Der Ruf nach einer aktiveren Wohnungspolitik ist in vielen Städten wieder lauter geworden. Dabei geht es darum, insbesondere die Bedürfnisse einkommensschwächerer Haushalte stärker zu berücksichtigen und den sozialen Wohnungsbau und mehr bezahlbaren Wohnraum in der Stadt zu thematisieren, anstatt vor allem auf hochwertigen Wohnungsbau für Besserverdienende in der Innenstadt zu setzen. Dabei werden unter anderem wohnungspolitische Strategien diskutiert, welche die Möglichkeiten der Mietpreisbindung wieder konsequenter nutzen und eine veränderte Vergabepraxis beim Verkauf städtischer Flächen umsetzen, um Verdrängungstendenzen entgegenzuwirken und sozial durchmischte Quartiere zu erhalten. Diese Ausgangssituation wird einleitend näher beschrieben. Anschließend wird die Fragestellung des Beitrags erläutert.
Den steigenden Bedarf nach bezahlbarem Es existiert in Deutschland keine einheitliche Definition dazu. Bezahlbar meint im Kontext des vorliegenden Beitrags, dass Haushalte nicht mehr als 30% ihres Bruttoeinkommens für Wohnen im engeren Sinne aufwenden. „Das Konzept der Stadtrendite nimmt über die finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus auch den sozialen, technologischen und ökologischen Beitrag für die Stadt in den Blick, den die Wohnungsgesellschaften leisten“ (Hunger 2011: 56). Mit Mischungsideal ist vor allem die soziale und ethnische Bevölkerungsmischung als Sinnbild der urbanen, europäischen Stadt gemeint (vgl. Harlander/Kuhn 2012: 422 ff).
Spricht man von Armut, ist dies stets vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sich der Lebensstandard der Bevölkerung in Deutschland im globalen Vergleich zweifellos auf einem hohen Niveau befindet. „Absolute Armut“, das heißt die unmittelbare Gefährdung der physischen Existenz von Menschen durch mangelnde Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung (vgl. BMAS 2008: 21), ist in Deutschland aufgrund des weitreichenden sozialen Sicherungssystems kaum anzutreffen. Sie beschränkt sich auf Personen, die in bestimmten Lebenslagen aus dem Netz der sozialen Sicherung fallen, wie zum Beispiel Wohnungslose (vgl. BMAS 2008: 21). In deutlich größerem Ausmaß festzustellen ist dagegen eine ,relative Armut‘. Sie besteht, „wenn das Einkommen nicht ausreicht, um einen in der Gesellschaft als annehmbar geltenden Lebensstandard zu erreichen“ (Berthold/Zenzen 2010: 48).
Im Sinne der Daseinsvorsorge ist ,Wohnen‘ ein zentrales Grundbedürfnis, insbesondere auch für Haushalte mit sehr niedrigem Einkommen. Was eine angemessene Form des Wohnens ist, was Wohnqualität bedeutet und welche Wohnungen, in welcher Lage, in welcher Größe, mit welcher Ausstattung der Sozialstaat finanzieren kann und will, liegt letztendlich im Ermessen der Politik (vgl. Heising/Baba 2011). Antworten auf diese Fragen sind stadtentwicklungspolitisch von hoher Bedeutung. Ebenso bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, wie die Qualität des Wohnens in einem umfassenden Sinne Berücksichtigung findet. Wohnqualität umfasst in diesem Verständnis neben der Wohnung auch das Gebäude, das Wohnumfeld, wohnungsnahe Infrastruktur und Dienstleistungen, soziale Netze und Nachbarschaften.
Ziel des Beitrags ist es, Herausforderungen der Wohnraumversorgung einkommensschwacher Haushalte vor dem Hintergrund der aktuellen Rahmenbedingungen zu reflektieren und Handlungsmöglichkeiten sowie Grenzen für Stadtentwicklung und Wohnungspolitik – am Beispiel des Plattenbau-Wohngebietes „Südlicher Sonnenberg“ in Chemnitz – aufzuzeigen. Dabei stehen vor allem kommunale Wohnungsunternehmen, aber auch Kommunen als wesentliche Akteure im Mittelpunkt der Betrachtung. Folgenden Fragen geht der Beitrag nach:
Welche Entwicklungen sind in Bezug auf einkommensschwache Haushalte und ihre Versorgung mit Wohnraum in Deutschland zu verzeichnen? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für kommunale Wohnungsunternehmen und Städte?
In welchen Bereichen der Wohnungspolitik besteht vorrangiger Handlungsbedarf und -Spielraum? Welche Ansätze –jenseits der Fördermittelkulisse – ermöglichen es Kommunen und kommunalen Wohnungsunternehmen, die Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte und eine bedarfsorientierte Wohnqualität auch zukünftig sicherzustellen?
Der Beitrag beruht auf empirischen Erkenntnissen, die im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts „Wohnen in Plattenbausiedlungen. Wohnqualität bei niedrigen Kosten – Konzepte, Strategien und Handlungsansätze auf dem Prüfstand (WiP)“ am Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation (ISP) der Fachhochschule Erfurt gewonnen wurden.
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie Einkommensarmut bemessen wird, welchen Anteil einkommensschwache Haushalte an der Bevölkerung in Deutschland haben und welche Entwicklungen aktuell zu verzeichnen sind.
Mit dem Ausbau des Sozialsystems in den 1950erund 1960er Jahren in Westdeutschland konnte die bestehende Armut im Nachkriegsdeutschland zunächst abgebaut werden. Mitte der 1970er Jahre zeichneten sich in den urbanen Gebieten erstmals Entmischungstendenzen in arme und wohlhabendere Stadtteile ab. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit in den 1980er und 1990er Jahren und mit wachsender Heterogenität der Stadtbewohnerschaft (Einkommensungleichheit durch Arbeitsplatzverluste, höherer Anteil an Geringverdienern mit Migrationshintergrund) stiegen Armut wie auch ihre Konzentration in einzelnen Quartieren (vgl. Häußermann 2010:24 ff.).
In Ostdeutschland wurde Armut zu DDR-Zeiten nicht offen thematisiert, sie galt seit Ende der 1950er Jahre offiziell als beseitigt. Aufgrund einer auf Gleichheit ausgerichteten Sozialpolitik waren die Einkommensunterschiede in der Bevölkerung weit weniger ausgeprägt als in der alten Bundesrepublik. Gleichwohl existierte in der DDR eine dauerhafte kollektive Armut, bedingt durch ein unterdurchschnittliches Versorgungsniveau etwa bei Konsumgütern und Wohnraum. Zudem waren bestimmte Bevölkerungsgruppen zusätzlich unterversorgt (z. B. Altersarmut durch geringe Renten). Nach 1990 glichen sich die Einkommensunterschiede und in Teilen auch deren räumliche Ausprägungen denen der alten Bundesländer an (vgl. Lutz 1995: 346 ff.).
Zu Beginn dieses Jahrzehnts ist nun erneut eine Tendenz der Zunahme des Anteils einkommensschwacher Haushalte zu verzeichnen, wobei es unterschiedliche Bewertungen dazu gibt, wie diese Armut zu bestimmen ist und wie sie sich entwickeln wird.
Um die relative Armut beziffern zu können, wird in der EU die „Armutsgefährdungsgrenze“ herangezogen. Demnach wird als armutsgefährdet eingestuft, wer weniger als 60 % des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 9). Die Armutsgefährdungsschwelle lag 2011 bei einem Jahreseinkommen von 11.426 € für eine alleinlebende Person und bei 23.994 € für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren. Im selben Jahr verfügte jeder sechste Deutsche nur über ein Einkommen unterhalb dieser Armutsgefährdungsquote (vgl. Statistisches Bundesamt 2012a).
Neben der Armutsmessung anhand von Einkommensvergleichen kann Armut über die „Sozialhilfeschwelle“ (auch Grundsicherungsschwelle) abgegrenzt werden (Alisch/Dangschat 1998: 23): Arm ist demnach, wer berechtigt ist, staatliche Leistungen zur Mindestsicherung des grundlegenden Lebensunterhalts Die Mindestsicherungsleistungen umfassen in Deutschland heute das Arbeitslosengeld II, das Sozialgeld und die Sozialhilfe, ferner auch Asylbewerberleistungen und Kriegsopferfürsorge.
Unabhängig davon, nach welcher Methode Armut definiert wird, ist zur Abschätzung des finanziellen Handlungsspielraums eines Haushalts zum einen das Einkommen in Relation zu den Lebenshaltungskosten zu sehen. Zum anderen wird erst unter Einbezug der Lebenssituation einer Person verständlich, in welchem Wirkungszusammenhang ein niedriges Einkommen steht. Ein Studierender, der während der Hochschulausbildung den BAföG-Höchstsatz von derzeit 670 € erhält, lebt zwar in temporärer Armut, gleichwohl ist die prekäre Lebenssituation gesellschaftlich akzeptiert und in den meisten Fällen steht nach dem Studium der Weg in ein anderes Einkommensniveau offen. Ein Langzeitarbeitsloser, der ausschließlich vom Arbeitslosengeld (ALG) II lebt (monatlich 382 € und Übernahme von Miet- und Heizkosten innerhalb kommunal festgelegter Grenzen), sieht sich dagegen dauerhafter Armut ausgesetzt, der kaum zu entkommen ist: Der berufliche Wiedereinstieg ist aufgrund fehlender Berufspraxis am einfachsten allenfalls über unqualifizierte und damit gering bezahlte Tätigkeiten möglich. Der Übergang in die Rente garantiert somit kein Einkommen über dem Mindestsicherungsniveau. Die Chancen, als Langzeitarbeitsloser aus der Armut heraustreten zu können, sind folglich wesentlich geringer als etwa bei Studierenden.
Der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung verweist auf die Chancen, welche „flexible Beschäftigungsformen“ zum „Einstieg in den Arbeitsmarkt“ bieten: „Durch selbständige Tätigkeiten und flexible Beschäftigungsformen, wie beispielsweise geringfügige Beschäftigung und Leiharbeit, sind mehr Menschen erwerbstätig, die zuvor ausgegrenzt waren. Flexible Beschäftigungsformen dienen dem Wiedereinstieg und können auch eine Brücke in vollzeitnahe Beschäftigung sein.“ Voraussetzung hierfür seien „faire Arbeitsbedingungen und angemessene Erwerbseinkommen“ (BMAS 2008: IV). Die „flexiblen Beschäftigungsformen“, wie sie der Bericht beschreibt, meinen Arbeitstätigkeiten außerhalb von Normalarbeitsverhältnissen. Unter diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse fallen Teilzeitbeschäftigte mit einer 50 %-Stelle oder weniger, Mini-Jobber, die monatlich maximal 400 € verdienen, und Personen, die über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt sind. Der Großteil der atypisch Beschäftigten lässt sich unter dem Begriff der „Working Poor“ zusammenfassen: erwerbstätig und trotzdem einkommensschwach – unter Umständen mit so geringem Verdienst, dass Anspruch auf staatliche Transferleistungen wie Wohngeld besteht. Von 2001 bis 2011 ist der Anteil der Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen in Deutschland zurückgegangen, während atypische Beschäftigungsformen zugenommen haben: Mehr als jeder fünfte Arbeitnehmer ist atypisch beschäftigt (vgl. Statistisches Bundesamt 2012b; Luken 2012).
Die Armutsgefährdungsquote in Deutschland bewegte sich von 2005 bis 2011 zwischen 14,0% und 15,1% (vgl. Statistisches Bundesamt 2013), ohne dass ein signifikanter Anstieg ablesbar war. Dennoch gibt es – neben dem wachsenden Anteil atypischer Beschäftigungsverhältnisse und damit auch der „Working Poor“ – weitere Hinweise darauf, dass die Einkommensarmut zukünftig zunehmen wird. Die Armutsrisikoquote der Unter-18-Jährigen liegt gegenwärtig bei 19,4%, dies betrifft etwa 2,5 Mio. Kinder und Jugendliche in Deutschland (BMFSFJ 2012: 98). Da die Lebenslage von Kindern untrennbar mit der Einkommenssituation der Eltern verbunden ist (vgl. BMFSFJ 2012: 98) und die Entwicklungschancen von Kindern, die in einkommensarmen Haushalten aufwachsen, in Bezug auf Bildung und berufliche Qualifizierung beeinträchtigt sind (vgl. Hauser 2008: 428), besteht die Gefahr, dass Armutsrisiken von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Zeitlich näher gelegen ist die zu erwartende Zunahme von Altersarmut. In der aktuellen Diskussion wird die Altersarmut als ein Phänomen betrachtet, das derzeit in einem vergleichsweise geringen und damit unkritischen Ausmaß vorkommt, wenngleich die Einkommenssituation der Älteren nach Bildungshintergrund, Geschlecht sowie zwischen Ost- und Westdeutschland teilweise deutlich variiert. Zukünftig wird Altersarmut jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit anwachsen und sich damit zu einer gesellschaftlichen Herausforderung entwickeln (vgl. BMAS 2008: V; Statistisches Bundesamt 2011a: 63; Gädker/Sinning/Thalheim 2012: 19 ff.). Insbesondere Beschäftigte in nicht versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und im Niedriglohnsektor, Langzeitarbeitslose und Personen mit kurzen bzw. unterbrochenen Versicherungszeiträumen tragen ein höheres Risiko, im Alter einkommensarm zu sein (vgl. Bäcker 2008: 357 ff.), wozu auch die zunehmende Verlagerung von der gesetzlichen hin zur privaten und betrieblichen Altersvorsorge beiträgt.
Nach heutigen Erkenntnissen sind folglich die Gruppen der „Working Poor“, Kinderarmut und Altersarmut im Wachsen begriffen. Nimmt ihr Anteil an der Gesamtgesellschaft zu, steigt gleichzeitig auch der Anteil von Menschen, deren Chancen auf einen Ausstieg aus der Armut lebenslang massiv eingeschränkt sind (vgl. Kap. 2.2). Der Armutsentwicklung kann aber entgegengewirkt werden, wenn es gelingt, Formen der sozialen Absicherung zu entwickeln, die für Arbeitnehmer mit langjähriger Berufstätigkeit im Niedriglohnsektor Wirkung zeigen, gute Bildungs- und Qualifizierungsangebote bereitzustellen und insbesondere Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten zu fördern und im System der Altersvorsorge auch für diejenigen, die nur phasenweise oder gar nicht privat Vorsorgen können, Lösungen jenseits der Altersarmut zu entwickeln.
Dennoch gibt es Faktoren der Armutsentwicklung, die sich dem staatlichen Einfluss weitgehend entziehen und damit für entsprechende Interventionen Grenzen setzen – allem voran die globale wirtschaftliche Entwicklung. Diese kann sich in Krisenzeiten negativ auf die Konjunktur und damit die Beschäftigungszahlen einzelner Staaten auswirken, was Armut befördern und gleichzeitig den finanziellen Handlungsrahmen für ihre Bekämpfung einschränken kann.
Jenseits der komplexen gesamtgesellschaftlichen Perspektive auf das Armutsthema stellen sich für das Handlungsfeld Wohnen, vor allem wenn der Anteil einkommensschwacher Haushalte in Deutschland zukünftig weiter anwächst, sehr konkrete Herausforderungen und Fragen: Wie sieht vor diesem Hintergrund die Situation der Wohnraumversorgung gegenwärtig aus? Welche Herausforderungen stellen sich zukünftig für den Mietwohnungsmarkt? Welchen spezifischen Wohnbedarfen ist nachzukommen?
Relativ gesehen liegt der
Abb. 1
Entwicklung der Wohnflächennachfrage. (Quelle: BBSR (2010: 6))

Insbesondere in Großstädten sind bereits heute deutliche Mietpreissteigerungen zu verzeichnen (BMVBS 2012: 31 ff.), in deren Folge weitreichendere Segregationsprozesse befürchtet werden. Da der Mietwohnungsbestand eine „wichtige Versorgungsfunktion für einkommensschwache Haushalte und Problemgruppen“ übernimmt (BBSR 2011: 12), mehren sich Forderungen unter anderem nach umfangreichem sozialem Wohnungsbau und der Stärkung des Genossenschaftsgedankens in der Wohnungspolitik.
Betrachtet man Wohnbedürfnisse unterschiedlicher Haushaltsformen, so bestehen Wohnbedürfnisse sind Bedürfnisse, die im Zusammenhang mit dem Wohnen und all seinen Facetten (Wohnung, Gebäude, Umfeld, sozialer Interaktionsraum, Infrastruktur) stehen. Mit einem Bedürfnis wird dem Ausdruck verliehen, was eine Person zu ihrem Lebenserhalt und für ihre persönliche Entfaltung benötigt (Häcker/Stapf 1998: 103). Es wird unterschieden zwischen primären, physiologisch notwendigen Bedürfnissen, z. B. Schutz vor Witterung oder Ruhe zum Schlafen, und sekundären, das heißt erlernten und sozial vermittelten Bedürfnissen, etwa über einen Rückzugsort oder eine repräsentative Wohnung zu verfügen (Pilloud 2004: 15). Sekundäre Wohnbedürfnisse können je nach Lebensphase, sozialer Lage und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stärker oder schwächer ausgeprägt sein (Pilloud 2004: 15). Angelehnt an die Bedürfnishierarchien nach Maslow (1943) und Flade (1987: 52 ff.) umfassen sekundäre Wohnbedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse (Beständigkeit, Vertrautheit, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des persönlichen Eigentums), soziale Bedürfnisse (Alleinsein und Privatheit, Kommunikation und Zugehörigkeit) sowie Bedürfnisse der Anerkennung und der Selbstverwirklichung (Wertschätzung, Respekt, Selbstbestimmung, Möglichkeit der persönlichen Entwicklung). Ein Bedarf ist im Gegensatz zu einem Bedürfnis konkret und quantifizierbar und äußert sich in einer entsprechenden Nachfrage, das heißt, der Entscheidung und dem Streben, Güter zu erwerben (o. V. 1992: 2344). Lassen Angebot, Marktpreis und individuelle Kaufkraft es zu, kann ein Mieterhaushalt seinen Wohnbedarf decken.
An diesem Punkt besteht ein elementarer Unterschied zwischen einkommensschwachen und finanziell besser gestellten Haushalten als Akteure auf dem Wohnungsmarkt: Mit einem niedrigen Einkommen ist der Handlungsspielraum, einen Bedarf zu decken, in der Regel deutlich eingeschränkt.
Parallel hierzu müssen zwei weitere Faktoren benannt werden, welche die Wahlmöglichkeiten für Haushalte mit geringem Einkommen auf dem Wohnungsmarkt einschränken können. Zum einen werden einkommensschwache Haushalte bei der Wohnungssuche aufgrund ihres Einkommens benachteiligt. Ebenso wie Personen mit nichtdeutscher Herkunft, Alleinerziehende, Familien mit Kindern und insbesondere große Familien sowie Arbeitslose ohne Aussicht auf eine reguläre Beschäftigung bei der Wohnungsvergabe häufig benachteiligt werden, ist auch ein geringes Einkommen ein Haushaltsmerkmal, dem Vermieter ablehnend gegenüberstehen (vgl. Wfa 2009: 6). Zum anderen bestehen deutliche Angebotslücken für Haushalte mit niedrigem Einkommen, wenn sie Wohnungstypen nachfragen, deren Angebot auf regionalen Teilmärkten tendenziell eher gering ist und die somit auch bereits für Besserverdiener nicht immer verfügbar sind, etwa barrierearme Wohnungen oder Wohnungen für große Familien mit fünf oder mehr Personen.
Einkommensschwache Haushalte stehen auf dem Mietwohnungsmarkt vor einer doppelten Herausforderung: Sowohl ihr eigener Handlungsspielraum als auch das ihnen zur Verfügung stehende Angebot an Wohnraum ist jeweils stark eingeschränkt. Mit welchen Ansätzen–jenseits der Fördermittelkulisse – können Städte und Wohnungsunternehmen die Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte und eine bedarfsorientierte Wohnqualität sicherstellen? In welchen Bereichen besteht Handlungsspielraum?
Da Wohnraum als ein Existenzgut gilt, setzt bei haushaltsimmanenten Zugangsschwierigkeiten wie auch bei marktbedingten Versorgungsengpässen die staatliche Daseinsvorsorge ein (vgl. Heitel/Lohse/Zahn et al. 2011: 4). Die soziale Sicherung des Wohnens, die eine Gewährleistung übernimmt für „die Wohnraumversorgung für Haushalte, die sich aus eigener Kraft nicht mit ausreichendem Wohnraum versorgen können“ (Deutscher Bundestag 2011 : 13), setzt sich aus der Objektförderung (soziale Wohnraumversorgung durch die Länder) und der Subjektförderung (Wohngeld, Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung) zusammen.
Der Soziale Wohnungsbau im Rahmen des Wohnraumförderungsgesetzes stellt eine kostengünstige Alternative zu Wohnungseigentum und frei finanzierten Wohnungen dar. Zielgruppe sind Haushalte, „die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind“ (BBSR 2011: 4), neben Familien mit Kindern, Alleinerziehenden, älteren und behinderten Menschen sind dies insbesondere auch Haushalte mit geringem Einkommen. Der Soziale Wohnungsbau wird bisher jedoch vorrangig in den alten Bundesländern und Berlin umgesetzt, in den neuen Bundesländern sind seit 1989 über diese Förderung kaum Wohnungen entstanden.
Da der Wohnungsmarkt Ende der 1990er Jahre als größtenteils ausgeglichen erachtet wurde (BBSR 2011: 4), wurden die Ziele der Objektförderung neu ausgerichtet: Statt auf die Unterbringung breiter Bevölkerungsschichten wird der Fokus heute auf benachteiligte Haushalte gelegt (Kirchner 2006: 34). In der Folge ist bis heute ein kontinuierlicher Rückgang der belegungsgebundenen Wohnungen zu verzeichnen. Der Anteil der Sozialwohnungen am gesamten Wohnungsbestand ist in den alten Bundesländern seit Ende der 1960er Jahre stark gesunken (Kirchner 2006: 1).
Im Gegenzug ist die Subjektförderung im Wachsen begriffen. „2009 entlastete die öffentliche Hand mit Wohngeld und KdU KdU = Kosten der Unterkunft und Heizung (Anmerkung der Autorinnen) Eine Bedarfsgemeinschaft besteht aus dem Antragsteller der Unterstützung und allen weiteren in seinem Haushalt lebenden erwachsenen und minderjährigen Personen, die überwiegend gemeinsam mit ihm leben und wirtschaften (z. B. Ehepaare und Eltern mit ihren ledigen Kindern bis 25 Jahre ohne eigenes Einkommen) (Anmerkung der Autorinnen).
Während das Wohngeld, welches im Sinne eines Mietkostenzuschusses gezahlt wird, den Leistungsempfängern bei der Wohnungswahl freie Hand lässt, sind Bedarfsgemeinschaften abhängig von einem Wohnungsmarktsegment, dessen Mietpreise die kommunale Höchstgrenze für die Kosten der Unterkunft nicht überschreiten. Dem Wohngeld wird zugeschrieben, „die Erhaltung und Schaffung stabiler Bewohnerstrukturen in den Wohnquartieren“ zu unterstützen und „wohnungspolitisch unerwünschte Spaltungen des Wohnungsmarktes“ zu vermeiden (BMVBS/BBSR 2009: 63). Dieser Annahme steht die Tatsache entgegen, dass auch Wohngeldempfänger einkommensschwach sind und dementsprechend auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, der nur in bestimmten Wohnlagen einer Stadt vorhanden ist. Wenn beispielsweise in einem innerstädtischen Altbauquartier die Mietpreise steigen, wird ab einer bestimmten Miethöhe auch das Wohngeld nicht verhindern, dass sich ein Haushalt eine günstigere Wohnung außerhalb der Innenstadt suchen muss. Demgegenüber werden durch die Regelung die Kosten für Unterkunft und Heizung betreffend auch von öffentlicher Seite „mittelfristig spürbare Auswirkungen auf die lokalen Wohnungsmärkte und die Stadtentwicklung“ als denkbar erachtet, da die mietpreislichen Festlegungen „erhebliche Rückwirkungen auf die Mietanpassungsspielräume und die Investitionstätigkeit der örtlichen Wohnungswirtschaft“ haben können (BMVBS/BBSR 2009: 67).
Etwa drei Millionen Haushalte mit niedrigem Arbeitseinkommen unterhalb der Armutsrisikogrenze müssen sich eigenständig am Wohnungsmarkt versorgen (Deutscher Bundestag 2011: 13). Wohngeldempfänger und einkommensschwache Haushalte, die keine Form der Subjektförderung in Anspruch nehmen können, stehen hierbei in direkter Konkurrenz zu den Bedarfsgemeinschaften. Letztere können für einen Vermieter mancherorts eine Sicherheit der Mieteinnahme bedeuten, da Kommunen die Mietkosten für Bedarfsgemeinschaften direkt an den Vermieter überweisen können (vgl. § 22 Abs. 7 S. 1–2 SGBII). Zum anderen legen Kommunen – gestaffelt nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder – Mietobergrenzen für angemessenen Wohnraum fest, welche den Bedarfsgemeinschaften maximal erstattet werden. Es ist zu vermuten, dass in bestimmten Teilmärkten Mietanpassungen für zuvor sehr günstige Wohnungen ,nach oben', das heißt der Mietobergrenze entgegen, stattfinden. Indem Vermieter die maximalen Obergrenzen ausreizen, schrumpft dadurch gleichzeitig der Bestand an günstigeren Wohnungen.
Der Wohnungsmarkt gilt heute nicht mehr als ausgeglichen. Dem demographischen Wandel und einer erwarteten Entspannung auf dem Mietwohnungsmarkt zum Trotz werden aktuell vielerorts deutliche Preissteigerungen verzeichnet, vorrangig in den Wachstumsregionen. „Nicht mehr nur die typischen Städte mit hohen Mieten, wie beispielsweise München oder Hamburg, sondern auch etwa Jena, Karlsruhe, Mannheim, Münster, Trier, Weimar und Wolfsburg verzeichneten in den letzten Jahren kontinuierliche Steigerungen. Die Zahl der Städte und Kreise mit hohen Mietensteigerungen nimmt zu“ (Deutscher Bundestag 2011: 10). Zudem gibt es lokale Angebotsengpässe, etwa bei preisgünstigen und kleineren Ein- und Zweiraumwohnungen (vgl. GdW 2010: 9 f.). Der zu erwartende Anstieg einkommensschwacher Haushalte und die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in wachsenden Regionen werden dazu führen, dass es zunehmend schwieriger werden wird, preisgünstigen Wohnraum zu finden.
Das Phänomen fehlender preisgünstiger Wohnungen wird in strukturschwachen Regionen in West- wie in Ostdeutschland weniger ausgeprägt sein, da hier Wohnungsleerstand vorzufinden ist, der weiterhin anwachsen wird (Deutscher Bundestag 2011: 10). Jedoch sind auch hier qualitative Anpassungsmaßnahmen und umfangreiche Investitionen in Wohnungsbestände erforderlich, um diese zukunftsfähig zu entwickeln (BBSR 2011: 12; Heitel/Lohse/Zahn et al. 2011: 1), etwa energetische Sanierungen (vgl. BMU 2011), Schaffung barrierearmer Wohnungen für die wachsende Zahl Älterer und Hochbetagter, Rückbau nicht zukunftsfähiger Wohnbestände und Verbesserung der Qualitäten im Wohnumfeld und in der Quartiersinfrastruktur.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen wäre für viele Wohnungsunternehmen ohne den Einsatz öffentlicher Mittel, wie der Städtebauförderung oder dem Förderprogramm „Altersgerecht Umbauen“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), nicht denkbar. Die bereitgestellten Fördermittel können einen Teil der erforderlichen Investitionen abdecken. Offen ist jedoch die Frage, wie Kommunen und Wohnungsunternehmen parallel zu den bereits genannten generellen Herausforderungen der wachsenden Armut auf der Seite der Nachfrager begegnen können. Einkommensschwachen Haushalten stehen wesentlich eingeschränktere Mittel zur Bedarfsbefriedigung zur Verfügung. Insbesondere von Altersarmut betroffene Haushalte sind finanziell weniger leistungsfähig, gleichzeitig steigt der Bedarf nach angepasstem Wohnraum (vgl. BBSR 2011: 12). Für einkommensschwache Haushalte ergeben sich in der Folge dieser Entwicklungen schlechtere Wohnbedingungen und ein Absinken der Wohnqualität.
Daraus leiten sich die verschiedenen wohnungs- und stadtentwicklungspolitischen Herausforderungen ab, die im Fazit dieses Beitrags in Bezug auf mögliche Handlungsansätze aufgegriffen werden:
mehr verfügbaren bezahlbaren Wohnraum schaffen,
Diskrepanz zwischen kostengünstigem, bezahlbarem Wohnraum und Erfordernissen der energetischen Sanierung lösen,
mehr kleine und barrierefreie Wohnungen, insbesondere auch für einkommensschwache Haushalte, schaffen,
gemischte Quartiere erhalten und entwickeln,
Kommunikation mit schwer erreichbaren Bewohnergruppen ermöglichen und
Finanzierung und Ausrichtung der Wohnraumförderung von Bund und Ländern intensiver an kommunale Bedarfe anpassen.
Insbesondere für kommunale Wohnungsunternehmen stellt sich angesichts ihres Versorgungsauftrages die Aufgabe, nicht nur Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sondern auch durch Sozialmanagement und die Beteiligung an der Quartiersentwicklung soziale Prävention zu betreiben. Zudem stellt sich die Frage, wie sie ihre Werterhaltungsstrategien weiter effektivieren können (u. a. durch Reduktion der Bewohnerfluktuation zur Kostensenkung, Verringerung der Betriebskosten, kostengünstige, aber qualitätsvolle Instandsetzung und Modernisierung von imageprägenden Bereichen wie Hauseingänge, Treppenhäuser und Fassaden).
Wie stellen sich die beschriebenen Problemlagen und Herausforderungen in der konkreten städtischen Realität dar? Im Folgenden wird ein Quartier in der sächsischen Stadt Chemnitz herangezogen, um die Ausgangslage zu erkunden, die Rolle von Stadt, Wohnungsunternehmen und Bevölkerung zu beschreiben sowie Handlungsmöglichkeiten und Lösungsstrategien der Wohnraumversorgung einkommensschwacher Haushalte zu diskutieren.
Das Wohnquartier „Südlicher Sonnenberg“ ist Bestandteil des innerstädtischen Stadtteils Sonnenberg mit rund 11.000 Einwohnern (Stadt Chemnitz 2010c: 12) und einem verhältnismäßig hohen Anteil an einkommensschwachen Haushalten gegenüber der Gesamtstadt (241.537 Einwohner; Stand: 30.04.2013). Die Fallstudie beruht auf empirischen Erhebungen in Form einer repräsentativen Befragung der Einwohner des Südlichen Sonnenberg sowie von Datenauswertungen, Bestandsanalysen vor Ort und Expertengesprächen mit Vertretern der Stadtverwaltung und der Grundstücks- und Gebäudewirtschafts-Gesellschaft mbH (GGG) als kommunalem Wohnungsunternehmen.
Der Stadtteil Sonnenberg gliedert sich bauhistorisch in zwei unterschiedliche Quartiere: Während die ursprüngliche gründerzeitliche Bausubstanz im nördlichen Teil weitgehend erhalten ist, wurde ein Großteil des Südlichen Sonnenberg ab 1985 flächenhaft saniert und durch Wohnungsneubau ersetzt (vgl. Stadt Chemnitz 2010a: 142), wobei die dichte Blockstruktur mit drei- bis fünfgeschossiger Bebauung und begrünten Innenhöfen als charakteristisches städtebauliches Merkmal beibehalten wurde. Während das nördliche Altbauquartier von einer Vielzahl an Einzeleigentümern geprägt ist, teilt sich der Wohnungsbestand des Südlichen Sonnenberg in einen geringeren Anteil an Altbaumietwohnungen und einen höheren Anteil an Mietwohnungen in Plattenbauweise (Stadt Chemnitz 2010b: 60). Der Mietwohnungsbestand befindet sich im Wesentlichen im Besitz zweier Wohnungsunternehmen, der kommunalen GGG und der Sächsischen Wohnungsgenossenschaft Chemnitz (SWG).
Sonnenberg grenzt östlich an das Chemnitzer Stadtzentrum an. Trotz der zentrumsnahen Lage und einer guten Verkehrsanbindung ist das Quartier in der stadträumlichen Wahrnehmung der Chemnitzer aufgrund einer Gleisanlage, die eine starke Barrierewirkung entfaltet, abseits gelegen. Es ist fußläufig aus dem Stadtzentrum nur über wenige direkte Verbindungen zu erreichen.
Der massive Wohnungsleerstand, der sich seit den 1990er Jahren in Chemnitz ergeben hat, führte 2008 zu 33.000 leer stehenden Wohnungen, was einem Anteil von 21% am gesamten Wohnungsbestand entsprach (Stadt Chemnitz 2010b: 21). In Sonnenberg ist dieser Anteil noch deutlich höher: 2008 stand ein Drittel der 12.300 Wohnungen im Stadtteil leer. Dieser Anteil hält sich bis heute konstant (Stadt Chemnitz 2009b: 41). Mündliche Auskunft des Quartiersmanagements Sonnenberg vom 20. Februar 2013.
Abb. 2
Einwohnerstruktur Sonnenbergs im Vergleich zur Gesamtstadt (Ende 2011). (Quelle: Eigene Darstellung nach Stadt Chemnitz (2012: 5 f.))

Einkommensschwache Haushalte, die Transferleistungen beziehen, verteilen sich im gesamten Stadtgebiet, in einfachen wie in den ,besseren‘ Quartieren sowie ausgewogen im Altbau und im Plattenbau. Schriftliche Auskunft der Abteilung Stadtentwicklungsplanung, Stadtplanungsamt der Stadt Chemnitz vom 3. Mai 2013.
In den frühen 1990er Jahren stand zunächst die Gründerzeitbebauung von Sonnenberg im Fokus der Stadtentwicklung: Mit Ausweisung eines Sanierungsgebietes wurden die privaten Einzeleigentümer darin unterstützt, den gefährdeten Altbaubestand zu erhalten. 2006 wurde der Stadtteil zum Stadtumbaugebiet und gleichzeitig zum Schwerpunktgebiet des Wohnungsrückbaus in Chemnitz. In Sonnenberg wurden bis 2007 rund 1.300 Wohneinheiten, etwa ein Zehntel des Wohnungsbestandes, abgerissen (Stadt Chemnitz 2009b: 39). Die Zielsetzung des Rückbaus, den hohen Leerstand zu reduzieren, wurde im Gegensatz zu anderen Chemnitzer Stadtteilen nicht erreicht (Stadt Chemnitz 2009b: 40). Immerhin stagniert die Leerstandsquote in Sonnenberg seit Ende 2009 bei etwa 34 % – nach wie vor eine der höchsten Quoten der Stadt (Chempirica 2010: 40). Mündliche Auskunft des Quartiersmanagements Sonnenberg vom 20. Februar 2013.
Derzeit werden die Bestände des industriellen Wohnungsbaus im Südlichen Sonnenberg saniert. Zur Werterhaltung ihrer Bestände führen GGG und SWG eine Kombination aus Teilrückbau und Modernisierung sowie ergänzende Wohnumfeldmaßnahmen durch. Sofern dies baulich möglich ist, werden alten- und behindertenfreundliche Wohnungen geschaffen. Neben der Wärmedämmung werden einige Gebäude zudem durch Balkonanbauten und neugestaltete Hauseingänge aufgewertet. Da die Maßnahmen vor allem durch öffentliche Fördermittel finanziert werden, erhöhen sich die Mieten trotz Modernisierung und Aufwertung nur minimal und bewegen sich auch weiterhin im Rahmen der „Kosten der Unterkunft“. Mündliche Auskunft des Quartiersmanagements Sonnenberg vom 20. Februar 2013.
Neben den Bemühungen auf baulicher Ebene verfügt der Stadtteil Sonnenberg seit 2007 über ein von der Stadt getragenes und derzeit über EFRE-Fördermittel finanziertes Quartiersmanagement, welches die Kooperation der verschiedenen Akteure im Stadtteil und das zivilgesellschaftliche Engagement der Bewohner unterstützt (Stadt Chemnitz 2009a: 123; Stadt Chemnitz o. J.). Zu den Stadtteilakteuren gehören außer den Wohnungsunternehmen, sozialen Trägern und öffentlichen Einrichtungen auch eine überdurchschnittlich hohe Anzahl aktiver Vereine und Initiativen. Während das Quartiersmanagement mit thematischen Stadtteilrunden und der „Sonnenbergrunde“ bereits feste Formen der Kooperation und des Austausches unter den Funktionsträgern und Multiplikatoren etabliert hat, konzentrieren sich das zivilgesellschaftliche Engagement und die Partizipation an konkreten Projekten derzeit vor allem auf bereits aktive Bewohner und Interessengruppen. Insbesondere diejenigen Haushalte, die bereits über Jahre von Transferleistungen leben und sich oft vom öffentlichen Leben abkoppeln, können mit den bestehenden Angeboten des Quartiersmanagements weder angesprochen noch aktiviert werden. Wesentlich engeren Kontakt zu diesen Haushalten haben die Wohnungsunternehmen durch ihre Sozialarbeiter, die unabhängig vom Quartiersmanagement agieren und beispielsweise im Vorfeld der Sanierungen mit jedem Haushalt persönlich Kontakt gesucht haben. Mündliche Auskunft des Quartiersmanagements Sonnenberg vom 20. Februar 2013 und mündliche Auskunft der Grundstücks- und Gebäudewirtschafts-Gesellschaft mbH (GGG) Chemnitz vom 22. August 2012.
Im gesamtstädtischen Vergleich wies Sonnenberg im September 2010 die günstigsten Mietpreise in der Chemnitzer Innenstadt auf (Chempirica 2010: 41). Aufgrund der festgesetzten Mietobergrenzen ist davon auszugehen, dass dies auch nach der Modernisierung der Plattenbauten bestehen bleiben wird, so dass keine wesentliche Verdrängung von Mietern zu erwarten ist.
Einfache Wohnungen und eingeschränkte Innenstadtnähe waren seit jeher prägend für Sonnenberg als Wohnraum und für dessen Image als benachteiligter Stadtteil. Das preiswerte Wohnungsangebot ist attraktiv für Haushalte mit geringem Einkommen, gleichzeitig führt dies bei Außenstehenden allerdings tendenziell zu einer abwertenden Wahrnehmung. Die baulichen und stadträumlichen Aufwertungen der letzten Jahre konnten wenig zum Imagegewinn beitragen. Die Bewohner Sonnenbergs bewerten ihr eigenes Wohnumfeld weit positiver als Außenstehende. Grund hierfür ist ein für den Bedarf der Mieter stimmiges Wohnungsangebot und eine mindestens als gut empfundene Wohnqualität (Stadt Chemnitz 2010b: 81). Auch die Ergebnisse einer Bewohnerbefragung in Chemnitz lassen vermuten, dass die Sonnenberger durchaus um die Defizite ihres Stadtteils wissen, diese jedoch nach innen nicht als Einschränkung der Wohnqualität empfinden (vgl. Abb. 3).
Abb. 3
Wohnzufriedenheit im Vergleich. (Quelle: Eigene Darstellung nach Stadt Chemnitz (2012: 5 f.))

Eine Strategie, mit dem Leerstand umzugehen, besteht für Vermieter im Quartier Sonnenberg in dessen aktiver Nutzung. Die Öffnung für unkonventionelle Nutzungen kann dazu beitragen, den Stadtteil zu beleben und gleichzeitig Gestaltungsräume für Bewohner zu schaffen. Kooperationsansätze hierzu bieten die zahlreichen Initiativen, Vereine und Privateigentümer vor Ort und insbesondere der Verein Stadthalten-Chemnitz, der sich die innerstädtische Revitalisierung und die Belebung von Stadtteilen zum Ziel gesetzt hat. Weiterhin besteht die Chance, in Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement Nutzungsideen und konkrete Raumbedarfe aus den Reihen der Bewohner zu identifizieren – etwa für die Kunstszene, die sich derzeit im Südlichen Sonnenberg entwickelt. Mündliche Auskunft des Quartiersmanagements Sonnenberg vom 20. Februar 2013.
Obwohl Sonnenberg über Jahre „Schwerpunktgebiet des öffentlichen Mittel- und Ressourceneinsatzes“ war (Stadt Chemnitz 2010a: 143), besteht bis heute ein hoher Entwicklungsrückstand (Stadt Chemnitz 2009a: 123). Insbesondere die Lenkungswirkung des Stadtumbauprogramms hat sich für Wohnlagen wie Sonnenberg als begrenzt wirksam erwiesen. Zwar ist die Nachfrage nach Wohnungen in den dortigen sanierten Plattenbauten gut und die Identifikation mit dem eigenen Stadtteil hoch, doch schreiben Prognosen den Trend der negativen Einwohnerentwicklung für den Stadtteil fort – von 2007 bis 2020 ein Rückgang um 10,5 % – von 14.200 auf 12.700 Bewohner (Stadt Chemnitz 2009a: 27).
Für Chemnitz liegen zwar keine spezifischen Prognosen zur Armutsentwicklung vor, die gesamtgesellschaftlichen Tendenzen zu wachsender Armut werden sich jedoch auch hier zeigen. Für Sonnenberg bedeutet dies aller Wahrscheinlichkeit nach eine wachsende Anzahl einkommensschwacher Älterer und die Verfestigung der bestehenden Armutsstruktur unter den jüngeren Haushalten. Hiermit ist wiederum die Gefahr der zunehmenden Stigmatisierung als armer Stadtteil verbunden. Die Grundlagen dafür sind in den vergangenen Jahren auch dadurch gelegt worden, dass es keine Prämisse war, die Mischung unterschiedlicher Einkommensgruppen zur Sicherung der sozialen Stabilität im Stadtteil zu fördern. Die im Quartier Sonnenberg tätigen Wohnungsunternehmen sehen sich deshalb der Anforderung ausgesetzt, auf die beschriebenen Veränderungen zu reagieren und die mittelfristig absehbaren Entwicklungen abzufangen (u. a. Leerstand aktiv betreuen, Wohnzufriedenheit der Sonnenbergbewohner sichern, Wohnungen und Wohnumfeld an sich verändernde Bedarfe, vor allem für die ältere Generation, anpassen). Ohne staatliche, bedarfsorientierte Unterstützung von Seiten des Bundes und des Landes wird dies durch den zunehmenden Leerstand und die knappen kommunalen Mittel allerdings nicht in ausreichendem Maße möglich sein. Um innerstädtische Stadtteile vor allem bei entspannten Wohnungsmärkten zu stabilisieren, sind deshalb spezifische Instrumente, unter anderem eine Kombination von Wohnungsbau- und Städtebauförderung, weiter zu entwickeln. Unter den gegebenen Marktbedingungen ist keine kostendeckende Sanierung, insbesondere des Altbaubestandes, aber auch von Plattenbauten möglich.
Die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem und angemessenem Wohnraum zählt zu den wichtigsten Aufgaben kommunaler Daseinsvorsorge. In Deutschland hat der Mietwohnungsmarkt, insbesondere in den Städten, für breite Schichten der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Gesund, sicher und zu bezahlbaren Mieten wohnen zu können, sollte für alle Gruppen der Bevölkerung möglich sein. Wie kann dies jedoch in Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen realisiert werden? Welche Möglichkeiten haben Kommunen und Wohnungswirtschaft, die Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte und eine bedarfsorientierte Wohnqualität zukünftig sicherzustellen?
Das Fallbeispiel Chemnitz-Sonnenberg diente dazu, die allgemeine Problematik der Wohnraumversorgung und Wohnqualität einkommensschwacher Haushalte zu veranschaulichen und auf besondere Herausforderungen hinzuweisen. Das Fazit bezieht diese Erfahrungen mit ein, greift darüber hinaus aber vor allem die allgemeine Fachdiskussion auf und identifiziert zentrale Handlungsansätze, die für eine sozial verantwortliche Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik prägend sein sollten.
Von grundlegender Bedeutung ist eine Neuorientierung dahingehend, die soziale Wohnraumversorgung zeitlich und räumlich nach Bedeutung und Dringlichkeit stärker zu differenzieren. Für wachsende, stagnierende und schrumpfende Städte sind unterschiedliche Konzepte und Ansätze zur Sicherstellung der Wohnraumversorgung und Wohnqualität einkommensschwacher Haushalte erforderlich. Vor diesem Hintergrund ergeben sich die folgenden Ansätze für Stadtentwicklung und Wohnungswirtschaft. Exemplarisch werden sie am Fallbeispiel Chemnitz reflektiert.
In schrumpfenden Städten, wie Chemnitz, zeigt sich häufig, dass die quantitative Wohnraumversorgung zwar gegeben ist, qualitativ jedoch Handlungsbedarf besteht. Wie Aufwertungen der Wohnqualität stattfinden können, zeigt das Beispiel Sonnenberg unter anderem durch Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung, Wärmedämmung, teilweise Balkonanbauten und neugestalteten Hauseingängen. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Maßnahmen – vor allem durch die Finanzierung über öffentliche Fördermittel – die Mieten nicht wesentlich erhöhen und weiterhin im Rahmen der Kosten der Unterkunft liegen. Dies verhindert eine Verdrängung der bisherigen Bewohner. Dem wachsenden Bedarf an alten- und behindertenfreundlichen Wohnungen für einkommensschwache Haushalte nachzukommen, bleibt jedoch eine Herausforderung.
Für Chemnitz wurde beispielsweise 2009/2010 ein Wohnraumbedarfskonzept erstellt. Dabei wurden eine weiterhin rückläufige Wohnungsnachfrage, eine Zunahme an Seniorenhaushalten, ein wachsender Anteil an Seniorenhaushalten unter den Einkommensschwachen und sich weiterhin ausdifferenzierende Wohntrends prognostiziert. Als Handlungsempfehlungen enthält das Konzept unter anderem Maßnahmen für die Stärkung der Nachbarschaften und ein Steuerungsinstrumentarium für die Kosten der Unterkunft, um die langfristigen Auswirkungen der Angemessenheitskriterien auf den Wohnungsmarkt überprüfen zu können. Da sich das Chemnitzer Wohnraumbedarfskonzept jedoch nur auf einer strategischen und gesamtstädtischen Ebene bewegt, besteht die nächste Herausforderung darin, eine Grundlage für die Stadtverwaltung zu schaffen, wie sie die Instrumente gezielt einsetzen und kleinräumig auf veränderte Bedarfe reagieren kann (vgl. Stadt Chemnitz 2010b: 133, 135, 137 f.).
Schriftliche Auskunft der Abteilung Stadtentwicklungsplanung, Stadtplanungsamt der Stadt Chemnitz vom 3. Mai 2013.
Wohnungsunternehmen und Stadtentwicklung können durch gezielte Sanierungs- und Modernisierungsstrategien sowie eine entsprechende Wohnungsmarktpolitik zu gemischten Gebieten beitragen. Wirken sie dagegen nicht der sozialen Entmischung entgegen, wächst die Gefahr der Verfestigung von Armut in den betroffenen Haushalten und die sozialen Problemlagen nehmen zu. Neben Sanierungs- und Modernisierungsstrategien zeigt sich, dass die Verbesserung des Quartiersimages maßgeblich ist. Letzteres zeigt sich auch im Fallquartier Sonnenberg.
Schriftliche Auskunft der Abteilung Stadtentwicklungsplanung, Stadtplanungsamt der Stadt Chemnitz vom 3. Mai 2013.
Das Beispielquartier Chemnitzer Sonnenberg zeigt, dass zur Sicherung der Wohnzufriedenheit der Bewohner und zur Förderung der Identität mit dem eigenen Quartier mit Hilfe des Quartiersmanagements eine Reihe von Angeboten und Aktionen gestartet worden sind. Die Ansätze zeigen, dass – neben anderen maßgeblichen Politikfeldern – sowohl die zukünftige Stadtentwicklungs- als auch die Wohnungspolitik konkrete Möglichkeiten haben, einen substanziellen Beitrag zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität von einkommensschwachen Haushalten zu leisten. Dazu ist eine integrierte Herangehensweise nötig, die Wohnen, Wohnumfeld und Quartier in enger Verflechtung betrachtet, bei der Stadt und Wohnungsunternehmen intensiv zusammenarbeiten und die der Selbstorganisation der Bewohner einen besonderen Stellenwert einräumt, sowie nicht zuletzt natürlich der entsprechende politische Wille, einkommensschwache Haushalte gezielt zu unterstützen.
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