Wenn der Staat sich aus Aufgaben zurückzieht, die zu erfüllen er nicht gesetzlich verpflichtet ist, wenn ,Lücken‘ in der Versorgung mit Dienstleistungen entstehen, wenn die Finanzlage einer Gemeinde es nicht erlaubt, Veranstaltungen zu organisieren, oder wenn es keine privatwirtschaftlichen Angebote in dünn besiedelten, ländlichen und schrumpfenden Regionen gibt, dann wird gegenwärtig regelmäßig ,Ehrenamt‘ als vielversprechende Lösung propagiert. Schon ein oberflächliches Sichten politischer Berichterstattungen in Deutschland zeigt, dass rund um den Terminus „Ehrenamt“ ein engagementpolitischer Diskurs entstanden ist, der die Thematik für Politiken des Umgangs mit sozial- und raumpolitischen Problemlagen vereinnahmt. Sekundiert von wissenschaftlichen Studien werden in entsprechenden Diskussionen Forderungen nach einem Mehr an Engagement formuliert, die aktuell unter anderem auf die abwanderungs- wie alterungsbedingten demographischen Veränderungen reagieren, wie sie in unterschiedlichen Ausprägungen insbesondere in ostdeutschen ländlichen Regionen problematisiert werden (z. B. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer 2011). Ehrenamt im ländlichen Raum wird dabei oft als eine mögliche
Um dieser sozial eingebetteten Komplexität mehr Aufmerksamkeit zu schenken, wird im vorliegenden Beitrag ehrenamtliches Engagement in einer ländlichen, dünn besiedelten Region nicht als statische Variable und politische Ressource für die Überwindung von Strukturschwäche, sondern als soziale Praxis betrachtet. Der analytische Fokus liegt daher – fallspezifisch inspiriert – auf subjektiven und alltagsbezogenen (Problem-)Wahrnehmungen und Deutungsmustern ehrenamtlich engagierter Bürgerinnen und Bürger. Mittels dieser qualitativ-subjektorientierten Perspektive sollen Handlungslogiken offengelegt werden, um einerseits einen Beitrag zum Verständnis der individuellen Rationalisierungsformen im (ländlichen) Engagement zu leisten und gleichzeitig für ein kritisches Verständnis des Verhältnisses zwischen Dimensionen alltäglicher Praxis und gesellschaftspolitischen Anspruchsartikulationen in schrumpfenden ländlichen Regionen zu sensibilisieren.
Diese induktive und subjektbezogene Annäherung an ehrenamtliches Engagement als alltägliche Praxis liegt – neben einer konzeptionellen Kritik an simplifizierenden Kausalannahmen – vor allem auch in einer begrifflichen Diffusität begründet. So herrscht keinesfalls Einigkeit darüber, was genau mit dem Terminus „Ehrenamt“ bezeichnet wird. Etymologisch wird der Begriff von Evers, Klie und Roß (2015: 3) auf eine kommunalpolitische Einbindung des Bürgertums zurückgeführt, welche mit „Amtlichkeit, Staatsnähe, Patrimonität und gesellschaftlichem Ansehen“ verbunden und in diesem Sinne begriffsbestimmend für eine Übernahme von hoheitlichen Rechten und Pflichten gegen „Anerkennung und Ehre“ war (Hübner 2010: 35). Neben dieser historisch entlehnten Definition eines politischen Amtes konstatiert die Forschung jedoch insbesondere für die jüngere Vergangenheit einen Wandel hin zu einem „neuen Ehrenamt“ (vgl. Schüll 2004: 75 ff.; Hübner 2010: 39 ff.) – einem stärker individualisierten Zugang, weniger formalen Strukturen, kleineren Organisationsformen, größerer Flexibilität in der Ausgestaltung sowie flachere Hierarchien und ein höheres Maß an Selbstständigkeits- und Selbstverantwortungsspielräumen (Hübner 2010: 42). Hinzu kommt die ausgesprochen breite Palette konkret tätiger Menschen, die sich als Ehrenamtliche verstehen (z. B. Sportvereinsvorsitzende, Hospizhelferinnen und -helfer, Wahlhelferinnen und -helfer, Kommunionkatechetinnen und -katecheten), deren Tätigkeit als Ehrenamt adressiert wird und die nach dem Sozialgesetzbuch (SGB VII) als Ehrenamtliche Versicherungsschutz genießen. Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung und Pluralisierung findet sich in gesellschaftspolitischen Diskussionen sowie der Breite wissenschaftlicher Untersuchungen eine schwer abgrenzbare, oftmals analog erscheinenden Verwendung von Begriffen wie bürgerschaftliches Engagement, Freiwilligenarbeit oder auch zivilgesellschaftliches Engagement (vgl. Gensicke 2014: 108 ff.).
Die skizzierte begriffliche Vielfalt verdeutlicht, dass ein Sprechen über Das Material entstammt dem Projekt „Diskurs und Praktiken in schrumpfenden Regionen. Eine Untersuchung zur subjektiven Relevanz von Schrumpfungsdiskursen am Beispiel des Landkreises Altenburger Land“, DFG-Förderung 3/2013-8/2016 (Förderkennzeichen MI 725/2-1), Leitung J. Miggelbrink; Bearbeiter F. Meyer. Die Region des Altenburger Landes (im Osten Thüringens an der Grenze zu Sachsen) wurde auf der Basis einer statistik- und medienanalytisch gestützten Vorabuntersuchung gewählt, anhand welcher vor allem bestehende sozioökonomische Problemlagen und eine daraus resultierende Verdichtung negativer Zuschreibungen in regionalen und überregionalen Medien für den Landkreis diagnostiziert wurden.
Viele Gemeinden im Altenburger Land erfahren seit Jahren markante demographische Veränderungen. Zwischen 2000 und 2014 war im Landkreis ein Bevölkerungsrückgang von 18,8 %, von 114.200 auf 92.700 Bewohner zu verzeichnen.
Ehrenamtliches Engagement in ländlichen Räumen ist schon länger, in jüngster Zeit aber verstärkt, Gegenstand der deutschsprachigen Forschung (Kapitel 2.1). Dies hängt nicht zuletzt mit dessen gesellschaftspolitischer Aufladung zusammen und den Erwartungen, die von Seiten der Politik zunehmend an das Ehrenamt als Problemlösungsstrategie gestellt werden (Kapitel 2.2). Vor dem Hintergrund der aus unserer Sicht kritikwürdigen politisch-funktionalisierenden und simplifizierenden Betrachtungsweise entwickeln wir eine methodologische Perspektive (Kapitel 3), deren Fokus auf einer empirisch basierten Analyse sozialer Praktiken der Gestaltung von Alltag in schrumpfenden ländlichen Regionen und der einhergehend subjektbezogenen Wahrnehmungen und Handlungslogiken liegt (zur Durchführung der Empirie vgl. Kapitel 4). Im Zentrum unserer Fallstudie stehen die Sichtweisen der von uns Interviewten
In wissenschaftlichen Debatten wird ehrenamtliches Engagement in schrumpfenden ländlichen Regionen zumeist im Kontext der Sicherung einer vom Wegfall bedrohten Daseinsvorsorge diskutiert. Das Konzept der Daseinsvorsorge wird allgemein meist als die „Gewährleistung eines Angebotes ausgewählter, als lebensnotwendig eingestufter Güter und Dienstleistungen“ verstanden (ARL 2016: 2).Dabei ist keinesfalls immer klar, welche Güter und Dienstleistungen damit gemeint sind (vgl. Röbke 2012: 15). In einem klassischerweise an Infrastruktur orientierten Verständnis werden darunter „Brand- und Katastrophenschutz, Gesundheitsversorgung, Bildung, Post und Telekommunikation, Nahversorgung, Mobilität und Rettungsdienst“ gezählt (ARL 2016: 2).
Mit Neu (2013: 21) ist dabei kritisch anzumerken, dass ein (lösungsorientiertes) Verständnis stärker in Funktionen und nicht in Bündeln von Strukturen denken sollte. Dieser Idee folgend muss Daseinsvorsorge nicht primär infrastrukturell und im Sinne der „öffentlichen Gewährleistung eines Angebots ausgewählter, vom Gesetzgeber als lebensnotwendig eingestufter Güter und Dienstleistungen“ (BBSR 2012: 31) verstanden werden, sondern kann durchaus auch aus einer an individuellen Bedürfnissen orientierten Nutzerperspektive heraus betrachtet werden. Dies muss dabei keine Dichotomie zwischen materiellen und ideellen Belangen erzeugen. Steinführer, Küpper und Tautz (2012: 10) schlagen diesbezüglich eine präzisere Fokussierung auf „Einrichtungen und Dienstleistungen, die für die Gestaltung oder Wiederherstellung von Alltag in ländlichen Regionen von grundlegender Bedeutung sind“, vor. Mit der Betonung von ,Alltag‘ kann dabei das Konzept der Daseinsvorsorge um Fragen der Lebensqualität vor dem Hintergrund sozialer und demographischer Wandlungsprozesse erweitert werden (vgl. Steinführer/Küpper/Tautz 2012: 10). Dies rückt insbesondere den Subjektbezug in den Fokus der Betrachtung, da Lebensqualität neben „objektiv feststellbare[n] Ausstattungs- und Bestandsgrößen“ insbesondere auch eine subjektive Dimension hat, welche „kognitive und emotionale Reaktionen“ der betrachteten Personen umfasst (Schulz 2008: 121). Entsprechend ist zu kontextualisieren, welche Einrichtungen und Dienstleistungen als „lebensnotwendig“ – im Sinne der tradierten Definition – zu verstehen sind. Gleichermaßen lassen sich so kulturelle Dimensionen in Form von Dorffesten, Kunst- und Bauernmärkten, schauspielerischen und musischen Veranstaltungen sowie lokaler Geschichts- und Traditionspflege in die Diskussion um Gewährleistung von Daseinsvorsorge in schrumpfenden ländlichen Regionen einbeziehen.
Die rechtliche Grundlage der Diskussion um wegfallende Daseinsvorsorge ist das in Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes verankerte Leitbild der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“. Aring (2013: 43) beschreibt dieses Leitbild als räumliches Pendant des Sozialstaates, mittels dessen der Abbau von Disparitäten als zentrale Aufgabe von Raumordnung und Landesplanung begründet wird. Die Bedeutung und Tragweite des Leitbildes ist jedoch verschiedenen Auslegungen und Interpretationen unterworfen. Barlösius (2006: 17) stellt hierzu kritisch fest, dass es zumeist als Gleichheit bzw. Gleichförmigkeit der Lebensverhältnisse aufgefasst wird. In dieser Lesart erweisen sich die Verhältnisse im ländlichen Raum – verglichen mit urbanen Regionen – als zunehmend ungleich, denn hier nimmt seit Jahrzehnten beispielsweise die Zahl von Versorgungseinrichtungen bzw. Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs ab (Eberhardt/Küpper/Steinführer 2014: 168 f.).
Über Situationsanalysen hinaus wurde die Aufmerksamkeit in Teilen der deutschsprachigen wissenschaftlichen Debatte zunächst auf den praktischen und politischen Umgang mit dem konstatierten Problem und dabei insbesondere auf verschiedene Anpassungsstrategien der (institutionellen) Anbieter von Daseinsvorsorge, wie beispielsweise einer Angebotsreduktion, Verkleinerung, Dezentralisierung und Übertragung öffentlicher Aufgaben auf Ehrenamtliche, gerichtet (vgl. Steinführer/Küpper/Tautz 2014: 324 f.). Ebenso wurden Umgangs- und Bewältigungsversuche jenseits von Abwanderung und Alltagsmobilität auf Seiten der betroffenen Bevölkerung beschrieben, die sich zwischen aktiven Versuchen, eine Veränderung vor Ort zu initiieren, und passiver Resignation bzw. Selbstbeschränkung bewegen können (vgl. Steinführer/Küpper/Tautz 2014: 325 f.).
Dem Ehrenamt als (Teil einer) Anpassungs- bzw. Bewältigungsstrategie, um der zunehmend problematisierten Aushöhlung des Prinzips gleichwertiger Lebensverhältnisse im ländlichen Raum zu begegnen, wird vor allem in jüngerer Zeit wissenschaftliche wie politische Aufmerksamkeit zuteil. Dies lässt sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftlich sedimentierten Erwartungen sozialstaatlicher Fürsorge und (neuer) Erwartungen an Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger im ländlichen Raum verorten. Diese Verortung steht im Kontext eines gesellschaftspolitischen Transformationsprozesses, der in der Governance-Forschung als Wandel weg von einem „aktiven Wohlfahrtsstaat“ (Jann/Wegrich 2010: 177) hin zu einem Leitbild des „aktivierenden Staates“ (Jann/Wegrich 2010: 182) bezeichnet wird. An die Stelle defizitär gewordener Daseinsvorsorge – ursprünglich wohlfahrtsstaatlich reguliert, aber nun als nicht mehr finanzierbar postuliert – tritt im reformerisch-idealtypischen Leitbild des „aktivierenden Staates“ der Ruf nach mehr bürgerschaftlichem Engagement: „Die Zivilgesellschaft, die engagierten Bürger, die Freiwilligen aus Stadt und Land sollen es nun richten. [...] Sie sollen zur tragenden Säule sozialstaatlicher Strukturen werden“ (Kröhnert/Klingholz/Sievers et al. 2011: 5). Aring (2013: 54 f.) spitzt die Überlegung noch weiter zu, indem er die Möglichkeit von „Selbstverantwortungszonen“ im ländlichen Raum zur Diskussion stellt, in denen die betroffenen Mitglieder der Zivilgesellschaft vormals staatliche Aufgaben stärker selbst wahrnehmen
Die Förderung ehrenamtlichen Engagements ist ein relativ junges Thema der Bundespolitik. Erst seit etwa 15 Jahren wird Ehrenamt als eine politische Querschnittsaufgabe betrachtet (Olk/Gensicke 2014: 112). Ein initialer Impuls dafür wurde durch die 1999 eingesetzte Enquête-Kommission des Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ gegeben. In ihrem Abschlussbericht (Deutscher Bundestag 2002) ist eine Rhetorik des bürgerschaftlichen Engagements als kommunitarisches Element der Gesellschaft erkennbar: „Die Bürgerinnen und Bürger erneuern mit ihrem freiwilligen Engagement in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Tag für Tag die Bindekräfte unserer Gesellschaft“ (Deutscher Bundestag 2002: 2). Der „ermöglichende Staat“, wie es heißt, sehe es als seine „naturgemäße“ Aufgabe an, die „Kräfte der Gesellschaft darin zu unterstützen, selbstermächtigt, selbstorganisiert, in sozialer und bürgerschaftlicher Verantwortung Beiträge zum Gemeinwohl zu leisten“ (Deutscher Bundestag 2002: 58). Der Grundgedanke der Responsibilisierung – eigenverantwortliches Handeln für eine Gemeinschaft, für das der Staat lediglich eine Art äußeren Rahmen und ideellen Impuls bereitstellt – ist hier deutlich herauszulesen. Als Komplement zum Verantwortung übertragenden „ermöglichenden Staat“ ist dabei die Rede von einer – Verantwortung übernehmenden – „Bürgergesellschaft“ (Deutscher Bundestag 2002: 24).
Der Gedanke einer Gemeinschaft, in der Bürgerinnen und Bürger „durch das Engagement in selbstorganisierten Vereinigungen und durch die Nutzung von Beteiligungsmöglichkeiten die Geschicke des Gemeinwesens wesentlich prägen können“ (Deutscher Bundestag 2002: 24), findet sich in ähnlicher Form auch in der Nationalen Engagementstrategie von 2010 (Deutscher Bundestag 2010). Diese vom Bundeskabinett beschlossene Leitlinie knüpft Ehrenamt an aktuelle politische Aufgaben und dehnt dessen Bedeutung in wachstumsparadigmatischer Diktion auf die „Sicherung von Wachstum und Wohlstand für alle“ aus (Deutscher Bundestag 2010: 3). Ebenso dezidiert wie unscharf wird die Notwendigkeit ehrenamtlichen Engagements pauschal damit begründet, dass „Staat und Kommunen nicht mehr alles leisten können“ (Deutscher Bundestag 2010: 3).
Der diesem Dokument zu Grunde liegende Engagementbegriff bezieht sich im Stil einer Gemeinsinnrhetorik primär auf einen sozialen Nutzwert des Engagements (zur Einordnung vgl. Evers/Klie/Roß 2015: 7). Sowohl im Bericht der Enquête-Kommission als auch in der jüngeren nationalen Engagementstrategie wird Ehrenamt als graduelle Ablösung vormals sozialstaatlicher Aufgaben – und damit als deren Substitut – mit entwicklungspolitischen Forderungen verzahnt. Eigenverantwortliches Engagement kann damit als positives Gegenstück zu abzulehnender staatlicher Unterstützung verstanden werden, wie es der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler in einem kontrovers diskutierten Interviewbeitrag bezüglich unterschiedlicher Lebensverhältnisse in Deutschland bereits 2004 formulierte (vgl. Köhler 2004).
Entstehende Fehlstellen infolge des Abbaus sozialstaatlicher Leistungen werden in engagementpolitischen Diskursen mithin zu „Freiräumen für Selbstorganisation und Eigenverantwortung“, die durch eine „Kultur der Anerkennung“ (Deutscher Bundestag 2002: 131) legitimiert werden. Der auf Bundesebene seit 2003 verliehene „Deutsche Bürgerpreis“ stellt ein symbolisches Element dieser Anerkennungskultur dar, die sich auf allen Skalen politischadministrativen Handelns wiederfindet. In Thüringen gibt es beispielsweise seit 2004 das „Thüringer Ehrenamtszertifikat“, seit 2006 die „Thüringer Ehrenamtscard“ sowie seit 2008 die medienwirksame Auszeichnung „Thüringer des Monats“, verliehen durch den Sender „MDR1 Radio Thüringen“. Im Altenburger Land wird seit 2002 jährlich die „Goldene Ehrennadel“ an 25 engagierte Personen verliehen; in einer Festveranstaltung hob die Landrätin dankend hervor: „Tausende Menschen in unserem Landkreis sind ehrenamtlich tätig, ziehen gemeinsam an einem Strang, packen an und erfüllen all jene Aufgaben, für die der Landkreis aufgrund immer knapper werdender Kassen nicht mehr aufkommen kann“ (Landratsamt Altenburger Land 2014).
Die skizzierten engagementpolitischen Positionen – von der Bundes- bis zur kommunalen Ebene – sind in zweierlei Hinsicht kritisch zu sehen: Zum einen müssen mit Pott (2003: 348) normative Bedenken angeführt werden, da „bei aller Euphorie über erweiterte Formen der Selbstverantwortung und demokratischen Teilhabe am Gemeinwesen [...] die Bedürfnisse der Menschen nach sozialer Sicherheit nicht unterschätzt werden [dürfen]“. Zudem bestehe die Gefahr, dass es sich bei der rhetorischen Aufladung des scheinbar „lebensweltnahen“ Themas Ehrenamt mit weitreichenden demokratiepolitischen Visionen und sozialstaatlichen Reformgedanken schlicht um einen „Deckmantel für mehr Belastung und weniger Leistung“ handle (Pott 2003: 347 f.). Demnach wäre eine Kommodifizierung und letztlich (Aus-)Nutzung ehrenamtlichen Engagements durch politische Instanzen in Rechnung zu stellen. Nach Klein (2015: 12) macht die ökonomische Beanspruchung dabei die Förderung instrumentell und verletze damit den Eigensinn des Engagements.
Der zweite Kritikpunkt setzt an der Verkürzung des komplexen sozialen Phänomens Ehrenamt auf seine kompensatorische Funktion angesichts von Defiziten an, die im Aufgaben- und Funktionsspektrum staatlichen Handelns ausgemacht werden. Eine Sichtweise auf Ehrenamt als Füller für „,Löcher‘ im Dienstleistungsspektrum des modernen Sozialstaats“ blendet dabei mutmaßlich besondere Qualitäten des Engagements aus bzw. kann perspektivisch – im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung – zu einer tatsächlichen Einengung des Tätigkeitsspektrums führen (Röbke 2012: 13). So werden im Zuge funktionaler und nutzenorientierter Diskussionen um Ehrenamt subjektbezogene Aspekte bzw. individuelle Handlungslogiken bzw. Rationalisierungen und deren Einfluss meist ausgeblendet. Dies spiegelt sich auch in der bisher geringen Zahl qualitativ orientierter Fallstudien wider, die sich auf empirischer Basis kritisch mit der Bedeutung von ehrenamtlichen Engagementformen im Kontext der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum beschäftigen (z. B. Eberhardt/Küpper/Steinführer 2014; Steinführer/Küpper/Tautz 2014; Steinführer 2015). Daraus kann eine normative Falle resultieren, in die eine ehrenamtsbezogene Forschung gerät, wenn sie sich nicht von idealisierenden Leitbildern wie dem der „Bürgergesellschaft“ distanziert und damit „einen Beitrag zur ,Heranzüchtung‘ des zivilgesellschaftlichen Aktivbürgers“ leistet bzw. „den gesellschaftlichen Institutionen [...] die entsprechende ,Öffnung‘ für engagementwillige Bürgerinnen und Bürger andozier[t]“ (Schüll 2004: 21). Vor diesem Hintergrund haben wir einen subjektzentrierten Untersuchungsansatz gewählt, mit dem fallspezifisch Problemwahrnehmungen und Rationalisierungsformen des Engagements im ländlichen Raum offengelegt werden können.
Unser konzeptioneller und methodischer Zugang ist in der jüngeren Peripherisierungsforschung verankert. Einem anti-deterministischen und anti-essenzialistischen Ansatz folgend sind ländliche bzw. periphere schrumpfende Regionen nicht als abgegrenzt existierende Raumkategorien
Als Prämisse leiten wir daraus die Notwendigkeit einer subjektzentrierten Forschung ab (vgl. Meyer/Miggelbrink 2013), die im Kontext dieser Untersuchung dazu dient, regional diskutierte und problematisierte Rahmenbedingungen eines ehrenamtlichen Engagements in ländlichen Räumen – wie eben Schrumpfungsprozesse und ihre antizipierten Folgen – in erster Linie nicht als Entitäten bzw. unhinterfragte Tatsachen anzunehmen, sondern in ihrer individuell ausgehandelten Relevanz induktiv aus dem empirischen Material herauszuarbeiten. Schrumpfung ist mithin kein objektiver oder determinierender Bezug, sondern etwas, worauf
Vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten begrifflichen Diffusität einerseits und der kritisch diskutierten politisch-funktionalistischen Selbstverantwortungsrhetorik andererseits, kann der Terminus „Ehrenamt“ nicht direkt in eine analytische Kategorie übersetzt werden, ohne dabei durch seine Überfrachtung den Blick auf die sozialen, alltagsweltlichen Zusammenhänge zu verengen.
Aus dieser praxeologisch begründeten Epistemologie lassen sich interpretative Grenzen für die empirische Analyse ableiten: Das Feld ehrenamtlichen Engagements im Sinne von Praktiken der gemeinschaftlichen Gestaltung von Alltag, auch wenn es über persistente Elemente im Sinne von reproduzierten Wissens- und Sinnstrukturen verfügen kann, ist als fortwährend veränderter, raumzeitlich fixierter Ausschnitt sozialer Wirklichkeit zu verstehen. Im Folgenden dargelegte empirische Befunde sind demnach eine Momentaufnahme. Das Ziel besteht darin, Muster gesellschaftlicher Praktiken zu untersuchen, dabei jedoch gleichzeitig die Kreativität und Ereignishaftigkeit verschiedener Akteure und Situationen zu berücksichtigen (Kajetzke/Schroer 2015: 11).
Die in der Analyse verwendeten zehn problemzentrierten, jeweils etwa 60-minütigen Interviews (Int_01_PZ - Int_10_PZ) sowie eine rund 90-minütige Gruppendiskussion (GD_01) wurden von November 2015 bis April 2016 mit ehrenamtlich engagierten Personen im Altenburger Land durchgeführt. Aus der Gesamterhebung des Projekts wurden weitere neun Experteninterviews zur Thematik mit Bürgermeistern (Int_03_Exp, Int_04_Exp, Int_06_Exp, Int_08_Exp) sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Verwaltungsgemeinschaften (Int_05_Exp, Int_07_Exp) und des Landratsamtes (Int_01_Exp, Int_02_Exp, Int_09_Exp) einbezogen.
Um das in Kapitel 3 konzeptionell begründete Feld sozialer Praktiken der gemeinschaftlichen Gestaltung von Alltag in schrumpfenden ländlichen Regionen im Zuge einer Fallstudie klarer abzustecken, wurde ein
Das transkribierte und anonymisierte Material wurde nach dem Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2010) unter Zuhilfenahme der Software MaxQDA analysiert. Im Sinne eines inhaltlich-strukturierenden Kodierens wurden dabei primär induktiv – durch mehrmaliges reflexives Durcharbeiten der Transkriptionen – Sinnstrukturen in einer Art Rückkopplungsschleife eng am Material herausgeschält (vgl.Mayring 2008: 474). Die im Folgenden beschriebenen empirischen Befunde entspringen in ihrer Struktur also nicht Vorannahmen und Vorabüberlegungen unsererseits, sondern bewegen sich nah an den geschilderten Alltagsbezügen der ehrenamtlich Engagierten.
Eine erste Beobachtung ist die schleichende Ausdehnung ehrenamtlichen Engagements in der Untersuchungsregion. Ehrenamtlich Engagierte, so ein wiederkehrender Topos der Gespräche, führen seit einiger Zeit vermehrt Tätigkeiten aus, die vormals teilweise oder vollständig im Aufgabenbereich der Kommunen lagen. Diese Verlagerung wird von den Interviewpartnerinnen und -partnern weitgehend unhinterfragt hingenommen. Verschiebungen werden überwiegend – eingebettet in subjektbezogen-individuelle Motivkomplexe des Engagements – pragmatisch als Notwendigkeit interpretiert. So beschreibt die Mitarbeiterin einer Verwaltungsgemeinschaft im Altenburger Land auf die Frage hin, ob sie in den letzten Jahrzehnten eine Veränderung in der Rolle des Engagements in der Region wahrgenommen hätte:
Andere Interviewpartnerinnen und -partner bestätigen, dass immer mehr Vereine gemeinschaftliche Aktionen in Eigenregie organisieren, weil „ein gewisser Standard“, der jedoch nicht expliziert wird, aufgrund kommunaler Finanzlagen anders schwer zu halten sei:
Wie in dieser Schilderung ehrenamtlich Tätiger im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit wird den Vereinen generell eine tragendere Rolle für den Erhalt von Aspekten der Lebensqualität vor Ort zugesprochen als der Kommunalverwaltung selbst. Ein Mitarbeiter im Landratsamt räumt in diesem Zusammenhang zwar ein, dass einiges „sicherlich gemeinsam mit der Gemeinde oder mit den Kommunen“ durchgeführt werde, „aber ohne das Engagement der vielen Menschen würde vieles gar nicht möglich sein. Weil es könnte gar keiner stemmen so“ (Int_09_Exp: 200).
Hier klingt auch an, dass es keine klar definierte Grenze zwischen ehrenamtlichen und kommunalen Aufgaben zu geben scheint. Die Aushandlung von Verantwortlichkeiten ist vielmehr in lokale und anlass- bzw. auch personenbezogene Zusammenhänge eingebettet und bringt folglich keine generalisierbaren Konstellationen hervor. So scheint die ehrenamtliche Übernahme kommunaler Aufgaben in den betrachteten Engagementfeldern auch nicht ausschließlich strukturell bzw. finanziell induziert. In einem Interview werden diesbezüglich zum Beispiel auch bürokratisch-verwaltungsbedingte Unbeweglichkeiten der Gemeinde angeführt. So berichtet ein Mitglied eines Vereins, der für die Pflege eines örtlichen Denkmals Spenden sammelt:
Diese Beweggründe für die Aufgabenteilung werden vereinzelt durchaus sarkastisch reflektiert. Auf die Frage hin, ob es von der Kommune Unterstützung für das Engagement der Vereine gebe, antwortet ein ehrenamtlich Mitwirkender in einem Heimatverein: „Meistens ist es so, dass die Vereine der Kommune was bringen und, ja, eventuell mal gesagt wird, schön dass ihr da seid“ (Int_08_PZ: 102 ff.).
Über die vermisste Unterstützung und Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit hinaus wird jedoch in keinem der Interviews die empfundene Verantwortungsverlagerung durch die Gesprächspartnerinnen und -partner als etwas Oktroyiertes oder Aufgezwungenes beschrieben. Die kritischste Position ob der diffusen Grenzen zwischen ehrenamtlichen und kommunalen Aufgaben nimmt eine Mitarbeiterin des Landratsamtes ein:
Auffallend bei dieser Forderung nach mehr Unterstützung für das Engagement ist eine unspezifische Identifizierung der Schuldigen. Es ist die Rede von „der Politik“ und nicht von adressierbaren kommunalen Akteuren oder dem Landratsamt als einer Förderinstanz der Vereinstätigkeit im Landkreis. Diese Einbettung der Aushandlung von Verantwortlichkeiten in diffuse übergeordnete („politische“) Zusammenhänge findet sich in einigen Interviews wieder – jedoch meist in einer rationalisierend-legitimierenden, weniger anklagenden Konnotation. Ein Beispiel dafür liefert das Mitglied eines Vereins, der sich für die Instandhaltung eines bereits etwa 50 Jahre alten, vormals kommunal finanzierten und von der Schließung bedrohten Freibads einsetzt. Dieser Verein erhält Zuschüsse von der Kommune, kümmert sich aber zu einem großen Teil selbst um Einnahmen für den Betrieb des Freibads. Der Gesprächspartner sieht die Entlastung der Kommune im Vordergrund und strebt daher mittelfristig eine vollständige finanzielle Unabhängigkeit an:
Deutlich wird, dass die Übernahme vormals durch die Gemeinde getragener Aufgaben nicht als konfliktbehaftet und aufoktroyiert wahrgenommen wird, sondern mittels des Verweises auf prekäre Kommunalfinanzen rationalisiert und legitimiert wird. Responsibilisierung führt nicht zur Schuldzuweisung. Eher scheint das Gegenteil der Fall:
Die Gemeinde selbst wird vom interviewten Mitglied des Freibad-Fördervereins unter einem übergeordneten Druck wirtschaftspolitischer Zwänge gesehen, aufgrund derer sie immer weniger Geld für Aspekte von Daseinsvorsorge ausgeben kann, auch wenn sie dies, wie viele Gesprächspartnerinnen und -partner betonen, gern tun würde (vgl. Kapitel 5.2).
Dass insgesamt pragmatische Haltungen der Rechtfertigung und Legitimation der Übernahme kommunaler Aufgaben im Bereich Kultur und Orts- bzw. „Heimatpflege“ dominieren, scheint damit zusammenzuhängen, dass ehrenamtliches Engagement lokal
Weiter betont der Gesprächspartner,
Dieses Bewusstsein einer eigenen Verantwortung offenbart die intrinsische Dimension des Engagements. Die Aushandlung von Verantwortlichkeiten zwischen kommunal-hauptamtlichen und ehrenamtlichen Akteuren ist auf einer sozialen Ebene angesiedelt und angetrieben durch persönliche, lebensweltlich eingebettete Motive: Sei es das oben erwähnte Mitglied des Freibadvereins, das nach der Rückkehr in seine Heimat „auch mal was für den Ort tun [möchte]“, denn „der hat dir ja auch einiges gegeben, da gibst du ihm was zurück“ (Int_01_PZ: 118), sei es der Kunstförderer, dem daran gelegen ist, „dass wir uns nicht in Geschichts- und Gesichtslosigkeit verlieren und dass alles bloß noch dieser Einheitsbrei ist und Interessenlosigkeit“ (Int_04_PZ: 426), oder das Mitglied eines Heimatvereins, das gern „das, was wir so im stillen Kämmerlein erforschen unter die Leute bringen [möchte]“ (GD_01: 603) und dabei eine Gemeinschaftlichkeit im Dorf aufrechterhalten will, „... dass man sich sieht, dass man miteinander reden kann“ (GD_01: 678), der Rechtsanwalt, der über seine Vereinsarbeit zur Verschönerung der Gemeinde auch „ein bisschen Kontakt zum Volk haben will“, oder eine ältere ehrenamtlich engagierte Person, der es schlicht „ein Bedürfnis [ist], irgendwie was zu machen. Ich würde mich zu Hause zu Tode langweilen“ (Int_02_PZ: 1054). Hinzu kommt das in den Argumentationslinien immer wieder durchscheinende Motiv, Bestehendes bewahren zu wollen. Dies kann sich auf die explizite Erhaltung von langjährig etablierten Dorffesten (Int_02_PZ: 452; Int_07_PZ: 65), alten Bauernhöfen (Int_09_PZ: 45), von „Dorfkultur“ (GD_01: 453), Ortsgeschichte (Int_07_PZ: 15) oder eines symbolträchtigen, alten Baumes auf dem Dorfplatz (Int_10_PZ: 100) beziehen.
Es scheinen oft weniger abstrahierte gesellschaftspolitische Anspruchsartikulationen, sondern vielmehr individuell-biographische bzw. konkret lokal verankerte Beweggründe und Ziele zu sein, welche Engagement begründen. Dies verdeutlicht den bereits eingangs beschriebenen Wandel des Ehrenamts hin zu diversifizierten Themenfeldern und Handlungslogiken, wobei einmal mehr deutlich wird, dass es
Zusammenfassend: Die interviewten Engagierten nehmen eine Verlagerung von Verantwortlichkeiten wahr, problematisieren diesen Aspekt der Responsibilisierung in unserem Beispiel jedoch kaum. Aushandlungsprozesse scheinen wenig konfliktbehaftet zu sein und die Grenzziehung zwischen kommunaler und ehrenamtlicher Verantwortlichkeit – wenn auch diffus bzw. wenig konkretisiert – offenbart sich im fallspezifischen Rahmen der Erhebung nicht als Streitpunkt. Zu vermuten ist, dass die Übernahme von originär kommunalen Aufgaben durch Vereinsarbeit vor dem Hintergrund multipler akteurspezifischer Bezüge oft nicht als solche interpretiert wird. Sie ist im abstrakten Sinne vielmehr eine (neue) Notwendigkeit, „um einen gewissen Standard zu erhalten“ (Int_05_Exp: 213 ff.), die überwiegend durch nicht beeinflussbare politische Rahmenbedingungen legitimiert wird.
Diese scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der Engagement bezugnehmend auf äußere Einflüsse begründet wird, bedeutet nicht, dass dies in jedem Fall ohne Reibung verläuft. Vereinzelt sprechen Interviewpartnerinnen und -partner auch von Gefühlen der individuellen Überforderung, da man „ständig oder immer mehr an seine Grenzen [stößt], das will ich gar nicht verschweigen“ (Int_09_PZ: 90). Die Gründe für diese Überforderung sind vielfältig. Sie reichen von familiärer Einbindung (vgl. GD_01: 680), beruflicher Belastung (vgl. Int_09_PZ: 90), mangelnder Nachfrage (vgl. Int_02_PZ: 90) und Anerkennung (Int_04_PZ: 452) aus der Bevölkerung bis hin zu einem als hoch bemessenen Arbeitsaufwand bei der Organisation kultureller Events (vgl. Int_10_PZ: 246). Diese individuellen Hürden führen jedoch selten zu einer direkten Schuldzuweisung und halten die Gesprächspartnerinnen und -partner letztlich auch nicht von ihrem Engagement ab. Im Zuge der skizzierten Notwendigkeit des Ehrenamts werden die als ursächlich problematisierten Rahmenbedingungen mehrheitlich auf einer Ebene jenseits direkter kommunaler sozialer Bezüge im ländlichen Raum und damit meist auch außerhalb der alltäglichen Reichweite der Akteure verortet.
Im Kontext der Bedeutung ehrenamtlichen Engagements auf der Gemeindeebene lassen sich bestimmte politische Rahmenbedingungen identifizieren, die mit der Ausübung des lokalen Engagements direkt oder indirekt interferieren. Ein erster Einflussfaktor, die Engagementförderung, entfaltet eine ganz unmittelbare Wirkung, die von allen Gesprächspartnerinnen und -partnern problematisiert wird. Ein Mitarbeiter im Landratsamt, der selbst ehrenamtlich in mehreren Vereinen engagiert ist, resümiert kritisch:
Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass in jüngerer Vergangenheit monetäre Aspekte als das soziale Feld des Ehrenamts im Altenburger Land zunehmend überprägend wahrgenommen wurden. Der Umstand, dass die Finanzierung und damit letztlich auch die Abhängigkeit von institutionalisierter Engagementförderung eine große Rolle spielen, führt dazu, dass die finanzielle Realisierbarkeit einem beschriebenen ehrenamtsbezogenen Idealismus latent entgegensteht. Auf die Frage, ob bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten auch ohne die Förderung machbar wären, antwortet ein in einem Filmverein Engagierter:
Aufgrund der Abhängigkeit scheint es für die Arbeit der Vereine umso problematischer, dass eine angemessene finanzielle Förderung seitens der Kommune – anders als direkte materielle Unterstützungen wie Räumlichkeiten (z. B. Int_06_PZ: 103) – teils als unmöglich wahrgenommen wird. Eine im kulturellen Bereich engagierte Gesprächspartnerin beklagt:
Die Schuld für fehlende Finanzierungsmöglichkeiten wird wiederum bei übergeordneten Sachzwängen wie beispielsweise wenig beeinflussbaren Umverteilungsmechanismen (Kreisumlagen) zwischen Gemeinden und Landkreis, fehlenden Gewerbesteuereinnahmen (Int_05_Exp: 229 ff.) oder auch priorisierten Infrastrukturausgaben gesehen (Int_10_PZ: 88). Ebenso wird vereinzelt die grundlegende Schwerpunktsetzung der finanziellen Förderung auf Landesebene infrage gestellt. Ein Interviewpartner äußert diesbezüglich vor dem Hintergrund einer abgelehnten Mittelbeantragung beim Land Thüringen Zweifel, würden doch schon wenige Mittel – „da reichen manchmal zweibis fünfhundert Euro, für einen Verein“ (Int_05_PZ: 170) – einen großen Unterschied machen.
Die durch prekäre Haushaltsbedingungen stark eingeschränkten Fördermöglichkeiten führen gelegentlich zu alternativen Ideen: Spenden (z. B. Int_01_PZ: 31), Mitgliedsbeiträge (z. B. Int_05_PZ: 217), Einnahmen durch Feste (z. B. Int_08_PZ: 115), Sponsoren (Int_02_PZ: 385), Lottomittel (Int_06_PZ: 111), Werbetafeln (Int_01_PZ: 31) oder der Vertrieb von Büchern und Broschüren (GD_01: 716) stellen reguläre Finanzierungsquellen dar.
Erschwerend kommt das geltende Vereinsrecht hinzu. Aus der Sicht einiger Interviewpartnerinnen und -partner schränkt dies ihr Engagement, insbesondere von Seiten des Finanzamtes, ein. So kann der Verein zur Erhaltung des Freibads zum Beispiel keine Rücklage aus eingenommenen Spenden bilden, die für größere Schadensfälle notwendig wäre (Int_01_PZ: 81). Ein anderer Gesprächspartner beschreibt hohe Hürden, um überhaupt lokale Initiativen zu starten. So sieht er das Aufstellen einer Satzung zum Erhalt eines Gemeinnützigkeitsstatus nach Vereinsrecht durch die damit einhergehende Prüfung des Finanzamts als unnötige Schwierigkeit: „Das ist gar nicht so einfach wie sich das der Schöpfer denkt! [...] Da habe ich noch einiges dazugelernt“ (Int_10_PZ: 120). Er befürchtet darüber hinaus: „dieses Finanzamtszeug, dieses Satzungszeug, das macht eigentlich bürgerschaftliches Engagement platt [...] Ja, weil du bist im Handlungsspielraum so eingeschränkt, das ist nicht gut“ (Int_10_PZ: 265 ff.).
Neben den Logiken der Engagementförderung werden zweitens Strukturreformen als interferierende Größen angesprochen. Im Altenburger Land ist es insbesondere die langjährige Diskussion, durch Zusammenlegung bzw. Fusionierung von Gemeinden Verwaltungskosten zu sparen. Von politischer Seite werden diese im Kontext rezenter Schrumpfungsprozesse und schwieriger Haushaltssituationen, insbesondere in ländlichen Regionen, als unabdingbar angesehen. Im Leitbild „Zukunftsfähiges Thüringen“ heißt es: „Eine Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform würde helfen, die finanzpolitischen wie demografischen Herausforderungen zu meistern“ (Freistaat Thüringen 2015: 3). Im Kontext der untersuchten Engagementformen mit ihrer lokalweltlichen Orientierung wird dies erwartungsgemäß kritisch gesehen. Die Mitarbeiterin einer Verwaltungsgemeinschaft äußert die generelle Sorge, dass die „Bürgernähe“ der bisherigen Gebietsstruktur durch die geplanten Veränderungen verloren gehen würde (Int_05_Exp: 71 ff.). Mit diesem befürchteten Verlust der „Bürgernähe“ durch die Etablierung flächenmäßig größerer Strukturen sieht sie dabei ganz praktische Implikationen für die Ausübung des Ehrenamts:
Eine direkte materielle, ,unbürokratische‘ Förderung wird durch mögliche Gebietsreformen als existenziell bedroht gesehen. Die Auflösung aktueller Gemeindestrukturen würde zu einer Entankerung des Engagements führen und – ganz praktisch – logistische Fragen verkomplizieren, infolgedessen ein Rückgang des Engagements zu befürchten wäre (z. B. Int_05_Exp: 360). Darüber hinaus wird jedoch auch noch auf einer viel allgemeineren Ebene argumentiert:
In dieser Schilderung eines Ehrenamtlichen klingt zum einen eine diffuse skalare Differenzierung zwischen dem etablierten, mit Sicherheit assoziierten Lokalen und der das Engagement verunsichernden Politik an. Zum anderen wird daran aber auch eine implizite lokale Verankerung des ehrenamtlichen Engagements deutlich, die – mal mehr und mal weniger explizit – von nahezu allen Gesprächspartnerinnen und -partnern aufgegriffen wird. Gewohnte Gemeindestrukturen scheinen den ehrenamtlichen Tätigkeiten als handlungsrelevanter Raumbezug zugrunde zu liegen. Die (antizipierte) Auflösung dieser Bezüge wird folglich als durch politische Willkür initiierte Destabilisierung verstanden, die daraufhin die grundlegenden Handlungslogiken des Engagements infrage stellt:
In der rhetorisch gestellten Frage, die den konstitutiven Gehalt des Ortsbezugs unterstreicht, scheint ein dritter Einflussfaktor durch, der als regionaler gesellschaftlicher und ökonomischer Wandel umschrieben werden kann. Er manifestiert sich vornehmlich in der Reflexion der „Nachwuchsproblematik“ und insbesondere in einem beklagten Mangel an „Bindungsmöglichkeit“ und „Bindungsbereitschaft“ Jugendlicher (z. B. Int_10_PZ: 144 ff.). Als ein Grund für ausbleibendes Engagement wird unter anderem die durch den Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt in der Region bedingte Abwanderung insbesondere junger Menschen angeführt. Wie ein Interviewpartner beschreibt, fehlt durch dieses – durchaus als „normal“ betrachtete – Mobilitätsverhalten das „Bodenständige“ im Sinne eines „Verhaftet-Seins mit der Region“ (Int_09_PZ: 118 ff.). Dieser Umstand wird kritisch in Bezug auf ein potenzielles Engagement gesehen, denn „die Leute, die sich engagieren, die sind die Bodenständigen“ (Int_09_PZ: 126). Fehlende abstrakt-ideelle Bindungen zum Ort und praktische Erfordernisse des Arbeits- und Ausbildungsmarktes werden als zwei Seiten derselben Medaille dargestellt:
Neben dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt wird insbesondere die Thüringer Bildungspolitik thematisiert. Diese trage – durch Zentralisierungstendenzen des Schulnetzplanes (vgl. Kreistag Altenburger Land 2013) – ebenfalls zu einer mangelnden Ortsbindung junger Menschen und in der Folge zu einer geringeren Bindung an die als lokal verankert betrachtete Vereinsarbeit bei:
Die fehlende Bindung zum Ort durch die ausbildungsbedingte Abwesenheit der Jugendlichen wird im weiteren Gesprächsverlauf direkt mit einer geringen Engagementbereitschaft in Zusammenhang gebracht, denn „irgendwo geht die das ja [dann] nichts an“ (Int_08_PZ: 26). Zudem sind Bildungseinrichtungen in ländlichen Gemeinden durch Kooperationen zwischen Schulen und Vereinen teils auch Anlaufstellen für die aktive Nachwuchsakquise im Bereich Kultur und Orts- bzw. „Heimatpflege“ (vgl. GD_01: 511), weshalb eine drohende Schulschließung aufgrund zu geringer Schülerzahlen nicht nur als eine Identitätskrise für den Ort, sondern auch als ein existenzielles Problem für die Nachhaltigkeit des Engagements gesehen wird (vgl. GD_01).
Die von den Interviewten angeführten Einflussfaktoren – (prekäre) Engagementförderung, territorial-administrative Strukturreformen und die Bedingungen des Arbeits- und Ausbildungsmarktes – zeigen, dass bestimmte übergeordnete Einflussfaktoren maßgeblich direkt bzw. – im Falle der noch nicht realisierten Gemeindegebietsreformen – indirekt über Befürchtungen und Gefühle der Verunsicherung mit der lokalen Ausübung des Engagements interferieren. Damit deutet sich eine Diskrepanz zwischen dem nachvollzogenen Verständnis des ehrenamtlichen Engagements als etwas individuell Motiviertem und lokal Verhaftetem und den problematisierten Rahmenbedingungen an, welche das Engagement erschweren bzw. in seiner Logik infrage stellen.
Aus den empirischen Befunden leiten wir drei fallspezifische Erkenntnisse für ehrenamtliches Engagement in einer schrumpfenden ländlichen Region ab: Die erste Erkenntnis bezieht sich im Sinne der subjektzentrierten Perspektive auf die unauflösbare Verknüpfung der Aushandlung von Verantwortlichkeiten zwischen ehrenamtlichen und kommunalhauptamtlichen Akteuren mit den heterogenen individuellen Handlungslogiken und Motiven – seien es Gemeinschaftssinn, persönlicher Interessenbezug oder das Bedürfnis, etwas Vorhandenes zu bewahren. Das eigene Engagement vor Ort wird nicht als eine Strategie reflektiert, um Probleme von Schrumpfung im ländlichen Raum abzufedern. Die Idee der (Fremd-)Responsibilisierung ehrenamtlich Engagierter, wie sie in Kapitel 2 diskutiert wurde, findet – sofern sie als aktive politische Strategie der Mobilisierung von Akteuren verstanden werden soll – in unserem empirischen Beispiel keinen Widerhall. Hier dominieren subjekt- und lokalspezifische Einbettungen, die eher einer Selbstresponsibilisierung entsprechen (vgl. Steinführer 2015). Die Verschiebung vormals kommunal organisierter Aufgaben ins Ehrenamt wird als sozialer Prozess mit diffusen Grenzen beschrieben, der von Fall zu Fall ausgehandelt wird. Die oft optimistische Annahme einer entwicklungspolitischen Rolle
Daran schließt die zweite Erkenntnis an: Der Raum des Ehrenamts ist das Lokale. Kommunale bzw. Gemeindestrukturen sind Bezugspunkte, mittels derer die meisten Interviewten ihr Engagement verorten. Dabei zeichnet sich ein identitätsstiftender Antagonismus zwischen dem lokal Vertrauten und den als problematisch betrachteten übergeordneten Rahmenbedingungen ab. Lokal wahrgenommene Probleme werden nicht gleichermaßen ursächlich lokal verortet, sie werden überwiegend Instanzen der Landes- bzw. Bundesebene zugeschrieben. Dies wird besonders in der konsequenten Exkulpation der unter Finanzzwängen gesehenen Kommunen deutlich. Auch wenn es denkbar ist, dass andere Engagementbereiche zu mehr Reibung mit der Lokalpolitik führen können, so findet in unserem Beispiel keine Schuldzuweisung auf kommunaler, zwischenmenschlich greifbarer (und damit potenziell konfliktträchtiger) Ebene statt, sondern auf der Ebene diffuser Einflussfaktoren wie z. B. der Engagementförderung, dem Vereinsrecht, der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik oder geplanten Gemeindegebietsreformen auf Landesebene.
Aus diesem skalaren Antagonismus leitet sich die dritte zentrale Erkenntnis ab: eine widerstreitende politische Regulierungslogik. Die Fallstudie verdeutlicht exemplarisch, dass im ländlichen Raum prinzipiell eine Bereitschaft zum Engagement existiert. Dieses – gesellschaftspolitisch angestrebte – Engagement sieht sich aber gleichzeitig politischen Restriktionen und Hindernissen ausgesetzt, welche überwiegend als wenig beeinflussbar betrachtet werden. Die politisch postulierte und teils wissenschaftlich hergeleitete Forderung nach mehr Engagement im ländlichen Raum ist folglich nicht nur eine leichtfertige Simplifizierung der subjektbezogenen Komplexität des sozialen Feldes, sondern wird auch von interferierenden politischen Rahmenbedingungen konterkariert (vgl. ARL 2016: 14). Das Handlungsdilemma der Ehrenamtlichen spiegelt gleichzeitig auch ein engagementpolitisches Dilemma aus Forderungen einerseits und Restriktionen andererseits wider. Damit verfestigt sich eine einseitige skalare Abkopplung von translokalen, entpersonalisierten Entscheidungsinstanzen und lokal davon Abhängenden, die sich als eben solche, nämlich weitgehend machtlos wahrnehmen.
Die Bandbreite der von den Interviewten wahrgenommenen negativ interferierenden Rahmenbedingungen verdeutlicht den begrenzten Blickwinkel bisheriger Engagementförderung. Gemeindegebietsreformen, Vereinsrechtsbelange, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik gehen über den üblichen Rahmen der politischen Ehrenamts-Diskussionen im Kontext ländlicher Räume hinaus. Daraus lässt sich schließlich der Ausblick ableiten, dass Ehrenamt nicht nur lokal und fallspezifisch betrachtet werden sollte, sondern in politischen Arenen auch integrativ und ressortübergreifend gedacht werden muss, um nicht mit kausal abgeleiteten Hypothesen und daran angelehnten Forderungen an den Lebenswirklichkeiten ehrenamtlich Engagierter vorbei zu planen oder zu forschen.