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M-Government: Recht und Organisation mobilen Verwaltens


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Nach der bekannten Formel des Nationalökonomen Joseph Alois Schumpeter bezeichnet Innovation »the doing of new things or the doing of things that are already being done in a new way«.

Joseph Alois Schumpeter: The Creative Response in Economic History, in: Journal of Economic History 7/2 (1947), S. 149–159, hier S. 149, 151.

Innovationen sind aber nicht synonym mit Änderungen.

Gerrit Hornung: Grundrechtsinnovationen, Tübingen 2015, S. 137.

Eine Präzisierung und zugleich Eingrenzung des Begriffs erfolgt üblicherweise durch das Erfordernis eines gewissen Veränderungsgrads.

Dort auch zur Abgrenzung vom reinen Objektwandel Verena Müller / Gerd Schienstock: Der Innovationsprozess in westeuropäischen Industrieländern, Berlin 1878, S. 22.

Die danach unentbehrliche Signifikanz der Veränderung bemisst sich nach den zwei Parametern der Unterscheidbarkeit und der Wirkungsintensität.

Wolfgang Hoffmann-Riem: Innovation und Recht – Recht und Innovation, Tübingen 2016, S. 193f.

Der Zuschreibung von Innovativität sollte daher ein Vorher-Nachher-Vergleich vorausgehen,

Pascale Cancik: Die Erfindung der Beteiligung im Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffman-Riem (Hg.): Innovationen im Recht, Baden-Baden 2016, S. 95–115, hier S. 95f.

der herausschält, ob und wie sich ein veränderter Prozess in Bezug auf die Neuartigkeit gegenüber dem Ausgangsprozess wesentlich unterscheidet. Diese Einsicht verweist auf den Wert einer historischen Herangehensweise, da sie den ersten Schritt bildet, um den Innovationscharakter beurteilen zu können.

Der Blick zurück dient dem Beitrag dazu, um am Beispiel des administrativen Einsatzes mobiler Dienste, die unter dem Begriff ›Mobile Government‹ (M-Government) firmieren, innovative Lösungen im öffentlichen Dienst des 21. Jahrhunderts zu untersuchen. Der historischen Betrachtung kommt dabei ein zweifacher Stellenwert zu: Zum einen soll die ortsgebundene bürokratische Infrastruktur der Verwaltung als Kontrastfolie zum Einsatz kommen, um die Besonderheiten des M-Government zu verdeutlichen. Zum anderen nimmt die Untersuchung eine Entwicklungsperspektive ein, indem sie den Prozess und die wichtigsten Etappen auf dem Weg zum M-Government beschreibt. Der regionale Schwerpunkt der Analyse liegt bei der deutschen Verwaltung. Es wird gezeigt, dass das innovative Potenzial der Übernahme mobiler Dienste in die öffentliche Verwaltung darin liegt, dass sie das Kontaktgefüge in der Verwaltung sowie zwischen Verwaltung und Bürgern beziehungsweise Unternehmen aufbrechen und zugleich modifizieren, indem an die Stelle des Büros ein dynamisches Geflecht virtueller Beziehungen zwischen Verwaltungsmitarbeitern und Verwaltungsadressaten tritt.

Zu dieser Verschiebung der Kommunikation und Organisation der öffentlichen Verwaltung Hermann Hill: Moderne Verwaltungskommunikation, in: Rudolf Fisch (Hg.): Verständliche Verwaltungskommunikation in Zeiten der Digitalisierung. Konzepte–Lösungen – Fallbeispiele, Baden-Baden 2020, S. 77–96, hier S. 77, 79; Marc Groß / Anika Krellmann: Das Ökosystem der Digitalisierung, in: Jürgen Stember et al. (Hg.): Handbuch E-Government, Wiesbaden 2019, S. 3–18, hier S. 3, 7; Busso Grabow: Aufsuchende Verwaltung, aufsuchende Stadt, in: Martin Brüggemeier / Klaus Lenk (Hg.): Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug, Berlin 2011, S. 159–180, hier S. 159; für das Staat-Bürger-Verhältnis auch European Parliament: E-Government. Using technology to improve public services and democratic participation, EU 2015, S. 12.

M-Government bedeutet keinen Abschied vom statischen Büromodell, aber sie fügt ihm eine neue, qualitativ andere Dimension des Verwaltens hinzu.

Es stellt sich unweigerlich die Frage, mit welchem Begriff von Mobilität hier operiert wird. Ganz allgemein bezeichnet Mobilität sowohl einen konkreten Bewegungsvorgang als auch das Potenzial zur Bewegung.

Konrad Götz: Nachhaltige Mobilität, in: Matthias Groß (Hg.): Handbuch Umweltsoziologie, Wiesbaden 2011, S. 325–347, hier S. 325f.

Das dem Beitrag zugrunde liegende Mobilitätskonzept geht von einem räumlichen Verständnis aus, löst es aber aus seinem ursprünglich verkehrstechnischen Kontext. Mobiles Verwalten soll zum Ausdruck bringen, dass die Verwaltung und ihre Interaktionszusammenhänge durch den Einsatz mobiler Dienste ortsunabhängig werden: Einerseits wird das Front Office dynamisiert, indem Verwaltungsmitarbeiter dabei unterstützt und dazu motiviert werden, das Büro als zentralen Ort des Verwaltens zu verlassen und Bürger und Unternehmen auch zu Hause oder am Firmensitz aufzusuchen. Denn der Einsatz von M-Government-Anwendungen wie Apps bedeutet, dass die Verwaltungsmitarbeiter Informationen, beispielsweise den Akteninhalt zu bestimmten Vorgängen, potenziell überall abrufen können und darüber hinaus Informationen zu Vorgängen außerhalb des Büros umgehend anderen Mitarbeitern zur Kenntnisnahme und Bearbeitung zur Verfügung stellen können, indem etwa an Ort und Stelle Bilder von Personen oder Objekten, die Gegenstand des Verwaltungsinteresses sind, in interne Datenbanken eingestellt werden. Über das Smartphone führen die Verwaltungsmitarbeiter zwar das Büro als solches nicht mit sich, aber es ermöglicht ihnen den Zugriff auf seine kognitiven Ressourcen. M-Government ist demnach nicht gleichbedeutend mit der Arbeitsform des digital unterstützten Home Office;

Zur Bedeutung in der Verwaltung Horst Frank: Verwaltungsorganisation, Hamburg 22021, Rn. 1366–1392.

vielmehr geht es darum, dass die Beschäftigten auch unabhängig von festen Arbeitsplätzen tätig sein können und insofern örtlich flexibel sind. Andererseits bedeutet M-Government eine Dynamisierung der Interaktionszusammenhänge, weil die Verwaltungsadressaten über das Smartphone auch an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort Verwaltungsangebote nutzen können, etwa beim Spaziergang in der Lage sind, das Auto umzumelden, vorausgesetzt sie können sich mobil eindeutig identifizieren. Der Begriff »mobil« weist demnach Schnittpunkte mit der sogenannten virtuellen Mobilität auf, der Raumüberwindung im Cyberspace.

Peter Zoche / Simone Kimpeler / Markus Joepgen: Virtuelle Mobilität: Ein Phänomen mit physischen Konsequenzen, Berlin 2002, S. 1, 17.

Während diese beschreibt, dass es das Internet ermöglicht, ohne den Sitzplatz vor dem häuslichen Computer verlassen zu müssen, beispielsweise einzukaufen oder soziale Kontakt zu pflegen, wird in diesem Beitrag spezifisch darauf abgestellt, dass die Angebote der Verwaltung auch unterwegs nutzbar werden. Den Prozess des Aufbrechens eines ortsgebundenen Verwaltungsmodells zeichnen die ersten drei Abschnitte der Untersuchung nach, bevor in einem vierten Abschnitt ein Eindruck sowie eine Systematisierung der gegenwärtig eingesetzten M-Government-Techniken in der öffentlichen Verwaltung gegeben wird.

Der Beitrag nutzt das Beispiel von M-Government zusätzlich dafür, die möglichen Folgen administrativer Innovationen zu betrachten. Es wird gezeigt, dass Innovationen durch die Änderung von Verfahren und Organisation auch normative Implikationen haben. Dazu werden zunächst im fünften Abschnitt auf der Basis von Expertengesprächen exemplarisch Veränderungen beschrieben, die mit administrativen Apps verbunden sind. Dem schließt sich im sechsten Abschnitt eine Analyse an, die zeigt, dass M-Government gerade auch das Recht der öffentlichen Verwaltung tangieren kann.

Das Büro als Signum ortsfesten Verwaltens

Die Organisation der öffentlichen Verwaltung einschließlich der Interaktion mit ihr ist gewöhnlich stationär ausgerichtet und diese Ortsfestigkeit spiegelt sich im Interieur wider, das zum Einsatz kommt. Nach dem Bürokratiemodell findet das Verwaltungshandeln maßgeblich im Büro statt. Nach der idealtypischen Verkürzung Max Webers setzt es sich aus Akten

Allgemein Cornelia Vismann: Akten, Frankfurt am Main 2011.

und kontinuierlichem Amtsbetrieb zusammen.

Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 2002, S. 126f., 552.

Es ist aber mehr: Das Aufkommen von Bürosaal, Großraumbüro und Bürolandschaft ab Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts verdeutlicht, dass das Büro nicht nur ein Arbeitsraum ist; es stellt sich vielmehr als ein »dynamisches Netzwerk der Angestellten« dar.

Adriana Kapsreiter: Bürosaal – Großraumbüro – Bürolandschaft. Über den großflächigen Raum der Verwaltung, in: Gianenrico Bernasconi / Stefan Nellen (Hg.): Das Büro, Bielefeld 2019, S. 123–138, hier S. 123, 138.

An diesem Zentrum administrativer Arbeit wirken die Beamten in einer Verschachtelung mehrerer Schreibtische,

Zu diesem zentralen Interieur Gianenrico Bernasconi / Stefan Nellen: Einleitung, in: Bernasconi / Nellen (Hg.): Büro, S. 9–25, hier S. 9, 16f.

die durch informelle Kommunikation kurzgeschlossen werden. Der Bürger findet sich mit seinem Anliegen bittstellerisch während der Dienststunden ›auf dem Amt‹ ein, im Übrigen erfolgt die Kommunikation per Post, heute mittlerweile per E-Mail. Das Büro bündelt demnach das Front Office, das Back Office und die Interaktion mit dem Einzelnen unter einem Dach. Zugleich nimmt es eine Filterfunktion wahr, denn Kontakte mit den Verwaltungsadressaten erfolgen allein über das Front Office, das das Back Office von Interaktionen mit der Außenwelt abschirmt.

Das Büro steht perspektivisch im Mittelpunkt, auch wenn es in der Praxis nicht der exklusive Ort des Verwaltens ist. Die Hoheitsverwaltung, die auch Kontrolltätigkeiten vor Ort verlangt, oder der Hausbesuch des Bürgermeisters bei bestimmten Alters-und Ehejubiläen fallen bei diesem Modell aus dem Blickfeld heraus.

In der Kommunalverwaltung als der untersten Verwaltungsebene im deutschen Staatsaufbau ist es das Rathaus, das den Sitz der Stadtverwaltung und zugleich die erste Anlaufstelle für die Bürger bildet. Mit den kommunalen Bürgerämtern beziehungsweise -büros, deren Entwicklung in Deutschland mit einem in den 1980er-Jahren in Unna realisierten Pilotprojekt begann und die sich seit den 1990er-Jahren etabliert haben,

Modellversuche gab es bereits Ende der 1970er Jahre dazu Jörg Bogumil / Werner Jann (Hg.): Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland, Wiesbaden 2005, S. 209.

werden bestimmte publikumsintensive Dienstleistungen wie das Passwesen oder die Zulassung von Kraftfahrzeugen für den Bürger nach dem Prinzip des One-Stop-Shops an einer Stelle und möglichst wohnortnah zusammengefasst.

Auf gute Sozial- und interkulturelle Kompetenzen der Mitarbeiter der Bürgerämter hinweisend Frank: Verwaltungsorganisation, Rn. 197.

Die damit einhergehende kundenorientierte Arbeitsorganisation bedeutet zum einen eine Veränderung für die dort tätigen Mitarbeiter,

Leo Kißler / Jörg Bogumil / Elke Wiechmann: Das kleine Rathaus, Baden-Baden 1994.

zum anderen führt sie zu einer neuen Zusammenarbeit von Back Office und Front Office, wobei die konkrete Aufgabenzuordnung unklar ist:

Martin Eifert: Electronic Government, Baden-Baden 2006, S. 174f.

Im Bürgeramt als dem Front Office soll der persönliche Kontakt mit den Bürgern zentralisiert werden, dort werden Angelegenheiten ins Back Office vermittelt; teilweise wird das Bürgeramt nicht nur als Zugangspunkt gesehen, sondern dort werden auch Vorgänge, die keine weiteren Bearbeitungsschritte durch Fachamtswalter erfordern, wie Meldebescheinigungen oder Beglaubigungen, abschließend bearbeitet.

Gabriele Britz: Elektronische Verwaltung, in: Wolfgang Hoffmann-Riem / Eberhard Schmidt-Aßmann / Andreas Voßkuhle (Hg.): Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 2, München 2008, § 26 Rn. 40, S. 432; Andrea Tabatt-Hirschfeldt: Die Organisationsstruktur der Kommunalverwaltung, veränderte Herausforderungen und neue Möglichkeiten, in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl 30/4 (2007), S. 449–457, hier S. 449, 451; Jörg Bogumil et al.: Bürgerämter in Deutschland, Baden-Baden 2019, S. 16f.; Martin Matzner / Michael Räckers: Das Bürgerbüro als Integrationspunkt. Stand und Perspektiven der Verzahnung von Frontoffice und Backoffice in Bürgerbüros von NRW-Kommunen, Bochum 2007, S. 12; Eifert: Electronic Government, S. 174.

Die Bürgeramtsidee führt demnach zu einer partiellen Entkoppelung der Logiken von Front Office und Back Office. Weiter verändert sich der Kontakt mit dem Bürger: Zunächst vermittelt die Einrichtung der Bürgerämter – ihre Ausstattung mit Getränkeautomaten, guten Sitzgelegenheiten und so weiter – ein anderes, da kundenorientiertes Bild von der Verwaltung.

Frank: Verwaltungsorganisation, Rn. 194f.

Ferner führt die Aufgabenintegration dazu, dass der Einzelne bei jedem Mitarbeiter im Bürgeramt sämtliche Dienstleistungen abrufen kann. Das Bürgeramt wird für ihn zur zentralen Anlaufstelle. Schließlich bringt die Dezentralisierung der Kommunalverwaltung nach dem Motto »Die Verwaltung soll laufen und nicht der Bürger«

Bogumil et al.: Bürgerämter, S. 15.

die Verwaltung auch räumlich näher zum Bürger. Die in größeren Kommunen in der Regel vorhandene Vielzahl solcher Außenstellen in den Stadtteilen stellt letztlich aber nur eine räumliche Verteilung des Leistungsangebots, sprich eine Dekonzentration in der Fläche, dar.

Ferdinand Kirchhof: Die Einrichtung von Bürgerämtern in Gemeinden und Kreisen, Berlin 1998, S. 10.

Auch die Aufgabentrennung von Front Office und Back Office bleibt insofern bestehen, als die unmittelbare Kontaktaufnahme über das Front Office, die ›Infothek‹, läuft.

Tabatt-Hirschfeldt: Organisationsstruktur, S. 451; auch Matzner / Räckers: Bürgerbüro als Integrationspunkt, S. 12.

Damit bleibt festzuhalten, dass die Bürgerämter einerseits die Voraussetzungen für weitere Innovationsschritte in der Verwaltung schaffen. Da an der Vorstellung festgehalten wird, dass das Büro der Ort des Verwaltens ist, bleiben sie aber andererseits Ausdruck des Büroparadigmas.

Anpassung des stationären Verwaltungsmodells durch E-Government

Die Periode der mechanischen und elektromechanischen Unterstützung der Verwaltung, die ab Ende des 19. Jahrhunderts zum Aufkommen der Bürotechnik, insbesondere in Form von Schreibmaschinen und Fernsprechern, führte,

Zur Schreibmaschine Delphine Gardey: Schreiben, Rechnen, Ablegen. Wie eine Revolution des Bürolebens unsere Gesellschaft verändert hat, Göttingen 2019, S. 93–100; zur Einführung der Schreibmaschine in die Basler Verwaltung Stefan Nellen: Mechanisierte Sekretäre. Verwaltung im Zeichen der Schreibmaschine, in: Peter Becker (Hg.), Sprachvollzug im Amt. Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2011, S. 247–274, hier S. 247–251.; ferner Eberhard Laux: Die Entwicklung des Verwaltungsbetriebes, in: Kurt G.A. Jeserich / Hans Pohl / Georg-Christoph von Unruh (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, Stuttgart 1987, S. 1081, 1088f. Diese waren ab den 1920er Jahren auch in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland verbreitet, ebenda, S. 1089.

und der Aufbau einer elektronisch-digitalen Verwaltungsinfrastruktur ab Mitte des 20. Jahrhunderts haben zu Anpassungen der Verwaltungsabläufe und der administrativen Interaktionen geführt. Telefonkontakte bedeuteten etwa, dass Abläufe darauf ausgerichtet sein müssen, Anrufe möglichst schnell entgegenzunehmen, mündliche Kommunikationen vorzubereiten und die Ergebnisse des Gesprächs, etwa über Vermerke, in die Verwaltungsarbeit einzubeziehen.

Frank: Verwaltungsorganisation, Rn. 213.

Dazu müssen sich die betreffenden Akten nicht nur in der Nähe befinden, sondern griffbereit sein.

Bernasconi / Nellen: Einleitung, S. 9, 17.

Am stationären Verwaltungsmodell wurde dadurch aber nicht grundlegend gerüttelt. Auflockerungstendenzen lassen sich erst mit der Ära von Electronic Government (E-Government) ausmachen. Die nachfolgende Verlaufsgeschichte des Einsatzes der Informationsund Kommunikationstechnologie in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik zeichnet diese Entwicklung unter Einbeziehung ihrer rechtlichen Grundlagen nach. Sie lässt sich anhand der verwendeten Techniken und Einsatzbereiche in einzelne Stadien untergliedern.

Die Einteilung in vier Informatisierungsphasen von Hans Brinckmann / Stefan Kuhlmann: Computerbürokratie, Opladen 1990, S. 18–20 ist in der Literatur aufgegriffen und weiterentwickelt worden, etwa Andreas Voßkuhle: Die Verwaltung in der Informationsgesellschaft, in: Dieter Leipold (Hg.): Rechtsfragen des Internet und der Informationsgesellschaft, Heidelberg 2002, S. 97–116, hier S. 97, 100; Thomas Groß: Die Informatisierung der Verwaltung, in: Verwaltungsarchiv 95/3 (2004), S. 400–402.

Dabei handelt es sich um mehrere, miteinander verbundene Schübe, wobei keine Phase die Vorangegangene vollständig ablöste, sondern immer nur zusätzliche Optionen schuf und neue Impulse für administrative Tätigkeitsfelder gab.

Als Erprobungsphase gilt die Zeit ab Mitte der 1950er-Jahre, die sich auf die Bewältigung einzelner rechenbarer Teilaufgaben beschränkte,

Brinckmann / Kuhlmann: Computerbürokratie, S. 18.

bevor die sogenannte Elektronische und Automatisierte Datenverarbeitung (EDV, ADV) ab den 1960er-Jahren dann einen breiteren Einzug in die öffentliche Verwaltung, insbesondere bei sogenannten Massenarbeiten, fand. Die Finanzverwaltung gilt als Vorreiterin: Dort wurden zunächst Daten über Hollerith-Maschinen bearbeitet, bevor dann elektronische Rechengeräte als die ersten Computer eingesetzt wurden.

Hans Peter Bull: Verwaltung durch Maschinen, Köln 1964, S. 37.

Als Chiffre für diesen technischen Schritt, der rechtswissenschaftlich durchaus kritisch – als Bedrohung von Einzelfallgerechtigkeit – begleitet wurde,

Insbesondere Zeidler: Über die Technisierung der Verwaltung, S. 17, 27; zum Diskurs in den 1950er und 1960er Jahren Anna-Bettina Kaiser: Intelligente Verwaltungsmaschine – intelligente Maschinen in der Verwaltung, in: Peter Collin / Klaus-Gert Lutterbeck (Hg.): Eine intelligente Maschine?, Baden-Baden 2009, S. 233–244, hier S. 233, 237–243.

dienten die Begriffe der Automation, Mechanisierung oder Technisierung.

Karl Zeidler: Über die Technisierung der Verwaltung, Karlsruhe 1959; Bull: Verwaltung durch Maschinen; Niklas Luhmann: Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1966.

Typisch für diese Epoche ist ihre Konzentration auf die Datenverarbeitung über wenige zentrale Rechner für Anwendungsbereiche, die dem Gesetz der großen Zahlen folgen, wie der maschinellen Berechnung und Zahlbarmachung von Steuern, Gehältern und Bezügen. Organisatorisch wurden für die Großcomputer eigene Rechenzentren eingerichtet. Parallel dazu erließ eine Reihe von Bundesländern Datenverarbeitungsgesetze (sogenannte ADV-Organisationsgesetze). Ihre Bedeutung liegt zunächst darin, dass sie der Organisation der ADV innerhalb der öffentlichen Verwaltung einen besonderen Rang gegenüber der herkömmlichen Verwaltungsorganisation einräumten.

Carl-Eugen Eberle: Organisation der automatisierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1976, S. 62.

Zudem sorgten sie für die enge Abstimmung staatlicher und kommunaler Datenverarbeitung, die der Einsatz dieser Anlagen erforderte.

Zur ADV-Organisation monographisch Eberle: Organisation der Datenverarbeitung.

Dazu legte beispielsweise § 2 des Gesetzes über die Datenzentrale Baden-Württemberg von 1970

Gesetz über die Datenzentrale Baden-Württemberg vom 17. November 1970, GBl. 1970, 492.

fest, dass die durch das Gesetz geschaffene Datenzentrale die elektronische Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung koordiniert und fördert; dies beinhaltete etwa den Aufbau eines integrierten, über die Zuständigkeitsbereiche der Fachrechenzentren und regionalen Rechenzentren hinausgehenden Informationssystems für das ganze Land zu unterstützen, auf die sachgerechte Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Fachrechenzentren und regionalen Rechenzentren und auf die automationsgerechte Gestaltung von Rechtsvorschriften hinzuwirken. Parallel dazu ordnete § 12 dieses Gesetzes eine Zusammenarbeit des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände mit der Datenzentrale an; dazu konnte mittels Rechtsverordnung bestimmt werden, dass die Behörden des Landes, die Gemeinden und Gemeindeverbände Aufgaben mit der elektronischen Datenverarbeitung nach einheitlichen, von der Datenzentrale bezeichneten Programmen erledigen und Daten in einheitlicher Form bereitstellen. Die ADV-Organisationsgesetze lassen sich demnach als eine Form der Integration durch das Recht verstehen, indem Organisationszusammenhänge und gemeinsame Datenformate festgelegt sowie Zuständigkeiten abgegrenzt wurden.

Eberle: Organisation der Datenverarbeitung, S. 73–78.; auch Rainer Waterkamp: Computer und öffentliche Verwaltung, Mainz 1973, S. 9–14.

Die Schaffung solcher Automationsverbünden warf aber auch verfassungsrechtliche Fragen auf, wie die ihrer Vereinbarkeit mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.

Kritisch Eberle: Organisation der Datenverarbeitung, S. 121–138.

Zu einer ersten Neuorientierung kam es zu Beginn der 1980er-Jahre, als die Verbreitung der Mikroprozessortechnik zur Ubiquität der Rechensysteme in der öffentlichen Verwaltung beitrug.

Damit einher geht ein vertieftes Interesse zu ihren Auswirkungen auf die Arbeit der öffentlichen Verwaltung, etwa Klaus Deckert / Heinrich Johann: Die Auswirkungen der neuen Kommunikationstechniken auf die öffentliche Verwaltung, Gelsenkirchen 1985.

Über den Einsatz von Personal-Computern (PC) drängte die individuelle Informationstechnik an den Arbeitsplatz vor und bewirkte eine Perspektivenverschiebung von der zentralen Datenverarbeitung über Mainframe-Computer mit Stapelverarbeitung hin zu einer dezentralisierten Datenverarbeitung. Der PC erlaubte auch bei individuellen Entscheidungen, etwa im Bauwesen oder beim polizeilichen Erkennungsdienst, zumindest eine Teilautomation.

Ralph-Michael Polomski: Der automatisierte Verwaltungsakt, Berlin 1993, S. 31.

Die skizzierten Anfänge des administrativen Einsatzes der Informations- und Kommunikationstechnologie ließen die administrative Verortung unberührt, denn diese Technologie rationalisierte die Büroarbeit, mobilisierte sie aber in keiner Weise. Zu einer ersten Dynamisierung des Büromodells kam es erst mit der Einführung internetfähiger Computer ab Ende der 1990er-Jahre,

Annette Guckelberger: Öffentliche Verwaltung im Zeitalter der Digitalisierung, Baden-Baden 2019, S. 26f.

die unter dem Leitbild von Electronic Government (E-Government)

Annette Guckelberger: E-Government: Ein Paradigmenwechsel in Verwaltung und Verwaltungsrecht?, in: Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Hg.): Gleichheit, Vielfalt, Technischer Wandel, Bd. 78, Berlin 2019, S. 235–288, hier S. 235, 237–243; monographisch Eifert: Electronic Government; ferner die Beiträge im Sammelband von Margrit Seckelmann (Hg.): Digitalisierte Verwaltung – Vernetztes E-Government, Berlin 2019.

firmiert. Nach der sogenannten Speyerer Definition beschreibt E-Government die »Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mithilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien«.

Jörn von Lucke / Heinrich Reinermann: E-Government – Gründe und Ziele, in: Heinrich Reinermann / Jörn von Lucke (Hg.): Electronic Government in Deutschland, Speyer 2002, S. 1–67, hier S. 1; prägend Memorandum E-Government des Fachausschusses Verwaltungsinformatik der Gesellschaft für Informatik e.V. und des Fachbereichs 1 der informationstechnischen Gesellschaft VDE, Bonn 2000, S. 3.

Dieser Einsatz elektronischer Medien zielt auf eine Verbesserung

Eifert: Electronic Government, S. 21.

sowohl der Verwaltungsarbeit als auch der Interaktion der Verwaltung mit Bürgern und Unternehmen.

Jan Skorobotz: Das elektronische Verwaltungsverfahren, Berlin 2005, S. 106–108, 113–118.

Angesetzt wird an der Schnittstelle zum Einzelnen, weswegen im Mittelpunkt der Diskussion das elektronische Front Office steht:

Harald Mehlich / Jürgen Postler: Die virtuelle Kommunalverwaltung. Neue Kooperationsformen durch eGovernment, Baden-Baden 2007, S. 26; auch Guckelberger: Öffentliche Verwaltung, Rn. 172.

Über elektronische Zugangspunkte wird eine 24-Stunden-Verwaltung angestrebt, die Bürgern und Unternehmen Dienstleistungen gebündelt bereitstellt. Dazu werden Internetportale etabliert, bei denen Verwaltungsdienstleistungen thematisch nach bestimmten Anliegen (etwa Umzug oder Firmenansiedlung) arrangiert sind. Die IuKTechnologie vermittelt damit den Bürgerbüros das Potenzial, weitergehende Möglichkeiten des umfassenden Verwaltungszugangs zu realisieren.

Eifert: Eletronic Government, S. 173.

Die mit E-Government verbundene administrative Verbesserung zeigt sich zum einen in einer elektronischen Vernetzung innerhalb der Verwaltung, die Voraussetzung für die Realisierung des Konzepts des One-Stop-Shops ist.

Groß: Informatisierung der Verwaltung, S. 400, 408.

Sie erleichtert die horizontale Abstimmung, etwa zwischen Fachabteilungen, und trägt dazu bei, dass öffentlichen Stellen über Informationsverbünde Informationen umfassend und schnell verfügbar gemacht werden.

Ebd.

Diese vereinfachte interne Kommunikation fördert den Abbau hierarchischer Strukturen, hebelt die Hierarchie aber nicht zwangsläufig aus.

Alexander Roßnagel: Transparenz und Öffentlichkeit im Verwaltungshandeln, in: Wolfgang Hoffmann-Riem / Eberhard Schmidt-Aßmann (Hg.): Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, Baden-Baden 2000, S. 257–332, hier S. 257, 326f.; Britz: Elektronische Verwaltung, § 26 Rn. 28.

Zum anderen erleichtert E-Government die Zugänglichkeit der Verwaltung,

Groß: Informatisierung der Verwaltung, S. 400, 402.

da die Nutzung von Verwaltungsangeboten von der örtlichen Anwesenheit im Büro unabhängiger gemacht wird. Der Online-Zugang erweist sich nicht nur als ein weiteres Fenster zur Verwaltung, sondern erlaubt weitergehend eine medienbruchfreie Inanspruchnahme der Verwaltungsdienstleistungen.

Harald Mehlich: Eletronic government, Wiesbaden 2002, S. 106.

Im Idealfall ist kein Behördengang mehr erforderlich, da die Verwaltung komfortabel per E-Mail kontaktiert werden kann; gegebenenfalls können mehrere Angelegenheiten mit einem einzigen elektronischen Kontakt erledigt werden.

Britz: Elektronische Verwaltung, § 26 Rn. 40.

Gleichwohl zieht sich E-Government nicht gänzlich in die virtuelle Welt zurück; so werden reale Zugänge wie Bürgerämter eingebunden (Mehrkanalvertrieb).

Danny Lau: Kommunale Demokratie 2.0: Relevanz und Konsequenzen des digitalen Medienwandels für die rechtliche Konzeption kommunaler Demokratie, Baden-Baden 2018, S. 117.

E-Government führt zu einer Änderung der bestehenden Verfahren und Strukturen.

Joachim Wentzel: e-Government in Deutschland, in: Hermann Hill (Hg.), Verwaltungsmodernisierung 2010, Baden-Baden 2010, S. 59–76, hier S. 59f.; Christin Petersen: Die Rechtsprobleme des Electronic Government, Hamburg 2014, S. 14f.

Diese mit dem Medienwandel verbundene Transformation der Verwaltung wird daher auch als normative Herausforderung verstanden.

Eifert: Electronic Government, S. 28–30.

Im deutschen Recht steht für diese Entwicklung das Dritte Verwaltungsverfahrensänderungsgesetz, das die rechtlichen Grundlagen für ein elektronisches Verwaltungsverfahren einführte. Danach ermöglichen der elektronische Erlass eines Verwaltungsaktes (§ 37 II 1 Verwaltungsverfahrensgesetz

Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. 1. 2003 (BGBl. I, S. 102), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. 6. 2019 (BGBl. I, S. 846).

) und die Übermittlung elektronischer Dokumente (§ 3a) eine Erledigung von Verwaltungsvorgängen über das Internet. Der Bürger erhält die Möglichkeit, sein Anliegen per E-Mail an die Verwaltung heranzutragen und Verwaltungsleistungen in Anspruch zu nehmen und auch umgekehrt kann die Verwaltung auf die Versendung von Schriftstücken auf dem Postweg verzichten. Zudem erleichterten E-Government-Gesetze

Die Vorreiterrolle nahm in Deutschland das E-Governmentgesetz des Bundes ein, EGovG vom 25. 7. 2013 (BGBl. I 2013, S. 2749), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. 7. 2017 (BGBl. I 2017, S. 2206) sowie das von Schleswig-Holstein, Gesetz zur elektronischen Verwaltung für Schleswig-Holstein (E-Government-Gesetz – EGovG) vom 8. 7. 2009, zuletzt geändert durch Artikel 8 Landesverordnung vom 16. 3. 2015 (Gesetz- und VerordnungsblattS. 96); zu den weiteren landesrechtlichen Regelungen Wolfgang Denkhaus / Eike Richter / Lars Bostelmann: E-Government-Gesetz/Onlinezugangsgesetz, München 2019, EGovG, Einleitung, Rn. 25–27. Andere Staaten wurden früher aktiv, etwa Österreich, das bereits 2004 ein E-Governmentgesetz erlassen hat, Bundesgesetz über Regelungen zur Erleichterung des elektronischen Verkehrs mit öffentlichen Stellen (BGBl. I Nr. 10/2004), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. 12. 2018 (BGBl. I Nr. 104/2018); zu E-Government in Deutschland, Österreich und in der Schweiz im Vergleich siehe Stember et al. (Hg.): Handbuch E-Government.

die elektronische Kommunikation mit der Verwaltung dadurch, dass diese verpflichtet wird, einen elektronischen Zugang zu eröffnen.

Etwa § 2 EGovG des Bundes.

Der nächste Schritt ging dahin, den Gedanken der Leistungen aus einer Hand zu stärken, indem die gesetzlichen Grundlagen für einen nationalen Portalverbund

Für Deutschland § 1 II Onlinezugangsgesetz.

und in der EU für ein einheitliches digitales Zugangstor (Single Digital Gateway),

VO (EU) Nr. 2018/1724 über die Einrichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors, Amtsblatt (ABl.) L 295 vom 21. 11. 2018, 1.

das unzweifelhaft auch die kommunale Ebene erfasst,

Zu den normativen Herausforderungen etwa Eifert: Electronic Government, S. 177–181.

geschaffen wurden. Zur rechtlichen Förderung eines digitalen Binnenmarktes schreibt die Dienstleistungsrichtlinie

Richtlinie 2006/123/EG, ABl. L 376/36; sie wurde in Deutschland durch das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften umgesetzt (siehe §§ 71aff. VwVfG).

vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass alle Verfahren und Formalitäten, die die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit betreffen, problemlos aus der Ferne und elektronisch über den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner oder bei der betreffenden zuständigen Behörde abgewickelt werden können (Artikel 8 I). Danach muss es für ausländische Dienstleister möglich sein, von der Anmeldung des Gewerbes bis zur Eintragung oder Zulassung alle Formalitäten digital zu erledigen.

Guckelberger: Öffentliche Verwaltung, S. 175.

Möchte man diese Veränderungen, die insbesondere E-Government bewirkt hat, kategorisch einfangen und auf das Büromodell beziehen, dann lässt sich von einem Prozess seiner stufenweisen Anpassung der Verwaltungsabläufe und der Interaktion zwischen Verwaltung und Einzelnem sprechen, der zwar zu Verwerfungen führt,

Thorsten Siegel: Der Europäische Portalverbund, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2019, Heft 13, S. 905–909, hier S. 905, 907; zur Frage der Anwendbarkeit des Onlinezugangsgesetzes auf Kommunen Denkhaus / Richter / Bostelmann: OZG, Einleitung, Rn. 21–23 mit weiteren Nachweisen.

aber darauf ausgerichtet bleibt, technische Neuerungen in das gewohnte Paradigma zu integrieren. Zwar heißt es, E-Government führe zu einer »entörtlichten« Verwaltung.

Mehlich / Postler: Virtuelle Kommunalverwaltung, S. 26; Eifert: Eleteronic Government, S. 172.

Allerdings wird nach wie vor an der Vorstellung einer stationären Verwaltungssituation – der Verwaltungsmitarbeiter ist im Büro, der Verwaltungsadressat zu Hause – festgehalten, die nur über den Einsatz elektronischer Medien, die Papierform und physische Anwesenheit teilweise ersetzen, vereinfacht und dynamisiert wird. Das Büro bleibt im Fadenkreuz. Auch wenn E-Government Rückwirkungen auf das Back Office hat, da ein elektronisches Front Office den Blick für die Art und Weise schärft, wie die Dienstleistungen im Back Office hergestellt werden, bleibt das Back Office weiterhin von Interaktionen außerhalb der Verwaltung abgeschirmt. Der Fokus seiner Reorganisation liegt vielmehr darauf, durch ein auf IT-Grundlage hoch integriertes Back Office die Bildung ortsübergreifend operierender Leistungsverbünde zu ermöglichen.

Mehlich / Postler: Virtuelle Kommunalverwaltung, S. 28f.

M-Government als neues Leitbild

Mit dem Erfolgszug der Mobilfunktechnologie im 21. Jahrhundert wird es möglich, einen Schritt weiter zu gehen: Aus Sicht des Bürgers können die Verwaltungsangebote elektronisch auf dem Smartphone oder anderen portablen Endgeräten genutzt werden,

Jürgen Frischmuth / Wolfgang Karrlein: Aktuelle Trends im Electronic und Mobile Business, in: Peter Blaschke / Wolfgang Karrlein / Brigitte Zypries (Hg.): E-Public, Berlin 2002, S. 9–30, hier S. 9, 15.

sodass sich auch die administrativen Interaktionszusammenhänge mobilisieren.

Alexander Roßnagel / Michael Knopp: Mobilisierte Verwaltung, in: Die öffentliche Verwaltung 59/23 (2006), S. 982–988, hier S. 982.

Zugleich wird die direkte Kontaktaufnahme mit dem Back Office möglich. Aus Sicht der Verwaltungsmitarbeiter bedeutet die neue Technik ein mehr an Effizienz und Effektivität, da sie seine kognitiven Ressourcen, etwa den Aktenlauf zu einem Vorgang, auch im Außendienst mit sich führen können. Als Leitbild für diese Verschiebung dient der Begriff ›Mobile Government‹ (M-Government). Der Terminus leitet sich vom aus dem Wirtschaftssektor stammenden Wort Mobile Business ab, das darauf verweist, dass Geschäftsprozesse basierend auf der Mobilfunktechnologie abgewickelt werden können.

Frischmuth / Karrlein: Aktuelle Trends, S. 9, 12f.

M-Government löst E-Government nicht ab, sondern sattelt auf E-Government-Lösungen auf

Florian Claus Albrecht: E-Government, in: Thomas Hoeren / Ulrich Sieber / Bernd Holznagel (Hg.): Multimedia-Recht, 54. EL Oktober 2020, Rn. 9.

und stellt sich somit als eine parallele Entwicklung dar, als Teilsegment

Guckelberger: Öffentliche Verwaltung, S. 64; Olaf Winkel: Mobile Government – Potenzial und Perspektiven, in: Verwaltung & Management 21/3 (2015), S. 145–153, hier S. 145; auch EU Kommission: eGovernment Action Plan 2011–2015, COM(2010) 743 final, 15. 12. 2010, S. 5; siehe zu dieser Sichtweise ferner den länderübergreifenden Sammelband von Ibrahim Kushchu (Hg.): Mobile Government. An Emerging Direction in e-Government, Hershey 2007.

oder präziser als Erweiterung von E-Government.

Fabian Dziamski: Mobile Government und Bürgerapps, in: Hermann Hill / Mario Martini / Edgar Wagner (Hg.): Die digitale Lebenswelt gestalten, Baden-Baden 2015, S. 233–252, hier S. 234f.

Die Akzentverschiebung besteht darin, dass das Versprechen von E-Government darin besteht, den elektronischen Zugang zur Verwaltung rund um die Uhr sowie eine weitergehende Automatisierung von Verwaltungsabläufen zu ermöglichen, während sich M-Government durch die Vision auszeichnet, im Kontext der öffentlichen Verwaltung nicht nur jederzeit erreichbar zu sein, sondern auch räumlich unabhängig agieren zu können und diese Ortsveränderlichkeit für Verwaltungszwecke zu nutzen.

Stephan Schwarz: Apps, in: Margrit Seckelmann (Hg.): Digitalisierte Verwaltung – Vernetztes E-Government, Berlin 2019, S. 565–586, hier S. 565, 567; Renate Ebel et al.: Mobile Government. Eckpunkte für eine Mobilstrategie der Landesverwaltung Baden-Württemberg, 2015, S. 4; ferner Ralf Daum: Gestaltungsmöglichkeiten von M-Government, in: Christoph Reichard (Hg.): Das Reformkonzept E-Government, S. 140, 143, der die Lokalisierbarkeit als weiteren Unterschied zu E-Government nennt.

Jeder kann mit jedem an jedem beliebigen Ort kommunizieren, Daten übermitteln und empfangen, Verwaltungsprozesse anstoßen und so weiter.

Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hg.): Mobile Kommunikation. Anwendungsbeispiele für Kommunen, Bürger und Wirtschaft, in: DStGB Dokumentation N°52, online: https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Schwerpunkte/Mobilfunk/Archiv/DStGB-Dokumentation%20%22Mobile%20Kommunikation%22/doku52_mobile_kommunikation.pdf (29. 3. 2022).

Es geht mithin darum, neue administrative Handlungsoptionen zu erschließen;

Reinermann / Franz: Mobile Kommunikation, S. 15f.; allgemein zum Änderungspotential des Internets für die öffentliche Verwaltung Thomas Groß: Öffentliche Verwaltung im Internet, in: Die öffentliche Verwaltung 54/ (2001), Heft 3, S. 159.

diese Optionen sind gegenseitige, da sowohl Bürger und Unternehmen als auch die Verwaltung profitieren. M-Government erleichtert etwa die Ausübung von Hoheitsverwaltung, da sie vor Ort sichtbarer werden kann, erlaubt eine bessere Erreichbarkeit schwer zugänglicher Personengruppen wie immobiler Mitbürger oder Personen mit Schwellenängsten und verbessert für den Bürger durch eine größere Kundenorientierung die Akzeptanz der Verwaltung.

Technisch ermöglicht wird dieser Wandel über den mobilen Zugang zum Internet.

Zur Unterscheidung zwischen der »alten und der neuen mobilen Welt« Carlos Ferrero Calle et al.: Mobiles Regieren und Verwalten in einer mobilen Welt. ISPRAT White paper, Berlin 2014, S. 3; ein weites Verständnis (auch Beobachtung mittels Satelliten oder Videoüberwachung) legen hingegen Ig Snellen et al.: Public Administration in the Information Age, Amsterdam 2012, S. 1, 6f. zugrunde.

M-Government erschöpft sich daher nicht im Einsatz überkommener Handgeräte wie Foto- oder Videokameras, bei denen die Daten zunächst starr innerhalb des Speichers des Geräts verbleiben und die folglich nicht auf unmittelbare Kommunikation angelegt sind. Entscheidend ist, dass nicht erst ein stationärer Rechner zum Auslesen und Verwerten nötig ist, sondern dass die Daten mobil werden.

Winkel: Mobile Government, S. 147; auch Anna Pötzl: Demografischer Wandel und Verwaltungsorganisation, München 2018, S. 327.

Im Vordergrund stehen dezidierte Anwendungsprogramme, die auf mobilen Endgeräten installiert werden können (mobile Apps oder kurz Apps),

Auf weitere Umsetzungsmöglichkeiten wie die Nutzung des sogenannten Responsive Design hinweisend Calle: ISPRAT-Whitepaper, S. 11; weitere Beispiele auch bei Ignace Snellen: »Der Staat losgelöst vom Draht« – Von E-Government zu M-Government, in: Verwaltung & Management 16/2 (2010), S. 106–109, hier S. 106f.

und damit ermöglichen, diverse Verwaltungsangelegenheiten über den Einsatz insbesondere von Smartphones, Tablets, aber auch Laptops als mobile Endgeräte abzuwickeln.

Anwendungsbeispiele

Die Erscheinungsformen des Verwaltungshandelns im Internet sind vielgestaltig.

Für die Inhaltsvermittlung im Bürger-Staat-Verhältnis Groß: Öffentliche Verwaltung im Internet, S. 159, 161–164.

Das gilt auch für M-Government-Anwendungen, die als technisches Hilfsmittel in unterschiedlichen Verwaltungssituationen zum Einsatz kommen. Nach der Beziehungsdimension kann man grundlegend zwischen zwei Einsatzfeldern von M-Government unterscheiden:

Statt vieler Guckelberger: Öffentliche Verwaltung, S. 62f.; ferner Calle et al.: ISPRAT-Whitepaper, S. 2; differenzierter OECD: M-Government. Mobile Technologies for Responsive Governments and Connected Societies, in: OECD iLibrary, online: https://www.oecd-ilibrary.org/governance/m-government-mobile-technologies-for-responsive-governments-and-connected-societies_9789264118706-en (29. 3. 2022), S. 25f., die Organisationen und Individuen gegenüberstellt und daher die vier Beziehungsfelder mG2C (government and citizen), mG2B (government and businesses), mG2E (government and its employees) und mG2G (government to government) unterscheidet.

Anwendungen können der Interaktion zwischen Verwaltung und Außenwelt dienen oder sich auf die interne Arbeitsorganisation beziehen.

Interaktion zwischen Verwaltung und Außenwelt

Im Verhältnis zwischen der Verwaltung und ihren Adressaten kommt M-Government insbesondere in Form sogenannter Government-Apps (GovApps) zur Anwendung. Darunter versteht man das Anbieten mobiler Bürgerdienstleistungen auf den Interaktionsstufen ›Informationen bereitstellen‹ (Information), ›Informationen austauschen‹ (Kommunikation) und ›Verwaltungsvorgänge abwickeln‹ (Transaktion).

Schwarz: Apps, S. 565–586; zur Gestaltung dieser »Bürgerapps« Dziamski, Digitale Lebenswelt, S. 234, 236f.; siehe ferner das von der Bundesregierung gestartete, inzwischen eingestellte Projekt GovApps, einer Plattform zur Information über die Angebote, online: https://www.oeffentliche-it.de/govapps (29. 3. 2022). Eine weitergehende Differenzierung findet sich bei Bernd Wirtz / Daniel Schmitt: Mobile Government: Umsetzung und Entwicklungsperspektiven, in: Verwaltung & Management 24/1 (2018), S. 33–41, hier S. 33, 34f., die die Anwendungsbereiche »Mobile Search«, »Mobile Information«, »Mobile Communication«, »Mobile Transaction«, »Mobile Payment«, »Mobile Advertising« und »Mobile Participation« unterscheiden.

Die Kommunalverwaltung kann als Pionierin auf diesem Gebiet betrachtet werden. Als Hauptkategorien lassen sich Mängelmelder-Apps, Informations-Apps, Partizipations-Apps und Bezahl-Apps ausmachen. Zu diesen eingespielten Beispielen treten jüngere Versuche hin, über Identitäts-Apps die digitale Abwicklung auch von Behördengängen zu erleichtern und damit den digitalen Zugang zur Verwaltung zu erleichtern.

Die erste und am weitesten verbreitete Kategorie nutzt von Bürgern bereitgestellte Informationen und verbessert dadurch die Kommunikation von Anliegen an die Verwaltung.

OECD: M-Government, S. 112; Christian Hoffmann: Apps der öffentlichen Verwaltung – Rechtsfragen des Mobile Government, Multimedia und Recht 2013, Heft 10, S. 631 f.

Als ein Vorreiter gilt das britische FixMyStreet-Projekt.

Siehe Astrid Habenstein et al.: ›Open Smart City‹: ›Good Governance‹ für smarte Städte, in: Andreas Meier / Edy Portmann (Hg.): Smart City, Wiesbaden 2016, S. 47–71, hier S. 47, 63.

Mittlerweile bieten viele Städte eigene Mängelmelder-Apps an.

Etwa ›Sag’s Wien‹-App, Stadt Wien: Sag’s Wien - Die App für Ihre Anliegen an die Stadt, online: https://www.wien.gv.at/sagswien/ (29. 3. 2022) sowie die ›Züri wie Neu‹-App, Stadt Zürich: Züri wie neu – Infrastrukturschäden melden, online: https://www.zueriwieneu.ch/ (29.3.2022).

Bürger können ihnen auf diese Weise über Schäden oder Defekte vor Ort – dank eingebauter Kamera und GPS auch mit Standort und Foto – berichten. Die Mängelmelder-App zeigt dem Nutzer zudem den jeweiligen Bearbeitungsstatus seiner Meldung an. Bei manchen Mängelmelder-Apps sammeln eingebaute Sensoren in den mobilen Geräten der Bürger die Daten und übermitteln sie an eine Back-End-Datenbank. So werden mittels der Street-Bump-App der US-amerikanischen Stadt Boston automatisch während der Autofahrt Straßenunebenheiten an die Stadt gemeldet, damit diese deren Ausbesserung vornehmen kann.

Siehe Mayor’s Office of New Urban Mechanics in Boston: Street Bump – About, online: http://www.streetbump.org/about (29. 3. 2022).

Auch der Staat tritt als Bereitsteller von Informationen auf, wenn er Warn-Apps anbietet, die die Bevölkerung zielgerichteter als durch Sirene, Lautsprecherdurchsage oder Meldung im Rundfunk und Fernsehen vor Gefahren und Risiken zu schützen versprechen.

Fabian Schaller: Apps zur Warnung der Bevölkerung, in: Zeitschrift für Datenschutz-Aktuell 2016, 05425; zu dieser Celina Raffl et al. (Hg.): Handbuch für offene gesellschaftliche Innovation, 2020, S. 64.

KatWarn stellt die erste Warn-App auf dem deutschen Markt dar, die den Bürger über Brände, schwere Unwetter oder sonstige unerwartete Gefahrensituationen in seinem Umfeld informiert und ihn mit entsprechenden Handlungsempfehlungen versorgt.

Siehe Katwarn - Das Warnsystem, online: https://www.katwarn.de/warnsystem.php (29. 3. 2022).

Technische Grenzen und die fehlende Verbreitung der App in der Bevölkerung schränken ihren Nutzen indes ein, wie zuletzt die Flutkatastrophe 2021 gezeigt hat;

Schon Schaller: Apps zur Warnung; zur Flutkatastrophe siehe Peter Welchering: Kritik am Katastrophenschutz. Wenn der Strom fehlt, versagt die Warn-App, in: ZDF Nachrichten, online: https://www.zdf.de/nachrichten/digitales/hochwasser-warn-app-notruf-nina-katwarn-100.html (29. 3. 2022).

Warnungen über Push-Nachrichten an das Handy mithilfe der Cell-Broadcast-Technologie sollen Abhilfe schaffen.

Siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Verordnung für die Aussendung öffentlicher Warnungen in Mobilfunk-Netzen (Mobilfunk-Warn-Verordnung - MWV), online: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Gesetz/mobilfunk-warn-vo.pdf?

Beschränkter ist der Anwendungsbereich von Apps, die dazu konzipiert sind, Ansteckungen und Infektionsketten nachzuverfolgen und zu durchbrechen, wie die sogenannte Corona-Warn-App des Robert-Koch-Instituts.

Zur Funktionsweise Thomas Köllmann: Die Corona-Warn-App, in: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2020, Heft 13, S. 831, 832.

Informations-Apps sind aber nicht gleichzusetzen mit Warn-Apps. Im Migrationsverwaltungsrecht macht beispielsweise die Integreat-App Geflüchteten und Migranten mehrsprachig und schnell lokale Informationen zu für sie zentralen Themen, wie Registrierung, Gesundheit, Bildung oder Arbeit, verfügbar, die von Kommunen in das System eingepflegt werden.

Siehe Integreat: Integreat. Die digitale Integrations-Plattform, online: https://integreat-app.de/#start (29. 3. 2022).

Bürgerbeteiligungs-Apps dienen der Verbesserung der Kommunikation zwischen Verwaltung und Außenwelt, indem Partizipationsmöglichkeiten kontextsensitiv und bezogen auf den Nutzerstandort geschaffen werden;

Ebel et al.: Mobile Government, S. 8, online: https://cio-bw.de/documents/20143/32964/Mobile+Government/821ccf10-bd7b-7e03-7183-57410396a8ec (29. 3. 2022).

vor allem Kommunen werden in die Lage versetzt, Bürgerbefragungen nicht nur über analoge Partizipationsformen wie Bürgerversammlungen oder Sprechstunden, sondern auch über das Smartphone durchzuführen. Von ihnen erwartet man, im Sinne einer M-Democracy,

Ibrahim Kushchu / Halid Kuscu: From E-Government to M-Government – Facing the Inevitable, in: 3rd European Conference on e-Government, Dublin 2003, S. 9.

M-Participation

Carolin Schröder: A mobile app for citizen participation, in: International Conference Electronic Governance and Open Society, online: https://core.ac.uk/download/pdf/74355687.pdf (29. 3. 2022).

oder Lunchtime Participation,

Alexander Wilson / Mark Tewdwr-Jones / Rob Comber: Urban planning, public participation and digital technology: App development as a method of generating citizen involvement in local planning processes, in: Environment and Planning B: Urban Analytics and City Science 46 (2019), Heft 2, S. 286–302, hier S. 286, 288.

faktische Zugangsbeschränkungen abzubauen, so Bürger dazu zu bewegen, sich aktiv ins Gemeindeleben einzubringen und im Ergebnis mehr Bürger zu erreichen. Gerade Kommunen versprechen sich, auf diese Weise junge Leute für die Lokalpolitik zu interessieren. In Deutschland betrachtet sich die Stadt Tübingen mit ihrer Bürger-App als Vorreiterin auf diesem Feld:

Siehe Tübingen Universitätsstadt: BürgerApp, online: https://www.tuebingen.de/buergerapp (29. 3. 2022).

Die Ergebnisse der Befragungen zu lokal strittigen Themen wie dem Bau eines neuen Hallenbads sollen dem Gemeinderat als Entscheidungshilfe bei Beschlüssen dienen. Bei einer Befragung bekommt jeder Bürger ab 16 Jahren einen Zugangscode, mit dem er sich in der App anmelden kann. Dort sind dann auch Informationen zum Thema hinterlegt. Geplant ist eine Herabsetzung des Beteiligungsalters sowie eine Fokussierung auf Klimaschutzthemen, um junge Menschen anzusprechen. Interaktivere Formen von Partizipations-Apps wurden in Finnland in der Stadtplanung getestet.

Sarah-Kirsten Thiel / Titiana Ertiö: Play it or Plan it?, in: Saqib Saeed et al. (Hg.): User Centric E-Government, Wiesbaden 2018, S. 203, insb.214–216.

Das sog. Handyparken bildet ein typisches Anwendungsbeispiel

Andere Bezahl-Apps erlauben etwa den Kauf eines Tickets für den ÖPNV, dazu und zu weiteren Beispielen eines Mobile Payment OECD: M-Government, S. 33f.

dafür, wie M-Government auch für die Abwicklung von Transaktionen, das heißt Verwaltungsdienstleistungen, die eine Entscheidung mit Rechtsfolge nach sich ziehen,

Britz: Elektronische Verwaltung, § 26 Rn. 25.

eingesetzt werden kann. Dynamisierungstendenzen bei solchen Transaktionsvorgängen finden sich schon beim dezentralisierten Erwerb von Parkscheinen.

Zum Modell der Stadt Wien siehe MyNextGarage: Parkschein Wien. Standort, Preis, Dauer, Infos, Gebühr – Wo Kaufen?, online: https://www.mynextgarage.at/parkschein-wien (29. 3. 2022).

Handyparken geht aber noch einen Schritt weiter: Bei diesem bargeldlosen Bezahlen von Parkgebühren kommt der Parkschein über eine App, teils auch mittels SMS direkt auf das Handy. Der Vorteil für den Verkehrsteilnehmer gegenüber Parkuhr und Parkscheinautomat ist nicht nur die Zeitersparnis, sondern auch die Kostenersparnis, da Handyparken eine minutengenaue Abrechnung des Parkvorgangs erlaubt. In Deutschland wurde 2005 mit § 13 III Straßenverkehrs-Ordnung

BGBl. I S. 367, zuletzt geändert durch VO vom 20. 4. 2020 (BGBl. I S. 814).

die Rechtsgrundlage für die elektronische Parkraumbewirtschaftung geschaffen. Dem Nutzer bleibt dabei die Wahl zwischen konventioneller und alternativer Bezahlform. Rechtlich realisiert wird das alternative Bezahlen, indem der Straßenbaulastträger, in der Regel die jeweilige Gebietskörperschaft, einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit einem privaten Systembetreiber abschließt, der das technische System zur Verfügung stellt, die Parkgebühren einzieht und diese an die Kommune weiterleitet.

Zum Rechtsstatus Jürgen Wohlfarth: »Handyparken« und mehr – Neuerungen bei der Bezahlung von Parkgebühren und Überwachung der Parkdauer, in: Neue Juristische Wochenschrift 58/37 (2005), S. 2645–2647, hier S. 2646f.

Auch der Nutzer schließt über den Systemanbieter einen Vertrag mit dem Straßenbaulastträger ab.

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Elektronische Parkraumbewirtschaftung. Handy-Parken, WD 3-464/06, Berlin 2006, S. 5.

App-basierte Datenspeicher, die sog. digitalen Brieftaschen (›digital wallets‹), versprechen, dass personenbezogene Nachweise wie Führerschein, Personalausweis, Heirats- oder Geburtsurkunde unkompliziert auf dem Smartphone mit sich geführt werden können. Mit dieser digitalen Identitätslösung, die Ausdruck des SSI-Konzepts (›self sovereign identity‹)

Dazu Andre Kudra: Self-Sovereign Identity (SSI) in Deutschland, in: Datenschutz und Datensicherheit 46/1 (2022), S. 22–26, hier S. 22–24.

ist, gehen auch vielfältige administrative Einsatzmöglichkeiten einher. Lange Wartezeiten in Ämtern entfallen, wenn Anträge und Ummeldungen schnell vom Smartphone aus abgewickelt werden können. Deutschland hat indes die Schwierigkeiten ihrer Einführung im öffentlichen Bereich verdeutlicht: Der sog. digitale Führerschein wurde nach nur wenigen Tagen gestoppt. Sein Scheitern lag neben Sicherheitsbedenken und technischen Problemen wegen der großen Nachfrage an seiner komplizierten Anwendung, denn ein Personalausweis mit aktivierter Online-Funktion wäre weiterhin erforderlich gewesen.

Zu den Gründen Kristina Benecke: Digitaler Führerschein. Nach wenigen Tagen gestoppt, in: ADAC, online: https://www.adac.de/verkehr/rund-um-den-fuehrerschein/aktuelles/digitaler-fuehrerschein/ (29.3.2022).

Aktuell laufen die Projekte ›Schaufenster Sichere Digitale Identitäten‹

Initiiert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Digitale Technologien - Programm, online: https://www.digitaletechnologien.de/DT/Navigation/DE/ProgrammeProjekte/AktuelleTechnologieprogramme/Sichere_Digitale_Identitaeten/Programm/programm.html (29. 3. 2022).

sowie ›Ökosystem Digitale Identitäten‹

Initiiert von der Bundesregierung, online: https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/digitale-identitaeten-1916234 (29. 3. 2022).

. Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Novellierung der eIDAS-Verordnung verlangt weitergehend einen Anspruch auf eine in allen Mitgliedstaaten anerkannte Brieftasche für die europäische digitale Identität (EUid-Brieftasche), die Zugang zu öffentlichen und privaten Online-Diensten in der EU, insbesondere zu solchen, die eine starke Nutzerauthentifizierung erfordern, erlaubt.

Artikel 6a Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines Rahmens für eine europäische digitale Identität, Europäische Kommission, COM/2021/281 final, 3. 6. 2021.

Auch ihre Durchsetzung stößt aber auf eine Reihe von Herausforderungen.

Konstantin Schaarschmidt / Martin Schallbruch / Stefan Schuck: Digitale Brieftaschen für sichere Identitäten. Europäisches Vorhaben für Digital Identity Wallets, in: Datenschutz und Datensicherheit 46/1 (2022), S. 12–17, hier S. 12, 17.

Verwaltungsinterner Einsatz

Verwaltungsintern wird M-Government bislang zum einen genutzt, damit die Verwaltung Kontakt zu immobilen Personengruppen aufnehmen kann, zum anderen unterstützen Apps die Tätigkeit von Außendienstmitarbeitern und machen diese damit noch mobiler.

Das zunächst in Berlin

Später auch in anderen deutschen Städten wie Hamburg, Bergisch-Gladbach et cetera sowie außerhalb Deutschlands, etwa im Rahmen des Projekts CIDRE (Citizen-Friendly Trans European mGovernment Services).

als Pilotprojekt eingeführte Konzept der mobilen Bürgerdienste (MoBüD)

Siehe den Schlussbericht Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik / Heinrich-Hertz-Institut: Usability und Endgeräte für mobile Bürgerdienste, Berlin 2002; Udo Rienaß / Rainer Wagnitz: Mobile Verwaltung ermöglicht besseren Bürgerservice, in: Innovative Verwaltung 27/1–2 (2005), S. 19–21, hier S. 19; Manuel Slupina / Steffen Kröhnert: Dezentrale Betreuung im ländlichen Raum, Berlin 2012; auch Grabow: Aufsuchende Verwaltung, S. 159, 163.

basiert auf der Idee eines ›rollenden Rathauses‹. Das bereits den Bürgerämtern verliehene Motto »Die Verwaltung soll laufen und nicht der Bürger«

Siehe oben Fußnote 15.

trifft bei diesem Konzept umso mehr zu. Denn sogenannte mobile Bürgerberater fahren ausgestattet mit dem speziell entwickelten Bürgerberatungs-Koffer oder Bürger-Koffer,

Dieser circa 15 Kilogramm schwere Koffer konnte bis Ende 2019 von der Bundesdruckerei gekauft oder gemietet werden.

der Laptop, Drucker, Scanner, Kartenlesegerät, Fingerprint, Unterschriftenpad und Netzzugang umfasst und sie damit mit dem Back Office vernetzt, in strukturell weniger entwickelte Regionen oder zu alten, kranken oder behinderten Personen und bieten vor Ort Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie Meldeangelegenheiten, Pass- und Personalausweis-Angelegenheiten sowie Beantragungen von Führungszeugnissen an, so dass zentrale Anlaufstellen, zu denen die Öffentlichkeit reisen muss, für diese Personen überflüssig werden. Neben der Beratung ermöglicht der Bürgerberatungs-Koffer auch die Bezahlung und das Aushändigen amtlicher Dokumente. In den Pilotprojekten steuerten die Mitarbeiter in erster Linie temporäre Standorte in Einkaufspassagen, Wochenmärkten, Justizvollzugsanstalten, Seniorentreffs oder Krankenhäusern an, jedoch schließt MoBüD auch Hausbesuche oder Besuche an Arbeitsstätten mit ein.

Die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) hat auf der Grundlage der Richtlinie über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr

Richtlinie 2002/59/EG über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr, ABl. 208/10.

die App Integrated Maritime Services (IMS) entwickelt,

Siehe EMSA European Maritime Safety Agency: Integrated Maritime Services, online: http://www.emsa.europa.eu/we-do/digitalisation/maritime-monitoring.html (29. 3. 2022).

die den Verwaltungen der Mitgliedstaaten sowie EU-Instanzen ein umfassendes und auch maßgeschneidertes Bild vom Seeverkehr in Echtzeit auf das Smartphone liefert. Dies wird durch einen integrativen Prozess ermöglicht, der die gemeinsame Nutzung und den Austausch von Informationen zwischen Mitgliedstaaten und EU beinhaltet und mit einer erweiterten maritimen Datenanalyse kombiniert. Einsatzgebiete der App bilden etwa die Fischereikontrolle, der Grenzschutz, die Hafen- und Gefahrenabwehr im Seeverkehr sowie der Meeresumweltschutz. IMS stellt zunächst Informationen wie ein Live-Bild des Schiffsverkehrs und Seekarten zur Verfügung; zudem können Schiffe in der Nähe des Nutzers gesucht, Schiffe von Interesse als Favoriten gespeichert sowie Schiffsdetails wie die Flagge eingesehen werden. Eine Alarmfunktion benachrichtigt den Nutzer automatisch über Ölverschmutzungen (CleanSeaNet Detections) sowie auffälliges Verhalten im Seeverkehr, etwa ein Abweichen von der Route (Automated Behaviour Monitoring, ABM-Alert).

Der polizeiliche Einsatz mobiler Geräte und entsprechender Anwendungssoftware im Außendienst firmiert unter dem Begriff ›Mobile Policing‹ oder ›Mobile Police‹

Constantin Houy et al.: Digitale Polizeiarbeit, in: Tanja Klenk / Frank Nullmeier / Göttrik Wewer (Hg.): Handbuch Digitalisierung in Staat und Verwaltung, Wiesbaden 2020, S. 1, 6; für die USA Steve Sawyer / Andrea Tapi: The Sociotechnical Nature of Mobile Computing Work: Evidence from a Study of Policing in the United States, in: International Journal of Technology and Human Interaction 1 (2005), Heft 3, S. 1–14, hier S. 1, 5.

und beruht auf der Idee digitalisierter Streifenwagen und vernetzter Polizisten.

Zu diesem Bild siehe in: VdZ Verwaltung der Zukunft, online: https://www.verwaltung-der-zukunft.org/oeffentliche-sicherheit/digitalisierte-streifenwagen-und-vernetzte-polizisten (29. 3. 2022).

Die Grundlage bildet die Vernetzung mit der Zentrale über den Zugriff auf die polizeilichen Datenbanken per Smartphone oder Laptop.

Siehe Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg: Neue App für die Polizei, online: https://im.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilung/pid/neue-app-fuer-diepolizei (29. 3. 2022).

Konkret erlaubt M-Policing, dass Polizeibeamte auch ohne das Eintippen von Namen, Nummern oder anderen Daten, sondern etwa mit ihrer Smartphone-Kamera, Vorgänge am Ort des Geschehens wie Unfälle aufnehmen und gleich weiterverarbeiten; darüber hinaus ist ein automatisierter Abgleich der erfassten Personendaten und Gegenstände mit den polizeilichen Informationssystemen möglich. Da sich dadurch die Rückfahrt zur Dienststelle in vielen Fällen erübrigt und Arbeitsprozesse beschleunigt werden, soll die mobile digitale Polizeiarbeit die Präsenz der Polizei vor Ort, vor allem in Brennpunktbereichen, erhöhen.

Christopher Koper / Cynthia Lum / Julie Hibdon: The Uses and Impacts of Mobile Computing Technology in Hot Spots Policing, in: Evaluation Review 39/6 (2015), S. 587–624, hier S. 587, 591 mit weiteren Nachweisen.

Häufige Anwendungsfelder bilden die Verkehrs- und Personenkontrolle; beispielsweise kann der Beamte umgehend Lenk- und Ruhezeiten sowie die aufgezeichneten Geschwindigkeiten im gewerblichen Personen- und Schwerlastverkehr überprüfen oder feststellen, ob die kontrollierte Person zur Fahndung ausgeschrieben ist. Elaborierte Systeme sind in der Lage, per App Ausweisdokumente auf ihre Echtheit zu kontrollieren

So etwa die Dokumentenprüf-App der Bundespolizei, die die Generierung eines Fälschungsverdachts ermöglicht, siehe online unter: https://www.secunet.com/de/referenzen/bundespolizei-mobile-polizei-apps/ (29. 3. 2022).

und die Lageeinschätzung durch geobasierte Fachdaten zu unterstützen.

So die Apps der Polizei in Schleswig-Holstein, Kommune21: Kiel. Apps unterstützen Polizeiarbeit, online: https://www.kommune21.de/meldung_34118_r (29. 3. 2022).

Der Überblick zeigt, dass die Lösungen in der Regel unmittelbar auf der bestehenden mobilen Infrastruktur aufsetzen, denn gerade der Rückgriff auf das Smartphone, das viele ohnehin ständig bei sich tragen, macht M-Government-Anwendungen für den Nutzer attraktiv. Seltener finden sich Beispiele, die ein spezielles technisches Instrumentarium nötig machen.

Winkel: Mobile Government, S. 145, 147.

Rekonfiguration der öffentlichen Verwaltung

Inwiefern M-Government-Anwendungen die Verwaltungspraxis prägen, muss für jede Erscheinungsform gesondert beurteilt werden. Teilweise bilden Ressourcenprobleme und schleppende interne Verwaltungsabläufe Hürden für den Einsatz. So ist die Bilanz des Bürgerkoffers gemischt: Wegen des Kostenaufwands haben einige Kommunen den Service eingestellt, dieser wird durch die Bundesdruckerei nicht mehr angeboten;

Landtag von Baden-Württemberg: Einstellung des Bürgerkoffers, LT-Drs. 16/7190, S. 2f.

nach Protesten anderer Kommunen ist von der Bundesdruckerei allerdings ein Generationenwechsel geplant.

Süddeutsche Zeitung: Mobiles Amt im Bürgerkoffer kommt vorerst nicht mehr, 5. 2. 2020, online: https://www.sueddeutsche.de/politik/kommunen-schwerin-mobiles-amt-imbuergerkoffer-kommt-vorerst-nicht-mehr-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200205-99-780556 (29. 3. 2022).

Das deutsche Havariekommando in Cuxhaven nutzt derzeit statt der IMS-App von EMSA die Desktop-Systemvariante. Dies beruht aber nicht auf Ablehnung oder Desinteresse; im Gegenteil verspricht sich das Havariekommando für ihre Einsatzleiter vor Ort (On Scene Coordinators, OSCs) durch die Nutzung mobiler Endgeräte bei Einsatzlagen einen Vorteil. Die Zurückhaltung ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass dem Zugang zur IMS-App ein Antragsverfahren vorausgehen muss, das noch nicht abgeschlossen ist. Werden die Apps hingegen etablierter Bestandteil der technischen Infrastruktur der Verwaltung, dann können sie Konsequenzen für die Wirklichkeit der Verwaltungskommunikation haben, aber auch für die Verwaltungsabläufe, da das Back Office entgegen des Bürokratiemodells unmittelbar Kontakt mit Bürger und Unternehmen aufnimmt. Zwei Erfahrungsberichte aus den Städten Konstanz und Tübingen mit GovApps sollen diese Auswirkungen verdeutlichen.

Die 2016 eingeführte Mängelmelder-App der Stadt Konstanz wird von den Einwohnern angenommen. Die Nutzung der App ist auch in der Stadtverwaltung insofern beliebt, als sie die Qualität der Kommunikation verbessert, da die Meldungen direkt an die zuständigen Mitarbeiter gehen, die diese auch beantworten; die obligatorische Verwendung vorgefertigter Kategorien sowie die Möglichkeit, Bilder zu schicken, verspricht relevantere und objektivere Informationen als bei einer Meldung über die herkömmlichen Kommunikationswege, bei denen die Einwohner ihr Anliegen oftmals umständlich erklären (müssen) und damit Nachfragen notwendig werden. Auf der anderen Seite leistet die Mängelmelder-App dem Querulantentum Vorschub, da die Hemmschwellen sinken, wenn ein Sachverhalt, der als störend empfunden wird, umgehend mittels des Smartphones gemeldet werden kann, sodass die Stadtverwaltungen vermehrt mit Lappalien konfrontiert wird. Muss der Einwohner erst nach Hause gehen und dort einen Brief verfassen oder eine E-Mail schreiben oder muss er gar den Weg aufs Amt auf sich nehmen, reflektiert er die Bedeutung eines Problems im Zweifel im Vorhinein. Über die Mängelmelder-App entfällt dieser Filter der Bequemlichkeit. Zudem mussten seitens der Stadtverwaltung organisatorische Vorkehrungen für eine gute Verwaltungskommunikation getroffen werden, da die Nutzerfreundlichkeit keine rein technische Angelegenheit ist: Entscheidet sich die Verwaltung wie oftmals für eine dezentrale Bearbeitung und Beantwortung der Mängel-Meldungen, bedeutet das, dass Mitarbeiter aus dem Back Office auch Aufgaben der Außenkommunikation übernehmen. Da das Back Office nach dem überkommenen Büromodell von der Interaktion mit Bürger beziehungsweise Unternehmen abgeschirmt war, sind seine Mitarbeiter aber nicht auf den Außenkontakt eingestellt. Um trotzdem einen höflichen Kontakt, insbesondere in Hinblick auf die leidigen querulatorischen Meldungen, aufrechtzuerhalten, mussten seitens der Stadt interne Richtlinien erlassen und Schulungen durchgeführt werden.

Aber auch falls sich die Verwaltung gegen eine Dezentralisierung der Außenkommunikation entscheidet oder diese nicht möglich ist, können GovApps die internen Abläufe aufstören. Die Praxis untermauert, dass Apps andere Zugangswege zur Verwaltung nicht ersetzen, sondern zu ihnen hinzutreten. Ihre Parallelität wird auch aus Gründen der Zugangsgleichheit für rechtlich geboten gehalten.

Britz: Elektronische Verwaltung, § 26 Rn. 57.

Die Vervielfältigung der Kommunikationskanäle zur Verwaltung kann dann aber von dieser verlangen, interne Strukturen bereitzuhalten, um die über die diversen Zugangspunkte in die Verwaltung einfließenden Informationen zu bündeln und auszuwerten, wie dies bei den Befragungen der Stadt Tübingen der Fall ist, die nicht nur über die Bürger-App der Stadt Tübingen erfolgen, sondern auch über den stationären Computer und per Brief.

Hinzu treten weitere praktische Hürden in der Verwaltungskommunikation. Das Erfordernis zusätzlich technischer Einrichtungen, die der Nutzer erst anschaffen muss, sind ein bekanntes Problem elektronischer Kommunikation.

Britz: Elektronische Verwaltung, § 26 Rn. 54.

Das muss auf M-Government-Angebote nicht zutreffen, da sie gerade den Aufwand gegenüber einer stationären Kommunikationssituation verringern sollen. Die Teilnahme an der Bürger-App der Stadt Tübingen erfolgt etwa über eine einmalige Registrierung. Eine typische Herausforderung ist die Konkurrenz mit anderen Apps. Um in der Flut von Apps wahrgenommen zu werden, muss die Verwaltung aktiv Werbung für ihre Apps machen, um die Aufmerksamkeit der Einwohnerschaft zu erlangen und aufrechtzuerhalten. Bei GovApps, die sich an junge Zielgruppen wenden, wie die Bürger-Apps, sind die Hinweise in herkömmlichen Medien wie dem Amtsblatt oder auch der Webseite der Kommune kaum zielführend. Die Verwaltung muss Apps daher durch PR-Konzepte flankieren, die Informationsmittel zielgruppenspezifisch auswählen und auf den örtlichen Bedarf zuschneiden.

Mario Martini / Saskia Fritzsche: Kompendium Online-Bürgerbeteiligung, München 2015, S. 84f.

Im Ergebnis können Apps zu einem institutionellen Mehraufwand in Form interner Koordinationserfordernisse führen und von der öffentlichen Verwaltung die Übernahme neuer Aufgaben der Informationspolitik verlangen.

Rekonfiguration rechtlicher Grundfragen
Recht und Innovation

Der Staat nimmt in Bezug auf Innovationen zwei Funktionen ein. Er kann angesichts der mit ihnen verbundenen Chancen den Einsatz innovativer Techniken durch das Recht fördern und ermöglichen, indem es beispielsweise rechtliche Hindernisse für seinen Einsatz beseitigt.

Zum »Innovationsermöglichungsrecht« Wolfgang Hoffmann-Riem: Innovation und Recht – Recht und Innovation, Tübingen 2016, S. 33–35, 407–452.

Die Novellierung von § 13 III Straßenverkehrs-Ordnung hat in diesem Sinne das Handyparken in Deutschland gestattet. Er kann weiter den Risiken von Innovationen normative Grenzen setzen.

Von »Innovationsverantwortung« sprechend Hoffmann-Riem: Innovation und Recht, S. 30f.

Um die Ausformung dieser Begrenzungsfunktion in Bezug auf M-Government-Anwendungen geht es im Folgenden. Dabei wird zwischen zwei Arten von Risiken unterschieden:

Risiken sind in einem ersten Schritt mit der Anpassung von Technologien und mit dem Einsatz von Innovationen an sich verbunden. Bei administrativen Apps ist neben vergaberechtlichen Fragen vor allem an die Sicherstellung von Datenschutz und Datensicherheit zu denken.

Für GovApps Hoffmann: Apps der öffentlichen Verwaltung, S. 631–636, sowie speziell zum Datenschutz Schwarz: Apps, S. 565, 571f., 574–583.

Eine entsprechende Regulierung verwirklicht speziell bei GovApps gleichzeitig eine innovationsfördernde Funktion, da Datenschutz- und Datensicherheitsrisiken Bürger und Unternehmen von der Nutzung abhalten können. Vertraut der Nutzer nicht darauf, dass mit seinen Daten diskret umgegangen wird, wird er Informationen oder gar seine Meinung der Verwaltung gegenüber nur zurückhaltend mittels App kundtun.

Solche spezifischen Probleme werden an dieser Stelle nicht behandelt; stattdessen gilt es, rechtliche Konsequenzen grundsätzlicher Art anzusprechen, die sich aus einer Verwendung von M-Government-Anwendungen für die Verwaltung und ihr Verhältnis zum Verwaltungsadressaten ergeben. Bei diesen Risiken geht es nicht um gänzlich neue Risiken, vielmehr treten bekannte Risiken, die durch die Büroperspektive bislang nicht immer im Blick waren, deutlicher hervor und nehmen neue Dimensionen an.

Korruption als Thema der Verwaltungskontrolle

Neue Informationstechniken und Kommunikationsformen können die Ausübung von Verwaltungskontrolle einerseits erleichtern, andererseits dysfunktionale Effekte auf diese haben.

Wolfgang Kahl: Begriff, Funktionen und Konzepte von Kontrolle, in: Wolfgang Hoffmann-Riem / Eberhard Schmidt-Aßmann / Andreas Voßkuhle: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 3, München 2013, § 47 Rn. 189–192.

Letzteres ist bei M-Government-Anwendungen darauf zurückzuführen, dass diese eine administrative Dezentralisierung und Auflösung von Organisationsstrukturen (weiter) fördern. Die Kontaktaufnahme mit Bürgern und Unternehmen findet immer weniger im Innenbereich der Verwaltung statt und wird stattdessen zunehmend in den öffentlichen Bereich oder sogar in den privaten Bereich verlagert. In dem Maße, in dem Verwaltungsmitarbeiter mobil sind und relativ unabhängig voneinander arbeiten, wird jedoch nicht nur die Aufdeckung von Korruption erschwert, sondern die Verwaltungsmitarbeiter verlieren auch ein Stück weit den Schutz, der ihnen durch die Arbeit in der Umgebung eines öffentlichen Verwaltungsgebäudes gewährt wurde. Vor Ort können Bürger und Unternehmen mehr Druck auf die Verwaltungsmitarbeiter ausüben. Hinzu kommt, dass M-Government-Instrumente gerade auch zum Einsatz in ohnehin schwierigen Milieus gedacht sind, wie der Fall von M-Policing zeigt. Diese Entwicklung bedeutet, dass durch M-Government Situationen entstehen können, die als korruptionsfördernd gelten und damit eine Schwachstelle einer rechtsstaatlichen Verwaltung darstellen. So werden in der Korruptionsforschung unter anderem Arbeitsbereiche, die typischerweise vor Ort und von nur einer Person durchgeführt werden oder bei denen ein besonderes Naheverhältnis zwischen Verwaltung und Adressat besteht, als für Korruption kritische Konstellationen bezeichnet.

Dazu und zu weiteren Risikokriterien Matthias Korte: Korruptionsprävention im öffentlichen Bereich, in: Dieter Dölling (Hg.): Handbuch der Korruptionsprävention, München 2007, S. 292–351, 6. Kapitel Rn. 8, S. 295; Sebastian Wolf: Korruption, Antikorruptionspolitik und öffentliche Verwaltung, Wiesbaden 2013, S. 83f.; Heinrich Bücker-Gärtner: Korruptionsprävention in Behörden, in: Thomas Kliche / Stephanie Thiel (Hg.): Korruption: Forschungsstand, Prävention, Probleme, Lengerich 2011, S. 467–489, hier S. 457, 474.

Für ohnehin schon nach Außen bezogene Verwaltungsbereiche wie Polizeikontrollen wird das Korruptionsrisiko zwar nicht begründet, aber weiter erhöht.

Das bedeutet, dass die gerade in Deutschland lange unterschätzte Gefahr der Korruption, die vorrangig als ein Problem von Entwicklungsländern wahrgenommen wurde,

Bücker-Gärtner: Korruptionsprävention, S. 467, 468; zum Hintergrund Karl-Peter Sommermann: Brauchen wir eine Ethik des öffentlichen Dienstes?, in: Verwaltungsarchiv 89 (1998), S. 290–305, hier S. 290, 291, 295f. Eine Studie der Universität Konstanz zeigt allerdings, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen ein sehr unterschiedliches Bild von Korruption haben, Dirk Tänzler / Konstadinos Maras / Angelos Giannakopoulos: Crime and Culture. Breaking New Grounds in Corruption Research, in: Discussion Paper Series No 1 2007, online: https://kops.uni-konstanz.de/bitstream/handle/123456789/11588/Discussion_Paper_No_1_Project_Presentation_June_2007.pdf?sequence=1&isAllowed=y (29. 3. 2022).

zu einem relevanten Thema wird. Das Vertrauen auf eine rechtsstaatliche Verwaltung, die durch Beamtengesetze (etwa § 60 Bundesbeamtengesetz) und Befangenheitsregeln (etwa §§ 20, 21 Verwaltungsverfahrensgesetz) auf Unparteilichkeit, Objektivität und Uneigennützigkeit verpflichtet ist, kann dann nicht länger überzeugen. Bei der daran anschließenden Frage nach passenden Strategien der Korruptionsprävention gilt es, die Ratio von M-Government-Instrumenten im Blick zu behalten. Daher ist zu sehen, dass sich organisatorische Maßnahmen zur Erleichterung der Aufsicht über korruptionssensible Bereiche, die auf mehr Transparenz zielen, wie Dokumentations- und Berichtspflichten sowie unangekündigte Kontrollen,

Korte: Korruptionsprävention, 6. Kapitel Rn. 12, 25, 28.

am Beschleunigungs- und Mobilisierungsgedanken dieser Innovation stoßen; in diesem Sinne deuten Studien darauf hin, dass Berichtspflichten das Versprechen von M-Policing einschränken.

Studien zur Frage einer Erhöhung der Produktivität der Polizeiarbeit durch solche Technologien kommen zu gemischten Ergebnissen, da der Einsatz neuer IT-Systeme mit technischen Problemen und erhöhten Berichtspflichten einhergeht, siehe Christopher Koper / Cynthia Lum / Julie Hibdon: The Uses and Impacts of Mobile Computing Technology in Hot Spots Policing, in: Evaluation Review 39/6 (2015), S. 587–624, hier S. 587, 591 mit weiteren Nachweisen.

Lösungen sollten vielmehr der dezentralen Natur einer mobilen Verwaltung gerecht werden. So ermöglichen Maßnahmen im Präventionsfeld Personal wie die Stärkung des Mehr-Augen-Prinzips,

Bücker-Gärtner: Korruptionsprävention in Behörden, S. 467–489; Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsbekämpfung in der Bundesverwaltung, 3.1; für das Vergaberecht § 20 Korruptionsbekämpfungsgesetz NRW (Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Errichtung und Führung eines Vergaberegisters in Nordrhein-Westfalen).

nach dem kein Mitarbeiter einen Vorgang allein abschließen darf und stattdessen mehrere Beschäftigte oder Organisationseinheiten mitwirken, eine Gegenkontrolle und einen Schutz vor unlauteren Praktiken sowie späteren unbegründeten Vorwürfen; dieses Prinzip kann auch für Ortstermine eingesetzt werden.

Uwe Bekemann: Kommunale Korruptionsbekämpfung, Stuttgart 2007, S. 31; Bruno Grupp: Korruptionsabwehr in der öffentlichen Verwaltung, Renningen 2001, S. 109; Bücker-Gärtner: Korruptionsprävention in Behörden, S. 467, 477.

Weitere personalbezogene Maßnahmen wie ein »aktives Ethikmanagement«

Nathalie Behnke: Alte und neue Werte im öffentlichen Dienst, in: Bernhard Blanke et al. (Hg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, Wiesbaden 2011, S. 340–349, hier S. 340, 347f. Mindestanforderungen sind Belehrungspflichten und ein Verhaltenskodex, siehe Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung, 7.1, die aber allein nicht genügen, auch Sommermann: Ethik des öffentlichen Dienstes, S. 290, 302, der daher auf die Vermittlung von Ethik im Rahmen der Aus- und Fortbildung setzt.

und eine konsequente Anwendung des Prinzips der Personalrotation

Korte: Korruptionsprävention, 6. Kapitel, S. 289–397f.; § 21 Korruptionsbekämpfungsgesetz NRW (Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Errichtung und Führung eines Vergaberegisters in Nordrhein-Westfalen, GV. NRW. 2005 S. 8).

versprechen, die Mitarbeiter zudem für das Korruptionsproblem zu sensibilisieren, das Entstehen eines zu großen Naheverhältnisses zu verhindern und die Bereitschaft zur Annahme eines Korruptionsangebots zu verringern, da der Mitarbeiter damit rechnen muss, dass Unregelmäßigkeiten durch den Nachfolger aufgedeckt werden.

Schutz vor Überrumpelungseffekten

Umgekehrt kann M-Government die Rechte des Verwaltungsadressaten tangieren. Denn die Mobilisierung der Verwaltung transformiert diese über den Bereich von gefahrenabwehrrechtlicher Kontrollen hinaus zu einer »aufsuchenden Verwaltung«

Zum Begriff Grabow: Aufsuchende Verwaltung, S. 159.

insofern, als man auch in Situationen und an Orten, in beziehungsweise an denen man gewöhnlich nicht damit rechnet – wie im persönlichen Umfeld, am Geschäfts- oder Arbeitsplatz, im Einkaufszentrum oder im Krankenhaus – mit Verwaltungshandeln konfrontiert wird. Hinzu kommt, dass der Einzelne sich der Konfrontation mit der Verwaltung in diesen Zusammenhängen unter Umständen weniger gut entziehen kann. Die Verwaltungsmitarbeiter, die sich beiläufig dazu entscheiden, persönlich vorbeizuschauen, können zum einen Einblick in das private Umfeld des Einzelnen erhalten oder die Geschäftstätigkeit des Unternehmens stören, zum anderen lässt sich der Verwaltungsadressat angesichts des Überraschungsmoments womöglich zu Verwaltungsgeschäften hinreißen, die sich im Nachhinein als nicht notwendig oder sogar nachteilig herausstellen. Solche potenziellen Überrumpelungseffekte werden gerade dann prekär, wenn M-Government nicht nur zu Kontrollzwecken eingesetzt wird, bei denen die Effektivität der Maßnahme unter Umständen ein Überraschungsmoment verlangen mag,

Zur Finanzverwaltung Hans Anders: Kontrollbesuche durch den »Flankenschutfahnder«, in: Deutsches Steuerrecht 2012, Heft 24, S. 1779, 1782.

sondern den Zugang gerade auch besonders schutzbedürftiger Personengruppen zur Verwaltung erleichtern soll.

Grundrechtlich ist dies in Deutschland kein Thema der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz), da es an Durchsuchungen fehlt, aber betroffen sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 I Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 1 I Grundgesetz), das dem Einzelnen das Recht zubilligt, in seiner Privatsphäre in Ruhe gelassen zu werden,

Dietrich Murswiek / Stephan Rixen: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person, in: Michael Sachs (Hg.): Grundgesetz, München 82018, Rn. 70.

sowie die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 I Grundgesetz), die die Entscheidungsfreiheit garantiert

Murswiek / Rixen: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Rn. 70, Rn. 81.

sowie vor dem Betreten und Besichtigen von Geschäfts- und Betriebsräumen schützt.

BVerfGE 32, 54, 76f.; kritisch Jörg Ennuschat: Behördliche Nachschau in Geschäftsräumen, in: Archiv des öffentlichen Rechts 127/2 (2002), S. 252–290, 252, insbesondere ab 261.

Auf der Ebene der europäischen Grund- und Menschenrechte ist an eine Ansiedlung beim Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens zu denken (Artikel 7 EU-Grundrechte-Charta, Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention). Wegen der potenziellen Überrumpelungseffekte lässt auch eine Einwilligung die Grundrechtsrelevanz nicht entfallen.

Aus dem Datenschutzrecht Stefan Ernst: Die Einwilligung nach der Datenschutzgrundverordnung, in: Zeitschrift für Datenschutz 7/3 (2017), S. 110–113, hier S. 110, 112.

Bei der Suche nach einem Konzept für einen Überrumpelungsschutz scheint eine Anleihe an das Zivilrecht naheliegend.

Im Ergebnis aber ablehnend Michael Knopp: Mobile Government in Germany, in: Ibrahim Kushchu / Halid Kuscu (Hg.): Proceedings of EURO mGOV 2005. Mobile Government Consortium International LLC, Brighton 2005, S. 275, 281f.

Die Verbraucherrechte-Richtlinie der EU

Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2011 über die Rechte der Verbraucher, ABl. L 304 S. 64; vormals Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. 12. 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L 372 vom 31. 12. 1985, S. 31.

billigt Verbrauchern bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag mit einem Unternehmen ein Widerrufsrecht zu, Artikel 9, und statuiert Informationspflichten, etwa zum geschäftlichen Zweck, den wesentlichen Eigenschaften der angebotenen Waren oder Dienstleistungen oder zur Identität des Unternehmens und zu seinen Kontaktdaten, Artikel 6. Bei solchen auch »Haustürgeschäft« genannten Vertragsschlüssen steht die Überlegung im Vordergrund, dass man bei Vertragsschlüssen außerhalb von Geschäftsräumen möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist.

Zum Schutzzweck Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2011/83/EU.

Der Überrumpelungsschutz bildet damit ein Kernanliegen des Verbraucherschutzrechts. Im Unterschied zum privatrechtlichen Bereich unterliegt die öffentliche Verwaltung aber Gemeinwohlbindungen, weswegen ein Lösungsrecht in Bezug auf Verwaltungsleistungen nicht zwingend erforderlich erscheint; gleichzeitig genügt allein eine Informationspflicht im Sinne des Artikel 6 der Verbraucherrechte-Richtlinie nicht als Überrumpelungsschutz, da sie bestenfalls

Zur Kritik Christoph Busch: § 312b BGB, in: Beate Gsell et al. (Hg.): beck-online-Großkommentar BGB, Berlin 15. 7. 2020, Rn. 2.

eine informierte Entscheidung ermöglichen und Beschwerden über aufdringliche Verwaltungsmitarbeiter erleichtert.

Eine passendere öffentlich-rechtliche Schutzgarantie lässt sich der Rechtsprechung zu behördlichen Nachschau- und Betretungsrechten entnehmen. Diese koppelt solche Befugnisse nicht nur an die Pflicht zur Legitimation der Bediensteten auf Verlangen, sondern auch an eine rechtzeitige Benachrichtigung vor dem Betreten von Geschäfts- und Betriebsräumen mit dem Inhalt, dass die Verwaltung von ihren Nachschau- und Betretungsrechten Gebrauch machen wird.

Zur Lebensmittelkontrolle BVerwG, LMRR 1987, S. 60. Das Gericht leitet diese Informationspflicht aus dem durch Artikel 13 I Grundgesetz geschützten Hausrecht des Betriebsinhabers ab, das auch das Recht umfasse, »zu erfahren, welche Personen zu welchem Zweck sich in diesen Räumen aufhalten« (ebenda).

Durch die damit obligatorische Vorwarnung kann sich der Bürger oder das Unternehmen auf die Konfrontation mit der Verwaltung einstellen. Allerdings wird man die Ausgestaltung der Unterrichtungspflicht je nach Adressat und Situation variieren müssen: Bei der Kontaktaufnahme im öffentlichen Raum sowie in öffentlichen Einrichtungen genügt grundsätzlich eine öffentliche Ankündigung, dass die Verwaltung dort präsent sein wird, zusammen mit der Angabe der jeweiligen Zeiträume. Die Zulässigkeit von Besuchen im Privatbereich sollte hingegen grundsätzlich von einer entsprechenden Anfrage des Einzelnen abhängig gemacht werden; die Unterrichtungspflicht wandelt sich in diesem Fall zu einer Erlaubnispflicht, die unangekündigtem Aufsuchen zu Hause einen Riegel vorschiebt.

Legitimationsfragen

Als Ausdruck kommunaler Organisationshoheit können neue Bürgerbeteiligungsformen nach überwiegender Ansicht auch ohne Grundlage in den Kommunalgesetzen zulässig sein.

Klaus Lange: Kommunalrecht, Tübingen 2019, Kapitel 9 Rn. 187; zur Diskussion mit weiteren Nachweisen Niclas Hellermann: Die Zulässigkeit kommunaler Bürgerhaushalte, in: Deutsches Verwaltungsblatt 19 (2011), S. 1195–1202, hier S. 1195, 1198.

Eröffnet man den Bürgern über M-Government, wie im Fall der Bürger-App der Stadt Tübingen, jedoch weitreichende Partizipationsmöglichkeiten, da man sie in unkomplizierter und niedrigschwelliger Weise in die Entscheidungsfindung einbezieht, drohen Verschiebungen in der demokratischen Legitimationsstruktur.

In Deutschland bedarf es einer demokratischen kommunalen Selbstverwaltungsstruktur, Artikel 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 Grundgesetz; allgemein zu den Konsequenzen des digitalen Wandels für die kommunale Demokratie Lau: Kommunale Demokratie 2.0.

Vorbehalte, die schon gegenüber der analogen Bürgerbefragung geäußert werden,

Zur Diskussion Alfons Gern / Christoph Brüning: Deutsches Kommunalrecht, Baden-Baden 2019, Rn. 782f.

werden bei digitalen Formaten bestärkt und durch weitere Risiken flankiert:

Die Bürger-App ist zwar kein Sachentscheidungstool, geht aber über eine bloß beratende Mitwirkung, die Akzeptanz sichert, Informationen und Wissen generiert und rechtliches Gehör gewährt, hinaus. Sie ist als Befragungsmittel zur Zulässigkeit bestimmter örtlicher Projekte konzipiert, um der örtlichen Vertretung der Bürger ein Stimmungsbild zu verschaffen. In der Praxis droht der Unterschied zur Abstimmung zu verwischen, wie die Nutzerbewertungen im App-Store andeuten, die von Abstimmungen sprechen.

Siehe collective mind AG: BürgerApp Tübingen, in: Google Play Store, online: https://play.google.com/store/apps/details?id=de.binaryx.vivi.tuebingen&hl=de&gl=US (29. 3. 2022).

Auch eine Gestaltung solcher Apps, bei der die eigene Meinung mit Hilfe simulierter Wahlurnen bestätigt werden muss, verstärkt den Eindruck beim Bürger, er selbst wirke unmittelbar politisch mit. Auch wenn die generierten Befragungsergebnisse rechtlich nicht verbindlich sind, bedarf es bei eindeutigen Befragungsergebnissen einer großen Argumentationskraft und eines guten Selbstvertrauens der örtlichen Entscheidungsträger, wenn sie sich gegen das so erfasste Stimmungsbild wenden wollen. Üblicherweise vollzieht sich die Willensbildung auf kommunaler Ebene aber durch die gewählten Repräsentativorgane. Über einen Ausbau der Bürgerpartizipation über Apps besteht damit die Gefahr, dass die Entscheidungsträger die eigene Befassung mit der Sachfrage vernachlässigen. Dabei ist auch zu sehen, dass der Interessenausgleich, der eine Verwirklichung des Gemeinwohls darstellt, bei Online-Instrumenten spezifisch gefährdet ist,

Jakob Tischer: Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, Baden-Baden 2017, S. 163.

insbesondere besteht nicht nur das allgemeine Risiko von Partizipationsformen, Beteiligungseliten zu bevorzugen.

Hermann Pünder: Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Hg.): Repräsentative Demokratie in der Krise?, Bd. 72, Berlin 2013, S. 191–267, hier S. 191, 251.

Ein Hauptaugenmerk liegt auf dem Manipulationsrisiko durch Mehrfachbeteiligungen oder Teilnahme von Auswärtigen. Im Vergleich zu stationären Entscheidungssituationen verleiten mobile Versionen zudem dazu, Entscheidungen tendenziell vorschnell und unüberlegt zu treffen. Gibt man seine Meinung über das Smartphone ab, kann es weiter wegen des naturgemäß deutlich kleineren Bildschirms leicht passieren, dass Hintergrundinformationen übersehen werden.

Fehlgebrauch ist oftmals auch Folge mangelhaften Designs, siehe U.-V. Albrecht (Hg.): Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps, Hannover 2016, S. 25, online: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/Abschlussbericht_CHARISMHA.pdf (29. 3. 2022).

Die Befürchtung fehlender Repräsentativität des dem Ergebnis zugrundeliegenden Inputs infolge der sog. digitalen Kluft beziehungsweise Spaltung (›digital gap‹ respektive ›divide‹) scheint gegenwärtig hingegen weniger zuzutreffen. Nicht nur stehen die Apps gleichberechtigt neben analogen Beteiligungsformen; die Partizipation wird allein infolge des App-Formats nach den Tübinger Erfahrungen auch nicht von spezifischen, vor allem jungen Interessengruppen dominiert.

Kann demnach eine starke faktische Bindungskraft von Meinungsbildern bestehen, die womöglich Sonderinteressen widerspiegeln und tendenziell oberflächlicher sind, scheint insofern eine Verrechtlichung nötig zu werden, um das kommunale Kompetenzgefüge zu schützen.

Für Online-Bürgerbefragungen Mario Martini: Die Bürger- und Volksbefragung als Baustein der Demokratie, in: Die öffentliche Verwaltung 68/23 (2015), S. 981–991, hier S. 981, 985; zurückhaltend gegenüber abstimmungsähnlichen Online-Formaten wegen des Risikos des Abwägungsausfalls auch Tischer: Bürgerbeteiligung, S. 281f.

Andererseits können solche Bürgerbefragungen die Legitimationsbasis auch verbreitern.

Martin Burgi: Ein neuartiges direktdemokratisches Element: Die vorhabenbezogene Volksbefragung im exekutivischen Funktionsbereich, in: Zeitschrift für Gesetzgebung 30 (2015), Heft 1, S. 34–50, hier S. 34, 37.

Dabei ist zu sehen, dass gerade der überschaubare kommunale Bereich das geeignete Forum bildet, das Potenzial von E-Democracy-Formaten auszutesten. Das Medium der App birgt Risiken, eröffnet aber zugleich die Möglichkeit, differenzierte Anschlusspräferenzen zu ermitteln, Hintergrundinformationen zu integrieren und einen breiten Diskurs über aktuelle örtliche Themen anzuregen. Diese Optionen müssen aber auch genutzt werden. Eine Lösung kann daher zunächst auch in der Einhegung durch ein gemeindliches Konzept zum Umgang mit den Risiken solcher digitalen Formate sowie zum Umgang mit den Ergebnissen gesucht werden.

Tischer: Bürgerbeteiligung, S. 275, der einem konzeptuellen Überbau für abstimmungsähnliche Online-Formate wegen des damit bedingten Aufwertungspotenzials aber skeptisch gegenübersteht, ebenda, S. 281.

Bei der Gestaltung der App ist in besonderem Maße auf Übersichtlichkeit und den leichten Zugriff auf Hintergrundinformationen Wert zu legen. Damit die Bürgerschaft nicht zu einer Konkurrenz zu örtlichen Entscheidungsträgern werden und Machtbalancen innerhalb der Repräsentativorgane verschoben werden, sollte zudem die Auswahl der Befragungsthemen der Mehrheit der örtlichen Entscheidungsträger obliegen.

Fazit

Der Vorher-Nachher-Vergleich hat illustriert, dass den untersuchten technischen Anwendungen und Apparaturen in Form von administrativen Apps sowie Bürgerkoffern ein innovatives Potenzial inhärent ist. Die signifikante Abweichung mobilen Verwaltens, das unter dem Begriff ›M-Government‹ firmiert, vom stationären Büroparadigma zeigt sich besonders deutlich bei der Interaktion der Verwaltung mit den Verwaltungsadressaten. Diese wird auf Ortsveränderungen ausgerichtet, indem Bürger und Unternehmen über das Smartphone oder andere mobile Endgeräte auch an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort Verwaltungsangebote nutzen und sogar am Verwalten partizipieren können. Konsequenzen hat M-Government aber auch für die Verwaltungsorganisation. Zum einen wird das Front Office dynamisiert, denn über das Smartphone oder andere mobile Endgeräte haben seine Mitarbeiter von überall aus Zugriff auf die kognitiven Ressourcen des Büros. Das erleichtert ein Verwalten vor Ort. Wie die Mängelmelder-App zeigt, wird zudem das Back Office unmittelbar in die Interaktion mit dem Bürger eingebunden. Die klare Trennung von Front Office und Back Office, wie sie dem ortsgebundenen Büromodell zugrunde liegt, wird zwar nicht aufgegeben, aber sie beginnt partiell zu verschwimmen.

Für die Forschung zu administrativen Veränderungen konnte gezeigt werden, dass Bürokratie keineswegs innovations-avers sein muss. Einerseits können Kostenfragen und schleppende Verwaltungsvorgänge den Einsatz administrativer Apps und Bürgerkoffer erschweren. Andererseits ist gerade die Kommunalverwaltung sehr aufgeschlossen und schnell, GovApps einzusetzen, da sie sich dadurch verspricht, das Interesse der Bürger an Verwaltungsthemen zu erhöhen sowie Akzeptanz zu fördern.

M-Government impliziert keine disruptive Innovation.

Der Begriff der disruptiven Innovation geht zurück auf Clayton M. Christensen: The Innovator‘s Dilemma. When new technologies cause great firms to fail, Boston (Massachusetts) 1997, S. 6f. Er wird aber oftmals in einem unspezifischen Sinne verwendet für neue Geschäftsmodelle, die alte unterbrechen und damit eine existenzielle Gefahr für etablierte Unternehmen darstellen.

Die Herausbildung war die Folge eines stufenweise von statten gehenden Prozesses, der zunächst zu bloßen Anpassungen geführt hat und in Form einer Verlaufsgeschichte nachgezeichnet wurde. Der neue Leitbegriff ›M-Government‹ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beobachtungen weniger einen Ablöseprozess darstellen, als vielmehr den Auftakt zu einer parallelen Entwicklungslinie in der auch digital agierenden Verwaltung bilden. Die Entwicklungsperspektive darf zudem nicht als Behauptung missverstanden werden, dass die mobile Verwaltung ein genuin modernes Phänomen sei. Die neuen Techniken lenken vielmehr die Aufmerksamkeit auf ein Grundbedürfnis, das gerade die kontrollierende Verwaltung prägt und das von der gängigen Büroperspektive überdeckt wird.

Weiter offenbart der Beitrag, dass es gilt, Vorsicht walten zu lassen, Zuschreibungen von Innovationen aus dem Bereich der Wirtschaft auf den Bereich der öffentlichen Verwaltung übertragen zu wollen. So überzeugt die gerade in der betriebswirtschaftlichen Lehre verbreitete Sichtweise nicht, Innovationen primär positiv zu konnotieren, als Erfolgsfaktoren

Siehe nur Heinz-Kurt Wahren: Erfolgsfaktor Innovation. Ideen systematisch generieren, bewerten und umsetzen, Berlin 2004; Ralph Berndt: Erfolgsfaktor Innovation, Berlin 2005.

oder sogar Wege aus der Krise.

OECD: 2009 Interim Report on the OECD Innovation Strategy. An Agenda for Policy Action on Innovation, online: https://www.oecd.org/site/innovationstrategy/43381127.pdf (29. 3. 2022), S. 3.

Bei allen Vorzügen, die M-Government-Anwendungen aufweisen, wurde gezeigt, dass sie intern zu Mehraufwand führen und die Begrenzungsfunktion von Recht herausfordern: Um die neuen Impulse aufzunehmen, muss die Verwaltung die Organisation interner Arbeitsabläufe überdenken und teilweise neu ausrichten. Der Einsatz von GovApps erhöht darüber hinaus die Anforderungen an die administrative Informationspolitik, sollen sich diese in der Flut von Apps behaupten. Auch die normativen Grundanforderungen von Kontrolle, Rechtsschutz und Legitimation können von M-Government-Instrumenten angesprochen werden. Wegen des noch jungen Einsatzes lassen sich die Konsequenzen im Einzelnen noch nicht absehen, aber die aufgezeigten Schwachstellen der Korruptionsrisiken, der Überrumpelungseffekte und der Gemeinwohlgefährdung durch Verschiebungen im Kompetenzgefüge weisen auf die Notwendigkeit hin, über eine die Risiken einhegende rechtliche Rahmenordnung für die mobile Verwaltung nachzudenken, deren Eckpfeiler im Beitrag skizziert wurden.

eISSN:
2519-1187
Language:
English