An den Universitäten Gothenburg, Sussex, San Francisco und Amherst hat sich ein In Gothenburg: Mikael Baaz, Mona Lilja, Michael Schulz & Stellan Vinthagen; in Sussex: Louiza Odysseos; an der UMass, Amherst: Stellan Vinthagen; an der San Francisco State: Jason Ferreira. Resistence Studies Network. URL: Vgl. University of Massachusetts Amherst: Resistance Studies Initiative. URL:
Am Lehr- und Forschungsbereich „Kulturwissenschaftliche Ästhetik und Kulturtheorie“ Humboldt-Universität zu Berlin: Kulturwissenschaftliche Ästhetik und Kulturtheorie. URL:
An dieser Stelle möchte ich jedoch (I.) die erkenntnistheoretischen, psychoanalytischen, ästhetischen und politischen Traditionsstränge befragen und, zumindest punktuell, historisch kontextualisieren. In einem weiteren Schritt (II.) geht es mir um eine konzeptionell enge Verschränkung von Gewalt- und Widerstandsforschung sowie um die Ausarbeitung eines flachen, niedrigschwelligen, nicht zuletzt aistethischen Widerstandsverständnisses. Schließlich möchte ich (III.) unter Rekurs auf die frühen
Wovon müssten Forscherinnen und Forscher ausgehen, die an der interdisziplinären Untersuchung eines historisch-kulturell breiten Spektrums widerständiger Praktiken, Passivierungen, Aisthetiken, Geschichten und Theorien auf dem Feld der Mar, Maria do/Dhawan, Nikita (2005): Postkoloniale Theorien. Eine kritische Einführung. Bielefeld: transcript, S. 24; vgl. auch Ott, Michaela (2018): Welches Außen des Denkens? Französische Theorie in postkolonialer Kritik? Wien/Berlin: Turia + Kant, S. 18. Spivak, Gayatri Chakravorty (2008): „Can the subaltern speak?“ Postkolonialität und subalterne Artikulation. Mit einer Einleitung von Hito Steyerl. Übersetzt von Alexander Joskowicz und Stefan Nowotny. Wien: Turia + Kant, S. 29, 40; Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Übersetzt von Richard Steurer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 30, 35, 38.
Neben Sprödigkeit gegenüber der eigenen Motivlage bedürfte es gerade auch der Gegenprobe: Es ginge darum, das (Un-)Mögliche des Widerstands zu denken und dessen Abwesenheitsformen zu untersuchen, wo nötig, „dem Widerstand [zu] widerstehen“, Převrátil, Rudolf/ Lüdtke, Alf (2007): Eigensinn. In: Jordan, Stefan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Stuttgart: Reclam, S. 64–66, hier: S. 65f. „Der Gebrauch des Eigensinn-Begriffs steht im Zusammenhang mit zunehmender Kritik am bipolaren Konzept von ‚Herrschaft‘ und ‚Widerstehen‘ als Grundmatrix von Geschichte. […] Die Beobachtung des Verhaltens von Individuen und von Gruppen zeigt, dass das Entweder-Oder von Zustimmen/Mitmachen oder Widerstehen fehl geht. Das Mitmachen mit zusammengebissenen Zähnen, jene widerwillige Loyalität, […] erforderte ein Gegengewicht, eine gehörige Dosis Eigensinn.“ Nach Einschätzung Lüdtkes sei die Verweigerung des ‚Hitler-Grußes‘ zwar ein Zeichen von Eigensinn gewesen, habe sich jedoch „kaum je als Einstieg in gezielt-nachdrückliches Widerstehen“ erwiesen. Lüdtke kontrastiert sein Eigensinn-Konzept mit einem starken und voraussetzungsreichen Widerstandsbegriff, den ich im Folgenden problematisieren möchte. Zugleich rege ich an, die Widerstandssituation und den spezifischen Gewalt-(nicht nur den Herrschafts-)Kontext gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Die Verweigerung eines anbefohlenen „Hitler-Grußes“ im Folterraum der „Politischen Abteilung“ („Lager-Gestapo“) in einem deutschen Konzentrationslager würde wohl von Widerstand, nicht nur von „Eigensinn“ zeugen. Mit herzlichem Dank an Andreas Gehrlach für diesen Begriff und unsere Widerstandsgespräche. Siehe dazu das Kapitel „Absolute Macht“ von Sofsky, Wolfgang (1993): Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager. 4. Auflage. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 27–40. Ich widerspreche nicht der organisationssoziologisch orientierten Beobachtung und Charakterisierung Sofskys, dass das „Machtsystem der Konzentrationslager“ als „die extremste Form von Macht und moderner Organisation“ von unvergleichlicher, „eigener Art“ war, dass es sich um eine „organisierte“, ‚etikettierende‘, „gestaffelte“, „auf sich selbst gründende“, ‚bar jeder Legitimationsideologie‘ operierende, den Sinn menschlicher Arbeit pervertierende Macht gehandelt habe, wohl aber, dass es sich um eine „absolute Aktionsmacht, befreit von allen Hemmungen“ und Grausamkeit entgrenzende Macht gehandelt habe. Denn dies ist die reproduzierende Perspektive der Macht, die wähnt, absolut, nämlich ohne mögliche Gegengewalt und Widerständigkeit und das heißt restlos „erfolgreich“ im Sinne ihrer eigenen Kriterien zu sein. Vgl. Nedelmann, Birgit (1997): Gewaltsoziologie am Scheideweg. Die Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen und Wege der künftigen Gewaltforschung. In: Trotha, Trutz von (Hg.): Soziologie der Gewalt, Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 59–85, hier: S. 63. Für die Hinwendung zum Leiden der Opfer war die Untersuchung der Geschichte des körperlichen Schmerzes von Scarry, Elaine (1985): The Body in Pain. The Making and Unmaking of the World, New York: Oxford University Press von entscheidender Bedeutung. Heinrich Popitz räumt mit Verweis auf Georg Simmel ein, dass sich die „absolute Gewalt, die ein Machthaber ausübt, […] sich durch die Tat des Attentäters auch gegen ihn wenden [kann]“. Die Möglichkeit der „Tötung des Machthabers“ und dessen eigene „Verletzungsoffenheit“ „entlarvt den Vollkommenheitsanspruch nicht nur dieses Machthabers, sondern aller Macht.“ Mit der Figur des Attentäters und Märtyrers bringt Popitz heroische Formen aktiven bzw. „radikal passiven Widerstands“ ins Spiel, die ich im Folgenden mittels flacher, aisthetischer und passivierender Widerstandsformate erweitern möchte. Popitz, Heinrich (1986): Phänomene der Macht. Autorität – Herrschaft – Gewalt – Technik. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 83–87.
In konkreter Perspektive handelt es sich darum, noch unterhalb von Attentaten, revolutionären Großereignissen, Klassenkämpfen, Massenaufständen, Protestbewegungen und deren medialen wie öffentlichen Verlautbarungsweisen einen radikal erweiterten Widerstandsbegriff zu skizzieren und flache Widerstandsformen in den Blick zu nehmen, die sich in der Spanne und Spannung zwischen
Im westlichen Denken finden sich drei große Traditionsstränge, Widerstand und Widerstandserfahrungen betreffend, ein erkenntnistheoretischer bzw. psychoanalytischer, ein ästhetischer und ein politischer.
(1) Der eine, erkenntnistheoretisch orientierte Strang, der von Fichte über Maine de Biran, Wilhelm Dilthey bis hin zu Max Scheler, Nicolai Hartmann und Martin Heidegger reicht, Vgl. Kaiser, Ulrich (1997): Das Motiv der Hemmung in Husserls Phänomenologie. München: Fink Verlag, S. 37. Dilthey, Wilhelm (ca. 1880–1890/1982): Ausarbeitung zum zweiten Band der Einleitung in die Geisteswissenschaften. Viertes bis sechstes Buch. In: Johach, Helmut/Rodi, Frithjof (Hgg): Gesammelte Schriften, Bd. XIX. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 58–295, hier: S. 80. Vgl. Dilthey, Wilhelm (1957): Beiträge zur Lösung der Frage vom Ursprung unseres Glaubens an die Realität der Aussenwelt und seinem Recht. In: Georg Misch (Hg.): Gesammelte Schriften, Bd. V. 2. Auflage. Stuttgart: B. G. Teubner Verlagsgesellschaft, S. 90–138, hier: S. 116, 131, 137. Dilthey, Wilhelm (1957): Beiträge zur Lösung der Frage vom Ursprung unseres Glaubens an die Realität der Aussenwelt und seinem Recht, S. 116. Dilthey, Wilhelm (WS 1888/89/1997): Psychologie als Erfahrungswissenschaft. In: Kerckhoven, Guy van/Lessing, Hans-Ulrich (Hgg.): Gesammelte Schriften, Bd. XXI‚ Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 275–327, hier: S. 325.
Ausgehend von der Psychologie Johann Friedrich Herbarts haben Edmund Husserl und Sigmund Freud demgegenüber komplexere Kraft-Sinn-Konstellationen ausgearbeitet. Für Husserl setzen Widerstands- und nicht zuletzt Widerstreitserfahrungen, die die „Einstimmigkeit“ Husserl, Edmund (1966): Analysen zur passiven Synthesis. Aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918–1926. In: Margot Fleischer (Hg.): Husserliana, Bd. XI. Den Haag: Nijhoff, S. 364, 432. Husserl, Edmund (1976): Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik. Redigiert und herausgegeben von Ludwig Landgrebe. 5. Auflage. Hamburg: Felix Meiner Verlag, S. 79f. Husserl, Edmund (1966): Analysen zur passiven Synthesis, S. 151. „Was immer den Fortgang der Arbeit stört, ist ein Widerstand.” Freud, Sigmund (1942): Die Traumdeutung. In: Gesammelte Werke, Bd. II/III, herausgegeben von Anna Freud u.a. Frankfurt a.M./London: S. Fischer Verlag, S. 521. Vgl. Freud, Sigmund (1940): Jenseits des Lustprinzips. In: Gesammelte Werke, Bd. XIII, S. 3–69, hier: S. 17. In Freud, Sigmund (1942): Die Traumdeutung, S. 529. Vgl. Derrida, Jacques (1980): Widerstände. In: Ders.: Vergessen wir nicht – die Psychoanalyse. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 128–180, hier: S. 128, 141ff. Foucault, Michel (2009): Die Regierung des Selbst und der anderen. Übersetzt von Jürgen Schröder. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 436, 259. Derrida, Jacques (2002): Seelenstände der Psychoanalyse. Die Unmöglichkeit jenseits einer souveränen Grausamkeit. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 39. Siehe dazu das Special Issue: Resistance, Resisting, and Resisters in and around Organizations der Organization Studies Vol. 38, Issue 9 von Martí, Ignasi/Mumby, Dennis K. /Thomas, Robyn et al. (Hgg.) (2017a), insbesondere den Artikel von Martí, Ignasi/Mumby, Dennis K./Thomas, Robyn et al (2017b): Resistance Redux, S. 1157–1183, in dem sich die Autoren ebenfalls dafür aussprechen, niedrigschwellige Widerstandspraktiken in Organisationen in den Blick zu nehmen. Mit herzlichem Dank an Günther Ortmann für diesen Hinweis und weiteres Geleit. Einen analytischen Zugang eröffnet Jan Philipp Reemtsma mit dem von ihm untersuchten „Delegationen“ und „Dynamiken der Entmonopolisierung“ von Gewalt sowie dem Zusammenhang von „Partizipationsmacht und Gewalt“. Reemtsma, Jan Philipp (2008): Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg: Hamburger Edition, S. 170–182.
(2) Vom Widerstand geht, je nach Perspektive, eine teils politische Anziehungskraft, teils bedrohliche Macht aus, die auf die zweite europäische Traditionslinie, die des Widerstandsrechts führt. Hobbes schließt diese Traditionslinie in seiner Schrift Hobbes, Thomas (1996): Leviathan. Mit einer Einführung und herausgegeben von Hermann Klenner, übersetzt von Jutta Schlösser. Darmstadt: Felix Meiner Verlag, S. 277ff. Zu den englischen Widerstandslehren des 17. Jahrhunderts siehe Wolzendorff, Kurt (1968): Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes. Zugleich ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des modernen Staatsgedankens. 2. Neudruck der Ausgabe Breslau 1916, Aalen: Scientia Verlag, S. 262ff. Aristoteles (1981): Politik 1319b 33 ff., 1311a ff. Mit einer Einleitung von Günther Bien übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes. Hamburg: Felix Meiner Verlag: „Der König soll ein Wächter darüber sein, daß die Vermögenden kein Unrecht leiden und das Volk keine Gewalttat erfährt. Die Tyrannis dagegen verfolgt, wie wiederholt gesagt, keinerlei gemeinnützigen Zweck, es sei denn des eigenen Vorteils wegen.“ Zu den Motiven (Furcht, Hass, Verachtung) und Möglichkeiten des Sturzes und Endes der Tyrannis (von außen, durch sich selbst, durch Mordanschlag und Umsturz) siehe: Politik 1312b 10 ff., 1311a 26 ff.
Das Widerstandsrecht stützt sich auf den Grundsatz, dass die freie und gleiche Bürgerschaft respektive das „Volk“ berechtigt sei, sich eines unrechtmäßigen Usurpators oder ungerechten Herrschers zu entledigen, um seiner illegitimen Herrschaft bzw. seinem Amtsmissbrauch Einhalt zu gebieten, nötigenfalls durch Umsturz und Anschlag auf sein Leben. Zweifellos bildet der Tyrannismord das alteuropäische Passepartout für das neuzeitliche und moderne Widerstandsrecht gegen staatliches Unrecht und Gewaltherrschaft, bei Montesquieu durch die Ausarbeitung des Despotie-Begriffs aus liberaler Begründungsperspektive, bei Rousseau „in radikal-demokratischer Fassung des Despotie-Begriffs“ Mandt, Hella (1974): Tyrannislehre und Widerstandsrecht. Studien zur deutschen politischen Theorie des 19. Jahrhunderts. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand, S. 81. Die Maximalhandlung einer gewaltsamen Rebellion als Wahrnehmung eines kollektiven Widerstandsrechts bindet Rousseau indes an Zwischenschritte wie die Einsetzung eines „Tribunats”, dem der Schutz des Souveräns namens „Volk” vor der Regierung obliegt. Jdanoff, Denis: (2006): Gehorsam und Widerstand in Hobbes’ „Leviathan” und Rousseaus „Gesellschaftsvertrag” – Ein Vergleich, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag, S. 140, 154f. Zur „doppelten Wurzel“ des Widerstandsrechts siehe Scheidle, Günther (1969): Das Widerstandsrecht. Entwicklung anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland, Berlin: Duncker & Humblot, S. 114; Arndt, Adolf (1962): Agraphoi Nomoi (Widerstand und Aufstand). In: Neue Juristische Wochenschrift, S. 430–433, hier: S. 430. Hinweise und entsprechende Überlegungen bei Missling, Bodo (1999): Widerstand und Menschenrechte. Das völkerrechtlich begründete Individualrecht gegen Menschenrechtsverletzungen. Tübingen: Köhler, S. 12ff. Als Notwehrrecht zur Verteidigung individueller Rechtspositionen könnte es auf Grundlage von Absatz 3 der Präambel der Gliech, Oliver (2011): Saint-Domingue und die Französische Revolution. Das Ende der weißen Herrschaft in einer karibischen Plantagenwirtschaft. Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, S. 288. Gliech, Oliver (2011): Saint-Domingue und die Französische Revolution, S. 310. Vgl. Gliech, Oliver (2011): Saint-Domingue und die Französische Revolution, S. 1, 50, 55.
Doch „die Revolution“ war kein exklusives europäisches Privileg. Das für weiße Zeitgenossen „undenkbare“ Ereignis, als welches der Historiker Michel-Rolph Trouillot Trouillot, Michel-Rolph (1995): An Unthinkable History: The Haitian Revolution as a Non-Event. In: Ders.: Silencing the Past: Power and the Production of History. Boston: Beacon Press, S. 70–107. „Von Kuba bis South Carolina, von Bahia bis Louisiana beklagten sich Sklavenhalter über die ‚Unverschämtheiten‘, die ihre Sklaven an den Tag legten, seitdem sie von der erfolgreichen schwarzen Revolution gehört hatten.“ Geggus, David Patrick (1989): The French and Haitian Revolutions, and Resistance to Slavery in the Americas: An Overview. In: Revue française d’histoire d’outre-mer 76/Nr. 282–283, S. 107–124, hier: S. 111. Wirz, Albert (1984): Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 177ff. Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen, S. 40–43. Arendt, Hannah (1963): Über die Revolution. München: R. Piper Verlag, S. 273.
Wie Hegel, Vgl. die erhellende historisierende Lektüre von Hegels Marx, Karl/Engels, Friedrich (1978): Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. In: MEW, Bd. 3, Berlin: Dietz Verlag, S. 290. Dazu von der Verfasserin „‚Schwarze‘ und ‚weiße Sklaverei‘“ in Karl Marx‘ Kritik des Amerikanischen Bürgerkrieges und der Politischen Ökonomie“. In: Därmann, Iris (2020): Undienlichkeit. Gewaltgeschichte und politische Philosophie. Erscheint Berlin: Matthes & Seitz. Marx, Karl (1977): Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons „Philosophie des Elends“. In: MEW, Bd. 4, Berlin: Dietz Verlag, S. 63–182, hier: S. 182. Ohne eine in dieser Hinsicht explizite Marx-Kritik untersuchen Peter Linebaugh und Marcus Rediker multiethnische Fallgeschichten eines „revolutionären Atlantiks“. Linebaugh, Peter/Rediker, Marcus (2000): Die vielköpfige Hydra. Die verborgene Geschichte des Revolutionären Atlantiks. Übersetzt von Sabine Bartel. Berlin/Hamburg: Assoziation A, S. 351. Eine Ausnahme findet sich in Engels, Friedrich (1977a): Revolution in Paris. In: MEW, Bd. 4, Berlin: Dietz Verlag, S. 528–530, hier: S. 529. „Gegen Abend fing das Volk an, Widerstand zu leisten.“ Engels, Friedrich (1977b): Die preußische Verfassung. In: MEW, Bd. 4, Berlin: Dietz Verlag, S. 30–36, hier: S. 34; Marx, Karl (1977): Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons „Philosophie des Elends“, S. 104; Engels, Friedrich (1977c): Die Kommunisten und Karl Heinzen. In: MEW, Bd. 4, Berlin: Dietz Verlag, S. 309–324, hier: S. 310; Engels, Friedrich (1977d): Die Reformbewegung in Frankreich. In: MEW, Bd. 4, Berlin: Dietz Verlag, S. 399–406, hier: S. 406; Marx, Karl/Engels, Friedrich (1977): Manifest der Kommunistischen Partei. In: MEW, Bd. 4, Berlin: Dietz Verlag, S. 459–493, hier: S. 473.
Henry David Thoreau, der 1849 die Praxis des „zivilen Ungehorsams“ begründen sollte, berief sich in seinem berühmten Essay Thoreau, Henry David (2017): Ziviler Ungehorsam. Übersetzt von Ulrich Bossier. In: Braune, Andreas (Hg.): Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy. Stuttgart: Reclam, S. 42–55, hier: S. 45. Siehe freilich Abraham Lincolns berühmt-berüchtigten Brief an Horace Greeley vom 22. August 1862, kurz vor der Schlacht am Antietam: „My paramount object in this struggle is to save the Union, and is not either to save or to destroy slavery. If I could save the Union without freeing any slave I would do it, and if I could save it by freeing all the slaves I would do it; and if I could save it by freeing some and leaving others alone I would also do that. What I do about slavery, and the colored race, I do because I believe it helps to save the Union; and what I forbear, I forbear because I do not believe it would help to save the Union.” Lincoln, Abraham (1953): The Collected Works of Abraham Lincoln, Vol. 5, herausgegeben von Roy P. Basler, New Brunswick, N.J: Rutgers University Press, S. 389. Arendt kritisiert Thoreaus Berufung auf das Gewissen, das ganz und gar „unpolitisch“ und „subjektiv“ sei. Arendt, Hannah (2017): Ziviler Ungehorsam. In: Braune, Andreas (Hg.): Ziviler Ungehorsam, S. 132–161, hier: S. 138. Derrida, Jacques (2003): Das Recht des Stärkeren (Gibt es Schurkenstaaten)? In: Ders.: Schurken. Zwei Essays über die Vernunft. Übersetzt von Horst Brühmann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 60. Thoreau, Henry David (2017): Ziviler Ungehorsam, S. 55. Vgl. Thoreau, Henry David (2017): Ziviler Ungehorsam, S. 52. Vgl. Marx, Karl (1980): Die amerikanische Frage in England (New York Daily Tribune, Nr. 6403 vom 11. Oktober 1861). In: MEW, Bd. 15, Berlin: Dietz Verlag, S. 304–314, hier: S. 310. Vgl. Thoreau, Henry David (30.10.1859): A Plea for Captain John Brown. Dreier, Ralf (1983): Widerstandsrecht und ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat. In: Glotz, Peter (Hg.): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 54–75, hier: S. 60f.; sowie Schüler-Springorum, Horst (1983): Strafrechtliche Aspekte zivilen Ungehorsams. In: Glotz, Peter (Hg.): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, S. 76–98, hier: S. 79. wenn eine bedeutende Anzahl von Staatsbürgern zu der Überzeugung gelangt ist, daß entweder die herkömmlichen Wege der Veränderung nicht mehr offenstehen beziehungsweise auf Beschwerden nicht gehört und eingegangen wird oder daß im Gegenteil die Regierung dabei ist, ihrerseits Änderungen anzustreben, und dann beharrlich auf einem Kurs bleibt, dessen Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit schwerwiegende Zweifel aufwirft. Arendt, Hannah (2017): Ziviler Ungehorsam, S. 144f. Vgl. Arendt, Hannah (2017): Ziviler Ungehorsam, S. 145, 149.
(3) Auch die dritte Traditionslinie, die mit der Reflexion über den autonomen Status von Kunst, mit Poietiken und „Ästhetiken des Widerstands“ Zur Rolle des proletarischen Lesens und Schreibens, zur literarischen Evokation des Leidens am Faschismus und des Widerstands der geeinten Arbeiterbewegung gegen den Faschismus, nicht zuletzt zu den Widerstandsgruppen der „Roten Kapelle“ in Berlin um den Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen und Dr. Arvid Harnack siehe Weiss, Peter (1983): Ästhetik des Widerstands. Roman, 3 Bde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Rancière, Jacques (2008): Ist Kunst widerständig? Übersetzt von Frank Ruda und Jan Völker. Berlin: Merve Verlag. Siehe dazu und zum Folgenden die erhellende Analyse von Sonderegger, Ruth (2018): Kants Ästhetik im Kontext des kolonial gestützten Kapitalismus. In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft: Sensibilität der Gegenwart, herausgegeben von Burkhard Liebsch, Sonderheft 17, S. 109–129. Vgl. Gikandi, Simon (2011): Slavery and the Culture of Taste, Princeton/Oxford: Princeton University Press, S. 5, S. 32. Siehe jetzt auch die Dissertation von Zandt, Stephan (2019): Die Kultivierung des Geschmacks. Eine Transformationsgeschichte der kulinarischen Sinnlichkeit. Erscheint Berlin: De Gruyter Verlag. Dazu Saidiya V. Hartmans Schilderung eines Meissner, Jochen/Mücke, Ulrich/Weber, Klaus (2008): Schwarzes Amerika. Eine Geschichte der Sklaverei, München C.H. Beck, S. 70f.; Rediker, Marcus (2007): The Slave Ship. A Human History, Chicago: Viking Penguin. Bailey, Anne C. (2017): The Weeping Time: Memory and the Largest Slave Auction in American History, New York: Cambridge University Press. Die kolonialen Plantagen waren „factories in the field“, so Pares, Richard (1960): Merchants and planters, Cambridge: University Press, S. 23; vgl. auch Wirtz, Albert (1984): Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 107.
Es war Teil des Kalküls der Sklavenhändler, der Kapitäne und Besatzungsmitglieder, der Schiffseigner, Aktionäre und Sklavenhalter, versklavte Menschen auf bloße ‚pieces‘ bzw. ‚hands‘ herabzuwürdigen und maximal dienstbar zu machen. Die europäische Ästhetik und Imagination von Blackness, kraft deren europäische Philosophen wie David Hume Siehe dazu die berüchtigte Fußnote in Hume, David (1828): Essay of National Characters. In: The Philosophical Works of David Hume, Vol. III, Edinburgh: Adam Black and William Tait, S. 224–244, hier: S. 236, Anm. 2. „I am apt to suspect the negroes and in general all other species of men (for there are four or five different kinds) to be naturally inferior to the whites. There never was a civilized nation of any other complexion than white, nor even any individual eminent either in action or speculation. No ingenious manufactures amongst them, no arts, no sciences. On the other hand, the most rude and barbarous of the whites, such as the ancient GERMANS, the present TARTARS, have still something eminent about them in their valour, form of government, or some other particular. Such a uniform and constant differences could not happen in so many countries and ages, if nature had not made an original distinction betwixt these breeds of men. Not to mention our colonies, there are Negroe slaves dispersed all over Europe, of which none ever discovered any symptoms of ingenuity, tho’low people, without education, will start up amonst us, and distinguish themselves in every profession. In JAMAICA indeed they talk of one negroe as a man of parts and learning; but ‘tis likely he is admired for very slender accomplishments like a parrot, who speaks a few words plainly.“ Bei dem von Hume erwähnten, namenlosen afroamerikanischen Mann handelt es sich um Francis Wallis, wie Gates Jr., Henry Louis (1987): Figures in Black: Words, Signs and the „Racial Self“, Oxford: University Press, S. 13, 18, 43, herausgefunden hat. Siehe auch Ronnick, Michel Valerie (1998): Francis Williams. An Eighteenth-Century Tertium Quid. In: Negro History Bulletin 61, S. 19–29. Vgl. Kant, Immanuel (1983a): Über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. In: Kant. Werke, Bd. 2, S. 825–884, hier: S. 880. „Die Negers von Amerika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege. Herr Hume fordert jedermann auf, ein einziges Beispiel anzuführen, da ein Neger Talente gewiesen habe, und behauptet: daß unter den Hunterttausenden von Schwarzen, die aus ihren Ländern andernwärts verführt werden, obgleich deren sehr viele auch in Freiheit gesetzt werden, dennoch nicht ein einziger jemals gefunden worden, der entweder Kunst oder Wissenschaft, oder irgend einer anderen rühmlichen Eigenschaft etwas Großes vorgestellt habe, obgleich unter den Weißen sich beständig welche aus dem niedrigen Pöbel empor schwingen, und durch vorzügliche Gaben in der Welt ein Ansehen erwerben. So wesentlich ist der Unterschied zwischen den zwei Menschengeschlechtern, und er scheint eben so groß in Ansehung der Gemütsfähigkeiten, als der Farbe nach zu sein.“
Was Europa betraf, so formulierten Kant und Schiller zumal ein „ästhetisches Versprechen“, das auf einem Bruch mit der sinnlich-gemeinschaftlichen Welt beruhte und der Bildung einer neuen Gemeinschaft galt. Rancière, Jacques (2006a): Schiller und das ästhetische Versprechen. In: Felix Ensslin (Hg.): Spieltrieb. Was bringt die Klassik auf die Bühne. Schillers Ästhetik heute. Berlin: Theater der Zeit, S. 39–55, hier: S. 40. Schiller, Friedrich (1993): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Sämtliche Werke, Bd. V, herausgegeben von Gerhard Fricke/Herbert G. Göpfert. 9. Auflage. München/Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 570. Schiller, Friedrich (1993): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, S. 580. Schiller, Friedrich (1993): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, S. 576. Schiller, Friedrich (1993): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, S. 578. Schiller, Friedrich (1993): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, S. 618. Schiller, Friedrich (1993): Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, S. 635. Vgl. dazu die instruktive Analyse von Menke, Christoph (2006): Vom Schicksal ästhetischer Erziehung. Rancière, Posa und die Polizei. In: Felix Ensslin (Hg.): Spieltrieb, S. 58–70, hier: S. 62f., 64.
Noch Antonin Artauds „organloser Körper“, Zu Antonin Artauds „le corps sans organes“ siehe Artauds, Antonin (1974): Œuvres complètes. Bd. XIII. Paris: Éditions Gallimard, S. 34, 114, 287. Die „Heterologie“ bzw. „Skatologie“ ist bekanntlich bloßes Projekt geblieben, das Bataille nur bruchstückhaft skizziert hat. Vgl. Bataille, Georges (1970a): Dossier „Hétérologie”. In: Œuvres complètes, Bd. II. Paris: Éditions Gallimard, S. 167–205; vgl. auch Bataille, Georges (1970b): Dossier de la polémique avec André Breton. In: Œuvres complètes, Bd. II, S. 51–109, hier: S. 61–65. Siehe dazu Mattheus, Bernd (1984): George Bataille. Eine Tanatographie, Bd. I. München: Matthes & Seitz, S. 206. Vgl. Caillois, Roger (1982): Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, übersetzt von Sigrid von Massenbach, Frankfurt a.M./Berlin/Wien: Ullstein; Huizinga, Johan (1956): Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix (1992): 28. November 1947 – Wie schafft man sich einen organlosen Körper? In: Dies.: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie 2. Übersetzt von Gabriel Ricke und Ronald Voullié. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 205–227.
Hume, Kant und Schiller hatten bürgerliche Künstler und Rezipienten, nicht jedoch „Irokesen“, Kant, Immanuel (1983b): Kritik der Urteilskraft. In: Kant. Werke, Bd. 8, herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 280. Vagabunden, entlassene[n] Soldaten, entlassene[n] Zuchthaussträflinge, entlaufene[n] Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Lazzaroni, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Maquereaus, Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, Marx, Karl (1960): Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: MEW, Bd. 8, Berlin: Dietz Verlag, S. 161. Marx, Karl (1960): Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, S. 161.
Doch es gab eine „Poesie der Klasse“, wie namentlich Jacques Rancière und Patrick Eiden-Offe gezeigt haben. Die Erfindung und Hervorbringung des Proletariats waren mit einem literarisch-poetischen Imaginären verknüpft, so Eiden-Offe: Das Vormärz-Proletariat ist gerade auch auf dem Feld des Eiden-Offe, Patrick (2017): Die Poesie der Klasse. Romantischer Antikapitalismus und die Erfindung des Proletariats. Berlin: Matthes & Seitz. Vgl. Rancière, Jacques (2013): Marx, Karl (1962): Das Kapital. In: MEW, Bd. 23, Berlin: Dietz Verlag, S. 247, 271, 280. Gauny an Ponty, 4. Mai 1838, Fonds Gauny, Ms. 168, zitiert nach Rancière, Jacques (2013): Vgl. Kydd, Alfred S. (1857): History of the Factory Movement. The Year 1802, to the Enactment of the Ten Hours’ Bill in 1847. Vol. 1, London: Simpkin, Marshall, amd Co., S. 283f.; Holloway, John/Thompson, Edward P. (2007): Blauer Montag. Über Zeit und Arbeitsdisziplin. Übersetzt von Lars Stubbe. Hamburg: Nautilus, S. 56; Thompson, Edward P. (1979): Wahrnehmungsformen und Protestverhalten. Studie zur Lage der Unterschichten im 18. und 19. Jahrhundert. Übersetzt von Detlev Puls. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag; Thompson, Edward P. (1987): Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse, 2 Bde. Übersetzt von Lotte Eidenbenz u.a., Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Zur globalgeschichtlichen Erforschung der Geschichte der Arbeit und Arbeiterbewegung; Linden, Marcel von der (2003): Transnational Labour History. Explorations. Ashgate: Aldershot; Linden, Marcel von der (2008): Workers of the World. Essays toward a Global Labor History. Leiden: Brill.
Die Möglichkeiten für Flucht- und Ausbruchversuche aus dem Zyklus minimaler Reproduktion und extensiver Arbeitsdisziplin waren unter dem englischen „Fabrikregime“ Marx, Karl (1962): Das Kapital, S. 316.
Widerstand ist, Edmund Husserl und Sigmund Freud zufolge, eine gemischte Praxis aus Sinn und Kraft. Sie richtet sich gegen eine andere, gegenstrebige Kraft, stemmt sich gegen eine unterwerfende Macht, steht quer zu einer bezwingenden Gewalt und ist damit stets eine Frage ungleicher Kräfteverhältnisse. Damit bestreitet sie zugleich die Vollständigkeit und Gewissheit eines vorherrschenden Sinnsystems, widersetzt sich seiner Gewaltgeschichte, rassistischen Moral, politischen Zoologie, kolonialen Ökonomie und fordert diese mit einem Gegensinn heraus. „Wo Macht ist, ist auch Gegenmacht“, Foucault, Michel (1994): Das Subjekt und die Macht. In: Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul (Hgg.): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Weinheim: Beltz Athenäum, S. 241–261, hier: S. 254. Vgl. Nietzsche, Friedrich (1967–77/88a): Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. In: Kritische Studienausgabe, Bd. 5, herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin/New York/München: De Gruyter Verlag/dtv, 2. Abhandlung, 12., S. 313–316; siehe auch Deleuze, Gilles (2002): Nietzsche und die Philosophie. Übersetzt von Bernd Schwibs. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, S. 69ff. Vgl. Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen. Übersetzt von Ulrich Raulf und Walter Seitter, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 27ff. sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromißbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände […], die Widerstandspunkte, -knoten und -herde sind mit größerer oder geringerer Dichte in Raum und Zeit verteilt, gelegentlich kristallisieren sie sich dauerhaft in Gruppen oder Individuen, Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit, S. 117. Vgl. Agamben, Giorgio (2005): Nymphae, herausgegeben und übersetzt von Andreas Hiepko. Berlin: Merve, S. 78. Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit, S. 117. Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit, S. 116. Nietzsche, Friedrich (1967–77/88b): Nachlass Oktober – November 1888. In: Kritische Studienausgabe, Bd. 13. 24[1], S. 618.
In Gewalt- und Machträumen, die auf destruktive Überarbeit und Vernichtung ausgerichtet sind, müssen sich Widerstände vielfach im Verborgenen, unter der Maske der Unterwürfigkeit und des vermeintlichen Einverständnisses abspielen, um Raum und Zeit zu schaffen für geheime Aufzeichnungen, Fluchtvorbereitungen, nächtliches Tanzen, Sabotage, Diebstahl, Tagträume, Freundschaftsgespräche, Gebete, Trauer und Scheitern. Zwischen „Eigensinn“, Mitmachen und Verweigern einerseits, Unter dem Hegel entlehnten Leitbegriff des Eigen-Sinns hat Alf Lüdtke den beruflichen Alltag von Fabrikarbeiterinnen und -arbeitern untersucht: „Eigensinn wird in aller Regel als ein Unterfall von Widerstand oder Widerständigkeit begriffen. Im vorherrschenden Blick pendeln Verhaltensweisen zwischen zwei Polen: Gehorsamkeit und Folgsamkeit auf der einen, Widerständigkeit und offener Widerstand auf der anderen Seite. Im Unterschied dazu zielt die Frage nach dem Eigensinn auf ein Verhalten jenseits solcher Entweder-Oder-Fixierung.“ Lüdtke, Alf (1993): Eigen-Sinn: Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg: Ergebnisse, S. 380; zu Hegels Verwendung des Begriffs im „Herr-Knecht-Kapitel“ der Deleuze, Gilles (1994): Bartleby oder die Formel. Übersetzt von Bernhard Dieckmann. Berlin: Merve, S. 31. Vgl. Koschorke, Albrecht (2010): Institutionentheorie. In: Esslinger, Eva /Schlechtriemen, Tobias/Schweitzer, Doris et al. (Hgg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 49–64, hier: S. 49. Koschorke erkennt in der „Figur des Dritten“ die sich ausschließenden Möglichkeiten der „Irritation“ oder der „Institution“ (der Macht und Gewalt), wie ich hinzufügen möchte. Diese beiden Möglichkeiten vereinen sich in Gewalt- und Machträumen nicht selten in ein und derselben (Kipp-)Figur des Dritten, des „Aufsehers“, „Treibers“, „Kapos“. Zum „diagnostischen” Aspekt von Widerstand siehe Hartman, Saidiya V. (1997): Scenes of Subjection. Terror, Slavers, and Self-Making in Nineteenth-Century America. New York: Oxford University Press, S. 42, 56; sowie Abu-Lughod, Lila (1990): The Romance of Resistance: Tracing Transformations of Power through Bedouin Women. In: American Ethnologist Vol. 17, No. I (1990), S. 41–55, hier: S. 42, 53. Vgl. Merleau-Ponty, Maurice (1955): Les aventures de la dialectique. Paris: Éditions Gallimard, S. 269. Arendt, Hannah (2007): Vita activa oder Vom tätigen Leben. 6. Auflage. München: Serie Piper, S. 39, 42, 45. Clausen, Lars (1988): Produktive Arbeit, destruktive Arbeit. Soziologische Grundlagen. Berlin/New York: De Gruyter. Clausen räumt mit mehr als nur einem Vorurteil über die „Produktivität“ von Arbeit auf. Er unterscheidet zwischen der „spektakulär am Militärischen nachgeprüfte[n] Destruktion in der Arbeit“ und der „Vernichtungsarbeit“ in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie der Zwangsarbeit, ferner der völlig sinnlosen, ausschließlich zur Quälerei und Tötung von Menschen eingesetzten „Arbeit“ (S. 70f., 72ff.). Philosophisch gedacht: jede Arbeit, die nicht zugleich auch Trauerarbeit ist und damit den für sie konstitutiven Bezug zum Aufschub des Todes anderer gekappt hat, ist und wird destruktiv. „Die Trauerarbeit [ist] keine Arbeit unter anderen“, sondern „die Arbeit selbst, die Arbeit im allgemeinen.“ Derrida, Jacques (1995): Marx‘ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale. Übersetzt von Susanne Lüdemann. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 26, 157. Siehe dazu von der Verfasserin (2020): Dienstgemeinschaft und „Arbeitsstaat“. Martin Heideggers und Ernst Jüngers Konzepte „destruktiver Arbeit“. In: Dies.: Undienlichkeit. Hartman, Saidiya V. (1997): Scenes of Subjection, S. 65.
Die Sprache der politischen Philosophie war und ist die Sprache der Handlung und der Aktion. Die Denker des Staates, der Herrschaft und der Macht waren stets auf der Seite der Souveränität, der Aktivität und der Versklavung, nicht aber auf der Seite der Ohnmacht, des Leidens und der Heteronomie, Das ist die in das Feld der politischen Philosophie übersetzte Beobachtung von Kathrin Busch: „In der abendländischen Philosophie gehört der Begriff der Passivität‘ sicherlich zu den am stärksten marginalisierten Konzepten.“ Busch, Kathrin (2012): P – „Passivität“. Hamburg/Lüneburg: Textem Verlag, S. 10f., 15, 20. Buschs Analysen sind wegweisend für die zeitgenössischen Passivitätsdebatten, nicht zuletzt auf dem Kunstfeld. Siehe auch Busch, Kathrin/Draxler, Helmut (Hgg.) (2013): Theorien der Passivität. München: Fink Verlag. Rancière, Jacques (2006b): Das ästhetische Unbewußte. Übersetzt von Ronald Vouillé. Berlin/Zürich: diaphanes, S. 17, 33. Vgl. Husserl, Edmund (1966): Analysen zur passiven Synthesis. Kathrin Busch spricht nicht von „passivem Widerstand“, sondern von „Passivität als Widerstandsform“. Busch, Kathrin (2012): P – „Passivität“, S. 15–19.
Die neuere Gewaltsoziologie, die sich nicht mehr primär mit Gewaltursachen, Gewalt-motiven und gar Gewaltrationalitäten auseinandergesetzt, Vgl. Birgit Nedelmann (1997): Gewaltsoziologie am Scheideweg, S. 64. Mit der von Edmund Husserl entwickelten, von Maurice Merleau Ponty, Emmanuel Lévinas, Bernhard Waldenfels u.a. akzentuierten Methode der Phänomenologie hat die „Phänomenologie der Gewalt“ auf den ersten Blick wenig gemein, allerdings ist in Vergessenheit geraten, dass der entscheidende, gerade auch soziologisch relevante, Beitrag der Phänomenologie in ihren elaborierten Untersuchungen von „Interkulturalität“, „Intersubjektivität“, „Leiblichkeit“, „Fremderfahrung“, „Passsivität“, „Affekt“ und „Affizierung“, „Bildlichkeit“, „Wahrnehmung“, „Erinnerung“, „Phantasie“, „Zeitbewusstsein“, „alltäglicher Lebenswelt“ (allesamt von Husserl geprägte Begriffe) liegt. Hier eröffnet sich ein breites interdisziplinäres Arbeitsfeld, das mit den Arbeiten von Alfred Schütz, Thomas Luckmann, Thomas L. Berger noch lange nicht ausgeschöpft ist. Lindenberger, Thomas/Lüdtke, Alf (1995): Einleitung. Physische Gewalt – eine Kontinuität der Moderne. In: Dies. (Hgg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 7–30. Imbusch, Peter (2000): Gewalt – Stochern in unübersichtlichem Gelände. In: Mittelweg 36/2, S. 24–40, hier: S. 27. Zur Gegenüberstellung von alter und neuer soziologischer Gewaltforschung siehe Nedelmann, Birgit (1997): Gewaltsoziologie am Scheideweg., S. 66. Vgl. Sofsky, Wolfgang (2002): Zeiten des Terrors. Amok. Terror. Krieg. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 13f., S. 27. Sofsky, Wolfgang (1996): Traktat über die Gewalt. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 178. Sofsky, Wolfgang (1996): Traktat über die Gewalt, S. 181. Sofsky, Wolfgang (1996): Traktat über die Gewalt, S. 178–181. Im Kapitel „Absolute Gewalt“ seiner intensiv rezipierten Habilitationsschrift Reemtsma, Jan Philipp (2008): Vertrauen und Gewalt, S. 104, 106, 108–112, 113–116, 116–124. In Bezug auf die „autotelische Gewalt” macht Reemtsma die „
Eine anspruchsvolle Gewaltforschung freilich, die auf die Transformationen, Zur Transformation von „Gewaltarbeit“ in „sanfte Gewalt“ siehe Bourdieu, Pierre (1979): Entwurf einer Theorie der Praxis. Übersetzt von Cordula Pialoux und Bernd Schwibs. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 357–371. Zur „kleinen Gewalt” wie der alltäglichen Ohrfeige in ihrer Verknüpfung mit den „Codes gewaltsamer Herrschaft” und mit „Gewalt-Exzessen’” siehe Lüdtke, Alf (2003): Gewalt und Alltag im 20. Jahrhundert. In: Bergsdorf, Wolfgang/Herz, Dietmar/Hoffmeister, Hans (Hgg.): Gewalt und Terror. 11 Vorlesungen. Weimar: Rhino-Verlag, S. 35–52, hier: S. 43. Christian Gudehus und Michaela Christ räumen zumindest ein, dass „Notwehr und Selbstverteidigung, gewaltfreier Widerstand und Nötigung, Suizid und Naturgewalten“ zu den „Rändern“ bzw. „Grenzbereiche[n]“ der Gewaltforschung zählen. Gudehus, Christian/Christ, Michaela (2013): Gewalt – Begriffe und Forschungsprogramme. In: Dies. (Hgg.): Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: J.B. Metzler, S. 1–15, hier: S. 12f.
Es gibt bislang keine ausgearbeitete politische Theorie des Widerstands und des unzivilen Ungehorsams, in der das Politische unter Gesichtspunkten seiner Verborgenheit und Ortlosigkeit, seiner
Zwischen 1936 und 1938 wurden im Rahmen des ersten Vgl. Yetman, Norman R. (1984): Ex-Slaves Interviews and the Historiography of Slavery. In: American Quaterly 36.2, S. 181–210, hier: S. 181. Vgl. Lomax, John A. (1941): Supplementary Instructions #9-E to The American Guide Manual. In: Slave Narratives. A Folk History of Slavery in the United States from Interviews with Former Slaves, by the Library of Congress Project Work Project Administration. Washington, S. xx–xxii, hier: S. xxii. Vgl. Esten, Emily (2015): A Peculiar Project. Ethics and Analysis of the WPA Slave Narrative Collection of Oklahoma (UMass Amherst), S. 2f. Vgl. Clift, Arlene L. (1980): If Trees Would Talk: The Communication of Resistance in Ex-Slave-Narratives. Working Paper. Cambridge, MA. The Mary Ingraham Bunting Institute of Radcliff College. Botkin, Benjamin (1941): Vorwort zu Slave Narratives. A Folk History of Slavery in the United States from Interviews with Former Slaves, S. v–x, hier: S. viii–ix; Esten, Emily (2015): A Peculiar Project, S. 2. Vgl. Lomax, John A. (1941): Supplementary Instructions #9-E to The American Guide Manual, S. xx. Vgl. Hurston, Zora Neal (2018): Barracoon. The Story of the Last ‚Black Cargo’ (1931). London: Amistad. Berlin, Ira/Favreau, Marc/Miller, Steven F. (2007): Introduction. Slavery as Memory and History. In: Dies. (Hgg.): Remembering Slavery. African Americans talk about their personal experiences of slavery and emancipation, New York: The New Press, S. xv–xlix, hier: S. xviii.
Die Vgl. Spindel, Donna J. (1996): Assessing Memory: Twentieth-Century Slave Narratives Reconsideres. In: The Journal of Interdisciplinary History 27, No. 2, S. 247–261. Vgl. Bruce, Jr., Dickson B. (2014): Slave Narratives and Historical Understanding. In: Ernest, John (Hg.): The Oxford Handbook of the African American Slave Narrative. Oxford: Oxford University Press, S. 54–66, hier: S. 60. Vgl. Bonnell Philipps, Ulrich (1929): American Negro Slavery. A Survey of the Supply, Employment and Control of Negro Labor as determined by the Plantation Régime, New York/London: D. Appleton and Company.
Die mehr als 2000 Interviews der Vgl. Blassingame, John (1977): Slave Testimony. Baton Rouge: Louisiana State Univ. Press 1977; Blassingame, John (1979): Slave Community. New York: Oxford University Press. Vgl. Woodward, C. Vann (1979): History From Slave Sources. In: American Historical Review 79, No. 2, S. 470–481. Strickland, Jeff (2014): Teaching the History of Slavery in the United States with Interviews: Born in Slavery: Slaves Narratives from the Federal Writers‘ Project 1936–1938. In: Journal of American Ethnic History 33, No. 4, S. 41–48, hier: S. 42. Snyder, Terri L. (2010): Suicide, Slavery, and Memory in North America. In: Journal of American History Vol. 97/1, S. 39–62, hier: S. 39; Isaac, Rhys (2004): Landon Carter’s Uneasy Kingdom: Revolution and Rebellion on a Virginia Plantation. New York: Oxford University Press, S. 193. Blassingame, John (1985): Using the Testimony of Ex-Slaves. In: Davis, Charles T./Gates Jr., Henry Louis (Hgg.): The Slave’s Narratives. New York: Oxford University Press, S. 78–98, hier: S. 87 mit Hinweis auf J. Jones, Ralph (1967): Portrait of Georgia Slaves. In: Georgia Review 21, S. 268–273, hier: S. 271. Former slaves tended to defer and avoid conflict during the inerview. When African Americans interviewers were present, the ex-slaves were more candid and often expressed resentment about the slavery experience. Strickland, Jeff (2014): Teaching the History of Slavery in the United States with Interviews, S. 43. Vgl. dazu Blassingame, John (1985): Using the Testimony of Ex-Slaves, S. 91. Zu all dem siehe Jenkins Schwartz, Marie (2014): The WPA Narratives as Historical Sources. In: Ernest, John (Hg.), The Oxford Handbook of the African American Slave Narrative, S. 89–100, hier: S. 98. Siehe dazu Berlin, Ira/Favreau, Marc/Miller, Steven F. (2007): Introduction. Slavery as Memory and History, S. xxii.
Die Narrationen sind schlaflose historische Zeugnisse trotz allem, diskursive Spuren jener Interviewereignisse selbst, die sich in ihrer Singularität einer vollständigen Überführung in Geschichte und Geschichtsschreibung widersetzen. „[F]or the first and last time, a large number of surviving slaves […] habe been permitted to tell their own story, in their own way“, Botkin, Benjamin (1941): Vorwort zu Slave Narratives: A Folk History of Slavery in the United States from Interviews with Former Slaves, by the Library of Congress-Project Work Project Adminstration, Washington, S. viii–ix.
1937 begann der jüdische Historiker Herbert Aptheker damit, der innerhalb der offiziellen amerikanischen Historiografie bis dahin völlig marginalisierten Frage des sklavischen Widerstandes aus marxistischer Perspektive nachzugehen. Vgl. Aptheker, Herbert (1937): American Negro Slave Revolts. Part 1. In: Science and Society 1, S. 512–538, hier: S. 512; Aptheker, Herbert (1938): American Negro Slave Revolts. Part 2. In: Science and Society 1, S. 386–392. Vgl. Aptheker, Herbert (1943): American Negro Slave Revolts. New York: Columbia University Press, S. 303. Vgl. Aptheker, Herbert (1943): American Negro Slave Revolts, S. 11. Vgl. Aptheker, Herbert (1943): American Negro Slave Revolts, S. 11, 187, 161, 69, 111 u.ö. Vgl. Aptheker, Herbert (1939: Negro Revolts in the United States, 1526–1860. New York: International Publishers; Donnan, Elizabeth (Hg.) (1930–1935): Vgl. Kailin, Julie (1998): Toward Nonracist Historiography: The Early Work of Herbert Aptheker. In: Shapiro, Herbert (Hg.): African American History and Radical Historiography. Essays in Honor of Herbert Aptheker. Minneapolis: MEP Publications 1998, S. 19–38, hier: S. 29. „The struggle of the Negro for his liberty, beginning with those dark days on the slave-ship, was far from sporadic in nature, but an ever-recurrent battle waged everywhere with desperate courage against the bonds of his master.“ Wish, Harvey (1937): American Slave Insurrections before 1861. In: The journal of Negro History 22/3, S. 299–320, hier: S. 320, 301f. der Autor weist nicht zuletzt auf Hungerstreiks, Melancholie und Suizide als Widerstandspassivierungen bereits auf den Sklavenschiffen hin. Dazu von der Verfasserin: „Sich Undienlichmachen/Undienlichwerden im transatlantischen Sklavenhandel“. In: Därmann, Iris (2020): Undienlichkeit. Vgl. Carroll, Joseph Cephas (1938): Slave Insurrections in the United States, 1800–1856. Boston: Chapman & Grimes. Vgl. Porter, Kenneth W. (1943): Florida Slaves and Free Negroes in the Seminole War, 1825–1842. In: The journal of Negro History 28.4, S. 390–421. Vgl. Herskovits, Melville J. (1926): The Cattle Complex in East Africa. In: American Anthropologist. Vol. 28, No. 1, S. 230–272. Vgl. Herskovits, Melville J. (1941): The Myth of the Negro Past. London/New York: Harper & Brothers. Gershenhorn, Jerry (2007): Melville J. Herskovits and the Racial Politics of Knowledge. Lincoln/London: University of Nebraska Press. Siehe dazu French, Scot (2004): The Rebellious Slave. Nat Turner in American Memory. Boston/New York: Oxford University Press, S. 208.
Wie bei den afroamerikanischen Soziologen und Bürgerrechtsrechtaktivisten William Du Bois und E. Franklin Frazier Vgl. Frazier, Franklin (1932): The Free Negro Family: A Study of Family Origins Before the Civil War. Nashville: Fisk University Press. Vgl. Bancroft, Frederic (1931): Vgl. Bruce, Jr., Dickson B. (2014): Slave Narratives and Historical Understanding, S. 60f. Vgl. Northup, Solomon (2014): Zwölf Jahre ein Sklave. Altenmünster: Jazzybee Verlag, S. 396, 102, 120. Als schwarzer „Treiber“ war es Northups Aufgabe, die anderen Sklaven bei der Baumwollernte zu überwachen und zu strafen. Doch er hatte die Peitsche zum Schutz seiner Douglass, Frederick (1845): Narrative of the Life of Frederick Douglass, 1817–1895. Boston: Bedford Books of St. Martin’s Press, S. 8; Bauer, Raymond A./Bauer, Alice H. (1942): Day to Day Resistance to Slavery. In: The Journal of Negro History, Vol. 27, No 4, S. 388–419, hier: S. 391. Die beiden Bauers hatten ihr Papier Siehe dazu auch Wirz, Albert (1984): Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem, S. 165; Terri L. Snyder hat dem Suizid ein eigenes und historisch höchst ertragreiches Buch gewidmet, sie steht einer Deutung des Suizids als Widerstandshandlung jedoch reserviert gegenüber: Snyder, Terri L. (2015): The Power to Die. Slavery and Suicide in British North America, Chicago/London: University of Chicago Press, S. 18. Bauer, Raymond A./Bauer, Alice H. (1942): Day to Day Resistance to Slavery, S. 404. Marx, Karl (1962): Das Kapital, S. 399.
Die Pionierleistung der beiden Bauers bestand nicht nur darin, dass sie die praxeologische Wende und damit Michel de Certeaus poietisch-politisches Verständnis von Alltagspraktiken, nicht zuletzt Alf Lüdtkes Alltagsgeschichte des Eigensinns vorwegnahmen. Mit ihrer antirassistischen Alltagsgeschichte afroamerikanischer Widerstandspraktiken machten die beiden jüdisch-österreichischen Wissenschaftler, die sich in den 1960er Jahren mit Untersuchungen zu Massenmedien hervortun sollten, Vgl. Bauer, Raymond A./Bauer, Alice H. (1960): America, Mass Society, and Mass Media. In: Journal of Social Issues 16, No. 3, S. 3–66. Dubnow hatte 1925 gefordert, dass das jüdische Volk in allen Zeiten und in allen Ländern, immer und überall, [als] ein Subjekt, [ein] Schöpfer seiner Geschichte, nicht nur auf dem geistigen, sondern auch auf dem Gebiete des sozialen Lebens überhaupt Dubnow, Simon (1925): Weltgeschichte des jüdischen Volkes von seinen Uranfängen bis zur Gegenwart. Band. 1: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes. Orientalische Periode. Von der Entstehung des Volkes Israel bis zum Ende der persischen Herrschaft in Judäa. Berlin: Jüdischer Verlag, S. XV. Kuznitz, Cecile Esther (2014): YIVO and the Making of Modern Jewish Culture: Scholarship for the Yiddish Nation. Cambridge: Cambridge University Press, S. 27. Gallas, Elisabeth (2015): Rezension von Cecile E. Kurnitz: Hilbrenner, Anke (2004): Simon Dubnow war eine Art intellektueller Pate. Das YIVO in Wilnar und Dubnows Aufruf zur Arbeit am nationalen Gedächtnis. In: Dmitrieva, Marina/Petersen, Heidemarie (Hgg.): Jüdische Kultur(en) im Neuen Europa, Wilna 1918–1939. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, S. 147–162, siehe dazu Wagner, Birgitt (2011): Jüdische Gesellschaft im Mittelpunkt. „Ghetto” und „Judenrat” als Themen der frühen englischsprachigen Holocaustforschung. In: PaRDeS. Zeitschrift der Vereinigung für Jüdische Studien e.V. 17, S. 53–70, hier: S. 61. Der Artikel von Birgitt Wagner basiert auf ihrer Diplomarbeit: Der Holocaust vor der Bezeichnung ‚Holocaust’. Wege zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden in der englischsprachigen Forschung 1940–1960 (Universität Wien, 2010). Vgl. Web, Marek (2013): The Story of YIVO’s Polish Jewish Archive. YIVO Institute for Jewish Reearch, S. 6. Vgl. Kuznitz, Cecile Esther (2014): YIVO and the Making of Modern Jewish Culture, S. 71–99. Vgl. Kuznitz, Cecile Esther (2014): YIVO and the Making of Modern Jewish Culture, S. 69. Vgl. Kuznitz, Cecile Esther (2014): YIVO and the Making of Modern Jewish Culture, S. 77. Vgl. Der pinkes. Yohrbukh far der geshikhte fun der yudisher literatur un shprakh, far folklor, kritik un biblyografye. Wilna 1912/13. Kuznitz, Cecile Ester (10. November 2010): YIVO. In: YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe. Weinreich, Max (1926/2002): Ein Jiddisches Wissenschaftliches Institut. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Neue Folge, Bd. 5 (Bd. 80), Leipzig, S. 68–70; wiederabgedruckt in: Jüdisches Museum Frankfurt (2002): SCHTARKER FUN AJSN. Konzert- und Theaterplakate aus dem Wilnaer Getto 1941–1943. Frankfurt a.M.: Jüdisches Museum Ffm, S. 117–119. Kuznitz, Cecile Ester (2010): „YIVO”. Weinreich, Max (1926/2002): Ein Jiddisches Wissenschaftliches Institut, S. 117f. Schroeter, Gudrun (2008): Worte aus einer zerstörten Welt: das Ghetto Wilna. St. Ingbert: Röhring, S. 40, Anm. 91. Vgl. Kuznitz, Cecile Ester (2010): „YIVO”; siehe auch Roth, Markus/Löw, Andreas (2012): Das Warschauer Getto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung. München: Beck Verlag, S. 55.
Am 19. September 1939 besetzen die Sowjets Wilna. Das YIVO wurde als Institut für jüdische Kultur Teil der Wissenschaftlichen Akademie der Sowjetisch Sozialistischen Republik Litauen, bevor es nach der Besetzung Wilnas am 24. Juni 1941 durch die deutsche Wehrmacht im März 1942 für das sogenannte „Institut zur Erforschung der Judenfrage“ in Frankfurt geplündert wurde. Der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) ordnete an, dass jüdische Mitarbeiter des YIVO, darunter der Bibliothekar Herman Kruk, jüdisches Kulturgut und jüdische Buchbestände zur Zerstörung aussortieren sollten. Die sogenannten „Papierbrigaden“ gingen, nach Einschätzung Kutznitz’, ein hohes Risiko ein, um seltene Bücher, Briefe, Manuskripte und Zeichnungen aus den YIVO-Beständen ins Wilnaer Ghetto zu schmuggeln und vor der Zerstörung zu bewahren. Kuznitz, Cecile Ester (2010): „YIVO”. Schroeter, Gudrun (2008): Worte aus einer zerstörten Welt: das Ghetto Wilna, S. 38f. Zur starken Besetzung des Bezeugens in der jüdischen Tradition siehe Krochmalnik, Daniel (2007): Pflicht Nr. 122. Das Zeugnisgebot (Mizwat Edut) in Geschichte und Gegenwart. In: Fritz-Bauer-Institut (Hg.): Zeugenschaft des Holocaust. Zwischen Trauma, Tradierung und Ermittlung. Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag, S. 19–32. Zitiert nach Löw, Andrea (2013): Chronisten der ‚Lebenswelt Ghetto‘. Dokumentationstätigkeit in den Ghettos Litzmannstadt und Warschau. In: Hansen, Imke/Steffen, Katrin/Tauber, Joachim (Hgg.): Lebenswelt Ghetto. Alltag und soziales Umfeld während der nationalsozialistischen Verfolgung. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, S. 310–329, hier: S. 313.
Im Rückblick auf die Anfangszeit der deutschen Besatzung von Warschau und der Terrorisierung der jüdischen Zivilbevölkerung notierte Emanuel Ringelblum im Januar 1943 in sein Tagebuch:
Alle schrieben: Journalisten, Literaten, Lehrer, die politisch Aktiven, die Jugend, sogar die Kinder. Die Mehrheit schrieb Tagebuch, in denen sie die tragischen Ereignisse durch das Prisma des eigenen Überlebens ausleuchteten. Es wurde viel geschrieben, aber die überwältigende Mehrzahl [der Texte] wurde in der Zeit der Aussiedlung gemeinsam mit den Warschauer Juden vernichtet. Es blieb nur das Material, das im A[r-chiv] des G[ettos] aufbewahrt wurde. Ringelblum, Emanuel (1983): Vgl. Young, James E. (1997): Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Übersetzt von Christa Schuenke. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 33. Siehe auch Langer, Lawrence (1975): The Holocaust and the Literary Imagination. New Haven: Yale University Press; Langer, Lawrence (2010): Holocaust-Testimonies: The Ruin of Memory. New Haven: Yale University Press; Marcuse, Harold (2010): Holocaust Memorials: The Emergence of a Genre. In: Didi-Huberman, Georges (2011): Wenn die Bilder Position beziehen. Das Auge der Geschichte I. Übersetzt von Markus Sedlaczek. München: Fink Verlag, S. 32.
Von Herman Kruk stammt die umfassendste Chronik des Wilnaer Ghettos in jiddischer Sprache. Die Chronik Hermann Kruks umfasste insgesamt 757 Seiten, von denen 510 gerettet wurden. 380 Seiten erreichten 1948 das YIVO in New York, weitere 130 Seiten gelangten 1959 nach Yad Vashem. Dazu Schroeter, Gudrun (2008): Worte aus einer zerstörten Welt: das Ghetto Wilna, S. 39, Anm. 89. Vgl. Kruk, Hermann (2002): Getto-Bibliothek und Getto-Leser (Wilnaer Getto, September 1942). Der Bericht befindet sich im Archiv des „Jidischer wisnschaftlecher Institut“ (YIVO) in New York. Übersetzt von Maria Kühn-Ludewig. In: Jüdisches Museum Frankfurt: SCHTARKER FUN AJSN. Konzert- und Theaterplakate aus dem Wilnaer Getto 1941–1943, S. 222–238. Schroeter, Gudrun (2008): Worte aus einer zerstörten Welt: das Ghetto Wilna, S. 41. Kruk, Hermann (2002): Getto-Bibliothek und Get-to-Leser, S. 230.
Im Warschauer Ghetto hatte die von dem Historiker Emanuel Ringelblum geleitete Gruppe des Vgl. Roth, Markus/Löw, Andreas (2012): Das Warschauer Getto, S. 52–64. Kassow, Samuel D. (2010): Ringelblums Vermächtnis. Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, S. 468. Vgl. Kassow, Samuel D. (2010): Ringelblums Vermächtnis, S. 472f. Vgl. Kassow, Samuel D. (2010): Ringelblums Vermächtnis, S. 15. Vgl. Roth, Markus/Löw, Andrea (2012): Das Warschauer Getto, S. 61.
Birgitt Wagner hat auf eine frühe Tagung zur Holocaust-Forschung hingewiesen, die von der New Yorker Zeitschrift Vgl. Bloom, Solomon F. (1950): Toward the Ghetto Dictator. In: Jewish Social Studies 12, S. 73–78. Gringauz, Samuel (1950): Some Methodological Problems in the Study of the Ghetto. In: Jewish Social Studies 12, S. 65–72, hier: S. 58.
Diese bemerkenswerte Einschätzung erläuterte Samuel Gringauz, Nationalökonom und Jurist, Überlebender des Ghettos Kaunas und des Konzentrationslagers Dachaus sowie gewählter Vertreter der jüdischen Siehe dazu Wagner, Birgitt (2011): Jüdische Gesellschaft im Mittelpunkt, S. 58, der ich hier folge. Gallas, Elisabeth (2016): Frühe Holocaustforschung in Amerika. Dokumentation, Zeugenschaft und Begriffsbildung. In: Jahrbuch des Simon-Dubow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 15, S. 535–569, hier: S. 554. Kuznitz, Cecile Ester (2010): „YIVO”.
Wie Elisabeth Gallas in einem eindrücklichen Forschungsüberblick gezeigt hat, sind diese und viele weitere jüdische Initiativen der frühen Widerstands- und Holocaust-Forschung, die zunächst in jiddischer, hebräischer, polnischer und nach 1945 zunehmend in englischer Sprache verfasst wurden, sowie deren Schreib- und Repräsentationsformen erst in jüngerer Zeit wieder stärker in den Blickpunkt gerückt. Siehe dazu den instruktiven Sammelband von Rásky, Béla/Fritz, Regina/Kovács, Eva (Hgg.) (2016): Vgl. Stauber, Roni (2010): Laying the Foundations for Holocaust Research – The Impact of Philip Friedman. Göttingen: Wallstein Verlag. Vgl. Gallas, Elisabeth (2016): Frühe Holocaustforschung in Amerika, S. 541. The Jews under Nazi domination were separated from their kin. ‚The world closed around them‘. Left to themselves, they struggled much more than people elsewhere believed they did. It was a peculiar kind of struggle, a hopeless and permanent one for the preservation of the human image. It was a drama in which millions participated, in which each moment in the lives of the persecuted, humiliated and condemned to death was saturated with action. Robinson, Jacob/Friedman, Philip (1960): Vgl. Arendt, Hannah (1948): Konzentrationsläger. In: Die Wandlung. Eine Monatsschrift. Dritter Jahrgang, Viertes Heft (1948). Unter Mitwirkung von Karl Jaspers, Marie Luise Kaschnitz und Alfred Weber herausgegeben von Dolf Sternberger, S. 309–330, hier: S. 327. Siehe auch Arendt, Hannah (2011): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. Von der Autorin übersetzt und durchgesehen, 14. Auflage, München/Zürich: R. Piper Verlag, S. 907–943. Arendt, Hannah (1948): Konzentrationsläger, S. 326. Arendt, Hannah (1948): Konzentrationsläger, S. 326. Vgl. Hilberg, Raul (1992): Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2. Übersetzt von Hans Günther Holl. 3. Auflage. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 518ff. Zum schwierigen Verhältnis Hilbergs zu Arendt, deren unterschiedliche Einschätzung Eichmanns einerseits, der Judenräte andererseits siehe Hilberg, Raul (1994): Unerbetene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers. Übersetzt von Hans-Günter Holl. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 129ff.; sowie Ludz, Ursula (2011): In den Untiefen des Allzumenschlichen. In: HannahArendt.net. Zeitschrift für politisches Denken 1/2, Bd. 6.
Jedoch, so Yehuda Bauer:
Der bewaffnete Widerstand war nicht nur umfangreicher, als man gewöhnlich annimmt, sondern er war auch von großer symbolischer Bedeutung. Man muß jedoch erinnern, daß er erst begann, als die Juden realisierten, daß es keine Alternative gab, daß die Nazis planten, alle Juden umzubringen. Bauer, Yehuda (2012): Jüdische Reaktionen auf den Holocaust. Berlin: LIT Verlag, S. 119–126, hier: S. 124.
Dieser Vorwurf betrifft zumal „die deutsche Zeitgeschichtswissenschaft bei der Behandlung des Holocaust-Themas“, wie Martin Broszat unter dem Eindruck der Ausstrahlung der vierteiligen Serie [d]ie Geschichte der jüdischen Katastrophe im Zweiten Weltkrieg […] zunächst und vor allem Zur jüdischen Gattung der „khurbn“, der „Literatur der Zerstörung“ siehe Friedman, Philip (1959): Research and Literature on the recent Jewish tragedy. In: Jewish Social Studies 12, S. 17–26, hier: S. 17ff. sowie Gallas, Elisabeth (2016): Frühe Holocaustforschung in Amerika, S. 557f. Vgl. Berg, Mary (Miriam Wattenberg) (1945): Warsaw Ghetto. A Diary. Übersetzt von Norbert Gutermann, herausgegeben von S.L. Schneidermann. New York: L.B. Fischer 1945. Eine Ausnahme bildete die XXXI. Tagung der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 „Mit jedem Leben, das wir retteten, bekämpften wir Hitler!“ – Jüdischer Widerstand und der Widerstand und die Juden, Bonn 16.02.–18.02.2018.
Anders der israelische Historiker Yehuda Bauer, der sowohl bewaffnete als auch unbewaffnete Formen jüdischen Widerstands untersucht hat. Letztere bezeichnete er in hebräischer Sprache als „amidah“ – „aufrecht stehen“, „stand halten“, „sich gegen jemanden erheben“. Bauer, Yehuda (2001): Die dunkle Seite der Geschichte. Die Shoah aus historischer Sicht. Interpretationen und Re-Interpretationen. Frankfurt a.M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, S. 153–181. Zum bewaffneten jüdischen Widerstand und seine „symbolische Bedeutung“ siehe Bauer, Yehuda (2012): Jüdische Reaktionen auf den Holocaust, S. 119–126, hier: S. 124. Bauer, Yehuda (2001): Die dunkle Seite der Geschichte, S. 173, 164. Im Ghetto in Wilnar fand am 4.5.1942, begleitet von kontroversen Debatten darüber, ob ein Theater überhaupt, wie es hieß, auf einem Friedhof gegründet werden könne, das erste Konzert statt, so Schroeter, Gudrun (2010): Jüdischer Widerstand in Ghettos 1939–1944. In: Lernen aus der Geschichte, S. 6–7. „In Erinnerungen und Memoiren ist dokumentiert, dass viele Menschen, die den entmenschlichten und hoffnungslosen Bedingungen ausgesetzt waren, diese Ruhestunde des Konzerts als fast sakrales Erlebnis empfanden. Avrom Sutzkewer beschreibt die Stimmung des ersten Abends, dass jeder Klang der Ermordeten gemahnte, ‚... MENTSHN SAYNEN GESHTANEN, WI ME SHTEYT LEBN AN OFENEM KEYWER.‘ In den ersten Monaten der Existenz des Theaters wurden Themen der jüdischen Literatur, Werke von Aleiychem, Perez oder Bialik gespielt, dann kamen eigene Produktionen aus dem Ghetto dazu.“ Schroeter, Gudrun: Konzert- und Theaterplakate aus dem Wilnaer Ghetto 1941 – 1943.
„‚Das Leben heiligen‘. Dies bedeutete, daß alles dafür getan werden mußte, jüdisches Leben zu retten. Jüdisches Leben, dies wollte der Feind nehmen. Es folgten vielfältige Reaktionen, nicht alle organisiert, einige spontan.“ Bauer, Yehuda (2012): Jüdische Reaktionen auf den Holocaust, S. 77. Gilbert, Martin (1986): The Holocaust: The Jewish Tragedy. London: Collins, S. 174, dazu Gitman, Esther (2018): Courage to Resist. Jews of the Independent State of Croatia Fight back. In: Schoeps, Julius H./Bingen, Dieter/Botsch, Gideon (Hgg.): Jüdischer Widerstand in Europa (1933–1945). Formen und Facetten. Berlin/Boston: De Gruyter Oldenbourg, S. 106–125, hier: S. 108. Rózsa, Ágnes (2006): Solange ich lebe, hoffe ich. In: Diefenbach, Michael/Jochem, Gerhard (Hgg.): „Solange ich lebe, hoffe ich“. Die Aufzeichnungen des ungarischen KZ-Häftlings Ágnes Rózsa. Nürnberg: Verlag testimon, S. 95–352, hier: S. 227. Zu den Handlungsspielräumen der Häftlinge siehe Wachsmann, Nikolaus: (2015): KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Berlin: Siedler Verlag, S. 573ff.
Am 6.3.1964, dem 24. Verhandlungstag des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, vermittelte Hermann Langbein dem Gericht eine Vorstellung von den Möglichkeiten des „Rettungswiderstandes“ Der treffende Begriff „Rettungswiderstand“ geht auf Wolfram Wette zurück, der ihn jedoch für „Helfer und Retter in der Uniform“ der Wehrmacht, Polizei und der SS reserviert. Wette, Wolfram (2003): Helfer und Retter in der Wehrmacht als Problem der historischen Forschung. In: Ders. (Hg.): Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht. 3. Auflage. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, S. 11–31. Der Hauptwiderstand in Auschwitz war natürlicherweise der, Leben zu retten. Denn die Haupttätigkeit der SS war, Leben zu vernichten. Begonnen hat es in sehr kleinem Maßstab. Es hat begonnen damit, daß man versucht hat, Essen zu ‚organisieren‘. Es hat begonnen damit, daß man versucht hat, Häftlinge auszutauschen mit Leichen. Das ist die Ursache gewesen, weshalb dann Häftlingsnummern tätowiert wurden: In Einzelfällen – in sehr wenigen Einzelfällen war das nur möglich – konnte man jemanden, von dem man annahm, daß er besonders gefährdet war von draußen, mit einem Toten auswechseln, konnte ihm die Nummer des Toten geben und ihn als tot abschreiben, so daß er für die Politische Abteilung gestorben war und daher nicht mehr verfolgt werden konnte. 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess. „Strafsache gegen Mulka u.a“, 4 Ks 2/63, Landgericht Frankfurt am Main, 24. Verhandlungstag, 6.3.1964. Vernehmung des Zeugen Hermann Langbein, S. 49. Zum Widerstand und den Widerstandsmöglichkeiten in Auschwitz siehe Langbein, Hermann (1978): Menschen in Auschwitz. Wien: Europa Verlag, S. 276ff., 278, 291, 292. Der Gefangene war Herr seines Schlafes, über diese wenigen Stunden, wo alles Gelebte bis zum Paroxysmus in einer übernatürlichen Vision erschien, hatte die SS weder Gewalt noch Macht. Dieser Schlaf war zumeist kein kreatürliches Ausruhen; er wurde zu einer Art Reliquienschein einer vielleicht ersterbenden Vergangenheit, die sich jedoch umwandelte, wenn es einigen blitzartigen Bildern gelang, einen Steg der Rückkehr aufleuchten zu lassen. Dieser Schlaf bedeutete für jeden von uns die Aufhebung seiner Rechtlosigkeit, das Positive eines negativen Tageslebens. Cayrol, Jean (1995): Lazarus unter uns. Übersetzt von Sigrid von Massenbach. Stuttgart: Curt E. Schwaab, S. 18. Den Hinweis auf Jean Cayrol verdanke ich Holger Brohm und seiner „Kulturgeschichte des Träumens“. Wichtige Anregungen zu den politischen Implikationen von „Schlaf und Schlaflosigkeit“ verdanke ich wiederum dem gleichnamigen Masterseminar, das ich mit Cayrol, Jean (1995): Lazarus unter uns, S. 16, 10. Luchterhand, Elmer (2018): Einsame Wölfe und stabile Paare. Verhalten und Sozialordnung in den Häftlingsgesellschaften nationalsozialistischer Konzentrationslager, herausgegeben und eingeleitet von Andreas Kranebitter und Christian Fleck. Wien: new academic press, S. 99. Bei der Publikation handelt es sich um die 1953 abgeschlossene Doktorarbeit Bruno Bettelheim wandte sich dem doppelten Problem des „Überlebens“ zu. Das eine betraf die „persönlichkeitszersetzende“ Erfahrung des „Gefangenseins in einem deutschen Konzentrationslager, das die soziale Existenz völlig zerstörte“ und durch „schlimmste Mißhandlungen“, Folter, Terror und ständige Lebensgefahr bestimmt war. Das andere bezog sich auf die „lebenslangen Nachwirkungen eines solchen Traumas, die ganz besondere Formen der Bewältigung erfordern, wenn man ihnen nicht erliegen soll.“ Bettelheim, Bruno (1980): Erziehung zum Überleben. Zur Psychologie der Extremsituation. Übersetzt von Edwin Ortmann, Rudolf Hermstein und Brigitte Weitbrecht. Stuttgart: DVA, S. 34. Vgl. Suderland, Maja (2009): Ein Extremfall des Sozialen. Die Häftlingsgesellschaft in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag; vgl. hingegen Suderland, Maja (2004): Territorien des Selbst. Kulturelle Identität als Ressource für das tägliche Überleben im Konzentrationslager, Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag. Kranebitter, Andreas/Fleck, Christian (2018): Elmer Luchterhands Forschungen zu nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Eine Einleitung. In: Luchterhand, Elmer: Einsame Wölfe und stabile Paare, S. 7–36, hier: S. 27.
Sofern die „Reservate“ und „Territorien des Selbst“, Gofman, Erving (1982): Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung. Übersetzt von R. und R. Wiggershaus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 54–71.
Das Politische in Extremsituationen muss nicht nur von der Natalität des widerständigen Überlebens, sondern auch von der Transitivität des Sterbens aus gedacht werden. Im Kontext der rassistischen NS-Tanathopolitik war nicht nur die Lebensrettung eine widerständige Praktik, sondern auch der Freitod, erkennbar auch daran, dass missglückte Versuche hart bestraft wurden: Freitode wurden von der SS als Akte der Selbstbehauptung und Selbstbestimmung angesehen, die dem Anspruch auf totale Verfügungsgewalt „über Leben und Körper der Insassen“ zuwiderliefen, Goeschel, Christian (2011): Selbstmord im Dritten Reich. Übersetzt von Klaus Bindner. Berlin: Suhrkamp Verlag, S. 179. Es war bezeichnend für die Situation der Häftlinge, daß nur wenige sich entschlossen, ‚an den Draht‘ zu laufen, wie man sagte, das heißt: durch Berühren der mit Starkstrom geladener Stacheldrähte Suizid zu begehen. Der Draht war eine gute Sache, vielleicht aber wurde man noch vorher, beim Versuch, sich ihm zu nähern, ertappt und in den Bunker geworfen, was zu einem schwierigen und peinvolleren Tode führte. Améry, Jean (1966): Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München: Szczesny, S. 34.
Angesichts der alltagsgeschichtlich wie soziologisch orientierten Pionierleistungen der frühen
Es spricht viel dafür, Widerstand aisthetisch, von der empfindlichen Haut, vom verletzlichen, zwecklosen, undienlichen und sterblichen Körper aus zu denken, genauer: ausgehend von einem gewaltsam angetanen und schmerzlich empfundenen Erleiden und Leid, das zum Widerstand und zum Widerstehen drängt, zu
Allochronie im Anthropozän: Ein Gespräch mit Erhard Schüttpelz (Re)Synchronisierung auf dem Boden der Tatsachen? Die Pedosphäre als Übersetzungsregion anthropologischer und geologischer Zeitlichkeit Zukunftspolitik im Technozän. Der Technikfolgendiskurs in den 1970er Jahren Walter Benjamins Eschatologie der Katastrophe: Fortschritt, Unterbrechung und das Ende der Geschichte Wie die Geschichte(n) der Erde bewohnen? (Literarische) Kompositionen von planetarer Zeit zwischen Moderne und Anthropozän Das „diplomatische Jahrhundert“: Mediatisierung von Zeitverhältnissen in den Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts Vom Ausgang der Erde aus der Welt des Menschen, oder: Wie das „Prä-“ vor die Geschichte kam Moderne Zeitlichkeiten und das Anthropozän