Mobilität gilt als Schlüsselphänomen spätmoderner Gesellschaften (Urry 2000; Sheller/Urry 2006). In einer Zeit entgrenzter Bewegung von Gütern, Kapital und Informationen bewegen sich auch Menschen räumlich mehr und mehr entgrenzt, gewinnen plurilokale und die Grenzen von Nationalstaaten überschreitende Bezüge an Bedeutung. Neben steigender Pendler- und Alltagsmobilität wird auch die Wohnmobilität vieler Menschen fluider und entzieht sich immer häufiger den herkömmlichen Mustern von Wohnstandortwechseln im Lebensverlauf. Auf der lokalen Ebene beeinflussen diese zunehmend Staatengrenzen überschreitenden Prozesse beispielsweise, wie Städte von ihren Bewohnern wahrgenommen und genutzt werden.
Unter Schlagworten wie Multilokalität und Transnationalität werden derartige Phänomene in der Wissenschaft derzeit intensiv diskutiert. Der Forschungsstand entwickelt sich dynamisch und lässt zahlreiche Hinweise auf hohe Relevanz für Stadt und Gesellschaft erkennen. Es stellt sich beispielsweise die Frage, welche Form der lokalen Einbindung und Beteiligung von Bewohnern zu erwarten ist, die gleichzeitig in weitere räumliche Bezüge eingebunden sind. In der Stadtpolitik wird die Diskussion um diese Entwicklungen jedoch bislang nur zögerlich aufgegriffen. So wird zum Beispiel der zeitweilige Wohnaufenthalt weiterhin mit einer schematischen Einteilung in Erst- und Zweitwohnsitze administrativ behandelt. Welche Dimension derartige Phänomene in ihrer Gesamtheit in den Städten annehmen und welche grundsätzlichen Herausforderungen sich für die städtische Politik daraus ergeben, wird noch zurückhaltend thematisiert.
Ziel der folgenden Ausführungen ist es, einen Beitrag zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Thematik zu liefern. Nach einer Einführung über den Stand der Diskussion und aktuelle Befunde zur Relevanz multilokaler und transnationaler Lebensweisen in Städten (Kapitel 2) wird anschließend ein Blick auf den Umgang mit diesen Phänomenen durch die städtische Planung und Politik geworfen (Kapitel 3). Mit einem Fazit (Kapitel 4) schließt der Beitrag.
Die Beachtung multilokaler und transnationaler Lebensformen fußt zum einen auf der Veränderung von Wanderungsströmen auf verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen. Unter den Bedingungen fortschreitender Globalisierung sowie der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und der damit einhergehenden erhöhten Fluktuation der Beschäftigten haben sich auch die Migrationsprozesse in Umfang und Form verändert. So gestaltet sich die Dauer des Aufenthaltes an einem Ankunftsort heute weniger häufig permanent (Collins 2012: 332; Schmidt-Kallert 2012: 11). Zum anderen ziehen die Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelten im Zuge der Spätmoderne komplexe, mit Brüchen und Wechseln versehene Erwerbs- und Familienbiographien nach sich und verstärken die Ausdifferenzierung von Lebensstilen. Mobilität wird dabei zum Lebensentwurf bzw. setzt Lebensentwürfe vielfach in Bewegung (Urry 2007; Yildiz 2011: 137). Haushalts- und Familienstrukturen verändern sich in Richtung von Netzwerken, die weniger auf Kopräsenz als auf persönlichen Bindungen (Transfers, kulturelle Identität) basieren (Wellman 2001; Reutlinger 2009: 81) und durch moderne Kommunikations- und Transportmöglichkeiten vereinfacht werden (Berker 2006: 142).
Unter diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass räumliche Bezüge zunehmend unschärfer und komplexer werden. Während unilokale Ortsbezüge und unidirektionale Wanderungen weniger werden, nimmt die Bedeutung von Mehrfachverortungen über unterschiedliche räumliche Ebenen hinweg zu. Befördert wird dies durch komplexe Netzwerke, die nicht mehr bloße Übergangsphänomene, sondern auf längere oder unbestimmte Zeit angelegte Praktiken der Lebensführung darstellen (Schmidt-Kallert 2012: 11).
Die Literatur zu Transnationalität entstammt vor allem der Forschung über internationale Migration, die seit den 1990er Jahren verstärkt durch neue Ansätze geprägt wird (vgl. Glick Schiller/Basch/Blanc-Szanton 1992; Vertovec 1999; Castles/Miller 2003). Ausgangspunkt ist die Beschäftigung mit den beobachtbaren Prozessen eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbruchs und die Betonung der Erfahrungen und Handlungen der beteiligten Personen. Ziel der transnationalen Forschungsperspektive ist es in diesem Zusammenhang, die erhöhte Komplexität der Bezüge und deren transitorischen Charakter zu analysieren und die Verbindungen von Personen zwischen unterschiedlichen Räumen zu erfassen. Eine wesentliche Erweiterung der bisherigen Analyse von Migrationsvorgängen ist, dass der Fokus neben den (mobilen) Migranten nunmehr auch auf diejenigen (immobilen oder wenig mobilen) Personen gerichtet ist, die ihren Wohnstandort selbst nicht verändern, jedoch ebenfalls auf vielfältige Weise mit weiteren räumlichen Kontexten verbunden sind (Faist 2007: 378). Die Zwischenräume, welche sich in Form von Beziehungsverflechtungen z. B. im Zuge von Migrationsprozessen herausbilden, werden als „transnationale soziale Räume“ bezeichnet (Pries 1997: 17). Damit wird berücksichtigt, dass Personen samt ihrer Aktionen, Gedanken, Gefühle oder Identitäten nicht auf einen Ort beschränkt sind, sondern aufgrund von Mehrfachverortungen je nach Situation wechselnd in unterschiedlichen Kontexten agieren. Das bedeutet auch, dass die geographischen Räume immer weniger mit den Sozialräumen übereinstimmen (Pries 1997: 26). Damit einhergehend wird die Betrachtung transnationaler Verflechtungen auf der Ebene von Nationalstaaten zunehmend kritisch betrachtet. Auch wenn die Wirkung der nationalen Rechtsprechung und Regulierungsweise als wichtiger Rahmen anerkannt wird, wird gleichzeitig davor gewarnt, am „nationalstaatlichen Container“ festzuhalten, da für die Herausbildung von Bezügenüber unterschiedliche räumliche Ebenen hinweg die Staatsgrenze allenfalls eine Hilfskonstruktion sein kann (vgl. Pries 1997: 25; Oßenbrügge 2004: 28).
Über den Zusammenhang zwischen Transnationalität und Stadtentwicklung liegen bislang wenige empirische Befunde vor. Nützlich erscheint an dieser Stelle zudem der Hinweis von Glick Schiller und Caglar (2011: 79), die – bezogen auf transnationale Verbindungen wie generell auf Migrationsströme und Wohnstandortentscheidungen – die Unterschiedlichkeit von Städten betonen und deshalb eine differenzierte Betrachtung einfordern. Daraus ergibt sich, dass sich städtische Entscheidungsträger in ihrem Handeln der Funktion und Position ihrer Stadt auf den unterschiedlichen Ebenen (regional, national, global), der eigenen Geschichte sowie den Besonderheiten der wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Struktur bewusst sein müssen (Glick Schiller/Caglar 2011: 80). Smith betont in seinem Buch „Transnational Urbanism“ (Smith 2001) die Bedeutung sozialer Praktiken ‚von unten‘ über transnationale Netzwerke auf die Herausbildung globaler, metropolitaner Formen. Auf die Quartiersebene bezogen beschreibt Terlinden (2011: 63) die Entwicklung wie folgt: „Die Wirklichkeit in diesen Quartieren ist von Bedingungen geografisch weit auseinander liegender Lebenswelten geprägt, die sowohl soziale Positionen als auch alltagsweltliche Praktiken im Stadtteil mitbestimmen.“ Nach Parnreiter (2012) wird transnationaler städtischer Raum von Akteuren ohne eindeutige nationale Identität produziert und benutzt, deren soziale Praktiken in mehr als einem Nationalstaat angelegt sind und die regelmäßig in grenzüberschreitende Aktivität eingebunden sind. Konkrete empirische Erkenntnisse über Art und Ausmaß der räumlichen Implikationen und zur Frage, inwiefern Transnationalität zu einer Überformung von Städten führt, liegen nicht vor. Dies liegt auch in der Flüchtigkeit des Phänomens begründet, welches empirisch nur schwer zu erfassen ist. Zudem fällt die Abgrenzung zu den bisher diskutierten Migrationsformen zum Teil nicht leicht (vgl. Kapitel 2.2).
Die Aussagen zur Mehrfachverortung von Personen zeigen Gemeinsamkeiten mit aktuellen Forschungen zu Phänomenen der Multilokalität, die unter anderem von Rolshoven (2006) explizit thematisiert wurden (vgl. zur Genese Hilti 2011; Petzold 2013). Multilokalität wird von ihr in einem breiten Verständnis als Lebensalltag über mehrere räumlich getrennte und zumeist funktionsteilig genutzte Orte hin definiert (Rolshoven 2006: 181). Die in den letzten Jahren unter anderem von Weichhart (2009) geprägte Forschung zum multilokalen Wohnen bzw. zur residenziellen Multilokalität grenzt dagegen den Betrachtungsgegenstand stärker von der allgemeinen Bezeichnung „Orte“ hin zu „Wohnungen“ bzw. „Wohnstandorten“ ein (Hilti 2009: 77; Weiske/Petzold/Zierold 2009: 74; Reuschke 2010: 35). Der Wohnungsbegriff ist dabei forschungspragmatisch zu verstehen und umfasst Behausungen unterschiedlichen Charakters und entspricht nicht dem formal-administrativen Begriff des Wohnsitzes (vgl. zusammenfassend Petzold 2013: 41 f.).
Multilokale Lebensführungen werden vielfach in den Kontext des
Insgesamt gilt festzuhalten, dass die Forschungsansätze Multilokalität und Transnationalität Parallelen aufweisen, gleichwohl aber unterschiedliche Schwerpunkte setzen. So betont die transnationale Perspektive staatenübergreifende, globale Beziehungen, die in der aktuellen Multilokalitätsforschung weniger dezidiert behandelt werden. Die Diskussion um transnationale Räume verweist vor allem auf das Aufspannen von Räumen und auf relationale Verbindungen und Transfers, die grundsätzlich unabhängig von physischer Präsenz sind. Multilokalität und enger gefasst das multilokale Wohnen rücken dagegen die (körperliche) Anwesenheit und das Vorhandensein von Behausungen und Wohnpraktiken an unterschiedlichen Orten in den Vordergrund und thematisieren stärker die Bindung der Personen an diese Orte. Beide Forschungsperspektiven sind letztlich eine Reaktion auf die veränderte Quantität und Qualität von Prozessen räumlicher und sozialer Mobilität, in deren Kern die Abkehr von unilokalen, eindimensionalen Zuordnungen und Betrachtungsperspektiven von Entitäten wie z. B. Menschen oder Haushalten steht. Die bestehenden Gemeinsamkeiten zeigen sich beispielsweise in verwendeten Begriffen und Deutungsmustern wie der „Archipelisierung“ der Lebensgestaltung von Duchêne-Lacroix (2006; 2009), die sowohl im transnationalen als auch im multilokalen Diskurs aufgegriffen werden (Hilti 2011: 35; Schmidt-Kallert 2012: 13).
Im Weiteren wird deshalb eine verbindende Betrachtung multilokaler und transnationaler Lebensweisen vorgenommen. Wir erkennen dabei die Fluidität und Unschärfe beider Phänomene an, die auch innerhalb eines Haushalts oder einer Person synchron und biografisch wechselnd verlaufen können.
Transnationale und multilokale Phänomene sind nicht gänzlich neu, sondern bereits historisch von Belang und immer wieder Gegenstand von Untersuchungen. Im Zuge von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungsprozessen erfahren sie jedoch einen Bedeutungszuwachs, in dessen Zuge sich die Formen ausdifferenzieren oder neue Formen entstehen.
Bereits die Bandbreite der thematisierten Einzelphänomene zum multilokalen Wohnen ist enorm. So wird derzeit vor allem den sogenannten
Die Forschungen zu transnational Lebenden innerhalb der Transnationalitätsdebatte stehen im Kontext eines tiefgreifenden Wandels des internationalen Migrationsgeschehens, der unter anderem durch Pluralisierung und Heterogenisierung gekennzeichnet ist und mit einer Zunahme von temporären oder zirkulären Formen einhergeht (Wehrhahn/Sandner Le Gall 2011: 98 ff.). Die Unterteilung nach transnationalen oder ‚herkömmlichen‘ Formen der Wanderung innerhalb der staatsgrenzenübergreifenden Bildungs-, Arbeits- und Umweltmigration gestaltet sich kompliziert, zumal auch Personen ohne eigene Migrationserfahrung transnational agieren können. Gleichwohl kann die Einbindung in transnationale Bezüge insbesondere bei Formen der Migration angenommen werden, die eine besonders hohe Mobilität mit regelmäßigem Wechsel des Wohnortes aufweisen. Dazu gehören in Deutschland beispielsweise Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder Personal in den Pflegeberufen (vgl. Strüver 2011). Viel Aufmerksamkeit wurde zuletzt den „transnationalen Eliten“ gewidmet (vgl. Sklair 2001; Kreutzer/Roth 2006; Mau 2007; Elliott/Urry 2010: 74 f.). Hierunter werden vor allem die
Welche quantitative Relevanz erreichen multilokale und transnationale Lebensweisen? Diese Frage wird schon länger als ein wesentliches Forschungsdesiderat genannt (Weichhart 2009: 10), gleichwohl liegen bislang nur punktuelle und schwer vergleichbare Analysen vor (vgl. übergreifend Dittrich-Wesbuer/Föbker/Sturm 2013).
Die amtliche Statistik beschränkt ihren Blickwinkel auf gemeldete Zweit- bzw. Nebenwohnungen. So ergibt sich aus der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ein Anteil von 2,4% der Privathaushalte mit Freizeitwohnung sowie 2,8% der Wohnungen zu Ausbildungs- und Berufszwecken (vgl. Kott/Behrends 2009). Dies dürfte aber vor allem durch den engen Wohnungsbegriff (direkte oder implizierte Konzentration auf „eigene“ Wohnungen) und des möglicherweise abschreckenden amtlichen Charakters der Fragestellungen allenfalls die unterste Grenze markieren und bezieht sich nur auf einen Ausriss aus den in Kapitel 2.2 genannten vielfältigen Formen von Multilokalität. So werden
Einen Eindruck über die zunehmende Verbreitung derartiger multilokaler Lebensführungen geben Auswertungen großer Querschnitt- und Längsschnittanalysen. So führt beispielsweise Asendorpf (2008: 756) aus Auswertungen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) an, dass 2006 etwa 11% aller Erwachsenen – darunter viele, keinesfalls aber ausschließlich jüngere Menschen – in Deutschland einen Partner außerhalb des eigenen Haushaltes haben. 1992 waren dies lediglich 8,5 %. Auch unter Kindern finden multilokale Wohnformen eine nennenswerte Verbreitung. Für Deutschland kann hier das „ Survey AID : A“ („Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“) herangezogen werden, wonach 12,5% der minderjährigen Kinder in Deutschland in Nachtrennungsfamilien leben. Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen (61 %) sind aktiv multilokal und verbringen regelmäßig Zeiten mit beiden getrennten Elternteilen(Schier 2013). Aus dem europäischen Projekt „JobMob: Job Mobilities and Family Lives in Europe“ wurden Zahlen zu sogenannten
Nahezu ausgeblendet werden in den statistischen Analysen transnationale Arrangements. So beziehen sich einige amtliche Befragungen wie der Mikrozensus ausschließlich auf weitere Wohnungen in Deutschland. Auch in den umfangreichen Recherchen im Rahmen des europäischen Projektes „JobMob“ können Limmer und Schneider (2008) nur eine generelle Zahl zur Migration innerhalb Europas nennen. Danach leben nur 1,5% der Europäer in einem anderen Land als ihrem Heimatland. Die Autoren merken aber an, dass „seasonal workers, frontier commuters, transmigrants and persons staying for qualification abroad“ und damit für das Konzept der Transnationalität bedeutsame Personengruppen nicht enthalten sind und keine verlässlichen Zahlen vorliegen (Limmer/Schneider 2008: 16). Unter den wenigen konkreten Untersuchungen lässt sich die nichtrepräsentative Stichprobe von knapp 1.000 Multilokalen bei Petzold (2012) hervorheben. Er beziffert in seinen Analysen den Anteil transnationaler Arrangements – hier als Wohnpraktiken in unterschiedlichen Staaten definiert – auf 13,1% (Petzold 2012:4). Einzelne Informationen lassen sich zudem aus dem „Survey Transnationalisierung“ ziehen, welches sich vor allem auf die transnationalen sozialen Netzwerke konzentriert. Bestätigt wird hier wie auch in anderen Studien der enge Zusammenhang zwischen dem Grad der Transnationalisierung bzw. der Einbindung in transnationale Netzwerke und dem Bildungsniveau (Dumont/Lemaitre 2005; Mau 2007: 244 ff).
Ein bedeutsames Manko vieler der genannten Befragungen und Statistiken ist der mangelnde Raumbezug, der eine Angabe über die quantitative Relevanz, insbesondere für die Ebene der Städte, erschwert. Angeführt werden kann nur eine Reihe von Hinweisen, nach denen multilokale Lebens arrangements und transnationale Lebensweisen deutlich häufiger im städtischen Raum und insbesondere in Großstädten anzutreffen sind (Reuschke 2010; Braukmann/Genth 2012; Rüger/Feldhaus/Becker et al. 2011; Petzold 2012). Dabei muss im Vergleich einzelner Städte von einer unterschiedlichen quantitativen Relevanz bzw. einer unterschiedlichen Zusammensetzung der Gruppen ausgegangen werden. So kann beispielsweise in Städten mit einem hohen Anteil an Arbeitsplätzen in wissensintensiven Branchen oder im Dienstleistungssektor mit einer höheren Zahl beruflich motivierter
Die Diskussion über die Auswirkungen von Multilokalität kann nicht auf der Ebene der Gesamtstadt verbleiben, sondern muss auf kleinräumiger Ebene ansetzen. So gilt es, insbesondere die Quartiere als wichtige räumliche (soziale) Einheiten in den Blick zu nehmen (vgl. Drilling/Schnur 2009). Hier können bislang nur Angaben aus den Melderegistern oder einzelnen punktuellen Untersuchungen herangezogen werden. So schlussfolgern Sturm und Meyer (2009) aus Meldeamtsdaten großer Städte, dass für Nebenwohnungen Wohnquartiere der inneren Stadt bevorzugt werden, die eine gute Verkehrsanbindung und eine wohnungsnahe Versorgungsinfrastruktur aufweisen. Reuschke (2010) bestätigt dies in der Untersuchung von
Wie stark sich das Aufkommen und die Zusammensetzung multilokaler Arrangements in den Quartieren unterscheiden, verdeutlichen die Ergebnisse einer Untersuchung, die das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) zusammen mit weiteren Partnern im Rahmen eines Forschungsverbundes unter Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) durchgeführt hat. DFG-Projekt „Wohnstandortentscheidungen in polyzentrischen Stadtregionen“ mit den Projektpartnern Geographisches Institut der Universität Bonn, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund und Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig (Laufzeit 2010–2012).
In einer 2011 durchgeführten Befragung von 5.000 Haushalten zur Wohnstandortwahl in den drei polyzentrischen Stadtregionen Köln/Bonn, Östliches Ruhrgebiet und Leipzig/Halle wurde ein Frageblock zur Nutzung weiterer Wohnungen aufgenommen. Die Formulierung der Fragen zielte explizit auf eine Abgrenzung zur amtlichen Statistik, indem eine formale bzw. administrative Einordnung mit Begriffen wie „eigene Wohnung“ oder „Zweitwohnung“ vermieden und keine Hierarchisierung (Haupt-/Nebenwohnsitz) vorgenommen wurde. Die durch die Befragten vorgenommene Einordnung nach dem Zweck der Nutzung (Partnerschaft, Familie, Arbeit, Freizeit) kann durch die starken Überlappungen zwischen den Formen sowie aufgrund der möglichen mehrfachen Betroffenheit der Haushalte nur als Näherung verstanden werden (vgl. Dittrich-Wesbuer/Föbker/Sturm 2013).
Von Multilokalität betroffene Haushalte (nach Quartierstyp, in %)
Region | Quartierstyp | Anteil gesamt | Anteil nach Zweck* | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Partner-schaft | Familie | Arbeit | Freizeit | |||
Köln/Bonn | Urbaner Typ ( | 23,2 | 9,2 | 5,8 | 3,9 | 3,4 |
Suburbaner Typ ( | 7,8 | 3,6 | 1,2 | 1,8 | 0,9 | |
Östliches | Urbaner Typ ( | 21,2 | 12,2 | 4,2 | 2,1 | 2,1 |
Ruhrgebiet | Suburbaner Typ ( | 6,3 | 2,4 | – | 3,2 | 0,4 |
Leipzig/Halle | Urbaner Typ ( | 25,4 | 9,9 | 6,8 | 6,5 | 1,5 |
Suburbaner Typ ( | 8,2 | 0,7 | – | 6,1 | 1,4 |
*Nicht dargestellt ist der Zweck „Sonstiges“ (daraus ergibt sich die Differenz zum „Anteil gesamt“)
Unterschiedlich gestaltet sich auch die Struktur multilokaler Arrangements in den Quartieren. Während sich familien- und partnerschaftsbezogene Formen sehr stark auf urbane Viertel konzentrieren, verteilen sich arbeitsbezogene Lebensarrangements eher auf alle Quartiere. Besonders hoch ist das Aufkommen dieser Form von Multilokalität in der Region Leipzig/Halle (insgesamt 6,5% aller befragten Haushalte), besonders niedrig ist es dagegen im östlichen Ruhrgebiet mit 2,1% aller Haushalte (Köln/Bonn: 3,9%).
Die Untersuchung bestätigt auch die erwähnte hohe Relevanz von multilokalen Arrangements zwischen Großstädten. In 60% der multilokalen Arrangements liegen beide erfassten Wohnungen in Großstädten. In nur 15 % der Fälle werden dagegen Wohnaufenthalte in kleinen Gemeinden (unter 20.000 Einwohner) angegeben. Der Anteil grenzüberschreitender Arrangements liegt mit 7 % an allen multilokalen Arrangements recht niedrig, Allerdings wurde nicht direkt nach bestehenden transnationalen Bezügen gefragt, sondern indirekt auf der Grundlage von Orts- und Landesangaben zur weiteren Wohnung auf derartige Arrangements geschlossen.
Als Fazit aus den aufgezeigten Ergebnissen zur Quantifizierung kann unterstrichen werden, dass multilokale und transnationale Lebensweisen in den Städten kein Randphänomen, sondern gelebte Alltagspraxis vieler Menschen darstellen. Allerdings bietet diese Feststellung nur eine, wenn auch wichtige Annäherung an die Auswirkungen dieser Lebensweise auf die Städte. So lässt schon die Vielzahl der Phänomene erahnen, dass sehr differenzierte Lebensweisen, soziale Lagen, Zeitrhythmen und Vorlieben feststellbar sind. Dies bestätigen auch vorliegende subjektbezogene, qualitative Untersuchungen, die für multilokal und transnational Lebende eine breite Auffächerung unterschiedlicher Motivationen, Sachbezüge und Zeithorizonte aufzeigen (vgl. die Typologien in Kreutzer/Roth 2006; Weiske/Petzold/Zierold 2009; Hilti 2011). Es kann also vermutet werden, dass es sich um sehr unterschiedliche „Stadtnutzer“ handelt, die sich im Hinblick auf die Nutzung von Gelegenheiten, der Nachfrage nach Wohnungen oder aber der Wahrnehmung der Qualitäten der Stadt sehr differenziert zeigen.
Die Veränderungen in Städten, die von multilokalen und transnationalen Lebensarrangements ausgehen, werden in der Literatur bislang wenig konkret behandelt. Es überwiegt eine abstrakte Beschreibung von neuen, über übliche territoriale Grenzen hinausgehende Formen der Vernetzung und Verortung, einer möglicherweise veränderten Wohnungsnachfrage und Infrastrukturnutzung sowie speziellen ökonomischen Transfers.
Wie aber geht man in Städten mit den Phänomenen Multilokalität und Transnationalität konkret um? Dieser Frage soll im Folgenden bezogen auf das Verwaltungshandeln und auf aktuelle kommunale Leitbilder nachgegangen werden. Im Anschluss daran werden einige Handlungsfelder skizziert, die wir mit dem Gedanken verbinden, Multilokalität und Transnationalität als Aufgabe für Stadtentwicklung zu betrachten.
In der Beschäftigung mit den Auswirkungen multilokaler und transnationaler Phänomene auf die Stadt tritt zunächst ein offensichtlicher Widerspruch dieser Lebensweisen mit dem territorialen Prinzip kommunaler Selbstverwaltung zutage (Schmidt-Kallert 2012: 18). Das staatliche Ordnungssystem Deutschlands – wie auch im Grunde aller europäischer Länder – fußt auf monolokaler Sesshaftigkeit, sprich auf der Zuordnung der Menschen auf eine administrative Einheit. Nach dieser im Meldesystem geregelten Zahl der „Bewohner am Hauptort“ werden Funktions- und Finanzzuweisungen des Staates bemessen und damit wichtige Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung geregelt. Die Zahl der Bewohner stellt deshalb eine zentrale Orientierungsmarke für städtische Politik und Planung dar. Gerade in Zeiten des demographischen Wandels gilt die Entwicklung der (Haupt-)Bevölkerung als maßgeblicher Indikator für Erfolg oder Misserfolg städtischer Planung oder für die Zukunftsaussichten einer Stadt. Für den Fall mehrerer Wohnungen wird in Deutschland davon ausgegangen, dass die Hauptwohnung den überwiegenden Aufenthaltsort darstellt. Angesichts der angeführten zunehmenden Fluidität des Wohnens und der Praxis der Mehrfachverortung geht diese Festlegung an der (subjektiven und objektiven) Lebensrealität vieler Bewohner vorbei.
Eine hohe Zahl von Neben- oder Zweitwohnungen wird von Städten aus dieser staatlichen Ordnungslogik heraus kritisch gesehen. Vor allem Städte, in denen viele Auszubildende oder Studierende leben, nutzen deshalb die kommunale Zweitwohnungssteuer als Steuerungsinstrument. Auch wenn diese Steuer nach offizieller Lesart einen Beitrag zur Finanzierung von kommunaler Infrastruktur leisten soll, ist sie letztlich als Lenkungsinstrument zur Festlegung eines Hauptwohnsitzes in der jeweiligen Gemeinde zu betrachten. Untersuchungen zeigen, dass nach der Einführung dieser Steuer regelmäßig ein großer Teil der gemeldeten Nebenwohnsitzer aus der Statistik verschwindet. Wie Sturm und Meyer (2009: 18) anführen, geht dies „mit einer Unsichtbarmachung einher, da zumindest einige Multilokale ihre Stadt nun ähnlich wie Suburbaniten oder Touristen nutzen“.
In der Tat dürfte die Zahl der Menschen mit nur zeitweiligem Wohnaufenthalt und mit Wohnungen an unterschiedlichen Standorten in den meisten Städten unbekannt sein. Dies ist nicht nur ein Ergebnis lückenhafter Meldestatistik. Auch in eigenen Wanderungsumfragen der Städte wird die Frage nach weiteren (Wohn-)Aufenthalten regelmäßig ausgespart und die Verlagerung des Wohnsitzes im Sinne einer monolokalen Sesshaftigkeit verstanden. Dabei könnte eine Betrachtung über die Territorien der Städte hinaus wichtige Rückschlüsse auf ökonomische und soziale Verflechtungen geben und die enthaltenen Fragen zu Motiven des Umzugs und zu Kriterien der Standortwahl ergänzen. Zudem konzentrieren sich derartige Befragungen auf die letzte Wohnsitzverlagerung und greifen vielfach auf die tradierte Einteilung nach Nationalitäten bzw. Staatsbürgerschaften zurück, so dass transnationale, multilokale Wohnbiographien in dem hier erläuterten Sinne nicht sichtbar werden.
In den übergeordneten Entwicklungsplanungen der Städte werden derartige mehrfach verortete Lebensformen bislang weitgehend vernachlässigt. Nur vereinzelt finden sich in den Leitbildern und Strategien von zehn deutschen Großstädten Hinweise auf die zunehmende Relevanz multilokaler oder transnationaler Lebenswelten. So erwähnt die Strategie „Bremen 2030 – eine zeitbewusste Stadt“ die wachsende Anzahl „zeitweiliger Stadtnutzer“, ein immerhin zarter Hinweis auf die zunehmende Mobilisierung in der Lebensrealität vieler Menschen.
Wenn solche Bezüge hergestellt werden, erfolgt dies in der Regel im Zusammenhang mit Strategien zur Anwerbung erwünschter Zielgruppen wie etwa Hochqualifizierter oder Kreativer. Dies reflektiert eine jüngere Entwicklung, bei der in Städten und Regionen neben der Positionierung im Standortwettbewerb sowie dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der lokalen und regionalen Wirtschaft die Anwerbung von Fachkräften oder Hochqualifizierten stärker in den Fokus rückt (Beaverstock 2012: 248). Eine Durchsicht der aktuellen Leitbilder, Strategien oder Positionierungspapiere der zehn einwohnerreichsten Städte Deutschlands verdeutlicht, dass diese Herausforderungen nahezu überall erkannt und als Aufgabe städtischer Politik erfasst werden. Im Entwurf des „Räumlichen Leitbildes“ von Hamburg wird beispielsweise eine Internationalisierungsstrategie umrissen, die darauf abzielt, die Stadt „noch attraktiver für qualifizierte Arbeitskräfte und ihre Familien aus dem In- und Ausland zu machen“. Auch global agierende Unternehmen sind daran interessiert, eine qualifizierte Belegschaft zu rekrutieren, wobei deren Internationalität als Bereicherung empfunden wird. Zwischen den relevanten Akteuren bildet sich vor Ort zunehmend ein Konsens über die Bedeutung von Standortqualitäten für diese Zielgruppe heraus. In seinen Ausführungen zur Bedeutung der kreativen Klasse für die Entwicklungspotenziale von Städtenbezeichnet Florida (2002) die Sicherung und Anwerbung von Humankapital (Talent) als eine zentrale Stellschraube.
Bislang beschränken sich die Anwerbestrategien der Städte auf einzelne Maßnahmen wie die Einrichtung von Anlaufstellen (
Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass multilokale und transnationale Lebensformen bedeutende Phänomene darstellen, die von den Städten bislang nur sehr vereinzelt aufgegriffen werden. Eine differenzierte Beschäftigung mit den Auswirkungen auf städtische Strukturen und Prozesse steht noch aus. Dabei sollten aus unserer Sicht sowohl die Herausforderungen als auch die möglichen positiven Impulse in den Blick genommen werden. Zur Verdeutlichung sollen abschließend einzelne Felder der Stadtentwicklung und Stadtpolitik kurz skizziert und die bestehenden Erkenntnisse und Diskussionsstränge hierzu angeführt werden.
Die partielle Anwesenheit bzw. Abwesenheit von multilokal und translokal Lebenden führt zu der Frage, ob damit ein Verlust von Zugehörigkeit und Gemeinschaft sowie eine Abnahme der Bereitschaft zu zivilgesellschaftlichem Engagement verbunden ist. In der Literatur wird dies nur sehr vereinzelt bestätigt. Es zeigt sich vielmehr, dass Personen mit multilokalen und transnationalen Arrangements auf sehr unterschiedliche Art verortet und in lokale Nachbarschaften eingebettet sind. Dabei scheinen weniger die konkreten räumlichen und zeitlichen Arrangements als vielmehr persönliche Einstellungen und Überzeugungen wie auch familiäre Strukturen (z. B. das Vorhandensein von Kindern) bedeutsam zu sein (Engemann 2011; Menzl/González/Breckner et al. 2011; Hilti 2011; Föbker/Nipper/Pfaffenbach et al. 2012). Selbst für die globalen Eliten – oft Paradebeispiel für eine Gleichgültigkeit gegenüber Orten und Städten (vgl. Kreutzer 2006: 38) – stellt Nowicka (2006: 205) zwar eine gewisse „Unabhängigkeit der Lebensstile von den Besonderheiten des Ortes, jedoch keineswegs eine Entbettung von Orten“ fest.
Zudem muss in der Diskussion über die Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft die Verbindung zwischen unterschiedlichen Wohn- und Aufenthaltsorten einbezogen werden. Multilokalität und Transnationalität können in diesem Zusammenhang auch als Strategien bezeichnet werden, die Bindungen an einen Ort und somit bestehendes lokales Engagement aufrechtzuerhalten, welches für die betroffenen Orte eine soziale Ausgleichsfunktion besitzt (Hilti 2009: 83 f.). Dabei bilden sich zum Teil neue Formen der Teilhabe über Standorte hinaus. Beispielhaft sei hier auf Erkenntnisse aus der Migrations- und Entwicklungsforschung hinsichtlich des transnationalen Engagements von Migranten verwiesen. Neben den viel beachteten monetären Rücküberweisungen spielen weitere Praktiken eine Rolle, über die sich Migranten vom Wohnstandort aus in ihrem Herkunftskontext einbringen, beispielsweise indem wichtige Entscheidungen mitgesteuert werden oder versucht wird, die Entwicklung vor Ort über die Finanzierung von Projekten voranzutreiben (vgl. Z. B. Orozco 2004; Faist/Fauser/Kivisto 2011).
Die Auswirkungen multilokaler und transnationaler Arrangements auf die Nachfrage nach Wohnraum sind schwer einzuschätzen und erwartungsgemäß differenziert. Eine überbordende Zunahme „kalter Betten“ und eine Verdrängung von einheimischen, monolokalen Nachfragegruppen – wie aktuell beispielsweise in der Schweiz als Stadt- und wohnungspolitisches Thema diskutiert (vgl. Hilti 2013) – sind für die deutschen Großstädte bislang nicht beobachtet worden und unserer Einschätzung nach auch nicht wahrscheinlich. Derartige Befürchtungen beziehen sich in der Regel auf einzelne Segmente beruflicher und insbesondere freizeitbezogener Nebenwohnsitze, die der beschriebenen Vielfalt der Arrangements kaum gerecht werden. Tatsächlich ist aus den wenigen vorliegenden Untersuchungen abzuleiten, dass in den Städten je nach Zweck des multilokalen Arrangements sowie persönlicher Vorlieben und Umstände unterschiedliche Wohnungsformen und Ausstattungsmerkmale der Wohnung und des Umfeldes nachgefragt werden (Reuschke 2010). Die vermutete Zunahme multilokaler und transnationaler Lebensformen kann eher als Belebung und Beitrag zur Diversifizierung städtischer Wohnungsmärkte interpretiert werden. Die Wohnungswirtschaft reagiert darauf bereits, indem unter anderem transnationale Migranten als Nachfragegruppe in den Blick genommen oder auf temporären Aufenthalt ausgerichtete und teilweise um spezielle Dienstleistungen ergänzte Wohnformen (z. B.
Angesichts der Veränderungen der städtischen Gesellschaften ist auch zu hinterfragen, inwiefern die Integrationspolitik der Städte noch zielführend ist. Vielfach basiert diese noch auf einem herkömmlichen Verständnis, wonach versucht wird, die ‚Anwesenden‘ auf einen Standort festzulegen, wobei ihre orts- und grenzübergreifenden Lebensweisen häufig ausgeblendet werden. In einigen Fällen deutet sich bereits eine – wenn auch vorsichtige – Abkehr vom Paradigma der Integration an, welches Migranten einseitig auffordert, sich in die Mehrheitsgesellschaft einzufügen und von der Aufnahmegesellschaft im Gegenzug kaum eigene Anstrengungen wie die Öffnung von Institutionen und Verfahren einfordert. So ist auch die Aussage von Bommes (2010: 36) zu verstehen, wonach Kommunen – ähnlich wie Unternehmen und Beschäftigte – global denken sollten, um lokal handeln zu können. Er betont dabei, dass den Städten durchaus eigenständige Kompetenzen und Möglichkeiten eines „lokalen Integrationsmanagements“ zur Verfügung stehen.
Die aktuelle Diskussion um
In der Diskussion um Transnationalität und Stadt kann auch das Thema der migrantisch geprägten Ökonomie (der Begriff „ethnische Ökonomie“ ist zunehmend umstritten) aufgegriffen werden. Diese Wirtschaftsform wird zunehmend als Eckpfeiler des städtischen Wirtschaftslebens anerkannt (Pütz 2004). Aus Sicht der Stadtentwicklung wird das Segment im Zuge der Diskurse um die Qualitäten eines Standortes häufig als Merkmal für urbane Lebensqualität und Vielfalt angeführt (Eraydin/Tasan-Kok/Vranken 2010). Dabei wird einerseits kritisiert, dass es sich oftmals um eine ‚Sackgasse‘ handelt, welche aus einer ungleichen Chancenverteilung beim Zugang zum Arbeitsmarkt resultiert und letztlich zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten führe (Timm 2000). Andererseits wird die vermittelnde Rolle als Einstiegschance – vor allem für niedrigqualifizierte Zuwanderer – in den Arbeitsmarkt hervorgehoben, wodurch sich weitergehende Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen (Guarnizo/Portes/Haller 2003).
Zuletzt soll das Thema städtischer
Multilokalität und Transnationalität als wichtige Kennzeichen spätmoderner Lebensweisen werden in verschiedenen Forschungsdisziplinen seit geraumer Zeit intensiv beleuchtet. Hinter beiden Begriffen verbergen sich unterschiedliche Perspektiven, die jedoch im Kern deutliche Parallelen aufweisen. So wird die gängige unilokale Sichtweise von Haushalten zugunsten der Betrachtung von Netzwerkstrukturen aufgehoben, die sich zwischen verschiedenen Orten aufspannen. Multilokale und transnationale Lebensformen äußern sich in sehr verschiedenen Einzelausprägungen und müssen in dieser Vielfalt als bedeutsam für die Stadtentwicklung eingeschätzt werden.
Für die städtischen Akteure lässt sich daraus die Aufgabe ableiten, sich intensiver als bisher mit multilokalen und transnationalen Lebensweisen auseinanderzusetzen und diese in Entwicklungsstrategien und Leitbildern zu berücksichtigen. Dabei sollten nicht nur die möglichen Gefahren wie etwa die der Entortung und Entgrenzung für die Stadtgesellschaft diskutiert werden, sondern auch der Erhalt von Bindungen, die soziale und ökonomische Ausgleichsfunktion multilokaler und transnationaler Arrangements sowie die möglichen Chancen für die Wohnungsmärkte und die städtische Wirtschaft. Zudem kann im Rahmen städtischer Governance durch veränderte Partizipationsangebote oder durch zeitpolitische Ansätze die zunehmende Vielfalt der Stadtgesellschaft aufgegriffen werden.
Eine stärkere Berücksichtigung dieser Überlegungen im städtischen Handeln setzt voraus, dass ausreichende Kenntnisse für die Praxis zur Verfügung stehen. Die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen können über weitere Forschungen, insbesondere aber über den Wissenstransfer in die kommunale Politik und Verwaltung dazu beitragen, die vielfältigen Erkenntnisse über multilokale und transnationale Lebensführung nutzbar zu machen. Vor dem Hintergrund der starken territorialen Ausrichtung der Stadtpolitik stellt dabei die Sichtbarmachung von grenzüberschreitenden, über das städtische Gebiet hinausreichenden Sinnzusammenhängen dieser Lebensformen und ihrer Bedeutung für die lokale Ebene eine besondere Herausforderung dar.
Von Multilokalität betroffene Haushalte (nach Quartierstyp, in %)
Region | Quartierstyp | Anteil gesamt | Anteil nach Zweck* | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Partner-schaft | Familie | Arbeit | Freizeit | |||
Köln/Bonn | Urbaner Typ ( | 23,2 | 9,2 | 5,8 | 3,9 | 3,4 |
Suburbaner Typ ( | 7,8 | 3,6 | 1,2 | 1,8 | 0,9 | |
Östliches | Urbaner Typ ( | 21,2 | 12,2 | 4,2 | 2,1 | 2,1 |
Ruhrgebiet | Suburbaner Typ ( | 6,3 | 2,4 | – | 3,2 | 0,4 |
Leipzig/Halle | Urbaner Typ ( | 25,4 | 9,9 | 6,8 | 6,5 | 1,5 |
Suburbaner Typ ( | 8,2 | 0,7 | – | 6,1 | 1,4 |