When the caricature came up in the late 16th century, the notion meant an overloaded or exaggerated – and humorous – kind of portrait. Since then its meaning has changed considerably. Today caricature is understood as a visual equivalent of literary satire. This modern understanding has its origin in the bourgeois culture of the Enlightenment. In my contribution I examine the change in the concept of caricature in Western history. The focus is on the connection between this change in meaning and the constitution of caricature as an image genre. When did caricature acquire the status of a legitimate form of invectivity? Besides caricature, special attention is also paid to parody, because both types of invective communication often overlap.
Keywords
- Bildsatire
- Parodie
- Bilddiskurs
- Aufklärung
- 18. Jahrhundert
- Annibale Caracci
- William Hogarth
- Johann Georg Sulzer – caricature history
- satirical prints
- parody
- image discourse
- 18th Century
- Enlightment
- Annibale Caracci
- William Hogarth
- Johann Georg Sulzer
Im heutigen Verständnis ist die Karikatur visuelles Pendant der literarischen Satire. Kritische Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse im Modus des Spotts bilden den festen Erwartungshorizont dieser Bildgattung. Und auch wenn Karikaturen bisweilen „unter die Gürtellinie zielen“ und Skandale provozieren, scheint Andreas Platthaus’ Einschätzung, die Karikatur sei „Gradmesser für das Maß an Aufgeklärtheit einer Gesellschaft“ den gegenwärtigen Common Sense widerzuspiegeln. Platthaus (2016) Das geht ins Auge, S. 13.
Dabei entstand sie erst im 16. Jahrhundert; ist also im Vergleich zur Satire ein recht junges Phänomen. Ursprünglich meinte Langemeyer (1984) Einleitung, S. 11. Brassat/Knieper (2017) Karikatur, S. 774. Döring (1991) Kunstgeschichte der frühen englischen Karikatur, S. 24. Unlängst etwa Bodart (2018) Proto-histoire de la caricature.
Eine mangelnde Kongruenz von Begriffs- und Funktionsgeschichte macht es schwer, die Gattung klar zu umreißen, formalästhetisch zu verorten oder sie zwischen den Polen vermeintlich harmloser Komik und brutaler Verächtlichmachung zu situieren. Für eine umfassende Geschichte der Karikatur siehe zusammenfassend Koschatzky (1992) Die Kunst der Karikatur. An einer formalästhetischen Einordnung hat sich v. a. Hofmann (2007) Die Karikatur. Von Leonardo bis Picasso versucht.
All dies kann und will auch der vorliegende Beitrag nicht lösen. Vielmehr soll es darum gehen, den Bedeutungswandel des Karikaturbegriffs im historischen Verlauf nachzuvollziehen. Bekannt ist, dass das heutige, satirische Verständnis von Karikatur seinen Ursprung im 18. Jahrhundert hat. Hier beginnen auch die begrifflichen Kontroversen und Unklarheiten. Vgl. Unverfehrt (1984) Karikatur, S. 348–351.
Anhand programmatischer Bild- und Textquellen soll aufgezeigt werden, wann und wie das Satirische zum Modell und Modus der Karikatur erklärt wurde. Denn dieser Umschlagmoment bildet den Ursprung des heutigen Verständnisses von Karikatur als einer invektiven Bildgattung zwischen Humor und symbolischer Gewalt. Dies schließt Fragen nach Kanonvorstellungen sowie nach den jeweils lizenzierten Modi und Mitteln der Karikatur ein. Ein besonderes Augenmerk verdient dabei das Verhältnis von Karikatur und Parodie, da sich in der historischen Bewertung beider Phänomene ähnliche Wandlungen vollzogen haben.
Einigkeit herrscht in der Forschungsliteratur über die Anfänge der Karikatur insofern, als der Begriff Zur Entstehung der Karikatur als verwandtes Phänomen der Groteske im Italien des Cinquecento siehe Berra (2010) La nascita della caricatura, S. 73–76. Zum Vergleich siehe Cheng (2018) Ridiculous Portraits, S. 125f.
Abb. 1:
Agostino/Annibale (?) Carracci, Karikaturstudien, um 1575–1609, Tuschezeichnung, 19,4 x 13,5 cm, London BM, Inv. Nr. Pp,3.17 (CC-NC BM)

Abb. 2:
Leonardo da Vinci, Groteske Köpfe, um 1517–1520, rote Kreide, 19,5 x 14,6 cm, London RCIN, Inv. Nr. 912493 (CC-NC-BM)

Nimmt man trotz dieser Unschärfen den postulierten Wirklichkeitsbezug jener neuen Bildform ernst, ließen sich womöglich Bezüge zu viel älteren Spielarten einer Vgl. Bodart (2018) Proto-histoire de la caricature, S. 85. Siehe etwa Gombrich (1999) Uses of Images, S. 190–195 (mit einer Perspektive auf die Bildsatire); Jäger (2016) Sovereign Infamy, S. 169f. (in Bezug auf Schandmasken). Siehe hierzu einführend Lentz (2004) Konflikt, Ehre, Ordnung.
Ein anderes, von Bodart mit dem Entstehen eben jener Vgl. Bodart (2018) Proto-histoire de la caricature, S. 93.
Abb. 3:
Erasmus von Rotterdam, Selbstkarikatur, in: Scholia in epistulas Hieronymi, 1517, Bl. 226 r, Basel UB, Sign.: Erasmuslade A IX 56 (public domain)

Eine Antwort hält die erste theoretische Reflexion des Karikaturbegriffs von Giovanni Antonio Massani bereit. 1646, immerhin 40 Jahre nach dem Tod Annibale Carraccis, brachte der Haushofmeister Papst Urbans VIII. unter dem Titel Siehe etwa Unverfehrt (1984) Karikatur, S. 346f. oder Brassat/Knieper (2017) Karikatur, S. 775f.
Bei dem Vorwort handelt es sich um ein Zusammenspiel mehrerer Texte unterschiedlicher Autoren und Sprecher (neben Massani Giovanni Battista Agucchi und Annibale Carracci), die Massani unter dem leicht durchschaubaren Pseudonym Giovanni Atanasio Mosini zusammengetragen und auf eigenwillige Weise ergänzt hatte. Vgl. Mahon (1947) Seicento Art and Theory, S. 113f.; o.P. [S. 230], Anm. 1. Vgl. Mahon (1947) Seicento Art and Theory, S. 262f., Anm. 47. – Preimesberger erachtet demgegenüber die vielfältigen Anleihen an Aristoteles
Zunächst setzt Massani, ganz den zeittypischen Gepflogenheiten einer Vorrede entsprechend, mit einem Verkaufsargument ein: Er erklärt Annibale Carracci zu einem künstlerischen Ausnahmetalent. Insbesondere die (scherzhaften) Skizzen zeugten von der großen Meisterschaft des Bologneser Künstlers in der Naturnachahmung. Zu jenen Bildern rechnet der Autor sowohl die bekannten Kopfstudien als auch die – heute weniger einschlägigen – Darstellungen einfacher Bologneser Bürger, wie sie im Buch enthalten sind. Vgl. Massani (1646) Diverse Figure, S. 260f. Vgl. Massani (1646) Diverse Figure, S. 235–238. Vgl. Massani (1646) Diverse Figure, S. 241–258. Vgl. Massani (1646) Diverse Figure, S. 242–246. Vgl. Preimesberger (1999) Giovanni Atanasio Mosini, S. 325–328. Vgl. Massani (1646) Diverse Figure, S. 260.
Die Vorstellung, das Wiedererkennen bekannter Personen in einem Gemälde aufgrund einer Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Urbild und Abbild, zwischen Erinnerungs- und Darstellungsbild, übe auf den Betrachter einen besonderen Reiz aus, war zu diesem Zeitpunkt nicht neu. Bereits Leon Battista Alberti formuliert in Wenn sich in einem Vorgang [sc. einer Bilderzählung] ein Gesicht eines bekannten oder würdigen Mannes befindet, zieht dieses bekannte Gesicht sofort alle Blicke der Betrachter auf sich, selbst wenn darin andere Figuren zu sehen sind, die jenes an künstlerischer Vollendung und Liebreiz übertreffen. „Qual cosa quanto sia dal pittore a ricerarla si può intendere, ove poi che in una storia sarà un viso di qualche conosciuto e degno uomo, bene che ivi sieno altre figure di arte molto più che questa perfette e grate, pure quel viso conosciuto a sé imprima trarrà tutti gli occhi di chi la storia raguardi: tanto si vede in sé tiene forza ciò che sia ritratto dalla natura.“ Alberti (2010) Della Pittura, S. 158f. – Eine ausführliche Diskussion dieses Zitats unter Einbezug der aristotelischen Nachahmungslehre liefert Preimesberger (2011) Leon Battista Alberti zur Wirkung des Gesichts, bes. S. 81f.
Dieses Wiedererkennen beschränkte sich nicht auf rein äußerliche Merkmale. Gemäß der frühneuzeitlichen Physiognomik waren Aussehen und Auftreten eines Menschen dechiffrierbar, folglich sollte auch das ‚Simulacrum‘ einer Person Rückschlüsse auf deren Innerlichkeit erlauben. Zur Bedeutung physiognomischer Lehren für die frühneuzeitliche Kunst siehe einführend Reißer (1997) Physiognomik und Ausdruckstheorie der Renaissance, S. 9–18. Belting (2006) Das echte Bild, S. 133–137.
Im Kern besteht nun die Karikatur bei Massani-Carracci in einer Verkehrung dieses Porträt-Prinzips: Äußere Makel der natürlichen Erscheinung sollen erkannt, dargestellt und überbetont werden. Dies richtet die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Entstellungen und Deformationen. Das Wiedererkennen des Dargestellten mündet folglich auch nicht in Ehrfurcht ob der „artifiziellen Präsenz“ Vgl. Preimesberger (2011) Leon Battista Alberti zur Wirkung des Gesichts, S. 84. Annibale selbst […] machte davon [sc. von den „Annibale istesso […], ne hà fatto i grandissimo numero, e tutti stimatissimi da coloro, che gli hanno veduti, ò potuto havere: E massimamente di quelli, che furono da lui fatti in riguardo di quel che dicono i Fisionomisti, de’ costumi die quelle persone, che alcuna somiglianza hanno in alcuna parte co’ gli animali irragionevole: poiche egli disegnò solamente ò un Cane, ò un Bue, ò altro animale; e nondimeno benissimo si comprendeva essere il ritratto di colui, i cui costumi, e L’effigie haveva voluto l’artifice rappresentare.“ Massani (1646) Diverse Figure, S. 261. Übersetzung nach Preimesberger (1999) Giovanni Atanasio Mosini, S. 324.
Derartige Mensch-Tier-Analogien stellen eine besonders ostentative Form der „perfekten Deformation“ oder „absoluten Missgestalt“ dar, Massani (1646) Diverse Figure, S. 261. Vgl. Preimesberger (1999) Giovanni Atanasio Mosini, S. 330. Wenn aber der Künstler diese Art von Gegenständen nachahme, nicht nur wie sie sind, sondern sie, ohne ihnen die Ähnlichkeit zu nehmen, stark entstellt und fehlerhaft darstelle: […] dann (sagte Annibale) trete der dritte Grund des Vergnügens hinzu, nämlich die Karikatur (caricatura); wenn diese gut gemacht sei, reize sie den Betrachter noch mehr zum Lachen. Mit höherer Einsicht aber und mit Geschmack betrachtete er eine solche Arbeit folgendermaßen, indem er sagte, dass, wenn der fähige Maler ein „ritratto carico“ gut mache, er Raffael und die anderen guten Künstler nachahme, die, nicht zufrieden mit der Schönheit der Natur, diese aus mehreren Gegenständen oder den vollkommensten Statuen zusammensammelten, um ein in jedem Teil vollendetes Werk zu schaffen: denn das Anfertigen eines „ritrattino carico“ bedeute nichts anderes, als ein ausgezeichneter Kenner der Absicht der Natur zu sein, wenn diese jene große Nase oder jenen breiten Mund schuf, um in der Figur eine schöne Entstellung zu erzielen. „Ma quando l’artefice imita questa sorte d’oggetti, non solo come sono, ma senza levare alla similitudine, li rappresent maggiormente alterati, e difettosi: […] s’aggiugneva (diceva Annibale) la terza ragione del diletto, cioè la caricatura; la quale quando era fatto bene, eccitava maggiormente il riguardante al ridere. Ma con più alto intendimento, e con gusto, egli lavoro in questo modo considerava, dicendo, che quando il valente Pittore fa bene un ritratto carico, imita Raffaelle, e gli altri buoni autori, che non contenti della bellezza del naturale, la vanno raccogliendo da più oggetti, ò dalle Statue più perfette, per fare un’ opera in ogni parte perfettissima: percioche il fare un ritrattino carico, non era altro, che essere ottino conoscitore dell’ intentione della natura nel fare quel grosso naso, ò largo bocca, à fin di far una bella deformità in quell’oggetto.“ Massani (1646) Diverse Figure, S. 261f. Übersetzung nach Preimesberger (1999) Giovanni Atanasio Mosini, S. 323.
Spätestens hier, wenn Massani-Carracci das Idealschöne und das absolut Hässliche zu zwei Seiten derselben Medaille erklärt; wenn er das So resümiert Sandra Cheng die Passage: „In Massani’s preface, Annibale parodied the process of selective imitation.“ Cheng (2018) Ridiculous Portraits, S. 123.
Erst vor dem Hintergrund dieser literarischen Rahmung erhalten die für den heutigen Betrachter recht unscheinbaren Nachstiche von Simone Giullian humoristischen Biss [Abb. 4]. Für sich genommen handelt es sich bei ihnen um nüchterne Darstellungen einfacher Bologneser Händler und Handwerker. Karikaturen sind sie nur im recht weiten Sinne des Vgl. Hofmann (2007) Die Karikatur, S. 35–37.
Abb. 4:
Annibale Carracci/Simone Guillain: Der Bilderhändler, in: Giovanni Antonio Massani: Diverse figure al numero di ottanta […], Rom: Ludovico Grignani 1646, Paris BNF, Sign. FOL-BD-25 (G) (© BNF)

Man könnte nun fragen, warum der freimütigen Umkehrung aristotelischer Poetologie und kunsttheoretischer Topoi ein derartiges Nachleben beschieden sein konnte, das sich im 18. Jahrhundert eine sprichwörtliche Karikatur-Besessenheit einstellen sollte. Siehe etwa Lammel (1992) Karikatur der Goethezeit, S. 5–7. Siehe etwa Unverfehrt (1984) Karikatur, S. 347f.
Eine 40-teilige Kupferstichserie des Giovanni Maria Mitelli stellt sich in direkte Nachfolge der Diese Speise ist ein göttlicher Nektar [und] beschert mir einen ersprießlichen Profit, würden Brot und Wein allen zur Verfügung stehen, würde ich es mir sparen, von Bacchus’ Trauben zu naschen. „Questo cibo che è un nettare di[v]ino, // mi risulta in ben utile guadagno, // Se il pane, e l’ [v]in politico fachino // l’u[ve] di Bacco [à] becolar sparagno.“ Mit Dank an Giuseppe Peterlini für die Übersetzung.
Abb. 5:
Giuseppe Maria Mitelli: Il Vignolo, in: Di Bologna l’arti per via d’Annibal’Caraci disegnate, intagliate da Giuseppe Maria Mittelli, Rom: Rossi 1660, Paris BNF, Sign. FOL-BD-25 (I) (© BNF)

Abb. 6:
Michelangelo, Trunkener Bacchus, 1496/97, Marmor, 203 cm (Höhe), Florenz Bargello, Inv. Nr. 10 (CC Wikimedia)

Abb. 7:
Jacopo Sansovino, Bacchus, 1514, Marmor, Florenz Bargello, Inv. Nr. 120 (Wikimedia CC-BY-SA 4.0)

Die komische Wirkung resultiert aus einem für die Parodie charakteristischen Kontrast des Hohen mit dem Niederen: Ausführlich zu den Spezifika und Spielarten bildparodistischer Verfahren siehe den Beitrag von Jürgen Müller in diesem Band.
Die Darstellung zielt auf ein doppeltes Wiedererkennen: Zunächst erkennt der Betrachter den Weinbauern, den Mitelli im Sinne von Carraccis Bologneser Vgl. Massani (1646) Diverse Figure, S. 260f.
Diese Art der scherzhaft-parodistischen Porträt- und Typenkarikatur, die mit dem (Wieder-) Erkennen bildlich überzeichneter Makel operiert, erlebte ihre Hochzeit im 18. Jahrhundert. Der gefragteste Vertreter dieser jungen Kunst war zweifelsohne Pier Leone Ghezzi, dessen Zeichnungen sich als Radierungen in ganz Europa verbreiteten.
Bei dem Porträt, das Markus Tuscher von dem ersten Berufskarikaturisten 1743 angefertigt hatte, handelt es sich aufgrund der zu groß geratenen Hände und Füße sowie der überlangen Nase selbst um eine Karikatur, die zudem Ghezzis Stil täuschend echt nachempfunden wurde [Abb. 8]. Zur Besprechung des Blattes siehe Döhl (1985) Pier Leone Ghezzi. – Tuscher fertigte während seiner Zeit in Rom selbst mehrere Radierungen nach Ghezzis Zeichnungen an (so etwa die Karikatur des Opernsängers Francesco Baglioni, 1738, Kupferstichkabinett Dresden, A 106034), war mit dessen Stil also bestens vertraut. Zum römischen Pasquinaten-Kult des 16. Jahrhunderts siehe einführend Kuhn (2011) Witz als Waffe, S. 252, sowie vertiefend den Beitrag von Gerd Schwerhoff in diesem Band. Vgl. Norris/Weber (1976) Medals and Plaquettes Molinari Collection, S. 41. Ich danke Hole Rößler für den Hinweis auf diese Medaille. Vgl. Schumacher (1993) Teufel als ,Tausendkünstler‘, S. 65; S. 73.
Abb. 8:
Marcus Tuscher, Pier Leone Ghezzi, 1743, Radierung, 33,6 x 20,4 cm, Dresden Kupferstichkabinett, Inv. Nr. A 106032. (© SKD)

Auch wenn Tuschers Blatt nur sehr eingeschränkt Rückschlüsse auf einen allgemeinen Diskurs erlaubt, sollte doch das invektive Potenzial der Siehe hierzu Rößler (2021) Invektive Bildnisse abseits der Karikatur.
Die Lächerlichkeit der Porträtkarikatur mit dem Herausstellen äußerlicher und habitueller Abnormitäten und Eigenheiten invertiert diese Bildlogik, indem sie im Modus des Komischen operiert. Mit dem Lachen provoziert es einen Kommunikationsakt, der dazu geeignet ist, Autoritäts- und Geltungsansprüche zu unterminieren. Zum Lachen als bedeutungsoffenen Kommunikationsakt mit Disposition zur Gewalt siehe insbesondere Röcke (1999) Lizenzen des Witzes, S. 79f., und Schnell (2010) Verspotten und Verlachen, S. 46. Schneider/Zitzslperger (2006) Bernini in Paris, S. 192f. (Tagebucheintrag vom 19. August 1665).
Der Reiz der Karikatur als invertierte Porträtkunst, deren Ähnlichkeit laut Berninis Reisebegleiter Paul Fréart de Chantelou „im Häßlichen und Lächerlichen“ Schneider/Zitzslperger (2006) Bernini in Paris, S. 193.
1743, im selben Jahr also, in dem Tuschers Porträtkarikatur des berühmten Ghezzi erschien, publizierte William Hogarth mit Zur Einordnung des Blattes innerhalb der Gattungsgeschichte siehe etwa Antal (1966) Hogarth und seine Stellung in der europäischen Kunst, S. 155–158, und zusammenfassend Brassat/Knieper (2017) Die Karikatur, S. 780–782. Zur Deutung des Blattes siehe u.a. Hinz (1980) Characters and Caricatures; Paulson (1992) Hogarth, S. 231f.; Bindman (1997) Hogarth and His Times, S. 100f.
Abb. 9:
William Hogarth, Characters and Caricatures, 1743, Radierung, 23 x 20,6 cm, New York Metropolitan Museum, Inv. Nr. 1848,1125.209 (public domain)

In ihm konstruiert und konstituiert der Künstler eine frühe Gattungsgeschichte, nur um sich und die eigene Kunst von derselben abzugrenzen. Zu diesem Zweck operiert Hogarth mit ironisch überzeichneten Bildzitaten des Dreiergestirns der Karikatur Leonardo – Carracci – Ghezzi: Zunächst ruft er das bekannte Formular der Carracci-Profilkarikatur auf. Das Maß der Deformierung und Überzeichnung reicht dabei von starken Eingriffen – etwa bei den Köpfen von Hogarth selbst sowie seinem Freund Henry Fielding im Bildzentrum – bis hin zu sehr moderaten Modifikationen. Im unteren Bildsegment bemüht Hogarth, Massani gar nicht unähnlich, den Vergleich zwischen dem Idealschönen, verkörpert durch Raffael, und dem übersteigert Hässlichen der Karikatur. Die beiden linken Bildfelder zitieren berühmte Figuren des Renaissancemeisters und sind als „Characters“ ausgewiesen. Besonders prominent ist der predigende Paulus aus dem Paulus-Zyklus, deren Kartons dereinst durch den englischen König Karl I. angekauft und seit 1699 in Hampton Court ausgestellt wurden.
In der Vorrede erklärt der Autor den eigenen Roman und die Fielding (1967) Joseph Andrew’s Abenteuer, S. 7. Fielding (1967) Joseph Andrew’s Abenteuer, S. 11. Fielding (1967) Joseph Andrew’s Abenteuer, S. 6f.
Denn im Kern zielen derartige Charakterisierungen nicht auf Erheiterung und Unterhaltung des Publikums, sondern auf sittliche Besserung. Es geht nicht um das Wiedererkennen entstellter Äußerlichkeiten, sondern um das Erkennen innerer Widersprüche und Differenzen. Wollen Parodie und Karikatur Lachen provozieren, so soll die Kunst der Charakterisierung Verlachen und Verachten evozieren.
Hogarths und Fieldings Profilierung
Hogarth und Fielding griffen mit ihrer Polemik einen im England des frühen 18. Jahrhunderts virulent gewordenen Diskurs um die literarische Charakterschilderung in moralisierender Absicht auf, das sogenannte Siehe hierzu zusammenfassend Faßhauer (2016) Wahre Charaktere, S. 85–90. Shaftesbury (1990) Gesellige Enthusiast, S. 9–12 und S. 325f. – Zur Entwicklung einer Theorie des Lachens und des Lächerlichen im England des 18. Jahrhunderts siehe weiterhin Fietz (1996) Theorie des Lachens im 18. Jahrhundert, bes. S. 248. Vgl. Faßhauer (2016) Wahre Charaktere, S. 89.
Diese gattungshierarchische Aufwertung musste Henry Fielding und mehr noch William Hogarth attraktiv erscheinen. Immerhin war die Karikatur nur ein Randbereich der Künste, wohingegen die Historie die ranghöchste Gattung darstellte. Dies hatte nicht zuletzt monetäre Auswirkungen: Während Siehe hierzu Clayton (2014) Produktion und Vertrieb von Karikaturen.
Eine strikte Trennung zwischen der satirischen Charakterisierung, die sich (maßvoll) der Karikatur (auf dem Gebiet der Bildenden Künste) und der Parodie (als literarisches Verfahren) bedienen konnte, und dem
In Deutschland, das im 18. Jahrhundert weder über einen vergleichbaren Karikaturmarkt noch über einen Künstlerstand mit hohem Sozialprestige verfügte, Siehe hierzu Lammel (1992) Karikatur der Goethezeit, S. 9–11 und Lammel (1998) Kunst im Aufbruch, S. 7. Wieland (1775) Unterredung mit dem Pfarrer, S. 62. Wieland (1775) Unterredung mit dem Pfarrer, S. 68. Wieland (1775) Unterredung mit dem Pfarrer, S. 70f. Wieland (1775) Unterredung mit dem Pfarrer, S. 72–74.
Für Wieland ist die Karikatur eine durch und durch ernste Angelegenheit; keine parodistische Verkehrung klassischer Nachahmungslehre, keine reine Porträt-Invertierung, die auf das (Wieder-) Erkennen physiognomischer Auffälligkeiten zielt. Für ihn besteht die zentrale Aufgabe der Karikatur im Entlarven von Innerlichkeit: Sie soll Fehlverhalten ans Tageslicht befördern, die Auswirkungen schlechter Angewohnheiten vor Augen führen; nicht im Lachen über das ‚Andere‘ verhaftet bleiben, sondern Identifikation und Selbsterkenntnis zulassen. Dabei bildet gerade die Karikatur, die die Menschenkenntnis befördern und das Gespür für ‚moralische Schönheit‘ schulen soll, den neuen Kern der invektiven Bildgattung. Durch sie werden Verhaltensmuster, Gewohnheiten und Wesensmerkmale als abweichend, lächerlich oder gar als verächtlich markiert. Sobald diese Wertungen vom Publikum internalisiert wurden – wozu das druckgraphische Bild aufgrund seines potenziell unbegrenzten Verbreitungsradius beiträgt – kann sich das medial vorgeprägte Reaktionsmuster von Missfallen, Verlachen und Verachten auf beliebige Personen oder Gruppen, die der entsprechenden Normabweichung überführt wurden, entladen. Umgekehrt wähnt sich der Einzelne ständig selbst in Gefahr, verspottet zu werden, sollten seine Laster einmal enttarnt werden. Die Entgrenzung des Karikaturbegriffs über die Personendarstellung hinaus – so soll sie nunmehr die Merkmale von Charaktertypen und „Classen“ entlarven – verschärft die latente Bedrohungssituation noch. Vgl. Wieland (1775) Unterredung mit dem Pfarrer, S. 69.
Die Karikatur als moralisierendes Erkenntnisinstrument ist eng verbunden mit der Physiognomik des 18. Jahrhunderts. Waren physiognomische Lehren und Traktate fußend auf dem Pseudo-Aristoteles die gesamte Frühe Neuzeit hinweg verbreitet, maß Johann Caspar Lavater ihr in seinen Die Legende ist ursprünglich durch Cicero überliefert und wurde seit dem 16. Jahrhundert häufig bemüht. Auch Lavater äußert sich zur Hässlichkeit des Sokrates. Er betrachtet den Fall aber nur als eine Ausnahme, die die Regel bestätigt; als einen „Druckfehler“ der Natur. Lavater (1776) Physiognomische Fragmente 2, S. 65. Siehe weiterhin Cic. fat., V. 10; Reißer (1997) Physiognomik und Ausdruckstheorie der Renaissance, S. 27f. Vgl. Lavater (1775) Physiognomische Fragmente 1, S. 13–16. Wir betrachten nämlich nicht nur die unmittelbaren Wirkungen der Moralität und Jmmoralität auf die Schönheit des menschlichen Angesichts; sondern auch die mittelbaren Folgen derselben zur körperlichen Verschönerung oder Verunzierung des menschlichen Geschlechts. Jch geh’ unter eine Menge Volks – ich seh den Pöbel – ich wandle durch Dörfer – kleine Städte, große Städte – sehe die Schlechtheiten jedes Orts – vornehmen und gemeinen Pöbel! Und eine traurige Verwüstung, eine traurige Menge häßlicher, verzogener Gesichter – Carikaturen aller Arten treffe ich an. Lavater (1775) Physiognomische Fragmente 1, S. 69.
Von dieser natürlichen Karikatur unterscheidet Lavater die medial vermittelte, die das von ihm vorgeführte Charakterstudium erleichtern könne, und erklärte sie „zu einem Vergrößerungsglas für blödere [meint ungeschulte] Augen“. Lavater (1775) Physiognomische Fragmente 1, S. 336.
Die Vorstellung von der Karikatur als schriftliches wie visuelles Verfahren moraldidaktischer Charakterisierung ersetzte den Gattungsbegriff der Bildkünste keineswegs. Beide Konzepte setzten sich durch, existierten parallel zueinander und überlagerten sich bisweilen. Kunsttheoretiker wie Christian Ludwig von Hagedorn behandelten die Karikatur als ein künstlerisches Randphänomen, hilfreich für Studienzwecke und dazu geeignet, das Publikum gleichermaßen zu belustigen wie zu belehren. Die kanonische Reihe Leonardo-Carracci-Ghezzi wurde ungeachtet all seiner Abgrenzungsversuche um William Hogarth ergänzt. Hagedorn (1762) Betrachtungen über die Mahlerey 2, S. 816f.
Ähnlich äußert sich auch Johann Georg Sulzer in seiner Zu Sulzers Sulzer (1792) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 1, S. 450. Sie [sc. die Karikaturen] sind demnach nicht, wie einige zu strenge Kunstrichter wollen, gänzlich zu verwerfen. Denn bey Gelegenheyten, wo das Lächerliche erfordert wird, kann eine gute Carricatur sehr dienlich seyn. Sulzer (1792) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 1, S. 450.
Die Vermischung beider Dimensionen – die parodistische Gegenkunst der Porträtkarikatur und das Verfahren überzeichneter Charakterisierung – ist wohl weniger auf eine generelle Indifferenz zurückzuführen, als vielmehr der doppelten Struktur von Sulzers Décultot (2012) Kunsttheorie des Empfindungsvermögens, S. 89f. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 1, Lemma: Carricatur (Zeichnende Künste), S. 450– 451; 3, Lemma: Lächerlich (Schöne Künste), S. 132–142; 4, Lemma: Satire (Redende Künste), S. 128–212. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 139.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet das menschliche Ehrgefühl als psychologische Konstante von großer Triebkraft. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 136f. Zur sozialdisziplinierenden Wirkung des Verlachens siehe etwa Schörle (2007) Verhöflichung des Lachens, S. 129f.; Fulda (2012) Die Gefahr des Verlachtwerdens.
So greift Sulzer die verbreitete Trennung zwischen dem reinen Lachen aufgrund von Ungereimtheiten und „poßirlichen Begebenheiten“ und einem spöttischen Verlachen von „Narrheiten“ auf. Vgl. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 133–135. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 135.
In ihrem erzieherischen Impetus sind sich Wieland, dessen Dialog im
Insofern Schamgefühl und die Angst vor öffentlichem Ehrentzug sozialkonformes Verhalten begünstigen, wirken Praktiken des Lächerlich-Machens nicht nur auf das Verhalten von Einzelpersonen ein, sondern können gar eine ganze Gesellschaft von „Thorheiten, Vorurtheilen und bösen Gewohnheiten“ heilen. Vgl. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 140f.
Die soziale Wirksamkeit des degradierenden Verlachens hängt ganz maßgeblich von den kommunikativen Mitteln ab, die das Lachen auslösen – von der ‚Kunst zu Spotten‘ also. Damit die gewünschte Selbsterkenntnis einsetzen kann, fordert Sulzer vom Spötter eine subtile Form des Lächerlich-Machens. Der Einzelne soll sich nicht direkt persönlich getroffen fühlen, sondern zunächst bereitwillig mitlachen, bis zum Moment bitterer Einsicht. Vorsicht ist demnach sowohl bei der „Wahl des Lächerlichen, als in der Schilderung desselben“ geboten. Vgl. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 138.
Unter den Künsten erachtet Sulzer das Schauspiel am geeignetsten, Spott auf diese Weise einzusetzen. Doch könnten ganz generell „alle Hauptzweige der Schönen Künste dieses Lächerliche brauchen.“ Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 135f. Vgl. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 132–135.
Einzig die Parodie will Sulzer weitgehend ausgeschlossen wissen: „Man muß es weit im Leichtsinn gebracht haben, um an solchen Parodien Gefallen zu finden; und ich kenne nicht leicht einen größern Frevel als den, der würklich ernsthafte, sogar erhabene Dinge, lächerlich macht.“ Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, Lemma: Parodie (Dichtkunst), S. 650–652, hier S. 650. Auf derselben Seite relativiert Sulzer seine ablehnende Haltung gegenüber Parodien, die sich nicht auf Werke der Schönen Künste beziehen: „Deswegen wollen wir doch nicht alle Parodien schlechthin verwerfen. Sie sind wenigstens zur Hemmung gewisser erhabener Ausschweifungen und des gelehrten, politischen und gottesdienstlichen übertriebenen Fanatismus ein gutes Mittel.“ Siehe hierzu etwa Décultot (2012) Kunsttheorie als Theorie des Empfindungsvermögens; Engel (2012) Verbesserung der Sitten.
Jenseits dessen schreibt Sulzer die künstlerischen Verfahren des Spottes ebenso wenig fest wie deren Grad an Invektivität. Allein die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt bleiben. So soll sich das präventiv Lächerliche niemals gegen konkrete Personen richten, auch ist es nicht angebracht, Gebrechen und unverschuldetes Leid der Lächer-
lichkeit preiszugeben. Der öffentlichen Bestrafung von Widersachern des ‚Gemeinwesens‘ sind indes keine Grenzen gesetzt – selbst die Pasquinade in Bild und Schrift mag sich in derartigen Fällen als opportunes Mittel erweisen. Sulzer (1792–1794) Allgemeine Theorie der Schönen Künste 3, S. 141.
Die bürgerliche Spottkunst und ihre verschiedenen Medialisierungsformen, wie Sulzer sie ausformuliert, führten in der Praxis zu einem kontroversen metainvektiven Diskurs, Zur Metainvektivität siehe Ellerbrock/Koch/Müller-Mall et al. (2017) Invektivität, S. 17. Flögel (1784) Geschichte der Komischen Litteratur 1, S. 354.
Mit dieser Erweiterung war ein wichtiger Grundstein für ein funktionales Karikaturverständnis gelegt. Es meint die überzeichnete Darstellung eines Gegenstandes (einer Person, eines Kunstwerkes oder gesellschaftlicher Verhältnisse) mit dem Ziel, dessen Lächerlichkeit und Falschheit zu behaupten, um Kritik und Missfallen zu provozieren.
Mit der spöttisch-überzeichneten Nachahmung im Dienste des Satirischen war eine sozial operative Bildform klassifiziert, die nun ebenfalls unter dem Karikaturbegriff firmierte. Die Frage, wie das soziale Wirkungsvermögen dieses Bildmodus einzuschätzen sei, gewann gegenüber ästhetischen und kunsttheoretischen Diskursen an Relevanz – vor allem mit Blick auf England. So erklärt der Rechtswissenschaftler Christian August Gottlieb Göde in seiner Reisebeschreibung von 1805 die Londoner Karikatur seiner Leserschaft wie folgt: [D]ie Londoner Caricaturzeichner behaupten noch immer ihren unbestrittenen Vorrang. […] So wenig auch die Kunst durch dergleichen Arbeiten gewinnt, die nur für den Moment berechnet werden, so wichtig sind sie für die Englische Nation in anderer Hinsicht. Die politischen Parteien benutzen sie, manche Ansichten dem Volke zu versinnlichen. Lächerlichkeiten aller Art werden in diesen lustigen Strafbildern vor dem Publikum zur Schau gestellt; […]. Sie haben vielleicht auch bisweilen als Blitzableiter gedient, wenn sich ein elektrisches Revolutionsfeuer in einer Volksclasse angehäuft hatte; denn nichts entwaffnet die Leidenschaft leichter und schneller als das Lächerliche. Sie sind Warnungszeichen für die Großen, die sie erinnern, daß ihre Schritte bewacht werden. Göde (1806) England Wales, Irland und Schottland, S. 123f.
Die „lustigen Strafbilder“ sind an der breiten Masse, dem ‚einfachen Volk‘ ausgerichtet. Diesem dienen sie Göde zufolge als Katalysatoren aufgestauter Aggressionen gegen die Obrigkeit, während Parteien sie zum Zweck politischer Agitation einsetzen. Damit erfährt das Funktionsspektrum der Sulzer’schen Spottkünste, in denen die Karikatur nonkonformes Verhalten markiert oder Delinquenten an den druckmedialen Pranger stellt, eine wichtige Ergänzung. Denn bei Sulzer sollten Karikaturen zuvorderst in die eigene (bürgerliche) Gruppe hineinwirken. Oberstes Ziel war die Selbstregulierung, erst an zweiter Stelle folgte die Bewertung und Sanktionierung des Verhaltens Anderer. Göde indes fokussiert auf Siehe Lammel (1995) Deutsche Karikaturen, S. 2f.
In summa lässt sich Karikatur einerseits als ein künstlerisches und andererseits als ein soziales Phänomen begreifen. Im ersten Fall bezeichnet der Begriff eine parodistische ‚Gegenkunst‘, im anderen ein der Parodie artverwandtes Bildverfahren mit politischem Impetus. In stärker kunsthistorisch fundierten Gattungsnarrativen ist die Karikatur avantgardistische Gegenbewegung klassizistischer Kunstauffassung und damit wichtiger Wegbereiter der Moderne. Alle ostentativ hässlichen, obszönen, parodistischen und humoristischen Bildformen können ihr zugeordnet und der Entwicklungsgeschichte einverleibt werden (etwa Groteske, Capriccio, Genrekunst). So etwa Fuchs (1901) Die Karikatur der europäischen Völker; Hofmann (2007) Die Karikatur; Haldemann (2018) Komödie des Daseins. Siehe v.a. den Katalog von Langemeyer/Unverfehrt/Guratzsch et al. (1984) Bild als Waffe. Siehe Kris (1977) Psychologie der Karikatur. Die Studie wurde nur in Teilen und erst viele Jahre später publiziert und von Gombrich später selbst in Teilen relativiert. Siehe Gombrich (1999) Uses of Images, S. 190–193. Freud (1905) Der Witz, S. 97. Siehe Freud (1905) Der Witz, S. 99. Vgl. Freud (1905) Der Witz, S. 98. Siehe Freud (1905) Der Witz, S. 106.
Übertragen auf die Karikatur führen diese Implikationen zu einer Engführung des Gattungsbegriffs unter tendenziösem Vorzeichen: Ihr Witz löst die brutale Ikonographie mittelalterlicher Schandbilder und polemischer Drucke der Reformationszeit ab; richtet sich gegen ansonsten unerreichbare Feinde oder gesellschaftliche Missstände, um die Gruppenidentität des angesprochenen Lagers zu stärken. Vgl. Gombrich (1999) Uses of Images, S. 206–211. Vgl. Gombrich (1984) Das Arsenal der Karikaturisten, S. 401.
Intuitiv ist man geneigt, die Karikatur von negativ konnotierten Schmähbildern, Propaganda- und Hassbildern zu unterscheiden, ohne dass sich hierfür klare, formalästhetische Kriterien benennen ließen. Platthaus (2016) Das geht ins Auge, S. 13, versucht die „aufgeklärte Karikatur“ vom Schmähbild abzugrenzen. Zur Definition von Hassbildern siehe Hornuff (2020) Hassbilder, S. 4f. Zum Spannungsverhältnis zwischen aufklärerischem Karikatur-Ideal und Propaganda siehe Plum (1998) Die Karikatur, S. 7–26. Zur Bedeutung der Anschlusskommunikation für die Erforschung invektiver Kommunikationsakte siehe Schwerhoff (2020) Invektivität und Geschichtswissenschaft, S. 13. Vgl. Gombrich (1984) Das Arsenal der Karikaturisten, S. 401. So stellten im 18. Jahrhundert etwa polemisch-ironische Äußerungen gegen jene Leser, die sich in satirischen Bildern oder Texten wiederzuerkennen glaubten und mithin beleidigt fühlten, wiederkehrende Topoi dar. Georg Christoph Lichtenberg leitete etwa Daniel Nikolaus Chodowieckis Serie der
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![Annibale Carracci/Simone Guillain: Der Bilderhändler, in: Giovanni Antonio Massani: Diverse figure al numero di ottanta […], Rom: Ludovico Grignani 1646, Paris BNF, Sign. FOL-BD-25 (G) (© BNF)](https://sciendo-parsed-data-feed.s3.eu-central-1.amazonaws.com/61d55dc5671b3610c035ea5c/kwg-2021-0019_fig4.jpg?X-Amz-Algorithm=AWS4-HMAC-SHA256&X-Amz-Date=20220817T011044Z&X-Amz-SignedHeaders=host&X-Amz-Expires=17999&X-Amz-Credential=AKIA6AP2G7AKP25APDM2%2F20220817%2Feu-central-1%2Fs3%2Faws4_request&X-Amz-Signature=cdfec036141d76ed1459035a3d3ec6fa935fbed882f76eb7bb5db98ed230ec37)
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Allochronie im Anthropozän: Ein Gespräch mit Erhard Schüttpelz (Re)Synchronisierung auf dem Boden der Tatsachen? Die Pedosphäre als Übersetzungsregion anthropologischer und geologischer Zeitlichkeit Zukunftspolitik im Technozän. Der Technikfolgendiskurs in den 1970er Jahren Walter Benjamins Eschatologie der Katastrophe: Fortschritt, Unterbrechung und das Ende der Geschichte Wie die Geschichte(n) der Erde bewohnen? (Literarische) Kompositionen von planetarer Zeit zwischen Moderne und Anthropozän Das „diplomatische Jahrhundert“: Mediatisierung von Zeitverhältnissen in den Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts Vom Ausgang der Erde aus der Welt des Menschen, oder: Wie das „Prä-“ vor die Geschichte kam Moderne Zeitlichkeiten und das Anthropozän