Bürgerschaftliches Engagement ist
Mit der steigenden Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements entstehen Herausforderungen dergestalt, dass das Engagement ungleich im Raum verteilt ist. Die Mehrzahl der Engagierten findet sich in eher gut situierten Regionen (Prognos/Generali 2009), die von einer Förderung des Ehrenamts weiter profitieren. In Räumen mit Entwicklungsdefiziten gibt es als Folge von weniger Engagement auch geringere staatliche Unterstützung. Aus der Perspektive gleichwertiger Lebensbedingungen kann dieser von uns als „Raumdilemma“ bezeichnete Zusammenhang relevant sein, da durch Verstärkungseffekte räumliche Auf- und Abwärtsprozesse begünstigt werden.
Vor diesem Hintergrund stellen wir die Frage, wie bürgerschaftliches Engagement auch in strukturschwachen und peripheren Regionen aktiviert werden kann und welche Unterstützungsfelder dabei eine Rolle spielen. Die dabei zugrunde gelegte Hypothese, dass eine Aktivierung möglich ist, basiert auf der Auswertung von 170 Initiativen bürgerschaftlichen Engagements. Ferner haben wir im Rahmen von 12 Fallstudien die Entstehungsgeschichte von bürgerschaftlichen Initiativen erarbeitet, um Kontext- und Erfolgsfaktoren zu generieren sowie Unterstützungsfelder abzuleiten. Die Daten sind im Rahmen des Projekts „Neue Kooperationen und Finanzierungsmodelle sozialer Infrastruktur für kleine Städte und ländliche Gemeinden“ erhoben worden, das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) gefördert und vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) betreut wurde (Langguth/Butzin/Elbe et al. 2015).
Im Folgenden werden Ergebnisse aus den 170 betrachteten Initiativen und den 12 Fallstudien vorgestellt und vor dem Hintergrund des Raumdilemmas reflektiert. Hierfür diskutieren wir zunächst ehrenamtliches Engagement und Koproduktion im Bereich der Daseinsvorsorge (Kapitel 2). Im darauffolgenden Kapitel 3 wird das damit verbundene Raumdilemma, in Kapitel 4 Erfolgs- und Aktivierungsfaktoren ehrenamtlichen Engagements erörtert. Der Beitrag schließt mit einem Fazit, in dem ein Bezug zu endogenen Potenzialen, regionaler Entwicklung und bürgerschaftlichem Engagement hergestellt wird.
Die öffentliche Daseinsvorsorge umfasst Tätigkeiten der öffentlichen Hand, die der grundlegenden Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen dienen, also in jeder Region vorhanden sein sollten. Ob diese Leistungen zwingend vom Staat, Trägern der Sozial- und Wohlfahrtspflege oder privaten Unternehmen angeboten werden sollen, ist Inhalt jahrzehntelanger Diskussionen. Je nach aktuellem Gesellschafts- oder Staatsverständnis, technischen Neuerungen oder neuen Erfahrungen in Formen der Leistungserbringung wird das Für und Wider erörtert (Gärtner 2008; Steinführer/Küpper/Tautz 2012; Farmer/Nimegeer 2014). Kersten, Neu und Vogel (2015b: 8) zufolge hat sich im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in den letzten „15 bis 20 Jahren ein grundlegender Paradigmenwandel vollzogen: Nicht mehr das Maximalgebot, sondern das Mindestangebot an Infrastrukturausstattung und öffentlichen Dienstleistungen steht auf dem politischen Programm“.
Bei der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge wird zunehmend auf bürgerschaftliches Engagement zurückgegriffen, nicht zuletzt weil sich der Staat zurückzieht bzw. die Kosten aufgrund einer negativen demographischen Entwicklung in manchen Regionen nicht mehr aufgebracht werden können (vgl. z. B. Kersten/Neu/Vogel 2015a). Dementsprechend verstehen wir in diesem Beitrag Daseinsvorsorge vorrangig nicht aus der Verwaltungsperspektive, sondern stärker aus der Nutzerperspektive heraus. Daseinsvorsorge wird hierbei als gemeinsames Handeln bzw. Produkt einzelner Akteure verstanden, um die Lebensqualität vor Ort zu erhalten oder zu verbessern. Die Akteure handeln dabei mit dem Ziel, den Wegfall eines Angebots zu ersetzen oder bestehende Herausforderungen vor Ort zu meistern. Das kann für periphere, dünn besiedelte Regionen beispielsweise bedeuten, Infrastrukturen, die von der Bevölkerung gewünscht sind, aber aufgrund mangelnder Tragfähigkeit nicht mehr angeboten werden, eigenständig zu erbringen. Eine solche Verantwortungsteilung, die in der internationalen Literatur seit längerer Zeit als „co-production of public services“ (vgl. Brandsen/Pestoff 2006; Alford 2009) diskutiert wird, kann nicht nur bedeuten, dass die Angebote zielgenauer werden, sondern dass sie auch aufgrund der höheren Akzeptanz tragfähiger sind.
Die große Bedeutung ehrenamtlichen Engagements in Deutschland hat nicht erst seit dem stark angestiegenen Zustrom geflüchteter Menschen Einzug in die politischen Debatten gefunden, gleichwohl das Thema dadurch einen weiteren Aufschwung erfährt. Bereits im Vorfeld sind unterstützende Strukturen, z. B. Ehrenamtsagenturen, Vergünstigungen für ehrenamtlich Tätige und Ehrenamtskarten, entwickelt worden (vgl. Wolf/Zimmer 2012). Laut Freiwilligensurvey 2014 war die Engagementquote Die Engagementquote misst den Anteil der Wohnbevölkerung über 14 Jahre, der sich außerhalb von Beruf und Familie freiwillig engagiert. Erhoben wird das Engagement durch repräsentative Befragungen (Vogel/Hagen/Simonson et al. 2016). Allerdings hat sich der Zeitumfang des Engagements im Vergleichszeitraum verringert.
Es ist anzunehmen, dass bürgerschaftliches Engagement zukünftig noch wichtiger werden wird. Dies ist nicht nur auf eine ältere und damit pflegebedürftiger werdende Bevölkerung zurückzuführen, sondern auch auf die Integration geflüchteter Menschen, auf deren Herausforderungen mit partizipativen Prozessen begegnet werden kann (vgl. Farmer/Nimegeer 2014; Brauer 2015). Ein folgenreicher Ausdruck dieser Veränderungen ist die stark steigende Ausgabenseite der Kommunalhaushalte, die insbesondere schrumpfende Kommunen in Bedrängnis bringt. Schließlich müssen auch hier bestimmte Infrastrukturen erhalten und Sozialausgaben getätigt werden. Die Folge sind im Stadtbild sichtbare Investitionsstaus und für die Bevölkerung spürbare Einschnitte. Insbesondere strukturschwache städtische und ländliche Kommunen befinden sich durch diesen Verlust an Attraktivität und Lebensqualität in einer schwer zu durchbrechenden Abwärtsspirale.
In Teilen wird der Wegfall staatlich bereitgestellter Daseinsvorsorge durch ehrenamtliches Engagement und Koproduktion kompensiert und geht mit einer zunehmenden „Responsibilisierung“ (Steinführer 2015: 6) einher. Bekannte Beispiele dafür sind durch die Bürgerschaft organisierter Personennahverkehr (Bürgerbusse) und Elterninitiativen. Darüber hinaus gibt es in den Gemeinden Ehrenamtssegmente mit langer Tradition, z. B. Freiwillige Feuerwehren, politisches Engagement und Engagement in Sportvereinen. Aber auch die Errichtung und der Betrieb von Dorfgemeinschaftshäusern, Dorfläden und Kultur- und Freizeiteinrichtungen gewinnen zunehmend an Bedeutung (vgl. BMUB 2013). Vor diesem Hintergrund gibt es staatliche Bestrebungen, ehrenamtliches Engagement stärker zu fördern, wie es beispielsweise im Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes vom 21. März 2013 zum Ausdruck kommt.
Innerhalb der Diskussion über sich wandelnde
Koproduktion ist seitens der sich beteiligenden Akteure auch immer mit dem Wunsch verbunden, den Standort und die Lebensqualität zu verbessern bzw. aufrechtzuerhalten. Häufig zielt das Engagement darauf ab, ein familienfreundliches Umfeld zu schaffen, damit dem Fortzug von Arbeitskräften entgegenzuwirken und beginnenden Attraktivitätsverlust zu verhindern (Prognos/Generali 2009; Löffler/Timm-Arnold/Bovaird et al. 2015). Koproduktion hat also nicht nur einen direkten, sondern auch einen indirekten Mehrwert für die Gemeinde in sozialer, ökologischer und/oder politischer Hinsicht (Bovaird/Löffler 2012; Vamstad 2012).
Im Engagementatlas 2009 (Prognos/Generali 2009) wird das dem Raumdilemma zugrunde liegende und in Deutschland hinsichtlich struktureller Kriterien bereits bekannte Muster des Süd-Nord- und West-Ost-Gefälles deutlich (vgl. Abbildung 1). Dieses Muster differenziert sich zwar kleinräumig aus und auch in Ostdeutschland existieren Regionen, Städte und Quartiere, in denen sich Menschen stark engagieren. Jedoch zeigt sich auf der Ebene der Raumordnungsregionen, dass die Regionen mit hohen Engagementquoten eher strukturstark (unter anderem Main-Rhön und Allgäu) und die Raumordnungsregionen mit dem geringsten Anteil Engagierter eher strukturschwach sind (unter anderem Uckermark-Barnim und Duisburg-Essen). Dies verdeutlicht auch der signifikante Korrelationskoeffizient von 0,386 zwischen dem Prognos Zukunftsatlas Wohlstandsindex für 2007 und der Engagementquote (Prognos/Generali 2009: 23). Der Zusammenhang zwischen Engagementquote und regionaler Strukturstärke wurde auch im Freiwilligensurvey 2014 bestätigt. Demnach liegt im Jahr 2014 die Engagementquote bei knapp 50 % in Landkreisen und kreisfreien Städten mit einer Arbeitslosenquote von 1,2 % bis 3,6 % gegenüber einer Engagementquote von knapp 38 % in Landkreisen und kreisfreien Städten mit einer Arbeitslosenquote von 9,2 % bis 16,4 % (Hameister/Tesch-Römer 2016: 552).
Abbildung 1
Anteil Engagierter nach Raumordnungsregionen. Quelle: Eigene Darstellung nach Prognos/Generali (2009: 19)

Die von uns durchgeführte Studie, die wir im Folgenden vor dem Hintergrund des Raumdilemmas auswerten, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Zur Beantwortung der Frage, wie ein regionaler Ausgleich sowie eine verbesserte Zielgenauigkeit und Effizienz durch Koproduktion von Daseinsvorsorge im ländlichen Raum erreicht werden kann, wurden zunächst neue Initiativen zur Aufrechterhaltung sozialer und kultureller Daseinsvorsorge recherchiert, in einer Datenbank erfasst und ausgewertet. Diese Initiativen sind als Zusammenschlüsse unterschiedlicher Akteure definiert, die sich vormals nicht oder nur nachrangig mit Daseinsvorsorge befasst haben. Die Akteure kommen beispielsweise aus Bürgerschaft, Unternehmertum, Vereinswesen und kooperieren, um Daseinsvorsorgeinfrastrukturen aufrechtzuerhalten.
Die Auswahl der im Projekt erfassten Initiativen basierte auf vier Kriterien:
Die Initiative hat ihr Geschäftsfeld im Bereich sozialer und kultureller Daseinsvorsorge (z. B. im Bereich Gesundheit, Bildung, Nahversorgung, Kultur).
Sie ist durch neue Kooperationsstrukturen gekennzeichnet, das heißt, Akteure, die vormals nicht mit der Erbringung von Daseinsvorsorge betraut waren, spielen eine Schlüsselrolle und stehen im Austausch mit anderen Akteuren.
Es handelt sich um neue Finanzierungsmodelle, bei denen die öffentliche Hand eine geringere Rolle spielt, als dies traditionell üblich ist.
Die Initiativen sind in ländlichen oder nur teilweise städtischen Räumen gegründetworden oder in ländliche Räume übertragbar.
Zur Recherche sind Beschreibungen der Initiativen auf mehr als 40 unterschiedlichen „Plattformen“ ausgewertet und die oben aufgeführten Kriterien angewendet worden. Die Plattformen waren Wettbewerbe (z. B. „Menschen und Erfolge“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)), Programme (z. B. LEADER) und zugängliche Datenbanken von Stiftungen (z. B. Wüstenrot-Stiftung). Dabei wurden insgesamt 170 Initiativen ausgewählt und ihre Akteurkonstellation, ihr Tätigkeitsfeld, ihre Organisationsform und ihre Finanzierung in einer Datenbank erfasst. Zu den Initiativen gehören beispielsweise Dorfladenkonzepte, der Neubetrieb von Theatern, Schwimmbädern und Kinos in verschiedenen Rechts- und Organisationsformen wie Bürgerstiftungen oder Genossenschaften. Die Daten sind hauptsächlich aus im Internet zugänglichen Informationen (Websites, Presseartikel, Projektberichte) gewonnen worden. Gegebenenfalls wurden verantwortliche Personen zur Klärung von Fragen per E-Mail oder Telefon kontaktiert.
Im Anschluss daran sind vertiefende Interviews mit Beteiligten von 12 dieser Initiativen geführt worden, in denen der Entstehungsprozess der Unternehmung, angefangen von der ersten Idee über die Implementierung bis zum laufenden Betrieb, biographisch rekonstruiert wurde (vgl. zur Methode Innovationsbiographien Butzin/Widmaier 2016). Merkmale für die Auswahl der Initiativen waren ihr Bestehen über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren, eine bereits solide entwickelte Finanzierungs- und Organisationsform und die Beteiligung von mindestens drei unterschiedlichen Akteurtypen.
Die nachfolgende Analyse basiert auf diesen Datenquellen. Für die empirische Diskussion des Raumdilemmas sind allerdings nur solche Initiativen ausgewertet worden (N = 65), die nach der Klassifikation des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumentwicklung (BBSR 2015) in ländlichen Räumen liegen. Als Einstieg in die Diskussion des Raumdilemmas stellt Abbildung 2 die Verteilung der 65 in ländlichen Räumen gelegenen Initiativen nach schrumpfenden, stabilen oder wachsenden Gemeinden dar.
Abbildung 2
Initiativen in wachsenden und schrumpfenden ländlichen Gemeinden. Quelle: Datenbasis: Langguth/Butzin/Elbe et al. (2015); Laufende Raumbeobachtung (BBSR 2010 (Referenz Kreise/Kreisregionen zu Kreistypen; wachsende und schrumpfende Gemeinden)); eigene Kartenerstellung

Betrachtet man die Verteilung der Initiativen auf wachsende, stabile und schrumpfende ländliche Räume (vgl. Abbildung 3), zeigt sich, dass die meisten Initiativen in schrumpfenden Regionen zu finden sind. Dies widerspricht zunächst einmal den Ergebnissen aus dem Engagementatlas. Wird allerdings berücksichtigt, dass die meisten ländlichen Gemeinden in Deutschland schrumpfen (vgl. Abbildung 4), sind auch in unserer Empirie die strukturschwachen Gemeinden leicht unterrepräsentiert.
Abbildung 3
Initiativen nach Raumtypen. Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von BBSR (2010)

Abbildung 4
Struktur der ländlichen Gemeinden (Grundgesamtheit). Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von BBSR (2010)

Diese Verteilung muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es sich bei den von uns betrachteten Initiativen um nominierte Wettbewerbsbeiträge aus ländlichen Gemeinden handelt. Relativ gesehen wurden die Initiativen in wachsenden Gemeinden häufiger gefördert als die in schrumpfenden Gemeinden. Dies heißt aber nicht zwingend, dass die Förderung in schwachen Räumen keine besondere Aktivierung verursacht hat und der Engagementunterschied ohne die Förderung niedriger wäre. Hier bedarf es weiterer Forschungsarbeiten, die beispielsweise die Aktivierungsmechanismen dieser Initiativen betrachten.
Aus einer modellhaften Perspektive kann jedoch im Falle weiterer Unterstützung ehrenamtlichen Engagements angenommen werden, dass durch das höhere Engagement in prosperierenden Regionen die bereits privilegierten Räume begünstigt werden. Über die hohe Engagementquote hinaus scheint es folgerichtig, dass hier ebenso auch die Mobilisierung zusätzlichen Kapitals aus der Bürgerschaft leichter zu realisieren ist. Dies bedeutet, dass Räume mit weniger monetärem Kapital Gefahr laufen, auch über weniger soziales Kapital zu verfügen.
Der viel zitierte Begriff „soziales Kapital“ kann im Kern auf den französischen Soziologen Bourdieu (1986) und auf den US-amerikanischen Politologen Putnam (1993) zurückgeführt werden. In beiden Konzepten geht es um soziale Beziehungen, Netzwerke, Normen, Vertrauen und gegenseitige Verpflichtungen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Putnams „soziales Kapital“ als Gegentrend zur Entsolidarisierung und Individualisierung positiv konnotiert wird, während Bourdieu Sozialkapital als Macht- und Karrierepotenzial sieht, das indirekt in monetäres Kapital konvertierbar ist und soziale Ungleichheit begründet (Braun 2003: 3 ff.). Bourdieu adressiert zwar damit Ungleichheit, allerdings in Bezug auf Klassen und nicht auf Regionen. Putnams Konzept wurde hingegen beispielsweise dafür verwendet, komparative Vorteile von Regionen zu erklären (Döring/Blume 2009: 223 ff.). Traditionell wurden im Rahmen der regionalen Struktur- und Kohäsionspolitik vor allem bedürftige Räume gefördert, die also über vergleichsweise wenig monetäres Kapital verfügen (Clifton/David/Gärtner et al. 2014: 157). Durch eine Fokussierung der Förderpolitik auf Engagement kann angenommen werden, dass vor allem diejenigen Regionen gefördert werden, die bereits besonders mit sozialem (und damit auch monetärem Kapital) ausgestattet sind. Räumliche Disparitäten könnten so weiter verstärkt werden, was schwer mit dem grundgesetzlich verankerten Ziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse vereinbar wäre. Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen sind im Grundgesetz in Artikel 72 Abs. 2 geregelt, der dem Bund die Handlungsvollmacht bzw. Gesetzgebungskompetenz überträgt, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“.
Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit hat es bereits eine Relativierung gegeben. So wurde nach der Wiedervereinigung der Passus in Artikel 72 Abs. 2 des Grundgesetzes von „Einheitlichkeit“ in „Gleichwertigkeit“ der Lebensverhältnisse verändert (vgl. Eickhof 2005: 2; Hahne 2005: 259), was einen größeren Interpretations- und Handlungsspielraum eröffnet. Es geht demnach nicht um gleiche, sondern um gleichwertige Lebensbedingungen. Die Relativierung von der Einheitlichkeit zur Gleichwertigkeit wird bis heute zwar nicht besonders öffentlichkeitswirksam, aber dennoch kontinuierlich kontrovers diskutiert. Die einen betonen den größeren Spielraum als Vorteil, denn „grundlegende Unterschiede zwischen Metropole und Dorf, zwischen äußerst dünn besiedelten und hoch verdichteten Regionen, zwischen Industrierevier und Tourismusregion, zwischen Kernstadt und Suburbia lassen sich nicht nivellieren. Auch kann eine solche Nivellierung in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft, die Zukunftsmöglichkeiten gerade durch Differenzierung schafft, nicht angestrebt werden“ (Hahne 2005: 260). Andere sehen die Gefahr, dass „die schleichende Akzeptanz von Versorgungsengpässen des öffentlichen Raums zu regionalen und kulturellen Eigenheiten umgedeutet werden“ (Kersten/Neu/Vogel 2015a: 2). „Der Wert gleicher Lebensverhältnisse ist eine institutionelle Zusage, die die materiale Basis einer lebendigen Demokratie bildet“, so Kersten, Neu und Vogel (2015a: 7), und Forschungsergebnisse zeigen tatsächlich, dass Ungleichheit negative Wirkungen auf Wohlstand und Demokratie haben kann (Kotschy/Sunde 2017).
Wenn Daseinsvorsorge stärker aus einer zivilgesellschaftlichen und weniger aus einer Verwaltungsperspektive gestaltet wird, kann diese damit zwar verbessert werden, wie Fallstudien veranschaulichen (Bovaird 2007: 846), folgt dann aber anderen Gesetzmäßigkeiten, und die aktiven und meinungsführenden Personen bestimmen, welche Art von Daseinsvorsorge wie angeboten wird. Aus der Partizipationsforschung ist bekannt, dass sich vor allem solche Bevölkerungsgruppen beteiligen, die über einen hohen Bildungsstand sowie die finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten verfügen (vgl. z. B. van Deth 2009: 153). Gemäß Freiwilligensurvey 2014 engagieren sich 54,1 % der Menschen, die über einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss verfügen. Dem gegenüber steht nur eine Engagementquote von 23,5 % innerhalb der Gruppe von Personen mit Haupt- oder Realschulabschluss ohne Berufsausbildung (Simonson/Hameister 2016: 429). Auch die Einkommenssituation spielt eine Rolle. So engagieren sich 50 % der Menschen mit einer selbst empfundenen positiven Einkommenssituation, demgegenüber lediglich 26,9 % innerhalb der Gruppe mit einem als schlecht eingeschätzten Einkommen (Simonson/Hameister 2016: 429). Durch diese Unterschiede entsteht tendenziell eine Art Exklusivität sowie die Möglichkeit, dass die Belange weniger artikulationsfähiger Menschen nicht in die Haupttätigkeitsbereiche ehrenamtlichen Engagements mit einfließen. Dies birgt die Gefahr, dass Daseinsvorsorge einer zunehmenden Liberalisierung und Entdemokratisierung (Crouch 2004) ausgesetzt ist. Durch die Umsetzung eigener Interessen und Wertevorstellungen, insbesondere aber auch durch die Mobilisierung neuer Förder- und Finanzierungsquellen können Machtstrukturen aufgebaut werden. Zwar ist die Gefahr, dass Bürger benachteiligt sind, weil sie nicht von den Angeboten dieser Daseinsvorsorge profitieren, auch dann gegeben, wenn der Staat das ,Produktdesign‘ übernimmt. Allerdings sind die damit beauftragten kommunalen Bediensteten weniger emotional involviert, da sie nicht aus persönlichem Interesse handeln und die Leistungen somit objektiver gestalten können. Die Kehrseite einer höheren Zielgenauigkeit der durch bürgerschaftliches Engagement entwickelten Angebote kann also eine hohe Spezialisierung sein, durch die bestimmte Gruppen von der Wahrnehmung des Angebots ausgeschlossen sind.
Wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, lässt sich aus vorliegenden Untersuchungen ableiten, dass sich mehr Menschen in prosperierenden als in strukturschwachen Regionen engagieren. Auch in unserer Untersuchung zeigt sich, dass die ausgewählten Initiativen häufiger in wachsenden als in schrumpfenden Gemeinden zu finden sind. Allerdings ist der Unterschied zwischen diesen Gruppen nicht sehr groß, was darin begründet liegen könnte, dass in demographisch schrumpfenden Räumen der Problemdruck hoch ist und sich die Initiativen stark von Wettbewerben und Förderprogrammen angesprochen fühlen. Dies ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass es in den Sekundärstudien nicht – wie in unserer Untersuchung – um regionales Engagement oder Engagement für Daseinsvorsorge, sondern allgemein um bürgerschaftliches Engagement ging.
Bringt man also die Untersuchungen in einen Zusammenhang, dann lässt sich die empirisch gestützte Hypothese ableiten, dass sich Engagement auch in strukturschwachen peripheren Räumen aktivieren lässt. Hilfreich dazu wären Förderkulissen, die eher bedürftige Regionen adressieren und dafür adäquate Instrumente vorsehen. Auch auf das Potenzial strukturschwacher Räume (z. B. leerstehende Gebäude, die für solche Angebote genutzt werden könnten) sollte dabei besonders hingewiesen werden. Hier können Dinge erprobt werden, die woanders aufgrund des ökonomischen Verwertungsdrucks nicht realisierbar erscheinen. So kann der Nachteil der strukturellen Schwäche einer Region auch Vorteile implizieren und Zwischennutzungen, beispielsweise für Kultur- und Kreativschaffende bieten (vgl. Ermann 2011). Allerdings läuft die Argumentation, dass sich besondere Chancen aus Krisenkreisläufen ergeben oder, wie Kersten, Neu und Vogel (2015a: 3) es ausdrücken, verödete Räume in „Kreativzonen“ umbenannt werden, Gefahr, dergestalt verstanden zu werden, dass es durch eine ,unsichtbare Hand‘ im Sinne Adam Smiths zu einer ausgeglichenen Regionalentwicklung kommt, wenn sich der Staat nur heraushält. Es bedarf auf jeden Fall politischer Intervention, um strukturschwache Regionen zu entwickeln. Kersten, Neu und Vogel (2015b: 22 ff.) schlagen beispielsweise vor, Daseinsvorsorge als Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz zu sichern, um mit einem starken rechtlichen Instrumentarium eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Dies soll durch eine grundgesetzliche Ergänzung der bereits bestehenden Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ vollzogen werden. Dazu wären bestimmte Gebiete, ähnlich wie bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, zu spezifizieren, in denen Fördermaßnahmen umgesetzt werden könnten. Ergänzend sollten aus unserer Sicht die Kommunen finanziell entlastet werden und als dritte Säule ein „Wettbewerb der Ideen in den Regionen“ durchgeführt werden, der weder das „Rennen des Wettbewerbsföderalismus“ noch die „immer gleichen schwächelnden Regionen“ fördern soll. Vielmehr soll der Wettbewerb strukturstarke undstrukturschwache Regionen zusammenbringen und im Sinne eines zu entwickelnden „soziale-Orte-Konzepts“ Verbindung zwischen Wachstums- und Schrumpfungsregionen schaffen (Kersten/Neu/Vogel 2015c: 7).
Dies heißt aber nicht, dass es ausreichend ist, wenn die öffentliche Hand oder Stiftungen Wettbewerbe für bedürftige Regionen ausloben und sich ansonsten zurückziehen. Wettbewerbe – und dies gilt sowohl für jene, die sich an alle Regionen wenden, als auch für die, die sich explizit strukturschwachen Regionen widmen – können durch die Aufbereitung und zur Verfügungstellung der Erfolgs- und Aktivierungsfaktoren von bürgerschaftlichen Initiativen der Daseinsvorsorge ergänzt werden. So sollte es neben einem Aktivierungsprozess auch um die Organisation eines Lern- und Begleitprozesses gehen. Daher wollen wir hier einen Beitrag zum Verständnis der Erfolgs- und Aktivierungsfaktoren von bürgerschaftlichem Engagement in der Daseinsvorsorge leisten.
Umfängliche Literatur beschäftigt sich mit dem Aufbau und der Wirkung von das Ehrenamt unterstützenden Einrichtungen (vgl. z. B. Keupp 2003; Born 2005; Generali Zukunftsfonds 2015). Wolf und Zimmer (2012: 166 f.) fassen die derzeitige Situation mit den folgenden Herausforderungen zusammen: Viele Unterstützungseinrichtungen verfügen über eine so geringe finanzielle Ausstattung, dass sie oftmals nur in kurzfristigen Zeiträumen planen können und Personal entsprechend nur befristet eingestellt werden kann. Hoher Akquisitionsdruck um Fördermittel führt zu Konkurrenz unter den Einrichtungen und zur stetigen Generierung neuer Themen und Zielgruppen, um neue Fördermittelgeber (dazu zählen auch Unternehmen und Stiftungen) anzusprechen. Trotzdem besteht seitens der Einrichtungen der Wille untereinander zu kooperieren, aufgrund des Konkurrenzdrucks beschreiben Wolf und Zimmer (2012: 166) die Kooperationsstrukturen aber als „fragile Gebilde“.
Über Wettbewerbe und Unterstützungseinrichtungen hinaus unterteilt Stecker (2002: 134) die Vielzahl der engagementunterstützenden Förderstrukturen in ideelle bzw. immaterielle und materielle Förderung. Sie unterscheidet immaterielle Förderstrukturen auf staatlicher (z. B. Ehrungen und Auszeichnungen wie Verdienstorden und Urkunden), gesellschaftlicher (z. B. Danksagungen, Empfänge, Ehrenamtsausweise, Zeugniseinträge) und gemeinschaftlicher Ebene (z. B. Feierlichkeiten, Lob, Dankesschreiben, Mitsprache und Partizipation). Materielle Förderung kann in Form von finanziellen Leistungen (Verdienstausfallerstattung, Übungsleiterpauschalen), geldwerten Vorteilen (Ermäßigungen, Steuererleichterungen) und praktischen Vergünstigungen und Privilegien (Sonderurlaub, Bildungsurlaub) erbracht werden.
Jenseits dieser unterstützenden Infrastruktur zeigt unsere Studie, dass es weitere Aktivierungs- und Erfolgsfaktoren ehrenamtlichen Engagements gibt. Aus der quantitativen Empirie und den Fallstudien haben wir daher die folgenden fünf Erfolgsfaktoren gebildet (vgl. auch Langguth/Butzin/Elbe et al. 2015), die wir, soweit möglich, mit Erkenntnissen aus der Literatur abgeglichen haben:
Viele Projekte werden meist als Antwort auf einen Missstand vor Ort, wie ein leerstehendes Gebäude oder die Schließung einer Einrichtung, initiiert. Dies deckt sich mit einer repräsentativen Stichprobe, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2014) in Auftrag gegeben hat. „Rund die Hälfte nennt [...] als vorrangig oder auch bedeutsam die Wünsche, empfundene Missstände zu beheben (59%) [...]“ (BMFSFJ 2014: 14). Die Idee bzw. Initiative, einen Missstand zu überwinden, geht meist von einer einzelnen Person oder kleinen Gruppe als „Leader“ oder Schlüsselfiguren des Wandels aus (vgl. auch Gailing/Ibert 2016). Oftmals kommen weitere Interessierte in dieser Phase hinzu, die ebenfalls neue Impulse einbringen. Sie werden nicht zwingend aufgrund ihrer Kompetenzen eingebunden, sondern weil sie den gemeinsamen Willen und das Interesse besitzen, etwas bewegen zu wollen.
Unsere Beispiele zeigen, dass die Wahrnehmung eines Missstandes alleine nicht ausreicht, sondern dass es vielmehr einer Lösungsidee und konkreten Tätigkeitsfeldern bedarf. Voraussetzung dafür ist eine Offenheit gegenüber Neuem und eine Bereitschaft zu experimentieren. Außerdem ist es hilfreich, Erfolgsgeschichten darüber zu hören, dass sich regionale Lebensqualität gestalten lässt, und ein Selbstverständnis dafür zu fördern, dass die Betroffenen einen Anspruch auf hohe Lebensqualität haben.
Abbildung 5 stellt die Häufigkeiten der gewählten Tätigkeitsfelder der Initiativen dar. Demnach sind die untersuchten Initiativen häufig in den Tätigkeitsfeldern multifunktionale Einrichtungen, Kultur, Freizeit/Sport und Bildung gegründet worden. Diese Tätigkeitsfelder können als engerer Kern verstanden werden. Daran schließen nachgeordnet die Bereiche Pflege und Betreuung, z. B. von Menschen mit Behinderungen, an sowie Altenpflege, Altenfürsorge und Gesundheit (weiterer Kern). Mit fast allen Initiativen ging die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten einher. Es ging den Initiativen scheinbar nicht nur darum, eine weggefallene Daseinsvorsorgefunktion zu kompensieren, sondern auch Begegnungsorte zu schaffen. So scheint die Schaffung von physischen Orten der Begegnung ein zentrales Motiv zu sein, sich vor Ort zu engagieren.
Abbildung 5
Tätigkeitsfelder der Initiativen (Mehrfachnennungen möglich). Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Butzin/Elbe/Faller et al. (2015: 3)

Die Chance, dass eine spontan entstandene Unterstützergruppe erfolgreich ist, hängt auch davon ab, ob vor Ort etablierte Formen der Zusammenarbeit vorhanden sind. In der vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführten Umfrage zu den Motiven von Engagierten (BMFSFJ 2014: 14) ist festgestellt worden, dass diejenigen, die sich aktuell engagieren, dies auch schon vorher getan haben, also eine gewisse Engagementerfahrung aufweisen. Dies untermauert unsere Ergebnisse (vgl. Butzin/Elbe/Faller et al. 2015; Langguth/Butzin/Elbe et al. 2015). Denn wenn Engagement vor Ort gelebt wird, ist die Chance größer, dass die Akteure auch bereits früher aktiv waren. Hilfreich ist es beispielsweise, wenn auf eine rege Vereinskultur zurückgegriffen werden kann, die Akteure Erfahrungen in der Kooperation haben und sich gegenseitig vertrauen.
Allerdings schwankt das Engagement, wie die Erfahrungsberichte unserer Beispiele (vgl. Butzin/Elbe/Faller et al. 2015; Langguth/Butzin/Elbe et al. 2015) zeigen, zwischen Euphorie, Aufopferung, teilweise auch Überforderung und kurzem Aufflackern. Bürger sind häufig daran interessiert, ihren Lebensraum mitzugestalten und sich in unterschiedlichster Form zu engagieren. Es zeigt sich aber auch häufig, dass die Akteure nicht kontinuierlich engagiert bleiben. Dies gilt auch – oder besonders – für Gemeinschaftsgüter (im weiteren Sinne), also für Prozesse bzw. Entwicklungen (z. B. ein lokales Versorgungsangebot), von denen Engagierte selbst – aber ebenso viele andere – profitieren würden. Der Umkehrschluss der in der Umfrage (BMFSFJ 2014) festgestellten Tatsache des sich wiederholenden Engagements ist, dass die Engagierten vorheriges Engagement schon einmal abgebrochen haben. Hier zeigen sich, wie auch wir es festgestellt haben, multikausale Gründe. Überforderung („Hinweise auf Zeitmangel und Überanstrengung“ (BMFSFJ 2014: 29)) wurde am häufigsten genannt (63%).Weitere Gründe waren mit 38 % sachbezogen, wie „Wegzug oder Wegfall der Voraussetzung“, gefolgt von subjektiven Gründen (35%), „wie den Wunsch nach mehr freier Zeit und schließlich bei 32 % auch Unzufriedenheit mit dem Engagement [...]“ (BMFSFJ 2014: 29).
Abgesehen von den sachbezogenen Gründen (Wegzug oder Wegfall der Voraussetzung) könnten die Gründe für den Abbruch wenn auch nicht vermieden, dann zumindest abgemildert werden. Und dies deckt sich auch stark mit unseren Ergebnissen (vgl. Butzin/Elbe/Faller et al. 2015; Langguth/Butzin/Elbe et al. 2015). Es ist eindeutig, dass die Engagierten nicht zu stark eingebunden werden dürfen. Das Engagement darf ihre persönlichen Zeit- und Kräftekapazitäten nicht übersteigen. Dies ist jedoch deshalb ein Dilemma, weil diejenigen, die darauf achten könnten, in der Regel die Engagierten selber sind und wenn sie zu sehr auf sich achten und sich zurückziehen, dies zu Lasten der anderen Engagierten gehen kann – und umgekehrt, wenn sie auf die sich ebenfalls Engagierenden achten, sie zur Selbstausbeutung neigen.
Die Kommune ist häufig kompetenter Ansprechpartner, wenn es um die Frage von Fördermöglichkeiten, aber auch die regulativen Ansprüche und Genehmigungsverfahren geht. Die Bürger wissen oft, wie Angebote von allgemeinem Interesse auszugestalten sind, und haben diesbezüglich innovative Lösungen anzubieten. Dies bedeutet, dass Daseinsvorsorgeangebote entsprechend der eigenen Bedürfnisse gestaltet werden. Durch eine Aktivierung und breite Beteiligung lässt sich eine einseitige Ausrichtung vermeiden.
Staatlich bereitgestellte Dienstleistungen profitieren davon, dass es sich um eingespielte Prozesse handelt. Allerdings ist unterschiedliches Fachwissen gefragt – sei es technologisches, kaufmännisches oder Nutzer- und Innovationswissen –, welches durch die Öffnung der Leistungserbringung und die Erweiterung um Akteure mit unterschiedlichen fachlichen und/oder praktischen Hintergründen zugänglich gemacht wird. Daseinsvorsorge profitiert von diesen Wissenskombinationen, durch die auf örtliche Gegebenheiten angepasstes, lokales Wissen entsteht (Fischer 2000).
Die Einbindung unterschiedlicher Akteure wurde in den Interviews als wesentlicher Erfolgsfaktor der Initiativen bezeichnet. Dies liegt nicht nur daran, dass die Nachfrageseite aktiv in den Prozess eingebunden ist. Auch die mit den unterschiedlichen Akteuren einhergehende Kompetenzvielfalt gilt als wesentlicher Erfolgsfaktor. So kooperieren in den erhobenen Initiativen in ähnlich starker Ausprägung Bürger, Vereine und Kommunen (vgl. Abbildung 6), aber auch unternehmerisches Engagement ist in vielen Initiativen vorzufinden. In der Art des unternehmerischen Engagements lassen sich Unterschiede zwischen Handwerks- und Produktionsbetrieben erkennen. Während erstere eher Zeit und Kompetenzen spenden, beteiligen sich letztere an der Finanzierung. Strukturschwache Regionen sind hier benachteiligt, da dort ansässige Unternehmen über vergleichsweise geringe Kapitalressourcen verfügen (Raumdilemma). In geringerem Maße waren andere öffentliche Akteure, soziale Träger, Stiftungen und Kreise beteiligt.
Abbildung 6
Akteurtypen in den Initiativen (Mehrfachnennungen möglich). Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Butzin/Elbe/Faller et al. (2015: 3)

Ehrenamtliche Arbeit ist die Basis der Initiativen. Die Spanne an Tätigkeiten ist breit, schließt kontinuierliche (z. B. Büroarbeiten) wie temporäre (z. B. bei Veranstaltungen) Arbeit ein und ist zudem auch – bezogen auf eingebrachte Kompetenzen – sehr unterschiedlich (etwa von handwerklichen Arbeiten bis hin zur Erarbeitung des Finanzierungsplanes). Eine weitere wichtige Basis ist ein aktiv eingebundenes Bürgermeisteramt, also die ganz konkrete Einbringung von Arbeit (,mit anpacken‘) und Kompetenzen (z. B. bei der Beantragung von Fördergeldern) in die Initiativen seitens des Bürgermeisters (Butzin/Elbe/Faller et al. 2015; Langguth/Butzin/Elbe et al. 2015).
Neue kooperative Formen der Daseinsvorsorge hängen nicht nur von den überörtlichen Rahmenbedingungen und den örtlichen Gegebenheiten ab. Auch die kommunale Politik sowie Vertreter der Verwaltung können wesentlich dazu beitragen, dass die Initiativen gelingen, wie die von uns untersuchten Beispiele gezeigt haben. Es war nur in einem der insgesamt 12 in den Fallstudien analysierten Fälle so, dass sich die Initiative gegen den Willen der Kommune durchgesetzt hat. Bei allen anderen Initiativen war die kommunale Unterstützung gegeben. Wir vermuten, dass viele Initiativen, die von ihren Kommunen nicht unterstützt wurden, erst gar nicht über die Initiierungsphase hinauskamen und daher nicht bekannt sind.
Es kann angenommen werden, dass Kommunen, in denen eine Vielzahl von Akteuren als Partner eingebunden sind und in denen Unternehmen und die Bürgerschaft regionale Verantwortung übernehmen, resilient gegenüber Krisen und Veränderungen sind (vgl. Jakubowski 2013) und mit dem Raumdilemma verbundenen Abwärtsspiralen entgegenwirken. Engagement kann auf unterschiedliche Weise gefördert werden. So können Initiativen neben finanziellen Zuschüssen oder der temporären Überlassung von Immobilien bzw. Räumen von der Verwaltung unterstützt werden. Dabei kann die Verwaltungsarbeit der Vereine zentral in einem kommunalen Büro gebündelt werden. Ferner lässt sich durch Anerkennungsmechanismen vor Ort bürgerschaftliches Engagement aufrechterhalten bzw. gegebenenfalls auch steigern.
Die Bereitschaft, sich an traditionell von der Kommune zu erbringenden Aufgaben zu beteiligen ist unter anderem davon abhängig, welchen Einblick die Bürger und Unternehmen in die kommunalen Angelegenheiten und die Haushalte haben. Ist die finanzielle Lage der Kommune transparent, steigt auch die Bereitschaft sich zu engagieren. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass die Akteure, die außerhalb der Verwaltung und Politik stehen, als Partner ernst genommen werden und ihnen Sachverstand zugetraut wird.
Die von uns untersuchten Beispiele zeigen, dass unterschiedliche Finanzierungsmodelle und ein Mix von Finanzierungsquellen (öffentliche Förderprogramme, Spenden, Sponsorengelder) verwendet werden. In der Datenerhebung wurden die Initiativen in eine Startphase und den daran anschließenden Betrieb unterteilt, um die Inanspruchnahme der Finanzierungsquellen im Zeitverlauf analysieren zu können (vgl. Abbildung 7). Bei der Erhebung waren Mehrfachnennungen möglich, um die gesamte Spanne möglicher Finanzierungsquellen zu erfassen. Die zwei wichtigsten Finanzierungsquellen der Startphase – 99 mal haben Initiativen unter anderem auf öffentliche Fördergelder und 41 mal unter anderem auf Spenden zurückgegriffen – sind auch in finanzieller Hinsicht ein starker Hinweis auf Koproduktion. Die Finanzierung der Betriebsphase erfolgte bei 71 Initiativen anteilig aus Einnahmen aus erbrachten Leistungen, bei 67 anteilig aus Mitgliedsbeiträgen und nochmals bei 67 anteilig aus öffentlichen Geldern.
Abbildung 7
Finanzierungsquellen in Start- und Betriebsphase (Mehrfachnennungen möglich). Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Butzin/Elbe/Faller et al. (2015: 3)

Dass Kredite selten beansprucht werden, liegt unter anderem daran, dass lokale Banken kaum Möglichkeiten sehen, Kredite an Initiativen zu vergeben, obwohl die Kreditfinanzierung für einige der von uns untersuchten Projekte durchaus eine mögliche Finanzierungsvariante in der Startphase dargestellt hätte. Die Kreditfinanzierung von bürgerschaftlichen Initiativen bzw. Projekten sei aus der Sicht einiger Kreditinstitute mit einem erhöhten Risiko verbunden, wie bei Interviews im Rahmen des Projektes ausgeführt wurde. Die Entscheidungswege sind oftmals aufgrund der Struktur bzw. Rechtsform sehr komplex und es können häufig keine banküblichen Sicherheiten gestellt werden. Dies seien andere Ausgangsbedingungen als bei Unternehmen.
Wenngleich die Argumente der Banken nachvollziehbar sind, ist darauf hinzuweisen, dass die ablehnende Haltung der Kreditvergabe aufgrund des gesellschaftlichen Wandels überprüft werden sollte. Denn auch eine Gruppe von Menschen – ob lokal oder international – könnte eine Art von Risikoabfederung durch die Verteilung auf mehrere Schultern darstellen. Auch kann angeregt werden, ähnlich wie dies beispielsweise bei der Finanzierung von Windenergieanlagen üblich ist, Bürgersparbriefe für soziale oder kulturelle Projekte aufzulegen. Solche lokalen Finanzierungsprodukte hätten den Vorteil, dass Bürger, die ihr Geld beispielsweise in einem Bürgerschwimmbad angelegt haben, diese Einrichtung wahrscheinlich auch nutzen. Zwar ist in strukturschwachen Regionen (Raumdilemma) auch weniger Kapital vorhanden, allerdings sind die Investitionsmöglichkeiten auch günstiger als in prosperierenden Regionen und die Menschen könnten aufgrund der sichtbaren Missstände eher bereit sein, in soziale regionale Projekte zu investieren. Zudem wird zur (Teil-)Finanzierung von Projekten in der Daseinsvorsorge (noch) kaum auf
Auch hier decken sich unsere Ergebnisse mit anderen Untersuchungen: Deutschland verfügt zwar im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern (vgl. z. B. Reifner/Siebert/Evers 1998; Leyshon/Thrift 1999; Martin 1999; Cruickshank 2000; Sinclair 2001) und Entwicklungsländern sowie „Emerging Countries“ (vgl. für einen Überblick Demirgüç-Kunt/Beck/Honohan 2008), in denen für periphere bzw. strukturschwache Regionen häufig eine kredit- und bankwirtschaftliche Unterversorgung nachgewiesen wird, über eine andere Bankenmarktstruktur mit vielen kleinen regionalen Banken (Engerer/Schrooten 2004; Gärtner 2008; Conrad 2010; Klagge 2010). Jedoch liegt – auch wenn hier kein räumliches Problem vorliegt – zumindest teilweise eine sektorale Unterversorgung vor. Bürgerschaftliche Initiativen und Sozialunternehmen sind häufig aufgrund von zwei Gründen von fehlendem Zugang zu Finanzinstrumenten betroffen: Erstens können sie als nicht bankfähig (bzw. kreditwürdig) eingestuft werden, weil beispielsweise die Gewinnmaximierungsabsicht fehlt und keine Kredithistorie vorliegt. Zweitens kann auch bankfähigen und kreditwürdigen Kunden ein Unternehmenskredit versagt werden, wenn eine Bank aufgrund ihrer auf andere Geschäftsmodelle ausgelegten Analysemodelle zu dem Schluss kommt, das Investitionsvorhaben sei nicht rentabel oder zu unsicher (Gärtner/Flögel 2013: 141). Hingegen haben die Länder, deren Bankeninfrastruktur in der Fläche mangelhaft ist, wie z. B. Großbritannien, auch aus der Not heraus innovative Finanzinstrumente – angefangen von Mikrofinanzinstrumenten über
Auch wenn sich durch bürgerschaftliches Engagement in der Daseinsvorsorge positive Effekte für die Regionalentwicklung vermuten lassen, besteht die Gefahr der Verstärkung regionaler Disparitäten, die wir mit dem Raumdilemma aufgezeigt haben. Der Trend in der Regional- und Strukturpolitik, sich an endogenen Potenzialen zu orientieren, kann dies noch verstärken. So wurden im Rahmen der Strukturpolitik traditionell Regionen entsprechend ihrer Bedürftigkeit gefördert. Bei auf endogene Potenziale setzenden Ansätzen werden Regionen gefördert, die erfolgsversprechende Potenziale vorzuweisen haben. Das heißt, dass sich die Förderung auf die Regionen mit den besten Entwicklungschancen zu Lasten der Regionen mit den geringsten Entwicklungschancen konzentrieren würde. Dies kann sich auch auf das regionale Vermögen, z. B. in Form von engagierten Bürgern und möglicherweise Unternehmen, auswirken, solche Ansätze umzusetzen.
Ist es politisches Ziel, Regionen ohne wettbewerbsfähige Potenziale zu entwickeln, benötigen diese Regionen in der Regel einen Entwicklungsimpuls von außen, z. B. durch Ansiedlungen von Industrien oder die Schaffung herausragender Infrastrukturen (vgl. Gärtner 2008). Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass es in schwachen Regionen zusätzlich noch zu Entzugseffekten kommt. „Startet eine Region einen Wachstumsprozess [...], so verbreitert sich die regionale Investitionsbasis... Die wachsende Region wird sich dabei auf Kosten der weniger erfolgreichen Regionen profilieren, indem sie ihnen Kapital und qualifizierte Arbeit entzieht. Dies stellt nichts anderes dar als die Revision der Geschichte von Myrdal für unterentwickelte Räume“ (Genosko 1997: 3). Myrdal (1969) setzte mit seiner regionalen Polarisationstheorie der Hypothese einer gleichen Entwicklung der Regionen die These der zirkulären Verursachung eines kumulativen Entwicklungsprozesses entgegen. Deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, beispielsweise durch besondere Förderkulissen, das Engagement in strukturschwachen Regionen zu fördern.
Ferner sehen wir für alle Regionen Vorteile durch zivilgesellschaftliches Engagement, weil nicht nur zusätzliche Ressourcen aktiviert werden, sondern auch zusätzliche Kompetenz eingebracht und Identität geschaffen wird, wie in diesem Beitrag beschrieben wurde. Selbst wenn es in prosperierenden Regionen mehr Engagement gibt als in strukturschwachen Regionen, bedeutet dies, dass es durch Engagement im Allgemeinen allen Regionen zumindest absolut besser geht, auch wenn sich dadurch theoretisch der Wohlstandsabstand zwischen den Regionen erhöhen kann. Problematisch wird es nur dann, wenn sich der Staat gleichzeitig zurückzieht, vormals staatliche Leistungen durch Bürger erbracht werden und nur noch dieses Engagement unterstützt wird.
Die Hoffnung, dass die Zivilgesellschaft den Rückzug des Wohlfahrtsstaates kompensiert, ist nicht nur aus sozialpolitischer Sicht problematisch; sie wird auch dem Potenzial dieser Pioniere nicht gerecht, die nicht als Lückenbüßer angetreten sind, sondern versuchen, in neuen Konstellationen Formen und Lösungen umzusetzen, für die die ,etablierten‘ Akteure (z. B. in Gemeindeverwaltungen) anscheinend keine hinreichenden Angebote haben. Akteure, die sich – meist mit persönlichem Einsatz und Risiko – für ihre Nachbarschaft bzw. (benachteiligte) Gruppe oder ganz allgemein für eine sozial-ökologische Transformation engagieren, tun dies meistens in ihrem räumlichen Umfeld. Dabei besteht die Herausforderung, das Engagement auch in den Räumen, welche strukturell und monetär eher abgehängt sind, zu stärken, um dort eine weitere Abwärtsspirale zu verhindern. Ferner gilt es, Lerneffekte zwischen etablierten und nicht etablierten Akteuren gesellschaftlicher Verantwortung zu erzielen. Auch ist zu beobachten, inwiefern der Rückzug des Staates aus bisherigen Verantwortlichkeiten und die damit verbundene Übertragung von Aufgaben auf zivilgesellschaftliche Akteure zu Problembewältigung und Lösungen führt oder eben auch zur Überforderung.
Abbildung 1

Abbildung 2

Abbildung 3

Abbildung 4

Abbildung 5

Abbildung 6

Abbildung 7
