Dieser Beitrag befasst sich mit der Bedeutung der Unterscheidung zwischen Original und Kopie im modernen Urheberrecht und untersucht ausgewählte gesetzliche Regeln, die mit dieser Unterscheidung operieren. In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nachgegangen, ob und inwiefern sich das geltende Recht heute noch an dem von Walter Benjamin geprägten Verständnis des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit orientiert.
Keywords
- Original
- Kopie
- Urheberrecht
- Copyright
- Walter Benjamin
- Aura
- Originalwerkexemplar
- Zerstörungsschutz
- Folgerecht
- Kunstwerk
- Reproduktion
Walter Benjamin ist einer der wenigen nichtjuristischen Autoren, die in der juristischen Literatur immer wieder zitiert werden. Siehe z.B. Mosimann / Müller-Chen 2011, S. 1303; Jayme 2016, S. 21; Dreier 2017, S. 135. In diesem Beitrag wird die letzte von Benjamin autorisierte Fassung verwendet, die bisweilen auch als ‚dritte Fassung‘ bezeichnet wird (Benjamin 1991, S. 471–508). Zur komplexen Redaktionsgeschichte, siehe Schöttker 2015, S. 118–133. Vgl. auch Jayme 2016, S. 21, der in Benjamin eine der „geistigen Wurzeln“ für die Übernahme des Originalbegriffs im Urheberrecht sieht. Damit sei freilich nicht gesagt, dass die Unterscheidung zwischen Original und Kopie nicht auch in anderen Rechtsgebieten relevant sein kann, aber die spezifische Verknüpfung dieser Unterscheidung mit den Konzepten Walter Benjamins findet sich praktisch ausschließlich in urheberrechtlichem Kontext. Benjamin verwendet die Begriffe ‚Kunstwerk‘ und ‚Original‘ synonym (siehe z.B. Benjamin 1991, S. 475–476: „Hier und Jetzt des Kunstwerks“ bzw. „Hier und Jetzt des Originals“). Demgegenüber scheint er über weite Strecken die ‚Reproduktion‘ grundsätzlich als Unterbegriff der ‚Kopie‘ zu verstehen, und zwar in dem Sinne, dass mit Reproduktionen nur, aber immerhin, ‚technisch‘ hergestellte Kopien gemeint sind. Diesen Unterschied hebt Benjamin allerdings in zumindest einer Passage gleich selbst wieder auf, wenn er sowohl von ‚technischen‘ als auch von ‚manuellen‘ Reproduktionen spricht (Benjamin 1991, S. 475–476 und Fn. 2); zur kunsthistorisch diffizilen Unterscheidung zwischen Reproduktion und Kopie, siehe auch Hamann 1949, S. 135–139. Diese partielle terminologische Ambivalenz kann vorliegend indes vernachlässigt werden, weil es urheberrechtlich ohnehin keine Rolle spielt, Weil es ‚das‘ Urheberrecht nicht gibt, sondern primär eine Vielzahl nationaler Urheberrechte, sei an dieser Stelle klargestellt, dass sich die nachstehenden Ausführungen primär auf das schweizerische und deutsche Urheberrecht unter Einschluss des Rechts der Europäischen Union und unter Berücksichtigung des amerikanischen Rechts beziehen.
Bevor auf die urheberrechtliche Bedeutung der Unterscheidung zwischen Original und Kopie eingegangen werden kann, ist als Ausgangspunkt vorab klarzustellen, dass die Leitdifferenz im Urheberrecht – um einen Begriff aus der Systemtheorie Luhmann 1987, S. 19, 57, 105. Anstelle von ‚Werkexemplar‘ wird bisweilen auch der Begriff ‚Werkstück‘ verwendet; siehe z.B. Rehbinder 2000, Rz. 39–40, S. 57–58. Urheberrechtlich handelt es sich dabei um Synonyme.
Dies liegt daran, dass sich das Urheberrecht mit Werken der Literatur und Kunst befasst, also mit geistigen Schöpfungen (‚works of authorship‘). Siehe z.B. Art. 1 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes (hiernach „URG“) oder §§ 1 und 2 Abs. 2 des deutschen Urheberrechtsgesetzes (hiernach „UrhG“). Urheberrechtsgesetze können den Rechtsinhabern freilich auch Rechte zugestehen, die keine Rechte an immateriellen Gütern sind, z.B. Zutrittsrechte zu bestimmten physischen Objekten, die urheberrechtliche Werke verkörpern; siehe Art. 14 URG oder § 25 UrhG. Dabei handelt es sich juristisch indes nicht um Urheberrechte im materiellen Sinn, eben weil es nicht um Rechte
Die Unterscheidung zwischen Werk und Werkexemplar ist grundlegend und einfach zu verstehen. Das literarische Werk wird im Buch verkörpert. Am literarischen Werk als geistige Schöpfung können Urheberrechte bestehen, und am Buch als körperlicher Gegenstand besteht Eigentum. Wer ein Buch kauft, erwirbt Eigentum an diesem bestimmten physischen Werkexemplar, erwirbt dadurch aber keine Urheberrechte am potentiell darin verkörperten literarischen Werk.
Im vorliegenden Zusammenhang ist festzuhalten, dass sich die urheberrechtliche Leitdifferenz zwischen Werk und Werkexemplar nicht mit der Unterscheidung zwischen Original und Kopie deckt. Es ist gerade nicht so, dass das Werk als geistige Schöpfung das ‚Original‘ und das Werk-exemplar als Verkörperung dieses Werks die ‚Kopie‘ darstellt. Wenn eine Künstlerin eine unikale Skulptur schafft, dann wird kaum jemand dieses Unikat als Kopie bezeichnen, sondern eben als Original, obwohl urheberrechtlich immer noch zwischen dem Werk als geistiger Schöpfung und dem Werkexemplar als Verkörperung dieser Schöpfung unterschieden wird.
Auf den ersten Blick scheint dies in Rechtsordnungen wie der amerikanischen grundsätzlich anders zu sein, weil dort der Begriff der Kopie (‚copy‘) inhaltlich gerade als Werkexemplar definiert wird („copies are material objects […] in which a work is fixed“) 17 U.S.C. § 101. Mit Blick auf diese gesetzlichen Begriffsvorgaben nicht vollends zu überzeugen vermag die von Dreier gerade im Kontext des amerikanischen Rechts verwendete Terminologie, die – anders als Benjamin (siehe dazu oben Fn. 5) – den Begriff der Reproduktion dem Begriff des Werkexemplars gleichstellt und dann innerhalb der Reproduktionen zwischen Originalen und Kopien unterscheidet; siehe Dreier 2016, S. 254–255. Für den deutschsprachigen Raum trifft Dreiers Definition von Original und Kopie hingegen zu. 17 U.S.C. § 102(a).
Wenn die Unterscheidung von Original und Kopie nach dem Gesagten nicht einfach die urheberrechtliche Leitdifferenz zwischen Werk und Werkexemplar abbildet, dann bleibt immer noch die Möglichkeit, die Unterscheidung auf der einen oder der anderen Seite der Leitdifferenz anzuwenden, indem der Begriff des Originals in der technischen Sprache des Urheberrechts entweder als ‚Originalwerk‘ oder als ‚Originalwerkexemplar‘ verstanden wird. Wie sogleich zu zeigen sein wird, findet man bei Walter Benjamin beide Varianten, auch wenn er selbst wohl die zweite Variante bevorzugt haben dürfte.
Verortet man die Unterscheidung von Original und Kopie auf der Nach amerikanischem Recht würde diese Begriffsverwendung freilich mit dem gesetzlich definierten Begriff der Kopie kollidieren, der nach dem Gesagten auf Werkexemplare beschränkt ist; 17 U.S.C. § 101.
Diese Art der Verwendung des Begriffspaars klingt auch bei Walter Benjamin an, denn bekanntlich beginnt er sein Essay gerade mit der Feststellung, dass das Kunstwerk grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen sei und dass alles, was Menschen gemacht hatten, immer schon „von Menschen nachgemacht werden“ konnte. Benjamin 1991, S. 474: „Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden.“ Siehe z.B. Art. 66 lit. a des schweizerischen Patentgesetzes (PatG) und Art. 61 Abs. 1 des schweizerischen Markenschutzgesetzes (MSchG).
Zwar ist diese Verwendung der Unterscheidung von Original und Kopie für das moderne Urheberrecht ungewohnt, aber das damit beschriebene Konzept ist materiell bestens bekannt, denn es geht letztlich um nichts anderes als die klassische Urheberrechtsverletzung. Wer ein urheberrechtlich geschütztes Werk ohne Zustimmung des Berechtigten nachmacht oder nachahmt, greift in das ausschließliche Recht des Urheberrechtsinhabers ein und begeht eine Urheberrechtsverletzung, solange er sich dafür nicht auf eine gesetzliche Ausnahme stützen kann. Der Grund, weshalb im modernen Urheberrecht zur Beschreibung dieses Sachverhalts nicht auf die Unterscheidung von Original und Kopie zurückgegriffen wird, liegt wohl primär darin, dass die Gesetze diese Begriffe in diesem Zusammenhang nicht verwenden. In der Tat wird der Begriff des Originals, so er denn in der Urheberrechtssprache überhaupt vorkommt, nicht als Synonym für Werke im Allgemeinen gebraucht, sondern zur Bezeichnung ganz bestimmter Werkexemplare. Siehe z.B. Dreier 2016, S. 255: „the original can be described as the work's first reproduction“; terminologisch unpräzise daher Schack 2017, Rz. 22, S. 17: „Original ist allein das ursprüngliche Werk.“
Wechselt man auf die andere Seite der urheberrechtlichen Leitdifferenz, dann bezeichnen die Begriffe des Originals und der Kopie nicht mehr verschiedene Werke als geistige Schöpfung, sondern unterschiedliche Setzt man – inspiriert vom amerikanischen Recht – Werkexemplare mit Kopien (‚copies‘) gleich, dann könnte man auch von ‚Originalkopie‘ sprechen, doch würde dies in der deutschen Rechtssprache nur Verwirrung stiften. Im Übrigen ist der Begriff der ‚Originalkopie‘ bereits anderweitig belegt, nämlich als „erste Kopie des Originals“, die unter bestimmten Voraussetzungen die „Funktion eines Originals“ annehmen kann; Weingart 2012, S. 203. Aus urheberrechtlicher Sicht müsste man hier freilich von der ‚ersten Kopie des Originalwerkexemplars‘ sprechen. Eine stärker differenzierende Terminologie findet sich in einem Urteil des schweizerischen Bundesgerichts von 1942, in dem es – abgesehen vom Werk als Immaterialgut – vom „Werkgegenstand“ als „Verkörperung des Werks“ und von „Werkexemplaren“ als „Vervielfältigungen des Werkgegenstandes“ sprach; BGE 68 III 65, E. 2. Es besteht indes kein Grund, neben Werk und Werkexemplar noch einen ‚Werkgegenstand‘ anzuerkennen, denn entweder meint man damit ein verkörpertes Werk (dann geht es eben um ein Werk) oder man meint eine spezifische Art von Werkexemplar, also z.B. Vervielfältigungsstücke im Unterschied zu Originalwerkexemplaren (dann geht es eben um Werkexemplare in dem Sinne, wie der Begriff in diesem Beitrag verstanden wird).
Dieses Begriffsverständnis passt am besten auf das moderne Urheberrecht, und um dieses Verständnis scheint es auch Walter Benjamin gegangen zu sein, als er schrieb, dass auch „bei der höchstvollendeten Reproduktion“ eines ausfalle, nämlich „das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet“. Benjamin 1991, S. 475.
Während Benjamin hinsichtlich der Unschärfe seiner Diktion in juristischer Hinsicht sicher kein Vorwurf gemacht werden kann, so gilt dies nicht gleichermaßen für den schweizerischen Gesetzgeber, von dem man eine saubere terminologische Unterscheidung zwischen Werk und Werk-exemplar durchaus hätte erwarten können. Die Rede ist von einer gesetzlichen Bestimmung, bei der es inhaltlich gerade um die Unterscheidung zwischen Urheberrecht am Werk und Eigentum am Werkexemplar geht und die wie folgt lautet:
Die Übertragung des Eigentums am Werkexemplar schliesst urheberrechtliche Verwendungsbefugnisse selbst dann nicht ein, wenn es sich um das Originalwerk handelt. Art. 16 Abs. 3 URG.
In der Sache will diese Norm sagen, dass die Übertragung des Eigentums an einem Werkexemplar die Übertragung des Urheberrechts am darin verkörperten Werk nicht mit einschließt. Dies ist an sich selbstverständlich, weil es sich dabei nach dem Gesagten um unterschiedliche Rechtsobjekte und unterschiedliche Rechte handelt. Bei Massenware wie Büchern leuchtet diese Regel auch unmittelbar ein, denn wer ein Werkexemplar zu Eigentum erwirbt, ist sich bewusst, dass damit nicht zugleich der Erwerb des Urheberrechts am literarischen Werk einhergeht. Beim Verkauf von Unikaten im Bereich der bildenden Kunst wurde im 19. Jahrhundert jedoch darüber gestritten, ob mit der physischen Übergabe des Unikats zu Eigentum zugleich auch über das Vervielfältigungsrecht am darin verkörperten Kunstwerk verfügt wird, Siehe dazu aus historischer Perspektive z.B. die Ausführungen in der „Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend den Entwurf zu einem Geseze über das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst“ vom 9. Dezember 1881, BBl. 1881 IV 645, S. 651–654. Dies geschah im Kern bereits im ersten schweizerischen Urheberrechtsgesetz von 1881 (dort Art. 5 Abs. 1) und fand sich auch im zweiten Urheberrechtsgesetz von 1922 (dort Art. 9 Abs. 3). Art. 16 Abs. 3 URG.
Für die Zwecke dieses Beitrags ist diese Gesetzesbestimmung – abgesehen von ihrem Illustrationswert für den Mangel an sprachlicher Präzision – indes nicht besonders ergiebig, auch wenn sie den Begriff des Originals ausdrücklich verwendet. Inhaltlich wird mit dieser Norm ja nur verdeutlicht, dass die getroffene Regel Siehe auch Bullinger 2006, S. 106–112; Schack 2017, Rz. 28–29, S. 20–21.
Ein Bereich des Urheberrechts, in dem mit der Unterscheidung zwischen Original und Kopie auf der Ebene von Werkexemplaren operiert wird, ist das Folgerecht (‚resale right‘), dessen Anerkennung den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in einer Richtlinie Richtlinie 2001 / 84 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerks, ABl. EG L 272 vom 13.10.2001, S. 32–36 (hiernach „Folge rechts-RL“). Siehe Art. 1 Abs. 1 Folgerechts-RL.
Das Folgerecht ist das Recht bestimmter bildender Künstler auf Beteiligung am Verkaufserlös aus jeder Weiterveräußerung von Originalwerkexemplaren, die nach der Erstveräußerung durch den Urheber über den Kunstmarkt erfolgt. Art. 1 Abs. 1 und 2 Folgerechts-RL.
In diesem Zusammenhang musste unter anderem definiert werden, für welche Gegenstände das Folgerecht überhaupt gilt – und da wurde auf den Begriff des „Originals eines Kunstwerks“ abgestellt. Art. 1 Abs. 1 Folgerechts-RL. In der englischsprachigen Fassung der Richtlinie wird der Begriff ‚original work of art‘ verwendet. Zu diesem Phänomen allgemein Mosimann / Müller-Chen 2011, S. 1303; Bullinger 2006, S. 108–109. Art. 2 Abs. 1 Folgerechts-RL. Die englische Fassung dieser Norm lautet im Wesentlichen wie folgt: „works of graphic or plastic art […], provided they are made by the artist himself or are copies considered to be original works of art“. Art. 2 Abs. 2 Folgerechts-RL.
In diesem Zusammenhang geht es beim Begriff des Originals denn auch weniger um die Ursprünglichkeit des fraglichen Werkexemplars als um seine ‚Echtheit‘. Siehe dazu auch Schack 2017, Rz. 22, S. 17. Benjamin 1991, S. 476. LG Köln, Urteil 110 KLs 17/11 vom 27. Oktober 2011, E. II.11. Zu ähnlichen Fällen älteren Datums, siehe auch Hamann 1949, S. 140, 148. Die falsche Zuordnung eines Werkexemplars ist nämlich nur dann eine Urheberrechtsverletzung, wenn es sich um ein ‚Plagiat‘ im juristischen Sinne handelt, wenn also jemand ein
Die Schweiz kennt zwar kein Folgerecht, hat dafür aber eine Gesetzesnorm, die sich mit dem Schutz bestimmter Werkexemplare vor Zerstörung befasst und in diesem Kontext explizit mit den Begriffen ‚Originalwerk‘ und ‚Originalexemplar‘ operiert. Art. 15 URG. Müssen Eigentümer und Eigentümerinnen von Originalwerken, zu denen keine weiteren Werkexemplare bestehen, ein berechtigtes Interesse des Urhebers oder der Urheberin an der Werkerhaltung annehmen, so dürfen sie solche Werke nicht zerstören, ohne dem Urheber oder der Urheberin vorher die Rücknahme anzubieten. Sie dürfen dafür nicht mehr als den Materialwert verlangen. Sie müssen dem Urheber oder der Urheberin die Nachbildung des Originalexemplars in angemessener Weise ermöglichen, wenn die Rücknahme nicht möglich ist. Art. 15 Abs. 1 und 2 URG.
Auch hier fällt zunächst auf, dass es der schweizerische Gesetzgeber nicht geschafft hat, begrifflich sauber zwischen Werk und Werkexemplaren zu unterscheiden. In der Sache geht es darum, dass Eigentümer von Originalwerkexemplaren – wie es im ersten Absatz richtig heißen sollte – unter bestimmten Umständen die gesetzliche Pflicht trifft, ihre Zerstörungsabsicht den Urhebern mitzuteilen, um ihnen die Rücknahme oder die Nachbildung zu ermöglichen. Die Zerstörung von Originalwerkexemplaren ist demnach urheberrechtlich nicht schlechthin verboten, Anders das amerikanische Recht bei ‚works of recognized stature‘; siehe 17 U.S.C. § 106A(a)(3)(B). Siehe Rigamonti 2013, S. 331–332.
Für die Zwecke des vorliegenden Beitrags steht im Vordergrund, dass es für die Anwendbarkeit dieser Norm entscheidend darauf ankommt, ob jemand Eigentümerin oder Eigentümer eines Siehe z.B. Rigamonti 2013, S. 334. Im Einzelfall ist freilich nicht immer klar, was ein Originalwerkexemplar ist, insbesondere im Bereich der Fotografie und des digitalen Werkschaffens; vgl. dazu Mosimann / Müller-Chen 2011, S. 1304–1312; Hamann 1981, S. 45–48; Bullinger 2006, S. 106–112. Kritisch diesbezüglich Zech / Anger 2016, S. 1166–1167. Dazu passt auch die Formulierung des Bundesgerichts im bereits erwähnten Urteil von 1942 (oben Fn. 18), das – wenn auch in anderem Kontext – das Folgende festhielt: „es ist eine Eigenart der Malerei, dass neben dem Originalwerk weitern Werkexemplaren keine nennenswerte Bedeutung zukommt“; BGE 68 III 65, E. 2. Die französischsprachige Gesetzesfassung von Art. 15 Abs. 1 URG, die nach schweizerischem Verständnis ebenso authentisch ist wie die deutschsprachige (Art. 14 Abs. 1 PublG), zeigt dies besonders deutlich, denn dort ist ausdrücklich von „l’unique exemplaire original“ die Rede. Man könnte sich hier freilich fragen, ob mit dem Ausdruck ‚keine weiteren Werkexemplare‘ jedwelche Vervielfältigungsstücke gemeint sind, wie es der Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 URG suggeriert und wie dies in der Schweiz traditionell verstanden wird, oder ob damit nach dem Zweck dieser Bestimmung nur solche mit Originalqualität erfasst werden sollten, wie man sie z.B. aus der seriellen Kunst kennt.
Im Ergebnis mag das Zusammenspiel dieser zwei Punkte auf den ersten Blick etwas merkwürdig erscheinen, ist aber gerade vor dem Hintergrund von Walter Benjamins Vorstellung von der ‚Aura‘ des einmaligen Kunstwerks eigentlich nur konsequent. Diejenigen Urheber, die nicht nur Unikate schaffen, sondern der Versuchung erliegen, die technischen Möglichkeiten zu nutzen und ihre Werke durch die Herstellung von Reproduktionen zur ‚aurafreien‘ Massenware zu machen, werden nur in einem reduzierten Masse geschützt – nämlich nur dann, wenn das Originalwerkexemplar, das zerstört werden soll, zugleich auch das letzte bestehende Werkexemplar ist. Ansonsten ist es das Originalwerkexemplar offenbar nicht wert, erhalten zu werden. Auch wenn wohl ohne weiteres ausgeschlossen werden kann, dass sich der schweizerische Gesetzgeber beim Erlass dieser Gesetzesnorm an Walter Benjamin orientierte, so ist doch bemerkenswert, dass es gerade seine Vorstellung von der auratischen Natur des unikalen Kunstwerks ist, die eine tiefere Begründung für die genannte Gesetzesnorm zu liefern vermag. Darin liegt zugleich die bleibende praktische Bedeutung Walter Benjamins für das schweizerische Urheberrecht.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Unterscheidung zwischen ‚Original‘ und ‚Kopie‘ oder – in der Diktion Benjamins – zwischen ‚Kunstwerk‘ und ‚Reproduktion‘ im modernen Urheberrecht unterschiedliche Bedeutungen haben kann, die letztlich wenig überraschend vom juristischen Kontext bestimmt werden, in dem die Unterscheidung zur Anwendung gelangt. Der Anwendungsbereich dieser Unterscheidungen ist freilich insofern beschränkt, als die urheberrechtliche Leitdifferenz eben nicht die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, sondern die Unterscheidung zwischen Werk und Werkexemplar ist. Dennoch gibt es heute sowohl in der Europäischen Union als auch in der Schweiz Gesetzesnormen, die entscheidend darauf abstellen, ob ein Originalwerk-exemplar vorliegt – und in diesem Kontext leben auch die Vorstellungen von Walter Benjamin teilweise noch fort.
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