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Einleitung und Fragestellungen

In der Vergangenheit wurde der Einfluss der Anbautechnik auf die ernährungsphysiologische Qualität von Lebensmitteln untersucht, im Zuge dessen weckten die sekundären Pflanzeninhaltsstoffe das Interesse der Forschung. In der vorliegenden Arbeit wird auf die Bedeutung der Cyanogenese von Futterpflanzen und deren mögliche anti-nutritive Wirkung auf Wiederkäuer eingegangen. Laut Gleadow und Woodrow (2002) bezeichnet die Cyanogenese einen Prozess, bei dem es zur Freisetzung von Blausäure aus cyanidhaltigen endogenen Substanzen kommt. Blausäure (HCN) ist ein starkes Atmungsgift, welches in Pflanzen gebunden in Form von cyanogenen Glykosiden vorkommt. Diese cyanogenen Glykoside sind stabil und nicht giftig, solange das Glykosid nicht von der erforderlichen Glykosidase gespalten wird (Heldt, 1999; Verdoucq et al., 2004). Ziel dieser Arbeit ist es, den aktuellen Wissensstand zur Thematik der Cyanogenese in der Wiederkäuerernährung aufzuzeigen. Dabei soll erläutert werden, welche Futterpflanzen mit Blausäure in Verbindung gebracht werden. Wie viel Blausäure enthalten Futterpflanzen? Welche Funktion(en) erfüllt/en die Blausäure für die Pflanze und ändern sich die Blausäuregehalte unter bestimmten physiologischen oder klimatischen Bedingungen? Des Weiteren soll die vorliegende Arbeit auf die Wiederkäuer eingehen: Wie und wann nehmen Wiederkäuer diese Pflanzen auf, welche Probleme ergeben sich daraus für das Tier? Von besonderem Interesse ist die Frage, ob Wiederkäuer über Entgiftungsmechanismen verfügen und welche Grenzwerte aufgestellt werden können.

Grundlagen der Cyanogenese
Cyanogene Pflanzeninhaltsstoffe

Cyanogene Glykoside entstehen in der Pflanze aus den unterschiedlichen L-Aminosäuren (Vetter, 2000; Sun et al., 2018), wie z. B. L-Phenylalanin, L-Valin, L-Tyrosin, L-Isoleucin und L-Leucin, welche als Vorstufen der meisten cyanogenen Glykoside auftreten (Poulton und Li, 1994). Die Bildung von cyanogenen Glykosiden (Abbildung 1) beginnt mit der Hydroxylierung und der Decarboxylierung der Aminosäuren, wobei aus der Carboxyl- und der Aminogruppe sowie der N-Hydroxylaminosäure CO2 und H2O abgespalten werden und ein Aldoxim gebildet wird. Als Nächstes reagiert das Aldoxim durch eine Dehydratisierung zu Nitril. Dieses wird erneut hydroxyliert, und es entsteht ein ɑ-Hydroxynitril. Cyanogene Glykoside entstehen schlussendlich durch die Glykosylierung dieses ɑ-Hydroxynitrils.

Abbildung 1

Bildung von cyanogenen Glykosiden aus L-Aminosäuren. 1–6: beteiligte Enzyme: 1 – L-Aminosäure-N-Monooxygenase; 2 – N-Hydroxy-Aminosäure-Dehydrogenase (oxidative Decarboxylierung); 3 – Aldoxim-Monooxigenase; 4 – Aldoxim-Deydratase; 5 – Nitril-Monooxygenase, 6 – Glykosyl-Transferase; R1 und R2: Alkylreste oder R1 = Arylrest bzw. Alkylrest und R2 = –H (adaptiert nach Teuscher et al., 2004; Luckner, 1990)

Figure 1. Formation of cyanogenic glycosides from amino acids. 1–6: involved enzymes: 1 – L-amino acid N-monooxygenase; 2 – N-hydroxy amino acid dehydrogenase (oxidative decarboxylating); 3 – aldoxime monooxygenase; 4 – aldoxime dehydratase; 5 – nitrile monooxygenase; 6 – glucosyl-transferase; R1 and R2: alkyl-residues or R1 = aryl- or alkyl-residues and R2 = –H (adapted according to Teuscher et al., 2004; Luckner, 1990)

Zu den am häufigsten vorkommenden natürlichen cyanogenen Glykosiden zählen nach Harborn (1995) Linamarin und Lotaustralin. Nach Kakes (1990) kommen diese beiden Glykoside häufig zusammen in Pflanzen vor (z. B. in Maniok, Flachs und Weißklee). Kakes (1990) schlägt eine Unterscheidung der cyanogenen Substanzen nach ihrem Aglykon sowie der Zuckerkomponente vor. Die cyanogenen Substanzen können laut Kakes (1990) größtenteils auch nach ihrem Aglykon und ihrer Zuckerkomponente unterschieden werden. Da es sich bei den Aglykons in den meisten Fällen um ɑ-Hydroxynitrile handelt, ordnet er die cyanogenen Substanzen anhand ihrer Reste den jeweiligen Präkursoren zu: Handelt es sich bei den Resten um aliphatische Verbindungen, so erläutert Kakes (1990), dass die Aglykons von Valin, Isoleucin oder Leucin abgeleitet sind. Sind es phenolische Verbindungen, so stammen die Agylkons von Phenylalanin oder Tyrosin ab. Kakes (1990), Luckner (1990) und Harborne (1995) sind sich demnach über die Einteilung einig und erläutern die Entstehung von Lotaustralin, Amygdalin (bei Mandeln, Prunus dulcis) und Dhurrin (bei Hirse, Sorghum bicolor) wie folgt: Valin führt zu Linamarin; Phenylalanin zu Amygdalin, Prunasin und Sambunigrin; Isoleucin zu Lotraustralin; Leucine zu Proacacipetalin; und Tyrosin zu Dhurrin und Taxiphyllin. Blausäure wurde erstmals durch den deutsch-schwedischen Chemiker Carl Scheele im Jahr 1782 entdeckt. Ihm wird die Entdeckung von Wein-, Milch-, Chlor- und Blausäure zugeschrieben. Die Erkenntnis, dass es sich bei Blausäure um ein Gift handelt, kam erst später. Preyer (1868) beschrieb Blausäure als das stärkste, physiologisch allerdings nur wenig untersuchte Gift. Aus Methan und Ammoniak lässt sich Cyanwasserstoff (HCN) synthetisch herstellen, wobei sich dieser Prozess durch hohe Temperaturen beschleunigen lässt. Bei HCN handelt es sich um eine sehr giftige, flüchtige und in Wasser gut lösliche Flüssigkeit bzw. wenig dissoziierte Säure. Neutralisiert man die Säure, so erhält man die genauso giftigen Cyanide (Schwarz-Schenk, 1966). Blausäure ist gekennzeichnet durch ihren charakteristischen Bittermandelgeruch, der laut Harborne (1995) allerdings nicht von jedem wahrgenommen werden kann.

Laut Kakes (1990) wurde kein ungebundener HCN in einer intakten Pflanze gefunden, sodass die Freisetzung des HCN an das Vorhandensein der jeweiligen Speicherform gebunden ist. Cyanogene Glykoside, die in einer intakten Pflanze als Speicherform von HCN vorliegen können, sind ungiftig. Erst die freigesetzte Blausäure, explizit die Cyanidionen, entfalten die toxische Wirkung. Freie Cyanidionen weisen eine hohe Schwermetallaffinität auf, was die Ursache dafür ist, dass die Cyanidionen eine Komplexbildung mit den Fe3+-Zentralatomen der Cytochrom-Oxidase eingehen. Die Cytochrom-Oxidase ist ein Enzym der Atmungskette, und durch Komplexbildung kann kein Sauerstoff mehr aktiviert werden (Eichner und Karel, 1972). Dadurch wird die Zellatmung blockiert, wodurch wiederum ein Energiedefizit ausgelöst wird, welches speziell auf das Zentralnervensystem Auswirkungen hat und schlussendlich zu tödlicher Atemlähmung führen kann (Melzig et al., 2004). Für die Behandlung einer Cyanidvergiftung ist entscheidend, dass die von dem Cyanid eingegangene Komplexbildung vollständig reversibel ist. So wird bei Cyanidvergiftungen (vor allem beim Menschen) schnellstmöglich zu einem Antidot, wie Natriumthiosulfat und 4-Dimethylaminophenol, gegriffen (Melzig et al., 2004).

Funktionen cyanogener Pflanzeninhaltsstoffe

Wie bereits im vorherigen Kapitel beschrieben, versteht man unter der Cyanogenese die Fähigkeit eines Organismus, Blausäure freizusetzen. Cyanogene Substanzen wurden auch von einer Vielzahl von Organismen isoliert, wobei die Glykoside nur bei Pflanzen und Insekten festgestellt wurden. Verschiedene Pflanzen synthetisieren eine oder mehrere cyanogene Glykoside, wobei das Spektrum der gebildeten Verbindungen und deren Konzentrationen stark von der Pflanzenart und vom Entwicklungsstadium abhängig sind (Frehner et al., 1990). Die Cyanogenese beruht auf der Existenz von Cyaniden, welche wiederum in natürlichen Verbindungen in begrenzter Anzahl vorhanden sind. Cyanide können u. a. durch die Hydrolyse von Glucosinolaten entstehen und sind in der Lage, Blausäure bei ihrer Degeneration freizusetzen. Bei den dokumentierten cyanogenen Glykosiden handelt es sich laut Poulton und Li (1994) um O-ß-Glykosid-Derivate von ɑ-Hydroxynitrilen. Wenn es bei cyanogenen Glykosiden und Lipiden zum Entfernen des Zuckers oder des jeweiligen Fettsäureanteils kommt, reagieren sie mit der Abspaltung einer Carbonylverbindung und Blausäure.

Der Vielzahl an cyanogenen Pflanzenarten steht nur eine relativ geringe Anzahl an cyanogenen Substanzen gegenüber. Da die Entstehung von Blausäure in höheren Pflanzen aber häufig aus dem Abbau von cyanogenen Glykosiden resultiert (Poulton und Li, 1994), wird überwiegend über die cyanogenen Glykoside berichtet. Cyanogenese wurde in über 3000 Pflanzenspezies, aus 110 unterschiedlichen Familien, beobachtet (Poulton und Li, 1994). In den Familien von Linaceen, Fabaceen, Rosaceen und Compositae sind etwa 70 unterschiedliche Formen von cyanogenen Glykosiden beschrieben worden (Vetter, 2000; Sun et al., 2018). Die Freisetzung von Blausäure nach Gewebeschädigung einer Pflanze erfordert allerdings nicht nur die cyanogenen Substanzen, sondern auch die dementsprechenden Enzyme (Hayden und Parker, 2002; Verdoucq et al., 2003; 2004). Die Glykosidasen hydrolysieren spezifisch und werden entsprechend dem zu hydrolysierenden Glykosid (z. B. Linamarase bei Linamarin) benannt.

Cyanogene Inhaltsstoffe als Fraßschutz

Wenn Pflanzengifte sich als Verteidigungsmechanismus auf verschiedenen Wegen entwickelt haben, beinhalten sie möglicherweise Funktionen wie hohe Toxizität oder andere giftige Eigenschaften. Zentraler Aspekt ist die Minderung der Schmackhaftigkeit. Eine aversive Konditionierung von Tieren führt dazu, dass diese gelernt haben, dass bestimmte Pflanzen für sie nachteilig sind und sie diese deshalb meiden. Es besteht eine enge Beziehung zwischen hoher Blausäure-Bildung/-Freisetzung und verringerndem Insekten- bzw. Tierfraß. Nachdem die Rolle von sekundären Pflanzenstoffen bei den Pflanzen-Tier-Interaktionen entdeckt wurde, änderte sich nach Meinung von Kakes (1990) die Ansicht, es handele sich bei den cyanogenen Glykosiden um Abfallprodukte des Primärstoffwechsels der Pflanze. Diese Entdeckung und die voneinander getrennte Lokalisation der cyanogenen Glykoside und der Enzyme in der Pflanzenzelle führten dann dazu, dass den cyanogenen Glykosiden häufig eine Schutzfunktion gegen Fraßfeinde zugeschrieben wurde (Kakes, 1990; Harborne, 1995; Heldt, 1999). Laut Hruska (1988) gibt es aber viele Studien, die diese Hypothese nicht unterstützen. Harborne (1995) verwies auf Jones‘ (1988) Untersuchungen, in denen gezeigt werden konnte, dass z. B. bei Klee nicht unbedingt HCN die abschreckendste Verbindung ist. Untersucht wurden die Wechselbeziehungen zwischen Klee und Nacktschnecken, wobei man zur Erkenntnis kam, dass die Schnecken eher durch das freigesetzte Keton als durch HCN vom Fressen abgehalten wurden. Michelangeli und Rodriguez (2005) konnten für die Miconieae (Melastomataceae) nachweisen, dass die cyanogenen Glykoside nicht verantwortlich waren für den Schutz gegen Insektenfraß in nicht durch Ameisen verteidigten Pflanzenarten. Die Hypothese, nach der die cyanogenen Glykoside als Schutz vor Osmose fungieren, wurde auch in Betracht gezogen (Busk und Møller, 2002). Für diese mögliche Funktion sind hohe Gehalte von cyanogenen Glykosiden in einem bestimmten Zelltyp oder Gewebe nötig. Eine Pflanze wird selten durch ihren Verteidigungsmechanismus vollends vor Tierfraß geschützt (Laycock, 1987). Die Autoren führten als Beispiel Insekten auf, die sich auf eine giftige Pflanzenart spezialisiert haben, weil sie deren giftige Substanz selbst zum Markieren benutzen. Die Futterselektion der Tiere wirkt sich stark auf die Effektivität der cyanogenen Glykoside aus (Compton und Jones, 1985). Die Ansicht, welche den cyanogenen Glykosiden eine Schutzfunktion zuschreibt, hat sich für einige Pflanzenspezies etabliert (Kakes, 1990). Laut Heldt (1999) verteidigen sich 10 % aller Pflanzen durch den Einsatz von Blausäure.

Pflanzenarten, die auch Linamarin und Lotaustralin als cyanogene Glykoside aufweisen, sind: Weiß- (Trifolium repens) und Hornklee (Lotus corniculatus) und gemeiner Lein (= Flachs, Linum usitatissimum). Dagegen findet man in Steinobstkernen Amygdalin, in Dinkel (Triticum spelta) und Hirse (Sorghum bicolor) das cyanogene Glykosid Dhurrin (Lindner, 1990; Harborne 1995). Von entscheidender Bedeutung für die Toxizität der cyanogenen Pflanzen ist die Pflanzenart, das Pflanzenalter (Møller, 2010), welches Pflanzengewebe aufgenommen wurde und vor allem, ob vor dem Verzehr eine Behandlung im Sinne von Lagerung, Schälen, Kochen, Extrahieren usw. durchgeführt wurde (Conn, 1980). Im Weiteren wirken cyanogene Glykoside durch Anreicherung im Gewebe gegen abiotischen Stress (Ballhorn et al., 2008, 2014), wobei die Toleranz gegen Dürre, Temperatur, oxidativen und Nährstoffstress ansteigt (Burke et al., 2013).

Blausäuregehalte ausgewählter Futterpflanzen

Eine Menge wirtschaftlich bedeutender Futterpflanzen sind cyanogen und haben Cyanidvergiftungen bei Tieren, aber auch beim Menschen, verursacht (Poulton und Li, 1994). Ein gesundheitliches Risiko für Menschen und Haustiere ist allerdings nur bei Nutzpflanzen gegeben, die hohe Gehalte von cyanogenen Glykosiden in den essbaren Teilen aufweisen (Nelson, 1953; Oluwole et al., 2000). In der Literatur stößt man auf sehr unterschiedliche Angaben, was die Anzahl der cyanogenen Pflanzen betrifft: Gleadow und Woodrow (2002) geben an, dass mehr als 2500 Pflanzen die Kapazität zum Freisetzen von Blausäure besitzen und beziehen sich mit dieser Aussage auf Conn (1980), Jones (1988) sowie Seigler (1998). Laut Baltes (2007) treten über 1000 cyanogene Pflanzen auf. Bereits Poulton und Li (1994) gaben an, dass in mehr als 3000 Pflanzenarten aus 110 Familien Cyanogenese betrieben wird. Die Cyanogenese ist demnach von den Farnen bis hin zu den Angiospermen überall anzutreffen. Bereits Erb et al. (1981) berichteten von der Identifizierung der cyanogenen Glykoside aus den Samen von Dinkel, den Blütenständen von Bergroggen und den Samen von Mohrenhirse. Durch die verschiedenen örtlichen Gegebenheiten ergeben sich unterschiedliche Präferenzen und Möglichkeiten (Poulton und Li, 1994). Viele cyanogene Vorzeigepflanzen werden als Nahrungsmittel, die speziell in den Tropen eine größere Bedeutung erlangt haben, genutzt. Darunter befinden sich zum Beispiel Maniok, Yamswurzel, Süßkartoffel, Zuckerhirse sowie Zuckerrohr, Bambus, Leinsamen und Limabohne.

Diesen Pflanzen kommt in Europa allerdings eine geringere Bedeutung zu. In Europa spricht man vor allem bei Prunus-Arten (Bittermandeln, Aprikosen-, Pfirsich-, Pflaumen-, Kirschkerne), Gemüsebohnen, Gartenerbse, Lein, Hirse und Weißklee von cyanogenen Pflanzen (Lindner, 1990; Sun et al., 2018). Die Futterpflanzen, die in der gemäßigten Klimazone von Bedeutung sind, können den ein- und zweikeimblättrigen Pflanzen zugeordnet werden. Es handelt sich überwiegend um C3-Pflanzen.

Auch Mais (Zea mays) wurde als cyanogene Pflanze identifiziert (Meisner et al., 2000) und es konnte mittels Berlinerblau-Test auch HCN nachgewiesen werden. Die Untersuchungen wurden an Sprossabschnitten der Sorte Limagold durchgeführt, und es konnte festgestellt werden, dass die Menge an freigesetzter Blausäure großen Schwankungen unterlag. Es wurden altersbedingte, sowie Unterschiede zwischen den einzelnen Sprossabschnitten untereinander entdeckt. Bis die Pflanze das Vollreifestadium erreicht, sinken die zuvor gestiegenen HCN-Gehalte wieder deutlich ab. Der Autor wies auf eine mögliche Korrelation zwischen dem Entwicklungsstadium des Sprossorgans und dem HCN-Gehalt hin. Futterpflanzen müssen verschiedene Anforderungen, je nachdem von welchem Standpunkt ausgehend man diese betrachtet, erfüllen. In der Tierernährung lassen sich die Futterpflanzen auch nach den vorrangig genutzten Pflanzenteilen unterscheiden.

Aufgrund der Bedeutung von Hirse (Sorghum bicolor) und Weißklee (Trifolium repens) im Mitteleuropäischem Raum, Hirse wird mit zunehmendem Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Ersatz von Mais (Zea mays) verwendet, und Weißklee als bedeutende Futterpflanze im Grünland, wird im Folgenden besonders auf Hirse und Weißklee eingegangen. Es soll hier auch exemplarisch auf die Ergebnisse der intensiven Untersuchungen eingegangen werden, welche die Forschung zur Erkenntnis der Wirkungsweise von Blausäure darstellt. Als Folge von Stress durch zunehmende Sommertrockenheit (O’Donnell et al., 2013; Emendack et al., 2018) steigt der Gehalt von Blausäure und somit auch die Vergiftungsgefahr bei Menschen und Tier.

Mohrenhirse (Sorghum bicolor)

Die Mohrenhirse wird systematisch in die Familie der Poaceae eingeordnet und hat besonders in den Tropen und Subtropen eine größere Anbaubedeutung (Zeller, 2000; Birkel-Sandkötter, 2003). Hirse wird aufgrund ihres Vertretungscharakters für Mais (Birkel-Sandkötter, 2003) in Europa angebaut, besonders bei zunehmender Sommertrockenheit einiger Gebiete (Pistoia et al., 2007) und um die vielfältige Fruchtfolge zu gewährleisten. Als Beispiel sei die Nutzung von Hirse für Biogasanlagen (Ganzpflanze) und als Tiernahrung (Körner) zu nennen. Die Mohrenhirse (auch als Sorghum-Hirse bezeichnet) vertritt unter den Hirsearten die wirtschaftlich bedeutendste Stellung. Es handelt sich, wie beim Mais, um eine C4-Pflanze. In der Tierernährung finden Blätter, Körner, aber auch Getreideverarbeitungsabfälle Verwendung, wohingegen für die Nahrungsmittel überwiegend die Körner bzw. deren Verarbeitungsprodukte genutzt werden (Zinsmeister et al., 1980). Sorghum bicolor synthetisiert das cyanogene Glykosid Dhurrin (Lindner, 1990; Busk und Møller, 2002). Gestresste (z. B. durch Trockenheit) oder geschädigte (z. B. durch Frost) Futterhirsen weisen ein hohes HCN-Potenzial auf (Cheeke und Shull, 1985; Hayes et al., 2015). Halkier und Møller (1989) beschrieben, dass es bei Sorghum bicolor häufig zu höheren Gehalten an cyanogenen Glykosiden in bestimmten Zellen oder Geweben kommt. In den Spitzen der jungen Keimlinge werden oft Gehalte von 60 mg/g der TM erreicht. Bei drei Tage alten Sorghum-Samen wurden Dhurringehalte von 15 μM festgestellt, wohingegen bei trockenen, stärkereichen Samen kein Dhurrin entdeckt werden konnte (Møller und Conn, 1979). Zinsmeister et al. (1980) untersuchten die Samen und Primärblätter von verschiedenen Hirsearten auf ihren Gehalt an Blausäure. In all den untersuchten Arten konnte er Blausäure feststellen, wobei die Gehalte der Primärblätter sich in einem Bereich von 0,14 und 1,1 × 104 μg/g TM bewegten. In den reifen Körnern wurden Gehalte von 0,1 bis 536 μg/100 g TM nachgewiesen. Die Synthese von Dhurrin, ausgehend von der Aminosäure L-Tyrosin, wurde von McFarlane et al. (1974) demonstriert. McFarlane et al. (1974) konnten zeigen, dass ein zellfreies System in der Lage ist, L-Tyrosin unter Zugabe entsprechender Reaktionspartner zu dem entsprechenden cyanogenen Glykosid, in diesem Fall also zu Dhurrin, umzuwandeln, was spätere Studien bestätigten (Møller und Conn, 1979).

Sowohl in den Samen als auch in der älteren SorghumPflanze ist der Cyanidgehalt stark vom genetischen Hintergrund und von den Umweltbedingungen abhängig (Nelson, 1953; Gorz et al. 1987; Hayes et al., 2015). Es wird aufgrund des signifikanten Umsatzes von Dhurrin in den Samen angenommen, dass sowohl Änderungen als auch der Ausfall der Synthese, die Dhurringehalte regulieren können. Busk und Møller (2002) wiesen ansteigende Dhurringehalte während der Keimung und der frühen Entwicklung der Samen nach, welche anschließend mit zunehmendem Pflanzenalter wieder absinken. Laut Halkier und Møller (1989) handelt es sich bei den dhurrinsynthetisierenden Enzymen um einen hoch organisierten und multifunktionalen Enzymkomplex, der in die mikrosomale Membran eingebunden ist. Alle Versuche der beiden Autoren, diesen Enzymkomplex von der Membran zu lösen, resultierten im völligen Verlust der biosynthetischen Aktivität. Busk und Møller (2002) untersuchten auch die Einwirkung von mineralischen Salzen auf die Synthese von Dhurrin. Bei acht Tage alten Keimlingen wurde kein Anstieg des Cyanidpotenzials festgestellt, allerdings resultierte eine Applikation von Kaliumnitrat bei fünf Wochen alten Sorghum-Pflanzen in einem deutlichen Anstieg des Cyanidpotenzials. Im Zuge der Untersuchungen wurde ausgeschlossen, dass es sich hierbei um eine einfache Salz-Stress-Reaktion gehandelt hat. Der beobachtete Anstieg erreichte trotzdem nur 2–3 % des maximal in den Keimlingen ermittelten Cyanidpotenzials (mg/g Pflanzenmaterial). Durch die Untersuchungen von Busk und Møller (2002) konnte gezeigt werden, dass die biosynthetischen Enzyme für Dhurrin durch Nitrat induziert werden und dass sie wichtige Faktoren für einen erhöhten Dhurringehalt in Pflanzen darstellen.

Cheeke und Shull (1985) gehen davon aus, dass aus Sorghum hergestelltes Heu generell ungiftig ist, weil es sich bei HCN um eine flüchtige Substanz handelt. Die Nutzung der Sorghum-Hirsen als Grün- und Kornfutter wurde durch die Züchtung und Verwendung der Hybridlinien optimiert. Verschiedene Zuchtziele können für Hirsen aufgezählt werden, und es stehen Sorten mit niedrig gezüchteten Glykosidgehalten zur Verfügung (Birkel-Sandkötter, 2003).

Weißklee (Trifolium repens)

In Weißklee wurde die Cyanogenese besonders intensiv untersucht (Conn, 1980; Taylor, 2008). Die Ursache dafür, dass diese Pflanzen oft für Studien herangezogen wurden, liegt zum einen in ihrer Bedeutung als Weidepflanzen der gemäßigten Breiten, zum anderen stellt die Cyanogenese bei diesen Arten ein genetisch variables Merkmal dar (Harborne, 1995). In Weißkleepflanzen liegen Linamarin und Lotaustralin vor (Melville und Doak, 1940; Keller et al., 1999; Bjarnholt et al., 2008). Genetiker erkannten früh den in Weißklee auftretenden chemischen Polymorphismus und konnten durch verschiedene Züchtungsexperimente die Kontrolle der Cyanogenese durch zwei Gene aufzeigen (Harborne, 1995). Die entsprechenden Gene sind in der Literatur unter der Bezeichnung Ac und Li bekannt (Hughes, 1991; Hayden und Parker, 2002). Die Synthese von Linamarin wird durch Ac gesteuert, wobei Li die Steuerung des dementsprechenden Enzyms, Linamarase, übernimmt. Schubiger et al. (1997) erläuterten eine Einteilung der Weißkleepflanzen aufgrund ihrer Bildung von Blausäure. Demnach unterscheidet man nach dem Vorhandensein der cyanogenen Glykoside und den Enzymen vier Typen: Pflanzen, welche sowohl cyanogene Glykoside als auch die entsprechenden Enzyme vorweisen; Pflanzen, die nur die cyanogenen Glykoside aufweisen; Pflanzen, welche nur die Enzyme besitzen und Pflanzen, die weder cyanogene Glykoside noch die entsprechenden Enzyme besitzen. Entscheidend für das Auftreten cyanogener Weißkleepflanzen ist ein homozygot dominanter Genotyp. Die natürlichen Populationen verteilen sich auf vier Genotypen, wobei nur Pflanzen mit dem AcLi-Genotyp cyanogen sind (Harborne, 1995). Hayden und Parker (2002) erläutern, dass sich einige genotypische Unterschiede anhand der unvollständigen Dominanz beim Ac- und Li-Locus erklären lassen. Weißklee soll demnach an beiden Loci heterozygot sein und Zwischenprodukte der jeweiligen Verbindung produzieren. Bereits vor über 60 Jahren beschäftigte Daday (1954; 1958) sich mit Populationen, in denen die Cyanogenese unterschiedlich häufig ausgeprägt war. Die von ihm entdeckten Unterschiede zwischen den europäischen Populationen führte er auf eine Korrelation der mittleren Temperatur im Januar mit der Häufigkeit der Cyanogenese zurück.

Harborne (1995) weist darauf hin, dass laut den Ergebnissen von Daday (1954; 1958) ein enger Zusammenhang zwischen der Winterisotherme und der Häufigkeit der Cyanogenese besteht. Je höher demnach die Januarisotherme liegt, desto häufiger trifft man in einer Population auf Cyanogenese. Bei höheren Januarisothermen sind auch die Pflanzenfresser das ganze Jahr über aktiv, was eine Begründung für die häufigere Cyanogenese sein kann. Dagegen dominieren bei Standorten mit niedriger Januarisotherme die nicht cyanogenen Kleepopulationen, was wiederum durch die kalten Winter und die damit verbundene geringere Anzahl aktiver Pflanzenfresser erläutert werden kann (Vickery et al., 1987). Die Cyanogenesehäufigkeit bei mitteleuropäischen Populationen beträgt 20–50 %, wodurch die mitteleuropäischen Populationen eine Zwischenstellung einnehmen (Vergleich mit England und Zentralrussland) (Harborne, 1995). Innerhalb der verschiedenen Weißkleesorten treten allerdings auch starke Schwankungen bei den Gehalten von Linamarin und Lotaustralin auf (Keller et al., 1999). Der höhere Gehalt an Linamarin und Lotaustralin kennzeichnet eine stärker ausgeprägte Resistenz gegenüber Insektenbefall (Ellsbury et al., 1992).

Cheeke und Shull (1985) unterstellen Weißklee moderate Linamaringehalte, sodass man nicht generell davon ausgehen kann, dass es aufgrund der cyanogenen Aktivität zu Problemen im Viehbestand kommt. Lehmann et al. (1990) wiesen für Zuchtsorten in der Schweiz variierende HCN-Gehalte aus, die von 15–400 mg HCN/kg TM bis zu hohen Werten von 900 mg HCN/kg TM bei Weißklee reichten. Stochmal und Oleszek (1997) erforschten die Veränderung der Gehalte von cyanogenen Glykosiden während der Vegetationsperiode in Polen. Durchgeführt wurden die Untersuchungen im Zeitraum 1993 bis 1995 an sieben polnischen Weißkleesorten und der Referenzsorte Milkanova. Das Ziel der Autoren bestand darin, die Auswirkungen der Jahreszeit auf die cyanogene Syntheserate zu demonstrieren und damit aufzuzeigen, wie wichtig der Zeitpunkt der Probennahme ist. Die Ergebnisse zeigen, dass HCN-Variation in einem Bereich von 200–500 mg HCN/kg TM für Weißklee zwischen Winter und spätem Frühling möglich ist. Die sieben Weißkleesorten wiesen alle eine ähnliche Art der Akkumulation der cyanogenen Glykoside auf. Die Autoren beobachteten die höchsten Konzentrationen in den Monaten Mai bis Juni, anschließend eine schnelle Abnahme im Juli und darauffolgend einen allmählichen Anstieg im Monat August. Im Herbst wurden mit dem Frühling vergleichbare Konzentrationen festgestellt. Laut Stochmal und Oleszek (1997) wurde bei Temperaturschwankungen in einem Bereich von 5–15 °C keine Beeinflussung des cyanogenen Gehaltes der Pflanzen festgestellt. Die Autoren konnten damit vorhergehende Untersuchungen von anderen Forschern bestätigen. Laut Hayden und Parker (2002) treten bei moderaten, konstanten Temperaturen die höchsten cyanogenen Glykosidgehalte auf, bei extremen Temperaturwerten, d. h. sowohl bei höheren als auch bei kälteren Bedingungen, treten dagegen niedrigere Gehalte auf. Vermutet wurde, dass die Verringerung der Cyanogenese bei niedrigen Temperaturen einen adaptiven Nutzen haben könnte, außerdem war es für die Autoren denkbar, dass Weißklee die Verringerung minimiert, wenn durch Kälte Belastungen entstehen. Hayden und Parker (2002) konnten außerdem das Verteilungsmuster von Kleepflanzen, aufgrund einer Temperatur-Höhenlage-Korrelation, bestätigen. Es wurde übereinstimmend zu vorhergehenden Untersuchungen festgestellt, dass Weißklee-Populationen bei ansteigender Höhenlage eine geringere Expression der Cyanogenese aufweisen. Kakes (1987) konnte diese Korrelation allerdings für die Niederlande nicht bestätigen. Cheeke und Shull (1985) haben berichtet, dass Weißklee im Hochsommer häufig von den Tieren gemieden wird. Dieses Verhalten führen sie auf die entwickelte verminderte Schmackhaftigkeit (vermutlich aufgrund von Bitterkeit) zurück, für deren Entstehung die cyanogenen Glykoside verantwortlich sein könnten. Hayden und Parker (2002) fanden im Zuge ihrer Untersuchungen heraus, dass es sich bei Weißklee nicht um eine induzierte Verteidigung im klassischen Sinne handelt, da kein intrazellulärer Anstieg der entsprechenden Verbindungen als Antwort auf Herbivorie nachweisbar war. Im Gegenteil, die Cyanogenese findet in vielen Geweben der Pflanze als Signalstoff statt, welcher an der Regulierung der Stressresistenz beteiligt ist (Siegień und Bogatek, 2006; Kooyers et al., 2014).

Beim Vergleich dieser Ansicht von Cheeke und Shull (1985) und den Untersuchungen von Stochmal und Oleszek (1997) mit den Untersuchungsergebnissen von Hayden und Parker (2002) erscheint es zunächst so, als ob Widersprüche vorliegen würden. Hayden und Parker (2002) haben ihre Untersuchungen an einer kalifornischen Weißkleeart vom Straßenrand durchgeführt. Wenn man nun die Verteilung der Cyanogenese anhand der mittleren Jahrestemperaturen zugrunde legt, liegt die Vermutung nahe, dass für die Untersuchungen eine Weißklee-Population gewählt wurde, die aufgrund ihres natürlichen Ursprunges bereits über ein hohes HCN-Bildungspotenzial verfügte. Somit könnten Hayden und Parker (2002) gar keinen Anstieg nachweisen, da die Pflanze kontinuierlich über eine hohe Konzentration verfügt, um sich zu schützen. Zudem wurden die Untersuchungen unter Temperaturen durchgeführt, die keine zuverlässige Grundlage darstellen. Im Gegensatz dazu konnten Schubiger et al. (1997) anhand eines Versuchs in der Schweiz mit 24 untersuchten Sorten die geringere Freisetzung cyanogener Glykoside durch großblättrige Ladino-Typen nachweisen. Außerdem wurde ebenfalls die Korrelation zwischen freigesetzter Blausäure, Jahreszeit und Sorte nachgewiesen. In der folgenden Tabelle 1 sind die Resultate dieses Versuchs festgehalten. Tabelle 1 verdeutlicht die Korrelation zwischen den Gehalten und der Jahreszeit. Zum Zeitpunkt des dritten Aufwuchses weisen alle Sorten die geringsten Gehalte auf, was auf die höhere Temperatur zurückzuführen ist. Angesichts der gravierenden Sortenunterschiede werden z. B. in der Schweiz die Blausäuregehalte bei der Sortenprüfung berücksichtigt (Keller et al., 1999; Boller et al., 2007).

Für die Schweiz empfohlene Sorten mit ihrer Blausäurebildung (Mittelwerte von zwei Jahren, nach Schubiger et al., 1997)

Table 1. Recommended cultivars for Switzerland including content of cyanogenic glycosides (mean values of two years, according to Schubiger et al., 1997)

SorteBlausäurebildung (mg HCN/kg TM)
1. Aufwuchs3. Aufwuchs5. Aufwuchs
Scarvasi 4141022
Regal14370176
Merit25383255
N.F.G. Gigant493257458
Alban511275455
Milkanova627227507
Milo671254503
Osceola649309606
Sonja824423640
Wirkung cyanogener Glykoside auf Wiederkäuer

Die Möglichkeit, im Pflanzenreich wirksame und natürliche Alternativen zum Verbot antibiotischer Futterzusatzstoffe mit leistungsfördernder Wirkung aufzufinden, führen zu wiederkehrendem Interesse an den sekundären Pflanzenstoffen, welche als Futterzusatzstoffe den Weg in die Ernährung der Nutztiere finden. Aufgrund der Vielzahl von existierenden Substanzen sind die Wirkungen auf den Tierkörper auch sehr unterschiedlich.

Die Gesundheit eines Weidetieres muss nicht immer von der Aufnahme einer giftigen Pflanze beeinflusst werden. Laycock (1987) führte als mögliche Adaptionen für größere Herbivore folgende Punkte auf: 1. eine „generalisierte“ Ernährung (die Möglichkeit, toxische oder giftige Pflanzen aufzunehmen, ist gering); 2. giftige Pflanzen können entdeckt und gemieden werden; 3. die Fähigkeit, Pflanzengifte zu entgiften, ist vorhanden. Bei Wiederkäuern geht eine mikrobielle Fermentation der normalen Magen-Darm-Aktivität vor. Aus Versuchen ist die Anpassung von Schafen an Futter mit cyanogenem Klee bekannt. Dem Futter wurden dabei immer kleine Mengen des Giftes zugefügt, und es stellte sich heraus, dass diese Tiere mehr HCN tolerierten als Tiere, die kein Gift mit dem Futter aufgenommen hatten. Laut Laycock (1987) werden native Großwildtiere gelegentlich durch die Aufnahme von Pflanzen vergiftet, größere Verluste treten seiner Meinung nach aber nur in Gebieten auf, wo Überpopulationen auftreten und Überweidung stattfindet. In solchen Gebieten wurden die ungiftigen Pflanzen häufig bereits aufgezehrt. Crush und Caradus (1995) erläuterten auch, dass vor allem hungrige Tiere gefährdet sind, die sich aus Ermangelung besseren Futters cyanogenen Pflanzen zuwenden und sich dann durch eine schnelle Futteraufnahmerate auszeichnen.

Laut Meiser et al. (2000) sind Wiederkäuer aufgrund ihres Pansens besonders beeinträchtigt durch cyanogene Glykoside. Einerseits stellt der Pansen einen speziellen Bereich dar, der deutlichere Effekte bei aufgenommenen Giftstoffen zeigen kann (Cheeke und Shull, 1985). Cheeke und Shull (1985) erklärten, dass die Mikroorganismen des Pansens in der Lage sind, die entsprechenden Enzyme zu produzieren, welche die cyanogenen Glykoside spalten und das HCN bilden können. In etwa 50 % der Pansenbakterien weisen eine β-Glykosidaseaktivität auf. Die β-D-Glykoside werden nicht gewöhnlich hydrolysiert, sondern absorbiert und intakt mit dem Urin ausgeschieden (Majak, 2001). Die Dissoziation der cyanogenen Glykoside ist eine pH-Wert-abhängige Reaktion. Die enzymatische Hydrolyse der cyanogenen Glykoside wird durch einen hohen pH-Wert beschleunigt. Allerdings kann im Pansen auch eine Detoxifizierung auftreten. Anderseits, aufgrund des hohen pH-Wertes, läuft die HCN-Freisetzung bei Wiederkäuern schneller ab als im sauren Milieu von monogastrischen Tieren. Dies ist gleichzeitig auch der Grund dafür, warum Wiederkäuer sensibler auf cyanogene Glykoside reagieren (Cheeke und Shull, 1985). In monogastrischen Tieren ist die höhere Region des Verdauungstraktes größtenteils frei von β-Glykosidaseaktivität. Bei einer beschleunigten Hydrolyse entsteht HCN und entweder ein Aldehyd (wenn es sich um Prunasin handelt, entsteht Benzaldehyd) oder ein Keton (im Falle von Linamarin tritt Aceton auf). Wie bereits beschrieben, ist die biologische Aktivität der Glykoside normalerweise durch die chemische Struktur der Aglykone bedingt (Majak, 2001) und HCN ist leicht absorbierbar. Melzig et al. (2004) erläuterten die Resorbierbarkeit von HCN über den Respirationstrakt, den Verdauungstrakt sowie über die Haut.

Wiederkäuer und Weißklee

Aufgrund der Bedeutung von Weißklee soll folgend demonstriert werden, inwiefern dieser eine Problematik für die Wiederkäuer darstellt. Meiser et al. (2000) konnte nachweisen, dass Rinder, die mit Weißklee, Gras, Grasheu und Weißkleeheu gefüttert wurden, 8,3- bis 8,6-fach höhere Cyanidkonzentrationen im Pansensaft und den Blutproben aufwiesen im Vergleich zu den Rindern, die mit Maissilage (sowohl GPS als auch CCS) gefüttert wurden. Weißklee stellt eine gute Futterpflanze dar, er fördert die Futteraufnahme, aber je nach HCN-Gehalt sollte man sein Vorkommen auf Wiesen und Weide auf einen Bereich zwischen 20–30 % beschränken (Schubiger et al., 1997). Die Toxizität von Kleegras beruht auf dem HCN-Gehalt des aufgenommenen Futters und der Ausgewogenheit zwischen Absorption von HCN und seiner Entgiftung durch das Tier (Crush und Caradus, 1995). Schubiger et al. (1997) erläuterten, dass die Gehalte an HCN bei Weißklee durch die „Verarbeitung“ reduziert werden: Im Freien getrockneter Weißklee bildet demnach noch 85 % und als Silage verarbeiteter Weißklee noch 76 % der Blausäuremenge, die frischer Weißklee freisetzen kann. Als Futterpflanzen sind für Schafe nur solche zu empfehlen, die weniger als 20 μg HCN/g enthalten (Behrens et al., 2001).

Grenzwerte

Es ist bemerkenswert, dass praktisch für alle hauptmetabolischen Funktionen in Tieren ein Inhibitor für die entsprechende Funktion im Pflanzenreich existiert (Cheeke und Shull, 1985). Für Menschen gelten Blut-Cyanidkonzentrationen von 100–200 μM als tödlich, in einem Bereich von >40 μM werden die Konzentrationen als toxisch angesehen (Meiser et al., 2000). Der Grenzwert der Europäischen Union und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Cyanide im Trinkwasser basieren beide auf Gesamt-Cyaniden und liegen bei 50 μg/l (EU, 2007) (1,9 μM) und 70 μg/l (WHO, 1996) (2,7 μM). Das gebildete Cyanid ist toxisch, da die Atmungskette der Zelle durch Hemmung des Enzyms Cytochrom-Oxidase, neben anderen stoffwechselrelevanten Abläufen, blockiert wird (Majak, 2001). Vergiftungen, die durch die orale Aufnahme von Cyaniden ausgelöst werden, führen innerhalb weniger Minuten zum Tod. Diese Zeitspanne verkürzt sich auf wenige Sekunden bis Minuten, wenn es sich beim Auslöser um Blausäuredämpfe handelt (Behrens et al., 2001). Die Ursache für die Schnelligkeit dieser Vergiftung liegt in der zügigen Diffusionsgeschwindigkeit, mit der Blausäure durch biologische Membranen diffundieren kann (Kupper und Demuth, 2010). Die Vergiftungen durch die Aufnahme von cyanogenen Pflanzen weisen dagegen eine längere Latenz auf. Bedingt durch die Freisetzung des Cyanids rechnet man mit wenigen Stunden (Behrens et al., 2001).

Wie bereits erwähnt wurde, reagieren Wiederkäuer besonders empfindlich auf Cyanidvergiftungen, was sich durch die beschleunigte Freisetzung der Cyanide im Pansen, ausgelöst durch die Enzyme der Mikroorganismen, erklären lässt (Cheeke und Shull, 1985; Kupper und Demuth, 2010). Rinder sind wenig anfällig für eine Vergiftung, wenn ein geringer Pansen-pH-Wert vorliegt, und anfälliger nach einem 24-bis 48-stündigen Fasten. Dies ist wichtig, da die Dissoziationsrate von Cyanid pH-Wert-abhängig ist. Hohe Dissoziationsraten finden bei pH > 6 statt und geringere bei pH-Werten zwischen 5 und 6 (Majak et al., 1990). Harborne (1995) gibt an, dass ein angepasstes Schaf Cyanidmengen von 15–50 mg HCN/kg Körpergewicht toleriert, wohingegen nicht angepasste Tiere durch eine Dosis von 2,4 mg/kg Körpergewicht getötet werden können. Kupper und Demuth (2010) weisen für Wiederkäuer Werte von 1–10 mg/kg Körpergewicht als minimale, letale (orale) Dosis aus. Bei Schafen wird eine aufgenommene Blausäuremenge von etwa 4 mg/kg Körpergewicht auch von Behrens et al. (2001) als tödlich angesehen.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Weißklee stellt, trotz seiner sortenspezifisch schwankenden cyanogenen Glykosidgehalte, eine bedeutende Futterpflanze dar. Aufgrund dessen wurde die Cyanogenese bei Weißklee intensiv untersucht und es konnte aufgezeigt werden, dass zwei Gene (Ac und Li) für die Cyanogenese verantwortlich sind. Die durch die Pflanzenzüchtung zur Verfügung stehenden Weißkleesorten mit niedrigen cyanogenen Glykosidgehalten werden in der Praxis bevorzugt genutzt. Toxizität der cyanogenen Glykoside hängt im Wesentlichen ab von: 1. wie schnell das HCN durch Pansenmikroben freigesetzt wird; 2. von der Absorptionsrate des HCN im Magen-Darm-Trakt und 3. von der Detoxifizierungsrate des HCN.

Die Diskussion über die cyanogenen Glykoside wird weltweit mit sehr unterschiedlicher Relevanz geführt. In der Schweiz werden die Gehalte von Weißkleesorten bei der Sortenprüfung berücksichtigt, in Deutschland hingegen reicht es lediglich für einen Vermerk in der Empfehlungsliste. Pflanzenzüchter plädieren dafür, den cyanogenen Glykosiden mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Steigt der Gehalt von Blausäure, wie bei zunehmender Sommertrockenheit, steigt somit auch die Vergiftungsgefahr bei Menschen und Tieren.

eISSN:
0006-5471
Language:
English
Publication timeframe:
4 times per year
Journal Subjects:
Life Sciences, Ecology, other