
Borsdorf, Axel; Grabherr, Georg; Heinrich, Kati; Scott, Brigitte; Stötter, Johann (eds.) (2010): Challenges for Mountain Regions – Tackling Complexity Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag, 223 S.
Das vorliegende Werk bezieht sich auf den Landschaftstyp der (Hoch-) Gebirge. Sie machen etwa ein Drittel der terrestrischen Fläche unseres Planeten aus. Vielfach zählen sie zu den „biodiversity hotspots“ und nach den Küsten stellen sie die beliebtesten Erholungsräume dar. Während sie derzeit rund zehn Prozent der Weltbevölkerung beherbergen, liefern sie über funktionale Verflechtungen mit ihren Vorländern Ressourcen an mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung: Trink- oder Bewässerungswasser für Menschen und landwirtschaftliche Zwecke sowie dessen hydroelektrische Inwertsetzung als Energielieferant sind beispielhaft zu nennen.
Die „challenges“, welche im Titel des Werks angesprochen werden, fokussieren auf die Auswirkungen des „global change“. Denn die globale Erwärmung, die sich als empirischer Befund besonders für die zurückliegenden Jahrzehnte unzweifelhaft ergibt, geschieht in (Hoch-) Gebirgsregionen ungleich schneller als in Tiefländern – vor allem seit dem Ende der „kleinen Eiszeit“ (Mitte des 19. Jahrhunderts). Bis heute sind die durchschnittlichen Temperaturen global um 0,7 °C angestiegen, in den Alpen z. B. betrug die Zunahme dagegen deutlich mehr und belief sich auf etwa 2 °C. Daraus wiederum resultieren höhere Naturgefahren wie z. B. gehäufte Abgänge von Muren durch das Zurückweichen des Permafrostes. Aber auch vom verstärkten Handel auf einer globalisierten Erde wird dieser Landschaftstyp stark betroffen; beispielsweise indem (neue) Verkehrstrassen (aus-) gebaut und als Transitkorridore intensiv genutzt werden – mit all ihren bekannten Baufolgen und Emissionsproblemen für die lokalen Bergbewohner.
Am 11. März 2010 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (2010) die Resolution (64/205) „Sustainable Mountain Development“ verabschiedet. In 45 Paragraphen wird dort über öffentliche Güter und gemeinschaftliche Problemlagen reflektiert. So heißt es, die Generalversammlung „expresses its deep concern at the number and scale of natural disasters and their increasing impact in recent years“ (S. 12). Damit knüpft man nahtlos an das „UN International Year of Mountains“ 2002 sowie das zehn Jahre ältere Berggebietskapitel (No. 13) der „Earth Summit Declaration“ von Rio de Janeiro 1992 mit der Überschrift „Managing Fragile Ecosystems: Sustainable Mountain Development“ an (United Nations 1992). Für das uns Europäern in mehrfachem Sinne nahe gelegene Gebiet der Alpen wurde bereits im Jahr 1991 die Alpenkonvention ins Leben gerufen. Sie schreibt auf Seiten der betroffenen Anrainerstaaten für den Gesamtraum dieses Hochgebirges als völkerrechtlicher Staatsvertrag den Natur- und Umweltschutz sowie eine nachhaltige Entwicklung fest (wenn sie sich auch bisher eher als Papiertiger erweist, was hier kritisch angemerkt werden darf).
In insgesamt sechs Kapiteln mit jeweils einer Hand voll Beiträgen bezieht das Buch „Challenges for Mountain Regions – Tackling Complexity“ kompetent wie aktuell Stellung zu (hoch-) gebirgsspezifischen Sachverhalten. Sowohl natur- als auch gesellschaftswissenschaftliche Themen werden unter Kapitelüberschriften zum Globalen Wandel, zu „Natural Hazards“ oder künftigen Herausforderungen präsentiert, wobei vorrangig die Alpen, aber auch der ganz andere Entwicklungsländerkontext der Anden Südamerikas als Analyseräume dienen. Anhand einiger interessanter Fallbeispiele wird im Folgenden der Inhalt des Sammelbandes auszugsweise wiedergegeben.
Was die Alpen anbetrifft, berichten beispielsweise die Kollegen Monreal und Stötter über die Aufstellung eines Blockstrom-Gletscherinventars. Diesem kommt wegen des immer schneller schmelzenden Permafrostes und der daraus resultierenden Gefahr von verstärkten Massenbewegungen besondere Relevanz zu, wurde sie doch bereits 1990 von Häberli/Rickenmann/Rösli et al. (1990) für die Schweiz als gravierende „Natural Hazard“-Problematik gesehen. Mit Hilfe der „Airbone Laser Scanning“-Technik wurden am Beispiel von Südtirol alle über 2.000 Höhenmeter gelegenen Flächen (insgesamt 1.800 km2) erfasst und 1.778 individuelle Blockströme GIS-technisch kartiert. Davon waren 13 % aktiv, 3 % wurden als inaktiv und 71 % als fossil klassifiziert (13 % konnten nicht eingeordnet werden). Ausgehend von dieser aktuellen wie zuverlässigen Datenbasis können künftige Entwicklungen in der Verbreitung von Permafrost vergleichend gegenübergestellt und beurteilt werden.
Ein anderer spannender Beitrag des Opus aus dem Bereich der Anthropogeographie stammt aus der Feder von Lars Keller und dreht sich um die Frage der Lebensqualität im Alpenraum sowie deren Regionalisierung. Hierzu wird eine vergleichende Gegenüberstellung auf der NUTS-3 Maßstabsebene und in den Grenzen der Alpenkonvention mittels Choroplethenkarten angestellt.
Die methodische Konzeption Kellers ist von penibler Exaktheit beim Modellaufbau. Dieser besteht darin, 50 Indikatoren zu 12 Indikatorensets und diese wiederum den Dimensionen Ökonomie, Soziokultur und Naturraum hierarchisch zuzuordnen. Dabei wird den drei Säulen des „Sustainability“-Paradigmas als quasi metatheoretischer Basis gefolgt. Freilich lässt sich zum einen die Konfiguration der Sets, zum anderen über den Nutzen bestimmter Indikatoren trefflich und kontrovers debattieren. Das haben die vom Verfasser interviewten Experten auch getan und deshalb ist das geschickt aufgebaute Untersuchungsdesign mittels einer Bewertung durch diese internationalen Fachleute ergänzt worden, womit die reinen Daten der Alpenstaaten-Sekundärstatistik entsprechend gewichtet werden.
Die Verteilung im Alpenraum wird anhand ausgewählter thematischer Karten (z. B. betreffend die Erreichbarkeit per Straßen) bestens reflektiert und die inhaltlichen Argumentationsstränge zur Erklärung der entsprechenden Figuren erscheinen plausibel. Das Fazit des Autors bezieht sich besonders auf die Frage des Nutzens der angewandten Methode zur Gewichtung der Modellvariablen per Expertenmeinung. Letztgenanntes versucht den Bedarf des aufmerksamen Lesers an allfälligen Verbesserungsvorschlägen gekonnt dadurch zu stillen, dass einige gute Ideen in Sachen Desiderata besonders im Umweltbereich aufgeworfen werden.
Eine Besonderheit stellen die beiden Abschn. 1 und 6 des Sammelbandes dar, die mit „Mountain Research in Austria“ und „Products“ betitelt sind. Zum ersten Punkt: Drei institutionelle Manifestierungen, die in Innsbruck, der Landeshauptstadt Tirols, beheimatet sind, verkörpern mit ihren Arbeiten die Grenzen Österreichs und der Alpen überschreitende akademische Zentren und verstehen sich als die wissenschaftliche Substanz eines neuen „think tanks“ in der Hochgebirgsforschung. Dazu zählen:
Die im Jahr 2006 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gegründete Abteilung und 2009 zum „Institut für Gebirgsforschung: Mensch und Umwelt“ erhobene inter- und transdisziplinäre Einrichtung.
Der 2010 an der Universität Innsbruck errichtete Forschungsschwerpunkt „Alpine Space: Man and Environment“.
Das ebenfalls im Jahr 2010 eröffnete „alpS – Centre for Climate Change Adaption Technologies“, das seinen räumlichen Fokus gleichermaßen auf die Alpen und andere (Hoch-)Gebirgsräume richtet.
Vertreter dieser drei Institutionen sind es, die in dem bestens aufgemachten, reich illustrierten Werk ihre vielfältigen Forschungsfelder dargelegt haben. Die zuvor erwähnten Produkte betreffend ist abschließend darauf zu verweisen, dass im Rahmen der jungen Forschungsagenda kürzlich ein neues Wissenschaftsmagazin mit einer zugegebenermaßen thematisch recht spezialisierten Ausrichtung, das „Journal on Protected Mountain Areas Research and Management“ (eco.mont) entstanden ist. Zudem ist diesbezüglich „GLORIA“ herauszustellen, ein gerade etabliertes Forschungsnetzwerk zum Thema Global Change und dessen Langzeitmonitoring.
Für Hochgebirgsforscher im Allgemeinen und das an den Alpen interessierte Fachpublikum ist das Buch ein Muss. Und für die Sache kann gelten: „Immer weiter so, werte Kollegen aus Österreich, denn über Hochgebirge und darunter unsere heimischen Alpen kann nicht genug substanziell geforscht werden!“