
In den späten 2000er-Jahren waren die Verhandlungen für das Kyoto-Nachfolgeabkommen ins Stocken geraten und kaum absehbar, dass weitere gemeinsame Anstrengungen zu Erfolgen im globalen Klimaschutz führen würden. Zugleich wurde der Ruf nach lokaler Anpassung an sichtbare oder absehbare Klimaveränderungen immer lauter und konkretisierte sich in neuen Bemühungen um Anpassungsprojekte weltweit. Damals waren es Autoren wie Claus Leggewie oder Harald Welzer, die darauf verwiesen, dass Klimaprojekte regelmäßig nicht an fehlender natur- oder ingenieurswissenschaftlicher Expertise, sondern an sozialen und kulturellen Friktionen scheitern (vgl. Leggewie/Welzer 2009; Goethe-Institut 2009). Daraus ließ sich ableiten, dass – global wie lokal – die unterschiedlichen Wissensbestände, Problemwahrnehmungen, Präferenzen oder Interessen, also „zones of cultural friction“ (Crate 2011, S. 188) zwischen Akteuren, näher betrachtet werden sollten, um zu verstehen, woran klimabezogene kollektive Regelungsversuche regelmäßig scheitern oder genesen (vgl. auch Heimann 2013, S. 16; Christmann/Heimann/Mahlkow et al. 2012, S. 23). Im Rahmen des Projektes „Klimawelten“ zog so ab 2009 auch eine Gruppe von Doktorandinnen unter der Leitung von Leggewie und Jörg Bergmann aus, um ethnografisch zu untersuchen, wie Klimawandel weltweit erfahren und verarbeitet wird, darunter die Kulturwissenschaftlerin Lea Schmitt. Nun liegt ihre Dissertation vor.
Schmitt wählte die Westfriesische Insel Ameland in den Niederlanden als Untersuchungsort für ihre Studie, die sie auch als „lokale Langzeit-Ethnographie“ (S. 22) bezeichnet. In den Jahren 2010 bis 2012 erforschte sie dort konsequent soziale Folgen eines Paradigmenwechsels der niederländischen Planungsbehörden. Unter Programmtiteln wie „Maak ruimte voor klimaat!“ („Raum schaffen für das Klima!“, VROM/V&W/LNV et al. 2007), „Building with Nature“ (de Vriend/van Koningsveld 2012) oder „Samen werken met water“ („Zusammenarbeiten mit dem Wasser“, Deltacommissie 2008) sollte die jahrhundertealte Tradition des „managing water by keeping it out“ (Wilson/Piper 2010, S. 87) an vielen Orten aufgegeben werden. Die Experten strebten nun dynamische Umgangsweisen mit vermeintlich ,natürlichen' Bewegungen von Sand- und Wassermassen an, um den Veränderungen wie auch dem Klimawandel besser begegnen zu können. Klimawandel impliziert damit Raumwandel, der allerdings auf Widerstände bei vielen Akteuren stößt.
Die Autorin stellt daher die Kernfrage, wie Planungs- und Umsetzungsprozesse raumbezogener Anpassungsstrategien im lokalen Umfeld gesellschaftlich verarbeitet werden (S. 7). Dabei möchte sie drei Aspekten nachgehen: Erstens soll untersucht werden, wie beteiligte Akteure raumbezogene Veränderungen wahrnehmen, welche Ängste, Widerstände und Konflikte zu beobachten sind. Zweitens möchte sie erarbeiten, welche Akteurskonstellationen, Netzwerke und Machtstrukturen sich ausfindig machen lassen. Drittens soll das Verhältnis von global zu lokal näher beleuchtet werden, indem sie fragt, welche Resonanzen global diskutierter Klimawandel auf lokaler und alltäglicher Ebene erfährt.
Konsequenterweise verortet sich Schmitt (S. 17) sozial- und erkenntnistheoretisch im Sozialkonstruktivismus von Peter L. Berger und Thomas Luckmann (2013 [1966/69]), deren Positionen sie um jüngere raum- und wissenssoziologische Ansätze Gabriela Christmanns mit gelegentlichen Verweisen auf die Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour ergänzt. Die Autorin nähert sich damit den Konfliktlinien raumbezogener Klimaanpassung, ohne Klimawandel als
Als ethnographische Methode wählt Schmitt einen Ansatz, den Marcus (1995, S. 110) als „strategically situated (single-site) ethnography“ bezeichnet (S. 50). Sie knüpft dabei mit Verweisen auf Appadurai (1998) oder Wimmer/Glick-Schiller (2002) auch an Globalisierungsdiskurse der letzten Jahrzehnte an, in denen historisch gewachsene Kongruenzen zwischen Gesellschaft und Territorium zunehmend in Frage gestellt werden. Demnach könnten auch vom Untersuchungsort weit entfernt situierte Akteure von hoher Relevanz für die Ereignisse vor Ort sein. Mit Verweis auf Marcus entscheidet die Autorin jedoch, dass Ameland der Feldforschung dienen soll, andere räumliche Maßstäbe hingegen nur „konzeptuell“ (S. 50) berücksichtigt werden. Vor Ort wendet Schmitt schließlich ein breites Methodenspektrum von qualitativen Interviews über teilnehmende Beobachtungen bis hin zu Dokumentenanalysen an.
Im Verlaufe der Arbeit liefert die Autorin dichte Beschreibungen zweier konfliktbehafteter Projekte zur räumlichen Anpassung, und zwar zum sogenannten „Sandhaken“ am Ballumer Strand (Kap. 3) und zum „Kerben-Projekt“ (Kap. 5). An der Küste des Dorfes Ballum bewegt sich seit Langem eine Sandbank, die langsam in Form eines Hakens anlandet. Die Wasserbehörde Rijkswaterstaat greift aufgrund des dynamischen Küstenschutzparadigmas nicht mehr ein, sondern wartet ab. Dies führt zu Verärgerungen in der Bevölkerung, da weite Teile des touristisch genutzten Badestrandes langsam unbenutzbar werden. Beim „Kerben-Projekt“ soll ein Deichdurchbruch realisiert werden und eine alte Verbindung zwischen Nordsee und Wattenmeer rekonstruiert werden, um den Wassermassen besser gerecht werden zu können. Das Vorhaben wurde durch eine lokale Nichtregierungsorganisation initiiert, stößt allerdings auf massiven Widerstand einer jahrhundertealten bäuerlichen Anteilseignerschaft.
Unter dem Titel „Opportunisten des Klimawandels“ (Kap. 4) soll dann auch den Wirklichkeitsbezügen von Akteuren eines weit über die lokale Ebene hinaus gespannten Akteursnetzwerkes aus Wissenschaftlern und Naturschützern nachgespürt werden. Schmitt beschreibt, dass vor Ort tätige Akteursgruppen auf eine Jahrzehntelange institutionalisierte Zusammenarbeit zurückblicken “ können (S. 191) und dabei ähnliche Interessen verfolgen. Dies konkretisiere sich beispielsweise darin, dass sowohl Biologen als auch Naturschützer vor Ort auf die Bewahrung und Wiederherstellung natürlicher Dynamiken hinarbeiten.
Schmitts mehrere Jahreszeiten überdauernde Feldforschung ermöglichte es ihr, auch lokalspezifische Wahrnehmungen konkreter Naturereignisse auf Ameland einzubeziehen, etwa wenn im Winter große Stürme auf der Insel toben (Kap. 6). Im zweiten Jahr ihrer Präsenz gelingt es ihr, Zugang zum lokalen Mittwinterfest zu finden, was einer Integration in die Gemeinschaft der Amelander gleichkommt. Auf diese Weise kann die Autorin einige Aspekte der für die Klimaanpassungskonflikte hochbedeutsamen kollektiven Konstruktionen lokaler Identität aufdecken, denn „Mittwinterfest und Sturmereignisse stellen auf Ameland zwei wichtige Institutionen dar (...). Sie fungieren als Medien, die (...) Wissen distribuieren, auf dessen Basis sich die Amelander als homogene Gemeinschaft und autarke Insulaner inszenieren und erfahren können“ (S. 300).
Ein wichtiges Resultat ihrer Studie stellt so auch erneut die Erkenntnis dar, dass lokale Widerstände gegenüber Anpassungsmaßnahmen im Untersuchungsraum kaum auf Sicherheitsbedenken beruhen (S. 301; vgl. auch Christmann/Heimann/Mahlkow et al. 2012). Die Konflikte entfalten sich demnach selten direkt am Paradigmenwechsel eines veränderten Umgangs mit Wasser, oftmals hingegen an wahrgenommenen Machtverschiebungen zwischen identitär divergierenden Akteursgruppen. So sieht Schmitt beispielsweise beim „Kerben-Projekt“ weniger die geplanten Veränderungen von Landschaft als Kernproblem seiner Kritiker als vielmehr das drohende „Vergessenwerden“ (ebd.) der historisch gewachsenen, aber heute funktional hinfälligen bäuerlichen Anteilseignerschaft. Im Konflikt um den „Sandhaken“ deckt die Autorin konfligierende „Zeitlogiken“ (S. 292) zwischen Rijkswaterstaat und lokalen Bürgern auf. Der neue, nun auf Jahrzehnte hin rhythmisierte Küstenschutz steht dem für das lokale Überleben wichtigen, saisonal ausgerichteten Tourismus kontrastierend gegenüber.
In ihren dichten Beschreibungen gelingt es Schmitt hervorragend, die verschiedenen Wahrnehmungen, Ängste und Konflikte der zentralen Akteure auf Ameland nachzuzeichnen. Die Arbeit ist zudem in einem angenehm narrativen Stil gehalten, ohne zu sehr in den bei ethnographischen Arbeiten oftmals auch gewollten Essayismus abzugleiten. Der Leser wird auf diese Weise an vielen Stellen in das Werk gleichsam wie in einen Roman hineingezogen. Schmitt wird so auch dem sozialphänomenologischen Anspruch der Rekonstruktion subjektiver Sinnwelten in der Tradition eines Alfred Schütz als „konstruktivistische Urenkelin“ voll und ganz gerecht. Leider kommt der gewählte „single site“-Ansatz an seine methodischen Grenzen, wenn es an das Aufdecken lokal relevanter Akteurskonstellationen oder um Spannungsverhältnisse zwischen Globalität und Lokalität geht. Die für die neuen Strategien relevanten und von der lokalen Bevölkerung teilweise angefeindeten Festland-Akteure (S. 108) wie die Deltakommission oder nationale Entscheidungsträger kommen so leider kaum zu Wort.
Mit der Arbeit von Lea Schmitt liegt ein Werk vor, das nicht nur für die klimabezogene sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung von hoher Relevanz ist, sondern auch von Praktikern gelesen werden sollte, da es grundlegende Konfliktlinien lokaler Klimaanpassung aufzeigt, die nicht nur in den Niederlanden beobachtbar sein dürften. Auch aus diesen Gründen können wir auf die anderen Publikationen des „Klimawelten“-Projektes Siehe