eine mikrobielle Fermentation der normalen Magen-Darm-Aktivität vor. Aus Versuchen ist die Anpassung von Schafen an Futter mit cyanogenem Klee bekannt. Dem Futter wurden dabei immer kleine Mengen des Giftes zugefügt, und es stellte sich heraus, dass diese Tiere mehr HCN tolerierten als Tiere, die kein Gift mit dem Futter aufgenommen hatten. Laut Laycock (1987) werden native Großwildtiere gelegentlich durch die Aufnahme von Pflanzen vergiftet, größere Verluste treten seiner Meinung nach aber nur in Gebieten auf, wo Überpopulationen auftreten und Überweidung stattfindet. In solchen Gebieten wurden die ungiftigen Pflanzen häufig bereits aufgezehrt. Crush und Caradus (1995) erläuterten auch, dass vor allem hungrige Tiere gefährdet sind, die sich aus Ermangelung besseren Futters cyanogenen Pflanzen zuwenden und sich dann durch eine schnelle Futteraufnahmerate auszeichnen.
Laut Meiser et al. (2000) sind Wiederkäuer aufgrund ihres Pansens besonders beeinträchtigt durch cyanogene Glykoside. Einerseits stellt der Pansen einen speziellen Bereich dar, der deutlichere Effekte bei aufgenommenen Giftstoffen zeigen kann (Cheeke und Shull, 1985). Cheeke und Shull (1985) erklärten, dass die Mikroorganismen des Pansens in der Lage sind, die entsprechenden Enzyme zu produzieren, welche die cyanogenen Glykoside spalten und das HCN bilden können. In etwa 50 % der Pansenbakterien weisen eine β-Glykosidaseaktivität auf. Die β-D-Glykoside werden nicht gewöhnlich hydrolysiert, sondern absorbiert und intakt mit dem Urin ausgeschieden (Majak, 2001). Die Dissoziation der cyanogenen Glykoside ist eine pH-Wert-abhängige Reaktion. Die enzymatische Hydrolyse der cyanogenen Glykoside wird durch einen hohen pH-Wert beschleunigt. Allerdings kann im Pansen auch eine Detoxifizierung auftreten. Anderseits, aufgrund des hohen pH-Wertes, läuft die HCN-Freisetzung bei Wiederkäuern schneller ab als im sauren Milieu von monogastrischen Tieren. Dies ist gleichzeitig auch der Grund dafür, warum Wiederkäuer sensibler auf cyanogene Glykoside reagieren (Cheeke und Shull, 1985). In monogastrischen Tieren ist die höhere Region des Verdauungstraktes größtenteils frei von β-Glykosidaseaktivität. Bei einer beschleunigten Hydrolyse entsteht HCN und entweder ein Aldehyd (wenn es sich um Prunasin handelt, entsteht Benzaldehyd) oder ein Keton (im Falle von Linamarin tritt Aceton auf). Wie bereits beschrieben, ist die biologische Aktivität der Glykoside normalerweise durch die chemische Struktur der Aglykone bedingt (Majak, 2001) und HCN ist leicht absorbierbar. Melzig et al. (2004) erläuterten die Resorbierbarkeit von HCN über den Respirationstrakt, den Verdauungstrakt sowie über die Haut.
Aufgrund der Bedeutung von Weißklee soll folgend demonstriert werden, inwiefern dieser eine Problematik für die Wiederkäuer darstellt. Meiser et al. (2000) konnte nachweisen, dass Rinder, die mit Weißklee, Gras, Grasheu und Weißkleeheu gefüttert wurden, 8,3- bis 8,6-fach höhere Cyanidkonzentrationen im Pansensaft und den Blutproben aufwiesen im Vergleich zu den Rindern, die mit Maissilage (sowohl GPS als auch CCS) gefüttert wurden. Weißklee stellt eine gute Futterpflanze dar, er fördert die Futteraufnahme, aber je nach HCN-Gehalt sollte man sein Vorkommen auf Wiesen und Weide auf einen Bereich zwischen 20–30 % beschränken (Schubiger et al., 1997). Die Toxizität von Kleegras beruht auf dem HCN-Gehalt des aufgenommenen Futters und der Ausgewogenheit zwischen Absorption von HCN und seiner Entgiftung durch das Tier (Crush und Caradus, 1995). Schubiger et al. (1997) erläuterten, dass die Gehalte an HCN bei Weißklee durch die „Verarbeitung“ reduziert werden: Im Freien getrockneter Weißklee bildet demnach noch 85 % und als Silage verarbeiteter Weißklee noch 76 % der Blausäuremenge, die frischer Weißklee freisetzen kann. Als Futterpflanzen sind für Schafe nur solche zu empfehlen, die weniger als 20 μg HCN/g enthalten (Behrens et al., 2001).
Es ist bemerkenswert, dass praktisch für alle hauptmetabolischen Funktionen in Tieren ein Inhibitor für die entsprechende Funktion im Pflanzenreich existiert (Cheeke und Shull, 1985). Für Menschen gelten Blut-Cyanidkonzentrationen von 100–200 μM als tödlich, in einem Bereich von >40 μM werden die Konzentrationen als toxisch angesehen (Meiser et al., 2000). Der Grenzwert der Europäischen Union und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Cyanide im Trinkwasser basieren beide auf Gesamt-Cyaniden und liegen bei 50 μg/l (EU, 2007) (1,9 μM) und 70 μg/l (WHO, 1996) (2,7 μM). Das gebildete Cyanid ist toxisch, da die Atmungskette der Zelle durch Hemmung des Enzyms Cytochrom-Oxidase, neben anderen stoffwechselrelevanten Abläufen, blockiert wird (Majak, 2001). Vergiftungen, die durch die orale Aufnahme von Cyaniden ausgelöst werden, führen innerhalb weniger Minuten zum Tod. Diese Zeitspanne verkürzt sich auf wenige Sekunden bis Minuten, wenn es sich beim Auslöser um Blausäuredämpfe handelt (Behrens et al., 2001). Die Ursache für die Schnelligkeit dieser Vergiftung liegt in der zügigen Diffusionsgeschwindigkeit, mit der Blausäure durch biologische Membranen diffundieren kann (Kupper und Demuth, 2010). Die Vergiftungen durch die Aufnahme von cyanogenen Pflanzen weisen dagegen eine längere Latenz auf. Bedingt durch die Freisetzung des Cyanids rechnet man mit wenigen Stunden (Behrens et al., 2001).
Wie bereits erwähnt wurde, reagieren Wiederkäuer besonders empfindlich auf Cyanidvergiftungen, was sich durch die beschleunigte Freisetzung der Cyanide im Pansen, ausgelöst durch die Enzyme der Mikroorganismen, erklären lässt (Cheeke und Shull, 1985; Kupper und Demuth, 2010). Rinder sind wenig anfällig für eine Vergiftung, wenn ein geringer Pansen-pH-Wert vorliegt, und anfälliger nach einem 24-bis 48-stündigen Fasten. Dies ist wichtig, da die Dissoziationsrate von Cyanid pH-Wert-abhängig ist. Hohe Dissoziationsraten finden bei pH > 6 statt und geringere bei pH-Werten zwischen 5 und 6 (Majak et al., 1990). Harborne (1995) gibt an, dass ein angepasstes Schaf Cyanidmengen von 15–50 mg HCN/kg Körpergewicht toleriert, wohingegen nicht angepasste Tiere durch eine Dosis von 2,4 mg/kg Körpergewicht getötet werden können. Kupper und Demuth (2010) weisen für Wiederkäuer Werte von 1–10 mg/kg Körpergewicht als minimale, letale (orale) Dosis aus. Bei Schafen wird eine aufgenommene Blausäuremenge von etwa 4 mg/kg Körpergewicht auch von Behrens et al. (2001) als tödlich angesehen.
Der Weißklee stellt, trotz seiner sortenspezifisch schwankenden cyanogenen Glykosidgehalte, eine bedeutende Futterpflanze dar. Aufgrund dessen wurde die Cyanogenese bei Weißklee intensiv untersucht und es konnte aufgezeigt werden, dass zwei Gene (
Die Diskussion über die cyanogenen Glykoside wird weltweit mit sehr unterschiedlicher Relevanz geführt. In der Schweiz werden die Gehalte von Weißkleesorten bei der Sortenprüfung berücksichtigt, in Deutschland hingegen reicht es lediglich für einen Vermerk in der Empfehlungsliste. Pflanzenzüchter plädieren dafür, den cyanogenen Glykosiden mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Steigt der Gehalt von Blausäure, wie bei zunehmender Sommertrockenheit, steigt somit auch die Vergiftungsgefahr bei Menschen und Tieren.