Die traditionelle Auffassung, Hochwassergefahren allein durch technische Maßnahmen abwehren zu können, befindet sich zunehmend in der Kritik. Die technisch-strukturelle Gefahrenabwehr produziere die Symptome, die sie vorgibt zu bekämpfen. Der Deichbau z.B. trennt Flussläufe von ihren natürlichen Überflutungsflächen, erhöht die Fließgeschwindigkeit und verstärkt das Oberlieger-Unterlieger-Problem (Pohl 2002). Zusätzlich propagieren technische Lösungen eine Sicherheit, die sie im Extremfall nicht einhalten können, sodass im Hinterland der Deiche private und volkswirtschaftliche Werte angehäuft werden, die in extremis wieder vernichtet werden. Vor diesem Hintergrund besteht in wissenschaftlichen Diskursen zu Naturgefahren und Naturkatastrophen kaum Streitigkeit darüber, dass die technische Gefahrenabwehr kein adäquater Lösungsansatz ist. Es wird gefordert, der Vorbeugung mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Vorbeugung wird in diesem Aufsatz als integratives Konzept verstanden, das auf die dauerhafte Entwicklung einer Gesellschaft abzielt und die Produktion gesicherter Lebensverhältnisse, die die Vermeidung von gesellschaftlichen Entwicklungsrückschlägen genauso zum Thema hat wie das die individuelle Existenz bedrohende Scheitern (Dombrowsky/Brauner 1996, S. 7). Katastrophenvorsorge ist in dieser Perspektive umfassende und weitreichende Daseinsvorsorge, die jene Prozesse und Maßnahmen umfasst, die dazu beitragen, soziale Verletzlichkeiten (vgl. Hewitt 1997, S. 141-168; Blaikie 1994) zu reduzieren, und über die technisch-strukturelle Gefahrenabwehr hinausgehen.
Ist die theoretische Konzeption der Prävention bedeutsam, so birgt sie eine grundlegende Schwierigkeit: ihre Realisation. Zu welchem Zeitpunkt und durch welche Institution kann Vorbeugung effektiv realisiert werden? In diesem Aufsatz wird die These vertreten, dass im Anschluss an eine Katastrophe die Möglichkeit zur Realisation gegeben ist. Zu diesem Zeitpunkt rückt die Notwendigkeit von Vorbeugung in das öffentliche Bewusstsein, und die Unzulänglichkeit einer rein technischen Gefahrenabwehr wird offensichtlich. Der Zeitraum während und nach einer Katastrophe – das
Generell können nur die Institutionen zur Prävention beitragen, zu deren Aufgabenbereich Vorbeugung zählt und die die nötige gesellschaftliche Wirkungskraft entwickeln. Der Katastrophenschutz kann dies nicht leisten, da der Katastrophenschutz in Deutschland interventionistisch angelegt ist und damit nicht vorausschauend planen und handeln kann. Er sei, so Wolf Dombrowsky und Christian Brauner, ein „organisatorisches Programm”, das sich aus verschiedenen Organisationen (z.B. Rotes Kreuz) und staatlichen Institutionen (bspw. Bundeswehr) zusammensetzt, die gemeinsam im Krisenfall das Katastrophische bekämpfen. Verstehe man Vorbeugung im strengen Sinne, d.h. auf die Verhinderung eines Schadenereignisses bezogen, ist Katastrophenvorbeugung nicht existent. Wenn vorbeugende Elemente vorhanden sind, fußen sie auf anderen Bestimmungen und Zuständigkeitsbereichen (Dombrowsky/Brauner 1996, S. 92), wie z.B. die Raumordnung.
Aufgrund zahlreicher inhaltlicher Gemeinsamkeiten bietet sich die Raumordnung prinzipiell an, Vorsorge zu betreiben (u.a. Pohl 2001; Greiving 2002; Haupter/Heiland 2002). Dies ist umso mehr der Fall, da Vorsorge mit der Raumplanung die Perspektive teilt, nämlich die Antizipation und Planung zukünftiger Ereignisse (Pohl 2001, S. 57).
Dem Handwörterbuch der Raumordnung folgend, hat die Querschnittsorientierte Raumordnung die normative Aufgabe, mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumentarien alle raumrelevanten Nutzungsansprüche im Sinne einer nachhaltigen Daseinsvorsorge abzuwägen und rechtlich zu normieren (Turowski 1995, S. 774). Dies schließt den Schutz der Menschen vor Schäden ein bzw. setzt den Schutz vor möglichen Katastrophen sogar voraus. Legitimiert sich also die räumliche Planung als öffentliche Aufgabe durch die normative Vorstellung einer Notwendigkeit im Sinne einer sozialstaatlichen Verpflichtung (vgl. Scharpf 1979, S. 7), impliziert dies auch Katastrophenvorsorge. Gerade das im Raumordnungsgesetz festgeschriebene Leitbild der Nachhaltigkeit (§ 2 ROG) weist mit seiner Forderung nach Vermeidung von Risiken explizit auf Prävention hin.
Einige Regelungen vorbeugender Schutzmaßnahmen sind folglich gesetzlich in der Raumordnung verankert. Im Raumordnungsgesetz ist zum Beispiel unter § 2 Abs. 2 Ziff. 8 der vorbeugende Hochwasserschutz im Rahmen der Sicherung oder Rückgewinnung und Entwicklung von Rückhalteflächen normiert. Neben der Sicherung von Flächen für den Rückhalt und den Abfluss von Fließgewässern kann auch das bauliche Schadenpotenzial im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 BauGB) in gefährdeten Räumen beeinflusst werden.
Die Aufarbeitung und Umsetzung präventiver Maßnahmen im Anschluss an ein katastrophales Schadensereignis verlangen nach einer querschnittsorientierten Koordinationsinstanz. Denn die Folgen einer Katastrophe stellen sich als ein komplexes, nicht nur räumliches, sondern gesamtgesellschaftliches Problem dar. Die Koordinierungsfähigkeit im Sinne der Vermittlung zwischen den verschiednen Planungsebenen sowie zwischen den raumwirksamen Fachplanungen befähigt die deutsche Raumordnung zur Implementierung geeigneter präventiver Maßnahmen.
Ihrem formellen Wesen einer überfachlichen und übergeordneten Koordinierungsinstanz nach kann die Raumplanung (Landesplanung) prinzipiell die Trägerschaft der Katastrophenvorsorge übernehmen (vgl. Greiving 2002, S. 122).
In den seit den 1990er Jahren geführten Debatten wird die Koordinationsfähigkeit bzw. Steuerungsfähigkeit der Raumordnung sowie die Umsetzbarkeit ihrer Zielvorstellungen in Frage gestellt (Selle 2000; Fürst 2000).
Eine gezielte zukünftige Entwicklung lässt sich mithilfe traditioneller administrativer Verfahren und Instrumente nur unzureichend steuern. Die gesteckten Ziele werden in den komplexen raumordnerischen Verfahren durch die große Anzahl von verschiedenen machtpolitischen, organisatorischen und finanziellen Einflüssen nur mangelhaft verwirklicht. Eine institutionelle Integration der Katastrophenvorsorge in das System der deutschen Raumordnung wird aufgrund der begrenzten Ressourcen und den damit verbundenen Koordinationsschwierigkeiten in Frage gestellt (vgl. Greiving 2002, S. 122).
Des Weiteren ist zu beachten, dass sich erstens die Festsetzung von Raumfunktionen im Sinne der Vorbehalts- und Vorranggebiete durch die Raumplanung nur auf den Freiraum bezieht und zweitens ausschließlich zukünftige Nutzungen eingeschränkt werden können. In bestehende institutionell legitimierte räumliche Strukturen kann sie schon aus Gründen der Rechtssicherheit nur wenig bzw. gar nicht eingreifen. Damit betreibt die Landes- und Regionalplanung in erster Linie im Kontext von Vorbeugung, Flächenvorsorge, die zurückliegende Entscheidungen nicht beeinflussen kann. Einmal getroffene „falsche” Entscheidungen, die wiederum zu zukünftigen Katastrophen führen können, sind durch das heutige System der deutschen Raumordnung kaum korrigierbar (Pohl 2001, S. 60).
Generell ist Vorbeugung auch in zeitlicher Hinsicht nicht unproblematisch, da die Umsetzung vorbeugender Maßnahmen im „katastrophischen Niemandsland” angesiedelt ist. Vorbeugung sollte zwischen einem in der Vergangenheit liegenden und einem zukünftigen Schadensevent realisiert werden, wobei sie ihre Legitimation durch das zurückliegende Schadenereignis erhält, sich aber auf zukünftige, mögliche oder wahrscheinliche Schadenereignisse bezieht (Dombrowsky/Brauner 1996, S. 65).
Diese zeitliche Konstellation führt dazu, dass Prävention mit anderen wirtschaftlichen und politischen Belangen in Konkurrenz tritt. Was während und kurz nach einer Überflutung auf großen Konsens stößt, wird während der „alltäglichen Normalität” wieder zunehmend strittig. Dann nimmt die Vorbeugung gerade auf der politischen Agenda keine prioritäre Position ein. Erst während und kurz nach dem öffentlichen Ausrufen einer Katastrophe rückt das Interesse am Katastrophischen in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung, und spezielle Gesetze zur schnellen Bewältigung des Schadenereignisses werden verabschiedet (May 1985).
Prävention ist zusätzlich nur schwer zu legitimieren. Während sich der interventionistische Katastrophenschutz und die technische Gefahrenabwehr unmittelbar aus der extremen Situation heraus legitimieren lassen, lässt sich die Wirkung von Vorsorge wegen ihrer umfassenden und weitreichenden Konzeption, der Daseinsvorsorge, viel mehr noch aber wegen ihrer unspektakulären Art kaum vermitteln. Nur dort, wo Schadenereignisse ausbleiben, ist Vorbeugung erfolgreich gewesen. Damit ist Prävention ein Nichtereignis, das zu einem Ereignis gemacht werden will, um sie zu legitimieren.
Um der mangelnden Legitimation zu entgegnen, erscheint die Zeit nach einem Schadenereignis besonders günstig, da hier die Notwendigkeit von Vorbeugung in das öffehtliche Bewusstsein rücken kann. Wurde nach der Oderflut 1997 die Gelegenheit einer Abkehr von der Vormachtstellung technisch-struktureller Hochwasserschutzvorkehrungen verpasst (Felgentreff 2000), so eröffnete sich im Sommer 2002, noch unter dem Eindruck der Schadenereignisse an Donau und Elbe, eine neue, vorbeugende Dimension in der öffentlichen Debatte zur Katastrophenabwehr.
Auch wenn nach einem Schadenereignis eine öffentliche Diskussion über Vorsorge einsetzen mag, so bleibt dabei meist ein immanenter Aspekt von Katastrophen unterrepräsentiert: der Wiederaufbau. Gerade während des Wiederaufbaus bietet sich die Möglichkeit, Prävention im strengen Sinne, also die Verhinderung eines Schadenereignisses, zu realisieren, indem die Möglichkeit eines nächsten zerstörerischen Hochwassers berücksichtigt wird und dementsprechend geplant und gehandelt wird. Es besteht hier zumindest die prinzipielle Möglichkeit, räumliche Fehlentwicklung der Vergangenheit rückgängig zu machen.
Diese Überlegungen sind jedoch während des Wiederaufbaus nachrangig, da der Erfolg der Rekonstruktion an der umgehenden Wiederherstellung des Status quo ante gemessen wird (Passerini 2000). Nach einer Katastrophe, die individuelle und kollektive Unsicherheit mit sich bringt, ist die schnelle Rückkehr zur „Normalität” für viele Betroffene ein wichtiges Handlungsziel. Zieht sich der Zustand der Unsicherheit über einen längeren Zeitraum hin, können die Folgen traumatisch sein.
Ist das skizzierte Bedürfnis nach Normalität verständlich, so ist die bloße Rekonstruktion der gewohnten baulichen Umwelt problematisch, da ein Wiederaufbau der Daseinsvorsorge und der raumordnerischen Leitvorstellung von Nachhaltigkeit diametral entgegenläuft. Dort wo einfach wieder aufgebaut wird, entsteht das Schadenpotenzial für ein nächstes Hochwasser. Auch hier kann die Situation nach dem Sommerhochwasser 2002 exemplarisch angeführt werden. Unter dem verständlichen Eindruck handeln zu müssen, wurde der Fonds „Aufbauhilfe” mit 7,1 Mrd. € durch Finanzmittel von Bund und Ländern ausgestattet, um bei der Schadensbeseitigung zu helfen. Auch wenn die schnelle Hilfe zu begrüßen ist, so bleibt dennoch festzuhalten, dass Vorbeugung dabei keine Rolle spielt (vgl. Staatskanzlei Sachsen 2002).
Die Situation nach einer Katastrophe in Deutschland ist also paradox und kann wie folgt Umrissen werden:
Einerseits wird nach einem Desaster die Notwendigkeit vorbeugender Handlungen deutlich, worauf sich eine öffentliche Diskussion entfaltet, die idealerweise in präventives Handeln mündet. Auf dieser Ebene wird von einem möglichen oder wahrscheinlichen zukünftigen Schadenereignis ausgegangen. Anderseits wird schnellstmöglich der bekannte bauliche Zustand wiederhergestellt, womit die soziale und bauliche Verletzlichkeit neu produziert wird. Auf dieser Ebene wird gehandelt, als wäre die Möglichkeit eines nächsten Schadenereignisses unwahrscheinlich.
Wir möchten uns mit diesem Fazit jedoch nicht zufrieden geben und nachfolgend skizzieren, wie die Verletzlichkeit mithilfe der Raumplanung minimiert werden kann. Die Abkehr von einem hierarchisch hoheitlich steuernden Gesamtstaat hin zu einem auf Kooperation und Konsens angelegten Politikmodus in Teilbereichen der gesellschaftlichen Regulation bietet sowohl die Chance, sich den neuen Herausforderungen in der Raumordnung als auch der Katastrophenvorsorge zu stellen. Der Gegenstand der Raumordnung (vgl. Selle 1996, S. 24) sowie der existierenden Katastrophenvorsorge soll dabei an dieser Stelle nicht zur Disposition stehen, sondern die Möglichkeiten der Implementierung präventiver Maßnahmen. Die damit verbundenen Unzulänglichkeiten sind in der Tabelle 1 nochmals zusammenfassend dargestellt.
Schwierigkeiten bei der Prävention
Katastrophenschutz | • Interventionistische Ausrichtung |
• Vorausschauendes Planen und Handeln nicht möglich | |
Pro Raumplanung | • Perspektivische Gemeinsamkeiten mit Prävention |
• Daseinsvorsorge | |
• Komplexer Koordinationsauftrag | |
Contra Raumplanung | • Nur freiraumbezogene Planungs-möglichkeiten |
• Nur Ex-ante-Wirkungsmöglichkeiten | |
• Vollzugsdefizite | |
Wiederaufbau | • Ad-hoc-Gesetzgebung |
• Kurzfristige Entscheidungen mit langfristigen Konsequenzen | |
• Vorbeugung keine Bedeutung |
Quelle: Eigene Bearbeitung
Prävention im Zeitraum nach einem Schadensereignis kann nur dann wirksam sein und gesellschaftlich akzeptiert werden, wenn sie schnell und effektiv organisiert wird. Es ist daher ein umsetzungsorientiertes Verfahren notwendig, das die Zeit im Anschluss an ein Schadenereignis konzentriert zu nutzen weiß und problemorientiert angelegt ist.
Dies kann auf der kommunalen Ebene, wie zu zeigen sein wird, effektiv bewerkstelligt werden. Erreicht wird durch diesen Ansatz auch, dass Daseinsvorsorge ein aktives Beteiligungsmodell wird, welches das „Objekt der Bemühung” – die Bevölkerung – verstärkt in den Prozess der Vorbeugung einbezieht (vgl. Dombrowsky 1996, S. 12). Dargelegt wird, welche bestehenden rechtlichen und organisatorischen Elemente genutzt werden könnten und welche noch zu schaffen sind, um Vorbeugung während des Wiederaufbaus zu realisieren. Unterschieden wird hierbei in drei Ebenen: die kommunale Ebene, die staatlich – hoheitliche Ebene, die Ebene der Raumplanung.
Schadensereignisse treten dort auf, wo Verwundbarkeit sich manifestiert, in den von Menschen genutzten Räumen. Städte und Gemeinden sind betroffen. Hier muss eine Lösung gefunden werden. Die kommunale Ebene bietet sich aus formellen, entscheidungspolitischen Gesichtspunkten an, aktive Katastrophenvorsorge zu implementieren. Den Bürgern wird zudem auf der Ebene der Städte und Gemeinden eine direkte Mitwirkungsmöglichkeit eröffnet.
Das nach Art. 28 Abs. 2 GG (vgl. auch Art. 97 LV Bbg.) gewährte Recht auf kommunale Selbstverwaltung gestattet den Städten und Gemeinden im Bereich der Bauleitplanung (§ 2 Abs. 1 BauGB) rechtsverbindlich Nutzungsbedingungen festzusetzen (vgl. Gruber 1994, S. 66 ff.). Mögliche schadenswirksame Maßnahmen erlangen in erster Linie im Bereich der kommunalen Bauleitplanung Rechtsverbindlichkeit gegenüber dem Bürger.
Das Recht auf Selbstverwaltung sollte eigentlich die Partizipation fördern, zumal Formen der unmittelbaren Bürgerbeteiligung auch verfassungskräftig vorgeschrieben sind, als Beispiele sind hier nur die Einwohnerfragestunde (§18 GO Bbg.), die Einwohnerversammlung (§ 17 GO Bbg.) oder plebiszitäre Möglichkeiten des Bürgerbegehrens bzw. -entscheides zu nennen (§ 22 GO Bbg.). Es hat sich jedoch gezeigt, dass räumliche Planung größtenteils nur dann von den Bürgern wahrgenommen wird, wenn sie direkt betroffen sind (vgl. auch Kunzmann 2002, S. 68 ff.). Wird nach einem Schadenereignis das Problemlösungsverfahren (präventiver Wiederaufbau) auf die kommunale Ebene verlagert, sind die Bürger unmittelbar involviert. Dadurch wird nicht nur das Partizipationspotenzial auf kommunaler Ebene gefördert, sondern auch dem oft beobachteten mangelnden Gefahrenbewusstsein entgegengewirkt. Wir meinen daher, dass die Forderung von Dombrowsky und Brauner, Katastrophenschutz nicht nur als Funktionsbereich für fachlich Spezialisierte zu begreifen, Berücksichtigung finden sollte und die Aufgabe der „Alphabetisierung” der Bevölkerung durch eine Verlagerung des Problemlösungsverfahrens auf die kommunale Ebene gestärkt wird (Dombrowsky/Brauner 1996, S. 15).
Die Möglichkeit der Bürger, in den Städten und Gemeinden direkt auf die Umsetzung präventiver Maßnahmen Einfluss zu nehmen, erleichtert es, Veränderungen zu akzeptieren. Es entlastet zugleich das politisch-administrative System und dient einer schnellen Umsetzung präventiver Vorhaben. Überörtliche Entscheidungsebenen können auf ein solches Mitwirkungspotenzial nicht zurückgreifen. Durch die aktive Einbeziehung der Betroffenen in den Entscheidungs- und Handlungsprozess könnte der Horizont für mögliche präventive Umsetzungsmaßnahmen erweitert werden und somit eine den lokalen, gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasste Lösung forciert werden. Es wird in einem solchen Verfahren nicht nur ein hohes Maß an Flexibilität erreicht, sondern auch eine Entscheidung getroffen, die sich auf einen kommunalen Konsens berufen kann.
Prävention lässt sich hier sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht im Anschluss an ein Schadenereignis realisieren. Wegen des limitierten sachlichen und räumlichen Rahmens lassen sich Probleme, wie z. B. unangepasste Bauweise, schnell erkennen und effektiv beheben, was in zeitlicher Hinsicht vorteilhaft ist, da sich das Problemlösungsverfahren verkürzt. Auf kommunaler Ebene ist kein langfristiger Planungshorizont notwendig, sondern umsetzungsorientiertes präventives Handeln nötig, da nach Eintreten des Schadenfalls gehandelt werden muss (Wiederaufbau).
Das rechtliche Fundament in den Kommunen stützt nicht nur die aktive Mitwirkung der Bürger, sondern auch die entsprechend den gesetzlichen Rahmenbestimmungen getroffenen Entscheidungen (z. B. Durchsetzung präventiver Maßnahmen). Das Verfahren zur Umsetzung innerhalb der Gemeinde muss somit nicht erst aus dem Binnenbereich des (kommunalen) politisch-administrativen Systems ausgelagert werden (im Gegensatz vgl. Selle 1996, S. 71).
Damit Vorbeugung auf der kommunalen Ebene jedoch überhaupt realisiert werden kann, sollte ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, der die Umsetzung präventiver Maßnahmen während des Wiederaufbaus fordert und fördert. Der Wiederaufbau wird in Deutschland meist durch kurzfristig entstehende Regelungen bewältigt, die aber langfristige Folgen haben und meist wenig nachhaltig sind. Hier sollte eine dauerhafte gesetzliche Regelung gefunden werden.
Ein zweitstufiger gesetzlicher Ansatz erscheint sinnvoll: Im Bereich der Raumordnung sollte festgelegt werden, an welchen präventiven Zielvorgaben und grundsätzlichen Verfahrensregeln der Wiederaufbau auf kommunaler Ebene sich zu orientieren hat. Ein gesetzlicher Rahmen für ein lokal orientiertes Problemlösungsverfahren sollte Bedingungen und Verfahrensweisen festlegen, ohne dadurch den gesamten Prozess zu determinieren. Es gilt, genügend Spielraum für lokale Strategien zuzulassen. Einer Anwendung von restriktiven Mitteln (wie Verbote und Gebote) ist soweit wie möglich entgegenzuwirken. Schon der Respekt gegenüber dem verfassungsrechtlich gesicherten Schutz des privaten Eigentums sowie dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen gebietet die Suche nach angemessenen Instrumenten.
Zweitens sollte ein „Bewältigungsgesetz” entworfen werden, das die Vergabe von finanziellen Aufbaumitteln an die Implementierung präventiver Maßnahmen im Sinne der unten skizzierten Zielvorgabe koppelt und finanziell fördert, womit für die Kommunen ein Anreiz entsteht, Prävention zu betreiben.
Die Normierung eines Leitbildes bietet die Möglichkeit, Schadenreduktion in das deutsche Raumordnungssystem einzubinden und somit eine Sensibilisierung für das Feld der Katastrophenvorsorge innerhalb des politisch-administrativen Systems zu schaffen. Die Einbindung könnte auf Bundesebene z. B. im Rahmen des raumordnerischen Orientierungsrahmens geschehen. Die Formulierung der raumordnerischen Zielvorstellungen könnte durchaus von Stefan Greiving übernommen werden. Er formuliert die noch nicht formalisierte Leitvorstellung wie folgt: „Die Katastrophenresistenz der Gesellschaft (ist) zu erhalten und zu steigern” (vgl. Greiving 2002, S. 272 ff.).
Damit diese Leitvorstellung gerade nach einem Schadenereignis realisiert werden kann, schlagen wir ein Bewältigungsgesetz vor, das die Vorgabe einer Schadensminimierung und die Umsetzung präventiver Maßnahmen nicht durch restriktive, sondern durch finanzielle Anreize erreicht. Eine solche Gesetzesvorlage könnte sich an Bewältigungsgesetzen wie z.B. dem Was ist eine Katastrophe für den Gesetzgeber und unter welchen Bedingungen ist im Falle einer Katastrophe mit staatlicher Unterstützung zu rechnen? Welchen Anteil sollten die Ausgaben für präventive Projekte im Verhältnis zu den Gesamtleistungen haben und welche Projekte sind dabei besonders zu unterstützen?
Die Schaffung von Anreizen innerhalb eines Bewältigungsgesetzes kann als informelles Instrument der Raumplanung genutzt werden, um das Ziel der Reduktion der Verletzlichkeit schrittweise umzusetzen. Dadurch kann einerseits der oftmals ablehnenden Haltung der lokal Betroffenen gegenüber präventiven Maßnahmen begegnet werden und anderseits der Konflikt zwischen Kommunen und Landesplanung minimiert werden (vgl. DKKV 2002, S. 46), da hier der Raumplanung ein „überzeugendes” Argument zur Verfügung steht.
Da die Bedeutsamkeit von Prävention kaum zu vermitteln und deren Umsetzung schwer zu realisieren ist, würde ein finanzieller Anreiz durch ein Bewältigungsgesetz die Bedeutung von Prävention qua lege nicht nur rechtfertigen, sondern auch für den Einzelnen und die Kommunen wirtschaftlich attraktiv machen. Auch für den Staat würden die langfristig entstehenden Wiederaufbaukosten minimiert werden, da die bauliche Verwundbarkeit reduziert wird, was dem Leitbild der Nachhaltigkeit entspricht.
Der Raumplaner mit seiner querschnittsorientierten Kompetenz ist beim problem- und umsetzungsorientierten Verfahren auf der kommunalen Eben zu beteiligen.
Der Raumplaner auf Landes- und Regionalebene besitzt die fachliche Kompetenz, das lokale Verfahren in einem übergeordneten, räumlichen wie sachlichen Gesamtkontext einzubinden. Die Verlagerung von Planungs- und Entscheidungsprozessen auf die kommunale Ebene bietet zwar verfahrenstechnische Vorteile bei der Umsetzung, dennoch könnte das Verfahren von kommunalen Zielvorstellungen (vgl. Ensslin 1999, S. 275) dominiert werden. Dieser Gefahr kann der Raumplaner diskursiv entgegenwirken, zumal die Bedeutung von Vorbeugung durch den finanziellen Anreiz unterstrichen wird.
Landes- und Regionalplaner können das Verhandlungs- bzw. Lösungsverfahren innerhalb der Kommune leiten bzw. moderieren. Denn für kooperatives Handeln ist es nötig, alle am Planungsprozess Beteiligten zu erkennen und ihre jeweiligen Positionen in das Verfahren einzubeziehen (vgl. Ensslin 1999, S. 281). Der Raumplaner übernimmt in dem Prozess die Rolle des neutralen Dritten. Die Einbindung der Raumplanung in diesen Prozess gewährleistet zugleich ein genügendes Maß an Transparenz und demokratischer Kontrolle. Gerade Eingriffe in das Eigentum und „auf Umverteilung zielende Maßnahmen [werden] unter egoistisch-rationalen Beteiligten in der Regel nicht konsensfähig sein” (Scharpf 1991, S. 629). Die Überwachung der Einhaltung grundsätzlicher Verfahrensregeln und sozialer Standards kann durch die Mitwirkung des Raumplaners gewährleistet werden.
Für die räumliche Planung bietet sich die Chance, im konkreten Schadensfall den Aufbauprozess nicht nur passiv im Sinne einer Kontrollfunktion mit eingeschränkten Mitteln zu begleiten, sondern direkt am Lösungsverfahren teilzunehmen. Direkt bedeutet hier aktiv und projektorientiert, also nicht reagierend, sondern agierend, wodurch Planung und Handlung stärker mit einander verknüpft werden.
Der Katastrophenfall ist für die Betroffenen ein schreckliches Ereignis, aber auch Ansatzpunkt für eine aktive Mitarbeit im Sinne projektorientierten Planung.
Das Ziel der Schaffung einer schadenresistenteren Gesellschaft lässt sich aus raumplanerischer Sicht im Rahmen eines auf Bundes- oder Landesebene verankerten formalisierten Zielsystem-Verfahrens nur ungenügend realisieren. Die angesprochene unzureichende Koordinations- und Steuerungsfähigkeit der Raumordnung steht einem komplexen Verfahren entgegen. Folgeprobleme einer solchen hierarchisch formalisierten Zielstruktur liegen im Bereich der Anpassung (Flexibilität) sowie im Bereich einer notwendigen Konsensbildung (vgl. Mayntz 1973, S. 96). Es gibt nicht die „große Lösung” (vgl. Popper 1992, S. 192; Selle 1996, S. 52). Die Erfahrungen der integrierten Entwicklungsplanung haben deutlich die eingeschränkte Umsetzbarkeit einer allumfassenden Zielplanung deutlich gemacht (vgl. Fürst 2001, S. 15).
Das Ziel der Schaffung einer schadenresistenteren Gesellschaft lässt sich aus einer präventiven Sichtweise im Rahmen der bestehenden institutioneilen Zuständigkeitsbereiche und Zielsetzungen des vorbeugenden und interventionistischen Katastrophenschutzes kaum realisieren. Katastrophenvorbeugung wird im „katastrophischen Niemandsland” betrieben und lässt sich daher nur schwer durchsetzen und legitimieren. Wenn Vorbeugung effektiv realisiert werden könnte, im Anschluss an ein Schadenereignis also, wird meist ad hoc reagiert und durch den staatlich finanzierten Wiederaufbau die Verletzlichkeit produziert, die beim nächsten Hochwasser wieder zur Katastrophe führen kann.
Es wurde in diesem Aufsatz daher der Versuch unternommen, das Ziel der Schadenresistenz nicht über eine umfassende gesamträumliche Planung zu erreichen, sondern über den Weg einer projektorientierten Planung während des
Die kommunale Ebene, als begrenzter räumlicher wie gesellschaftlicher Ausschnitt, bietet für ein solches Vorgehen ideale Vorraussetzungen. Zwar stellt ein auf Kooperation und Konsens angelegtes Verfahren in den Kommunen vorerst nur einen räumlich begrenzten Schritt in Richtung schadenresistenter Gesellschaft dar, dennoch ist dies eine Möglichkeit, die sich auf Akzeptanz und Partizipation berufen kann und damit ein effektives Umsetzungspotential bietet.
Mit den hier angesprochenen Problemen soll das deutsche Raumordnungssystem in seiner Gesamtheit nicht in Frage gestellt werden. Die raumordnerische Zielstruktur der Raumordnungspläne und die damit rechtlich verankerten Leitvorstellungen sollten auf dje Katastrophenvorsorge ausgedehnt werden, da sie ein grundlegendes Regulationsinstrumentarium sind.
Damit Katastrophen aber nicht ausschließlich als plötzlich hereinbrechende Zeiten des Extrems, als das „Ende aller Tage”, die Zerstörung, Unsicherheit und Chaos mit sich bringen, verstanden werden, sondern auch als eine Möglichkeit der Umkehr, des Erkennens einer Fehlentwicklung, also als Katharsis (Dombrowsky 1981, S. 366), gilt es alternative Umgangsformen mit Naturgefahren anzudenken und umzusetzen.
Schwierigkeiten bei der Prävention
Katastrophenschutz | • Interventionistische Ausrichtung |
• Vorausschauendes Planen und Handeln nicht möglich | |
Pro Raumplanung | • Perspektivische Gemeinsamkeiten mit Prävention |
• Daseinsvorsorge | |
• Komplexer Koordinationsauftrag | |
Contra Raumplanung | • Nur freiraumbezogene Planungs-möglichkeiten |
• Nur Ex-ante-Wirkungsmöglichkeiten | |
• Vollzugsdefizite | |
Wiederaufbau | • Ad-hoc-Gesetzgebung |
• Kurzfristige Entscheidungen mit langfristigen Konsequenzen | |
• Vorbeugung keine Bedeutung |